Selbst der Tod hat ein Steckenpferd (Bon_Curry)

    Diese Seite verwendet Cookies. Durch die Nutzung unserer Seite erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies setzen. Weitere Informationen zum Einsatz von Cookies
    Beachten Sie zudem unsere Datenschutzerklärung: Pirateboard.net - Datenschutzerklärung

    • Selbst der Tod hat ein Steckenpferd (Bon_Curry)

      Hallo Leute

      Ich habe vor ein paar Jahren eine eigene Kurzgeschichte geschrieben und diese zu einem Buch binden lassen. Da ich sie recht witzig finde, möchte ich sie gerne mit euch teilen. Es war damals mein Erstlingswerk und wäre sicher ausbaufähiger gewesen, wenn ich keinen Zeitdruck (war ein Geschenk) gehabt hätte.
      Ich selbst arbeite seit 10 Jahren an einer anderen Story....aber das braucht noch Zeit.
      Bisher habe ich ausser den One Piece Mangas und den aufgezwungenen Schullektüren noch nichts an Büchern gelesen. Einzige Ausnahme sind 3 Bücher von Terry Pratchet.
      Dort hat mir der Tod so gut gefallen, dass ich selbst eine Geschichte über den Tod schreiben wollte. Übernommen habe ich dabei die Eigenart, dass er mit Großbuchstaben spricht und natürlich sein Aussehen :).

      Ich hoffe es gefällt euch
      Für jegliche Kritik bin ich zu Haben, da es mir für mein jetziges Projekt sicherlich hilft.




      Selbst der Tod hat ein STECKENPFERD

      Erstausgabe

      10. Februar 2014


      Zu diesem Buch

      Gevatter Tod kann man nachsagen, dass er unbarmherzig und gefühlskarg ist. Es gehört zu seiner Arbeit und seinem Wesen, denn wäre er mit Gefühlen bestückt worden, wäre dies der Anfang der Inkompetenz. Man kann aber nicht mit Sicherheit sagen, dass der Tod sich nicht für Emotionen interessiert, oderden innerlichen Wunsch hat, Gefühle zu erlernen. Der Tod hat ein ständiges Bestreben, Allwissenheit zu besitzen. Doch ohne zu verstehen, wie sich die Liebe anfühlt, wird er die Allwissenheit nie erlangen. Da er kein Herz hat, braucht er einen guten Lehrer, der ihm alles beibringen kann. In einem arbeitsbedingten Streifzug durch die Welt, trifft er auf Victor Rorschach, der seiner Meinung nach die besten Vorraussetzungen hat, ihm die Liebe nahe zu bringen. Schon bald stürzt die geordnete Welt des Tods ins Chaos…


      Autorenzusatz

      Seit 1999 plane ich ein Buch zu schreiben. Es handelt sich dabei um eine eigenständige Geschichte. Selbst der Tod hat ein STECKENPFERD entstand spontan und stellt eine erste Annäherung an das Schreiben einer Geschichte dar.

      Dieses Buch ist ein kleiner Baustein zu meinem großen Projekt

      -Die Hüter von Eden



      Widmung

      Dieses Buch widme ich

      dem Tod,

      in der Hoffnung ,

      dass er mich noch lange verschont!


      Spoiler anzeigen

      Es ist ein alltägliches Geschehen; Menschen erblicken das Licht des
      Lebens und Gevatter Tod holt den einen oder anderen ins Reich der Toten.
      Letzterem kann niemand entgehen, selbst wenn er ein Anhänger einer
      blasshäutigen Rasse namens Vampir angehört. Denn aus Erfahrung hat auch
      jeder dieser Geschöpfe hin und wieder eine Verabredung mit einem spitz
      zugeschnitzten Tötungsinstrument.

      Aber diese Kreaturen existieren eh nur in Romanen und Spielfilmen. Es sollte nur eine Verdeutlichung darstellen, wie unausweichlich der Tod ist.

      Der Sensenmann ist ein Assassine, gegen den kein Riegel hilft.

      Gevatter Tod hat wie schon so oft am Tage tausende sterbende Seelen zu sich geholt. Er ist ein Einmannunternehmen, mit Firmensitz im Fegefeuer und einem Verwaltungsgebiet überall auf der Welt. Würde er an die Börse gehen, wäre eine Aktie bei ihm eine sichere Anlage, denn die Arbeit wird ihm erst ausgehen, wenn die vier apokalyptischen Reiter ins Feld stechen. Aber da der Knöcherne einen guten Kontakt zum Allmächtigen pflegt, ist ihm gewiss, dass noch Äonen ins Land ziehen, bis es so weit ist.

      Der Sensenmann wollte heute kurz vor Mitternacht eigentlich Feierabend machen, oder etwas in der Art, (falls es so etwas in seinem Vertrag überhaupt gibt; andernfalls sollte er der Gewerkschaft für Reisebegleiter schleunigst aufs Dach steigen), doch die Ruhe war ihm auch heute nicht vergönnt.

      Ächzend und keuchend windet sich ein alter Mann in seinem Bette. Tiefe Furchen und viele kleine Falten ziehen sich durch das Gesicht des greisen Mannes, was darauf schließen lässt, dass er ein stolzes Alter erreicht hat und das Leben nicht spurlos an ihm vorbeigelaufen ist.

      Wenn Menschen im hohen Alter das Zeitliche segnen, ist das nichts Ungewöhnliches, aber in diesem Fall etwas

      Besonderes - und das nicht nur weil es sich bei dem Sterbenden um den Protagonisten dieser Geschichte handelt.

      Bei dem Sterbenden handelt es sich um Victor Rorschach, einem neunzig jährigen Mann, der schon viele harte Kämpfe ausgefochten hatte. Seit ein paar Stunden hing er nun schon sichtlich angeschlagen in den Seilen. Alles deutete darauf hin, dass er schon bald seinen letzten großen Kampf verlieren wird.

      Victor hat in diesen Augenblicken keine Angst, wohl wissend was bald passieren wird. Seine Blicke schweifen ein letztes Mal durch sein Schlafzimmer, in dem er sich befindet. Der Raum wird nur von einer Nachttischlampe geflutet. Die Wände sind von Uhren übersäht, keine gleicht der anderen, viele davon scheinen auf den ersten Blick älter als ihr Besitzer zu sein. Das Zimmer wird von leisem Ticken durchzogen, das jedoch nur hörbar ist, wenn Victor Pausen zwischen dem Ächzen und Keuchen macht. Victor war Uhrmacher, der seine Arbeit stets liebte und es sich zur Aufgabe machte, antike Chronometer zu sammeln.

      Rorschachs Blick verharrte plötzlich in der schlecht beleuchteten Ecke seines Schlafgemachs. Aus dem Schatten heraus konnte er die Silhouette eines Mannes erkennen, dessen Anwesenheit er scheinbar gelassen hinnahm, obwohl er ihn nicht zu sich eingeladen hatte.

      Victor wusste sofort um wen es sich handeln musste, denn der ungebetene Besucher benutzte weder Türe noch Fenster um den Raum zu betreten; er kam aus dem selben Schatten, der ihn noch immer umgab. Der Uhrmacher erhob seine zittrige Stimme. »Hallo, ich habe schon eine ganze Weile auf Ihr Eintreffen gewartet! «

      Die Schattengestalt trat aus der Dunkelheit an das Bett von Rorschach. Victor hatte richtig gelegen, denn vor ihm stand nun ein gut zwei Meter hohes Skelett aus blankpolierten Knochen. Dunkle, tiefe Augenhöhlen starrten ihn an.

      Manch einer meinte schon, die Unendlichkeit des Weltalls in seinen Augen erkannt zu haben. Er trug eine Kutte aus absoluter Dunkelheit und in seinen Händen hielt er eine lange Sense, die eine so hauchdünne Klinge besaß, dass man durch sie durchsehen konnte.

      Ein spezieller, nicht unbedingt unangenehmer Geruch ging von ihm aus und erinnerte an alte, vergessene Zimmer.

      Es war Gevatter Tod; der Besieger von Königreichen, Verschlinger von Ozeanen, Dieb der Jahre, Ernter der Menschheit, der einzige Freund und bester Arzt der tödlich Verletzten.

      Der Knöcherne begann zu antworten. (An dieser Stelle muss gesagt werden, dass man die Stimme des Tods nicht wirklich hört, vielmehr fühlt man sie. Das Auffälligste an seiner Stimme ist jedoch, dass er in GROßBUCHSTABEN redet.

      (Eigenart des Todes, Terry Pratchet, Gevatter Tod)

      »HALLO VICTOR, ICH BRAUCHE MICH WOHL NICHT MEHR VORZUSTELLEN, ES SCHEINT SO, ALS OB MEIN EINTREFFEN NICHT UNERWARTET KAM! «

      Der Tod war sich sicher, dass Victor ihn angesprochen hatte, denn sonst war niemand in dem Zimmer. Auch ein Halluzinieren schloss er aus, da es üblich ist, dass er ab und zu gesehen wird. Eigentlich ist der Tod für alle unsichtbar. Wenn er den Lebenden begegnen will, nimmt er hin und wieder irgend eine Gestalt an, um niemanden zu ängstigen. Nicht das bei seinem Anblick jemand zu Tode erschrickt und eine außerplanmäßige Reise zum Herrgott antritt. Solch einen Fehler könnte selbst der Seelenschnitter nicht verantworten. Gesehen wird der Tod in seiner reinen Gestalt nur von Katzen, Sterbenden oder Toten.

      »Unerwartet nicht! « antwortete Victor.

      »Ich bin neunzig Jahre alt und somit Älter als ich je werden wollte.

      Sie haben mich lange warten lassen! «

      »DAS „SIE“ LASSEN WIR MAL! « entfuhr es dem Tod.

      »SO VIEL HÖFLICHKEIT MUSS NICHT SEIN. ICH FÜHLE MICH SONST ÄLTER ALS ICH BIN!« sagte der Sensenmann mit einem breiten Grinsen. Denn genau genommen gibt es nicht viele Dinge die älter sind als der Tod. Er ist fast das älteste Geschöpf im Universum. Vorher musste natürlich etwas sterben.

      Der Seelenschnitter holte eine Sanduhr aus seiner Kutte, die schon fast ganz abgelaufen war. Nur noch wenig Körner versammelten sich in der oberen Hälfte. Manch ein Strandbesucher hat bei der Abreise mehr Sand in den Ohren.

      »WIE DU SEHEN KANNST IST ES GLEICH SO WEIT.«

      Der Tod hielt die Uhr empor. Victor, der für sein Alter noch erstaunlich gut sehen konnte erkannte ein Emblem mit seinem Namen auf dem hölzernen Boden der Uhr.

      »Ach«, entwich es ihm. „Mein ganzes Leben lang habe ich Uhren gesammelt und repariert. Ich habe 120 Zeitmesser hier in meinem Haus. Sie alle gehen auf die Minute genau, ich denke bei deiner wird das nicht anders sein«, schmunzelte Victor.

      »Es ist schon erstaunlich wie sehr Uhren mein Leben bestimmten…und jetzt sogar beenden«.

      Der Tod wirkte kurz abwesend. Scheinbar war er von der Vielzahl der Uhren abgelenkt worden. Jede freie Stelle an den Wänden zierte ein Chronometer. Das kannte Gevatter Tod nur von seinem Wohnsitz. Denn in diesem befinden sich alle Sanduhren der Menschheit. Selbst die Sanduhr der Erde besitzt der Tod. Es ist die Größte in seiner Sammlung. Man müsste meinen, der Tod hätte ein riesiges Anwesen, aber da wo es steht sind die Gesetze von Zeit und Raum ein wenig anders.

      »JA, GENAUER ALS DIESE UHR GEHT SELBST DIE ATOMUHR NICHT! MACH DICH BEREIT DU WIRST GLEICH INS REICH DER TOTEN ÜBERGEHEN. EGAL WIE VIEL DU AUCH BITTEST UND BETTELST, HEUTE IST ES SO WEIT! « sagte der Tod mit ernster Stimme.

      »Keine Angst Freund Hein, ich habe lange auf diesen Tag gewartet. Ich bin bereit die letzte Reise anzutreten«, sprach Victor.

      »OH, DAS IST EIN RECHT SELTENES VERGNÜGEN FÜR MICH!« meinte der Seelenschnitter erstaunt. Würde jemand den Tod auf seiner Arbeit begleiten, so würde er bei 99 Prozent der Sterbenden miterleben, auf wie viel Widerstand der Todesengel trifft. DA wird gebittet und gebettelt, versucht zu verhandeln und zu feilschen. Manch einer will den Tod sogar übers Ohr hauen oder beginnt zu türmen. Aber niemand entkommt dem Tod. Nicht einmal Rekordsprinter Usain Bolt würde ihm davonrennen. Von einem Klienten bekam er sogar Geld geboten. Als ob der Tod etwas damit anfangen könnte. In den meisten Fällen geht der Tod einfach seinem Handwerk nach. Schnell und sauber ist seine Arbeit. Und er führt sie bisweilen

      zu 99,9999 Prozent ordnungsgemäß aus. Da der Tod in der Vergangenheit eine Schwäche für Spiele zeigte, ruinierte er seine 100 Prozent. Noch heute ärgert er sich darüber, obwohl es tausende von Jahren her war. Damals sollte er einen Mann namens Methusalemins Jenseits geleiten. Methusalem erfand zu seinen Lebzeiten das Hütchen Spiel, von welchem der Tod schnell fasziniert war. Der Sensemann lies sich das erste und letzte Mal auf einen Handel ein, da er an diesem Tag das Betteln nicht hören konnte. Scheinbar hatte er schlecht geschlafen. Das muss man aber mehr als Redewendung verstehen, da der Tod nie schläft, wozu denn auch. Zum einen bringt ihm kein Schönheitsschlaf etwas und zum anderen hat er gar keine Augenlider die er schließen könnte. Gevatter Tod ließ sich auch nur auf diesen Kuhhandel ein, da er wusste, dass er auch gewinnen wird. Schließlich hat er die besten Augen. Ja auch hier gilt das selbe wie oben angeführt. Der Tod hat keine Augen, aber seine Sehstärke liegt weit über allen Dingen.

      Doch wie es einmal kommen musste, der Tod zeigte damals auf ein Hütchen und es war scheinbar das Falsche. Was die Konsequenz daraus war wissen wir alle. Methusalem wurde mit 969 Jahren der älteste Mensch der je gelebt hatte. Der Tod hat leider 900 Jahre gebraucht bis er verstanden hat, dass er betrogen wurde. Somit war der Vertrag von Nichten und der Tod konnte seine Arbeit nachholen.

      »Sag mal Tod, wie ist das da drüben auf der anderen Seite? Gibt es so etwas wie einen Himmel? Und warten am anderen Ende des Lichts geliebte verstorbene Menschen? «

      »NUN, JA«

      »NATÜRLICH GIBT ES SO ETWAS WIE EINEN HIMMEL. DIE HÖLLE IST JEDOCH NUR EIN GEBILDE DER PHANTASIE DER MENSCHHEIT! «

      »EGAL WIE SCHLECHT EIN MENSCH ZU LEBZEITEN AUCH WAR; ER KOMMT ERSTMAL IN DEN HIMMEL. DORT WIRD DANN ENTSCHIEDEN, WIE ES MIT IHM WEITER GEHT. «

      »Dann,….dann gibt es ein Leben nach dem Tod?« Victor saß plötzlich mit weit aufgerissenen Augen im Bett.

      »JA, ES GIBT EIN LEBEN NACH MIR «,seufzte der Tod.

      Denn dies bedeutete zugleich, dass er durch diesen Prozess mehr Arbeit hatte.

      »ICH BIN ZWAR DIE LETZTE STATION DIESER REALITÄT, ABER NICHT DAS ENDGÜLTIGE ENDE VOR DEM NICHTS! «

      »NUN KOMM, ERHEBE DICH AUS DEM BETT, TRAGEN WERDE ICH DICH NICHT HINÜBER! «

      Victor, der die letzten Tage kraftlos im Bett verbracht hatte, aktivierte seine letzten Kraftreserven um sich aus dem Bett zu hieven.

      »Es tut mir Leid das ich deine kostbare Zeit beanspruche.

      Ich bitte dich darum, mir meine Frage zu beantworten!

      Warten geliebte Menschen am anderen Ende?

      Bitte! Ich möchte nicht mit Furcht ins Ungewisse stapfen.«

      »SO, ES SCHEINT ALS WÜRDEST DU JEMANDEN ERWARTEN«, meinte der Sensenmann.

      »ES IST MÖGLICH, VERSPRECHEN KANN ICH ES ABER NICHT! DIE GUTEN MENSCHEN HABEN IM JENSEITS DIE WAHL, WANN UND WIE SIE WIEDERGEBOREN WERDEN.DIE SCHLECHTEN SEELEN WERDEN ZUERST GEREINIGT UND DANN ALS NIEDERE LEBENSFORMEN ODER TIERE WIEDERGEBOREN. «

      »Seelenreinigung? «

      Tod beugte sich über den deutlich kleineren Victor.

      »STELLE DIR DAS SO VOR: DIE SEELE WIRD VON DEN ERINNERUNGEN BEFREIT UND AUFBEREITET. ABER ERST KURZ BEVOR SIE WIEDER ZUR ERDE FÄHRT.

      JEDER FÄNGT BEI NULL AN!«

      »NUN KOMM IN DIE GÄNGE! ICH HABE NOCH VIEL ZU TUN! MEHR FRAGEN KANN ICH DIR NICHT BEANTWORTEN!«

      Der alte Rorschach zog seinen blauen Pyjama über und ging auf wackeligen Beinen zu einem kleinen Spiegel, derüber einemverkalktem Waschbecken hing.

      Der Tod beäugte das ganze ein wenig ungeduldig.

