Familienbande in One Piece
Die glückliche Familie – ein Tabuthema?
Die glückliche Familie – ein Tabuthema?
Liebe Leser und Leserinnen,
ich möchte mich in diesem Essay mit einem meiner Meinung nach sehr interessanten Aspekt des One Piece-Universums, wie es uns Oda präsentiert, widmen und zwar dem Thema Familie.
Hierzu habe ich mir schon seit mehreren Monaten Gedanken gemacht und Ideen hin und her gewälzt, die ich jetzt geordnet und hier niedergeschrieben habe.
Bevor ich anfange möchte ich aber darauf hinweisen, dass ich mich zwar bemühe dieses Essay so objektiv wie möglich zu verfassen, ich aber an manchen Stellen deutlich meine eigene Meinung zum Ausdruck bringen werde.
In einem ersten Schritt werde ich mich mit einem interessanten Gedanken beschäftigen, indem ich dort auf die Tatsache des „Alleinerziehenden Elternteils“ eingehen werde. Daraufhin werde ich an Hand von weiteren Beispielen versuchen allgemein Informationen zum komplexen Thema Familie darzulegen, wobei ich an dieser Stelle auch das Thema Liebe anschneiden muss.
In einem letzten Punkt werde ich versuchen mögliche Grunde und Schlussfolgerungen, die mir bei der Entwicklung dieses Essays, aufgefallen sind, beziehungsweise, die sich selbst entwickelt habe, zu veranschaulichen.
1. Das Alleinerziehende Elternteil und das Einzelkind
Blicken wir in die Geschichte von One Piece so ist ein Faktum fast unumstößlich. Wir lernen nur selten Familie und in diesen Kontext Eltern unserer Protagonisten und Antagonisten kennen. Dies scheint in einer Geschichte, die sich um Erwachsene oder in der späten Pubertät befindenden Jugendlichen auf Abenteuerreise dreht, auch nicht weiter verwunderlich, wenn dort nicht ein Haken wäre.
Betritt Oda hierbei die Ebene des Elterngefüges, so ist markant, dass wir in 90% der Fälle nur ein Elternteil zu Gesicht bekommen und der andere entweder verstorben/abgehauen ist oder gar nicht erwähnt wird.
Ein weiterer Punkt, der mit diesem Thema eng korreliert ist die Tatsache, dass wir bis jetzt verschwindet wenige echte(!) Geschwisterpaare aufgetischt bekommen. Ich werde jetzt an Hand von einschlägigen Charakteren, die vor allem die Protagonisten One Piece‘ darstellen, diese Feststellung untermauern. An Hand der Fülle von Charakteren werde ich nur auf ein paar ausgewählte Beispiele eingehen, die das Ganze noch besser darstellen.
• Ruffy:
Hier haben wir den Klassiker in unserer Hauptfigur und eine Bestätigung aller zuvor von mir aufgestellten Theorien. Wir erfahren erst relativ spät etwas von Ruffys verwandtschaftlichen Beziehungen. So tritt in der Person des Vizeadmirals Garp, auch die Figur des Revolutionär Dragons auf, in Form von Ruffys Vater auf. Bis zum aktuellen Kapitel bleibt die Figur von Ruffys Mutter und alle damit zusammenhängenden Fragen (Warum kümmert sie sich nicht um ihn? Warum wurde sie nie erwähnt? Ist sie bei den Revolutionären? Wie steht sie zu Garp?) ungeklärt.
Auffallend hierbei ist sogar die Tatsache, dass wir nicht einmal eine Frau an Garps Seite zu Gesicht bekommen, in der Figur der Großmutter Ruffys.
Bei der Thematik der Geschwister erfahren wir während des Marineford-Arcs, dass Ace nicht Ruffys leiblicher Bruder ist. Ebenso Sabo ist nur sein Trinkbruder.
• Nami:
Bei unserer diebischen Navigatorin hatte ich die erste Stolperstelle. Über Namis leibliche Eltern ist so gut wie nichts bekannt. Hierbei musste ich meine Definition aufweiten und die Funktion des Elternteils nicht nur auf leibliche, sondern auch auf Bezugspersonen erweitern. Dies scheint aber nur plausibel, da in der One-Piece-Geschichte oftmals diese Personen den gleichen Stellenwert, wie Eltern/nähere Verwandte einnehmen.
Zwar wirkt die Beobachtung bei der alleinerziehenden Bellmere weniger griffig, als vielleicht bei anderen Personen, aber dennoch ist sie nicht weniger schlüssig. Bellmere entscheidet sich als alleinerziehende Mutter sich um die beiden Stiefgeschwister(!!!) Nami und Nojiko zu kümmern.
