Es war einmal vor langer Zeit… da zückte der Onkel Prancer sein Geschichtsbuch und startete eine Dreierserie von Mangathreads zu Serien, die sich allesamt als Historienmanga verstanden. Doch beleuchteten alle drei jeweils einen anderen Zeitabschnitt in einer bestimmten Region. Da geht es einmal 2.300 Jahre in die Vergangenheit nach China, ein anderes Mal in die Mitte des 16. Jahrhunderts nach Japan und zu guter Letzt noch nach Zentralasien, in die unmittelbare Nähe des kaspischen Meeres, ins 19. Jahrhundert.
In diesem Thread soll es um die Manga-Adaption eines mehrfach preisgekrönten, gleichnamigen Romans von Sakemi Ken’ichi aus dem Jahre 1991 gehen: Bokkō von Mori Hideki und Kubota Sentarō. Das Werk entführt in eine Zeit, die gemeinhin als „Ära der Streitenden Reiche“ in den chinesischen Annalen bezeichnet wird und sich zwischen 475 v. Chr. und 221 v. Chr. einordnen lässt.
Zwar nimmt Mori im späteren Verlauf mehr und mehr Abstand von der Buchvorlage und schreibt einen großen Original-Handlungsbogen, doch weiß die Geschichte des Werkes trotz allem sehr zu gefallen und kann sich auch unter qualitativen Gesichtspunkten sehen lassen. Als logische Folge wurde dem Werk im Jahre 1994 der Shogakukan-Mangapreis in der Kategorie „Bester Seinen-Manga/Manga allgemein“ verliehen. (Dasselbe Jahr, in dem auch Inoues SLAM DUNK als bester Shōnen-Manga ausgezeichnet wurde!)
Tauchen wir also in ein Geschichtsepos ein, das in eine fremde und exotische Welt entführt und in dessen Zentrum ein Märtyrer steht, der die Bezeichnung „Titelheld“ (der Geschichte) wie kaum ein zweiter verdient…
Allgemeine Informationen
Schauplatz der Geschichte ist China zur Zeit der streitenden Reiche, einer äußerst unruhigen und wirren Epoche, in der das Land in sieben große Staaten aufgeteilt war: Wei, Zhao, Han, Qi, Yan, Chu und Qin. Jene sieben Reiche standen im steten Zwist miteinander und kämpften unerbittlich um die Vorherrschaft des Landes. – Inmitten dieser Kriegsunruhen existierte nun zudem noch eine gänzlich unabhängige Kraft, namentlich die „Männer von Boku“ oder auf Japanisch Bokka, eine vom Philosophen Mozi (jap. Bokushi; *480 v. Chr., † 390 v. Chr.; zugehöriger dt. Wikipedia-Artikel) ins Leben gerufene Schule, die sich für den Frieden und gegen jegliche Formen des Krieges einsetzte. Die Bokusha verurteilten Krieg als das größte Verbrechen an der Menschlichkeit und sicherten folgerichtig Städten und Staaten, die unter militärischem Angriff standen, ihre Unterstützung zu und stellten sich in den Dienst ihrer Verteidigung.
Die Geschichte von Bokkō beginnt nun damit, dass sich die Stadt Ryō, Hauptstadt der Region Yan (jap. Name: En), durch die militärischen Bestrebungen des mächtigen Staates Zhao (jap. Name: Chō) in Gefahr sieht. Ryōkei, König von En, ersucht daraufhin die Männer von Boku um Hilfe, doch scheint sein Hilferuf nicht erhört zu werden. Mehr als 5.000 feindliche Soldaten haben bereits Stellung an den Ufern des Ekisui-Flusses bezogen, der gut zwei Kilometer vor den Stadtmauern Ryōs verläuft. Weitere 10.000 Soldaten sind auf dem Weg. Die Hauptstadt von En ist zahlenmäßig weit unterlegen, zählt sie nur gut 4.000 Einwohner, die meisten davon Bauern, von denen ein erheblicher Anteil zudem auch Frauen, Kindern und Alte ausmachen.
Gerade als man die Hoffnung schon aufgeben will, tritt jedoch einer der legendären Bokusha auf den Plan, namentlich Kakuri, Hauptfigur der Geschichte. Seine Hiobsbotschaft: Er ist die einzige Unterstützung, die Ryō von den Männern von Boku zu erwarten hat. Aber verspricht Kakuri seine uneingeschränkte Loyalität und schwört bei seinem Blut, Ryō vor den Angriffen der 15.000 Soldaten von Chō zu verteidigen.