      Victor zog einen Kamm, dem schon ein paar Zacken fehlten, aus der Pyjamatasche. Er fuhr sich damit immer wieder durch sein ergrautes, lichtes Haar.

      »Vielleicht sehe ich meine Mina gleich wieder! Da muss ich doch adrett aussehen!« meinte Victor.

      »Ich habe sie sechzig Jahre nicht mehr gesehen! Ich hoffe Sie hat solange auf mich gewartet, wie ich auf sie gewartet habe.«

      »HMM….

      NUNJA, DIE CHANCEN SIND GEGEBEN. DU MUSST HALT HOFFEN, DASS SIE NICHT WIEDERGEBOREN WURDE. UM WEN HANDELT ES SICH DENN, WENN ICH FRAGEN DARF? ICH KENNE DEINE LEBENSAKTE GENAU! DU WARST NIE VERHEIRATET.« merkte der Tod mit einem fragenden Blick an.

      Victor deutete auf sein mit Medizin überfülltes Nachtkästchen.

      Unter ein paar Verpackungen Schmerzmittel zog der Tod ein recht vergriffenes schwarz-weiß Foto hervor. Auf diesem Foto erkannte Gevatter Todneben einer wunderschönen jungen Frau den jungen Victor Rorschach.

      »EINE JUGENDLIEBE?« fragte Tod.

      »Nicht nur eine Jugendliebe…..die Liebe meines Lebens, die du mir genommen hast.« Victor warf dem Tod einen ernsten Blick zu.

      »OH, ÄH, NUN….«

      »Schon gut. Du kannst ja nichts dafür! Hast ja auch deine Anweisungen. Wenn ich jemandem böse sein müsste, dann dem Herrgott persönlich. Sie war gerade mal dreißig Jahre alt, als sie gehen musste.«

      Traurige Minen durchzogen das Gesicht des alten Mannes.

      »DU SCHEINST SIE NACH SECHZIG JAHREN NOCH GENAUSO ZU VERMISSEN WIE AM ERSTEN TAG«, stellte der Tod fest.

      »Ja, ich liebe sie noch immer wie am ersten Tage. So sehr das ich ihr mein ganzes Leben lang treu geblieben bin.«

      Victor liebte seine Mina so sehr, dass er nach ihrem Tod ein recht einsames Leben führte. Er hatte ihr einmal ewige Treue geschworen. Diesen Schwur wollte er aufrechterhalten, da er sich sicher war, niemals mehr so viele Gefühle für jemanden aufbringen zu können.

      Über die Jahre zog er sich mehr und mehr aus dem Leben zurück. Die Welt um ihn herum war in Eile geraten. Zu viel veränderte sich….nur seine Liebe nicht. Für ihn war diese Liebe die erste und reinste die es gab.

      Treue. Liebe….so etwas kennt der Tod nur vom Hören Sagen. Aber so richtig anfangen kann er mit den Begriffen nichts. Der Tod ist allwissend. Schließlich beobachtet er das Geschehen auf der Erde schon seit Jahrmillionen. Aber auch er hat ein paar kleine Grauzonenam Rande der Allwissenheit. Gefühle kennt er nicht, damit wurde er nicht ausgestattet.

      Gefühle beim Tod….das wäre der Anfang der Inkompetenz.

      Er weiß nur, dass es diese Gefühle gibt; versteht diese aber in keinster Weise. Treue kennt der Seelendieb nur von Hunden, die ein Leben lang bei ihrem Herren bleiben, sieht dies aber eher als tierische Charakterschwäche. Die Treue und das Vertrauen einer Katze hingegen muss man sich erst verdienen. Dies ist zumindest die Meinung des Tods. Es mag aber auch sein, dass der Tod Hunde einfach nur nicht ausstehen kann. Ihre von Natur aus gegebene Leidenschaft für Knochen lässt sie zum natürlichen Feind des Todes werden, da selbiger nur aus diesen besteht. Er kann von Glück sprechen, dass nur Katzen ihn sehen können.

      Wenigstens wurde Gevatter Tod mit einer großen Portion Humor ausgestattet, damit sein gefühlloses Gesicht wenigstens ab und zu in der Lage ist, ein Grinsen zu erschaffen.

      »WAS BRINGT EUCH TREUE UND LIEBE? WAS IST DARAN SO BESONDERS? « fragte der Tod.

      »Das ist nicht auf die Schnelle zu beantworten«, sagte Victor kopfschüttelnd.

      »Dir das beizubringen würde etwas Zeit kosten. Zeit, die wir nicht haben! «

      Dem Tod Gefühle zu erklären, beansprucht zu viel Zeit und ist von der Schwierigkeit damit zu vergleichen, als würde man einem Elefanten das Jonglieren beibringen. Schon oft hat der Tod versucht von Menschen zu lernen. Doch nach seiner Meinung waren diese nicht fähig ihm das Ganze plausibel zu erklären.

      »Du hättest mich etwas eher besuchen sollen, als meine Uhr noch ein paar Körner mehr in der oberen Hälfte hatte! Dann hätte ich dir die Welt der Gefühle bei einer guten Partie Schach näher gebracht! « witzelte Victor.

      »Nun, ich bin bereit! Treten wir es an! «

      »SCHACH«….stieß es dem Tod raus.

      »ACH WIE LANGE IST DAS HER…« , dachte sich der Kuttenträger und schwelgte in Erinnerungen.

      Er schaute auf Rorschachs Sanduhr. Die Körner in der oberen Hälfte waren aufgerundet so um die zwanzig. Dies bedeutete, dass Victor nur noch eine Hand voll Sekunden blieben.

      »JA ES HAPERT HIER AN DER ZEIT! « stellte Gevatter Tod fest.

      Er umgriff Victors Arm. Die Zimmerdecke öffnete sich. Noch nie hatte Victor von seinem Schlafzimmer aus so viele Sterne sehen können, wie in dieser klaren Nacht. Normalerweise galten bisher die Gesetze der Physik, was bedeutete, dass man nicht schnell mir nichts dir nichts die Decke inklusive Dach verschwinden lassen kann. Auch das Gesetz der Schwerkraft war plötzlich nicht mehr von Belangen. Die beiden schwebten in einer irren Geschwindigkeit immer weiter nach oben. Victor sah seinen Heimatort in einer Perspektive, die ihm bisher noch nie dargeboten wurde. Er konnte alles sehen, trotz der Dunkelheit der Nacht, da noch immer viele Lichter brannten.

      Die wichtigsten Stationen in seinem Leben waren alle im Blickfeld. Er sah auf die kleine Dorfkirche hinunter, auf dessen Friedhof seine geliebte Mina begraben wurde und riskierte einen kurzen Blick auf seine alte Uhrmacherwerkstatt im Zentrum. Er konnte auch die Schule sehen, die er in vergangenen Zeiten besuchte und die es damals möglich machte, dass er Mina kennen lernen konnte.

      Doch sehr schnell wurden die Lichter des Örtchens so klein, dass sie in der Finsternis der Nacht verschwanden.

      »Was für ein erstaunlicher Ausblick« ,sagte Victor bewundernd.

      »Was lässt uns fliegen? «

      »ÜBERZEUGUNGSKRAFT« , antwortete Tod.

      Victor hatte zu keiner Sekunde so etwas wie Angst verspürt. Die größten Sorgen, die sich zu diesem Zeitpunkt durch seine Gedanken zogen, waren zum einen, dass er jetzt einen seiner Pantoffel verlieren könnte und somit Barfuss ins Jenseits stapfen müsste und zum anderen, dass es vollkommen sinnlos war, dass er seine Haare gekämmt hatte. Je höher sie empor stiegen, desto stärkere Winde vernichteten jeden Ansatz einer ordentlichen Frisur.

      Es wurde kälter und kälter.

      »Ich hoffe wir sind bald da! Nicht das ich mir noch eine Erkältung einfange!« sagte Victor lachend.

      »WIR HABEN ES GLEICH GESCHAFFT! SCHLIEßE DEINE AUGEN UND MACHE DIR WARME GEDANKEN. DAS KLAPPT!

      SIEHST DU, ICH MACHE DAS AUCH UND HABE NOCH NICHT EINMAL EINE GÄNSEHAUT!« konterte Tod mit einem breiten Grinsen.

      Der alte Mann schloss seine Augen. Er dachte an seine Mina und wie schön doch die Zeit mit ihr war. Der erste Kuss, ihr schönes Lächeln…..es gab unzählige solcher schönen Momente, die sich Victor über die Zeit bewahrt hatte. Minas Lächeln; dies sollte die letzte irdische Erinnerung eines alten Mannes sein, der diese Welt nun für immer verlassen sollte .Selbst wenn die Altersdemenz hier und da ihre Existenz zeigte, diese Erinnerungen waren unauslöschbar.

      Ohne es zu merken schlief er ein. Der Tod setzte seine Reise fort. Wenn nun auch als Alleinunterhalter.

      Als Victor wieder zu sich kam, lag er auf einem schwarzen Marmorboden der eine riesige Halle säumte. Er rappelte sich auf und ließ seine Augen durch den riesigen Raum gleiten.

      »Wo zur Hölle bin ich hier?« murmelte Victor leise vor sich hin.

      Er befand sich direkt vor zwei riesigen, massiven Holztoren, die wohl schon einige hundert Jahre auf dem Buckel hatten. Ein gusseiserner Riegel verschloss diese Tore. Es schien sich um den Eingang in diese Halle zu handeln. Da es nirgends in dieser Halle ein Fenster gab und auch die Tore nicht zu öffnen waren, tapste Victor langsam durch die Halle. Es war ein merkwürdiger Ort, an dem er nun war, was nicht nur daran lag, dass hier alles farblos erschien. Nur das Feuer der Fackeln, die den Saal durchleuchteten hatten einen gewohnt warmen Rot-Ton. Das einzig Farbenprächtige an diesem Ort, war Victors blauer Pyjama. Inmitten dieser Halle stand eine riesige Sanduhr, eingefasst von vier enormen Säulen die zur Decke empor ragten. Die Sanduhr selbst reichte auch bis unter die Decke. Nach erster Einschätzung musste sie um die fünfzig Meter hoch sein.Victor wirkte neben der Uhr wie eine zu klein geratene Ameise.

      Der Sand in der unteren Hälfte des Glases war recht überschaubar. In der oberen Hälfte befanden sich fast noch die gesamten Sandvorräte. Das sehr langsame Rieseln des Sandes durch die Engstelle der Gläser war kaum hörbar. Victor war sich sicher, dass es sich hierbei um die Uhr der Erde handeln müsste. Sein Verdacht bestätigte sich, als er auf dem Sockel, auf dem der Zeitmesser stand, das Wort „Erde“ entdeckte.

      Er passierte die riesige Sanduhr und entdeckte dahinter eine lange Treppe aus weißem Stein, die nach oben führte.Noch immer hatte er keine Ahnung, wo er sich denn gerade befand. Er war sich aber sicher, dass es sich um das Jenseits handeln musste. Schließlich war seine Uhr schon lange abgelaufen. Er hatte sich die andere Seite jedoch etwas anders vorgestellt; heller und mehr in Richtung Wolken. Auch gab es hier keinen Himmelspförtner, wie er es aus dem Religionsunterricht gelernt hatte.

      »Hallo! …Hallo….Hallo…Hallo

      Ist da Jemand? ....Jemand… Jemand…. Jemand«, hallte es durch die Halle als Victor zu schreien begann.

      Er machte sich langsam auf den Weg nach oben, Stufe für Stufe. Hin und wieder legte er dabei eine kleine Pause ein, schließlich war er schon neunzig und nicht mehr in seiner besten Verfassung. Als er das obere Ende der Treppe erreichte und nur eine verschlossene Türe vorgefunden hatte, rief er erneut.

      »Hallo! …..Hallo….Hallo…..Hallo

      Kann mich irgend Jemand hören? .. hören……hören…..hören«.

      »Höre endlich auf zu schreien! Du bist hier nicht allein!«

      raunte es ihm durch die Türe entgegen.

      »Wer? Ich?« fragte Victor.

      »Natürlich, du Blödmann! Oder schreit hier sonst noch Jemand?«

      Äh…, nein! Entschuldigen Sie!«

      Die Türe öffnete sich und eine Frau trat aus ihr heraus. Sie hatte langes, glattes braunes Haar, das an vielen Stellen von ergrauten Strähnen durchzogen war. An ihrem Leibe trug sie eine weiße Schürze über einem schlichten, smaragdgrünen Kleid . In ihren Händen hielt sie eine Schüssel, in der sie hastig mit einem Schneebesen rührte.

      Victor war argwöhnischen Blicken von ihr ausgesetzt.

      »Was willst du hier?«

      »Ich weiß nicht! Wo bin ich denn?«

      »Du bist hier im Anwesen von Tod!« sagte die Frau mit genervter Stimme.

      »Wie ich es hasse wenn die Toten hierher kommen! Schau, dass du dahin zurück gehst, wo du hergekommen bist! «

      Sie ging zurück in den Raum, aus dem sie gekommen war und war gerade dabei die Türe mit einem unfreundlichen Schnalzen zu schließen. Victor, der ihr hinterher eilen wollte bekam dabei einen heftigen Stoß auf seinen Kopf.

      »Aua!« ächzte Victor.

      Im selben Moment öffnete sich die Türe wieder.

      »Sagtest du Aua?« fragte die Frau verwundert.

      »Ja! Warum? Sollte ich Danke sagen?«

      Sie sah, dass der ungebetene Gast eine kleine Schramme am Kopfbekommen hatte, die ein wenig blutete.

      »Das ist ungewöhnlich. Es scheint so, als wärst du kein Toter.

      Wie bist du hier her gekommen? Ich bin es zwar gewohnt, dass sich ab und an Seelen Verstorbener her verirren, aber lebendig ist hier noch niemand aufgekreuzt! Zumindest nicht nach mir!«

      »Das letzte an das ich mich erinnern kann, ist das Tod mich abholte, da meine Uhr am Ablaufen war« , antwortete Victor.

      »Ich bin noch nicht tot?«

      »Spürst du das hier?« die nun sichtlich freundlichere Frau kniff ihm in den Oberarm.

      »Ja, warum ? Ist das ungewöhnlich?«

      »Sehr sogar! Komm mit, ich behandele deine Wunde« ,

      sagte sie.

      Victor folgte ihr durch die Türe.

      »Ich bin übrigens Elvira, wie heißt du, wenn ich fragen darf?«

      »Victor,….Victor Rorschach« , antwortete er.

      Sie gingen durch einen kleinen Flur, von dem aus drei weitere Türen in verschiedene Räume führten. Eine Türe befand sich am anderen Ende des Flures, eine andere links davon und die letzte rechts davon. Elvira öffnete die linke Türe.

      »Komm herein.«

      Victor betrat das Zimmer.

      »Das hier ist die Küche und das Esszimmer, bitte….nimm Platz.

      Sie nahm einen hölzernen Stuhl und legte ein kleines Kissen darauf.

      Victor setzte sich. Noch immer konnte er nicht ganz begreifen was um ihn herum geschah, denn eigentlich müsste er schon längst tot sein.

      In der alten Küche roch es nach frischem Kuchen. Victor liebte diesen Geruch sehr, da es ihn an seine Kindheit erinnerte, wenn seine Mutter backte. Er selbst hatte in den neunzig Jahren nie einen Ofen zum Backen benutzt. Er sah so etwas als Frauensache an.

      In Elviras Küche hangen viele Kräuter, Knoblauch und geräucherte Wurst. Die Küche selbst machte den Eindruck, als entstamme sie dem finsteren Mittelalter.Hier gab es keine Elektrogeräte. Nur ein alter Herd und alte Schränke. Daneben befanden sich ein kleiner Brunnen und ein steinernes Becken.

      Elvira tupfte die leicht blutende Wunde des alten Mannes trocken und klebte ein Pflaster darüber.

      »Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich mich freue, jemand zu empfangen, der noch lebt!« sagte Elvira voller Freude.

      »Normalerweise verirren sich nur Seelen von Toten hierher. Aber mit denen kann man sich nicht unterhalten. Es heißt immer nur: Damals als ich noch lebte…., dass kann ich nicht mehr hören!

      Ich weiß nicht warum mein Herr dich hierher gebracht hat und warum er mir nichts gesagt hat. Wahrscheinlich war er mal wieder in Eile. «

      »Wir sind hier beim Tod? Und mit deinem Herren, meinst du ihn, oder? « fragte Victor.

      »Das sagte ich doch schon! Du scheinst recht begriffsstutzig zu sein. «

      »Tut mir Leid, ich bin etwas verwirrt. «

      »Schon gut, ich verstehe selbst nicht, was hier gerade läuft« , antwortete sie.

      »Das werden wir wohl erst erfahren wenn der Herr wieder kommt.

      Möchtest du frischen Marmorkuchen? Er ist noch warm. «

      »Gerne…« , sagte er nachdenklich.

      Sie schnitt ihm ein großes Stück Kuchen ab und stellte es an dem Tisch vor ihm ab.

      »Wo befindet sich das Anwesen des Tods? Warum gibt es hier keine Fenster?« fragte er, während er in seinem Kuchen herumstocherte.

      »Wir sind irgendwo im Nichts, deshalb auch keine Fenster. Der Tod meinte es lohnt sich nicht Nichts zu sehen. «

      Victor schob sich ein großes Stück Kuchen in den Mund. Spätestens jetzt hätte er selbst gemerkt, dass er noch lebte, da er so etwas wie Hunger empfinden konnte.

      »Waf mafst du hier? « schmatze Victor.

      »Ich bin die Haushälterin des Tods«

      Der alte Mann schluckte den trockenen Kuchen hinunter.

