Guten Abend!
Das FFT hat mir einen Motivationsschub verliehen, weshalb ich richtig Lust auf eine neue Geschichte habe. Nichts macht als Autor mehr Spaß, als sich neue Konzepte sowie Strukturen aufzubauen und diese im Austausch mit den Lesern auszuweiten. Daran habe ich mich in meiner ersten Geschichte entlang gehangelt und das hat mir über Jahre hinweg riesigen Spaß bereitet. Das möchte ich wieder erleben, wofür es nach längeren Pausen einfach etwas Neues braucht.
Von Keksen und Kaisern
Kapitel 1: Dienst nach Vorschrift
Kapitel 2: Erinnerungen
Kapitel 3: Gigas
Kapitel 4: Gigas II - Nimm keine Rücksicht
Kapitel 5: Gigas III - Die Macht des Hammers
Kapitel 6: Der Grillmeister des Grauens
Kapitel 7: Des Psychiaters Überblick
Kapitel 8: Alle mögen Beck
Kapitel 9: Ihre Gedanken I
Ein Ort, der zum Träumen einlädt. Hoch oben über allem thronend. Der perfekt ist. Abgesehen von den Menschen, die keine sind, da sie sich für etwas Besseres halten. Die, die Sklaven halten und sie verkaufen, ihrer Willkür nachgehen und trotz all dieser Laster Herrschende sind. Selbst diese 'Menschen', die Weltaristokraten, hielten sich aus diesem Park fern. Niemand sollte hier sein. Nicht um diese Uhrzeit.
Der Wind wehte sachte durch die Baumkronen, die hinter ihm in der höchsten Höhe lagen. Mary Joa lag so nahe am Himmel wie irgend möglich. Umso beeindruckender waren die riesigen Laubbäume, die ihre Schatten in den Park warfen. Ein kleiner Pfad lag hinter ihm, doch es war niemand da. Niemand ging hier entlang, niemand spielte oder lag in der Sonne. Niemand schwamm im Teich und ganz und gar niemand saß auf der Bank, die einsam und verlassen inmitten dieser Kulisse stand.
Der alte Mann blickte auf seine Taschenuhr, danach auf den leeren Sitzplatz neben sich. Er brach noch etwas Brot ab und warf es in den kleinen Teich, blickte den Enten nach, die sich um ihr Futter zankten. Beinahe wäre ein wütender Kampf mit lautem Geschnatter ausgebrochen, doch selbst die Vögel hielten inne, als der Mann einen leisen Seufzer ausstieß.
„Es ist Zeit.“
Er warf den Rest des Brotes ins Wasser und stand auf. Pfeifend kehrte er in sein Büro zurück, beendete seine Pause.
Der Psychiater blickte auf die Uhr an der Wand. Die Zeit der unbeschwerten Einfachheit war vorbei. Ab jetzt würde er erst einmal keine Informationen mehr aus dem Heiligen Land anfordern können, ohne einen bürokratischen Hürdenlauf über sich ergehen zu lassen.
Er trommelte mit den Fingern auf der Holzplatte, die seinen Schreibtisch zierte. Er wollte, in aller Stille, ein kleines Liedchen anstimmen. Jetzt, wo er mal alleine war, unbeobachtet. Ein kurzer Pfiff ertönte. Er war furchtbar anzuhören für jeden Hund, und jeden, der ein Instrument spielte. Mehr spuckend als melodisch agierend saß Krueger in seinem Zimmer. Es war einer dieser Momente des Tages, in denen er diesen Beruf verabscheute. Er war niemand, der sich jeden Tag irgendwo hinsetzen und abschalten konnte.
Seine Gedanken waren auf einem Schiff, das immer in Bewegung war. Mal ging es schnell und wüst, geradezu zerstörerisch zu. Dann wieder war es sacht und ruhig, rhythmisch schaukelnd. Für seekranke Menschen eine Tortur, für andere das, was sie unter Freiheit verstanden. Das höchste Gefühl, das sie jemals in ihrem Leben kennenlernen würden. Es passierte immer etwas auf dem metaphorischen Schiff in jeglichem Gewässer. Stillstand, den gab es nicht. In seiner Pause versuchte sich der Psychiater von all dem hier zu entfernen. Sei es für zehn, für fünf, wenigstens eine Minute. Doch es fiel ihm schwer.
Wenn andere nach dem ‚per Du‘ Ryan fragen würden, was würde er antworten? Fernab von steuernder Kommunikation, auf einer Ebene. Krueger hielt seine Finger still, kratzte sich am Bart. Es juckte. Er hatte sich das seit Jahren so gut wie gar nicht gefragt – und noch seltener hatte er sich mit einer zufriedenstellenden Antwort beschäftigt. Seine Finger zitterten, folgten dem Rhythmus. Sei es drum. Takttreffend trommelte er an der Lehne seines Stuhls, hinter den er sich gestellt hatte. Pfeifen konnte er nicht. Doch er konnte vieles, von denen sich andere nicht einmal eine Vorstellung machen konnten. Er war hier, um Verbrecher auszulesen und einzusperren.
Dr. Ryan Jay Krueger war der Direktor des Impel Down – niemandes Freund. Von niemandem der Mann, von niemandem der Vater. Er hielt noch einmal inne. Ein, zwei Sekunden. Er atmete aus, blickte auf die Uhr, rückte den Stuhl näher an seinen Tisch und verließ das Büro.
Sein Kopf brummte. Leise stöhnend legte sich Percy einen Lappen auf die Stirn, den er aus einem Eimer mit Wasser fischte. Dass es sich dabei um einen Putzeimer mit hineingebürstetem Bodenbelag handelte, war ihm herzlich egal. Hauptsache es kühlte seinen warmen, donnernden Schädel. Der großgewachsene Mann blickte sich im Raum um. Ein wenig fühlte er sich hier drinnen beengt, obwohl er alleine war.
Eine Pritsche, ein Eimer, kein Fenster – und durch die Gitterstäbe waren auch kaum mehr als zusammengekauerte Gestalten zu erblicken, die zuhauf gegenüber in ihrer Sträflingsmontur eingekerkert wurden. Keine Gespräche, lediglich lautes Atmen. Weshalb er hier war, das wollte keiner wissen. Sie waren nur wenige Meter und zwei Gitterzeilen voneinander entfernt. Doch in diesem Stockwerk des Gefängnisses gab es kaum noch Aufregung. Die früheren Foltermaßnahmen und Mutanten wurden größtenteils verkauft, verzehrt oder ins Meer entlassen. Kaum noch einer erfreute sich am Leid des andern, es war eine der wenigen Freuden, die einem früheren Insassen tagtäglich zuteil wurde.
Percy seufzte.
Nicht einmal Magellan schien es zu interessieren, wer er war. Dabei sollten sie sich doch noch kennen. Beiläufig, irgendwie. Doch womöglich war selbst er, der große Percy, bei der Masse an Gefangenen auch nur eines von vielen Gesichtern gewesen. Der rotgekleidete Mann schüttelte den Kopf. Hätte er früher gewusst, dass er ihrem Ziel schon so nahe war, hätte er nicht die Gunst der Stunde genutzt. Er ließ sich leiten.
Von allen Dingen, die ihn umgeben hatten, ließ er sich verführen. Hinauf ins Sonnenlicht, hinaus zu den Stimmen der unschuldigen Menschen, raus aufs Meer, dessen Größe sie lediglich umgab. Sie wenige Meter weiter zermalmen würde. Doch dicke Steinmauern schützten sie vor allem. Nicht aber vor dem Unwissen, welches er nun beinahe bereute. Ihre heutige Aufgabe und sein damaliger Kenntnisstand waren völlig unterschiedliche Welten. Piraterie ist halt anders. Percy warf den Lappen in den Eimer, schüttelte den Dreck aus seinen roten Haaren. Von ihnen Dreien wirkte er groß und unbeholfen, ohne Bartwuchs geradezu kindlich. Er war intelligent und unvorsichtig. Doch er war gewiss nicht dumm. Was immer ihn erwartete: Er kannte es, diese ganze körperliche Tortur. Der Direktor würde sie sicherlich mental fordern. Dafür war er nicht bekannt, er kannte ihn schließlich nicht, jedoch legte es sein ganzer Werdegang nahe. Direktor Magellan, Direktor Krueger, sie waren unterschiedliche Typen.
Wie aussichtsreich war ihr Unterfangen? Unsichtbarkeit und Zielmarkierung, zwei Teufelskräfte, die geradezu für Infiltration geschaffen wurden. Die Gedanken bezüglich ihres Versagens spukten in seinem Kopf, obwohl er sich jetzt nur konzentrieren wollte. Der Stoff seiner weißen Hose rutschte hin und her, als er seine Beine runter und wieder hoch bewegte. Sein ganzes Körpergewicht lag inzwischen auf allen seinen Zehen. Schnaufend machte der ‚Karatekämpfer‘ seine Liegestütze. Mit zwei Händen, mit einer Hand, mit einem Finger und nun hatte er beide Hände auf seinen Rücken gelegt, während sein Gesicht nur noch wenige Zentimeter über dem Steinboden lag. Für ein Gefängnis war es hier erstaunlich sauber, das freute ihn.
„Weiter, immer weiter!“
Es brannte in seinen Füßen, seinen Armen, der Brust, ein angenehmes Brennen der körperlichen Ertüchtigung. Er hob einen Fuß an und machte weiter. Man sagte ihm nach, dass er ehrgeizig sei. Wie töricht. Er lachte jedes Mal darüber, sobald jemand Ehre und Geiz in einem Wort vereinte. Wann sparte, wann schonte er sich denn jemals? Das wurde ihm in die Wiege gelegt. Konzentration, Fokussierung, Ausdauer. Seine Lunge, sein ganzer Körper war nach allem Training immer noch menschlicher Natur. Magellan drohte sie zu vergiften, darum mussten sie kapitulieren. Das war keine Schwäche, es war Fokussierung: Auf das Wesentliche, den lebenserhaltenen Trieb.
Er wollte gerne weiterleben, weiter an seine Grenzen gehen. Den Wettbewerb suchen, ihn annehmen. Er wollte gewinnen, verlieren, er wollte alles, was dazu gehörte. Brände mit einem Schlag löschen, über Wasser laufen, durchs Eis schwimmen. Vieles war unmöglich, darum versuchte er es. Der ‚Karatekämpfer‘ hatte sich sein Gedankenkonstrukt über Jahre zurechtgelegt. Das machte ihn sicher, glücklich.
Unmöglich ist das, was als solches bezeichnet wird. Was an Grenzen gebunden ist. Doch alles im Laufe der Geschichte veränderte sich. Menschen kamen nicht als Menschen auf die Welt. Sie entwickelten sich, passten sich an, um zu überleben. Grenzen verschoben sich über Jahrtausende. Weshalb sollte er nicht dazu imstande sein, an dieser Grenzverschiebung mitzuwirken? Er konnte derjenige sein, der den Stein letzten Endes umwirft, nachdem sich jahrelang andere dagegen stemmten. Irgendwann würde alles nachgeben. Auch er. Doch solange es nicht an der Zeit war, wollte er derjenige sein, der Neues entdeckte.
„Was machen Sie da?“
Die Stimme des Wärters war laut. Er brüllte geradezu, um den lauten Gesang aus dem Inneren der Zelle zu übertönen.
Eins, zwei, drei, vier.
Seine Tatzen waren um einen dünnen Wischmob gelegt und er tat sich schwer, den dünnen Stiel nicht zu zerbrechen. Beck bewegte sich galant durch den Raum, drehte sich, fing seine Sonnenbrille mit schnellen Reflexen, ehe sie von seinem zotteligen Gesicht weg an einer der Wände zerspringen würde.
„Das ist meine Liebste, oh yeah!“
Er verstaute seine schwarzen, heilgebliebenen Gläser in seinem Fell und schmetterte weitere Lieder.
Kapitel 10: Ihre Methoden II
Mit an den Hüften angelegten Tatzen tänzelte der Kodiakbär durch den Gang, entlang an den Zellen der Mithäftlinge, die inzwischen aus ihrer Lethargie gerissen wurden. Wie seine zwei Kompagnons war er vorrübergehend in eine Einzelzelle verfrachtet worden. Doch da er zum Tanz mehr Platz haben wollte, beschloss er nach draußen zu gehen. Hinaus und entlang an den aneinandergereihten Zellen, in denen sich Scharen an Verbrechern auf engsten Raume miteinander arrangieren mussten. Die Selbstverständlichkeit, mit der Beck die sonst so gelangweilten Häftlinge amüsierte, stand der Irritation der Wärter gegenüber, die sich dem Bären mit ihren Gewehren im Anschlag näherten.
„Zurück in deinen Käfig, du Bestie!“
Die Worte, so scharf sie ausgesprochen wurden, umso effektiver trafen sie das Gemüt des Tanzbären. Schwerer als jedes Stückchen Blei traf ihn diese Aussage. Ein Kloß steckte in seinem Hals, als Beck ein Seidentaschentuch aus seinem Fell zog und sich die schwarze, kalte Nase schnäuzte. Das entstandene Geräusch, so laut es durch den Gang hallte, ließ die Wärter vor Schreck aufspringen. Einer von ihnen, es war keine Absicht, betätigte dabei den Abzug seines Gewehres. Ein lauter Knall übertönte das Schnäuzen des Bären bei weitem, auch aus dem Grund, da es abrupt endete. Die Gefängnisinsassen rüttelten an ihren Stäben, sprachen laute Flüche aus, die Wärter traten ein paar Schritte zurück, vorbei an dem Unglücksraben, der zitternd im Gang stand. Unter lauten Schreien schüttelte er sich, roch den aufziehenden Schwefel in der Luft. Eine Berühmtheit stand vor ihm – getroffen. Sonst würden sie sich keine Gedanken machen, und kein Gefangener würde rebellieren.
Doch dies war anders.
Hinter ihm standen die Wärter, schauten, ob der Tumult der übrigen Insassen irgendwelche Konsequenzen hatte. Natürlich würden die Gitterstäbe nicht nachgeben, doch wenn selbst ein Einzelner hinaus spazieren konnte – was war dann mit denen, die es mit aller Macht in den Gang drängte?
„Nichts ist passiert.“
Hinter den Wärtern schob sich ein Mann entlang, der ihnen allen wohlbekannt war. Nicht sonderlich klein, doch gewiss kein Hüne. Unscheinbar ging er ruhigen Schrittes durch den Gang – auf den Bären zu – und während er die rüttelnde und schreiende Meute passierte, begannen diese ruhiger zu werden. Nur noch wenige Sekunden blieben, bis sich eine gespenstische Stille in die Etage legte. Der Direktor ging auf Becks geöffnete Zelle zu und deutete auf das Schloss.
„Hier wurde nicht abgeschlossen“, begründete der Psychiater den Freigang des Bären ungerührt und ging ein paar Schritte hinüber. Ehe sich seine Hand dem anderen Schloss näherte, zogen die Gefangenen sofort ihre Hände zurück, traten ein paar Schritte nach hinten. Dr. Krueger nickte, während ihn die Gefangenen hinter den Gitterstäben anstarrten.
Magellan und sein berühmt berüchtigter, durch Hannyabal bekannt gemachter Stuhlgang konnte die Autorität des ehemaligen Direktor tatsächlich schmälern. Selbst wenn er sich durch sein Gift einen gehörigen Eindruck verschaffte, war er für viele Gefangene zugleich eine Witzfigur.
Doch dies war anders.
Der jetzige Direktor machte keinen Hehl aus seiner physischen Schwäche. Er legte von vornherein alle seine Mängel offen und nahm damit all denen den Wind aus den Segeln, die über „den Neuen“ tuscheln wollten. Kaum jemand wusste, wie sich Gerüchte in einem Gefängnis verbreiten konnten, jedoch war klar, welche Macht hinter dieser Kommunikation stand. Geschichten und Erzählungen prägten das Bild eines Menschen, machten es für denjenigen realer, der weggesperrt von allem keine Möglichkeit hatte, um selbst einen Eindruck gewinnen zu können.
Der Direktor stand seelenruhig im Gang, die Gefangenen waren hinter ihren Stäben nur wenige Meter von ihm entfernt. Ein jeder von ihnen besaß die Macht, ihn zu töten. Ein Gedanke, der jeden antreiben müsste, der sich nach der Welt da draußen zurück sehnte. Trotzdem blieb der Direktor ruhig. Ihr Antrieb war es gewiss nicht, ihn umzubringen. Sie respektierten ihn, weil sie ihn nicht zu fürchten hatten. Er würde sie nicht vergiften, nicht foltern, nicht verhöhnen.
Dr. Krueger zog einen Schlüssel aus seiner Tasche und ging langsam auf die offene Zelle von Beck zu. „Wer nicht fliehen will, muss auch nicht eingesperrt werden.“
Vor den Augen der Gefangenen, der Wärter und seinen eigenen verschloss er die leere Zelle des Bären und legte diesem die Hand auf die Hüfte, zu hoch waren seine Schultern gelegen.
„Ich möchte noch ein Lied hören!“
Der traurige Schütze traute seinen Augen kaum, als sich der Bär ein weiteres Mal schüttelte und die Kugel aus seinem Fell flog. Unversehrt und auf einen dramatischen Moment bedacht, umarmte der großgewachsene Bär den Psychiater und begann mit diesem zu tanzen. Etwas unbeholfen ließ es der Direktor über sich ergehen und folgte den Bewegungen des Tänzers, der seine Tatzen auf seinen Schultern abgelegt hatte.
Pirouetten drehend bewegten sich Krueger und Beck galant über den Steinboden, angefeuert von den Gefangenen und angestarrt von den Wärtern, die sich eigentlich genauso gut in Luft hätten auflösen können. Dies würde dieser Skurrilität nichts mehr Exklusives hinzufügen können.
Krueger blickte den Bären an, wusste, was dieser in seinem Liedtext ansprach - der er operngerecht vorgetragen wurde. Er vollzog eine drehende Armbewegung, unter der der geschulte Tänzer Beck sich von ihm wegdrehte und sich nach hinten fallen ließ, nur um von Krueger unter aller Anstrengung wieder herangezogen wurde. Besondere Gestalten erforderten besondere Maßnahmen, drum musste wohl auch er singen, um dieses Gespräch in aller Öffentlichkeit unauffällig auffällig durchführen zu können.
Krueger beendete seine erste Strophe, erhielt ein Nicken des Bären, der sich keine Blöße gab und seinen Schritt beschleunigte.
Nun waren es die nicht in Luft aufgelösten Wärter, die zu Applaudieren begannen, während Krueger weiter tanzte und den Bären so ausfragte, wie er es noch nie getan hatte.
Doch dies war anders…
Kapitel 11: Ihre Hürden III
Kapitel 12: Nichts ist zufällig
Kapitel 13: Etwas Besonderes sein
„Widerstehen Sie dem Drang, betreten Sie nicht das Siebte Level.“
In der Neuen Welt drängte sich das Geräusch des Kanonendonners zwischen das laute Grollen der Wolken, das Meer tobte neben dem Gefecht zweier Schiffe, die Marine stellte sich den Piraten entgegen, die ihr Schiff zu Kapern versuchten. Wie viele Männer auf beiden Seiten umgekommen waren, wusste keiner von ihnen. Es war unübersichtlich, fürchterlich laut, jeder dachte nur noch an sich, dass er diesem würdelosen Aufeinandertreffen nicht sein Leben zu opfern hatte.
Und daneben, gar nicht weit entfernt, schaukelte ein kleines Boot, von Wellen gehoben und gesenkt, jedoch nicht aus der Balance zu bringen. Jeder darauf hatte nicht zu befürchten, dem Zorn des Meeres anheimzufallen. Auf diesem kleinen Boot aus Holz, da stand ein Zelt in edel anmutenden Stoffen, die kegelförmig nach oben ragten.
Und in jenes Zelt war soeben eine Person eingetreten, der eben noch der Kanonendonner in den Ohren hallte, der eben noch der starke Regen die dünne Kleidung durchnässte – und der im nächsten Moment auffiel, dass alle Geräusche, alle Temperaturen, die sie eben noch fühlte, mit ihrem Eintreten verschwanden. Die beiden Vorhänge, zwischen denen sie eintrat, fielen zu und sperrten jegliches Bild, jegliches Geräusch ihrer Außenwelt aus. Beim ersten Mal dachte sie, dass sie ins Jenseits eintrat, sich von allem Irdischen trennte und ihre Seele nun hier in diesem kleinen Raum ihre letzte Ruhestätte fand. Doch sie irrte.
Vor ihren Augen war eine kleine feingeschliffene Holzfläche, der Verkaufstresen, der momentan allerdings leer war. Der Teppich unter ihren Füßen, die mit Kissen ausgelegte Ecke, der Geruch, es wirkte alles so exotisch – orientalisch – wie aus einer anderen Zeit. Ihr gefiel es, die Person mochte es hier, drum merkte sie gar nicht, dass sie hier bereits einige Sekunden wartete. Das war ungewöhnlich. Da öffnete sich der Vorhang hinter dem Verkaufstresen und eine ihr bekannte Gestalt schwebte in den Raum, ein Tablett mit Teekanne und zwei Tassen in den klauenartigen Händen haltend.
„Entschuldige die Verspätung, du weißt, dass ich fort war.“
Die Dame blickte den Alligator an. Sie nahm die gefüllte Tasse und setzte sie an ihre roten Lippen.