Ob dies gelingen kann? – Davon sind die wenigsten überzeugt. Gerade der Hofadel selbst zeigt sich äußerst skeptisch und sogar empört, u.a. angesichts Kakuris Forderung, dass ein jeder Bewohner Ryōs (d.h. auch die königliche Familie und Eliten) seinen Befehlen Folge zu leisten und bei den Verteidigungsmaßnahmen mitzuwirken hat, wenn dieses Vorhaben gelingen soll… es beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, denn der Feind klopft quasi schon an der Tür. Es gibt für Kakuri und die Bewohner Ryōs zahlreiche Hürden zu nehmen, doch schafft es der Mann von Boku nach und nach die Leute auf seine Seite zu ziehen und für sich zu gewinnen.
Ein von Taktik und militärischem Geschick getragener Kampf steht bevor und die Autoren bereiten die Geschichte mit viel Liebe zum Detail und um Realitätsnähe bemüht für uns Leser auf.
Doch gibt es auch innerhalb der Reihen der Bokka großes Konfliktpotential und Unruhen. Die Schule, gegenwärtig unter Leitung von Denjōshi, dem dritten Anführer der Bokusha, befindet sich in einem Umbruch, große Veränderungen stehen bevor. Doch wo führen diese hin und welche Rolle spielt dabei der korrupte Setsuhei, seines Zeichens rechte Hand Denjōshis!? – Das alles gilt es herauszufinden!
Artwork – 9/10 Punkte
Wie kann man das Artwork von Bokkō treffend, auf den Punkt runter brechen? – Vielleicht am ehesten mit der schönen Phrase „old but gold!“. Selbstverständlich sind Moris Zeichnungen etwas in die Jahre gekommen, jährt sich das Jubiläum des Serienstarts nunmehr zum 20. Male, doch ändert dies trotz allem nichts an der Tatsache, dass es sich um handwerklich hervorragende, klassische Kompositionen handelt. Mit den Spielregeln und der typischen künstlerischen Handschrift des Gekiga-Manga kann der Leser hier wunderbar in diese fremde Zeit eintauchen, die lang, lang zurückliegt. Immer wieder laden uns großangelegte Doppelseiten ein, verschlucken den Leser förmlich und eröffnen uns die Welt der Geschichte. Daneben geben storyboardähnliche Handlungsfolgen ein sehr genaues Bild davon, was gerade in den jeweiligen Szenen vor sich geht. (Dies ist insbesondere in Schlachtenszenen und bei den verschiedenen Taktikmanövern von Vorteil, helfen sie dabei, nie den Überblick zu verlieren und dem Geschehen problemlos zu folgen; ganz gleich wie kompliziert und ausgefuchst es auch zugehen mag!)
Für eine perfekte Wertung reicht es nicht ganz, weil sich vereinzelt Ungenauigkeiten in die Zeichnungen einschleichen können (ein unsauber gezeichnetes Gesicht, komische Körperhaltungen o.ä.) und mir bei manchen Porträts etwas zu wenig mit Schraffuren und/oder entsprechenden Rasterfolien gearbeitet wurde, weswegen manch ein Gesicht ein wenig flach und unzureichend plastisch ausfällt. Trotzdem kann der Aufwand, den manche Doppelseite vom Zeichner abverlangt haben muss, nicht hoch genug eingeschätzt werden. Da ist es dann klar, dass zig dutzend Soldaten nicht bis ins kleinste Detail durchgearbeitet und etwas schemenhaft erscheinen, doch ist die anatomische Akkuratesse der jeweiligen Figuren sowie der Detailgrad der Charakterzeichnungen enorm! Ganz dickes Lob für diese Leistung.
Ich könnte sicher noch das ein oder andere Wort zum Artwork verlieren (allen voran beispielsweise über die Tier- und Naturzeichnungen, die mir besonders zu gefallen wissen: Heuschrecken, Wölfe, Pferde, Wiesen, Gräser, Täler etc.), doch lasse ich an dieser Stelle einfach mal das Werk und seine Bilder für sich sprechen:
Plot – 9,5/10 Punkte
Die Handlung des Manga weist sich an zahlreichen Stellen durch Geschichtsnähe aus, immer wieder wird auf diverse Quellen und Überlieferungen explizit Bezug genommen und Informationen werden mit historischen Randdaten untermauert. Als Beispiele seien hier u.a. die Entdeckung und Verwendung von Mineralöl, Schießpulver und diverser Gifte sowie das Einbauen der Speerschleuder/des Atlatl erwähnt. Dies ist schon mal überaus positiv zu bewerten.