      »Hätte nicht gedacht, dass der Tod so etwas braucht. «

      »Meinst du der Tod rührt so etwas wie einen Besen an?

      Die Sense ist das einzige Werkzeug, das er bedienen kann.

      Du hättest diese Gemäuer mal sehen müssen. Bevor ich hier her kam. Da lag Staub, der älter war als die Erde, « sagte sie mit einem Schmunzeln.

      Elvira erzählte Victor ihre Geschichte. Das erste Mal seit langem mit einem breiten Lächeln, da sie es eigentlich gewohnt war, dass sie nur Geschichten der anderen hörte. Tote Besucher waren zwar auch sehr selten, aber diese erzählen dann immer nur von sich.

      Seit ihrem sechsten Lebensjahr lebte Elvira beim Tod. Der Tod hatte damals ihre Eltern nach einem Verkehrsunfall geholt. Sie selbst überstand das Ganze unbeschadet. Dennoch konnte sie den Tod sehen. Der Tod war sehr überrascht, da dies vielleicht einmal in tausend Jahren passiert. Das kleine Mädchen hatte keine Angst vor ihm und fragte, ob sie mit den Eltern gehen könnte. Da ihre Lebensuhr aber noch lange arbeiten sollte, konnte er ihr diesen Wunsch nicht erfüllen. Elvira schrie ihn an, er solle sie dann wenigstens nicht alleine lassen, da sie niemanden mehr hatte. Sie versprach immer artig zu sein und fleißig jegliche Arbeiten zu erledigen, die anfallen würden.

      Die Wege des Herren sind unergründlich und die des Todes noch viel unergründlicher. Er entschloss sich dazu, das kleine Mädchen mitzunehmen. Man könnte sagen, er hat sich damals ein Herz genommen, aber der Tod besitzt so etwas gar nicht, woraus man schließen kann, dass es eine Entscheidung aus einer Laune heraus war. Eigens fürsie erschuf er einen eigenen Gebäudetraktmit Küche, Bad und Schlafzimmer. Seit sechsundvierzig Jahren lebt sie nun schon beim Sensenmann.

      Das Kochen und Backen, dass macht sie nur für sich. Gelegentlich gesellt sich Tod zu ihr, jedoch nur wenn ihm nach einer guten Unterhaltung ist, oder wenn er nach einem anstrengenden Tag eine Fußmassage benötigt.

      Zu ihren täglichen Aufgaben gehört es die Räumlichkeiten von Staub und Spinnenweben zu befreien. Die garstigen Tiere muss er irgendwann einmal mit seiner Kutte hergebracht haben.

      Außerdem richtet sie dem Tod jeden Tag aufs Neue die Sanduhren seiner unfreiwilligen Klienten her.

      Nachdem Victor seinen Kuchen gegessen hatte und Elvira ihre Geschichte beendete, begann sie mit einer kleinen Führung durch die Räumlichkeiten. Schließlich musste man ja irgendwie die Zeit totschlagen bis der Herr wieder kommt.

      Zuerst zeigte sie Victor das Zimmer, das sich gegenüber befand. Es war das Schlafgemach von Elvira. In ihm befanden sich ein antikes Himmelbett, ein Kleiderschrank und ein Schreibtisch. An den Wänden hingen weiße Tapeten mit rosa Blumen. Farblich passte hier gar nichts zusammen aber wenigstens gab es hier so etwas wie Farbe. Auf die Frage, woher sie Dinge zum Kochenund ihre Kleidung herbekomme, zuckte sie nur mit den Schultern und meinte, dass diese Dinge einfach da sind. Es handelt sich um eine art Magie. Das Zimmer hat der Tod selbst so erschaffen. Daran sieht man, dass er so etwas wie einen guten Geschmack nicht besitzt. Aber Elvira war und ist ihm so dankbar, dass sie gar nicht darüber nachdenkt, ob es schön ist oder nicht. Victor dachte sich nur, dass dieses Zimmer so aussieht als hätte es ein Innenarchitekt eingerichtet, der in einer ernsten Kreativitätskrise steckte.

      Von dem Schlafzimmer führte noch eine Türe in ein kleines Badezimmer. Neben einer freistehenden Badewanne gab es hier ein Waschbecken, eine Toilette und einen kleinen Ofen für warmes Wasser. Im Gegensatz zur Küche wirkte dieser Raum überraschend modern.

      Die Türe zwischen Küche und Schlafzimmer führte in eine weitere Halle. Diese war jedoch um einiges kleiner als die erste.

      Sie war auch um einiges heller, da ein riesiger mit Öl gefüllter Kronleuchter den Raum mit Licht flutete. Auch hier gab es nur drei Verbindungen in drei weitere Räume. Links führte eine Wendeltreppe hinunter in die Lagerstädte der Uhren der Menschheit,in der Mitte befand sich eine Treppe hinauf in Tods privates Wohnzimmer und rechts führten wieder Stufen in einen Raum hinunter, in dem die Bücher der Lebenden und Toten gelagert werden.

      Victor durfte diese drei Räume nicht sehen. Der Tod hatte es verboten, dass jemand diese Räume betritt. Elvira selbst war bisher nur in dem Raum mit den Uhren, da sie diese für Gevatter Tod herrichten muss. In dem Zimmer mit den Büchern war sie noch nie. Zu viel Angst hätte sie vor dem Ärger, den sie sich dadurch einhandeln könnte. Zur Wohnstube des Tods hat sie zwar Zutritt, da sich in ihm eine große Sammlung von Büchern befindet, dies gilt aber nur wenn der Tod nicht anwesend ist. Wenn er sich in dem Zimmer aufhält will er seine Ruhe haben.Elvira hat ohnehin keine Zeit zum Lesen. Sie hat alle Hände voll zu tun.

      »Gefällt es dir hier?« fragte Victor.

      »Schon, sonst wäre ich nicht hier. «

      »Hast du denn eine Wahl? «

      »Die hat man immer! Wenn ich möchte, nimmt mich Tod mit auf die Erde. Ich fühle mich hier aber sehr wohl. Deshalb komme ich am Ende eines solchen Tages auch immer wieder mit zurück. «

      »Bist du hier nicht einsam?« wollte Victor von ihr wissen.

      »Nein! Auch wenn sich das viele nicht vorstellen können, so etwas wie Gesellschaft und Gefühle sind für mich nicht von großer Bedeutung. Wenn ich unter Leute möchte, dann kann ich das auch. Aber Liebe… damit kann ich nichts anfangen. Wer so lange mit einem gefühlskargen Wesen lebt, wie ich, der stumpft selbst mit der Zeit etwas ab«, meinte sie mit ernster Mine.

      »Wann kommt er denn wieder?«

      »Das weiß man nie genau! Er ist oft Stunden unterwegs.«

      »Ich würde zu gerne wissen warum ich hier bin.«

      Elvira runzelte die Stirn.

      »Nun, eins steht fest: Irgendwann muss er wieder kommen. Wenn du nicht mehr warten möchtest, besteht jedoch noch eine andere Möglichkeit!«

      »Und worin besteht diese Möglichkeit?«

      Victor blickte erwartungsvoll auf.

      »Du hast eine Möglichkeit ihn zu zwingen, dass er kommt. Dazu musst du nur von der Brüstung in die große Halle springen! Schließlich lebst du noch.«

      Elvira entkam ein kurzes Lachen, welches den makaberen Vorschlagnoch passend beendete.

      »Sehr witzig!« Victor rollte demonstrativ mit den Augen.

      »Ich dachte der Todeszeitpunkt ist vorbestimmt!«

      »Äh, ja das ist er eigentlich.«

      »Eigentlich?«

      »Verstehe das so: Jeder Mensch hat eine Sanduhr mit Lebenszeit. Wenn diese abgelaufen ist, kommt Tod um die Seele einzufangen. Es ist die vorbestimmte Zeit, die verstreicht. Aber wenn sich jemand entschließt, seinem Leben ein Ende zu bereiten, dann bringt es alles ein wenig durcheinander. Denn bei vielen Selbstmördern wäre eigentlich noch genügend Sand in der oberen Hälfte!«

      »Und wie löst Tod das?« fragte Victor interessiert.

      Nun, wenn dies geschieht fühlt er dies, eilt fluchend hierher zurück und holt die Uhr des Betroffenen. Er hat ja sonnst nur die Uhren des Tagesplanes dabei.«

      »Was darf ich denn darunter verstehen?«

      »Wie, unter was?«

      »Das mit dem Tagesplan und den Uhren!« entgegnete ihr der alte Mann.

      » Es gibt da so ein Buch. Wie alle anderen Bücher hier schreibt es sich täglich selbst weiter. In ihm lese ich jeden Abend die Namen der Sterbenden und richte sie dann für Tod her.«

      Elvira setzte sich auf eine Stufe die zum Wohnzimmer des Tods führte.

      »Das ist täglich die härteste Arbeit, schließlich sind es tausende. Wenigstens hat er eine gute Ordnung, da muss ich nie lange suchen!«

      Victor, setzte sich neben sie. Seine Beine hätten ihn keine weitere Sekunde mehr getragen.

      »Selbstmörder und Ärzte…..diese zwei Dinge kann mein Vater….Äh, ich meinte mein Herr auf den Tod nicht ausstehen. Also nicht das er sich selbst nicht leiden kann….dass ist nur so ne Redewendung,…du weist schon!« Elvira geriet sichtlich in Erklärungsnot. Nicht wegen einer unglücklich formulierten Redewendung, sondern weil es ihr ab und zu passierte, dass sie den Tod Vater nannte. Sie empfand so etwas wie eine väterliche Liebe zum Tod.

      Victor merkte wie unangenehm es der Frau gewesen war, dass er beschloss, dort mit keiner Frage einzuhaken.

      »Warum hasst er auch Ärzte?«

      Weil sie ihm genauso ins Handwerk pfuschen! Schon tausende Male war er im Krankenhaus, um jemanden zu holen. Es passiert dann sehr oft, dass er mit der Seele den Lichttunnel passiert und dann wie ein Depp alleine am anderen Ende rauskommt. Das ist ihm dann immer sehr peinlich, obwohl er nichts dafür kann. Und dann die Erklärungsnot vor den anderen Seelen, die auf den Verstorbenen gewartet haben. Ja! Es gibt Tage, da kommt er richtig niedergeschmettert von der Arbeit zurück. « Elvira wirkte leicht betroffen.

      »Was geschieht dann mit der Uhr?« fragte Rorschach.

      »Tja, wenn ein Mensch erfolgreich wiederbelebt wurde, dann wird die Uhr neu befüllt. Das geht dann ganz automatisch.

      An jedem Tag, an dem ein Arzt auf dem Abholplan steht, verlässt mein Herr das Haus mit einem breiten Grinsen.« erzählte sie stolz.

      Die beiden unterhielten sich so angeregt, über viele verschiedene Dinge, dass sie gar nicht mitbekamen, wie schnell die Zeit dahinratterte. Als Elvira gerade dabei war zu erklären, welche Kuchenfüllung ihre liebste ist, ertönte eine Stimme von oben aus dem geschlossenen Zimmer heraus.

      »DU KANNST IHN JETZT ZU MIR HOCHSCHICKEN!«

      Victor schaute verwundert auf.

      »Oh, er ist endlich gekommen!«

      »Er ist schon eine ganze Weile dort oben!« beichtete ihm Elvira mit leiser Stimme.

      »Woher weißt du das?« Victor richtete sich langsam auf. Das knacken seiner morschen Knochen war deutlich zu hören.

      »Nun ja, ich lebe schon so lange bei ihm, dass ich es fühle wenn er da ist. Er hat dort oben geduldig gewartet.«

      Elvira schaute mit einem dankenden Blick nach oben.

      »Ich gehe dann mal, schließlich ist noch viel zu tun. War schön dich kennengelernt zu haben!« Elvira umarmte ihn kurz aber herzlich.

      »Nun geh schon hoch zu ihm, ich denke nicht das er dich nur mitbrachte,damit ich etwas Abwechslung habe.«

      »Machs gut Elvira, …wir werden uns wahrscheinlich nicht mehr sehen. «

      »Wahrscheinlich…. « seufzte sie.

      Victor verbeugte sich in alter Manier vor der Dame und ging die Treppen hinauf.

      Oben angekommen klopfte er an der Türe, durch dessen Spalten Licht zu erkennen war.

      »KOMM HEREIN, VICTOR.«

      Der alte Mann drückte den Türgriff hinunter und betrat etwas verunsichert das Zimmer.

      Er stand nun in einem Raum, den er sofort als das Prachtvollste einstufte, das er je gesehen hat. Es war eine Bibliothek und Wohnstube zugleich. Der Raum war von der Größe recht überschaubar, aber dadurch nicht weniger eindrucksvoll. Meterhohe Regale voller Bücher befanden sich in ihm. Die Bücherstapel auf den Regalen so hoch, das man die obersten selbst mit einer Leiter nicht mehr erreichen konnte. An der einzigen bücherregalfreien Wand tanzten Flammen in einem großen, steinernen Kamin. Über ihm hing ein bordeauxroter Wandteppich, auf dem drei Kreuzritter zu erkennen waren.

      Vor dem Kamin standen zwei alte, mit rotem Stoff bezogene Sessel. Dazwischen erkannte Victor einen kleinen Tisch, samt Schachbrett. In einem der beiden Sessel saß Tod und starrte mit seinen leeren Augenhöhlen auf Victor.

      »Entschuldige die Frage Tod,….«

      »SETZE DICH ERSTMAL HIN, BEVOR DU IRGENDETWAS FRAGST!« unterbrach ihn Tod mit ruhiger Stimme.

      »SONST LEIDET DIE GEDIEGENE ATHMOSPHÄRE DARUNTER.«

      »Gewiss!« antwortete Victor und nahm auf dem freien Sessel Platz.

      »SITZT DU BEQUEM?«

      »Äh,…ja

      »ICH HABE DIESE BEIDEN PRACHTEXEMPLARE VON HEINRICH VIII. SIE MACHEN SICH HIER RECHT GUT UND ER BRAUCHTE SIE NICHT MEHR NACHDEM ICH IHN HOLTE.«

      »Bemerkenswert, aber Gevatter, ich….«

      »GUT, FANGEN WIR AN! WIR HABEN SCHLIEßLICH NICHT EWIG ZEIT!« fuhr er Victor erneut durchs Wort.

      »Anfangen …., womit?« Victor war sichtlich überfordert.

      Tod hob seine rechte Hand und deutete mit seinem knöchernen Zeigefinger auf das Schachbrett..

      »NUN, HIERFÜR! DAS WAR DOCH DEINE IDEE!«

      »Ja schon. Aber war nicht ganz so erst gemeint! «

      Victor fasste sich mit der Hand an die Stirn. Jetzt war ihm klar geworden, warum er noch lebendig verweilte. Stunden suchte er in Gedanken nach Gründen, aber darauf wäre er nie gekommen.

      KANNST DU DENN ÜBERHAUPT SCHACH SPIELEN? Tod beugte sich aus dem Sessel und klang ein wenig sauer.

      »Ja klar! Ich spiele Schach seit meinem zehnten Lebensjahr.« merkte Victor an.

      »DANN SPRICHT HIER NICHTS GEGEN UNSERE ABMACHUNG.« Tod lehnte sich zufrieden in den Sessel zurück.

      »Welche Abmachung?«

      Schon wieder wusste Victor nicht, worum es eigentlich geht.

      »SCHON WIEDER ALLES VERGESSEN? GUT, VIELLEICHT WAR DIR DAS HEUTE EIN WENIG ZU VIEL. KANN ICH VERSTEHEN.«

      Victor nickte.

      »DER TAGESPLAN SIEHT FOLGENDERMAßEN AUS: WIR SPIELEN SCHACH UND DU LEHRST MIR GEFÜHLE. UNSERE ABMACHUNG GILT SO LANGE, BIS ICH DICH IN EINER PARTIE SCHLAGE.«

      »Und dann?«

      »DANN IST SENSE. IM WAHRSTEN SINNE DES WORTES.« Dem Tod entkam ein düsteres Lachen.

      »Was ist mit meiner Lebenszeit passiert. Ich dachte du darfst nicht eingreifen!«

      »GENAU GENOMMEN HABE ICH NICHTS VERÄNDERT. DEINE UHR RIESELT WEITER…..NUR UM EINIGES LANGSAMER. ICH BIN HIER OBEN DER HERR ÜBER DIE ZEIT. SOLCHE DINGE KANN ICH HIER SELBST ENTSCHEIDEN. AUF DER ERDE DARF ICH ZEIT NUR MANIPULIEREN UM VON A NACH B ZU KOMMEN.«

      Der Todesengel zog unter seiner Kutte Victors Uhr hervor und stellte sie neben das Schachbrett.

      »SIEH GENAU HIN!«

      Victor kniff ein Auge zu und blickte in die obere Hälfte des Zeitmessers. Oben befand sich nur noch ein einzelnes Körnchen. Es war kaum zu erkennen. Um dem Leser hier zu verdeutlichen, wie langsam das Korn nach unten wanderte, muss gesagt werden, dass es etwa so schnell war wie der Kontinentaldrift zur Zeit des Mesozoikums.

      »WENN DU VERLOREN HAST, HEBE ICH DEINEN ZEITBONUS AUF.«

      »Bist du denn gut im Schach?«

      Tod zuckte mit den Schultern, was bei ihm recht sonderbar wirkte.

      »SO GUT WIE JEMAND SEIN KANN, DER ES ZULETZT IM SECHZEHNTEN JAHRHUNDERT SPIELTE!«

      »Gut, dann lasse uns beginnen.«

      »ICH NEHME SCHWARZ! PASST BESSER ZU MIR!

      DU HAST DOCH NICHTS DAGEGEN?«

      »Nein, natürlich nicht! Du solltest trotzdem irgendwann einmal mit einem Farbberater reden.« Victor lachte, begleitet von einem leichten husten.