„Du bist zu bescheiden“, murmelte sie aus der Kissenecke, in der sie sich niedergelassen hatte. Dann pustete sie in ihre Tasse, obwohl es unnötig war. Die Temperatur des Tees war perfekt, sehr warm und doch auf den Punkt unbedenklich für die vielen Nerven ihrer Zunge. Doch sie war es gewohnt. Darum pustete sie. Sie war so vieles gewohnt, umso öfter wollte sie sich kneifen, sobald sie ihn sah. Sie fürchtete ihn nicht. Es gab vieles, was weit harmloser war.
Ruhig zog sie den weißen Ärmel ihrer Bluse zurück und öffnete den Vorhang, hörte sofort das donnernde Unwetter, das sich wie das Ende der Welt anhörte – wie das Meer, das nun beschloss, alles zu verschlingen, nachdem es Millionen Jahre das Festland festes Land bleiben ließ. Es war schaurig daran zu denken, was die Wassermassen mit den armen Körpern derer machten, die in die Tiefe sanken und ihre armen Seelen in der unendlichen Dunkelheit des unbekannten Meeresgrundes verlieren würden. Es war ein schaurig schönes Gefühl. Sie ließ den Vorhang los und zog ihren nass gewordenen Arm wieder ins Innere. Stille kehrte ein.
Sie blickte ihren Bekannten an und lächelte.
„Fürchtest du das Meer oder liebst du die Ruhe an diesem Ort?“ Sie blickte sich um: Teppiche mit Kreismustern, fransige Kissen, weiche Stoffwände. Hier konnte man sich wahrlich entspannen, während um sie herum der Tod auf die armen Seelen wartete. Auf Seebären, Kaufleute, Abenteurer, Piraten, auf die Marine, auf alle, welche lediglich zusammengebautes Holz von einem nassen Grab trennte. Deren Schiffe sich den Naturgewalten der Neuen Welt beugten und ihre Besatzung dem gnadenlosen Meer preisgab. Sie malte diese Szenarien in ihren Gedanken grausam und gnadenlos, doch das ließ ein aufgeregtes Kribbeln in ihr aufkommen. Sie liebte den schmalen Grat, der eine unbedachte Dummheit in ein gewolltes Risiko verwandelte. Womöglich fühlte sie sich deswegen in seiner Gegenwart wohl.
„Ich habe Herrn Magellan gewarnt, er wird es sicher bald dem Direktor melden.“
Die junge Frau strich sich durch ihr braunes Haar und blickte die Kreatur vor sich an. Ihre Augen blitzten, als sie einen tiefen Schluck Tee zu sich nahm.
„Wer der Frage einer Dame ausweicht, macht sich verdächtig.“
„Ich bin nicht als unruhige Person bekannt“, antwortete der schwebende Gastgeber abrupt und die Röte, die sich in seinem Gesicht beinahe bemerkbar machte, verschwand so schnell wie sie sich andeutete. Er blickte sie durch seine grünlichen Augen an: Ein junger weiblicher Mensch, wunderschön mit einnehmenden Charme. Glaubte er.
„Ich bedanke mich für dieses Bild.“
Er zog das alte Gemälde aus seinem Umhang und legte es auf den Verkaufstresen, der nun bis zum Rand gefüllt war. Mit Gemälde und alter Kunst, einem Unikat. Verkannt vom Personal des Impel Downs, seit Jahrzehnten anscheinend ignoriert, so fristete es in einer Ecke des Gefängnisses sein Dasein, die fast nie betreten wurde. Nun würde er es haben. Sein Körper zitterte, als er mit seinen schuppigen Fingern über den beschlagenen Rahmen strich.
„Es gehört ganz dir“, sagte die Frau und stellte die leere Tasse neben sich ab.
Freudig nickte der schwebende Teetrinker und verstaute seine Tasse im Inneren seines Umgangs. „Meine Warnung war für ihn und Magellan nicht falsch zu verstehen.“
Die Frau war aufgestanden und näherte sich dem Besitzer dieser kleinen Nussschale. Kurz vor seinem Gesicht blieb sie stehen, blickte ihn von nahem an, so nahe, wie ihm schon lange keiner mehr war. Er sah ein Funkeln in ihren Augen, das ihn bestätigte. Sie war nicht gewöhnlich. Nicht krank, nicht wahnsinnig, auch nicht gebrochen. Sie blinzelte kurz und sein Gedankenfaden riss. Sie war kein normaler Mensch. Das war schön. Aufregend.
Sie sah die spitzen schwarzen Pupillen eines Reptils. Wenn Augen das Tor zur Seele waren, sie trat einen Schritt zurück. Was wollte sie? Aufregung. Spannung. Sie konzentrierte sich. Seine Augen waren nicht echt, sie sah nicht die Seele, die sie sehen wollte. Dann lachte sie.
„Indem sie es richtig verstehen, werden womöglich andere Schlüsse gezogen.“
„Deshalb bietest du mir ein Gemälde von unschätzbarem Wert?“
Erstmals war ein Zug von Überraschung in der Stimme des schwebenden Gemäldebesitzers zu hören. Die Frau lachte und ließ sich wieder in die Kissen fallen. Sie war erleichtert.
„Das ist nicht mehr meine Entscheidung.“
Schier unendliche Last fiel von ihren Schultern ab und sie ließ sich tiefer ins Kissen sinken.
„Ich bin froh, dass sie von einem starken Mann getroffen wird.“
„Sie sind eine starke Persönlichkeit.“
Mit stotternder Stimme nahm der Psychiater seine Brille ab und rieb sich mit seinem Ärmel über die feuchten Augen. Es war unprofessionell. Für seinen Berufszweig verwerflich. Sie blickte ihn an, zitterte am ganzen Körper. Sie war durch die Hölle gegangen und sah endlich das Licht. Sie sah die geröteten Augen eines Mannes, der er der Beste seines Faches war. Er war wahrlich menschlich.
„Ich danke Ihnen“, stammelte sie, wie sie vor dem Sofa kniete, ihr Gesicht in ihren Armen vergrub.
„Danke…“
Dr. Krueger nickte. Stolz überkam ihn, während die Tränen der Erleichterung wichen. Ihre Dämme hingegen waren gebrochen. Das war gut. Sie würde weiterleben.
Sie war eine starke Frau. Etwas besonderes.
Kapitel 14: Alles Geschichten
Kapitel 15: Der Mann dazwischen
„Uaaaaaaaaaaaaaaaaaaaah!“
Das war befreiend.
Laut und lang, und mit einer Prise Panik, einem Cocktail mit erlesenen Zutaten gleichend, mit Eiswürfeln und Schirmchen, umgerührt mit dem Strohhalm, der farblich zum Getränk passte, so angenehm fühlte sich der Sturz für ihn an. Lauthals schrie er, während er mit Beck in den Abgrund gestürzt war. Die Rutschstange neben ihnen sauste wie ein silberner Streifen an seinen Augen entlang. Wie der Aufprall letztlich aussehen würde, wusste der Direktor nicht. Das war ihm ehrlich gesagt auch ziemlich gleichgültig, zu sehr genoss er die Überraschung, die die aufkommende Nervosität in ihm auslöste. Eine menschliche Reaktion, die allerdings ungeahnte Schübe in ihm auslösten. Adrenalin, Erregung, alles kam in ihm zum Vorschein, was zuvor nur Kalkül und Berechenbarkeit gewesen ist. Er sah den Boden, auf den sie zustürzten.
Ein Glas ging zu Bruch. Erneut. Ein trüber Schleier lag auf seinen Augen, das flackernde Licht zuckte neben allem, das in seinem verschwommenen Sichtfeld gärte. Sein Kopf lag träge auf der Theke, klebte im feuchten, riechenden Rumfilm, der an seiner Nase entlang lief. Er fühlte sich hundeelend, achtete nur auf das Surren der defekten Lampe, die neben den aufgereihten Spirituosen an der Wand hing. Brummend hob der Wirt den Kopf des Betrunkenen an, um darunter die Alkohol- und Speichelpfützen wegzuwischen. Unsanft ließ er das schwere Haupt auf die Theke donnern, um mit beiden Händen seinen Lappen über der Spüle auswringen zu können. Angewidert blickte er das Häufchen Elend an, das seit Stunden allein an der Theke saß, umringt von mehreren Dutzenden Gläsern. Alle anderen Gäste hatten sich weggesetzt oder näherten sich der Theke mit zugehaltener Nase. Natürlich roch es hier und da nach Urin und Erbrochenem, doch der Halbtote toppte es noch bei weitem. So musste eine Leiche riechen, dachten viele, die an ihm vorbei zu den Toiletten huschten. Was immer es war, es war abstoßend.
„Ich...kann...nicht...“
Plötzlich rutschte der Mann zur Seite, kippte vor den Augen des Wirts mitsamt seinem Hocker um und landete krachend auf dem Boden. Die vielen Gläser über ihm wackelten und das ein oder andere fand den Weg über den Thekenrand hinweg, landete neben ihm, zerbrach in unzählige Scherben. Reste des Alkohols spritzten ihm ins Gesicht, während ein nasser Film an ihm entlang lief. Er blinzelte, merkte die fehlenden Scherben in seinen Augen, war kurz erleichtert, der er in seinem Delirium kaum noch Schmerz verspürte. Da lag er, umzingelt von Leuten, die ihn begutachteten. Wobei das ‚gut‘ kaum noch gelten konnte. Sie sahen ihn. Denn gut war an dieser jämmerlichen Existenz nichts mehr. Er war kaum noch mitleiderregend, lediglich ein Leben, das in der Form keinen Wert mehr hatte. Es musste erst etwas zerstört werden, bevor etwas Neues erschaffen werden konnte. Er atmete tief ein. Jeden Moment würde es ihn überkommen. In seinem Schädel donnerte es. Es konnte nur besser werden. Doch vorher musste er durch die Hölle gehen. Alles kam in ihm hoch und er ließ es einfach zu.
Der Wirt schüttelte den Kopf und ließ Wasser in einen Eimer laufen. Am besten sollte doch ein reißender Wasserstrom allen Unrat aus seiner Bar schwemmen. Doch so einfach war es nun auch nicht. Er seufzte und sammelte die Glasscherben aus der frischen Kotze.
„Danke…James“, sprotzte die Gestalt, als ihr lauwarmes Wasser ins Gesicht geschüttet wurde.
Das war befreiend.
Lachend erhob sich der Direktor aus dem riesigen Fellballen, der er den Namen Beck trug und ihren Sturz gedämpft hatte. Diese Sekunden des freien Falls bescherten ihm einen Schub. Aufgeregt schüttelte er sich. Seitdem er hier war, fühlte er sich kaum noch herausgefordert. Alles war so vorhersehbar, zu erahnen, intuitiv richtig einzuschätzen. Doch jetzt fühlte er sich quietschfidel. Der Direktor drehte seinen Kopf hin und her, hörte ein leises Knacken. Alles war gut. Bis zu dem Moment als sich Beck hinter ihm schüttelte und eine gigantische Staubwolke den verdutzten Krueger in einen Hustenanfall hüllte.
„Sind wir hier allein?“
Wo war das fröhlich-groovige in der Bärenstimme hin? Der Direktor ahnte, dass ihnen nur wenig Zeit blieb, ehe jegliches Gespräch mit weiteren Fragen belastet würde. Darum streckte er seine eingestaubte Hand aus und reichte sie dem großen Gegenüber.
„Lass uns tanzen.“
So bewegten sie sich galant, abseits der Gefangenen dieses Stockwerks, die sie neben der „Tanzstange“ nicht mehr einsehen konnten. Nahe schmiegte sich Krueger an die Brust des Bären, spürte dessen Herzschlag. Es gab die unterschiedlichsten Methoden, um jemanden zu lesen. In welchen Situationen war jemand mit sich selbst in Einklang? Wann spürte er Anspannung, wann spiegelte er eine Erinnerung?
„Ich kenne deine Geschichte“, brummte der Direktor, während er ins dichte Fell hinein sprach.
„Sie kennen die Vergangenheit“, entgegnete der Bär, dessen unruhige Stimme nicht mehr zu seinen koordinierten Bewegungen passte. Ein weiteres Merkmal: Asymmetrisches Verhalten. Nach Außen hin konzentriert, der Herzschlag jedoch schneller. Nun hieß es nur noch: War es körperliche oder geistige Anstrengung? Krueger wusste es, dennoch ließ er sein Gegenüber nicht los. Sein Vertrauen war größer als seine Angst vor einer schmerzhaften Bärenumarmung.
„Wer ist das Bindeglied zwischen deinem Heiland und mir?“, fragte der Direktor und ließ sich kurz in die Luft werfen, um sich von einem rotierenden Beck auffangen zu lassen. Ja, sein Vertrauen war durchaus vorhanden, auch wenn er nun durch die Gegend gewirbelt wurde. Wie umgedrehtes Capoeira. Sehr lässig. Jedenfalls hatte er die richtige Frage gestellt, zu sehr kompensierte sein Gegenüber seine Wut in immer wilderen Bewegungen. Es steckte viel Aggression in Beck, vieles, was sich über Jahre aufstaute. Doch es war wohl noch nicht die Zeit, sie zu entladen.
„Können Sie etwas tun?“, fragte der Kodiakbär.
Wer Vertrauen sät...nein, die Metapher war furchtbar, dachte der Direktor. Dennoch war ihm klar, dass ihm nun auch eine großgewachsene Kreatur vertraute. Das war einfach seine Stärke.
„Klar!“, antwortete der Direktor lapidar.
„Sir, wir haben den Kontakt zu unseren Männern verloren.“
Die Stimme des Boten klang nervös, deckte sich mit seinen Gefühlen, die er seit Eintritt in diesen prunkvollen Raum verspürte. Weit vor ihm stand ein Mann, kerzengerade in die Höhe gewachsen, die sichtbaren Hände hinterm Rücken verschränkt, aus dem gigantischen Fenster blickend. Wo er den Himmel sah, und Vögel, weites blau, einen Park, in dem Enten gefüttert wurden. Ja, hier war ein guter Platz, um das zu sehen, was schön war. Er drehte sich um und blickte den Boten mit einem Lächeln an.
„Glaubst du, das sei eine Geschichte?“
Er schritt ruhig auf den jungen Mann zu, der er nicht einmal ein kleines Rädchen verkörperte. Er liebte es nachzudenken, sich eine Welt auszumalen, die weit schöner war als das, was er hier zu sehen glaubte. Immerhin kannte er alles. Das Leben, die Armut, den Reichtum und den Tod.
Er legte dem Überbringer der „Neuigkeiten“ seine behandschuhte Hand auf die Schulter und sah ihm in die Augen.
„Dein Blick spricht Bände. Du fürchtest dich. Daher wiederhole ich meine Frage...“
Er wandte sich kurz ab, da er wusste, dass zu langer Augenkontakt als unangenehm empfunden wurde. Dem Jüngling wollte er auch keine Angst einjagen. Dafür gab es hier zu vieles, was weit verstörender war als er selbst. Er lachte kurz.
„Glaubst du, das sei eine Geschichte, eine, in der dem reichen, einsam in die weite Welt blickenden Mann eine missliebige Botschaft überbracht wird und der Überbringer der schlechten Nachricht seinem ungezügelten Temperament anheimfällt?“
Er ließ diese lang formulierte Frage auf sein Gegenüber wirken, trank ein Schluck Wasser und kehrte zum Fenster zurück. Der Park war leer, die Enten zankten sich ums letzte Brot, das im Teich trieb. Wie er diese heile, falsche Welt verabscheute. Und doch mochte er sich stets fragen: War ihm eine falsche schöne Welt lieber als eine wahrhaft hässliche?
„Junger Mann, wie findest du diesen Ort?“, fragte der einsam aus dem Fenster blickende Mann und bereitete sich innerlich auf die zu erwartende Antwort vor.
„Sir, ich finde es hier wundervoll!“
Als keine Antwort von der Fensterseite kam, blickte der junge Mann auf die geballten Fäuste, die sich unter den weißen Handschuhen des reichen Herren kein Stück bewegten.
„Weißt du, dass eine Reaktion erwartbar sein muss, selbst wenn es keinerlei Anzeichen...“
Da sackte der Bote plötzlich zusammen und lag ohne jegliche Regung auf dem polierten Boden.
Ehe der verbliebene Mann seinen Satz beenden wollte, überlegte er kurz. Wem würde er jetzt die Pointe servieren können?
„...dafür gibt.“
Er ließ diese zwei trotzdem ausgesprochenen Worte im weiten Raum erklingen. Nein, das war ohne zuhörendes Publikum nicht das gleiche. Da stampfte er auf und ärgerte sich. In Wahrheit aber musste er ein lautes Lachen unterdrücken. Alles lief wie erwartet.
Das war schön.
Kapitel 16: Hasse mich oder nicht
Ja, das war schön. Wirklich!
Er wurde von seinem Boten mit 'Sir' angeredet, während dessen Stimme zitterte und jeden Moment zu brechen drohte. Diese Angst, die er im Raum spürte, sie war einfach ein erhabenes Gefühl. Zwar blickte er ihm nicht in die Augen, wo sicher noch mehr Spuren der Ehrfurcht zu entdecken waren, doch der Blick aus dem Fenster, hinaus in die friedliche Landschaft des Heiligen Landes, ja, auch diese Aussicht war von wahrhaftiger Schönheit. Der bildhaft denkende Mann entfernte sich vom Fenster, schritt unaufgeregt über den harten, glänzenden Untergrund und beugte sich zu dem Boten herunter, der reglos auf dem Boden lag.
„Ich hatte auch mal dieses Gefühl gehabt.“
Ob er seine Worte hörte, wusste der Mann nicht. Seufzend strich er sich durch sein blondes Haar.
„Ich werde noch sentimental“, murmelte der Mann und spürte seine Bartstoppeln an seinem Handrücken, wie er sich übers Gesicht strich. Bis er eine Antwort von „ihm“ erhalten würde, musste er Zeit totschlagen. Seine Faust ballte sich unter seinem Handschuh, er näherte sich langsam dem Boten, der noch immer am Boden lag.
„Totschlagen...“
Er lockerte seine Faust und hielt die flache Hand in die Höhe.
„Jetzt wäre es totschlagen“, seine Hand sauste von rechts nach links. Aufmerksam lauschte er dem Geräusch, als seine Hand durch die Luft fuhr. Er ballte wieder eine Faust.
„Jeder würde bei einem Schlag doch eine flache Hand, einen brennenden roten Abdruck im Gesicht des Geschlagenen erwarten.“
Er lockerte seine Faust. Dann lachte er kurz.
Wollte er jetzt ein Leben nehmen, nur weil er ein gesprochenes Wort wörtlich nahm? Kurz überlegte er. Erneut blickte er ins zitternde Gesicht des Boten.
„Bin ich wirklich so ein...?“
Ihm fiel keine geeignete Bezeichnung ein, doch es gab durchaus einige, die ihm im Laufe der Jahrzehnte entgegnet wurden. Mit Inbrunst. Mit Verlangen. Mit Zorn und Abscheu, so vieles, was er an sich herankommen ließ, was er vehement leugnete. Erneut blickte er den Boten an, der sich langsam wieder aufrappelte.
„Lass mich dir helfen.“
Er streckte dem jungen Mann seine Hand entgegen. Dieser blickte auf, sah das freundlich lächelnde Gesicht des Mächtigen. Obwohl dessen gepflegtes Äußeres und der Tonfall seiner Stimme nichts anmerken ließ, fiel der Bote hinten über auf seinen Hintern, krabbelte instinktiv rückwärts Richtung Ausgang. Seine Angst war zu groß. Er wusste nicht, was es war. Doch sein Instinkt riet ihm zur Flucht. Er blickte den Wohlhabenden mit zitternden Augenlidern an.
Nein, sein Instinkt riet nicht, es drängte. Es drängte, es zwang ihn zur Flucht.
„Danke, es geht schon“, schrie er panisch auf, die geöffnete Flügeltüre hinter sich wähnend. Er wollte den Mann, zu dem er entsandt wurde, nicht aus den Augen verlieren, ihm nicht den Rücken zuwenden. Die Gesichtszüge des Verschmähten verkrampften nicht, so blieb er einfach stehen und beobachtete ruhig die Unruhe seines Boten, der er wohl nicht mehr lange sein Bote würde.
„Ich verstehe deine Angst“, wiederholte der Mächtige mit anderen gewählten Worten und blickte schlussendlich in die mit Tränen gefüllten Augen des Boten. Er bekam beinahe Mitleid, als er die schiere Panik im Gesicht des Neulings sah. Kreidebleich kroch er noch immer in Richtung Ausgang, unfähig seine Gliedmaßen zu koordinieren und aufzustehen. Worte bekam er nicht mehr heraus, da er nicht einmal wusste, was er sagen sollte. Der Mächtige gab ihm nämlich gar keinen Anlass, um irgendeine Form von Unbehagen zu verspüren. Was er zu wissen glaubte, quatsch, er wusste schlichtweg gar nichts.
Da knallte der Bote mit dem Kopf auf den Boden, mit weit aufgerissenen Augen, und Speichel, der ihm aus dem Mund lief. Seine Arme suchten mit letzter Kraft ihn irgendwie aufzurichten. Doch sein Rücken, sein ganzer Körper sackte in sich zusammen. Da lag er, unfähig mit geöffneten Augen das zu sehen, was sich vor ihm abspielte. Nämlich nichts.