Grob lässt sich das Werk in zwei große Handlungsbögen einteilen. Das wäre zunächst der Konflikt zwischen Ryō und den Truppen von Chō bis einschließlich Band 4. Hier hält sich der Manga noch sehr genau an die Sakemis Romanvorlage (einzig der Charakter Ryōkai, der älteste Sohn von König Ryōkei wurde der Adaption hinzugefügt), entsprechend wenig gibt es storytechnisch auszusetzen. – Wie bei einem mehrfach ausgezeichneten Geschichtsepos wohl wenig verwunderlich. – Die zahlreichen Schlachten zwischen den Stadtbewohnern und den abertausenden Soldaten Chōs sind zu jedem Zeitpunkt spannend, mitreißend und vor allem abwechslungsreich. Die militärischen Auseinandersetzungen zeichnen sich auf beiden Seiten durch Strategien, Kniffe und taktische Manöver aus und sind äußerst realistisch dargestellt.
Im zweiten Teil der Geschichte wird die Reichweite der Auseinandersetzungen dann erheblich gesteigert. Der Fokus wird auf die Bokka selbst gerichtet, in deren Reihen es zu fundamentalen Veränderungen kommt. Gemeinsam mit den Truppen des bevölkerungsstarken Staates Shin heißt das Ziel ganz China zu unterwerfen und somit schließlich gewaltsam zu einen. Es beginnt mit einem Übergriff auf das Reich Kan und als nächstes soll es Chō und seiner Hauptstadt Sei an den Kragen gehen…
Die perfekte Wertung wird hier leider durch zwei Faktoren zunichte gemacht: Wo ich noch drüber hinweg sehen kann, ist die Tatsache, dass das Ende der Geschichte etwas überraschend kommt und über den Leser quasi hereinbricht. Hier lässt Mori ein gesundes Maß an Weitsicht vermissen, gerade wenn im letzten Band noch 3-4 in sich geschlossene Kurzepisoden eingeschoben werden, die auf Metaebene nur von wenig oder überhaupt keiner Bedeutung sind. Hier hätte uns der Autor etwas schonender auf das Ende vorbereiten können, eine Art „erzählerisches Ausklingen“, wenn man so möchte.
Der zweite Punkt stieß mir hingegen richtig übel auf, weil er so unnötig war wie ein Kropf, schließlich ereignete er sich in einer der zuvor erwähnten Mini-Episoden und hätte damit ohne weiteres weggelassen werden können (, um beispielsweise noch Raum für zusätzliche Storyeinschübe zu lassen). Ich beziehe mich hier auf einen Charakter namens Sankai (bzw. „Griffon“ in den Scanlations). Mit dieser Figur und ihrer übermenschlichen Superkräfte bricht Mori komplett mit dem ansonsten so um Realitätsnähe und Authentizität bemühten Werk. Ganz großes pfui!
Trotzdem darf man diese negativen Aspekte nicht zu hoch hängen, wenn man bedenkt, wie ausgeklügelt und taktisch raffiniert die militärischen Auseinandersetzungen vorgetragen werden, wie flüssig sich die Geschichte liest (ich habe das Werk damals in einem Zuge verschlungen und das binnen weniger Stunden) und wie straff das Erzähltempo gehalten wird. Mori schließt das Ganze auf seine ganz eigene Art ab und trägt seine Theorien vor, wo die Geschichtschroniken Fragen offen lassen. Es endet mit einem Plädoyer für den Frieden und gegen jegliche Form von Krieg. – Tja, wie würde unsere heutige Welt wohl aussehen, wenn sie stärker von Leuten wie Kakuri geprägt worden wäre…?
Charaktere – 8,5/10 Punkte
Der Kreis der handelnden Figuren, deren Wesen auch wirklich weiter ausgearbeitet wird, ist überraschend klein. – Gerade wenn man sich den Rahmen der Handlung ins Gedächtnis ruft: hier steht immerhin ganz China im direkten Konflikt! Der Großteil der Dorfbewohner und Soldaten wird als „gesichtslose Figur“ gehalten (sowohl metaphorisch als auch wörtlich auf zeichnerischer Ebene), nur wenige Charaktere werden bewusst hervorgehoben: Kakuri, die königliche Familie von Ryō, der Bauer Saikyū, General Kōenchū und Kakuris Gegenspieler Setsuhei, viel mehr dürften es kaum gewesen sein.