      »Geht das denn in Ordnung, dass wir spielen? Ich meine so eine Partie kann lange dauern. Es wäre aus verschieden Gründen nicht ratsam, das Spiel zu verlassen um einen Sterbenden zu holen.«

      »DAS HABE ICH BEREITS GEREGELT. AUSSERHALB DIESES RAUMES VERGEHT DIE ZEIT IM MOMENT GENAUSO SCHNELL WIE IN DEINER LEBENSUHR.«

      »Es ist so ein Gerücht im Umlauf, dass der Tod selten eine Spielpartie abschlägt; egal welcher Art. Ist das wahr?« wollte Victor wissen.

      Der Tod seufzte leicht.

      »ICH HATTE VOR VIELEN JAHRHUNDERTEN EINE GEWISSE SCHWÄCHE FÜR SOLCHE DINGE.« gab Tod zu. »VOR ALLEM DAS KARTENSPIELEN HAT MICH FASZINIERT. DA MICH DAS GANZE JEDOCH ÖFTERS IN SCHWIERIGE LAGEN GEBRACHT HATTE UND ICH EINE STANDPAUKE BEIM ALLMÄCHTIGEN VATER BEKOMMEN HATTE, LEGTE ICH DIESES LASTER NIEDER.

      ES FEHLT MIR AUCH NICHT. WENN ICH ZEIT HABE UND MIR DANACH IST, SCHAUE ICH MIR KARTENTURNIERE AN. NATÜRLICH NUR ALS UNSICHTBARER ZAUNGAST. DAS REICHT VOLKOMMEN.«

      »Und trotzdem spielst du jetzt mit mir? Warum die Ausnahme?«

      Tod kratzte sich am Kinn.

      »WEGEN MEINEM WISSENSHUNGER!«

      »Wie darf ich das verstehen?«

      »DU SAGTEST DU BRINGST MIR ALLES ÜBER GEFÜHLE BEI. GEFÜHLE SIND DER EINZIGE BEREICH IN DEM ES WISSENSLÜCKEN GIBT. ICH KANN NUR WENIGE GEFÜHLE EMPFINDEN; ALSO NUR SOLCHE DIE FÜR MEINE ARBEIT NICHT HINDERLICH SIND, WIE WUT ODER ZORN. LIEBE, TREUE, FREUDE….. DAVON VERSTEHE ICH NICHTS. ICH WEIß ZWAR, WAS DIESE GEFÜHLE BEDEUTEN; NICHT ABER WIE SIE SICH ANFÜHLEN.«

      Tod schaute ein wenig verschämt auf den Boden.

      »Und warum soll nun gerade ich dir das beibringen?«

      »ICH VERBRINGE TÄGLICH VIEL ZEIT BEI DEN MENSCHEN, UM VON IHNEN ZU LERNEN, HABE ES ABER TROTZDEM NIE VERSTANDEN.«

      Hastig fügte er hinzu:

      » DU BIST MEINER MEINUNG NACH DER PERFEKTE LEHRER, WEIL DU DEIN GANZES LEBEN DER LIEBE VERSCHRIEBEN HATTEST.«

      » Hm...«

      Victors Augen wanderten über den Mosaikboden des Raumes.

      »Dann lasse es uns versuchen!«

      Wer nicht wüsste, dass sich in den Augenhöhlen des Todes das unendliche Nichts befindet, der könnte meinen, in diesem Augenblick ein Funkeln erkannt zu haben.

      » HAB DANK!«

      »Schon gut…es ist ja noch nicht gesagt ob wir Erfolg haben!«

      »ERFOLG HIN ODER HER, ES IST MEIN LIEBSTER ZEITVERTREIB MEHR DARÜBER IN ERFAHRUNG ZU BRINGEN.«

      Kurze Stille folgte, bevor Victor grinsend meinte:

      »Der eine sammelt Briefmarken, der andere Bierkrüge….aber das Hobby des Tod ist es Wissen über Gefühle zu sammeln.«

      Victor konnte ein kleines Lachen nicht zurückhalten.

      »WAS IST DARAN SO LUSTIG?« fragte der Tod mit einer nun unsicheren Stimme.

      »Wie soll ich sagen; der Tod und Gefühle; das passt irgendwie nicht zusammen. Du bist auf der Erde der Inbegriff für Elend, Trauer und Angst….und du beschäftigst dich mit Gefühlen wie Liebe….das ist einfach urkomisch! «

      »DARF EIN ALTER MANN KEIN STECKENPFERD HABEN?« verteidigte sich der Tod.

      Der Sensenmann nahm das Schachbrett in seine langen, spindeldürren Knochenhände und blies die feine Staubschicht hinunter. Eigentlich handelte es sich hierbei mehr um ein Hauchen. Victor konnte sich nicht erklären, wie ein Wesen ohne Lungen überhaupt blasen konnte.

      Aber da ihm in den letzten Stunden viele Kuriositäten und Merkwürdigkeiten dargeboten hatten, überlegte er nicht lange darüber nach, sondern nahm es einfach hin.

      Nachdem Gevatter Tod das Brett wieder auf seinen Platz stellte, zog er unter seinem Sessel eine alte Holzkiste hervor. Er öffnete sie und holte Stück für Stück besonders kunstvoll geschnitzte Schachfiguren heraus. Jede dieser Figuren wurde von ihm auf den dafür vorgesehenen Feldern platziert.

      Victor, der schon einige Schachspiele gesehen hatte, war sich sicher, dass diese Figuren die wohl eindruckvollsten waren, die er bisher zu Gesicht bekommen hatte.

      Jedes kleinste Detail war bei den Holzfiguren zu erkennen. So zierte die Krone des circa zehn Zentimeter großen Königs Edelsteine, die Bauern hatten fein ausgearbeitete Hacken in der Hand und die Pferde, samt Reiter, wurden mit Saumzeug und Rüstungen bestückt.

      Die Spielfiguren sahen so aus, als sei jede von ihnen eine Liebeserklärung an die Schnitzkunst.

      » SEHR SCHÖN…, NICHT WAHR! «

      » Ja, dieses Schachspiel ist sehr eindrucksvoll.«

      Victors Blicke fielen gerade auf den Läufer, der einen Kardinal darstellte. Auf dem Buch in seiner linken Hand konnte man sogar „Bibel“ erkennen.

      »ALTE SUMPFEICHE….«, erwähnte Tod nebenbei.

      »Auch ein Geschenk eines Herrschers vergangener Zeiten?«

      »KANN MAN SO SAGEN! DER BESITZER MEINTE ICH BEKOMME DIESES ERBSTÜCK NUR ÜBER SEINE LEICHE….

      ICH HABE MICH NATÜRLICH DARAN GEHALTEN!«

      Tod hatte wieder dieses breite Grinsen in seinem Gesicht.

      Als alle Figuren ihren Platz auf dem Brett gefunden hatten, verschränkte Tod seine Arme und lehnte sich in den Sessel zurück.

      »ICH WÄRE NUN SO WEIT! DU DARFST DEN ANFANG MACHEN!«

      »Dann lassen wir dem Schicksal seinen Lauf« , sprach Victor mit ruhiger Stimme.

      Der alte Mann wollte gerade einen Bauer in die Hand nehmen, um ihn zwei Felder nach vorne zu schieben. Doch der Sensenmann unterbrach seinen Spielzug.

      »VICTOR, ICH VERGAß ZU ERWÄHNEN, DASS DIES EIN SPIEL IST, WIE DU ES ALS SOLCHES NOCH NIE GESEHEN HAST.«

      Victor stellte seine Figur verwundert auf den Platz zurück.

      »OK, und was ist daran so besonders, außer das es hier um Leben und Tod geht?«

      »NUN, DU MUSST DIE FIGUREN NICHT BEWEGEN. DAS MACHEN SIE VON SELBST. DU MUSST DEINEN ZUG NUR IN GEDANKEN AUSFÜHREN.«

      »Wie soll das funktio… Ach vergiss es! «

      Als wäre das weniger merkwürdig als alles andere bisher, dachte sich Rorschach.

      Victor machte seinen ersten Zug rein mit der Macht der Gedanken.

      »Tatsächlich!«

      Victor konnte wie so oft in den letzten Stunden seinen Augen nicht trauen. Der bis eben starre Bauer nahm seine Hacke auf die Schulter und marschierte zwei Felder nach vorne, bis er wieder in einer Starre verweilte. Der alte Mann schüttelte verwundert den Kopf.

      »Magisch! Das ich so etwas auf meinen alten Tagen noch erleben darf. Das würde mir keiner glauben, wenn ich es erzählen würde.«

      »DAS WIRD WOHL AUCH DARAN LIEGEN, DASS DU NICHT MEHR DAZU KOMMEN WIRST!« meinte Tod darauf.

      Ein schwarzer Bauer begann seinen Zug nach vorne.

      »DA WIR NICHT EWIG SPIELEN WERDEN, BITTE ICH DICH DARUM, MIRALLES ÜBER LIEBE ZU LEHREN.ICH MÖCHTE ES BESSER VERSTEHEN, DA ICH NICHT FÜHLEN KANN. «

      »Kannst du denn andere Gefühle spüren?«

      »NEIN, FÜHLEN NICHT, ABER ICH VERSTEHE DIE MEISTEN EMOTIONEN. «

      »Die da wären? «

      Victor ließ einen weiteren Bauer ziehen. Doch mehr als auf das Spiel, konzentrierte er sich auf Tod.

      »DURCH MEINE ARBEIT KONNTE ICH VIEL ÜBER TRAUER UND FURCHT LERNEN. ICH VERSTEHE DIESE GEFÜHLE, WENN ICH SIE AUCH NICHT IN DEM MAßE SPÜREN KANN WIE IHR MENSCHEN.«

      Tod kratzte sein blankes Kinn.

      »VOR WAS SOLLTE ICH AUCH ANGST HABEN?«

      »Vor dem Tod! « lachte Victor.

      »Das du Trauer verstehst ist schon einmal ein guter Ansatz für die Liebe, da man nur trauert, wenn man einen Menschen liebt.

      Wie sieht es mit weiteren Bausteinen der Liebe aus?«

      Ein wiehern, gefolgt von Hufenschlag durchzog den Saal. Rorschach blickte gebannt auf das Spielfeld. Ein Reiter sprang mit einem Satz über den Bauern vor ihm.

      »WAS MEINST DU DAMIT? «

      »Liebe ist mit anderen Gefühlen fest verwurzelt. Dazu gehört zum Beispiel die Freude.«

      »FREUDE KENNE ICH AUCH!« erwiderte Tod mit gehobenem Zeigefinger.

      »Gut, dann gebe mir ein Beispiel. «

      »HALTE DICH FEST, DEN FINDE ICH BESONDERS GUT:

      STELL DIR VOR, MEINE SCHWIEGERMUTTER HAT JETZT ENDLICH IHR IDEALGEWICHT ERREICHT! SIE WIEGT JETZT 3,20 KG INKLUSIVE URNE.«

      Der Tod lachte laut und hielt sich dabei den Bauch, oder was sich an dieser Stelle unter der Kutte befand.

      »ÄH, Tod….«

      »WARTE, EINEN HABE ICH NOCH:

      HERR DOKTOR, HERR DOKTOR, DER SIMULANT AUF ZIMMER 9 IST GESTORBEN!

      ALSO JETZT ÜBERTREIBT ER!«

      Gevatter Tod krümmte sich vor Lachen in seinem Sessel.

      »Naja, Humor hast du auf jeden Fall, aber Freude ist etwas anderes. «

      Tods Lachen verstummte. Es war nur noch das Klappern der Rüstung des Reiters zu hören, welcher einen erneuten Zug machte.

      »ICH DACHTE DAS WÄRE DAS SELBE. ICH WEIß DAS SICH LEUTE FREUEN, WENN SIE LÄCHELN. ICH DACHTE WENN SIE LACHEN, DANN IST ES DAS SELBE.«

      »In diesem Fall nicht! «

      »WAS HAT FREUDE MIT LIEBE ZU TUN?«

      »Um es wenig kompliziert zu erklären; wenn man jemanden liebt, freut man sich jedes Mal, wenn man diesen Menschen sieht. Auch wenn das täglich mehrere Male geschieht. Man freut sich Zeit mit diesem Menschen verbringen zu können, man freut sich mit dieser Person, wenn sie sich freut, man freut sich über jede kleine Geste, selbst wenn es nur ein Lächeln ist.

      Ich habe mich immer sehr gefreut, wenn Mina in meiner Nähe war. Die Freude war neben der Liebe das stärkste Gefühl in mir und verleitete mich zu Höhenflügen.«

      Tod konnte eine kleine Träne in Victors Augen erkennen, die mühevoll zurück gehalten wurde.

      »ICH VERSTEHE.«

      Lautes Kampfgeschrei war zu vernehmen. Der Reiter des Todes schlug mit seinem Schwert auf einen weißen Bauern ein, der sich nicht einmal wehrte. Dieser sank zu Boden und verschwand. Der Reiter nahm seinen Platz ein.

      »DU SOLLTEST MIR SCHNELL ALLES ÜBER DIE LIEBE BERICHTEN, BEVOR DEIN KÖNIG FÄLLT.«

      Tod deutete auf das Spielfeld.

      »SCHACH!«

      Das leise summen eines Pfeils war zu hören. Er wurde von dem Schützen auf Rorschachs Turm geschossen und traf den Reiter. Darauf verschwand auch dieser.

      »VERDAMMT UND ZUGENÄHT, DEN HABE ICH ÜBERSEHEN! « Tod stampfte auf den Boden.

      »Wenigstens weiß ich jetzt, dass du nicht ganz gefühlskarg bist.«

      »WIE MEINST DU DAS? «

      »Scheinbar spürst du so etwas wie Wut und Zorn.«

      »DU HAST RECHT! DIESE ZWEI SIND AUCH NICHT HINDERLICH BEI MEINER ARBEIT, GANZ IM GEGENTEIL….

      WAHRSCHEINLICH BESITZE ICH SIE DESHALB.«

      »Ich bin mir auch sicher, dass du Freude empfangen kannst.

      Elvira erzählte, wie sehr du dich freust, wenn ein Arzt auf deinem Tagesplan steht. Es ist zwar keine gute Freude….aber etwas was man mit Freude gleichstellen kann!«

      »DAS WAR MIR SO NOCH GAR NICHT BEWUSST.«

      »Und Mitgefühl hast du mit Sicherheit auch, oder warum hast du Elvira damals mitgenommen?«

      »DAS WAR NUR AUS EINER LAUNE HERAUS, SO WIE MIT DIR HEUTE. MIR WAR EINFACH DANACH. UND WENN SCHON MAL JEMAND FREIWILLIG MIT MIR GEHEN MÖCHTE…..UND SO TÜCHTIG IST….WIE KÖNNTE ICH DA NEIN SAGEN. SEIT SIE HIER IST, IST VIELES LEICHTER GEWORDEN. ICH PFLEGE ZU IHR EIN REINES ARBEITSVERHÄLTNIS. ICH WERDE AUCH IHRE UHR EINES TAGES IN DEN HÄNDEN HALTEN, UND GLAUBE MIR; ICH WERDE KEINE TRÄNE WEINEN MÜSSEN.

      WAS NICHT DARAN LIEGT, DASS ICH SO ETWAS WIE TRÄNEN NICHT PRODUZIEREN KANN.«

      Victor kratze Sich an seinem Kopf.

      »Gut, mit dem Mitgefühl habe ich mich wohl geirrt. In diesem Moment besitze ich auch kein Mitgefühl im Form von Mitleid.«

      »WIE MEINST DU DAS?«

      »Schau genau hin!« Victor zeigte auf das Spielbrett.

      Tods leere Augen sahen wie der weiße Kardinal einen Bauern erschlug.

      Tod ballte seine Faust und schlug auf die Armlehne des Sessels.

      »MITLEID BRAUCHE ICH KEINES. DAS KANNST DU AUS DEINEN GEDANKEN STREICHEN. ICH HOLE MIR DEINEN KÖNIG NOCH IN DIESEM SPIEL.«

      Ein paar Sekunden Stille folgten.

      »ERZÄHLE MIR, WIE IST LIEBE; WIE FÜHLT SICH LIEBE AN!«

      Tod war sichtlich etwas ungeduldig.

      »Liebe ist die stärkste Zuneigung, die ein Mensch einem anderen entgegen bringen kann. Der Erwiderung bedarf sie nicht. Liebe ist eine innige, tiefe Verbundenheit zu einer Person.

      Wenn man jemanden liebt, dann hat man neben der Zuneigung meist auch ein körperliches Begehren, was sich in geschlechtlicher Liebe widerspiegelt. Doch sollte man hier stets unterscheiden zwischen familiären Liebe, oder triebgesteuerten…«

      »GENUG DAVON SIGMUND FREUD!«

      Tod klopfte auf den Tisch und erhob sich aus seinem Sessel. Vor dem Kamin ging er mit gesenktem Kopf auf und ab.

      »ICH WILL NICHT WISSEN WAS LIEBE IST, SONDERN WIE SIE SICH ANFÜHLT. ICH KENNE DIE DEFINITION VON LIEBE, ODER MEINST DU ICH WÄRE SO ENGSTIRNIG? JEDER MENSCH DER LESEN KANN, WEIS WAS BEI WIKIPEDIA UNTER LIEBE STEHT!«

      Victor schaute verwundert, was aber nicht daran lag, dass der Tod sich scheinbar mit dem Internet auseinander setzte, obwohl gerade dies so überhaupt nicht zu ihm passte.Nein, er schaute so verwundert, weil er nicht wusste, wie er Tod die Liebe erklären sollte. Wie beschreibt man auch Gefühle, ohne abgedroschene Begriffe wie „Schmetterlinge im Bauch“ oder

      „Wie auf Wolke 7“ zu benutzen.