Der reiche Mann hielt sich die Hand vors Gesicht, wandte sich ab. Er wollte sich dieses letzte hilflose Aufbäumen des Körpers nicht mehr mit ansehen.
Darum wartete er.
So trommelte er auf der Lehne des Sofas, auf das er sich niedergelassen hatte. Erst spielten seine Finger auf schwarzem Leder, dann auf einem mit Daunen gefüllten Kissen. Natürlich hörte es sich grundverschieden an, drum lauschte er auch dieser Geräuschkulisse, merkte schließlich die Veränderung, die sich ihm offenbarte. Der Atem fehlte. Das Herz des Boten stellte seinen Dienst ein, entließ ihn mit grauenvoller Unsicherheit ins Jenseits.
Der Mann blickte sich um, schloss die Tür. Als er den frischen Leichnam des Boten sah, tat er das, was er sich für einen solchen Augenblick ausgedacht hatte. Er öffnete sein Fenster, lehnte sich in den geschliffenen Rahmen, spürte den Wind in seinem Gesicht und lachte. Als hätte man ihm einen köstlichen Witz erzählt, als wäre ein Mann gestolpert und im hohen Bogen die Redline hinunter gestürzt. Er lachte laut, übte die abstraktesten Laute. Er atmete tief ein, hielt sich den aufgeblähten Bauch.
Hoooo hooo hooo
Er variierte, brillierte, hustete, seine Stimme hob sich, sie senkte sich. Sie quietschte. Er drehte sich um, sah den regungslosen Körper des Boten, den er unterdessen aufrecht aufs Sofa gesetzt hatte.
„Ich lache dich nicht aus, mein Freund!“
Er schloss das Fenster seines großen Palastzimmers und räusperte sich.
„Ich weiß einfach nicht, was ich sonst machen soll...“
Der Tote hatte für ihn keine Bedeutung mehr. Streng genommen hatte er nie eine gehabt. Er sollte ihm das sagen, was er hören wollte. Dass er ihre Begegnung nicht überleben würde...
Er kratzte sich am Kinn.
...das passierte nicht zum ersten Mal. Er war eine durchaus einnehmende, ja, streitbare Persönlichkeit.
Der reiche Mann ballte seine Fäuste. Dieses verdammte Leben, es kotzte ihn einfach an. Und gleichzeitig, ja, eigentlich liebte er sein Leben. Es passierte stets etwas Neues.
Es musste erst etwas zerstört werden, bevor etwas Neues erschaffen werden konnte. Wie würde Krueger seine Botschaft aufnehmen?
Sein Stuhl knarzte nicht mehr, nachdem er sich prüfend nach hinten lehnte. Ravehouse rieb sich die Stirn. Hatte sie sich etwa an seinem Platz zu schaffen gemacht, während er weg war? Nein, er wollte der Person, die er im Verdacht hatte, keine Vorwürfe machen. Trotzdem ertappte sich der alte Beamte dabei, die Schubladen neben seinem Schreibtisch genauer anzusehen. Er hauchte die metallenen Griffe an und sah...nichts. Selbst der Hinternabdruck auf seiner Stuhlauflage war der gleiche wie zuvor. Ein klassischer eins-A-ravehouse'scher Gesäßstempel. Man hätte ihn als Stempelkissen verkaufen können. Er hob das Kissen an und legte sein Ohr auf die Holzoberfläche seines Stuhls.
„Hah!“, rief er laut aus und tanzte freudig um den Stuhl herum.
„Bale!“, schrie er noch lauter – die Entenkämpfe hatten ihn ganz wuschig gemacht. Das spürte er in seinen alten Knochen. Das pure Leben, hervorgerufen durch eine Ente, die sich mit einer anderen, weniger hübschen Ente um Brotkrumen prügelte. Schnatternd mit Schnabel und kleinen flauschigen Flügeln.
Das war schön.
„Bale, bring mir Kaffee!“, krähte Ravehouse und polterte unruhig auf seinem Stuhl. Nun war er wieder in seinem Beamtenalltag gefangen. Doch er bereute es nicht, etwas Neues erschaffen zu haben. Zufrieden führte er schließlich die Tasse an seinen Mund und sprotzte sie seinem Gegenüber plötzlich ins Gesicht.
naak naak naak
„Die Ente...du hättest sie hören sollen“, flüsterte der alte Mann lachend und beobachtete, wie sich Bale das verbrannte, gerötete Gesicht hielt.
„Zier dich nicht so“, entgegnete Ravehouse todernst und wandte sich wieder seiner Arbeit zu.
Rache ist süß...beziehungsweise bitter, dachte er schmunzelnd.
Niemand setzte sich auf seinen Stuhl. Niemand!
Dann öffnete er eine Akte, betrachtete das angehängte Foto eines Mannes mit blonden Haaren und weißen Handschuhen, mit denen er sich durch eben selbiges Haar fuhr.
„Was hast du bloß getan...“
Alexander...
Er wollte den Namen, den er da las, nicht aussprechen. Denn erstmals in dieser Woche bebte seine Stimme vor Wut.
Kapitel 17: Blicke wie Arschtritte
[vor einigen Jahren]
„Wie können Siiiiie
es waaaaaaaaagen?“
Die dumpfen Laute der Wachen überschlugen sich vor Entsetzen und sie taten alles, um den Eindringling festzuhalten, während ihre zarten Stimmchen an den Wänden des Ganges widerhallten. Sie versuchten ihn durch ihre Sehschlitze zu erspähen, welche in ihre Rüstungen eingelassen waren. Doch nur wenige sahen ihn tatsächlich, zu groß war bereits der Haufen an Rittern, die sich polternd auf ihn gestürzt hatten. Es klapperte und schepperte als der Blechhaufen durch die Luft – und die in den Rüstung steckenden Männer – kreischend durch die Gegend geschleudert wurden.
„Lasst mich“, entgegnete der Mann kurz angebunden. Er schrie nicht, doch im Vergleich zu ihnen allen würde seine Stimme ihre metallischen Uniformen rosten und sie darin elendig verrecken lassen. Was immer nötig war, um ihnen diese Vorstellung eines grausamen Todes vor den Einspruch zu stellen, der ihnen zu dem Zeitpunkt verwehrt blieb, an dem sie diese zwei Worte mit trockenen Kehlen vernahmen. Nicht wenige von ihnen waren froh, in einer Rüstung zu stecken, so sollte keiner die stinkende Schande sehen, die sich in ihrem jeweiligen Schritt abspielte.
„A...“, eine der Wachen, die noch mit letzter Willenskraft einen Buchstaben ansetzte, wurde vom Eindringling angesehen. Kurz, ruckartig. Wie von Sinnen sah der zitternde Blechmann die blauen Augen des Mannes, der er ihnen allen bekannt war. Doch wer nicht angemeldet war, der war ein Eindringling. Selbst er, dessen nicht zitternde Augenlider der Wächter erblickte, auf wackligen Knien zu Boden gehend, und ihm schließlich hinterher blickte, selbst er war ein Eindringling.
„Klopf klopf“, sagte der Mann und riss die Flügeltür auf – und aus ihren Scharnieren heraus. Da er die Gesetze der Physik kannte, ließ er sie zeitig los, sodass sie - ohne ihn - durch die Fenster im Flur krachten und irgendwo in Mary Joa – hoffentlich – einem Sklaventreiber in der Fresse landen würden. Der Mann lachte bei diesem Gedanken, lauschte den klirrenden Fensterscheiben, den berstenden Rahmen und den Stimmchen der Ritter, die vermutlich irgendwo weinend auf dem Boden kauerten. Doch sie sollten froh sein, dass er ihnen nur seelische Gewalt antat.
Er trat ein.
Er schnaubte.
Dampf schoss ihm aus der Nase. Zumindest wäre das in dem Moment etwas, was er sich wünschte, um seine Gemütslage jedem ersichtlich zu machen. Mit hochrotem Kopf stand er in ihrer Halle, spürte einen frischen Windzug, der durch das neue Loch im Palast seinen zu Berge stehenden Rückenhaaren schmeichelte.
„Ravehouse“, murmelte einer der Männer, die er aufzusuchen gedachte. Die Stimme des alten Mannes, der er noch älter als Ravehouse war, klang melodisch und freundlich, als würde bereits die Aussprache des Namen Ravehouse ein Loblied auf denselben anstimmen.
„Wir freuen uns, dich zu sehen!“, fügte der alte Mann hinzu, der er mit seinem langen weißen Bart und seiner kerzengeraden Haltung wie auf Stelzen gehend auf ihn zu stackselte. Wäre er nicht wütend, würde er über diese abstruse Gangart lachen. Doch es war einfach, er war sehr wütend.
„Reize mich nicht, Bob“, antwortete Ravehouse nun ruhig, doch sein Blick verriet den übrigen Vieren, dass es mit der Ruhe kein anhaltender Zustand sein würde.
„Reiz mich nicht, Booob“, äffte der Bärtige ihn belustigt nach, um die Stimmung ein wenig aufzulockern. Die Mannen hinter ihm hielten sich vor Peinlichkeit die Hände vors Gesicht.
Ravehouse blickte Bob ruhig an, danach trat er ihm gegen das hohe Bein, brachte ihn unter lautem Knacken seiner Kniescheibe zu Fall. Der Weise schrie vor Schmerz auf, hielt sich wimmernd seinen zertrümmerten Knochen.
„Was...“
„DU KENNST MICH!“, brüllte Ravehouse ihn ohne Zögern an und ließ den Weisen nicht einmal mehr dazu kommen, seine Frage zu stellen. Bob holte tief Luft, kniff die Augen zu und schwieg. Eine Träne kullerte über sein faltiges Gesicht, zu stark waren die Schmerzen, die er bis zu diesem Moment nicht mehr zu kennen glaubte.
„Wir kennen dich“, sagte ein anderer Weise und schob sich seine Brille auf die Nase. Er ließ von seinem Blatt ab, das er gerade polierte, legte sein Katana auf dem Stuhl ab, auf dem er bis eben in aller Stille saß. Dann ging er auf Ravehouse zu und legte diesem in aller Ruhe seine Hand auf die Schulter.
„Was möchtest Du uns mitteilen?“, fragte der Weise Al Gandhi und blickte den „Eindringling“ durch seine runden Gläser mit Fassung an. Gewalt war ein Weg, der bis zu Bobs Kniescheiben gegangen werden durfte, doch nicht weiter. Alles weitere würde für keinen hier Sinn ergeben.
Ravehouse zitterte, er blickte dem vernünftigsten Weisen in die Augen, spürte dessen Aufgeschlossenheit ihm gegenüber. Immerhin war er für sie kein niemand, niemand, auf den sie von den Sternen aus herab blickten. Das konnten sie sich nicht erlauben. Das wussten sie – und er wusste, dass sie es wussten und akzeptierten. Mussten.
„Bestraft Alexander Baelon!“
Der Wind, der eben noch durchs offene Fenster pfiff, er stand plötzlich still. Das Funkeln in Al Gandhis Augen erlosch und er blickte Ravehouse mit zitternder Unterlippe an. Eine zweite Träne kullerte über Bobs Gesicht, der sich auf dem Boden hin und her wälzte. Etwas brach in ihnen. Der Wille, hier eine einvernehmliche Lösung zu finden, er schwand immer mehr und jeder wusste hier, was es bedeutete, diesem nicht mehr nacheifern zu können. Der Eifer, den eine so kurze wie plötzliche Begegnung unter zwölf Augen eben hervorbringen konnte. Zwölf Ohren, die so vieles hörten, das die Geschicke von allem zu lenken imstande war. Pläne und Ideen, Reden und Ideale.
Sie alle standen still, nur noch das Scheppern der Blechrüstungen war zu hören.
Die gedämpften Stimmchen wandelten sich in ungedämpfte, jämmerliche Laute der Palastwachen, die in vollgeschissener Unterwäsche aus den Gängen flohen, wohl wissend, was diese Stille bedeuten musste. Wohl ahnend von ihrem Überlebensinstinkt gesagt bekamen: Verschwindet. Rennt einfach davon.
Innen im Raum der Weisen holte Al Gandhi tief Luft.
„Wir werden Alexander nicht bestrafen!“
Eine riesige weiße Kugel flog auf Ravehouse zu, der er mit schnellem Reflex zur Seite sprang. Danach knallte es und eine riesige Schicht aus weißem Flaum stäubte sich zwischen den Sprechenden auf, stieß den überraschten Al Gandhi von den Beinen. Er landete krachend neben Bob auf dem Boden, der ihn prompt mit gequältem Lächeln begrüßte. Böse funkelte Al Gandhi ihn an.
„Das war kein guter Schuss“, flötete der dritte Weise, Ludwig, mit seiner Lockenpracht und ließ sein spezielles Perückenkugelgewehr sinken.
Der Letzte unter ihnen beobachtete den vierten Weisen, Joseph, mit seinem markant feurigen Muttermal, der er begierig schnaubend seinen Sichelbart von der Nase schraubte und mit einer Nagelpfeile zu schleifen begann.
„Das ist doch Irrsinn!“, brüllte der jüngste Weise. Seine Stimme bebte und entlockte Ravehouse ein erstauntes „oh“. Immerhin war Adam der Erste hier, der seine Sprache zu sprechen schien.
„Müssen wir uns zwischen Alexander und ihm entscheiden?“
Er warf sein Jackett auf das Sofa hinter ihm und krempelte sich die Hemdärmel nach oben.
„Ganz gleich, wie wir entscheiden.“
Ein Grinsen zierte sein vergleichsweise junges Gesicht.
„Der gute Ravehouse muss Dampf ablassen.“
Al Gandhi schüttelte den Kopf. Dieser verdammte Adam. DAS war Irrsinn!
Kapitel 18: Ziemlich männlich
Kapitel 19: Weitermachen!
Niemand war da, obwohl er hier um diese Zeit nicht zu erwarten war. Ein Tropfen Morgentau löste sich von einem Blatt, das mitsamt seinem Ast über dem kleinen Teich hing.
Platsch.
Sein geschärfter Blick folgte den winzig kleinen Wellen, die sich in Kreisen vom in die Wasseroberfläche eintretenden Tröpfchen entfernten. Selbst kleinste Dinge konnten etwas bewegen. Und er, mit seiner Kraft und seiner Erfahrung, er konnte es nicht.
Ravehouse ballte die Faust, die Holzbank knarzte unter seiner angespannten Gesäßmuskulatur. Er war alleine an seinem Rückzugsort - und dennoch konnte er nicht innehalten. Er tobte innerlich.
Nein.
Risse zeichneten sich in den splitternden Holzlatten ab, auf denen er seit je her saß. Um zu ruhen, um sich vom Stress zu erholen. Weil das seiner Vorstellung vom alt werden so nahe wie möglich kam.
Leider war es zu spät, um dieser einst romantischen Idee nachkommen zu können. Ein Pärchen im Park, das Hand in Hand dem idyllischen Fleckchen Natur lauschen konnte - dem Wind, der durch die hohen Baumkronen strich, den Vögeln, die sich badeten, Entenküken, die leise schnatternd in Reih und Glied ihrer Mutter folgten.
Ein Pärchen im Park, das den Sonnenuntergang beobachtete, der hier oben in Mary Joa so nahe wie nirgends sonst den Himmel in abfallende Orangetöne eintauchte. Ravehouse legte seine flache Hand auf den leeren Platz neben sich.
Nein.
Er durfte sich nicht seiner Wut hingeben. Nicht an diesem Ort, nicht hier, wo er stets saß und ruhte. Nicht an diesem Ort, an dem er einst kniete - und innerlich betete.
Ravehouse blickte auf seinen Oberkörper, der hier in der Helligkeit des Morgengrauens noch stärker zu strahlen schien. Er rieb sich über die tiefe Schnittwunde, spürte den brennenden Wundrand, seinen Herzschlag, der beinahe sein Ende fand.
Nein.
Er wäre heute ganz sicher nicht gestorben. Adams wahrgewordener Albtraum legte sich erstmals in aller Länge auf die Bank, blickte gen Himmel und hörte ein letztes Platschen, ehe er lächelnd einschlief.
Beck traute seinen wuschigen Ohren kaum, als er sich Kruegers Antwort wieder und wieder durch den Kopf gehen ließ. Vermutlich war es nicht die schlechteste Idee, sich dem Direktor anzuvertrauen. Solage die anderen nicht erfuhren, was er dem Direktor eben erzählte.
Der Kodiakbär zögerte und brummte, dann spitzte er die Ohren, während sich Schritte mehrerer Personen ankündigten. Man hatte sie gefunden.
„Dass keiner diese Stange nutzt“, murmelte Krueger, blickte nach oben und schmiegte dann seine haarige Wange an das polierte Metall. Es roch nach Sadi-chan!
„Ihnen geht es gut!“
„Hurra!“
Die Stimmen verrieten die Freude der Mitarbeiter, die sich in einer Traube aus Einheitlichkeit von einer Wendeltreppe aus den beiden Gestürzten näherten. Hinter ihnen, mit weniger Elan und vollgeschwitzter Stirn, näherte sich Magellan in schnellen Schritten, unter seinem linken Arm den dort eingeklemmten und - aus naheliegenden Gründen - weinenden Patienten, auf der anderen Seite ein Polster auf seiner rechten Handfläche balancierend, auf dem sein Klappstuhl in aller Anmut stand.
„Endlich habe ich Sie gefunden!“, rief Magellan japsend und setzte sich auf das Polster, welches sein Klappstuhl zuvor durch seine hölzerne Wärme für einen guten Sitz vorbereitet hatte.
„Hach!“, seufzte der ehemalige Direktor im Einklang mit sich selbst und streckte sich vor lauter Entspannung. Wortlos krachte der aus dem Achselgriff befreite Patient auf, wobei dessen Nase den Steinboden zuerst kennenlernte.
„Was gibt es denn?“, fragte Krueger, der sich unlängst von der noch warmen Stange lösen konnte - und blickte in die Staubwolke, die durch das Gesicht des Patienten aufgewirbelt wurde.
„Gehen wir am besten in Ihr Büro!“, erwiderte Magellan. Sein Blick traf den des Bären, worauf er sofort den Reißverschluss seines Sitzpolsters öffnete und den regungslosen Patienten darin verstaute.
„Diskretion ist eine Tugend!“, sagte er und wandte den Blick vom Bären ab. Er ballte nervös die Faust. Beinahe hätte er vergessen, dass sich Beck und der Patient noch nicht begegnen durfen. Nicht bis sie wussten, was hier genau vor sich ging.
Zum Glück hatte er heute nicht geduscht, sonst hätte er den Patienten nicht mithilfe seines berüchtigten Oberarmschultergiftes betäuben können - so nannte er es. Doch in Wahrheit war es bloß der bestialische Achselgestank, was allerdings niemals jemand herausfinden würde.
Nein. Dieses finstere Geheimnis würde Magellan mit ins Grab nehmen.
Mit dem dicht befüllten Polster in beiden Händen schritt Magellan neben Krueger zum Fahrstuhl, um sich schließlich im Büro mit diesem auszutauschen. Es war Zeit, ihr neu gewonnenes Wissen zu teilen.
Jenes von Fes.
Jenes von Beck.
Sie mussten weitermachen!
Kapitel 20: Vertraute Gerüche
„Schau auf das, was dich glücklich macht!“
Die Stimme des Mannes zitterte, dann griff er das Ohr des Bären, zog ihn daran nach unten. Was diesen erst belustigte, immerhin war er viel größer und schwerer als sein Gegenüber, dieses hochmütige Gefühl wich der Überraschung. Mit solcher Kraft hatte er gar nicht mehr gerechnet, da wurde Beck bereits auf Augenhöhe heruntergerissen.
Es schmerzte ihn, und es kribbelte, während er Mühen hatte nicht vornüber zu fallen und vor dem Mann zu Boden zu gehen. Jenem Mann, der ihn rettete. Er wollte ihm danken, doch das aus freien Stücken. An einem geeigneteren Moment. Nicht jetzt, nicht in dieser Hektik.
„Hör mir zu“, wiederholte Becks Heiland zitternd, wie er den Griff am Ohr des Bären lockerte. Schließlich ließ er es los, um sich die Brust zu halten.
Das Schlagen seines Herzens löste ein wahres Beben in seinem Körper aus. Das Gift hatte einen Arm bereits gelähmt, jegliche Bewegung, jegliches Gefühl war aus ihm gewichen. Er konnte sehen, in verschwommenen Formen sah er das plüschige Gesicht seines Freundes, der er der Begleiter eines jeden Kindes hätte sein können. Der er ein Tier war - und menschlich zugleich. Wie ein Mensch fühlte, Leid empfand, und Dankbarkeit. Ihm gegenüber. Becks Dankbarkeit war aufrichtig und er fühlte, dass es ihn bewegte.
„Du bist zu gut für diesen Ort...“
Tränen rannen ihn über die Wangen.
„...ein Vorbild in Fesseln.“
Dann fiel er vornüber, knallte mit dem Kopf auf den Boden und der gläserne Helm auf seinem Kopf zersprang in dutzende Teile. Blut rann über seinen Schädel, lief aus den frischen Wunden seines aufgeschlitzten Gesichtes.