Im zweiten Teil der Serie, als sich die Geschichte zunehmend von der Buchvorlage entfernt, werden Kakuri dann zahlreiche Gefährten an die Seite gestellt, die es im Roman nicht gab. Ich möchte aber nicht sagen, dass dies schlecht wäre, das Gegenteil dürfte sogar eher der Fall sein. (Auch wenn gerade der weibliche Sidekick ein wenig arg klischeebehaftet ist…) Somit wird die Handlung nämlich nicht mehr gar so sehr auf Kakuri fixiert und alleinig vom Bokusha getragen. Seine Freunde Unkei, Ranchū und Niang (Ich weiß nicht, was die Scanlations hier getrieben haben, dass daraus Yunji, Kobu und Nimae werden kann…? Bleibt mir ein Rätsel!) zeichnen sich durch unterschiedliche Wesenszüge aus, doch stehen sie allesamt – aus unterschiedlichen Gründen, aber vom selben Wunsch getrieben – für ähnliche Ziele ein und sind im Herzen gute Menschen. Besonders Ranchū, der verwitwete Bauer aus Kan, Untergrund-Revolutionsführer und Pflegevater von zahlreichen Waisenkindern, hat es mir von den Dreien angetan.
Kakuri selbst ist und bleibt aber natürlich trotzdem die zentrale Reflexionsfigur der Geschichte und weilt die meiste Zeit im Fokus des Geschehens. Was besonders bei ihm gefällt, ist, dass sein Heldenbild nicht überzeichnet wirkt! Er ist kein muskelbepackter Übermensch, der alleine 10.000 Soldaten im Kampf besiegen könnte. Der dickliche Mann ohne Haare ist natürlich auch in zahlreichen Kampfkünsten ausgebildet, doch zeichnet er sich vor allem durch sein taktisch kluges Agieren aus. Darüber hinaus ist er ein echter Edelmann, der bereit ist, sich für seine Ideale und Ziele zu opfern und das zu jedem Zeitpunkt.
Themen und Motive – 10/10 Punkte
Abschließend sollte der Blick noch kurz auf einige der wichtigsten Themen der Serie wandern. Die Handlung wird vornehmlich von politischen Interessen und Matchbestrebungen getragen, sie sind Auslöser für die zahlreichen Kriege und Schlachten während der Zeit der streitenden Reiche. Wie in diesen Sphären üblich, spielen natürlich auch Intrigen, Verrat, Korruption, Neid und Größenwahn eine überaus gewichtige Rolle. Somit ist stets für Spannung gesorgt und man kann sich als Leser nie zu sicher sein, ob Unterfangen X jetzt auch tatsächlich gelingen wird, nur weil es in der Momentaufnahme so scheint.
Daneben lernt man aber auch eine Menge über die chinesische Geschichte und die Geschichte einer der weniger bekannten, jedoch zweifelsohne interessanten Philosophieschule des asiatischen Kulturraums. Ich persönlich muss gestehen, dass mir Mozi und sein Mohismus zuvor absolut kein Begriff gewesen sind. Erst durch diesen Manga habe ich ein wenig nachgelesen und recherchiert. Auch wenn ich mit derartigen Strömungen eher wenig am Hut habe und meine Interessengebiete anders verorten würde, kann ich nicht bestreiten, dass ich durchaus angespornt war, mehr über die Hintergründe der Handlung/Serie herauszufinden.
Besonders schön – wenngleich auch nur haarscharf an der Schwelle zum leicht platten Kitsch vorbeigeschrammt – fand ich Moris Blick in die Zukunft, über 2.300 Jahre, ins das Hier und Jetzt. Obwohl es nur wenige Seiten waren, hinterließen diese durchaus einen Eindruck bei mir.
-----
Ich denke, ich habe diesen schönen Klassiker damit hinreichend beleuchtet und vorgestellt. Lasst euch nicht von solch einer Lappalie wie einem vermeintlich „alten“ Produktionsjahr abschrecken. Manga von früher haben noch soviel mehr Seele, da steckt einfach sehr viel mehr Herzblut drin als in heutigen Tagen. Wagt diese Reise und ich bin mir sicher, ihr werdet nicht enttäuscht. Ein intelligenter Titel über Krieg und Frieden, über Politik und Philosophie, über Ideologie und Ideale. Abermals eine klare Leseempfehlung von meiner Seite!