      »Gevatter, was willst du denn hören?«

      »ICH WILL BEGREIFEN, WIE MAN LIEBE ZU JEMANDEM ENTWICKELT UND WIE SIE SICH ANFÜHLT! DU HATTEST EIN LEBEN LANG EINE PERSON GELIEBT. ERZÄHLE MIR ALLES DARÜBER.«

      »Du meinst alles darüber, wie ich Mina lieben gelernt habe?«

      »JA! ICH HABE OFT DIE MENSCHEN BEOBACHTET; DIE LIEBENDEN; ABER ICH HATTE NIE DIE ZEIT, SOLCH EINE ENTWICKLUNG ZU STUDIEREN.

      ICH HABE DICH MITGENOMMEN; WEIL ICH MIR SICHER BIN, DASS DEINE ERFAHRUNG MEINEN WISSENDURST ETWAS LINDERN KANN.«

      Victor fuhr sich nachdenklich über die Stirn.

      »Gut, aber setze dich. Ich habe viel zu erzählen.«

      Tod nahm wieder in seinem Sessel Platz.

      »WIR UNTERBRECHEN DAS MATCH SO LANGE. ICH WILL DIR AUFMERKSAM FOLGEN KÖNNEN.«

      Der alte Mann nickte zustimmend und begann mit seiner Geschichte.

      Victor & Mina

      Rorschach und Mina besuchten die selbe Grundschule in seinem kleinen Heimatörtchen. Sie ging in die Parallelklasse, was der Grund dafür war, dass sie ihm nicht schon eher aufgefallen war. Erst als der junge Victor eine Ausbildung zum Uhrmacher machte, war ihm das Glück zu Teil geworden, Mina kennen zu lernen. An einem schönen Sommernachmittag war der Jüngling gerade dabei, eine Uhr in der kleinen Werksatt des Uhrenladens zu reparieren, als die Türglocke schellte.

      Victor setzte sein Vergrößerungsglas ab und ging zur Verkaufstheke.

      Dort angekommen, sah er, wer den Laden betreten hatte. Es war eine junge Frau die nach ersten Einschätzungen ein paar Jahre älter war, als er selbst. Aus irgend einem Grund hatte er plötzlich weiche Knie, die dafür sorgten, dass er nicht einmal eine höfliche Begrüßung herausbekam. Er hatte noch nie eine solch schöne Frau gesehen. Sein Atem stockte. Sie war sehr zierlich und klein. Sie ging ihm gerade bis zur Brust und hatte kurzes, braunes Haar und graugrüne Augen. Mina ging zur Theke, begrüßte ihn höflich und legte eine defekte Armbanduhr auf den Tisch.Er bekam nur ein verstümmeltes Hallo über die Lippen. Sie erkannte seine Nervosität sofort. Dann passierte etwas, was Victor als den Startschuss der Liebe angesehen hatte. Er war zwar vorher schon leicht liebestrunken, aber das folgende gab die Ursache, dass Victor das erste mal sein Herz an jemanden verloren hatte. Sie lächelte ihn an. Ihr bezauberndes Lächeln und die süßen, gut betonten Wangen von ihr ließen Victor dahinschmelzen. Dieses wundervolle Lächeln hatte die Kraft, selbst die Polkappen auf einen Schlag zu verflüssigen.

      Mina zeigte ihm die Uhr und deutete auf ein defektes Glied am Armband. Victor tauschte innerhalb kürzester Zeit das defekte Glied aus und gab der jungen Frau die Uhr zurück. Der sonst so schüchterne Victor fragte sie, ob sie nach Feierabend mit ihm essen gehen würde. Noch heute weiß Victor nicht, was ihn damals geritten hatte, weil es für ihn sehr untypisch war. Mina schien sich über diese Frage zu freuen und stimmte dem Treffen zu. Als sie den Laden verließ, ließ sie einen liebeskranken Victor zurück, der keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte.

      Er konnte den Feierabend nicht mehr erwarten. Die letzten Stunden schienen nicht enden zu wollen, was daran lag , dass er ständig auf die Uhr schauen musste. In einem Geschäft voller Uhren ist es auch schier unmöglich nicht auf eine zu sehen.

      Doch irgendwann schlugen die Uhren achtzehn Uhr und läuteten das Geschäftsende für diesen Tag ein. Draußen vor dem Laden wartete bereits Mina.

      Beide waren sehr nervös. Hätte es zu diesem Zeitpunkt irgendwo im Hintergrund geknallt, hätten beide wahrscheinlich einen Herzinfarkt bekommen.

      Sie gingen in ein kleines Restaurant und setzten sich in ein kleines Separée. Beide erzählten sich gegenseitig viel von einander. Victor konnte nicht eine Sekunde lang seine Blicke von ihr lassen. Ihre wunderschönen Augen fesselten ihn. Die beiden verstanden sich sehr gut und lachten viel miteinander. Nach dem Essen gingen die zwei ein wenig spazieren. Victor nahm irgendwann all seinen Mut zusammen und griff nach ihrer Hand. Rorschachs Herz pochte so laut, dass man es aus zweihundert Metern Entfernung noch hören konnte.

      Von diesem Tage an waren die beiden ein unzertrennliches Paar. Von Woche zu Woche verschmolzen ihre Herzen immer mehr miteinander.

      Die beiden waren sehr glücklich miteinander. Selten gab es Streit und man war sich sicher, für immer ein Paar zu sein.

      Eines Tages machte ihr Victor einen Heiratsantrag, den Mina sofort annahm. Es war der nächste Meilenstein in ihrer Beziehung. Victor spürte innerlich so viel Glück, dass er all seine Freude am liebsten in die Welt hinausgeschrien hätte.

      Doch alles Glück der Welt überdauert bekanntlich nicht die Ewigkeit. Mina wurde plötzlich sehr krank. Sie hatte einen angeborenen Herzfehler. Bisher war dieser nie bemerkt worden, doch nun wollte ihr kleines Herz einfach nicht mehr seiner Arbeit nachkommen. Es ging alles sehr schnell. Innerhalb von zwei Tagen verwandelte sich großes Glück in tiefe Trauer. Auf dem Sterbebett schwor er seiner Mina ewige Treue. Dieses Versprechen hielt er auch bis zum Ende.

      Victor hatte seine Geschichte dem Tod erzählt. Knapp und bündig; das Wichtigste wurde erwähnt. Natürlich hätte er seine Liebesgeschichte mit allen Regeln der Kunst ausschmücken können, doch immer wenn Victor zu sehr ins Detail ging, wurde er ermahnt aus Zeitgründen beim Wesentlichen zu bleiben.

      »Das war meine Geschichte, wie ich Mina kennen und lieben gelernt habe. Es war ihr Wesen, Ihr Lächeln, das den Anfang machte und über die Zeit war es eine innere Verbundenheit.«

      Ein aufmerksamer Beobachter hätte zu diesem Zeitpunkt einige Tränen gesehen, die dem alten Mann hinuntergekullert waren, doch der Tod war zu sehr in Gedanken versunken.

      »ICH HABE DAS PHÄNOMEN SCHON OFT BEOBACHTEN KÖNNEN, WENN MENSCHEN ZUNEIGUNG ENTWICKELTEN, DOCH VERSTANDEN HABE ICH ES NIE. ICH VERSTEHE JETZT WARUM DU DICH DAMALS VERLIEBT HAST, WARUM DU DICH FREUST SIE WIEDER ZU SEHEN UND WARUM DU IHR TREU GEBLIEBEN BIST. DAS ALLES IST LIEBE.«

      Victor nickte und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.

      »ICH VERSTEHE NUR DIESES GEFÜHL NICHT, WELCHES DAFÜR VERANTWORTLICH IST….FÜR LIEBE….ICH HABE VIELE GESCHICHTEN GELESEN, DEINEN NUN GEHÖRT….ABER ICH WEIß NICHT WIE SICH LIEBE ANFÜHLT!«

      Die Stimme des Tods klang ein wenig verzweifelt.

      »Es ist eine Erhöhung des Pulses, ein hörbarer Anstieg der Herzfrequenz, der auch mit Gesichtsröte sehbar wird. Es ist ein betäubendes Gefühl des Kopfes und der Gelenke; vor allem in den Knien.Es ist innere Zufriedenheit und gewaltige Freude. Man spürt immenses Glück und beim Geschlechtlichen bebt der Ganze Körper wenn man seinen Gegenüber liebt.«

      Tod atmete einmal tief aus.

      »ICH WÜSSTE ZU GERNE WIE SICH DAS ALLES ANFÜHLT. LIEBE WERDE ICH NIE EMPFINDEN KÖNNEN…. SIE MUSS SICH GROßARTIG ANFÜHLEN… ICH WERDE MICH WOHL WEITER DAMIT BEGNÜGEN MÜSSEN, DAS GANZE IM HINTERGRUND ZU BEOBACHTEN. OHNE HERZ KANN MAN DAS GANZE NICHT FÜHLEN.« Seufzte der Sensenmann.

      »Man muss es nicht unbedingt fühlen. Liebe kann man auch geben oder verteilen. Der Empfänger fühlt die Liebe die man abgibt. Das könntest selbst du!« sagte Victor in einem bestimmenden Ton.

      »WIE KANN MAN LIEBE GEBEN OHNE SIE FÜR JEMANDEN ZU EMPFINDEN?

      »Das nennt man Nächstenliebe! Man spürt selbst zwar keine Liebe, aber demjenigen, dem man hilft, der spürt diese Freude und das Glück, welches einem zu Teil wird, der Liebe empfängt.«

      Tod sprang mit einem Satz aus dem Sessel.

      »DAS HEIßT, ICH KANN LIEBE VERTEILEN? UND SEHEN WIE SIE BEI EINEM ANKOMMT?«

      »Natürlich, man erkennt die Dankbarkeit und Freude in den Augen des Empfängers, weil das Herz bestimmte Reize an verschiedene Stellen verteilt.«

      Als Rorschach den Satz beendete, merkte er, dass der Tod nicht mehr im Raum war.

      Er wartete eine Weile, doch der Tod blieb fern. Er verließ das Zimmer und ging die Treppen hinunter um Elvira zu fragen, wo er denn ist.

      An der letzten Stufe angekommen, konnte er Elviras Stimme aus dem Raum mit den Büchern der Lebenden und Toten vernehmen.

      »Oh nein, was geschieht hier? Meister seid ihr hier?«

      Trotz des bekannten Verbotes betrat Victor den großen Saal. Er sah Elvira, die Bücher vom Boden aufhob und in die Regale zurück stellte. Dies glich aber einer Sisyphusarbeit, da die Bücher immer wieder herausflogen. In dem Saal waren unendlich viele Regale, gefüllt mit Büchern. Sie alle wackelten und flogen nach und nach hinaus.

      Mit weinerlicher Stimme rief sie:

      »Meister, wo seid ihr, bitte helft mir, hier geht merkwürdiges zu Gange.«

      Victor eilte zu ihr, sofern man den Gang eines Neunzigjährigen als eilen beschreiben kann.

      »Was ist hier los Kindchen?«

      Der alte Mann beugte sich zur Haushälterin hinunter, die auf den Knien saß.

      »Was machst du denn hier? Es ist verboten den Saal zu betreten! Hast du Tod gesehen? Wo ist er?« fragte sie.

      »Ich bin hier nur herein gekommen, weil ich dich Schreien gehört habe, ich dachte du wärst in Nöten. Ich weiß nicht wo er ist. Er war plötzlich weg.«

      »Ihm muss etwas passiert sein!« warf Elvira aufgeregt ein.

      »Hmm«, brummte Victor. »Ich denke nicht, dass dem Tod etwas passieren kann. Warum glaubst du das?«

      »Du siehst doch die Bücher!«

      Elvira war etwas hysterisch.

      »Ja, was ist mit ihnen. Warum fallen sie aus den Regalen? Ist es ein Erdbeben?«

      Tods Angestellte stand auf und gab ihm einen wütenden Klaps an den Kopf.

      »Hier gibt es kein Erdbeben, weil wir nicht auf der Erde sind, du alter Depp! Oder spürst du hier ein Beben?«

      Der alte Mann merkte was für einen Unfug er fragte, weil der Boden ruhig war.

      »Was geschieht hier dann?« rief Victor zu ihr, da es gerade ziemlich Laut war. Ein ganzes Regal neben ihnen kippte wie von Geisterhand um.

      »Ich weiß es doch auch nicht! « wimmerte sie leise.

      »Wir sind hier im vorderen Teil des Saales. Mein Meister erzählte mir oft von dem Raum. Hier in diesem Trakt sind die Bücher der Toten verwahrt. Das sind die Bücher, die sich nicht mehr fortsetzen, sprich sich selbst weiterschreiben!«

      Sie gab Victor ein Buch in die Hand.

      »Siehst du! Und genau das tun sie gerade doch!«

      Elvira erklärte dem greisen Mann, was sie über diesen Raum weiß, damit er ihre Panik verstand.

      Dem Leser muss es jedoch ein wenig ausführlicher beschrieben werden, da man Elviras leicht hysterischen aneinanderreihen von Wörtern nicht gänzlich folgen kann.

      Es handelt sich hier um einen riesigen Saal. Die Halle der Grand Central Station wirkt im Vergleich wie ein Trakt eines Puppenhäuschens. Man kann kein Ende in der Länge oder Breite erkennen. Räumliche Gesetze scheinen hier nicht zu existieren, denn er erweitert sich täglich selbst. Er ist in vier Bereiche gegliedert. Im hintersten Bereich liegen die Bücher der Galaxien und Planeten. Denn auch ihr Leben wird dokumentiert. Die Bücher in diesem Bereich sind sehr groß. Im Vergleich: Stellt man sich daneben, wirkt man wie eine Blattlaus. Die Schrift in diesen Büchern ist jedoch genauso klein gehalten, wie in den Büchern der Menschen. Der nächste Trakt ist ziemlich leer. In ihm befindet sich nur ein riesiges, aufgeschlagenes Buch. Es ist das Buch des Planeten Erde. Dann folgt ein weiterer Trakt. Dieser ist größer als die beiden vorgehenden Bereiche. Hier lagern die Bücher der Lebenden. Sie liegen geschlossen in den Regalen, und schreiben sich selbst. Sie sind auch unterschiedlich dick, da es vorbestimmt ist, wie lange ein Leben dauert. Ist die Seitenzahl vorbei, so endet auch das Leben. Wenn dieses Buch aufgehört hat, sich zu schreiben, wandert es von allein in den vordersten Bereich; dem Trakt der Toten. Hier lagern alle Bücher, die fertig geschrieben sind. Also normalerweise fliegen die Bücher von Bereich zwei zu Bereich eins und lagern sich selbst in den Regalen ein. Die Regale sind unendlich hoch und sobald ein Regal voll ist, dehnt sich der Raum aus und es erscheint ein neues. Ein solches jedoch voll zu bekommen dauert Jahre, da sie in ihrer Höhe endlos scheinen.

      Ausnahmen der Büchereigenschaften gibt es nur selten. Wenn jemand sein Leben vorzeitig beendet, sprich Suizid begeht,dann hört das zugehörige Buch auf sich zu schreiben. Die restlichen, vorbestimmten Seiten bleiben dann einfach leer.

      Wenn ein Toter ins Leben zurückgeholt wird, dann kommen neue, leere Seiten hinzu. Das Buch wird dann aus dem Regal gedrückt, da es von der Breite nicht mehr in den für ihn bestimmten Spalt passt und fliegt hinunter. Das ist auch ein Grund, warum sich Tod so über Ärzte ärgert. Er muss diese Bücher dann immer aufheben und an ihren Platz im Bereich der Lebenden schaffen. Dies geschieht fast täglich. Man darf es aber nicht so verstehen, dass er sich bücken muss und einen ewigen Fußmarsch hinlegt. Er betritt nur den Raum, lässt alle Bücher vom Boden aufsteigen und in den Regalbereich der Lebenden zurückkehren, in dem sie zuvor waren. Es dauert nur ein paar Sekunden, aber es ist mit Arbeit verbunden; und genau die verabscheut der Tod in seiner Freizeit.

      Die Bücher der Toten erweitern sich ab und zu um einen Satz auf der letzten Seite. Wiedergeboren als …, am…, in… . Doch dafür ist Platz hervorgesehen. Wenn jemand als ein anderer wiedergeboren wird, beginnt ein neues Buch.

      Der Grund, warum gerade eben so ein Chaos in dem Bereich der Toten herrscht ist folgender:

      Ungewöhnlich viele Bücher schreiben sich heute selbst weiter, obwohl sie zu Ende sein müssten. Es sind meist bis zu drei Bücher pro Reihe, was zur Folge hat, dass ein extrem hoher Druck auf das Regal ausgeübt wird und es unter der Last zusammenbricht oder mehrere Bücher herausfliegen. Das Hallen eines jeden Buches ist sehr laut und noch viele Sekunden später zu hören.

      Das ist auch der Grund, warum Elvira den Raum nun zum ersten Mal betreten hat. Der Lärm durchzog das gesamte Anwesen.

      »Ich verstehe, irgendetwas Merkwürdiges ist auf der Erde zu Gange.« meinte Victor.

      Ich habe da so eine Vermutung! Der muss ich nachgehen. Warte hier, ich komme gleich wieder!« Elvira rannte hinaus.

      »Ok…«

      »Und fasse hier nichts an! Tod mag es nicht wenn man ihm etwas durcheinander bringt.« hallte es hinter ihm.

      Anhand ihres letzten Satzes konnte man erkennen, dass sie noch immer nicht wusste, wo ihr der Kopf steht. Um eine größere Unordnung zu schaffen, wie sie jetzt schon herrschte, da bedarf es schon der Hilfe eines extrem erzürnten Riesengorillas.

