Wenn ich daran denke, was für ein dampfender Haufen Mist der Film mit Ben Affleck vor 12 Jahren war und ich deshalb so meine Befürchtungen hatte, was die Serie angeht, könnte ich gar nicht glücklicher sein. Bei den Trailern hatte ich ja schon Hoffnung geschöpft, aber das die Serie dann so geil werden würde, hätte ich dann auch nicht gedacht. Ist eben doch hilfreich, wenn man auf Netflix läuft und nicht auf die klassischen Sender angewiesen ist, die immer nur dumme Vorgaben machen und meist auf ihren 24 Folgen pro Staffel bestehen.
Die grundsätzliche Geschichte von Daredevil ist schnell erzählt. Matt Murdock, seines Zeichens blinder Anwalt, der tagsüber die Unschuldigen vertritt, tritt in der Dunkelheit der Nacht den bösen Buben von Hell's Kitchen die Zähne aus dem Gesicht. Wie ihr vielleicht oben am Bild seht, sind wir hier ganz am Anfang der Geschichte, bevor Matt wirklich Daredevil ist. Die 13 Folgen der ersten Staffel sind dann prinzipiell auch ein einziger großer Handlungsstrang, der darauf hinarbeitet, dass sich der Mann mit der schwarzen Maske und Wilson Fisk a.k.a. Kingpin am Ende gegenüber stehen. Das eigentliche Storytelling ist dementsprechend auch verhältnismäßig langsam, was aber wiederum für Charakterentwicklung verwendet wird. Und ich spreche hier nicht nur von Murdock und Fisk, die zugegebenermaßen ordentlich Charakterentwicklung durchmachen. Auch die Nebencharaktere entwickeln sich angenehm weiter, allen voran Karen Page (gespielt von der immer lieblichen Deborah Ann Woll), die Murdock am Anfang rettet und Foggy Nelson, Murdocks Anwaltspartner. Gerade bei letzterem hatte ich die Befürchtung, dass er so ein langweiliger flacher Nebencharakter bleibt, aber ich wurde dann doch positiv überrascht. Ich will jetzt hier auch nicht zu sehr ins Detail gehen bzw. zu viel verraten und auch nicht jeden einzelnen wichtigen Charakter aufführen, aber insgesamt kann man sagen, dass durch die Bank weg, keine langweiligen und flachen Charaktere in der Serie vorkommen.
Abgesehen davon, sind gerade auch die schauspielerischen Leistungen echt nicht von schlechten Eltern. Besonders Vincent D'Onofrio (Private Paula aus Full Metal Jacket) als Wilson Fisk liefert eine gleichzeitig grandiose und verstörende Perfomance ab. Ich weiß nicht ob die Glatze die ganze Sache noch verstärkt hat, aber bei einigen Szenen lief es mir echt eiskalt den Rücken runter. Auch Charlie Cox (Boardwalk Empire) macht seine Job echt gut, auch wenn ich der Meinung bin, dass er an seinem amerikanischen Akzent arbeiten könnte. Wenn ich so drüber nachdenke, ist das wahrscheinlich die einzige Sache, die ich an der Serie auszusetzen habe. Zugegebenermaßen ist das so eine Macke von mir, aber ich fand es einfach etwas ablenkend, wie ein Brite beim Sprechen laufend versuchen muss, nicht vom amerikanischen in den britischen Akzent zu verfallen. Aus dem gleichen Grund kann ich mir übrigens auch nicht den 1986er Highlander Film im Originalton angucken, weil Christopher Lambert dort bekanntlich nen Schotten spielt und den ganzen Film nen französischen Akzent hat, während Sean Connery nen Spanier/Ägypter spielt, der mit einem extrem dicken schottischen Akzent spricht. Aber ich schweife ab. Im Prinzip ist das bei Cox nur eine Kleinigkeit und insgesamt haben sich die Macher der Serie einen sehr ausgeglichenen Cast zusammengesucht, der eine sehr gute Arbeit geleistet hat.
Ich kann jetzt natürlich viel über die gute Story und den guten Cast reden, aber es handelt sich nun einmal um eine Comicbuchverfilmung und das heißt, früher oder später gibst was inne Schnauze. Und hier habe ich mir das Beste zum Schluss aufgehoben. Die Kämpfe sind grandios gemacht. Hier haben sowohl die Choreographen als auch Stuntleute ganze Arbeit geleistet und man merkt, dass der Showrunner Steven S. DeKnight damals etwas gelernt hat, als er der Showrunner von Spartacus war. Ich muss auch sagen, dass mir besonders der Realismus der Kämpfe gefallen hat. Matt Murdock ist eben kein riesiger Typ, der mal eben durch ne Wand schlägt. Selbst bei drei oder vier unwichtigen Gangstern dauert das dann eben ein wenig, weil die nicht gleich nach dem ersten Schlag am Boden liegen bleiben. Und auch Murdock ist keineswegs unverwundbar. Scheiße, er rennt am Anfang nur mit nem dünnen Shirt rum, was mal so überhaupt keine Schutz bietet. Ich fand es auch irgendwo erfrischend, dass unser großer Held nach einem mehrminütigen Kampf pumpt wie ein Maikäfer. Gut, das liegt ein bisschen an seinem extravaganten Kampfstil, aber jemandem in die Fresse hauen, ist nun einmal anstrengend. Außerdem kann ja nicht jeder eine gefühlte Stunde eine Alieninvasion New Yorks abwehren und am Ende noch taufrisch sein. Ich gucke in deine Richtung Agent Romanov. Hier mal ein gutes Beispiel, vor allem technisch auch geil gemacht, weil alles ohne Cuts.
Im Übrigen fand ich auch die kleine Referenzen zu den Avengers ganz amüsant. Daredevil spielt nun mal im MCU und so leidet Hell's Kitchen beispielsweise unter den Nachwirkungen des kleinen Zwischenfalls vor ein paar Jahren, als New York ein ganz klein bisschen umdekoriert wurde.
Ich kann die Serie insgesamt nur weiter empfehlen und mit Jessica Jones, Luke Cage und Iron Fist erwarten uns dieses und wahrscheinlich die nächsten zwei Jahre drei weitere Marvel Serien auf Netflix, die hoffentlich ähnlich hochwertig sein werden, auch wenn die dortigen Helden weit weniger bekannt sind. Außerdem bin ich der Meinung, dass so ein 13 Episoden Format auf Netflix zukünftig eine Alternative für die Helden wäre, die einen etwas düstereren Ton brauchen und denen die typische PG-13 Vorgabe bei den bisherigen Marvel-Filmen eher schaden würde. Kommt wahrscheinlich auch darauf an, wie Deadpool in den Kinos abschneidet. In der Zwischenzeit guckt einfach mal bei Daredevil rein.
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