In diesem Thread soll es um die Manga-Adaption eines mehrfach preisgekrönten, gleichnamigen Romans von Sakemi Ken’ichi aus dem Jahre 1991 gehen: Bokkō von Mori Hideki und Kubota Sentarō. Das Werk entführt in eine Zeit, die gemeinhin als „Ära der Streitenden Reiche“ in den chinesischen Annalen bezeichnet wird und sich zwischen 475 v. Chr. und 221 v. Chr. einordnen lässt.
Zwar nimmt Mori im späteren Verlauf mehr und mehr Abstand von der Buchvorlage und schreibt einen großen Original-Handlungsbogen, doch weiß die Geschichte des Werkes trotz allem sehr zu gefallen und kann sich auch unter qualitativen Gesichtspunkten sehen lassen. Als logische Folge wurde dem Werk im Jahre 1994 der Shogakukan-Mangapreis in der Kategorie „Bester Seinen-Manga/Manga allgemein“ verliehen. (Dasselbe Jahr, in dem auch Inoues SLAM DUNK als bester Shōnen-Manga ausgezeichnet wurde!)
Tauchen wir also in ein Geschichtsepos ein, das in eine fremde und exotische Welt entführt und in dessen Zentrum ein Märtyrer steht, der die Bezeichnung „Titelheld“ (der Geschichte) wie kaum ein zweiter verdient…
Allgemeine Informationen
- Serie: Bokkō
- Macher: Mori Hideki (Zeichner; Mangaka [ab Band 5]), Kubota Sentarō (Autor bis Band 5)
- Genre: Historie, Action, Tragödie, Philosophie
- Magazin: Big Comic (Shogakukan)
- Erscheinungsjahr(e): 1992 – 1996
- Status: in 11 Bänden abgeschlossen (insg. 107 Kapitel); Scanlations 100%
- Anmerkung: Die meisten in den Scanlations verwendeten Scans entstammen der französischen Adaption der Serie aus dem Jahre 2002, für welche die Seiten gespiegelt wurden. Die Leserichtung ist also von links nach rechts!
Schauplatz der Geschichte ist China zur Zeit der streitenden Reiche, einer äußerst unruhigen und wirren Epoche, in der das Land in sieben große Staaten aufgeteilt war: Wei, Zhao, Han, Qi, Yan, Chu und Qin. Jene sieben Reiche standen im steten Zwist miteinander und kämpften unerbittlich um die Vorherrschaft des Landes. – Inmitten dieser Kriegsunruhen existierte nun zudem noch eine gänzlich unabhängige Kraft, namentlich die „Männer von Boku“ oder auf Japanisch Bokka, eine vom Philosophen Mozi (jap. Bokushi; *480 v. Chr., † 390 v. Chr.; zugehöriger dt. Wikipedia-Artikel) ins Leben gerufene Schule, die sich für den Frieden und gegen jegliche Formen des Krieges einsetzte. Die Bokusha verurteilten Krieg als das größte Verbrechen an der Menschlichkeit und sicherten folgerichtig Städten und Staaten, die unter militärischem Angriff standen, ihre Unterstützung zu und stellten sich in den Dienst ihrer Verteidigung.
Die Geschichte von Bokkō beginnt nun damit, dass sich die Stadt Ryō, Hauptstadt der Region Yan (jap. Name: En), durch die militärischen Bestrebungen des mächtigen Staates Zhao (jap. Name: Chō) in Gefahr sieht. Ryōkei, König von En, ersucht daraufhin die Männer von Boku um Hilfe, doch scheint sein Hilferuf nicht erhört zu werden. Mehr als 5.000 feindliche Soldaten haben bereits Stellung an den Ufern des Ekisui-Flusses bezogen, der gut zwei Kilometer vor den Stadtmauern Ryōs verläuft. Weitere 10.000 Soldaten sind auf dem Weg. Die Hauptstadt von En ist zahlenmäßig weit unterlegen, zählt sie nur gut 4.000 Einwohner, die meisten davon Bauern, von denen ein erheblicher Anteil zudem auch Frauen, Kindern und Alte ausmachen.
Gerade als man die Hoffnung schon aufgeben will, tritt jedoch einer der legendären Bokusha auf den Plan, namentlich Kakuri, Hauptfigur der Geschichte. Seine Hiobsbotschaft: Er ist die einzige Unterstützung, die Ryō von den Männern von Boku zu erwarten hat. Aber verspricht Kakuri seine uneingeschränkte Loyalität und schwört bei seinem Blut, Ryō vor den Angriffen der 15.000 Soldaten von Chō zu verteidigen.