„Dieses Leben, diese Luft...“
Er unterdrückte die letzten Atemzüge, die ihm verblieben. Er hasste die Eigenschaften dieses Landes. Seine Intoleranz, sein Größenwahn, seine schier unermessliche Grausamkeit. Diese Eigenschaften, sie waren zwar nicht greifbar, doch trotzdem glaubte er fest daran, dass diese bösartige Aura des Landes jene Luft verpestete, die sie alle atmen mussten. Er hustete, Blut rann aus seinem Mund. Luft, die er jetzt atmen musste.
Beck blickte seinen Heiland an, griff dessen blutige Hand, griff in die Glasscherben, die sich noch in ihnen befanden. Doch es störte ihn nicht, störte nicht den Mann, der ihn durch einen trüben Schleier anblickte.
„So...flauschig.“
Noch ein letztes Mal spürte der Kodiakbär die schiere Kraft des Mannes, der er seine Pfote feste griff. Es schmerzte, zu überrumpelt war er von den verbliebenen Kräften eines sterbenden Mannes. Er biss auf die Zähne, ertrug den angenehmen Schmerz. Dann hörte er den lauten Herzschlag seines Freundes. Seine Ohren zitterten bei dem Geräusch. Der Schmerz ließ nach, der wiederkehrende Schlag, er blieb aus. Becks Herz pochte schneller denn je. Er wusste nicht, was er fühlte. Sein Körper war wie erstarrt.
Der Bär blickte seinen adeligen Freund an.
Die Farbe seiner ohnehin hellen Haut veränderte sich, die langen Haare fielen ihm aus, der braune feingetrimmte Bart verblich. Was war das für ein grausames Schicksal, selbst nach dem Tod von innen heraus...
Ein zischendes Geräusch drang an sein Ohr, ein übler chemischer Geruch stieg ihm in die sensible Nase. Es vergingen einige Minuten, bis ein saurer Regen über das Heilige Land hereinbrach. Nun schreckte er auf, als der Geruch um ihn herum nahezu unerträglich wurde.
Der Bär wandte sich jetzt endlich ab. Er konnte sich das nicht mehr ansehen. Wie die zersetzten Reste seines Freundes durch die Straßen geschwemmt wurden - das konnte er nicht.
Langsam bewegte er seine Pfote, spürte den verbliebenen drückenden Schmerz. Dann tastete er sich an sein Ohr, das noch regelrecht zu brennen schien. Er genoss diese Schmerzen.
Sie waren das letzte Gefühl, das Paul ihm mitgeben konnte. So durfte nur er ihn nennen, schließlich waren sie Freunde.
Kein Weltaristokrat und kein Freigelassener.
Sondern ein Mann und sein Tanzbär.
„Komm, setz dich!“, brüllten die Uniformierten unisono, wobei sie sich gegenseitig die beigen Hemden vollspuckten.
Geistesabwesend schlenderte der Bär durch den kleinen Raum, ignorierte die frische warme Pampe, die sich in seinem Fell verteilte.
Dr. Krueger vertraute ihm sein Leben an. Er hätte ihn einfach in den Tod stürzen lassen können. Doch der Mann freute sich über ihren gemeinsamen Fall.
Und er, der Bär, er spürte den Schmerz, als sich der Direktor im Fallen enger an ihn gekrallt hatte. Das war...vertraut. Er roch auch gut.
Beck blieb stehen.
Drehte sich um und schritt nun mit klarem Blick auf die Bediensteten zu, ließ ihre schiefen, spuckenden Gesänge über sich ergehen. Dann aß auch er diese nahrhafte, leckere Fleischgrütze.
Krueger war Krueger - nicht Paul. Trotzdem hatte er ein Stück der Wahrheit verdient.
Zufrieden tupfte Beck sich mit einer Serviette den Mund ab und erntete für dieses Verhalten regen Applaus. Überrascht darüber blickte er auf und sah, dass seine Esskollegen kaum noch unter der Schicht Grütze zu erkennen waren. Beck knurrte.
Er hasste Mary Joa aus tiefstem Herzen, doch dort konnten die Penner immerhin mit geschlossenem Mund essen.
Kapitel 21: Pinseluhrwerk
Kapitel 22: Gebrauchter Schlaf
WMD #1
Auf Wolke 27 #2
Klank. Da brannten die Scheinwerfer. Alles gehörte zur Show. Sagten sie. Zählten ihr Geld und die Menge schrie. Macht die Tür endlich zu, denn ich hör‘ sie noch immer, drei, vier und fünf. Er zählte immer weiter. Sechs, sieben, acht. Acht Haufen an Scheinen, hinter denen er sich versteckte. Guck her, niemand sieht mich. So reich war er geworden.
Klank. Da brannten die Vorhänge. Alles gehörte zur Show. Und wenn nicht. Ja, wenn nicht, war es ihnen auch egal. Während seine Anzugtypen hinten zählten und lachten, bei der Zahl acht ankamen, war es für ihn die Acht, auf die es ankam.
Oh yeah!
Da stand er auf der Bühne und achtete auf die schreienden Massen, die vor ihm in hellster Aufregung waren. So hell, wie es durch seine dunklen Gläser zu sehen war. Seine Show war das Größte, was sie je gesehen hatten. Lichteffekte, der Groove in seinen Bewegungen – die Freiheit, die er sich auf der großen Bühne nahm. War er ein Gefangener ohne Rechte, so war er hier auf der Bühne frei zu singen, nach Lust und Laune, frei in den Schritten, die er nahm. Von rechts nach links, im Sprung und Dreh. Niemand schrieb ihm vor, was er tat, solange er es tat. Das, was er seit je her konnte. Die Massen begeistern. Selbst die Höchsten in ihren Gläsern tanzten, vergaßen ihren Stand. Sie waren wie elektrifiziert. Als hätten sie einen Zug genommen - und in höchste Höhen entschwebt. Höher, als sie sich ohnehin schon sahen. So hoch, dass sie allen neben sich auf gleicher Höhe begegneten. Zu hoch, um es zu begreifen. Er war wie eine Droge, die keiner konsumierte und gleichzeitig jeder spürte. Die Geburt spielte keine Rolle mehr. Wer in ein hohes Adelshaus hineinkam, entschied der Zufall. Es war keine Leistung, etwas, was sie stets verleugneten. Himmelsdrachen und Nicht-Himmelsdrachen tanzten zusammen, da sie alle auf einer Wolke schwebten.
Klank. Hinter ihm ging die Kulisse in Flammen auf und er ließ das Mikro fallen. Zurück ging es in sein Leben, die Show war vorbei, das Wölkchen zerstoben. Er war zu gut für diese Welt. Diese Welt über den Wolken, die er auf ein noch höheres Niveau zu heben imstande war. Doch dieser kurze Zauber durfte nicht anhalten. Er richtete sich den Kragen seiner Lederjacke und stapfte von der brennenden Bühne. Zauber, der ewig wirkt, ist Normalität.
Das durfte nicht sein. Das konnte er nicht verantworten, solange er den Menschen Freude machen wollte. Was um ihn herum passiert, war schon lange kein Maßstab mehr. Die einen erfreuten sich am Geld, das er ihnen brachte, die anderen erfreuten sich am Zusammenleben, das sie erstmals in Ekstase spürten. Nur dann, nur kurz.
Er war müde. Brauchte den Schlaf. Brauchte die Kraft, um weiterzumachen. Bald auch auf der größten Bühne. Denn das, was er hier im Heiligen Land erlebte – es war nicht genug. Ein Glück waren die Menschen gierig. Sehnten sich nach mehr.
Eines Tages würde er dieses Heilige Land verlassen. Weil er zu gut war, um nur hier zu singen. Oder weil das Schicksal es so wollte. Es wollte keinen Schein in Ketten sehen. Er war keine Illusion. Doch das sollte er erst noch herausfinden.
Oh yeah!
- Für Lemon
Das FFT hat mir einen Motivationsschub verliehen, weshalb ich richtig Lust auf eine neue Geschichte habe. Nichts macht als Autor mehr Spaß, als sich neue Konzepte sowie Strukturen aufzubauen und diese im Austausch mit den Lesern auszuweiten. Daran habe ich mich in meiner ersten Geschichte entlang gehangelt und das hat mir über Jahre hinweg riesigen Spaß bereitet. Das möchte ich wieder erleben, wofür es nach längeren Pausen einfach etwas Neues braucht.
„Das sind leckere Kekse!“
Fragend blickt er sein Gegenüber an. Alles um ihn herum verschwimmt. Das Diplom an der Wand, der Schlüsselbund auf dem Tisch, die gedämpften Laute, die von draußen her noch an ihre Ohren dringen. Alles geschieht für ihn im hier und jetzt. Das hat er in diesen Gesprächen begriffen. Die Vergangenheit wird ihn nur noch mehr schädigen. Darum ist er im hier und jetzt. In einem beschaulichen Büro, ihm gegenüber ein Mann sitzend, der freundlich nickt.
„Bedienen Sie sich ruhig.“
Nicht alles lief wie erwartet. Er betrachtete sein Diplom, nickte noch einmal zur Selbstbestätigung. Schloss die Augen. Ohne Zweifel. Er war der Beste in seinem Gebiet. Der Mann am Ende des Schreibtisches nahm sich einen weiteren Keks und tunkte ihn in ein Glas Milch. Er war jetzt friedlich, dachte nicht daran, was war, was ihn verfolgte. Nur so konnte er ihn sehen, ihn betrachten. Ihn studieren!
Calm Belt. Impel Down.
Gestürzte Monarchen, gefallene Himmelsdrachen, gefasste Piraten, enttarnte Revolutionäre. Sie alle waren verschieden, hier aber wurden sie vereinheitlicht. Als Verbrecher. Damit sollte ihnen Individualität und Größe genommen werden. Diesen Gedanken hegten die Erbauer des Gefängnisses.
Er aber war Psychiater und sah die Welt, eher die Menschen, die die Welt durch ihr Handeln veränderten, mit anderen Augen. Er betrachtete die Beschaffenheit eines jeden geistigen Antriebs, um den Grund einer Tat zu verstehen. Denn Verstehen bedeutete für ihn Veränderung. Er konnte seiner Ansicht nach nur etwas verändern, wenn er verstehen würde, weshalb Menschen Verbrechen begingen. Aus dem Grund war er anders.
Er wollte nicht einfach irgendjemanden vom Antlitz der Welt tilgen. Nein. Damit würde sich gar nichts ändern. In seiner Arbeit wollte er nur eine Frage beantwortet wissen: Was macht einen Menschen „böse“? Was machte ihn böse?
Wie war das nur möglich?
Der Psychiater grübelte, während sich sein „Patient“ zwei Kekse auf einmal in den Mund schob. Die Marine hatte ihn hierher gebracht. Sie schätzten sein Alter auf Anfang 30. Der Name und ein ausgestelltes Kopfgeld waren ihnen hingegen nicht bekannt. Normalerweise war das nicht außergewöhnlich. Viele kleine und große Fische saßen ihm gegenüber, um messerscharf analysiert zu werden. Früher oder später hatte er sich ein klares Bild machen können. Er hier war anders. Das sah er ihm an.
Dieser Mann hatte etwas getan, das ein unbeschriebenes Blatt nicht getan haben konnte. Es geschah aus dem Nichts, ohne Vorwarnung.
„Die besten Kekse seit Tagen!“
Der namenlose Mann blickt auf. Sein linkes Auge zuckt. Die Narbe, wenige Tage alt, verursacht nach wie vor ein brennendes Gefühl. Sein rechtes Auge ist unversehrt geblieben. Auf diesem sieht er die Welt in aller Klarheit, während sie auf der anderen Seite mehr und mehr verschwimmt. Eine frische Wunde, die ihn zeichnet. Die ihn auszeichnet und mit Stolz erfüllt. Er hat die Welt verändert. Seine alte Identität ist Vergangenheit, sein alter Name sehr bald vergessen. Der Psychiater war der Beste in seinem Gebiet, er ist es in seinem. Zumindest hat es keiner vor ihm geschafft.
Beide blickten sie auf die Zeitung, die auf dem Tisch lag.
Kaiserin ‚Big Mum‘ getötet
„Die Kekse sind alle!“, merkte der „Patient“ an und schüttelte die geleerte Schale.
Zum ersten Mal in ihrem Gespräch lächelte er.
Fragend blickt er sein Gegenüber an. Alles um ihn herum verschwimmt. Das Diplom an der Wand, der Schlüsselbund auf dem Tisch, die gedämpften Laute, die von draußen her noch an ihre Ohren dringen. Alles geschieht für ihn im hier und jetzt. Das hat er in diesen Gesprächen begriffen. Die Vergangenheit wird ihn nur noch mehr schädigen. Darum ist er im hier und jetzt. In einem beschaulichen Büro, ihm gegenüber ein Mann sitzend, der freundlich nickt.
„Bedienen Sie sich ruhig.“
Nicht alles lief wie erwartet. Er betrachtete sein Diplom, nickte noch einmal zur Selbstbestätigung. Schloss die Augen. Ohne Zweifel. Er war der Beste in seinem Gebiet. Der Mann am Ende des Schreibtisches nahm sich einen weiteren Keks und tunkte ihn in ein Glas Milch. Er war jetzt friedlich, dachte nicht daran, was war, was ihn verfolgte. Nur so konnte er ihn sehen, ihn betrachten. Ihn studieren!
Calm Belt. Impel Down.
Gestürzte Monarchen, gefallene Himmelsdrachen, gefasste Piraten, enttarnte Revolutionäre. Sie alle waren verschieden, hier aber wurden sie vereinheitlicht. Als Verbrecher. Damit sollte ihnen Individualität und Größe genommen werden. Diesen Gedanken hegten die Erbauer des Gefängnisses.
Er aber war Psychiater und sah die Welt, eher die Menschen, die die Welt durch ihr Handeln veränderten, mit anderen Augen. Er betrachtete die Beschaffenheit eines jeden geistigen Antriebs, um den Grund einer Tat zu verstehen. Denn Verstehen bedeutete für ihn Veränderung. Er konnte seiner Ansicht nach nur etwas verändern, wenn er verstehen würde, weshalb Menschen Verbrechen begingen. Aus dem Grund war er anders.
Er wollte nicht einfach irgendjemanden vom Antlitz der Welt tilgen. Nein. Damit würde sich gar nichts ändern. In seiner Arbeit wollte er nur eine Frage beantwortet wissen: Was macht einen Menschen „böse“? Was machte ihn böse?
Wie war das nur möglich?
Der Psychiater grübelte, während sich sein „Patient“ zwei Kekse auf einmal in den Mund schob. Die Marine hatte ihn hierher gebracht. Sie schätzten sein Alter auf Anfang 30. Der Name und ein ausgestelltes Kopfgeld waren ihnen hingegen nicht bekannt. Normalerweise war das nicht außergewöhnlich. Viele kleine und große Fische saßen ihm gegenüber, um messerscharf analysiert zu werden. Früher oder später hatte er sich ein klares Bild machen können. Er hier war anders. Das sah er ihm an.
Dieser Mann hatte etwas getan, das ein unbeschriebenes Blatt nicht getan haben konnte. Es geschah aus dem Nichts, ohne Vorwarnung.
„Die besten Kekse seit Tagen!“
Der namenlose Mann blickt auf. Sein linkes Auge zuckt. Die Narbe, wenige Tage alt, verursacht nach wie vor ein brennendes Gefühl. Sein rechtes Auge ist unversehrt geblieben. Auf diesem sieht er die Welt in aller Klarheit, während sie auf der anderen Seite mehr und mehr verschwimmt. Eine frische Wunde, die ihn zeichnet. Die ihn auszeichnet und mit Stolz erfüllt. Er hat die Welt verändert. Seine alte Identität ist Vergangenheit, sein alter Name sehr bald vergessen. Der Psychiater war der Beste in seinem Gebiet, er ist es in seinem. Zumindest hat es keiner vor ihm geschafft.
Beide blickten sie auf die Zeitung, die auf dem Tisch lag.
Kaiserin ‚Big Mum‘ getötet
„Die Kekse sind alle!“, merkte der „Patient“ an und schüttelte die geleerte Schale.
Zum ersten Mal in ihrem Gespräch lächelte er.
„Bitte, machen Sie es!“
Das Flehen in seiner Stimme war kaum zu überhören. Normalerweise sollte es ihm, einem Beamten, ganz gleich sein, was hier passierte. Bald war sein Dienst zu Ende, dann konnte er sich in sein Haus zurückziehen und mit seinem neuen Enten-Puzzle beschäftigen. Doch diese Situation war außergewöhnlich heikel.
„Herr Magellan, bitte übernehmen Sie wieder die Leitung des Impel Down!“, bemühte sich der tattrige alte Mann und hielt einen großen Blumenstrauß in Richtung der Tür, hinter der sich der ehemalige Direktor zurückgezogen hatte. Ehe ein weiteres Wort gesagt wurde, donnerte es hinter besagter Holztür und das daran befestigte Messingschildchen – mit der Aufschrift WC – fiel dem Beamten vor die Füße. Vor Schreck ließ er die Blumen fallen, die noch in der Luft verwelkten. Er ahnte wieso, während ein bestialischer Gestank ihm die Tränen in die Augen trieb. Nur noch wenige Wochen bis zur Pensionierung und man entsandt ihn ins Impel Down. Dorthin, wo es heiß war, und kalt, und düster, und es stank zudem grausig. Der alte Amtsstubenbüttel schüttelte den Kopf, wobei ihm einzelne graue Haare ausfielen. Entsetzt fasste er sich auf seinen lichter werdenden Schädel.
„Ich will doch nur zu meinen Enten“, jammerte er leise, bis ein weiteres lautes Geräusch ihn innehalten ließ. Es war – zu seiner Erleichterung – die Klospülung, die diesem olfaktorischen Fiasko ein jähes Ende bereiten sollte. Erfreut strich sich der Beamte über die schweißgetränkte Stirn und streckte dem Mann, den er erwartete, die Hand entgegen. Die Tür öffnete sich und ein großgewachsener Mann kam ihm in geduckter Haltung entgegen, bis er den Türrahmen passierte und sich nun zu voller Gestalt erstreckte. Fluchend stieß er sich am Kronleuchter, der direkt neben dem Toilettenhäuschen aufgehängt wurde.
„Argh, willkommen, Beamter Ravehouse. Jetzt auch persönlich!“, murmelte Magellan mit Unbehagen in seiner Stimme. Das lag nicht an der schmächtigen, lichtscheuen, gealterten Gestalt, die ihm gegenüber stand, viel eher an den Blumen, in denen er stand und seiner Zunge, auf die er sich vor Schreck gebissen hatte. Der Beamte schüttelte diese ganzen Umstände von sich ab, zu sehr überkam ihn die bürokratische Routine – und die Lust nach Käsekuchen.
„Magellan, Sie wissen, dass sich Direktor Hannyabal noch immer in stationärer Behandlung befindet, nachdem er auf Level 4 eines Ihrer mobilen WC-Häuschen abbauen wollte…“
Magellan, er musste ein schelmisches Kichern unterdrücken, nickte mit ernst gehaltener Miene. Kaum zu fassen, was seine zusammenbrechende Rückzugskonstruktion für Schäden verursachen konnte. Der arme Hannyabal. – Doch genauso, wie der Beamte in seine Dienstsprache zurückkehren konnte, war es Magellan ein Leid, sich an seine Schande erinnern zu müssen. Blackbeard, Ruffy, er hatte sie entkommen lassen. Diese Schmach wollte er nicht vergessen. Es war richtig, dieses Amt abzutreten und aufstrebenden, kompetenten Männern zu überlassen.
„Ich werde dem Impel Down ein treuer Wächter bleiben, jedoch nicht als leitender Direktor. Dabei bleibe ich.“ Die verwelkten Blumen knirschten unter seinen schwarzen Stiefeln.
„Da überzeugen mich keine Bitten und keine gut gemeinten Präsente!“, ergänzte er prompt.
„Sie wissen, dass dies keine einfache Position ist!“
Ravehouse räusperte sich und nahm die Packung Pralinen vom Schreibtisch. Das letzte heil gebliebene Präsent verstaute er unter seinem Arm und begann zu grummeln.
„Sie wissen, dass das zartbitter ist. Und dass ich zusehen muss, dass diese Pralinen als Bestandteil der Präambel eines formalisierten Gespräches nicht privat verzehrt werden dürfen.“ Magellan zuckte verwirrt mit den Schultern und hielt sich den gluckernden Magen.
„Ich muss…dann…wünsch‘ ein‘ schön‘ Taaaag!“, schrie er mit aufgerissenen Augen, stieß erneut gegen den Kronleuchter und bückte sich danach in sein Toilettenhäuschen hinein. Nachdem die Tür zuknallte und etwas Putz von den Wänden rieselte, schüttelte Ravehouse missmutig den Kopf.
„Jetzt darf ich die Pralinen morgen umtauschen…“
Der alte Mann verließ das Büro und schloss die Tür. Niemand geleitete ihn nach draußen. Alle waren sie beschäftigt.
Wie unhöflich, dachte er, während um ihn herum schreiende Insassen in Richtung des großen Fahrstuhls gezogen wurden. Der Mief dieser Hölle war unerträglich, doch schlimmer als ein kleines Büro in Mary Joa war es gewiss nicht. Pistolenschüsse waren von draußen zu vernehmen, denn Gefangene, die von Booten geschleppt wurden, randalierten, und traten durch das riesige hochgezogene Tor, gingen schreiend, tobend, um sich schlagend an ihm vorbei. Es interessierte ihn alles überhaupt nicht.