      Victor hatte zwar die Anweisung, nichts zu berühren, doch niemand hätte ihn bei dieser Gelegenheit davon abbringen können, nach dem Buch von Mina zu suchen. Er musste unbedingt wissen, ob am Ende etwas vermerkt ist, ob sie wiedergeboren wurde. Er würde das zwar auch herausfinden, wenn er in das Totenreich übertritt, aber er musste es sofort wissen. Nicht aus Neugier, sondern vielmehr um seine Angst zu besänftigen.

      Er rannte an den Regalen entlang. Immer wieder musste er zur Seite treten, wenn ein Buch geflogen kam. Die Bücherregale waren nicht beschriftet. Minas Buch konnte überall sein.Er nahm ein Buch aus den unteren Reihen eines Regals, bei dem er sich gerade befand. Geron Claudio stand auf dem Buchumschlag. Ein Regal weiter zog er ein weiteres Buch heraus. Auf ihm befand sich der Name Hui Yen. Eine Reihe weiter, ein Buch, Imen Mustapha. Victor war sich nun sicher, dass die Regale alphabetisch angeordnet waren. Er lief an den Bücherwänden entlang und zog hier und da ein Buch heraus, um zu wissen, bei welchem Buchstaben er sich befindet. Er musste zu den Büchern mit R kommen, denn seine Mina hießRichter. Er zog erneut ein Buch heraus und las den Namen Ruud Roy. Endlich, er hatte das richtige Regal gefunden. Da diese enormen Holzgebilde sehr hoch waren, befand sich an jedem von ihnen eine Leiter, die bis nach ganz oben reichte. Victor erklimmte die Leiter Sprosse für Sprosse. Vor lauter Eile vergaß er, dass er eigentlich Höhenangst hatte. Ein Buchnach dem anderen zog er heraus und stellte es wieder zurück. Nach vielen versuchen hatte er die richtige Bücherreihe gefunden, denn sie begann mit Ri. Langsam durchforstete er die Reihe. Die Leiter zog er mit Hilfe einer Führstange immer weiter am Regal entlang. Riche….Richzen….er konnte Richter nirgends finden. Dieses Buch war hier nicht enthalten. Richter lag alphabetisch nach Riche. Eigentlich hätte es sich dazwischen befinden müssen.

      »Kannst du mir verraten was du da treibst?« erklang es von unten.

      »Ich suche das Buch von jemandem!«

      »Komm sofort herunter, ich habe dir verboten etwas anzufassen.«

      »Schon gut, ich habe es hier eh nicht gefunden.«

      Victor kletterte wieder hinunter. Er hatte gar nicht mitbekommen, dass er sich in zwanzig Metern Höhe befand.

      Unten angekommen setzte er sich auf den Boden und seufzte.

      »Es tut mir sehr Leid das ich nicht folgsam war. Ich wollte nur nachschlagen, ob meine Verlobte bereits wiedergeboren wurde.«

      »Was tut das zur Sache? Im nächsten Leben seht ihr euch eh nicht mehr.«

      »Und genau deshalb will ich erfahren, ob sie drüben auf mich wartet.«

      »Wie lange ist sie denn schon tot?« wolle Elvira wissen.

      »Genau dreißig Jahre.«

      Elvira schüttelte den Kopf. »Natürlich kannst du sie hier nicht finden.«

      »Warum?«

      »Warum, warum, na weil sie schon lange tot ist. In diesem Bereich sind die Bücher derjenigen, die höchstens ein paar Tage lang tot sind. Du bist hier richtig bei R, aber um das richtige Buch zu finden, musst du etliche Reihen nach hinten laufen. Aber schlage dir das gleich wieder aus dem Kopf, so findest du das Buch niemals.«

      »Es tut mir Leid Fräulein Elvira!«

      Dem alten Mann flossen ein paar Tränen durchs Gesicht.

      »Schon gut, reiße dich zusammen. Ich kann herum Geheule nicht Leiden. Außerdem sagte ich dir so! kannst du es nicht finden.«

      Victor schaute fragend.

      »Komm mal mit!« sie packte Victor am Arm und zog ihn schnaubend hinter sich her.

      »Ich weiß übrigens was hier los ist!«

      »Ähm, was…?«

      »Tod hat die Uhr auf der Erde wieder laufen lassen, geht aber seiner Arbeit nicht nach! Das gab es noch nie.«

      »Er geht seiner Arbeit nicht nach? Heißt das…«

      »Ja! Das heißt keiner stirbt im Moment!« unterbrach sie ihn.

      »Ist das denn schlimm?«

      »Ob es schlimm ist?« schnell wurde sie wieder wütend.

      Sie ließ Victors Arm los und schnappte sich ein Buch, das auf dem Boden lag.

      Es war das Buch von Patrick Flint. Sie blätterte auf die letzte Seite und las laut vor:

      »Er wurde von einer Bande in eine kleine Gasse gejagt. Sie schossen ihm einmal in die Brust und zweimal in den Hinterkopf. Patrick wurde von einem Passanten gefunden und liegt derzeit im städtischen Krankenhaus. Die Ärzte stehen vor einem Rätsel. Er liegt zwar im Koma, aber er müsste schon lange tot sein.«

      Elvira ließ das Buch wieder fallen.

      »Und jetzt frage noch mal, ob das schlimm ist?!

      Wenn die Menschen merken, dass sie nicht sterben können, dann artet das Ganze aus.«

      »Wie bist du darauf gekommen?« fragte der alte Mann.

      »Ich ging zu den Uhren, die ich ihm hergerichtet habe. Er hat sie nicht mitgenommen und es existiert in der oberen Hälfte kein Sand mehr. Wir müssen Tod schleunigst finden. Er muss irgendwo auf der Erde sein. Hat er irgendwas gesagt, bevor er ging?«

      »Nein….nichts…er war plötzlich weg.«

      »Wir müssen in seiner Abwesenheit seine Arbeit übernehmen!«

      »Wir? Damit meinst du doch hoffentlich nicht dich und mich?!«

      »Natürlich, oder ist hier sonst noch jemand?« Elvira rollte mit den Augen.

      »Du hast wohl vergessen, dass ich sterbe wenn ich diesen Ort verlasse.«

      »Du Dummerle! Deine Uhr läuft so langsam weiter, bis Tod den Zeitzauberdeiner Sanduhr aufhebt. Du kannst also mit.«

      Rorschach schüttelte den Kopf.

      »Tut mir Leid, ich habe kein Interesse daran, Tod zu spielen. Ich werde weiter das Buch suchen.«

      Victor ging langsam zu den Regalen zurück.

      Elvira schien innerlich zu zerplatzen. Doch statt wie gewohnt ihrem Ärger freien Lauf zu lassen, entschied sie sich dafür, nett zu sein. Ohne dem richtigen Lockmittel fängt man nun mal keine Maus.

      »Wenn du mir hilfst, gebe ich dir sofort das Buch!«

      Victor drehte sich zu ihr um. Er überlegte kurz und meinte dann

      »Abgemacht!«.

      Elvira lief in Richtung Saaleingang zurück. Neben ihm ging eine enge, steile Treppe an der Wand entlang nach oben. Victor war dies bisher nicht aufgefallen. Zu pompös waren die ersten Eindrücke, als er die ganzen Regale samt Büchern sah. Da geschieht es schon einmal, dass kleine Details einfach untergehen. Die Stufen führten zu einer kleinen Kanzel, die weit oben aus der Wand ragte. Victor kannte so etwas bisher nur aus großen Kirchen oder der Oper. Von dieser Kanzel aus konnte man den großen Saal ein Stück weit überschauen.

      Sie befand sich so weit oben, dass der alte Mann Mühe hatte, die Frau richtig zu erkennen, die nun endlich das obere Ende der Stufen erreicht hatte.

      Sie beugte sich ein Stück über das Geländer der Kanzel und rief zu Victor hinunter, der in dem noch immer herrschenden Chaos kaum zu erkennen war.

      »Wie heißt deine Verlobte? Wann wurde sie geboren?« rief Elvira hinunter.

      Victor konnte das Ganze wegen dem Krach um ihn herum nicht gut verstehen. Das war jedenfalls später seine Erklärung. Wahrscheinlicher war es jedoch ein Zuspiel von zwei wesentlichen Faktoren: Dem Lärm und die fortgeschrittene Schwerhörigkeit, die er stets zu verstecken versuchte.

      »Was für ein Bote und was meinst du mit Folkloren? Ich verstehe dich nicht!«

      Der sonst so ruhigen Elvira, (zumindest wenn sie am Schlafen war), trieb es erneut eine besondere Röte ins Gesicht. Anhand der geschwollenen Adern an ihrer Schläfe konnte man gut erkennen, dass es sich um Wut handelte. Das konnte sogar Victor erkennen. Nicht wegen der Adern, sondern wegen der streng geballten Faust. Das Knirschen dieser war deutlich zu hören.

      »Ich fragte wie sie heißt und wann sie geboren wurde!!!!« plärrte sie aus vollem Halse.

      Ihre Stimme übertönte alles in diesem Saal. Wer zu diesem Zeitpunkt im Buch der Erde gelesen hätte, der hätte etwas gefunden, dass dem Ganzen von der Lautstärkeintensität her gleichgekommen wäre - der Urknall.

      »Mina Richter! 15.10.1924!« schrie der alte Mann lauthals zurück. Mehr hätte sie ihn nicht mehr fragen dürfen, da sein Schreiorgan erschöpft war, welches sich in momentaner Heiserkeit bemerkbar machte.

      Elvira rief den Namen und das Geburtsdatum in den Saal.

      Einen Moment lang überlegte der Greis, was das ganze solle, doch dieser Gedankengang wurde schnell unterbrochen.

      Er sah ein Buch, weit oben, durch die Luft fliegen. Sein Front- und Rückendeckel agierte wie der Flügel eines Vogels. Nach kurzer Zeit landete es genau in der rechten Hand on Elvira, die sich daraufhin sofort auf den Weg nach unten machte.

      Nach ein paar Minuten war sie wieder bei Victor angekommen und drückte ihm das Buch an die Brust.

      »Hier hast du es! Beeile dich, wir müssen schnell aufbrechen! «

      Victor zögerte einen kurzen Moment, nahm dann aber seinen ganzen Mut zusammen und öffnete die letzte Seite.

      Tränen durchzogen erneut sein Gesicht; doch es handelte sich diesmal um Freudentränen. Er konnte nirgends lesen, dass sie wiedergeboren wurde. Victor wusste nun, dass sie genauso gewartet hat, wie er.

      Er legte das Buch zur Seite und eilte Elvira hinterher, die den Raum schon verlassen hatte.

      In der kleinen Vorhalle wartete sie bereits auf ihn. Sie drückte ihm eine schwarze Kutte in die Hände und zog sich selbst eine über.

      »Schnell, ziehe sie über, die wirst du brauchen!«

      »Für was ist sie gut?«

      »Das sind Tods Kutten! Die müssen wir tragen um nicht gesehen zu werden! Sie machen quasi unsichtbar.«

      »Warum… dürfen wir nicht gesehen werden?«

      »Warum wohl du Torfkopf? Die Leute können im Moment nicht sterben. Meinst du, es ist förderlich, wenn man zu all dem Chaos noch sieht, wie zwei Menschen durch die Lüfte fliegen und hier und dort aus dem Nichts erscheinen?«

      »Fliegen?« Victor konnte dem Ganzen noch nicht ganz folgen.

      Elvira zeigte auf eine Sense.

      »Die gehört meinem Herren. Er hat sie hier gelassen. Dank ihr können wir uns von hier fortbewegen und an jedem Ort der Erde auftreffen…..zu jeder Zeit.«

      »Wie sollen wir das alles schaffen? Die Seelen holen und Tod finden?«

      »Wir holen heute nur diejenigen, die offensichtlich tot sein müssten, um das Chaos einzudämmen. Es sind zum Glück nicht viele. Danach machen wir uns auf die Suche.«

      Victor zog sich seine schwarze Kutte über.

      »Hier nimm!«

      Elvira gab ihm einen kleinen Sack voller Sanduhren.

      »Das sind unsere 397 Verabredungen.«

      Victor schaute ungläubig. Wie sollen so viele in dem Säckchen platz haben?«

      Elvira schüttelte den Kopf.

      »Du bist hier bei Tod und spielst mit ihm Schach, du warst in Räumen, in denen Gesetze von Zeit und Raum nicht existieren, hast ein fliegendes Buch gesehen….und fragst, wie so etwas möglich ist? Mir fällt gerade kein passendes Wort ein, um deine Ignoranz vor dem Übernatürlichen zu beschreiben!«

      »Schon gut! Ich sollte ab und zu einfach meinen Kopf abschalten.«

      »Ja das wäre besser!« sagte sie und nahm die Sense in die Hand.

      »Und nun?«

      »Gib mir die erste Uhr!« befahl sie bestimmend.

      Victor kramte wie eine Losfee in dem Beutel, zog eine heraus und gab sie Elvira.

      »Halte dich an mir fest!«

      Der alte Mann umfasste ihren linken Arm.

      Sie befestigte die Sanduhr am Sensengriff und klopfte mit dem Stiel einmal auf den Boden.

      Von einer Sekunde auf die andere, waren die beiden auf der Erde. Sie befanden sich nun in irgend einer Prärie direkt neben Eisenbahnschienen.

      Das erste Mal seit einigen Stunden konnte Victor wieder den Wind oder die Wärme der Sonnenstrahlen fühlen. Er schloss für einen Moment seine Augen, den Augenblick zu genießen.

      Als er sie nach wenigen Sekunden wieder öffnete, bekam er den Schreck seines Lebens. Ein Mann rannte direkt auf ihn zu. Das ist nichts was einen erschrecken lässt, aber bisher wurde auch noch nicht erwähnt, dass ein langes Metallteil in seinem Halse steckte und den Kopf zur Hälfte abtrennte. Es war ein Schienenarbeiter, dem ein Stück Blech in den Hals geschleudert wurde, welches auf den Schienen lag und von einem heranrollenden Zug weggeschleudert wurde. So etwas Abscheuliches kannte er nur aus Horrorfilmen. Diese waren bei weitem auch nicht so widerlich. Blut spritze aus dem offenen Hals heraus. Victor trat ein paar Schritte zur Seite. Der Typ stürzte einige Male, rappelte sich aber immer wieder auf und lies hin und wieder ein gurgelndes „Hilft mir“ heraus.

      Elvira ging auf ihn zu, holte mit der Sense aus und durchfuhr seinen Körper. Victor konnte erkennen, wie die Seele des Mannes dabei hinausgerissen wurde und von einem gleißenden Licht eingesaugt wurde.

      »Das war der erste!« meinte sie stolz.

      »Zum Glück hat den niemand gesehen.«

      Rorschach nickte zustimmend.

      »Gib mir die nächste Uhr!«

      Victor zog erneut eine aus dem Säckchen und gab sie Elvira.

      »Für was brauchst du mich eigentlich? Das könntest du doch auch alleine schaffen!«

      »Schon, aber ich brauche dich später, um Tod zu finden.«

      »Woher soll ich wissen wo er ist?«

      »Er hat so seine Marotten! Ich weiß was für Orte er mag. Du musst mir dann sagen wo ich solche Orte finde. Ich kenne mich auf der Erde nicht sonderlich gut aus!

      Und nun komm!«

      Sie befestigte die neue Uhr an der Sense und klopfte erneut auf den Boden.

      Ein blasser Mann, so um die vierzig, mit fahlem Gesicht, sitzt nachdenklich auf einer Parkbank. Er wirkt irgendwie kränklich, was wohl an seinem gesamten Äußeren lag: dünnes schwarzes Haar, tiefe Augenhöhlen und spindeldürr. Sein mottenzerfressener, schwarzer Anzug machte das ganze nicht besser. Er war also insgesamt kein recht ansehnlicher Zeitgenosse. Aber so ist Tod nun mal. Wenn er sich entscheidet, unter den Menschen als ihresgleichen zu wandeln, ist er nie recht ideenreich. Jegliche Stylingtips und Modetrends ignoriert er schon seit Jahrhunderten.

      Trotz seines eher recht merkwürdigen Aussehens, fällt er in der Menschenmenge seines derzeitigen Aufenthaltsortes nicht weiter auf. Hunderte Menschen tummeln sich um ihn herum. Tod befindet sich in Paris, genau genommen im Jardin du Luxembourg, seinem Lieblingsort auf Erden.

      Hier verbrachte er schon immer gerne etwas Zeit. Schon zu Zeiten der französischen Königin Maria de´ Medici, die Erbauerin des Palais du Luxembourg, besuchte er das Palais. Anfangs zwar rein beruflich, später jedoch zum Zeitvertreib, da dieser Schlosspark sehr viel zu bieten hatte.

      Anfänglich gab es dort nur erste Laufradrennen, doch über die Jahrzehnte öffnete sich der Park mehr und mehr der gesamten Bevölkerung. Heute treffen sich dort Menschen aus allen schichten. Besonders beliebt ist er bei Kindern und Verliebten. Wegen Zweiteren ist der Tod gerne hier, da er in der Stadt der Liebe das ganze in Ruhe verfolgen kann. In Eiffelturmnähe ist ihm das ganze zu hektisch gewesen.

      Tod sitzt mit verschränkten Armen auf der Bank und scheint in tiefen Gedanken zu sein. Sonst hätte er es bemerkt, dass ihm eine vorbeifliegende Taube einen Glücksgruß auf der Schulter hinterlassen hatte. Tod musste an die Worte von Victor denken.