Ob dies gelingen kann? – Davon sind die wenigsten überzeugt. Gerade der Hofadel selbst zeigt sich äußerst skeptisch und sogar empört, u.a. angesichts Kakuris Forderung, dass ein jeder Bewohner Ryōs (d.h. auch die königliche Familie und Eliten) seinen Befehlen Folge zu leisten und bei den Verteidigungsmaßnahmen mitzuwirken hat, wenn dieses Vorhaben gelingen soll… es beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, denn der Feind klopft quasi schon an der Tür. Es gibt für Kakuri und die Bewohner Ryōs zahlreiche Hürden zu nehmen, doch schafft es der Mann von Boku nach und nach die Leute auf seine Seite zu ziehen und für sich zu gewinnen.
Ein von Taktik und militärischem Geschick getragener Kampf steht bevor und die Autoren bereiten die Geschichte mit viel Liebe zum Detail und um Realitätsnähe bemüht für uns Leser auf.
Doch gibt es auch innerhalb der Reihen der Bokka großes Konfliktpotential und Unruhen. Die Schule, gegenwärtig unter Leitung von Denjōshi, dem dritten Anführer der Bokusha, befindet sich in einem Umbruch, große Veränderungen stehen bevor. Doch wo führen diese hin und welche Rolle spielt dabei der korrupte Setsuhei, seines Zeichens rechte Hand Denjōshis!? – Das alles gilt es herauszufinden!
Artwork – 9/10 Punkte
Wie kann man das Artwork von Bokkō treffend, auf den Punkt runter brechen? – Vielleicht am ehesten mit der schönen Phrase „old but gold!“. Selbstverständlich sind Moris Zeichnungen etwas in die Jahre gekommen, jährt sich das Jubiläum des Serienstarts nunmehr zum 20. Male, doch ändert dies trotz allem nichts an der Tatsache, dass es sich um handwerklich hervorragende, klassische Kompositionen handelt. Mit den Spielregeln und der typischen künstlerischen Handschrift des Gekiga-Manga kann der Leser hier wunderbar in diese fremde Zeit eintauchen, die lang, lang zurückliegt. Immer wieder laden uns großangelegte Doppelseiten ein, verschlucken den Leser förmlich und eröffnen uns die Welt der Geschichte. Daneben geben storyboardähnliche Handlungsfolgen ein sehr genaues Bild davon, was gerade in den jeweiligen Szenen vor sich geht. (Dies ist insbesondere in Schlachtenszenen und bei den verschiedenen Taktikmanövern von Vorteil, helfen sie dabei, nie den Überblick zu verlieren und dem Geschehen problemlos zu folgen; ganz gleich wie kompliziert und ausgefuchst es auch zugehen mag!)
Für eine perfekte Wertung reicht es nicht ganz, weil sich vereinzelt Ungenauigkeiten in die Zeichnungen einschleichen können (ein unsauber gezeichnetes Gesicht, komische Körperhaltungen o.ä.) und mir bei manchen Porträts etwas zu wenig mit Schraffuren und/oder entsprechenden Rasterfolien gearbeitet wurde, weswegen manch ein Gesicht ein wenig flach und unzureichend plastisch ausfällt. Trotzdem kann der Aufwand, den manche Doppelseite vom Zeichner abverlangt haben muss, nicht hoch genug eingeschätzt werden. Da ist es dann klar, dass zig dutzend Soldaten nicht bis ins kleinste Detail durchgearbeitet und etwas schemenhaft erscheinen, doch ist die anatomische Akkuratesse der jeweiligen Figuren sowie der Detailgrad der Charakterzeichnungen enorm! Ganz dickes Lob für diese Leistung.
Ich könnte sicher noch das ein oder andere Wort zum Artwork verlieren (allen voran beispielsweise über die Tier- und Naturzeichnungen, die mir besonders zu gefallen wissen: Heuschrecken, Wölfe, Pferde, Wiesen, Gräser, Täler etc.), doch lasse ich an dieser Stelle einfach mal das Werk und seine Bilder für sich sprechen:
Plot – 9,5/10 Punkte
Die Handlung des Manga weist sich an zahlreichen Stellen durch Geschichtsnähe aus, immer wieder wird auf diverse Quellen und Überlieferungen explizit Bezug genommen und Informationen werden mit historischen Randdaten untermauert. Als Beispiele seien hier u.a. die Entdeckung und Verwendung von Mineralöl, Schießpulver und diverser Gifte sowie das Einbauen der Speerschleuder/des Atlatl erwähnt. Dies ist schon mal überaus positiv zu bewerten.