Nicht meine Sache, murmelte Ravehouse zu sich selbst. Ein Streifschuss riss Teile seiner Wange auf. Die Stimmen um ihn herum verkamen zu einem Rauschen. Lachen und belustigtes Jaulen der neuen Insassen, panische Schreie der Wärter, die sich sofort bei dem alten Beamten für den Querschläger entschuldigten, Sanitäter anwiesen und mit Kompressen die Blutung stillen wollten. Rauchgranaten wurden in Richtung der Gefangenen geworfen. Ein heilloses Durcheinander brach im Eingangsbereich aus.
„Wo ist Magellan?“, riefen die Wärter.
„Nicht meine Sache, ich hab Feierabend!“, murmelte Ravehouse mit zaghafter Stimme, entfernte sich von den Menschen, die ihn verarzten wollten und schritt in aller Seelenruhe aus dem größten Gefängnis der Welt.
‚Vakante Stelle ausschreiben lassen‘ – dies notierte er in seinem Notizblock, den er sogleich in seiner Hemdtasche verschwinden ließ. Morgen ist die Zeit dafür. Blutend ließ er das Chaos in seinem Rücken hinter sich. Jetzt warteten Enten und ein paar Gänse auf ihn.
Einige Tage später sollte sich ein gewisser Psychiater melden. Nachdem sie ihn prüften, war klar, wer der neue Direktor werden sollte.
Dr. Ryan Jay Krueger. Zweifelsfrei. Doch das war eine andere Geschichte.
„Herr Magellan, bitte übernehmen Sie wieder die Leitung des Impel Down!“, bemühte sich der tattrige alte Mann und hielt einen großen Blumenstrauß in Richtung der Tür, hinter der sich der ehemalige Direktor zurückgezogen hatte. Ehe ein weiteres Wort gesagt wurde, donnerte es hinter besagter Holztür und das daran befestigte Messingschildchen – mit der Aufschrift WC – fiel dem Beamten vor die Füße. Vor Schreck ließ er die Blumen fallen, die noch in der Luft verwelkten. Er ahnte wieso, während ein bestialischer Gestank ihm die Tränen in die Augen trieb. Nur noch wenige Wochen bis zur Pensionierung und man entsandt ihn ins Impel Down. Dorthin, wo es heiß war, und kalt, und düster, und es stank zudem grausig. Der alte Amtsstubenbüttel schüttelte den Kopf, wobei ihm einzelne graue Haare ausfielen. Entsetzt fasste er sich auf seinen lichter werdenden Schädel.
„Ich will doch nur zu meinen Enten“, jammerte er leise, bis ein weiteres lautes Geräusch ihn innehalten ließ. Es war – zu seiner Erleichterung – die Klospülung, die diesem olfaktorischen Fiasko ein jähes Ende bereiten sollte. Erfreut strich sich der Beamte über die schweißgetränkte Stirn und streckte dem Mann, den er erwartete, die Hand entgegen. Die Tür öffnete sich und ein großgewachsener Mann kam ihm in geduckter Haltung entgegen, bis er den Türrahmen passierte und sich nun zu voller Gestalt erstreckte. Fluchend stieß er sich am Kronleuchter, der direkt neben dem Toilettenhäuschen aufgehängt wurde.
„Argh, willkommen, Beamter Ravehouse. Jetzt auch persönlich!“, murmelte Magellan mit Unbehagen in seiner Stimme. Das lag nicht an der schmächtigen, lichtscheuen, gealterten Gestalt, die ihm gegenüber stand, viel eher an den Blumen, in denen er stand und seiner Zunge, auf die er sich vor Schreck gebissen hatte. Der Beamte schüttelte diese ganzen Umstände von sich ab, zu sehr überkam ihn die bürokratische Routine – und die Lust nach Käsekuchen.
„Magellan, Sie wissen, dass sich Direktor Hannyabal noch immer in stationärer Behandlung befindet, nachdem er auf Level 4 eines Ihrer mobilen WC-Häuschen abbauen wollte…“
Magellan, er musste ein schelmisches Kichern unterdrücken, nickte mit ernst gehaltener Miene. Kaum zu fassen, was seine zusammenbrechende Rückzugskonstruktion für Schäden verursachen konnte. Der arme Hannyabal. – Doch genauso, wie der Beamte in seine Dienstsprache zurückkehren konnte, war es Magellan ein Leid, sich an seine Schande erinnern zu müssen. Blackbeard, Ruffy, er hatte sie entkommen lassen. Diese Schmach wollte er nicht vergessen. Es war richtig, dieses Amt abzutreten und aufstrebenden, kompetenten Männern zu überlassen.
„Ich werde dem Impel Down ein treuer Wächter bleiben, jedoch nicht als leitender Direktor. Dabei bleibe ich.“ Die verwelkten Blumen knirschten unter seinen schwarzen Stiefeln.
„Da überzeugen mich keine Bitten und keine gut gemeinten Präsente!“, ergänzte er prompt.
„Sie wissen, dass dies keine einfache Position ist!“
Ravehouse räusperte sich und nahm die Packung Pralinen vom Schreibtisch. Das letzte heil gebliebene Präsent verstaute er unter seinem Arm und begann zu grummeln.
„Sie wissen, dass das zartbitter ist. Und dass ich zusehen muss, dass diese Pralinen als Bestandteil der Präambel eines formalisierten Gespräches nicht privat verzehrt werden dürfen.“ Magellan zuckte verwirrt mit den Schultern und hielt sich den gluckernden Magen.
„Ich muss…dann…wünsch‘ ein‘ schön‘ Taaaag!“, schrie er mit aufgerissenen Augen, stieß erneut gegen den Kronleuchter und bückte sich danach in sein Toilettenhäuschen hinein. Nachdem die Tür zuknallte und etwas Putz von den Wänden rieselte, schüttelte Ravehouse missmutig den Kopf.
„Jetzt darf ich die Pralinen morgen umtauschen…“
Der alte Mann verließ das Büro und schloss die Tür. Niemand geleitete ihn nach draußen. Alle waren sie beschäftigt.
Wie unhöflich, dachte er, während um ihn herum schreiende Insassen in Richtung des großen Fahrstuhls gezogen wurden. Der Mief dieser Hölle war unerträglich, doch schlimmer als ein kleines Büro in Mary Joa war es gewiss nicht. Pistolenschüsse waren von draußen zu vernehmen, denn Gefangene, die von Booten geschleppt wurden, randalierten, und traten durch das riesige hochgezogene Tor, gingen schreiend, tobend, um sich schlagend an ihm vorbei. Es interessierte ihn alles überhaupt nicht.
Nicht meine Sache, murmelte Ravehouse zu sich selbst. Ein Streifschuss riss Teile seiner Wange auf. Die Stimmen um ihn herum verkamen zu einem Rauschen. Lachen und belustigtes Jaulen der neuen Insassen, panische Schreie der Wärter, die sich sofort bei dem alten Beamten für den Querschläger entschuldigten, Sanitäter anwiesen und mit Kompressen die Blutung stillen wollten. Rauchgranaten wurden in Richtung der Gefangenen geworfen. Ein heilloses Durcheinander brach im Eingangsbereich aus.
„Wo ist Magellan?“, riefen die Wärter.
„Nicht meine Sache, ich hab Feierabend!“, murmelte Ravehouse mit zaghafter Stimme, entfernte sich von den Menschen, die ihn verarzten wollten und schritt in aller Seelenruhe aus dem größten Gefängnis der Welt.
‚Vakante Stelle ausschreiben lassen‘ – dies notierte er in seinem Notizblock, den er sogleich in seiner Hemdtasche verschwinden ließ. Morgen ist die Zeit dafür. Blutend ließ er das Chaos in seinem Rücken hinter sich. Jetzt warteten Enten und ein paar Gänse auf ihn.
Einige Tage später sollte sich ein gewisser Psychiater melden. Nachdem sie ihn prüften, war klar, wer der neue Direktor werden sollte.
Dr. Ryan Jay Krueger. Zweifelsfrei. Doch das war eine andere Geschichte.
Akteneintrag 1
Name:
Grund der Inhaftierung: Patient ist in ungeklärtem Ausmaß mit dem Tod von Piratin Charlotte Linlin in Verbindung zu bringen.
Kopfgeld: -
Überführung ins Impel Down: Kein Widerstand.
Einordnung: Hohe Priorität
Die Welt war in Schieflage geraten.
Er hatte dazu eine klare persönliche Meinung: Wer in etwas gut war, der musste einen Funken Intelligenz besitzen. Big Mum war intelligent. Über Jahre hinweg war es ihr gelungen, ein unfassbar großes Schreckensregiment zu errichten. Das war – selbstverständlich – eine Untat. Doch es war eine klug durchdachte. Auf einer moralischen Ebene war es nicht hinnehmbar, auf rationaler Ebene war es allerdings einflussnehmend und stabil. Es starb nun ein Mensch, der viele Gesetze brach, viel körperliches und psychisches Leid verursachte, zugleich aber viele Gesetze etablierte, viele Strukturen festigte. Wie man es nun abzuwägen versuchte: Der Fall der Kaiserin beendete alles, was vorher schlecht war und schuf Neues, das vorher im Zaum gehalten wurde – nämlich Chaos. Darum war es richtig, dass derjenige bei ihm war, der für diese aufkommende unberechenbare Zeit verantwortlich gemacht wurde. Ob er nur ein kleines Rädchen oder der Stein des Anstoßes war – diese Frage galt es zu beantworten.
Dr. Krueger legte das eine beschriebene Blatt in einem Ordner ab und ließ diesen auf seinem Schreibtisch liegen. Hinter ihm zierten mehrere aneinandergereihte Regale die Wand, wo vorher rostige Ketten hingen. Dem martialisch anmutenden Flair mit blutverschmierten Streitäxten und brennenden Kerzen im ausgehöhlten Schädel waren nicht sein Stil. Er war ein Mann der Bildung und des Geistes. Bücher, Ordner und angelegte Karteien waren fast alles, das hinter seinem Rücken bis an die Decke gestapelt werden durfte. Dr. Krueger war niemand, der beim Armdrücken eine Medaille gewinnen würde. Niemand, der einen flüchtigen Verbrecher auf schnellem Fuß verfolgen konnte. Er war sich seiner Menschlichkeit nur zu sehr bewusst.
War er es auch?
Der Psychiater betrachtete sein Gegenüber. Wenn es stimmte, dann hatte dieser Mann eine der mächtigsten Personen getötet. Mit verwundet. Den Gnadenstoß verpasst. Die Begegnung miterlebt. Er sah ihm keinerlei Bedenken an. Selbst eine unmittelbare, unbedeutend klein erscheinende Beteiligung war Impuls genug, um ein Erdbeben sondergleichen auszulösen. Der namenlose Mann verzog keine Miene. War er ein laues Lüftchen oder der tobende Sturm? Der willfährige Handlanger oder der Teufel, der urplötzlich aus dem aufgetanen Schlund der Hölle hervorkam? Der Psychiater dachte stets in Extremen, da es schlichtweg töricht ist, an einem solchen Ort in kleinen Dimensionen zu suchen. Diese Sichtweise sollte damals er auf eindrucksvollste Art und Weise verinnerlicht haben. Immerhin lernte er ihn kennen...
„Bitte nimm die Urkunde und mhh schließ die Tür…“
Zwei Männer waren hier, beide von immenser Bedeutung für das Machtgefüge der Welt. Einer von ihnen saß am Tresen, träge stützte er sich seinen Kopf mit der Faust, während er mit der rechten Hand einen Löffel Suppe schlürfte. Die Wirtin, die hinter dem Tresen hervorgekommen war, kniete noch immer. So wie alle anderen Gäste in dieser beschaulichen Taverne. Von Draußen zog ein eisiger Wind durch den Raum und ließ die am Boden kauernden Gestalten erzittern. Es war die Kälte, die in den Bergen nur zu alltäglich war. Gleichzeitig – und das musste der wahre Grund sein – fürchteten sie sich alle vor seiner Anwesenheit. Der Mann, der an der Tür stand...es konnte eigentlich nicht sein. In gestähltem Körper und schwarzem Anzug war er in dieses Gebirge gewandert. Allein gewandert, um ihn - am Tresen - zu sehen. Das war außergewöhnlich. Dermaßen außergewöhnlich, dass es ihnen allen noch immer den Atem verschlug. Zu stark war seine Präsenz. Der blonde Mann, alleine sah man ihn bislang nie, entfernte sich von der Tür, die er hinter sich ins Schloss fallen ließ. Die Temperaturen würden nun wieder steigen, wo zuvor der flackernde Kamin sich einen Kampf mit dem einfallenden Schneegestöber lieferte. Doch kühl war es noch immer. Der Mann, der ruhig seine Suppe schlürfte, saß noch immer am Tresen. Der zweite, sein blondes Haar war mit einzelnen grauen Strähnen versehen, trat an die Bar und nahm die Urkunde, die unter einem Bierglas stand. Missmutig schüttelte er das dünne Papier, Schaum und vereinzelte Tropfen berührten die Holzdielen, die unter seinen Füßen knarrten.
„Wenn wir nicht wüssten, wer Du bist, würden wir deine ganze Art aufs Schärfste verurteilen!“ Ein Schaudern fuhr durch jeden einzelnen Körper. Jeder hier wusste, dass diese Situation nicht eskalieren würde. Doch in jedem anderen Fall würde keiner hier überleben.
„Ich kümmere mich ja um ihn“, entgegnete der müde Mann, legte den Löffel beiseite und schlug sich mit der nun freien Hand auf den Bauch. Ehe der Blonde was sagen konnte, durchbrach ein lauter Rülpser die Stille.
Gewinner der Martelliarts, das war die Überschrift der feucht versifften Urkunde. Darunter stand kein Name. Sie hatten für die Welt seit 800 Jahren einen feststehenden Begriff. Sie als Individuen wiederum nicht. Der blonde Mann, stets um Fassung bemüht, zuckte kurz. Er hatte so viel durchgemacht und höchstpersönlich an diesem Wettbewerb teilgenommen. Sie wollten, nein, sie mussten sichergehen, dass ihr Vorhaben umgesetzt werden würde. Wer die Martelliarts gewann, durfte ihm einen Auftrag erteilen. Wer ihn kannte, wusste, was das bedeuten musste. Sie kannten ihn, sie kannten seine Familie und ihre Tradition.
Erneut blickte er auf die Urkunde und kehrte mit leichtem Zögern zum Tresen zurück, an dem der Mann seinen Teller anhob, um den Rest seiner Suppe mit lautem Schlürfen zu verzehren.
„Mein Name ist Adam, ändern Sie dies!“
Still war es und still wurde es umso mehr, als dieser eine Mann diesem anderen Mann einen Befehl erteilte.
„Ein oder zwei m?“, fragte der Mann – dem erstmals die Trägheit in seiner Stimme verloren ging. Sie wich einem Anflug von Süffisanz, doch das würde niemand, nicht einmal Adam, ernsthaft behaupten. Schweigend nahm Adam die Urkunde und verließ nickend die Bar.
Draußen angekommen, unterdrückte er jegliche in ihm aufkommende Wut. Diese Demütigung würde er ihm nie vergessen. Der schneebedeckte Boden unter seinen Füßen dampfte förmlich. Doch sein persönliches Empfinden durfte nicht im Vordergrund stehen. Er, Adam, hatte die Martelliarts gewonnen und durfte dem Mann da drinnen einen Auftrag seiner Wahl erteilen.
Eine Chance, die sich nur alle paar Jahre bot. Die sie wahrnehmen mussten. Darum entsandten sie ihn: Adam, jüngstes Mitglied der Fünf Weisen.
Drinnen richtete sich die Barkeeperin mit zitternden Knien auf. Jetzt, wo der Weise sie verließ, durften sie sich aus der ehrfürchtigen Verbeugung lösen. Wieder sie selbst sein, ihre eigenen Gedanken denken…
„Was haben Sie dir aufgetragen?“, fragte sie den Mann, der nun auch sein Bier ausgetrunken hatte. Erstmals hob er seinen aufgestützten Kopf ab und wandte sich lächelnd seiner guten Freundin zu.
„Ich soll jemanden töten“, antwortete er und wischte sich den Schaum aus dem Gesicht. Nachdem sie erfuhr, wer es war, stockte ihr der Atem. Die übrigen Gäste, die eben noch ehrfürchtig erstarrt waren, atmeten nun stoßweise ein und aus.
„Die Yonkou sind die mächtigsten Piraten...“ Sie stotterte und blickte ihren Stammgast an. Dieser rührte sich nicht. Ob er wollte oder nicht: Seine Familie verpflichtete sich seit ewigen Zeiten demjenigen, der die Martelliarts gewann. Diesen Auftrag musste er ausführen. Entweder ging er daraus lebend hervor – oder er würde sehenden Auges seinem Tod begegnen…
„William, wirst Du es wirklich machen?“
Die fehlende Rührung wich einem Beben. Sein ganzer Körper zitterte. Der Löffel in seiner Hand klapperte gegen das leere Glas, bis es von der Theke auf den Boden fiel und die Stille im Raum endgültig brach.
„Ich zittere vor Glück“, erwiderte der, den sie William Martell nannten.
Grund der Inhaftierung: Patient ist in ungeklärtem Ausmaß mit dem Tod von Piratin Charlotte Linlin in Verbindung zu bringen.
Kopfgeld: -
Überführung ins Impel Down: Kein Widerstand.
Einordnung: Hohe Priorität
*
Die Welt war in Schieflage geraten.
Er hatte dazu eine klare persönliche Meinung: Wer in etwas gut war, der musste einen Funken Intelligenz besitzen. Big Mum war intelligent. Über Jahre hinweg war es ihr gelungen, ein unfassbar großes Schreckensregiment zu errichten. Das war – selbstverständlich – eine Untat. Doch es war eine klug durchdachte. Auf einer moralischen Ebene war es nicht hinnehmbar, auf rationaler Ebene war es allerdings einflussnehmend und stabil. Es starb nun ein Mensch, der viele Gesetze brach, viel körperliches und psychisches Leid verursachte, zugleich aber viele Gesetze etablierte, viele Strukturen festigte. Wie man es nun abzuwägen versuchte: Der Fall der Kaiserin beendete alles, was vorher schlecht war und schuf Neues, das vorher im Zaum gehalten wurde – nämlich Chaos. Darum war es richtig, dass derjenige bei ihm war, der für diese aufkommende unberechenbare Zeit verantwortlich gemacht wurde. Ob er nur ein kleines Rädchen oder der Stein des Anstoßes war – diese Frage galt es zu beantworten.
Dr. Krueger legte das eine beschriebene Blatt in einem Ordner ab und ließ diesen auf seinem Schreibtisch liegen. Hinter ihm zierten mehrere aneinandergereihte Regale die Wand, wo vorher rostige Ketten hingen. Dem martialisch anmutenden Flair mit blutverschmierten Streitäxten und brennenden Kerzen im ausgehöhlten Schädel waren nicht sein Stil. Er war ein Mann der Bildung und des Geistes. Bücher, Ordner und angelegte Karteien waren fast alles, das hinter seinem Rücken bis an die Decke gestapelt werden durfte. Dr. Krueger war niemand, der beim Armdrücken eine Medaille gewinnen würde. Niemand, der einen flüchtigen Verbrecher auf schnellem Fuß verfolgen konnte. Er war sich seiner Menschlichkeit nur zu sehr bewusst.
War er es auch?
Der Psychiater betrachtete sein Gegenüber. Wenn es stimmte, dann hatte dieser Mann eine der mächtigsten Personen getötet. Mit verwundet. Den Gnadenstoß verpasst. Die Begegnung miterlebt. Er sah ihm keinerlei Bedenken an. Selbst eine unmittelbare, unbedeutend klein erscheinende Beteiligung war Impuls genug, um ein Erdbeben sondergleichen auszulösen. Der namenlose Mann verzog keine Miene. War er ein laues Lüftchen oder der tobende Sturm? Der willfährige Handlanger oder der Teufel, der urplötzlich aus dem aufgetanen Schlund der Hölle hervorkam? Der Psychiater dachte stets in Extremen, da es schlichtweg töricht ist, an einem solchen Ort in kleinen Dimensionen zu suchen. Diese Sichtweise sollte damals er auf eindrucksvollste Art und Weise verinnerlicht haben. Immerhin lernte er ihn kennen...