      Er wollte zwar primär Liebe spüren, aber wenn er in der Lage sei, Liebe zu schenken, dann könnte er dem ganzen einen Schritt näher kommen. Er ist schon eine ganze Weile in dem Park, doch was er bisher auch versuchte, ihm entgegnete viel Dankbarkeit, aber die Nächstenliebe die er zu geben versuchte, spiegelte sich nicht in den Augen derer, denen er geholfen hatte.

      Er half einer alten Frau auf, die gestürzt war, er vereitelte einen Taschendiebstahl und er versenkte eines der kleinen Segelboote auf dem Schlossteich, um einem Jungen zum Sieg zu verhelfen.

      Alles bis auf das Letztere konnte man jedoch nur als gute Tat zählen. Um Nächstenliebe zu geben und zu erhalten, muss man selbstlos sein und handeln, aber das schien der Tod nicht zu begreifen. Mehr Erfolg hätte er gehabt, wenn er dem Bettler neben ihm etwas zum Essen und Trinken gegeben hätte, denn dessen Magen hing laut hörbarin den Knien. Doch für so etwas hatte Tod kein Gespür. Bei diesem Obdachlosen hätte er mit richtigem Zutun das bekommen können, was er suchte. Aber da der Tod gewissermaßen gefühlsbehindert ist, kann man ihm das nicht übel nehmen. Er war innerlich sehr unruhig, da er immer mehr merkte, dass er nicht einmal den Grundbaustein der Liebe entwickeln konnte. Selbst wenn er es geschafft hätte, in einem Menschen herzergreifende Dankbarkeit entstehen zu lassen, würde das Ganze nicht zählen, da es nicht selbstlos war. Er hilft im Moment nur aus einem persönlichen Grund und das gibt einen faden Beigeschmack. Enttäuscht gab der Tod schon nach kürzester Zeit auf. Das erste Mal in seiner Laufbahn schien ihm egal zu sein, was für ein Chaos er mit dem Nichterfüllen seiner Arbeit geschaffen hatte. Er stand von der Bank auf und spazierte ein paar Meter durch den Park. Noch nie hatte sich der Sensenmann so viel Zeit für sich genommen um auf der Erde zu wandeln. Trübselig schlenderte er dahin.

      Tods innere Ruhe wurde von einem grellen Schrei unterbrochen. Dieser Schrei kam von einer Buschreichen Seite des Parks. Unter normalen Umständen hätte Tod dies einfach ignoriert, denn in menschliche Angelegenheiten wollte er sich nie einmischen. Doch da Tod heute etwas menschlicher war als sonst, entschied er sich dem Ganzen nachzugehen. Er durchquerte ein dichtes Gebüsch und konnte sehen, wie zwei Männer eine Frau zu Boden drückten. Ein dritter war gerade dabei sie zu entkleiden. Die Frau wimmerte, doch weitere Schreie brachte sie nicht heraus, da ihr der Mund zugehalten wurde. Bisher bemerkte den Sensenmann noch niemand, zumindest keiner von den drei Männern. Er sah in den Augen der Frau Hilflosigkeit, Angst und dann eine leichte Beruhigung als sie ihn sah.

      »LASST AB VON IHR, WIDERLICHES GESINDEL!«

      Erschrocken drehte sich der Mann um, der gerade dabei war, die Hose der Frau herunterzuziehen.

      »Das hier geht dich nichts an! Verpiss dich!«

      »OH, ICH GLAUBE SCHON, DASS MICH DAS ETWAS ANGEHT.... ZUMINDEST HEUTE.«

      »So…, da will einer Held spielen! Martin, Franc, kümmert euch um ihn!«

      Die anderen beiden standen auf und gingen auf den Tod zu. Der scheinbare Anführer der Bande widmete sich wieder der Frau.

      »AN EURER STELLE WÜRDE ICH JETZT DAS WEITE SUCHEN!« befahl Tod mit dunkler Stimme.

      »Als ob wir von so einer halben Person wie dir Angst hätten!« lachte einer der beiden. Sie holten beide ein Messer heraus und stachen dem menschlichen Körper von Tod in Brust und Magen. Das Gelächter der beiden verstummte jedoch sehr schnell wieder. Das weiße Hemd des Tods blieb seiner Farbe treu. Eigentlich müsste es sich blutrot färben. Tod setzte sein scheußlichstes Lachen auf und packte die beiden am Hals. Er hob sie nach oben, als würden sie nur ein paar Gramm wiegen. Ihm gefiel das Entsetzen in ihren Augen. Er war gerade dabei, ihnen die Seele aus dem Körper zu drücken, als er sein Vorhaben abbrach. Ihm wurde langsam klar, wie viel Chaos er mit dem Nichterfüllen seiner Arbeit hinterlassen hatte. Er konnte jetzt nicht auch noch zwei Seelen holen, die noch nicht dazu bestimmt waren, zu gehen. Er schämte sich in diesem Moment ein wenig, da er das erste Mal seit der Entstehung des Universums seine Arbeit hat schleifen lassen. Er beschloss, diesen Zwischenfall schnell zu beenden, um dann zu seinem Anwesen zurück kehren zu können. Er ließ die beiden Typen fallen, die er nun schon so arg drückte, dass sie bewusstlos waren.

      Währenddessen hatte der Dritte die Frau bis auf die Unterwäsche entkleidet. Tod tippte ihm auf die Schulter.

      »VERZEIHUNG, ICH WÜRDE JETZT GERNE ETWAS MIT DIR SPIELEN! DIE ANDEREN BEIDEN SIND MIR KAPUTT GEGANGEN!«

      Der Mann drehte sich erschrocken um. Er sah Martin und Franc am Boden liegen. Er ließ von der Frau ab, welche sich noch immer ängstlich am Boden zusammenkauerte.

      Er zückte ebenfalls ein Klappmesser aus der Hose.

      »Du weist wohl nicht wer ich bin!« schrie ihn der Typ an.

      »Ich bin Mathis Orlande! Der Bruder von GRCHAAAAA….«

      Er konnte den Satz nicht beenden, da Tod ihn am Halse packte.

      »DU WEIST WOHL NICHT WER ICH BIN! ICH BIN DER TOD!« Er gewährte Mathis einen Einblick in seine wahre Gestalt. Danach schliff er den paralysierten Bruder des GRCHAAAA an den Haaren zur Frau zurück. Diese hatte sich in der Zwischenzeit wieder angekleidet und nichts von Alledem mitbekommen.

      »JETZT ENTSCHULDIGE DICH BEI DER MADAME!« befahl er in einem harschen Ton.

      »I…Ich bitte um Verzeihung Mademoiselle!« stammelte Mathis.

      Die Frau ging auf ihn zu und verpasste ihm einen gezielten Tritt zwischen die Beine. Damit begab sich nun auch Mathis ins Reich der Bewusstlosen.

      Die Frau ging auf Tod zu und umarmte ihn weinend.

      »Ich danke dir! Du hast mich gerettet und vor schlimmen Dingen bewahrt. Du kennst mich nicht und hast dein Leben für mich riskiert.« Sie schaute ihm in die Augen und drückte ihm einen dankenden Kuss auf die Wange.

      »GERN GESCHEHEN!« sprach Tod.

      »Wie kann ich ihnen meine Dankbarkeit ausdrücken?«

      Tod sah in ihren Augen genau das, was er so lange gesucht hatte. Von Herzen kommende Dankbarkeit und mitmenschliche Liebe. Nach all den Strapazen die der Tod hier im Jardin du Luxembourg hatte, (Strapazen in dem Sinne, da er sich ernsthaft um etwas bemühte), hatte er nun endlich den Grundbaustein der Liebe gefunden. Er hatte das Herz von Jemandem berührt. Er fühlte sich innerlich ein wenig merkwürdig. In ihm machte sich ein Gefühl breit, welches er sonst nur hatte, wenn auf seiner Liste ein Arzt abgehakt wurde. Es war Freude.

      »SIE HABEN MIR SCHON GENUG GEGEBEN! HABT DANKMADAME. ICH MUSS NUN WEITER.«

      »Sie sind ein wunderbarer Mensch. Ich danke Ihnen von Herzen. Ich würde mich sehr freuen, wenn ich sie wieder sehen könnte.«

      »DAS WERDEN SIE! WENN AUCH NICHT IN NÄCHSTER ZEIT! ADIEU!«

      Tod hob seine Hand und winkte zum Abschied. Die Frau ließ ihm einen Handkuss zukommen.

      »Ich danke ihnen Monsieur Danke!«

      Die Dankesrufe endeten erst als Tod so weit entfernt war, dass die Sirenen der herannahenden Gendarmerie die Stimme der Frau übertönten. Tod wollte gerade die Welt der Sterblichen verlassen, um seiner Arbeit nachzukommen, als er erneut Schreie hörte.

      Gevatter Tod sah, wie sich ein paar Meter vor ihm eine größere Menschenmenge an einem Pavillon des Schlossparks versammelte. Die Menge schien recht aufgebracht zu sein. Hilfeschreie durchzogen die ruhige Idylle. Tod begab sich zu der Menschentraube, um zu erfahren, was dieses Mal in dem sonst so ruhigen Park zum Schreien veranlasst hatte. Er schlängelte sich an ein paar Leuten vorbei und sah einen Mann, der von einer Stange durchbohrt war.Der Mann stürzte scheinbar von seinem Fahrrad und flog rücklings auf einen Begrenzungspfahl. Spätestens jetzt merkte Tod, was er angerichtet hatte. Die Menschen um ihn herum brachen in Panik aus. Viele fragten sich leise, wie es möglich ist, dass dieser Verunglückte überhaupt noch am Leben war. Der Durchbohrte versuchte sich sogar einige Male aufzurappeln. Tod wusste sofort, dass erschnell eingreifen muss.

      Elvira und Victor waren während der gesamten Zeit auf der ganzen Welt im Namen des Todesengels unterwegs. Victor hatte sich sein ganzes Leben lang eine Weltreise gewünscht. Er wäre aber lieber länger an einem Ort geblieben, um mehr von seiner kulturellen Schönheit zu sehen. Der alte Mann war zwar auf jedem Kontinent, das einzige was ihm jedoch von seiner Reisebegleitung dargeboten wurde, waren entsetzlich entstellte lebende Tote. Was anderes war eigentlich auch nicht zu erwarten, wenn man in Abwesenheit des Todes nur die Härtefälle abholt, um das drohende Unheil etwas einzudämmen.

      Es war immer das selbe Spiel; an einem Ort angekommen, kurz orientiert, sich einen Überblick über die Lage verschafft und dann den eigentlich Toten mit einem Sensenschnitt ins Jenseits befördert. Bei diesen lebenden Toten darf man nicht den Fehler machen, sie mit Zombies zu vergleichen, da letztere einen unendlichen Drang nach Gehirnen haben.

      Gerade eben waren die beiden dabei Kosrae, eine Insel im Zentralpazifik, zu verlassen. Hier holten sie eine Frau mittleren Alters, die bei einem Haiangriff ein Bein verloren hatte und trotzdem nicht verbluten wollte. Die kleine Mikronesieninsel war der erste Ort an diesem Tage, der vor Schönheit funkelte und das trotz dem unschönen Anblicks des Haiopfers. Wäre Victor noch jünger, würde er hier seinen gesamten Urlaub verbringen und die Wälder dieser Insel nach seltenen Insekten durchforsten. Neben der Uhrensammlung war die Insektenwelt Victors Leidenschaft. Es schien so, als würde er Gefallen an den kleinen Dingen im Lebenfinden; seine Mina war auch nur knappe 1,50 Meter.

      Die wenigen Sekunden Abenteuersehnsucht verblassten schnell, da die beiden mit einem Sensenstielschlag den Pazifikraum verließen.

      Eben noch warme Sonnenstrahlen tankend, verspürte Victor jetzt eine infernale Kälte. Sie waren jetzt auf Elephant Island, einer unbewohnten Insel im südlichen Ozean. Südlich sollte hier jedoch nicht mit warm assoziiert werden, da dieses Eiland nahe der Antarktis lag. Die Kälte hier war wie ein hungriger Wolf. Sie biss sich erbarmungslos ins Fleisch und nagte jedes noch so bisschen Wärme von den Knochen. Wüsste Victor nicht, dass Sterben im Momentunmöglich ist, würde er laut aussprechen, dass er kurz vor dem Erfrieren ist. Es schneite hier so stark, dass man kaum etwas erkennen konnte. Elvira stand nur wenige Meter vor ihm, doch sehen konnte er sie nur schemenhaft.

      »He, alter Knabe! Kannst du unser Blind Date irgendwo sehen? Hier scheint niemand zu sein!«

      »Ich sehe gar nichts! Ich kann nicht einmal die Hand vor Augen sehen!« antwortete Victor zähneklappernd.

      »Sehr merkwürdig, normalerweise treffen wir direkt neben dem Abzuholenden ein… !« Elvira blickte unsicher umher.

      Neben dem Klirren einer eisigen Böe trat auch Geschrei ins Ohr.

      Elvira konnte in der Ferne Menschen erkennen, die auf dem Boden knieten und hektisch mit den Armen an diesem schabten. Elvira richtete einen Blick nach unten. Sie kniete sich ebenfalls hin und wischte den knöchelhohen Schnee zur Seite.

      »Wir befinden uns auf einem zugefrorenen See!« Sie blickte auf die Sanduhr an der Sense.

      »Ich vermute Pat McNeill befindet sich direkt unter unseren Füßen! Schnell, wir müssen ihn finden!«

      Victor kniete sich auf den Boden und machte eine schneebedeckte Stelle frei. Er ging nah an das trübe Eisfenster um zu sehen, ob er etwas erkennen konnte. Zwei weit aufgerissene Augen blickten direkt in die seinen. Vor Schreck machte Victor einen rückwärtigen Purzelbaum. Jeder Punktrichter hätte ihm für diese Einlage eine9,00 gegeben.

      »Ich hab ihn! Hole ihn und dann weg!«

      »Dir wird doch nicht kalt sein?!« amüsierte sich Elvira.

      Victor richtete sich wieder auf und klopfte den Schnee von der Kutte.

      »Bitte lass den nächsten Ort die Sahara sein….mir ist kalt!« murmelte Victor leise vor sich hin.

      Elvira holte mit der Sense aus und fuhr mit ihr durch das Eis. Die Seele des im Eis eingebrochenen Polarforschers verließ den Körper.

      »Gib mir die nächste Uhr, damit wir aufbrechen können!«

      »Ja, sonst pinkle ichdemnächst Eiswürfel!«

      Victor öffnete den Sack und holte eine neue Uhr heraus.

      »Das ist die Vorletzte!«

      »Prima!«

      Tods Stellvertreterin befestigte sie ebenfalls am Sensengriff und klopfte mit dem Stil auf das Eis.

      Die Reise führte nicht wie gehofft in die Sahara, sondern in ein mexikanisches Staatsgefängnis. Dort war gerade eine Hinrichtung im Gange. José Dominguez, ein zum Tode durch den elektrischen Stuhl verurteilter Drogenboss und Mörder, saß bereits seit einer Stunde auf diesem. Die Wärter schienen recht gestresst zu sein. Das lag daran, dass sie José bereits fünfmal die volle Ladung gaben, dieser aber nur Verbrennungen davonzog. Er saß auf dem Stuhl und lachte hämisch. Ein Elektriker eilte hinzu um die Stromversorgung zu testen. Der Direktor hielt ein Mobiltelefon am Ohr und sprach mit dem regionalen Polizeipräsidenten.

      Elvira und Victor beobachteten diese Situation vom Zuschauerraum aus, in dem sich neben den beiden einige Personen befanden, die den Drogenboss endlich tot sehen wollten. Sie spuckten gegen die Scheibe und stießen die wildesten Schimpfwörter heraus. Josés Lachen stieß durch den Raum.

      »HAHA! Usted no me puede matar! Ni siquiera la muerte puede hacer eso! He vencido a la muerte!«

      Victors angelernte Spanischkenntnisse reichten aus, um zu erkennen, dass sich Dominguez über den Tod lustig machte.

      Er prahlte damit, selbst über dem Tod zu stehen.

      »Der Maisfresser macht sich über deinen Meister lustig; du solltest ihm das Mundwerk stopfen.«

      »Ich warte noch einen Augenblick. Gleich werden sie es erneut versuchen. Er soll so sterben, wie es geplant war. Er soll die Schmerzen noch einmal spüren, die er in seinem Leben verteilt hatte.«

      Elvira nahm schon einmal die letzte Uhr aus dem nun leeren Sack und montierte sie an ihrem Arbeitswerkzeug.

      »Jacques Horace ist unser letzter Fall! Danach müssen wir meinen Herren finden!«

      »Die Welt ist riesig, wie sollen wir das bewerkstelligen?« fragte der alte Mann.

      Sorgenfalten breiteten sich auf Elviras Stirn aus.

      »Ich weiß nicht. Er hält sich gerne an Orten auf, an denen viele verliebte Pärchen zu finden sind. Was sind denn die bekanntesten Orte für Verliebte?«

      »Nun….zu den bekanntesten Städten der Liebe gehören neben Paris auch Venedig, Verona, Rom, Las Vegas und Sankt Petersburg!« erklärte Rorschach.

      »Verona und Rom können wir streichen!« meinte Elvira.

      »Wie kannst du dir da so sicher sein?«

      Elvira zog ihre Kapuze ein Stück zurück und streifte sich durchs Haar.

      »Rom kann mein Meister wegen dem ganzen Kirchenkram nicht leiden und Verona ist für ihn die Stadt der Unliebe!«

      »Wie das denn? Verona hat mit Romeo und Julietta eine der schönsten Liebesgeschichten.«

      »Geschichten…..du sagst es! Tod erzählte mir einmal, dass diese beiden für ihn die größte Enttäuschung in Sachen Liebe darstellen. Als Julietta das Jenseits erreichte, hatte sich Romeo schon aus dem Staub gemacht.Vater hielt viel von den Beiden und ärgert sich noch heute über diese Zeitverschwendung.