Grob lässt sich das Werk in zwei große Handlungsbögen einteilen. Das wäre zunächst der Konflikt zwischen Ryō und den Truppen von Chō bis einschließlich Band 4. Hier hält sich der Manga noch sehr genau an die Sakemis Romanvorlage (einzig der Charakter Ryōkai, der älteste Sohn von König Ryōkei wurde der Adaption hinzugefügt), entsprechend wenig gibt es storytechnisch auszusetzen. – Wie bei einem mehrfach ausgezeichneten Geschichtsepos wohl wenig verwunderlich. – Die zahlreichen Schlachten zwischen den Stadtbewohnern und den abertausenden Soldaten Chōs sind zu jedem Zeitpunkt spannend, mitreißend und vor allem abwechslungsreich. Die militärischen Auseinandersetzungen zeichnen sich auf beiden Seiten durch Strategien, Kniffe und taktische Manöver aus und sind äußerst realistisch dargestellt.
Im zweiten Teil der Geschichte wird die Reichweite der Auseinandersetzungen dann erheblich gesteigert. Der Fokus wird auf die Bokka selbst gerichtet, in deren Reihen es zu fundamentalen Veränderungen kommt. Gemeinsam mit den Truppen des bevölkerungsstarken Staates Shin heißt das Ziel ganz China zu unterwerfen und somit schließlich gewaltsam zu einen. Es beginnt mit einem Übergriff auf das Reich Kan und als nächstes soll es Chō und seiner Hauptstadt Sei an den Kragen gehen…
Die perfekte Wertung wird hier leider durch zwei Faktoren zunichte gemacht: Wo ich noch drüber hinweg sehen kann, ist die Tatsache, dass das Ende der Geschichte etwas überraschend kommt und über den Leser quasi hereinbricht. Hier lässt Mori ein gesundes Maß an Weitsicht vermissen, gerade wenn im letzten Band noch 3-4 in sich geschlossene Kurzepisoden eingeschoben werden, die auf Metaebene nur von wenig oder überhaupt keiner Bedeutung sind. Hier hätte uns der Autor etwas schonender auf das Ende vorbereiten können, eine Art „erzählerisches Ausklingen“, wenn man so möchte.
Der zweite Punkt stieß mir hingegen richtig übel auf, weil er so unnötig war wie ein Kropf, schließlich ereignete er sich in einer der zuvor erwähnten Mini-Episoden und hätte damit ohne weiteres weggelassen werden können (, um beispielsweise noch Raum für zusätzliche Storyeinschübe zu lassen). Ich beziehe mich hier auf einen Charakter namens Sankai (bzw. „Griffon“ in den Scanlations). Mit dieser Figur und ihrer übermenschlichen Superkräfte bricht Mori komplett mit dem ansonsten so um Realitätsnähe und Authentizität bemühten Werk. Ganz großes pfui!
Trotzdem darf man diese negativen Aspekte nicht zu hoch hängen, wenn man bedenkt, wie ausgeklügelt und taktisch raffiniert die militärischen Auseinandersetzungen vorgetragen werden, wie flüssig sich die Geschichte liest (ich habe das Werk damals in einem Zuge verschlungen und das binnen weniger Stunden) und wie straff das Erzähltempo gehalten wird. Mori schließt das Ganze auf seine ganz eigene Art ab und trägt seine Theorien vor, wo die Geschichtschroniken Fragen offen lassen. Es endet mit einem Plädoyer für den Frieden und gegen jegliche Form von Krieg. – Tja, wie würde unsere heutige Welt wohl aussehen, wenn sie stärker von Leuten wie Kakuri geprägt worden wäre…?
Charaktere – 8,5/10 Punkte
Der Kreis der handelnden Figuren, deren Wesen auch wirklich weiter ausgearbeitet wird, ist überraschend klein. – Gerade wenn man sich den Rahmen der Handlung ins Gedächtnis ruft: hier steht immerhin ganz China im direkten Konflikt! Der Großteil der Dorfbewohner und Soldaten wird als „gesichtslose Figur“ gehalten (sowohl metaphorisch als auch wörtlich auf zeichnerischer Ebene), nur wenige Charaktere werden bewusst hervorgehoben: Kakuri, die königliche Familie von Ryō, der Bauer Saikyū, General Kōenchū und Kakuris Gegenspieler Setsuhei, viel mehr dürften es kaum gewesen sein.