[vor einigen Jahren]
„Bitte nimm die Urkunde und mhh schließ die Tür…“
Zwei Männer waren hier, beide von immenser Bedeutung für das Machtgefüge der Welt. Einer von ihnen saß am Tresen, träge stützte er sich seinen Kopf mit der Faust, während er mit der rechten Hand einen Löffel Suppe schlürfte. Die Wirtin, die hinter dem Tresen hervorgekommen war, kniete noch immer. So wie alle anderen Gäste in dieser beschaulichen Taverne. Von Draußen zog ein eisiger Wind durch den Raum und ließ die am Boden kauernden Gestalten erzittern. Es war die Kälte, die in den Bergen nur zu alltäglich war. Gleichzeitig – und das musste der wahre Grund sein – fürchteten sie sich alle vor seiner Anwesenheit. Der Mann, der an der Tür stand...es konnte eigentlich nicht sein. In gestähltem Körper und schwarzem Anzug war er in dieses Gebirge gewandert. Allein gewandert, um ihn - am Tresen - zu sehen. Das war außergewöhnlich. Dermaßen außergewöhnlich, dass es ihnen allen noch immer den Atem verschlug. Zu stark war seine Präsenz. Der blonde Mann, alleine sah man ihn bislang nie, entfernte sich von der Tür, die er hinter sich ins Schloss fallen ließ. Die Temperaturen würden nun wieder steigen, wo zuvor der flackernde Kamin sich einen Kampf mit dem einfallenden Schneegestöber lieferte. Doch kühl war es noch immer. Der Mann, der ruhig seine Suppe schlürfte, saß noch immer am Tresen. Der zweite, sein blondes Haar war mit einzelnen grauen Strähnen versehen, trat an die Bar und nahm die Urkunde, die unter einem Bierglas stand. Missmutig schüttelte er das dünne Papier, Schaum und vereinzelte Tropfen berührten die Holzdielen, die unter seinen Füßen knarrten.
„Wenn wir nicht wüssten, wer Du bist, würden wir deine ganze Art aufs Schärfste verurteilen!“ Ein Schaudern fuhr durch jeden einzelnen Körper. Jeder hier wusste, dass diese Situation nicht eskalieren würde. Doch in jedem anderen Fall würde keiner hier überleben.
„Ich kümmere mich ja um ihn“, entgegnete der müde Mann, legte den Löffel beiseite und schlug sich mit der nun freien Hand auf den Bauch. Ehe der Blonde was sagen konnte, durchbrach ein lauter Rülpser die Stille.
Gewinner der Martelliarts, das war die Überschrift der feucht versifften Urkunde. Darunter stand kein Name. Sie hatten für die Welt seit 800 Jahren einen feststehenden Begriff. Sie als Individuen wiederum nicht. Der blonde Mann, stets um Fassung bemüht, zuckte kurz. Er hatte so viel durchgemacht und höchstpersönlich an diesem Wettbewerb teilgenommen. Sie wollten, nein, sie mussten sichergehen, dass ihr Vorhaben umgesetzt werden würde. Wer die Martelliarts gewann, durfte ihm einen Auftrag erteilen. Wer ihn kannte, wusste, was das bedeuten musste. Sie kannten ihn, sie kannten seine Familie und ihre Tradition.
Erneut blickte er auf die Urkunde und kehrte mit leichtem Zögern zum Tresen zurück, an dem der Mann seinen Teller anhob, um den Rest seiner Suppe mit lautem Schlürfen zu verzehren.
„Mein Name ist Adam, ändern Sie dies!“
Still war es und still wurde es umso mehr, als dieser eine Mann diesem anderen Mann einen Befehl erteilte.
„Ein oder zwei m?“, fragte der Mann – dem erstmals die Trägheit in seiner Stimme verloren ging. Sie wich einem Anflug von Süffisanz, doch das würde niemand, nicht einmal Adam, ernsthaft behaupten. Schweigend nahm Adam die Urkunde und verließ nickend die Bar.
Draußen angekommen, unterdrückte er jegliche in ihm aufkommende Wut. Diese Demütigung würde er ihm nie vergessen. Der schneebedeckte Boden unter seinen Füßen dampfte förmlich. Doch sein persönliches Empfinden durfte nicht im Vordergrund stehen. Er, Adam, hatte die Martelliarts gewonnen und durfte dem Mann da drinnen einen Auftrag seiner Wahl erteilen.
Eine Chance, die sich nur alle paar Jahre bot. Die sie wahrnehmen mussten. Darum entsandten sie ihn: Adam, jüngstes Mitglied der Fünf Weisen.
Drinnen richtete sich die Barkeeperin mit zitternden Knien auf. Jetzt, wo der Weise sie verließ, durften sie sich aus der ehrfürchtigen Verbeugung lösen. Wieder sie selbst sein, ihre eigenen Gedanken denken…
„Was haben Sie dir aufgetragen?“, fragte sie den Mann, der nun auch sein Bier ausgetrunken hatte. Erstmals hob er seinen aufgestützten Kopf ab und wandte sich lächelnd seiner guten Freundin zu.
„Ich soll jemanden töten“, antwortete er und wischte sich den Schaum aus dem Gesicht. Nachdem sie erfuhr, wer es war, stockte ihr der Atem. Die übrigen Gäste, die eben noch ehrfürchtig erstarrt waren, atmeten nun stoßweise ein und aus.
„Die Yonkou sind die mächtigsten Piraten...“ Sie stotterte und blickte ihren Stammgast an. Dieser rührte sich nicht. Ob er wollte oder nicht: Seine Familie verpflichtete sich seit ewigen Zeiten demjenigen, der die Martelliarts gewann. Diesen Auftrag musste er ausführen. Entweder ging er daraus lebend hervor – oder er würde sehenden Auges seinem Tod begegnen…
„William, wirst Du es wirklich machen?“
Die fehlende Rührung wich einem Beben. Sein ganzer Körper zitterte. Der Löffel in seiner Hand klapperte gegen das leere Glas, bis es von der Theke auf den Boden fiel und die Stille im Raum endgültig brach.
„Ich zittere vor Glück“, erwiderte der, den sie William Martell nannten.
Ein Martell war eigentlich kein beeinflussbarer Zeitgenosse, der seine Dienste schlicht dem höchsten Bieter zur Verfügung stellte. Dafür waren sie gewiss nicht bekannt. Allerdings waren sie auch nie in die bestehende Ordnung der Welt zu integrieren. Daher suchten sie sich seit je her einen eigenen Weg, um eine Entscheidung herbeizuführen. Dafür veranstalteten sie die Martelliarts, einen Wettbewerb, der zeigen sollte, wem sie Respekt entgegenbringen sollten. Jeder, der sich dabei nicht die Hände schmutzig machen wollte, disqualifizierte sich von selbst. Do ut des - Ich gebe, damit Du gibst. Nach diesem alten Sprichwort handelte die Familie Martell.
Adam hatte gewonnen. Auch wenn William es nach außen hin nicht zeigte, so respektierte er ihn dafür. Nicht für seinen Status als Weisen, nein, er achtete seinen Erfolg in den Martelliarts, nicht mehr, nicht weniger.
„Wie es aussieht, werde ich einige Zeit fort sein“, murmelte er nun leise in die Runde.
Das sichtbare Zittern seines Körpers hatte nachgelassen. Die Wirtin schaute William an, entdeckte einige Tropfen Schweiß an seinen schwarzen Haarspitzen. Es war ganz und gar nicht warm in dieser Taverne. Nicht seitdem ein solch mächtiger Mann noch vor wenigen Minuten hier gewesen war. Der Weise Adam strahlte eine unnatürliche Kälte aus. Es war Ehrfurcht, es war Ungläubigkeit, es war die Präsenz eines Mannes, der mehr Macht verkörperte, als sie es sich in ihren kühnsten Träumen vorstellen konnten. Er beherrschte die Welt, das System, welches seit Jahrhunderten bestand. Ein Zucken seines Augenlids hätte ausgereicht, um diese Berge, das weite Tal und alles, was auf dieser Insel war, für nichtig zu erklären. Einen Tag später hätte man diese Winterinsel von allen Landkarten streichen dürfen. Selbstverständlich war eine solche Machtdemonstration nicht notwendig, doch allein der Gedanke daran ließ sie, ließ sie alle hier erschaudern.
Sie schaute in Williams Gesicht. Manche Menschen erkrankten an dem Stress, alterten merklich, nachdem der schiere Druck auf ihren Schultern sie zu zermürben begann. William Martell aber alterte in ihren Augen anders. Sie sah sich seine Augen an und, sie mochte romantisch gedacht haben, sah ein Leuchten. Er akzeptierte seine Aufgabe und das damit verknüpfte Schicksal, eines, das sehr wahrscheinlich seinen Tod herbeiführte. Die Wirtin war sich sicher: Ihn zermürbte absolut gar nichts. Sie legte ihre Hand auf seine Schulter und bemerkte ein flüchtiges, verschmitztes Lächeln seinerseits. Jetzt war sie sich ganz sicher!
William Martell alterte in Würde, während weitere Schweißperlen sich den Weg über seine Stirn bahnten. Er zeigte Angst, und Vorfreude, alles was ihn menschlich machte. Ja, das war sicher eine gute Voraussetzung, da er schon bald einem Monster gegenüberstehen würde. Er nahm seine Waffe, deren langer Holzgriff an der Theke lehnte, und nickte in die Runde.
„Ich bin kein großer Redner, daher, mhh…tschüss!“ Er drückte die junge Wirtin vorsichtig und ließ sie errötet zurück, wie er ohne weiteres die Tür öffnete und verschwand.
„Hoffentlich stirbt er nicht“, flüsterte sie nervös und blickte ihm durchs Fenster nach. Sie kannte ihn jetzt schon einige Zeit und doch wusste sie im Prinzip nichts über ihn. Hier war er William, ein älterer Mann (41) – im Vergleich zu ihr (27) - der tagein tagaus hier herumhing oder Pfade in die Berge schlug. Doch wer war er, wenn er jemandem einen Gefallen tat? – Eine Arbeit ausführte, die von der banalen Suche eines Sammlererpels, über die Versöhnung zweier Monarchen, bis hin zur Tötung eines Kaisers reichte?
„Natürlich darf er nicht sterben, immerhin hat er nichts für sein Essen bezahlt!“, raunte ein alter Mann und klopfte mit seinem leeren Krug auf den Tisch.
„Nachschenken!“
Ertappt wandte sie ihren Blick vom Fenster ab, wo inzwischen nichts weiter als die abendliche Dämmerung zu sehen war. Alice schmunzelte. Ja, ihr Name war in der weiten Welt kein besonderer, doch er genügte ihr. Zufrieden zog sie etwas Trinkgeld aus ihrer Tasche und bezahlte Williams Essen. Er hatte sicher ganz andere, weniger banale Sorgen…
Es war sonnig und kein Wölkchen war am Himmel zu sehen. Nur noch ein Regenbogen fehlte, um dieses skurrile Bild zu vervollständigen. Über ein Inselkönigreich, das vom Bergbau und dem damit ergiebigen Handel lebte, war diesen Morgen die Hölle hereingebrochen. Ohne Vorankündigung war ein Mann herbeigerudert, der seine Nussschale am Hafensteg antaute, über diesen in die nahegelegene Werft spazierte und dort jeden Mitarbeiter mit bloßen Händen in Stücke riss. So einfach und so grausam war dieses Szenario zu beschreiben.
Genauso zügig erklärt sei die Tatsache, dass alle Menschen dieser wohlhabenden Bevölkerung dem Tode geweiht waren. Vielleicht nicht sofort, doch er würde kommen: Gigas hatte sie ausgewählt. Dafür war er berüchtigt und gefürchtet. Er war kein Mann, der lange fackelte oder überhaupt den Sinn seines Handelns großartig reflektierte. Für ihn war klar, dass Macht sich ausdrücken ließ. Nicht in Worten, Gesten oder Gefühlen – sondern in Gewalt. Gewalt, die nicht gestoppt werden konnte, war der Beweis von Macht. Das war kein tiefsinniges Motiv, es war ein wirksames. Nur das zählte für ihn. Seine Willkür suchte sich ein Opfer und es würde stets eingefordert werden.
Diese schonungslose Konsequenz war seit Jahren zu beobachten und es war nur eine Frage der Zeit, bis die Weltregierung immer mehr ihrer eigenen Mitgliedsstaaten zu verlieren drohte. Fremde Territorien waren ihnen gleich, denn diese hatten jetzt die Konsequenzen ihrer Unabhängigkeit zu tragen. Doch wenn es bald nur noch Mitgliedsstaaten treffen würde, war die höchste Gefahrenstufe auszurufen. Jetzt wütete Gigas auf Goldback-Island, einem Königreich, dessen Reichtum für die Weltregierung von großer Bedeutung war.
Der Regierungsagent richtete sich die Sonnenbrille, als er einen Beamten in Mary Joa kontaktierte. Die Sprechmuschel lag in seinen zittrigen Händen, der Boden unter seinen schwarzen Lederschuhen bebte noch immer.
„Ich habe Ihren Bericht, Agent Nummer 15647!“, sagte die Stimme am anderen Ende der Leitung. Der in Goldback-Island tätige Mitarbeiter der Cipherpol konnte die langsame Bedächtigkeit in der Stimme seines Gesprächspartners kaum mehr ertragen. Er wollte Meldung erstatten und vor allem eines: Hilfe. Er, seine Kollegen, die Bewohner, jeder hier wollte einfach nur eine Chance kriegen, um diesen Albtraum zu überstehen. Diese markanten Schreie, die vom Rande der Insel kamen, sie waren ihnen nur zu sehr bekannt. Aus dem Hörensagen, den Zeitungen, die von unzähligen Gigas-Massakern berichteten.
„Entschuldigen Sie“, unterbrach die Stimme seine Gedanken. „Ich habe Ihre Nummer wohl falsch aufgesagt: War Ihre die 15647 oder 15674? Denn die erste ist einem gewissen John zugeordnet. Den kenne ich. Sind Sie zufällig John?“, fragte die ruhige Stimme des alteingessenen Beamten.
„Was…wie…15674…kann sein“, wimmerte der Agent. Lauter werdende Schreie und ein übertönend markantes Gebrüll der Bestie übertönten sein Gespräch. Der Beamte sprang vor Schreck auf und riss beinahe die Teleschnecke von der Parkbank, von der aus er telefonierte.
„Kann sein?“, fragte der Beamte aus dem Heiligen Land ihn.
„Ich lass es Sie später überprüfen“, ergänzte er freundlich, als ob er dem nun um sein Leben schluchzenden Agenten einen großen Gefallen getan hätte.
„Ach, ehe ich es vergesse. Die Hilfe ist schon lange unterwegs, noch ehe Sie hier Meldung erstatteten.“
Ehe der CP-Agent vor zerknirschter Wut in seinen Tränenbach hinein schreien konnte, wurde ein herzliches „Das habe ich wohl vergessen“ in den Hörer gemurmelt, ehe Ravehouse auflegte und Agent 15674 alias Montgomery seinem Schicksal überließ.
Wie aufs Stichwort des alten Ravehouse bewahrheitete sich dessen Ansage. Die lauten Geräusche, die durch verzweifeltes Schluchzen und wahnwitziges Gebrüll verursacht wurden, verstummten schlagartig. Nur das Zusammenbrechen von Gebäuden und ganzen Hallen bestimmte die Geräuschkulisse. Montgomery hielt inne. Er blickte sich in der Innenstadt um. Die Menschen hier, sie zitterten und weinten. Doch mehr taten sie nicht. Es war furchtbar – und ermutigend zugleich. Die Hölle, die sich am Rande der Insel auftat, breitete sich anscheinend doch nicht ins Zentrum aus. Es war ein Wunder – oder war es etwas ganz Anderes?
Gigas blickte sein letztes Opfer an. Irgendein Mitarbeiter dieser Werft. Es war unkenntlich für ihn. Nicht nur, weil er es zerfleischt hatte. Der rote Schleier vor seinen Augen lichtete sich, die unklaren Umrisse, die ihm Aussehen seiner Beute nur schemenhaft verdeutlichten, sie wurden klarer, präziser und er war kurz überrascht über die Intensität, mit der er seinem Rausch mal wieder nachgegangen war. Doch die Überraschung wich der Genugtuung, die der Machtbeweis ihm vergegenwärtigte. Hier waren Marinesoldaten und andere hochrangige Personen, die den Schutz dieser wichtigen Produktionsstätte gewährleisten sollten. Einige sahen sogar aus wie vom Rang eines Vizeadmirals. Er wusste es nicht, da er nur viele verschwommene Abzeichen wahrnahm, die von einer gewissen Relevanz innerhalb der Marinehierarchie zeugten. Ganz gleich, denn sie wurden innerhalb von Augenblicken von seinen Händen in zwei Teile gerissen.
Der weltberühmte Pirat blickte sich noch einmal um. Eine Ruhe umgab ihn, die er zutiefst genoss. Unfassbar, wie viel Blut diese Vorhalle in ein typisches Gigas-Umfeld verwandelten. Rote Farbe, dazu der Geruch von Eisen und eine abfallende Temperatur, nachdem die Toten jegliche Körperwärme mit der Zeit vermissen ließen. Es war tragisch. Für andere.
Seine Gedanken nach dem Gemetzel, sie waren wohl seine tiefsinnigsten. Umso überraschter war er nun tatsächlich, als eine Stimme diese, seine, erzeugte Stille durchbrach.
„Kaiser Gigas – Der Todbringer.“
William sprach diesen einfallslosen Piratentitel so aus, wie er ihn empfand: Mit Bewunderung. Er sah das Blutbad, das der Kaiser in der Hafenwerft hinterlassen hatte. Doch das durfte ihn nicht beeindrucken. Dieser Pirat war mächtig geworden, weil er unberechenbar agierte. Heute war er alleine hierhergekommen, obwohl er eine riesige Flotte unterhielt. Einfach, weil er es konnte und es sonst nahezu unmöglich war, sich darauf vorzubereiten.
Woher Adam wusste, dass der Kaiser hier aufschlagen würde, wusste William nicht. Doch auch dieses detaillierte Wissen durfte ihn nicht beeindrucken. Nichts durfte ihn ins Grübeln bringen, sonst würde er sehr schnell sterben. Jetzt würde er langsam, später oder gar nicht sterben.
Schnell jedenfalls nicht, denn er sah dem Kaiser etwas an, was diesen innehalten ließ. Ein Lächeln, gefolgt von einer Zunge, die begierig über die blutverschmierten Lippen leckte.
„William Martell.“
Die Hände des Kaisers wurden mit Schuppen übersät, der Rücken krümmte sich und knackte als die Wirbelsäule sich streckte und Gigas in die Höhe wachsen ließ. Spitze Zähne wuchsen aus seinem Mund, der inzwischen viel mehr als ein gieriger Schlund zu sehen war.
„Ich bin mächtig, jedoch nicht lebensmüde.“ Die tiefe, rauchige Stimme des Kaisers brach, wandelte sich zusammen mit diesem in etwas, das alles an ihm ungeheuerlich aussehen ließ. William blickte auf die Gestalt, die nichts mehr Menschliches an sich hatte, umgriff den langen Holzstiel seiner Waffe. Der rechteckige Hammerkopf schleifte über den Boden, während William diesen hinter sich her schleifte, den Bestienkaiser stets vor Augen haltend. Die Familie Martell war berüchtigt, doch es behagte William ganz und gar nicht, dass jemand wie Gigas ohne Umschweife auf seine Teufelskraft zurückgriff.
Die Klaue seines Feindes näherte sich seinem Kopf. Das Schleifen auf dem Boden suggerierte eine langsame Handhabung seines Hammers. Doch dem war gewiss nicht so. Gigas schrie und es zeigte sich darin das Geräusch, das nichts mehr mit etwas Lebendigem zu tun haben konnte. Es dröhnte in Williams Ohren. Er zog mit zusammengebissenen Zähnen durch und schlug die Hand seines Feindes weg, ehe sie seinen Schädel umklammern und von seinem Hals reißen konnte. Es bebte, mehr als in den Minuten, oder Stunden, die der Kaiser hier zu wüten begann. Es bebte und die Gebäude um sie herum wurden regelrecht zerrissen, als der Hammerkopf auf die schuppenbesetzte Hand des Kaisers traf. Nichts gab nach, außer ihrer Umgebung.
„Danke!“, schrie Gigas und sprang einen Schritt zurück. Es knallte unter seinen Füßen als er wieder auf dem Boden aufkam. Er brachte eine kurze Distanz zwischen sich und William, genügend, um den Hammer zu betrachten. Den Hammer, mit dem William kämpfte, mit dem jeder Martell zu Lebzeiten kämpfte.
„Zeig sie mir, diese Waffe, diese alles vernichtende Waffe!“, brüllte der Kaiser mit einem Lächeln auf seinen animalisch verzerrten Gesichtszügen. Wieder sah er alles um ihm herum wie durch einen roten Schleier. Doch eines konnte er erkennen. Jenen Hammer, der ihn vernichten oder den er mitsamt seinem Träger vernichten würde. Es war ihm alles recht, da es ihm eines zeigen würde: Wahrhaftige Macht!
Adam hatte gewonnen. Auch wenn William es nach außen hin nicht zeigte, so respektierte er ihn dafür. Nicht für seinen Status als Weisen, nein, er achtete seinen Erfolg in den Martelliarts, nicht mehr, nicht weniger.
„Wie es aussieht, werde ich einige Zeit fort sein“, murmelte er nun leise in die Runde.
Das sichtbare Zittern seines Körpers hatte nachgelassen. Die Wirtin schaute William an, entdeckte einige Tropfen Schweiß an seinen schwarzen Haarspitzen. Es war ganz und gar nicht warm in dieser Taverne. Nicht seitdem ein solch mächtiger Mann noch vor wenigen Minuten hier gewesen war. Der Weise Adam strahlte eine unnatürliche Kälte aus. Es war Ehrfurcht, es war Ungläubigkeit, es war die Präsenz eines Mannes, der mehr Macht verkörperte, als sie es sich in ihren kühnsten Träumen vorstellen konnten. Er beherrschte die Welt, das System, welches seit Jahrhunderten bestand. Ein Zucken seines Augenlids hätte ausgereicht, um diese Berge, das weite Tal und alles, was auf dieser Insel war, für nichtig zu erklären. Einen Tag später hätte man diese Winterinsel von allen Landkarten streichen dürfen. Selbstverständlich war eine solche Machtdemonstration nicht notwendig, doch allein der Gedanke daran ließ sie, ließ sie alle hier erschaudern.