So kann auch Nami als exzellentes Beispiel für diese Theorie zählen.
• Lysop:
Wieder ein Stolperstein, der mich meine Theorie schon fast überdenken ließ. Er ist ein Charakter bei der beide Elternteile tatsächlich erwähnt werden. Allerdings lässt auch er sich grob dieser Kategorie zuordnen. Sein Vater ist abgehauen und würde ohne die Bande von Shanks auch keinerlei Rechnung tragen. Lysops Mutter hingegen wurde nur erwähnt und wir haben sie nicht zu Gesicht bekommen. Ebenso ist der Meister der Scharfschützen wieder ein Beleg für ein Einzelkind.
• Robin:
Was ist mit Nico Robins Vater? Wieder lernen wir nur eine der Bezugspersonen kennen und eine Erklärung für den Aufenthalt des leiblichen Vaters bleibt uns leider erspart.
• Vivi:
Auch hier könnte man meinen, dass man eine Ausnahme gefunden hat, wenn man sich ihre Familiengeschichte anschaut. Allerdings nimmt die Person der Mutter (ich bin mir gerade auch gar nicht sicher, ob sie im Manga überhaupt erwähnt wird) eine solch verschwindend geringe Bedeutung ein, dass man sie meiner Meinung nach getrost vernachlässigen kann. Einzig und allein Vivis Vater wird hier als dominantes Elternteil für die Prinzession Alabastas aufgebaut.
• Conis:
Sogar bei den Nebencharakteren wird dieses Schema nicht gebrochen. Auf Skypia bekommen wir eine Conis zu sehen, die alleine mit ihren Vater zu leben scheint. Über den Verbleib der Mutter erfahren wir meines Wissenstandes nichts. Warum hier nicht zum Beispiel die Variante gewählt wurde, dass sie mit ihrer Mutter lebt und ihr Vater bei der himmlischen Armee dient, ist mir schleierhaft, soll hier aber nicht Thema der Analyse sein.
• Die Tenryubito auf dem Sabaody Archipel:
Ja nicht einmal bei den Antagonisten der Geschichte macht Oda halt. Vor dem Timeskip bekommen wir eine Adelsfamilie der Himmelsdrachenmenschen zu Gesicht, bestehend aus Vater – Tochter –Sohn. Warum auch hier? Diese Personen sind nicht die Helden der Geschichte, die vielleicht ein besonders tragischen Hintergrund verdienen. Hätte eine komplette Familie das Bild nicht runder wirken lassen?
• Shirahoshi:
Große Ausnahme Shirahoshi möchte man im ersten Moment meinen. Allerdings bekommen wir die Meerjungfrau nie in Interaktion mit ihren beiden Eltern zu Gesicht. Des Weiteren würde Shirahoshi ohne den Rückblick problemlos in das hier erläuterte Schemata passen. Interessant ist hier allerdings die Beziehung zu ihren drei Brüdern, die in dieser Form eine große Ausnahme bildet. Ebenso erstaunlich ist bei der Eltern-Thematik die Parallele zu Vivi, die ebenfalls königlichen Geschlechts entspringt.
Zusammenfassend kann man nach diesen Beispielen folgendes feststellen, dass es die einheitliche, klassische Familie nicht gibt. Man kann die Person meines Erachtens in folgendes Grobmuster eingliedern.
1. Ein leibliches Elternteil (noch) bekannt: Beispiele hierfür Ruffy, Robin, Conis, Dragon, Tenryubito usw.
2. Eine Bezugsperson (noch) bekannt: Beispiel hierfür Nami, Franky, Chopper, usw.
3. Restgruppe: Beispiele Vivi, Brook, Shirahoshi, Lysop, usw.
Die Beobachtung mit den Geschwistern ist mit jeder dieser Gruppe frei variabel, soll aber auch nicht Hauptaugenmerk sein, da es mir einfach als netter Nebeneffekt aufgefallen ist.
2. Weitere Beobachtungen
Hierbei möchte ich eigentlich nur kurz auf die Phänomene Whitebeard, Big Mom, sowie Ace eingehen.
Bei Big Mom können wir nur mutmaßen, ob sie ein ähnliches Programm, wie Whitebeard verfolgt, aber dort springt natürlich der Begriff „Vater“ eindeutig ins Auge.
Whitebeard selbst sammelt die herumstreunenden und heimatlosen dieser Welt auf, gibt ihnen ein Zuhause und sieht sie als seine Söhne, sie ihn hingegen als seinen Vater. Eine Beobachtung, die bei meiner abschließenden Analyse noch von Relevanz sein wird.