Im zweiten Teil der Serie, als sich die Geschichte zunehmend von der Buchvorlage entfernt, werden Kakuri dann zahlreiche Gefährten an die Seite gestellt, die es im Roman nicht gab. Ich möchte aber nicht sagen, dass dies schlecht wäre, das Gegenteil dürfte sogar eher der Fall sein. (Auch wenn gerade der weibliche Sidekick ein wenig arg klischeebehaftet ist…) Somit wird die Handlung nämlich nicht mehr gar so sehr auf Kakuri fixiert und alleinig vom Bokusha getragen. Seine Freunde Unkei, Ranchū und Niang (Ich weiß nicht, was die Scanlations hier getrieben haben, dass daraus Yunji, Kobu und Nimae werden kann…? Bleibt mir ein Rätsel!) zeichnen sich durch unterschiedliche Wesenszüge aus, doch stehen sie allesamt – aus unterschiedlichen Gründen, aber vom selben Wunsch getrieben – für ähnliche Ziele ein und sind im Herzen gute Menschen. Besonders Ranchū, der verwitwete Bauer aus Kan, Untergrund-Revolutionsführer und Pflegevater von zahlreichen Waisenkindern, hat es mir von den Dreien angetan.
Kakuri selbst ist und bleibt aber natürlich trotzdem die zentrale Reflexionsfigur der Geschichte und weilt die meiste Zeit im Fokus des Geschehens. Was besonders bei ihm gefällt, ist, dass sein Heldenbild nicht überzeichnet wirkt! Er ist kein muskelbepackter Übermensch, der alleine 10.000 Soldaten im Kampf besiegen könnte. Der dickliche Mann ohne Haare ist natürlich auch in zahlreichen Kampfkünsten ausgebildet, doch zeichnet er sich vor allem durch sein taktisch kluges Agieren aus. Darüber hinaus ist er ein echter Edelmann, der bereit ist, sich für seine Ideale und Ziele zu opfern und das zu jedem Zeitpunkt.
Themen und Motive – 10/10 Punkte
Abschließend sollte der Blick noch kurz auf einige der wichtigsten Themen der Serie wandern. Die Handlung wird vornehmlich von politischen Interessen und Matchbestrebungen getragen, sie sind Auslöser für die zahlreichen Kriege und Schlachten während der Zeit der streitenden Reiche. Wie in diesen Sphären üblich, spielen natürlich auch Intrigen, Verrat, Korruption, Neid und Größenwahn eine überaus gewichtige Rolle. Somit ist stets für Spannung gesorgt und man kann sich als Leser nie zu sicher sein, ob Unterfangen X jetzt auch tatsächlich gelingen wird, nur weil es in der Momentaufnahme so scheint.
Daneben lernt man aber auch eine Menge über die chinesische Geschichte und die Geschichte einer der weniger bekannten, jedoch zweifelsohne interessanten Philosophieschule des asiatischen Kulturraums. Ich persönlich muss gestehen, dass mir Mozi und sein Mohismus zuvor absolut kein Begriff gewesen sind. Erst durch diesen Manga habe ich ein wenig nachgelesen und recherchiert. Auch wenn ich mit derartigen Strömungen eher wenig am Hut habe und meine Interessengebiete anders verorten würde, kann ich nicht bestreiten, dass ich durchaus angespornt war, mehr über die Hintergründe der Handlung/Serie herauszufinden.
Besonders schön – wenngleich auch nur haarscharf an der Schwelle zum leicht platten Kitsch vorbeigeschrammt – fand ich Moris Blick in die Zukunft, über 2.300 Jahre, ins das Hier und Jetzt. Obwohl es nur wenige Seiten waren, hinterließen diese durchaus einen Eindruck bei mir.
-----
Ich denke, ich habe diesen schönen Klassiker damit hinreichend beleuchtet und vorgestellt. Lasst euch nicht von solch einer Lappalie wie einem vermeintlich „alten“ Produktionsjahr abschrecken. Manga von früher haben noch soviel mehr Seele, da steckt einfach sehr viel mehr Herzblut drin als in heutigen Tagen. Wagt diese Reise und ich bin mir sicher, ihr werdet nicht enttäuscht. Ein intelligenter Titel über Krieg und Frieden, über Politik und Philosophie, über Ideologie und Ideale. Abermals eine klare Leseempfehlung von meiner Seite!