Sie schaute in Williams Gesicht. Manche Menschen erkrankten an dem Stress, alterten merklich, nachdem der schiere Druck auf ihren Schultern sie zu zermürben begann. William Martell aber alterte in ihren Augen anders. Sie sah sich seine Augen an und, sie mochte romantisch gedacht haben, sah ein Leuchten. Er akzeptierte seine Aufgabe und das damit verknüpfte Schicksal, eines, das sehr wahrscheinlich seinen Tod herbeiführte. Die Wirtin war sich sicher: Ihn zermürbte absolut gar nichts. Sie legte ihre Hand auf seine Schulter und bemerkte ein flüchtiges, verschmitztes Lächeln seinerseits. Jetzt war sie sich ganz sicher!
William Martell alterte in Würde, während weitere Schweißperlen sich den Weg über seine Stirn bahnten. Er zeigte Angst, und Vorfreude, alles was ihn menschlich machte. Ja, das war sicher eine gute Voraussetzung, da er schon bald einem Monster gegenüberstehen würde. Er nahm seine Waffe, deren langer Holzgriff an der Theke lehnte, und nickte in die Runde.
„Ich bin kein großer Redner, daher, mhh…tschüss!“ Er drückte die junge Wirtin vorsichtig und ließ sie errötet zurück, wie er ohne weiteres die Tür öffnete und verschwand.
„Hoffentlich stirbt er nicht“, flüsterte sie nervös und blickte ihm durchs Fenster nach. Sie kannte ihn jetzt schon einige Zeit und doch wusste sie im Prinzip nichts über ihn. Hier war er William, ein älterer Mann (41) – im Vergleich zu ihr (27) - der tagein tagaus hier herumhing oder Pfade in die Berge schlug. Doch wer war er, wenn er jemandem einen Gefallen tat? – Eine Arbeit ausführte, die von der banalen Suche eines Sammlererpels, über die Versöhnung zweier Monarchen, bis hin zur Tötung eines Kaisers reichte?
„Natürlich darf er nicht sterben, immerhin hat er nichts für sein Essen bezahlt!“, raunte ein alter Mann und klopfte mit seinem leeren Krug auf den Tisch.
„Nachschenken!“
Ertappt wandte sie ihren Blick vom Fenster ab, wo inzwischen nichts weiter als die abendliche Dämmerung zu sehen war. Alice schmunzelte. Ja, ihr Name war in der weiten Welt kein besonderer, doch er genügte ihr. Zufrieden zog sie etwas Trinkgeld aus ihrer Tasche und bezahlte Williams Essen. Er hatte sicher ganz andere, weniger banale Sorgen…
[zwei Tage später]
Es war sonnig und kein Wölkchen war am Himmel zu sehen. Nur noch ein Regenbogen fehlte, um dieses skurrile Bild zu vervollständigen. Über ein Inselkönigreich, das vom Bergbau und dem damit ergiebigen Handel lebte, war diesen Morgen die Hölle hereingebrochen. Ohne Vorankündigung war ein Mann herbeigerudert, der seine Nussschale am Hafensteg antaute, über diesen in die nahegelegene Werft spazierte und dort jeden Mitarbeiter mit bloßen Händen in Stücke riss. So einfach und so grausam war dieses Szenario zu beschreiben.
Genauso zügig erklärt sei die Tatsache, dass alle Menschen dieser wohlhabenden Bevölkerung dem Tode geweiht waren. Vielleicht nicht sofort, doch er würde kommen: Gigas hatte sie ausgewählt. Dafür war er berüchtigt und gefürchtet. Er war kein Mann, der lange fackelte oder überhaupt den Sinn seines Handelns großartig reflektierte. Für ihn war klar, dass Macht sich ausdrücken ließ. Nicht in Worten, Gesten oder Gefühlen – sondern in Gewalt. Gewalt, die nicht gestoppt werden konnte, war der Beweis von Macht. Das war kein tiefsinniges Motiv, es war ein wirksames. Nur das zählte für ihn. Seine Willkür suchte sich ein Opfer und es würde stets eingefordert werden.
Diese schonungslose Konsequenz war seit Jahren zu beobachten und es war nur eine Frage der Zeit, bis die Weltregierung immer mehr ihrer eigenen Mitgliedsstaaten zu verlieren drohte. Fremde Territorien waren ihnen gleich, denn diese hatten jetzt die Konsequenzen ihrer Unabhängigkeit zu tragen. Doch wenn es bald nur noch Mitgliedsstaaten treffen würde, war die höchste Gefahrenstufe auszurufen. Jetzt wütete Gigas auf Goldback-Island, einem Königreich, dessen Reichtum für die Weltregierung von großer Bedeutung war.
Der Regierungsagent richtete sich die Sonnenbrille, als er einen Beamten in Mary Joa kontaktierte. Die Sprechmuschel lag in seinen zittrigen Händen, der Boden unter seinen schwarzen Lederschuhen bebte noch immer.
„Ich habe Ihren Bericht, Agent Nummer 15647!“, sagte die Stimme am anderen Ende der Leitung. Der in Goldback-Island tätige Mitarbeiter der Cipherpol konnte die langsame Bedächtigkeit in der Stimme seines Gesprächspartners kaum mehr ertragen. Er wollte Meldung erstatten und vor allem eines: Hilfe. Er, seine Kollegen, die Bewohner, jeder hier wollte einfach nur eine Chance kriegen, um diesen Albtraum zu überstehen. Diese markanten Schreie, die vom Rande der Insel kamen, sie waren ihnen nur zu sehr bekannt. Aus dem Hörensagen, den Zeitungen, die von unzähligen Gigas-Massakern berichteten.
„Entschuldigen Sie“, unterbrach die Stimme seine Gedanken. „Ich habe Ihre Nummer wohl falsch aufgesagt: War Ihre die 15647 oder 15674? Denn die erste ist einem gewissen John zugeordnet. Den kenne ich. Sind Sie zufällig John?“, fragte die ruhige Stimme des alteingessenen Beamten.
„Was…wie…15674…kann sein“, wimmerte der Agent. Lauter werdende Schreie und ein übertönend markantes Gebrüll der Bestie übertönten sein Gespräch. Der Beamte sprang vor Schreck auf und riss beinahe die Teleschnecke von der Parkbank, von der aus er telefonierte.
„Kann sein?“, fragte der Beamte aus dem Heiligen Land ihn.
„Ich lass es Sie später überprüfen“, ergänzte er freundlich, als ob er dem nun um sein Leben schluchzenden Agenten einen großen Gefallen getan hätte.
„Ach, ehe ich es vergesse. Die Hilfe ist schon lange unterwegs, noch ehe Sie hier Meldung erstatteten.“
Ehe der CP-Agent vor zerknirschter Wut in seinen Tränenbach hinein schreien konnte, wurde ein herzliches „Das habe ich wohl vergessen“ in den Hörer gemurmelt, ehe Ravehouse auflegte und Agent 15674 alias Montgomery seinem Schicksal überließ.
Wie aufs Stichwort des alten Ravehouse bewahrheitete sich dessen Ansage. Die lauten Geräusche, die durch verzweifeltes Schluchzen und wahnwitziges Gebrüll verursacht wurden, verstummten schlagartig. Nur das Zusammenbrechen von Gebäuden und ganzen Hallen bestimmte die Geräuschkulisse. Montgomery hielt inne. Er blickte sich in der Innenstadt um. Die Menschen hier, sie zitterten und weinten. Doch mehr taten sie nicht. Es war furchtbar – und ermutigend zugleich. Die Hölle, die sich am Rande der Insel auftat, breitete sich anscheinend doch nicht ins Zentrum aus. Es war ein Wunder – oder war es etwas ganz Anderes?
Gigas blickte sein letztes Opfer an. Irgendein Mitarbeiter dieser Werft. Es war unkenntlich für ihn. Nicht nur, weil er es zerfleischt hatte. Der rote Schleier vor seinen Augen lichtete sich, die unklaren Umrisse, die ihm Aussehen seiner Beute nur schemenhaft verdeutlichten, sie wurden klarer, präziser und er war kurz überrascht über die Intensität, mit der er seinem Rausch mal wieder nachgegangen war. Doch die Überraschung wich der Genugtuung, die der Machtbeweis ihm vergegenwärtigte. Hier waren Marinesoldaten und andere hochrangige Personen, die den Schutz dieser wichtigen Produktionsstätte gewährleisten sollten. Einige sahen sogar aus wie vom Rang eines Vizeadmirals. Er wusste es nicht, da er nur viele verschwommene Abzeichen wahrnahm, die von einer gewissen Relevanz innerhalb der Marinehierarchie zeugten. Ganz gleich, denn sie wurden innerhalb von Augenblicken von seinen Händen in zwei Teile gerissen.
Der weltberühmte Pirat blickte sich noch einmal um. Eine Ruhe umgab ihn, die er zutiefst genoss. Unfassbar, wie viel Blut diese Vorhalle in ein typisches Gigas-Umfeld verwandelten. Rote Farbe, dazu der Geruch von Eisen und eine abfallende Temperatur, nachdem die Toten jegliche Körperwärme mit der Zeit vermissen ließen. Es war tragisch. Für andere.
Seine Gedanken nach dem Gemetzel, sie waren wohl seine tiefsinnigsten. Umso überraschter war er nun tatsächlich, als eine Stimme diese, seine, erzeugte Stille durchbrach.
„Kaiser Gigas – Der Todbringer.“
William sprach diesen einfallslosen Piratentitel so aus, wie er ihn empfand: Mit Bewunderung. Er sah das Blutbad, das der Kaiser in der Hafenwerft hinterlassen hatte. Doch das durfte ihn nicht beeindrucken. Dieser Pirat war mächtig geworden, weil er unberechenbar agierte. Heute war er alleine hierhergekommen, obwohl er eine riesige Flotte unterhielt. Einfach, weil er es konnte und es sonst nahezu unmöglich war, sich darauf vorzubereiten.
Woher Adam wusste, dass der Kaiser hier aufschlagen würde, wusste William nicht. Doch auch dieses detaillierte Wissen durfte ihn nicht beeindrucken. Nichts durfte ihn ins Grübeln bringen, sonst würde er sehr schnell sterben. Jetzt würde er langsam, später oder gar nicht sterben.
Schnell jedenfalls nicht, denn er sah dem Kaiser etwas an, was diesen innehalten ließ. Ein Lächeln, gefolgt von einer Zunge, die begierig über die blutverschmierten Lippen leckte.
„William Martell.“
Die Hände des Kaisers wurden mit Schuppen übersät, der Rücken krümmte sich und knackte als die Wirbelsäule sich streckte und Gigas in die Höhe wachsen ließ. Spitze Zähne wuchsen aus seinem Mund, der inzwischen viel mehr als ein gieriger Schlund zu sehen war.
„Ich bin mächtig, jedoch nicht lebensmüde.“ Die tiefe, rauchige Stimme des Kaisers brach, wandelte sich zusammen mit diesem in etwas, das alles an ihm ungeheuerlich aussehen ließ. William blickte auf die Gestalt, die nichts mehr Menschliches an sich hatte, umgriff den langen Holzstiel seiner Waffe. Der rechteckige Hammerkopf schleifte über den Boden, während William diesen hinter sich her schleifte, den Bestienkaiser stets vor Augen haltend. Die Familie Martell war berüchtigt, doch es behagte William ganz und gar nicht, dass jemand wie Gigas ohne Umschweife auf seine Teufelskraft zurückgriff.
Die Klaue seines Feindes näherte sich seinem Kopf. Das Schleifen auf dem Boden suggerierte eine langsame Handhabung seines Hammers. Doch dem war gewiss nicht so. Gigas schrie und es zeigte sich darin das Geräusch, das nichts mehr mit etwas Lebendigem zu tun haben konnte. Es dröhnte in Williams Ohren. Er zog mit zusammengebissenen Zähnen durch und schlug die Hand seines Feindes weg, ehe sie seinen Schädel umklammern und von seinem Hals reißen konnte. Es bebte, mehr als in den Minuten, oder Stunden, die der Kaiser hier zu wüten begann. Es bebte und die Gebäude um sie herum wurden regelrecht zerrissen, als der Hammerkopf auf die schuppenbesetzte Hand des Kaisers traf. Nichts gab nach, außer ihrer Umgebung.
„Danke!“, schrie Gigas und sprang einen Schritt zurück. Es knallte unter seinen Füßen als er wieder auf dem Boden aufkam. Er brachte eine kurze Distanz zwischen sich und William, genügend, um den Hammer zu betrachten. Den Hammer, mit dem William kämpfte, mit dem jeder Martell zu Lebzeiten kämpfte.
„Zeig sie mir, diese Waffe, diese alles vernichtende Waffe!“, brüllte der Kaiser mit einem Lächeln auf seinen animalisch verzerrten Gesichtszügen. Wieder sah er alles um ihm herum wie durch einen roten Schleier. Doch eines konnte er erkennen. Jenen Hammer, der ihn vernichten oder den er mitsamt seinem Träger vernichten würde. Es war ihm alles recht, da es ihm eines zeigen würde: Wahrhaftige Macht!
„Was machen wir mit all dem Gold?“
Sein Blick war suchend, doch was er zu finden hoffte, war weit und breit nicht zu sehen. Die ganze Insel bebte inzwischen. Es wäre demnach nur eine Frage der Zeit, bis der Bergstollen hier zusammenstürzen würde. Montgomery wusste nicht, wie er zu handeln hatte. Da dies hier eine Ausnahmesituation war, setzte sein Verstand alles daran, um unbeschadet aus diesem Szenario hervorzugehen. Er war im Begriff zu fliehen. Wenn hier nur der Tod auf einen wartete, wer sollte ihm hinterher ins Gewissen reden? Die Stimme seines älteren Kollegen war im Lärm nur undeutlich zu hören. Was sie mit dem Gold machen würden, das hatte er ihn inzwischen wohl ein drittes Mal gefragt.
„Gold ist nur eine Ware.“
Es zischte. Die neue, ihm unbekannte Stimme, so leise sie aus einer anderen Richtung an das Agenten-Ohr drang, umso deutlicher, geradezu klar war sie in diesem Tumult zu verstehen. Montgomery zuckte auf, da es ihm so vorkam, als würde irgendjemand direkt neben ihm stehen. Kurz drehte er sich einmal im Kreis, sah nur den alten Kollegen, der eine Lore voller abgeschlagenen, verdreckten, doch an manchen Stellen hell schimmernden Steinen vom Gleis zu schieben versuchte.
„Hast Du etwas gesagt?“, fragte Montgomery irritiert.
„Ich habe gefragt. Gesagt hat es dieser Alligator neben dir!“, erwiderte der alte Kollege mit semantischer Präzision und grunzte daraufhin schweißdurchnässt, nachdem er die Lore vom Gleis setzte.
Allig…?
Erneut drehte sich Montgomery und nach nicht einmal einer Zehntelsekunde erblickte er eine Gestalt, deren Gesicht nur wenige Zentimeter von seinem entfernt war. Wie zum…? Ehe er sich diese Frage stellen konnte, übernahm der menschliche Instinkt diese Situation. Seit je her war der Agent darauf bedacht, es einfach dem zu überlassen, was die Natur einst für ihn – und jeden anderen Menschen – als Notfallplan erdachte. Er stieß einen spitzen Schrei aus und kürzlich angelegte Dämme, die seine aus der Panik geborenen Tränenflüsse bremsten, brachen umgehend auf. Den Kaiser Gigas vor sich wähnend, brach der Agent in einem mundschäumenden Anfall zusammen. Was früher sinnvolles Totstellen war, wirkte heutzutage nicht mehr allzu häufig, nachdem die fremde alligatorenartige Gestalt den Lebenden eben noch vor sich sah.
„Ich bin kein Kaiser!“, murmelte die Gestalt berichtigend und richtete sich die purpurne Kapuze auf ihrem Kopf.
„Aber Sie sind schon sehr exotisch“, merkte der lorenschiebende Agent an und tupfte sich die nasse Stirn mit einem dreckigen Goldklumpen. Er blickte auf den grünen Schweif, der unten aus der langen Robe des Fremden herausragte. Wo normalerweise die Füße sein müssten, befand sich beim Fremden nämlich gar nichts. Das passte für den nicht-kollabierten Agenten wiederum ganz gut, da es sonst wenig Sinn machen würde, in der Luft zu schweben.
„Wie ich sagte, ist Gold nur eine Ware!“, wiederholte die Gestalt, die exotische Bemerkung übergehend, und deutete mit ihren langen grünbeschuppten Fingern auf den Bergstollen.
„Schaffen Sie die Menschen da raus und verschwindet alle!“
Die Stimme des Fremden blieb klar und war trotz eines lauten Knalls zu verstehen. Wie dieser das – und das Schweben – bewerkstelligte, wusste der triefnasse Agent nicht, doch es schien ihm sinnvoll, auf diesen Mann, dieses Tier, was immer es war, zu hören. Woher er diese Gewissheit nahm? Wahrscheinlich ein Überlebensinstinkt. Unter den wachsamen Augen des Fremden ohrfeigte er Montgomery wach und erklärte diesem, was nun zu tun sei. Nachdem besagter Agent mit rotgehauenden Wangen und mit zitterndem Blick die schwebende Gestalt beäugte, nickte er schließlich. Seine Fluchtgedanken waren wie ausgelöscht. Er hatte jetzt nicht mehr das Gefühl, dass es niemanden geben würde, der ihm hinterher ein schlechtes Gewissen bereiten könnte.
„Leitet die Evakuierung der Insel ein, leitet die Räumung sämtlicher Bergwerke ein!“ Mit energischer Stimme erteilte Montgomery nun Anweisungen an alle Agenten, alle Marinesoldaten und jeden Bewohner, der darüber hinwegsehen wollte, dass der Agent fürchterlich nach Urin stank.
„Erbärmlich!“, murmelte der ehemalige Lorenschieberkollege und roch an seiner eigenen Achsel, woraufhin auch er endlich in Tränen ausbrach.
Es war alles vorbereitet.
Die Gestalt drehte sich in Richtung der lautesten Geräuschkulisse, welche von William und Gigas erzeugt wurde. Sie waren nur ein, zwei Kilometer von ihm entfernt, doch er hörte ihre Stimmen ganz genau.
„Wenn alle Menschen hier fort sind, wird auch William Martell seine menschliche Zurückhaltung ablegen.“
Es war alles gut. Für ihn.
„Ist es das Original?“
Gigas zog seine spitzen Klauen aus Williams Arm und beobachtete dessen regungsloses Gesicht. Nicht der Schmerz, nicht das schmatzende Geräusch, nachdem der Kaiser einiges Fleisch aus dem Körper eines Martells riss. Nichts schien diesen näher zu beschäftigen. Es war beeindruckend, zugleich aber furchtbar ernüchternd. Gigas war es gewohnt, den Ausdruck im Gesicht seines Opfers zu lesen. Panik, Angst, dieser Funken Erkenntnis, der in den Augen des Sterbenden aufflammte. Eher aufglimmte, da es kaum als lodernde Flamme bezeichnet werden durfte. Ein kurzes Aufzucken, das sagte: Jetzt folgt der Tod, das war´s nun. All diese Genugtuung wurde dem Kaiser nicht zuteil. Das war anders und ungewohnt. Vielleicht auch, weil William Martell kein klassisches Opfer, sondern ein Gegner war. Was bei jedem anderen ein abgetrennter Arm war, war für diesen eine Fleischwunde.
William merkte, dass der Kaiser diese Frage ernst meinte. So ernst, dass er ihn nicht sofort angriff. Ihm Zeit ließ, um zu antworten.
„Ich kenne nur diesen Hammer!“, antwortete William ehrlich und beendete das Gespräch mit einem Schlag. Die Erwartung dessen, was nun geschah, konnte Gigas sich nicht ausmalen. Ein langgezogener Schrei war von ihm zu hören, nachdem der Grund unter seinen Füßen nicht einfach rumorte, bröckelte, nachzugeben drohte, einstürzte, ein Prozess, der Sekunden dauerte, der Boden unter seinen Füßen war schlichtweg verschwunden. Der Hammerträger wischte sich eine Schweißperle aus dem Gesicht. Es erforderte sehr viel Konzentration. Der Krater vor seinen Füßen war schon sehr lang. Sogar die Werft war in ihm verschwunden. Es ging alles sehr schnell, doch es war notwendig. Er musste sich drosseln, so geschah es, dass vor seinen Augen noch die Teile der Insel zu sehen waren, auf denen Menschen um ihr Leben rannten. Doch was hinter seinem Rücken geschah, das vermochte er nicht zu zügeln. Wozu auch? Schlechtes Wetter würde auch ohne ihn gefährlich für die Seefahrt sein.