      Oh, pass auf, gleich ist Showtime!«

      Victor sah wie ein Wächter erneut den Hebel nach unten drückte.

      Elvira machte einen Satz durch die Wand und stieß José die Seele aus dem Leib.

      Die eben noch wütenden Leute tanzten vor Freude, als sie sahen, dass der elektrische Stuhl nun endlich seinen Dienst erwies. Auch den Wächtern konnte man die Erleichterung ansehen.

      »Auf geht’s Victor! Gleich haben wir es geschafft!«

      »Ja, zumindest den ersten Teil! Ich glaube Tod zu finden wird das größere Übel sein.«

      »Wir werden sehen!«

      Victor nahm Elviras Hand, um die letzte Dienstreise anzutreten.

      Der Sensengriff schlug auf den Boden und im nächsten Augenblick waren die beiden inmitten eines Parks. Sie standen inmitten einer riesigen Menschenmenge. Vor ihnen lag Jacques, den sie holen mussten, um endlich nach Tod suchen zu können.

      Der Franzose stürzte vom Rad und landete unglücklicherweise auf einem dünnen Begrenzungspfahl, der ihn durchbohrte.

      Elvira holte aus und beendete den Todeskampf.

      Tod war verwundert. Er wollte gerade aus der Menge treten und die Seele holen, als er merkte, dass der gepfählte nun tot war.

      Er konnte sich das nicht erklären, da nur er fähig war, die Toten hinüberzugeleiten. Da Elvira und Victor Tods Kapuzenumhänge trugen, konnte selbst er die beiden nicht sehen.

      Elvira wollte gerade anfangen, einen Schlachtplan zum Auffinden ihres Meisters zu schmieden, als sie eine vertraute Aura spürte.

      »Victor…..Victor….«

      Sie zupfte an Victors Robe.

      »Ja! Was ist los? «

      »Ich glaube er ist hier in unmittelbarer Nähe! Ich kann seine Anwesenheit spüren!«

      Die beiden blickten in die Menschenmenge. Elvira erblickte den menschlichen Körper ihres Meisters.

      »Da! Der blasse Typ mit dem Anzug. Das muss er sein. Was das Erschaffen eines Körpers anbelangt war Tod noch nie sonderlich einfallsreich!

      »Meinst du?«

      »Ja, da bin ich mir absolut sicher!«

      Die beiden liefen hinter das Pavillon und streiften die Kapuzen herunter damit sie sichtbar wurden. Elvira rannte auf den Tod zu.

      Tod, der immer noch voller Verwunderung regungslos da stand, hörte eine vertraute Stimme.

      »Meister, seit ihr es?«

      Er erblickte Elvira, was nicht zu weniger Verwunderung führte.

      »JA ICH BIN ES! WAS MACHST DU HIER? ICH HABE DIR NICHT GESTATTET…..«

      Die stürmische Umarmung von Elvira brachte Tod zum Schweigen.

      »Ich habe mir solche Sorgen gemacht! Ich dachte schon dir sei etwas zugestoßen!« sagte Elvira mit weinerlicher Stimme.

      Tod war mit der Situation sichtlich überfordert.

      Was aber auch daran lag, dass ihm nun schon zum zweiten Mal Liebe widerfahren ist. Erst die dankbare Liebe zu Mitmenschen, die er bekommen hatte und nun wurde ihm klar, dass er auch von einem Menschen geliebt wurde. Er konnte die Liebe zwar immer noch nicht spüren, aber er hat heute vieles dazugelernt. Ihm war klar, dass er sie nie spüren wird, da er kein Herz besitzt.

      »JETZT IST ABER GUT! LASSE VON MIR AB UND REIßE DICH ZUSAMMEN! MIR KANN NICHTS GESCHEHEN.

      WAS MACHST DU HIER EIGENTLICH?«

      Elvira trat einen Schritt von ihm zurück.

      »Ich…..Wir haben vierhundert Leute geholt, um das entstandene Chaos einzudämmen.«

      »WIR? AH, DU BIST AUCH HIER!«

      Tod blickte zu Victor, der im Hintergrund verweilte.

      Victor nickte zustimmend.

      Elvira berichtete dem Tod von dem Chaos im Saal der Bücher und auf der Erde und wie sie in seine Rolle schlüpfte um das Ganze einzudämmen.

      Gevatter Tod wurden erst jetzt die gesamten Ausmaße seiner Nichterfüllung der Pflichten klar.

      »WAS HABE ICH MIR NUR DABEI GEDACHT?« brummte er leise.

      »HABT DANK IHR ZWEI, VON NUN AN ÜBERNEHME ICH WIEDER.

      WARTET HIER AUF MICH, ES DAUERT NUR EINEN WIMPERNSCHLAG.«

      Tod war zwar nicht wirklich so schnell, aber da er die Zeit beeinflussen konnte, verlief diese sehr träge.

      Und tatsächlich….nach gefühlten drei Sekunden war der Tod wieder zurück.

      Er reiste mit den beiden in sein Anwesen zurück. Als erstes betrat er den Saal der Bücher, stieg zur Kanzel empor und dirigierte wie ein Konzertmeister die Bücher an ihre Plätze zurück. Die eingestürzten Regale setzten sich zusammen und wuchsen in die Höhe. Schon nach kürzester Zeit war von dem Chaos nichts mehr zu sehen.

      Er verließ den Saal und stieg die Stufen in sein Wohnzimmer hinauf, in dem Victor auf ihn wartete. Victor hatte es sich in dem Sessel gemütlich gemacht und schien zu schlafen. Das konnte man ihm auch nicht verübeln, schließlich war es heute ein sehr anstrengender Tag. Vor allem für einen neunzig jährigen Greis. Tod setzte sich in den Sessel gegenüber.

      »WACH AUF ALTER MANN, SCHLAFEN KANNST DU WENN DU TOD BIST!«

      Die Worte von Tod holten Victor aus seinem kurzen Nickerchen.

      »Du sagst es; wenn…..aber dazu musst du mich erst einmal in dieser Schachpartie schlagen!«

      »WO WAREN WIR STEHEN GEBLIEBEN?«

      Rorschach deutete auf das Spielfeld.

      »Ich habe meine Dame auf dieses Feld gesetzt, das heißt du bist dran!«

      Tod durchdachte seinen nächsten Zug.

      »Habe ich dir helfen können mit meinen Ratschlägen? Hast du etwas dazulernen können?«

      »GEWISS! ICH WUSSTE NICHT, DASS ICH LIEBE EMPFANGEN KANN OHNE SIE ZU SPÜREN. DU HAST MIR SEHR WEITERGEHOLFEN. ICH HATTE MICH NICHT IN DIR GETÄUSCHT.«

      »Das ist zuviel der Ehre. Ich habe dich nur darauf aufmerksam gemacht.«

      »ICH MACHE DICH JETZT AUCH AUF ETWAS AUFMERKSAM!«

      Tods Reiter stürmte auf Victors Dame zu und stach mit seinem Schwert auf diese ein, bist sie zu Boden ging.

      »SCHACH!«

      Victor setzte seinen König ein Feld zur Seite.

      Einer von Tods Türmen lief in die gegnerische Hälfte.

      »SCHACH…..MATT!«

      »Gutes Spiel!«

      »DANKE FÜR DIE BLUMEN! DU WEIßT WAS DAS BEDEUTET?!«

      »Ja klar! Bringen wir es hinter uns.«

      Victor nahm das ganze gelassen. Schließlich freute er sich schon auf seine Mina. Das Spiel fand ein schnelles Ende, da er sich auch gar nicht mehr sonderlich bemühte.

      »War schön dich kennen gelernt zu haben, richte Elvira meine Grüße aus.«

      »DAS WERDE ICH! HAB NOCH EINMAL DANK! MEIN WISSEN WURDE DANK DIR BEREICHERT.

      ICH VERSTEHE DIE LIEBE EIN STÜCK WEIT BESSER.

      BIS BALD VICTOR, ICH BEHALTE DICH IM AUGE!«

      »Mach was du nicht lassen kannst….Ade.. «

      Tod nahm seine Sense und beendete seinen letzten Regelbruch indem er Victors Seele vom Körper trennte.

      Victor sah ein grelles Licht, auf welches er sich langsam zu bewegte. Am anderen Ende des Lichttunnels sah er Mina warten. Sein freudiges Lachenging über das ganze Gesicht. Hätte er noch seinen Körper, würde er jetzt vor Freude weinen. Mina freute sich nicht weniger. Die beiden hatten sehr lange aufeinander gewartet. Da ihre Körper nur optisch existierten, aber nicht von fester Materie waren, konnten sie sich nicht umarmen.

      Auch eine Stimme hat die Seele nicht mehr. Victor wollte so viel sagen und konnte es nicht. Der Blick in ihre Augen konnte aber all die Liebe widerspiegeln, die sie gegenseitig empfanden.

      Die beiden blickten sich endlose Zeiten in die Augen.

      Irgendwann schwebte Minas Seele davon. Sie zeigte ihm, dass er folgen soll, was dieser auch tat. Die beiden erreichtenden Ort, an dem die Seelen gereinigt werden und in einen neugeborenen Menschen geschickt werden. Victor zögerte. Schließlich hatte er seine Mina gerade erst wieder gefunden.

      Gerade erst ist im Jenseits schwer bestimmbar. Die Zeit, die verstrichen ist, als sich die beiden in die Augen sahen,betrug auf der Erde zwanzig Jahre.

      Eine Reinigung bedeutet, dass sie sich vergessen. Mina nickte mit dem Kopf und sagte ihm damit, dass es das Richtige sei. Victor wusste, dass es weitergehen muss, da der hüllenlose Zustand nichts für die Dauer war. Deshalb entscheiden sich auchalle Seelen für eine Widergeburt. Dankende Blicke voller Liebe sendete Victor seiner Mina. Sie schickte ihm ein letztes Lächeln und verschwand in einem hellen Tunnel, an dessen Ende ein neuer Körper wartete. Victor trat wenige Sekunden danach ebenfalls in das Licht und verschwand.

      Sechs Jahre vergingen seitdem….

      Der Sensenmann war gerade in seinem Wohnzimmer und hantierte mit einemriesigen Teleskop. Er hatte es extra erschaffen, damit er jederzeit auf jeden beliebeigen Punkt der Erde sehenkonnte.Mit dem Teleskop konnte Tod jeden Winkel des Weltalls betrachten. Er konnte damit durch Mauern und in tiefste Gewässer blicken.Jetzt mag man sich fragen, für was der Tod solch ein Teleskop braucht….nun….nach dem großen Chaos entschied er sich, seinem Steckenpferd von hier oben aus nachzugehen und sich nicht mehr in die Angelegenheiten der Menschen einzumischen. Er hatte sich geschworen nie mehr seine Arbeit zu vernachlässigen. Im Moment richtete er seinen Blick auf eine Grundschule in einem kleinen verschlafenen Örtchen in den Alpen.

      Dort saß in einer mittleren Reihe der sechsjährige Michael.

      Es war sein erster Schultag. Michael schaute ständig auf die große Klassenuhr. Nicht aber um zu hoffen, dass die Zeit schneller rum geht, sondern weil ihn Uhren allgemein faszinierten. Er wusste nur nicht warum. Die Klasse füllte sich langsam mit immer mehr neuen Schülern. Der Platz neben Michael war noch frei. Ein Mädchen mit braunem kurzen Haar ging auf Michael zu.

      »Ist der Platz da noch frei?«

      »Ja!«

      »Dann setzte ich mich hier her!«

      »Ich heiße Michael, und du?«

      »Ich heißeKatharina.«

      Die kleine Katharina schenkte Michael ein Lächeln, was dieser erwiderte.

      »Schau mal was ich in meiner Schultüte habe!«

      Michael zog einen Lutschring aus der Tüte.

      »Ui, die kenne ich ! Die finde ich ganz toll!«

      »Magst du auch einen? Ich hab zwei!«

      »Oh ja!«

      Michael zog einen zweiten Lutschring heraus und streifte ihn Katharina über den Finger.

      Tod beobachtete es mit großer Freude.

      »DEN GRUNDSTEIN HABE ICH EUCH GELEGT, DEN REST MUSS DIE LIEBE SELBST SCHAFFEN!«

      Tod lehnte sich in seinen Sessel zurück, von dem aus er das Treiben beobachtete.

      »ICH BIN JA MAL GESPANNT!«

      »Gespannt… worauf?« fragte Elvira, die gerade den Raum betreten hatte.

      »NICHTS BESONDERES! NUR SO EINE SACHE DIE ICH BEOBACHTE.«

      »Um wen geht es denn? Ständig hängst du an deinem Fernglas!«

      »DAS MEINE LIEBE, BLEIBT MEIN GEHEIMNIS!

      HAST DU NICHT NOCH ETWAS ZU ERLEDIGEN?«

      »Wir sind ja heute wieder freundlich! Ich gehe ja schon…«

      Elvira verließ den Raum und ging in den Saal der Bücher, da sie so eine Vermutung hatte. Sie stieg zur Kanzel empor und schrie zwei Namen in den Saal.

      Kurz darauf flatterten die Bücher von Victor Rorschach und Mina Richter zu ihr. Sie schlug beide auf und blätterte jeweils zur letzten Seite.

      Dort las sie genau das, was sie vermutete.

      Die letzten Zeilen der Bücher lauteten:

      -----------------------------------------------------------------------------

      Victor Rorschach, wiedergeboren am 19.04.2035

      als Michael Seiler in Buchenmühl

      ----------------------------------------------------------------------------

      Mina Richter, wiedergeboren am 19.04.2035

      Als Katharina Hofstetter in Buchenmühl

      -----------------------------------------------------------------------------

      Ein Grinsen machte sich in ihrem Gesicht breit. Dieses Buch hatte sich nicht selbst weitergeschrieben. Sie erkannte Tods Handschrift. Er hatte es hineingeschrieben um dem Schicksal ein wenig nachzuhelfen.

      Elvira schloss die beiden Bücher und machte sich wieder an ihre Arbeit.

      Das Handeln von Gevatter Tod ist nicht immer nachvollziehbar.

      Diese Tat war ein Beweis dafür, dass der Tod viel über die Liebe gelernt hatte. Ich mag sogar behaupten, dass er die Nächstenliebe seither in sich trägt. Diese Handlung war selbstlos und zeigte, dass der Tod ein großes Herz besitzt, wenn es auch nicht wirklich da ist.

      Wahre Liebe ist etwas Kostbares und Rares. Nicht jeder kommt in den Genuss, von ihr zu kosten. Wer sie einmal gefunden hat, der muss zu jedem Zeitpunkt alles für sie geben.

      Dieser Beitrag wurde bereits 2 mal editiert, zuletzt von Bon_Curry ()

    • Eine interessante Geschichte die du dir ausgedacht hast. Ich weiß wie sich diese Formulierung Anfühlt aber besser kann ich es leider nicht Beschreiben.

      Ich selbst hab mir nicht so viele Gedanken über den Tod gemacht, aber deine Auslegung hat mir sehr gefallen.

      Handlung:
      Bei de Einführung der Charaktere bist du klassisch geblieben und hast es sehr gut verstanden die Situation realistisch darzustellen. Was mich besonders freut ist das ich bei keinem Zeitpunkt das Gefühl hatte ein Deja vu zu lesen. Das Gebäude hat gut in die Geschichte gepasst, genauso wie die gesamte Einrichtung. Auch wenn mir die Funktion der "Vorhalle", bzw; der Eingang dazu nicht ganz klar ist. Deine Erklärungen waren gut angestimmt und zu den Richtigen Zeitpunkten gesetzt, so das sie informiert und nicht gestört haben.Nur; wolltet du mit dem deinem doppelten Hinweis das der Tod aus einer Laune heraus handelt auf etwas bestimmtes hinaus? Zumal der Protagonist das ja anders aufgefassten hat?
      Mit den Helfern hast du uns Lesern eine andere Seite des Todes gezeigt. Da hast eine gute Balance zwischen detaillierter Beschreibung und Distanz gefunden. Mit dem Ende hast du bewiesen das auch ein alter Hund noch was lernen kann.

      Tod:
      Klassisches Aussehen, geduldig und nachvollziehbare Gefühlslage. Was mich etwas verwundert war das du seine Kleidung nicht geändert hast. Nicht um Beruflich und Freizeit nochmal zu betonen, sondern für den weiteren Verlauf der Geschichte wehre es besser Nachzuvollziehen. Das auch der Tod seine Laster hat fand ich sehr Angenehm und hat ihm noch sympathischer gemacht. Noch kurz zu seinem Einfallsreichtum; gegen seine Kleidung hab ich nichts einzuwenden, aber muss er wirklich immer nach "Tod" aussehen?

      Der Protagonist:
      Eine sehr durchdachter Charakter, den du gut in Szene gesetzt hast. Was mir bei ihm gut gefiel; du hast ihm zwei Dinge gegeben die er nie vergessen konnte.

      Die Haushälterin:
      Wieder ein gut gemachter Charakter mit Ecken und Kanten. Sehr pflichtbewusst und selbständig. Vor allem hat mich überrascht wie schnell sie wusste was zu tun ist, immerhin gab es diese Situation noch nie. Warum hat sie graue Strähnen in ihrem Alter? Sollte das ihre Verbindung zum Tod unterstreichen?

      Fazit:
      Also mir hat deine Geschichte gut gefallen und ich hoffe das du dein Buch veröffentlichen kannst.

      Viel Glück.

      PS: das hoffe ich auch.i
    • Benutzer online 1

      1 Besucher

    • 2 Benutzer haben hier geschrieben