Ein weiterer Punkt ist Ace, der in seiner Erscheinung einzigartig und damit auch eigentlich der einzig große Anfechtungspunkt meiner Beobachtung ist. Aber gerade in seiner Einzigartigkeit liegt auch seine Nichtigkeit. Die Masse an anderen Beispielen ist erdrückend, aber was viel wichtiger ist, auch bei Rogue und Roger können wir nicht gerade von Szenen familiären/ehelichen Glücks reden. Ich bin mir sowieso nicht sicher, wie das im Manga gehandhabt wurde. Ich habe gerade nur die Szenen des Animes im Kopf, aber eine wirkliche Interaktion der beiden haben wir nie gesehen. Viel wichtiger aber noch ist, dass zur Geburt Ace‘ sein Vater bereits hingerichtet war und hiermit die Vater-Mutter-Kind-Ebene wieder zerstört wurde.
3. Schlussfolgerung
Gut, aber worauf möchte ich eigentlich hinaus und wo könnten Gründe für das Tabuthema Familie liegen?
In meinem ersten Gedanken erschien mir dieses Thema eng verknüpft mit der Liebe, die Oda ja ganz bewusst nur sehr stiefmütterlich behandelt. Die vermehrte Einbindung von Elternpaaren würde dieses Thema viel relevanter wachen.
Als zweiter Gedanke, vor allem in Hinblick auf die Protagonisten, keimte in mir auf, dass sie dadurch zerbrechlicher wirken. Diese Theorie war deswegen für mich so greifbar, da ich bei der Konzeption einer eigenen Geschichte, feststellen musste, dass fast alle meine Protagonisten ihre Eltern/ein Elternteil verloren hatten.
Allerdings ist der Punkt der Dramatik insofern nicht schlüssig, da wir ja über das Schicksal/den Verbleib, beziehungsweise der Beziehung zu diesen Personen, gar keine Informationen haben.
Ein Ruffy schien über das Nichtwissen/die Nichtexistenz seines Vaters/seiner Mutter ja nicht wirklich erstaunt, was seine Frage „Ich habe einen Vater?“ noch mehr unterstreicht.
Eine biographische Analyse des Ganzen habe ich bewusst weggelassen, ob da Oda vielleicht eigene nicht funktionierende Weltbilder verarbeitet ist möglich, aber wäre mir in dieser Konzentration zu extrem.
Viel mehr glaube ich, dass Oda diesen Weg vor allem aus folgenden Grund wählt/wählte. One Piece ist eine Geschichte von jungen Lesern, die sich alle in Abnabelungsphasen von ihrem Zuhause und ihren Eltern befinden. Jene Prozesse setzen mit der Pubertät ein, ziehen sich über die erste Freundin, den Schul/Ausbildungsabschluss, über Studium und schlussendlich der eigenen Wohnung. Das heißt einen Spektrum von ungefähr 14-30 Jahren, was auch relativ gut dem breiten Leserpublikum One Piece‘ passt.
Durch das konsequente Streichen, beziehungsweise das elegante Umschiffen dieser Familienthematik, ist eine höhere Identifikationsbasis für uns Leser geschaffen. Wir können zu diesen Personen aufschauen, die anscheinend (durch die Erzeugung einer Pseudorealität seitens Oda) diese Abnabelung schon hinter uns haben. Außerdem wirken sie für uns persönlich innerhalb der Story glaubwürdiger, beziehungsweise einfacher zu handhaben. Das ständige Erinnern an Familie und Bezugspersonen würde vermutlich zu viel Kapazität verbrauchen. (Obwohl dies jetzt nicht so ausschlaggebend ist...die wenigen Bezugspersonen werden - mit Ausnahme von Shanks - trotzdem kaum während der Story aufgegriffen)
Hin und wieder gibt uns Oda ja auch Einblicke in die enge Beziehung zu Eltern/Bezugspersonen, Franky und Tom, Robin und Olvia oder als jüngstes Beispiel Shirahoshi, die durch ihre Seltenheit noch größere Wirkung haben.
Dennoch bleibt hier zu beachten mit welcher Botschaft uns Oda eigentlich in die Welt schickt.
Alles in Allem ein Thema, welches ich einfach unheimlich interessant finde – vielleicht bin ich durch meine Psychologie-Vorlesung auch einfach verseucht.
Ich bin gespannt, wie ihr zu dem Thema steht, ob ihr vielleicht auch einen ganz anderen Blickwinkel auf dieses Thema habt.
Mit freundlichen Grüßen,
Vexor
Dieser Beitrag wurde bereits 2 mal editiert, zuletzt von Vex ()