William hörte das Branden des Meeres in seinem Rücken, welches mit immer weiteren, höheren, brechenden Wellen unerträglich laut wurde. Er kaute und schluckte, um das Rauschen in seinem Ohr zu unterdrücken. Riesige Wellen türmten sich weiter auf. Alles hinter ihm, all jener Bereich, in dem er keine Inselbewohner wähnte, begann zu Beben. Das Meer selbst schien von seinem Schlag erschüttert worden zu sein. Wie weit es reichte, wusste er nicht. Ob er den Grund des Meeres mit der Erschütterung erreichte, wusste er ebenfalls nicht. Möglich wäre es, doch dazu erforderte es viel mehr. Er blickte den Hammer an. Was bedeutete schon das Original? Es war sein Hammer. Er wusste, wie er zu benutzen war. Und was man besser nicht machen sollte. William wurde aus seinen Gedanken gerissen, da das Rauschen in seinen Ohren wieder lauter wurde – bedingt durch eine riesige Welle, die ihn zu verschlingen drohte.
Er ließ den Hammer fallen. Sein Körper zitterte noch immer. Die innere Anspannung ließ allerdings nach und er hielt sich nun den verwundeten Arm. Adrenalin. Ein wahrer Lebensretter. Lässt einen unbeirrt seinen Weg gehen. William war schon wieder in Gedanken verloren, immerhin hatte er gerade einen Kaiser vom Antlitz der Welt befördert. Im wahrsten Sinne. Ob er tot war? Erst einmal musste William zusehen, dass er nicht vom aufgepeitschten Meer in ein nasses Grab gezogen wurde. Das wäre wirklich bitter und pure Ironie. Er lachte erstmals an diesem Tag. Jetzt hatte er Zeit dafür. Kurz, doch es war ganz angenehm.
Er ließ den verwundeten Arm los, griff den Hammerstiel und drehte seinen Hammer um die eigene Körperachse. Wie ein inkonsequenter Hammerwerfer schleuderte er seine Waffe nun in die nahende Welle, ohne diese in letzter Konsequenz loszulassen. Es war einfach erklärt. Getroffen vom Luftzug drückte es die Welle und alle sich dahinter anbahnenden in die andere Richtung. So genau hinterfragte es William auch nicht, da er eines wusste: Mit etwas Kraftaufwand und einem Erbstück waren die Launen der Natur zu zähmen. Die Insel wurde nicht von einer gigantischen Welle überschwemmt.
Es war alles gut.
Bis auf das laute Gebrüll, das da unten aus dem dunklen Krater kam. Damit hatte er gewiss nicht gerechnet. Dass der Kaiser klein beigeben würde. Doch William hatte das Gefühl, alles in der eigenen Hand zu haben.
„Bring es zu Ende“, sagte eine Stimme in seinem Kopf. Zumindest war sie so klar und deutlich, dass es sich für William Martell wie ein eigener, nach innen gerichteter, wahrnehmbarer Gedanke anfühlte. Doch es war natürlich keine innere Stimme. Das wäre doch ziemlich verrückt. Es war die klare Stimme der Gestalt, die schwebend am anderen Ende der Insel weilte und sich die Kapuze vom Kopf zog.
Es war warm. Und menschenruhig. Alle anderen waren fort. So waren sie nur noch zu Dritt.
Jetzt brauchte William Martell auf niemanden mehr Rücksicht nehmen.
„Gold ist nur eine Ware.“
Es zischte. Die neue, ihm unbekannte Stimme, so leise sie aus einer anderen Richtung an das Agenten-Ohr drang, umso deutlicher, geradezu klar war sie in diesem Tumult zu verstehen. Montgomery zuckte auf, da es ihm so vorkam, als würde irgendjemand direkt neben ihm stehen. Kurz drehte er sich einmal im Kreis, sah nur den alten Kollegen, der eine Lore voller abgeschlagenen, verdreckten, doch an manchen Stellen hell schimmernden Steinen vom Gleis zu schieben versuchte.
„Hast Du etwas gesagt?“, fragte Montgomery irritiert.
„Ich habe gefragt. Gesagt hat es dieser Alligator neben dir!“, erwiderte der alte Kollege mit semantischer Präzision und grunzte daraufhin schweißdurchnässt, nachdem er die Lore vom Gleis setzte.
Allig…?
Erneut drehte sich Montgomery und nach nicht einmal einer Zehntelsekunde erblickte er eine Gestalt, deren Gesicht nur wenige Zentimeter von seinem entfernt war. Wie zum…? Ehe er sich diese Frage stellen konnte, übernahm der menschliche Instinkt diese Situation. Seit je her war der Agent darauf bedacht, es einfach dem zu überlassen, was die Natur einst für ihn – und jeden anderen Menschen – als Notfallplan erdachte. Er stieß einen spitzen Schrei aus und kürzlich angelegte Dämme, die seine aus der Panik geborenen Tränenflüsse bremsten, brachen umgehend auf. Den Kaiser Gigas vor sich wähnend, brach der Agent in einem mundschäumenden Anfall zusammen. Was früher sinnvolles Totstellen war, wirkte heutzutage nicht mehr allzu häufig, nachdem die fremde alligatorenartige Gestalt den Lebenden eben noch vor sich sah.
„Ich bin kein Kaiser!“, murmelte die Gestalt berichtigend und richtete sich die purpurne Kapuze auf ihrem Kopf.
„Aber Sie sind schon sehr exotisch“, merkte der lorenschiebende Agent an und tupfte sich die nasse Stirn mit einem dreckigen Goldklumpen. Er blickte auf den grünen Schweif, der unten aus der langen Robe des Fremden herausragte. Wo normalerweise die Füße sein müssten, befand sich beim Fremden nämlich gar nichts. Das passte für den nicht-kollabierten Agenten wiederum ganz gut, da es sonst wenig Sinn machen würde, in der Luft zu schweben.
„Wie ich sagte, ist Gold nur eine Ware!“, wiederholte die Gestalt, die exotische Bemerkung übergehend, und deutete mit ihren langen grünbeschuppten Fingern auf den Bergstollen.
„Schaffen Sie die Menschen da raus und verschwindet alle!“
Die Stimme des Fremden blieb klar und war trotz eines lauten Knalls zu verstehen. Wie dieser das – und das Schweben – bewerkstelligte, wusste der triefnasse Agent nicht, doch es schien ihm sinnvoll, auf diesen Mann, dieses Tier, was immer es war, zu hören. Woher er diese Gewissheit nahm? Wahrscheinlich ein Überlebensinstinkt. Unter den wachsamen Augen des Fremden ohrfeigte er Montgomery wach und erklärte diesem, was nun zu tun sei. Nachdem besagter Agent mit rotgehauenden Wangen und mit zitterndem Blick die schwebende Gestalt beäugte, nickte er schließlich. Seine Fluchtgedanken waren wie ausgelöscht. Er hatte jetzt nicht mehr das Gefühl, dass es niemanden geben würde, der ihm hinterher ein schlechtes Gewissen bereiten könnte.
„Leitet die Evakuierung der Insel ein, leitet die Räumung sämtlicher Bergwerke ein!“ Mit energischer Stimme erteilte Montgomery nun Anweisungen an alle Agenten, alle Marinesoldaten und jeden Bewohner, der darüber hinwegsehen wollte, dass der Agent fürchterlich nach Urin stank.
„Erbärmlich!“, murmelte der ehemalige Lorenschieberkollege und roch an seiner eigenen Achsel, woraufhin auch er endlich in Tränen ausbrach.
Es war alles vorbereitet.
Die Gestalt drehte sich in Richtung der lautesten Geräuschkulisse, welche von William und Gigas erzeugt wurde. Sie waren nur ein, zwei Kilometer von ihm entfernt, doch er hörte ihre Stimmen ganz genau.
„Wenn alle Menschen hier fort sind, wird auch William Martell seine menschliche Zurückhaltung ablegen.“
Es war alles gut. Für ihn.
[auf der anderen Seite der Insel]
„Ist es das Original?“
Gigas zog seine spitzen Klauen aus Williams Arm und beobachtete dessen regungsloses Gesicht. Nicht der Schmerz, nicht das schmatzende Geräusch, nachdem der Kaiser einiges Fleisch aus dem Körper eines Martells riss. Nichts schien diesen näher zu beschäftigen. Es war beeindruckend, zugleich aber furchtbar ernüchternd. Gigas war es gewohnt, den Ausdruck im Gesicht seines Opfers zu lesen. Panik, Angst, dieser Funken Erkenntnis, der in den Augen des Sterbenden aufflammte. Eher aufglimmte, da es kaum als lodernde Flamme bezeichnet werden durfte. Ein kurzes Aufzucken, das sagte: Jetzt folgt der Tod, das war´s nun. All diese Genugtuung wurde dem Kaiser nicht zuteil. Das war anders und ungewohnt. Vielleicht auch, weil William Martell kein klassisches Opfer, sondern ein Gegner war. Was bei jedem anderen ein abgetrennter Arm war, war für diesen eine Fleischwunde.
William merkte, dass der Kaiser diese Frage ernst meinte. So ernst, dass er ihn nicht sofort angriff. Ihm Zeit ließ, um zu antworten.
„Ich kenne nur diesen Hammer!“, antwortete William ehrlich und beendete das Gespräch mit einem Schlag. Die Erwartung dessen, was nun geschah, konnte Gigas sich nicht ausmalen. Ein langgezogener Schrei war von ihm zu hören, nachdem der Grund unter seinen Füßen nicht einfach rumorte, bröckelte, nachzugeben drohte, einstürzte, ein Prozess, der Sekunden dauerte, der Boden unter seinen Füßen war schlichtweg verschwunden. Der Hammerträger wischte sich eine Schweißperle aus dem Gesicht. Es erforderte sehr viel Konzentration. Der Krater vor seinen Füßen war schon sehr lang. Sogar die Werft war in ihm verschwunden. Es ging alles sehr schnell, doch es war notwendig. Er musste sich drosseln, so geschah es, dass vor seinen Augen noch die Teile der Insel zu sehen waren, auf denen Menschen um ihr Leben rannten. Doch was hinter seinem Rücken geschah, das vermochte er nicht zu zügeln. Wozu auch? Schlechtes Wetter würde auch ohne ihn gefährlich für die Seefahrt sein.
William hörte das Branden des Meeres in seinem Rücken, welches mit immer weiteren, höheren, brechenden Wellen unerträglich laut wurde. Er kaute und schluckte, um das Rauschen in seinem Ohr zu unterdrücken. Riesige Wellen türmten sich weiter auf. Alles hinter ihm, all jener Bereich, in dem er keine Inselbewohner wähnte, begann zu Beben. Das Meer selbst schien von seinem Schlag erschüttert worden zu sein. Wie weit es reichte, wusste er nicht. Ob er den Grund des Meeres mit der Erschütterung erreichte, wusste er ebenfalls nicht. Möglich wäre es, doch dazu erforderte es viel mehr. Er blickte den Hammer an. Was bedeutete schon das Original? Es war sein Hammer. Er wusste, wie er zu benutzen war. Und was man besser nicht machen sollte. William wurde aus seinen Gedanken gerissen, da das Rauschen in seinen Ohren wieder lauter wurde – bedingt durch eine riesige Welle, die ihn zu verschlingen drohte.
Er ließ den Hammer fallen. Sein Körper zitterte noch immer. Die innere Anspannung ließ allerdings nach und er hielt sich nun den verwundeten Arm. Adrenalin. Ein wahrer Lebensretter. Lässt einen unbeirrt seinen Weg gehen. William war schon wieder in Gedanken verloren, immerhin hatte er gerade einen Kaiser vom Antlitz der Welt befördert. Im wahrsten Sinne. Ob er tot war? Erst einmal musste William zusehen, dass er nicht vom aufgepeitschten Meer in ein nasses Grab gezogen wurde. Das wäre wirklich bitter und pure Ironie. Er lachte erstmals an diesem Tag. Jetzt hatte er Zeit dafür. Kurz, doch es war ganz angenehm.
Er ließ den verwundeten Arm los, griff den Hammerstiel und drehte seinen Hammer um die eigene Körperachse. Wie ein inkonsequenter Hammerwerfer schleuderte er seine Waffe nun in die nahende Welle, ohne diese in letzter Konsequenz loszulassen. Es war einfach erklärt. Getroffen vom Luftzug drückte es die Welle und alle sich dahinter anbahnenden in die andere Richtung. So genau hinterfragte es William auch nicht, da er eines wusste: Mit etwas Kraftaufwand und einem Erbstück waren die Launen der Natur zu zähmen. Die Insel wurde nicht von einer gigantischen Welle überschwemmt.
Es war alles gut.
Bis auf das laute Gebrüll, das da unten aus dem dunklen Krater kam. Damit hatte er gewiss nicht gerechnet. Dass der Kaiser klein beigeben würde. Doch William hatte das Gefühl, alles in der eigenen Hand zu haben.
„Bring es zu Ende“, sagte eine Stimme in seinem Kopf. Zumindest war sie so klar und deutlich, dass es sich für William Martell wie ein eigener, nach innen gerichteter, wahrnehmbarer Gedanke anfühlte. Doch es war natürlich keine innere Stimme. Das wäre doch ziemlich verrückt. Es war die klare Stimme der Gestalt, die schwebend am anderen Ende der Insel weilte und sich die Kapuze vom Kopf zog.
Es war warm. Und menschenruhig. Alle anderen waren fort. So waren sie nur noch zu Dritt.
Jetzt brauchte William Martell auf niemanden mehr Rücksicht nehmen.
Sterben war eine Option. Keine besonders schöne, doch darum ging es ihm gar nicht. William lauschte dem wütenden Brüllen des Kaisers. Lauschen, er dachte über dieses Wort nach. Es war nicht richtig gewählt. Für gewöhnliche Personen, die darin keine Entspannung – sondern vielmehr Angst – fanden. Es dauerte vielleicht noch zwei, drei Sekunden, ehe diese kleine Verschnaufpause ihr Ende fand. Der aktive Martell drehte den Stiel in beiden Händen, folgte aufmerksam dem sachte rotierenden Hammerkopf. Wie viele Schläge mit diesem bereits durchgeführt wurden? Man mochte meinen, dass das niemand gezählte hätte…
Roooooooooooooooooooooooooooooaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaahhhhhhhhhhhhhhhh
Wassermassen bewegten, überholten, überlagerten, stauten sich immer weiter auf, bis sie – auf stattliche Größe herangewachsen – von der Insel hinweg drängten. William trat ein paar Schritte zurück, und wo er eben noch nassen Fußes in seiner Bewegung eingeschränkt worden wäre, betrat er trockenen Untergrund. Das Meer in seinem Rücken zog sich weiter zurück. Doch wie weit, wollte William gar nicht wissen. Erfahrungsgemäß wollte er den sich ankündigenden Kaiser im Sichtfeld behalten, zum anderen hätte es ihm die Sprache verschlagen.
„Martellllllllll“
Was eben noch ein Urschrei war, der einen Krieg unter Tausenden in einem infernalischen Schlachtenlärm einläutete, hörte sich nun William nach das Menschliche aus der verzerrten Kaiserstimme heraus. Menschliche Wut, Menschliche Neugier. Es war beides, es war eines von beiden, es war weder das eine noch das andere. Gigas war ein wütendes Naturell mit einem berechtigten Interesse an dem, das folgte. Eine Hand griff nach dem Hammerkopf, versuchte ihn nach unten zu drücken, während die zweite nach der Kehle Williams griff. Der Kaiser war gerade noch zu hören, schon tauchte er geradezu schleichend leise aus dem Loch heraus auf. Trotz seines dichtbeschuppten Körpers bewegte er sich wie ein Blatt im Wind. William war über dieses Bild amüsiert, ignorierte die fehlende Schwerfälligkeit seines kompakt aussehenden Gegenübers. Dessen Vorhaben hatte er nämlich unlängst begriffen. William konzentrierte sich darauf, sich in kein direktes Kräftemessen zu begeben, ließ daher keinerlei Widerstand aufkommen. Zu Gigas Überraschung konnte er die Waffe ohne jegliche Reaktion gen Boden drücken, wodurch sein Halt ins Wanken geriet. William ließ seine Waffe fallen, sah, wie der Kaiser diese instinktiv zu ergreifen versuchte, dabei jedoch den Fehler beging und sich für einen Moment unwillkürlich nach vorne beugte. Dies genügte William für eine platzierte Kopfnuss. Die Schläfen der beiden bebten fürchterlich, jedoch war William auf seinen Schmerz vorbereitet. Gigas hingegen taumelte nach hinten, ließ den Hammer allerdings nicht los. Was wäre ein Martell ohne seinen berüchtigten Hammer? Dieser Treffer war eine Überraschung, doch nichts, was ihn in irgendeiner Form in die Knie zwingen würde. Gigas warf den Hammerkopf in die Luft, mit ihm drehte sich der Stiel, den er ergriff. So standen sie sich jetzt erneut gegenüber. Kaiser Gigas mit blutender Schläfe und einem Hammer – auf der anderen Seite William Martell mit keinem Hammer. Ein Lächeln zierte das Gesicht des Kaisers. Jetzt war er rundum zufrieden. Denn jetzt hielt er die Macht in seinen ohnehin mächtigen Händen. Es übertraf seine Vorstellungen, die er in den kurzen Momenten der Einsicht gewann. Kurze Momente, die ihn wie William überrumpelten. Die dicken Schuppen in seiner Brustgegend knackten, als sich die Faust Williams in seinem Feind widerfand, sich öffnete und mit den Fingern einzelne Organe ertastete. Der Kaiser spürte keinerlei Schmerz, es ging alles furchtbar schnell.
„Der Hammer versprüht seinen eigenen Reiz.“
Jetzt, mit den gesprochenen Worten, die er vernahm, spürte Gigas, dass seine Rüstung mit einem Schlag durchbrochen wurde.
„Seine Macht ist allerdings wertlos“, jetzt spürte der Kaiser, dass er handeln musste, der Schmerz, der in ihm aufkommen sollte, er kam einfach nicht. Zu groß war seine Wut auf seinen Körper, der nicht nachgeben wollte, jedoch aufgeben musste, sobald sein mickriges Herz ihm entrissen werden würde. Es war so enttäuschend, dass eine unzerstörbare Maschinerie einfach stillstehen würde, sobald man ihr den Antrieb entfernte. Diese Regeln wollte er nicht wahrhaben und er würde sie nicht wahrhaben. William sah den roten Glanz in den Augen des Kaisers, spürte, dass das eben noch weiche pulsierende Herz plötzlich stahlhart wurde. Er riss dran, doch es half nichts. Selbst die Arterien und Venen, an denen es hing, waren erhärtet. Nichts gab nach. Gigas brüllte und schlug beide Fäuste zusammen. William stieß sich von der schuppigen Brust ab, griff im Fall seinen Hammer und wurde von der Wucht des Kaisers fortgeschleudert. Zwar wurde er nicht getroffen, doch der Druck den Gigas zwischen seinen geballten Fäusten entfachte, war nicht ohne. Prüfend blickte der Kaiser in das Loch in seiner Brust und sah, wie sich sein Herz von einer schwarzen Schicht befreite, wieder weich und beweglich wurde. Er wusste, dass ein Herz nicht allzu lange mit Rüstungshaki verstärkt werden durfte. Sonst würde es danach womöglich gar nicht wieder anfangen zu schlagen. Instinktiv riss er seine Hand nach oben und fing den Hammerkopf ab, der schleunigst auf seinen Kopf herabsauste. Der Boden unter seinen Füßen verschwand dieses Mal nicht, sondern brach lediglich. Gigas schleuderte den Kopf nach unten und schlug seine freie Hand in die Luft. Doch Martell wandte den gleichen Trick nicht ein zweites Mal an, wodurch der Kaiser ins Leere langte. Mit dem Kopf voran sprang William zwischen den Beinen des Kaisers durch, seinen Hammer hinterherziehend, und riss den Kaiser von den Füßen. Ein dumpfer Aufprall zeugte von seinem Fall.
William sah, während sich der Kaiser wiederaufrichtete, etwas in dessen Augen. Es war nicht mehr der Zorn, der diesem tiergewordenen Mensch stets zuteil war, sondern etwas Anderes. Ein Ausdruck, der ihm Angst bereitete. Nun, es war nur ein kurzer Augenblick, sah er hinter sich. Seine Angst war nun Gewissheit. Das Meer in seinem Rücken, es war weg. In der Ferne sollte er etwas erkennen, doch nach dieser Bestätigung war ihm nicht zumute. Der Kaiser richtete sich vor ihm zu voller Größe auf, leckte sich über seine Lippen. William sah das Herz, wie es unbeirrt vor sich hinschlug. Man mochte meinen, dass es Angst vor Gigas hatte. So zaghaft, wie es manchmal einfach einen Schlag aussetzte. Gigas selbst wusste nicht, was er sagen wollte. Ihm waren so viele Worte eingefallen, die er diesem arroganten Martell ins Gesicht schleudern wollte. Zugleich allerdings war ihm nicht nach Reden zumute. Die Ebenbürtigkeit, die er zu sehen schien, war nur ein Trugschluss. Eine Illusion, die ihn ein, zwei Mal nachdenken ließ. Eine Manipulation, die ihn zu Fehlern zwang und sein Gegenüber am Leben ließ. Wäre er einfach nur stumpf auf ihn losgegangen, wäre es eine Frage der Zeit, eine Frage, die er sich nach dem erfolgten Blutbad vielleicht gestellt hätte – es wäre alles so viel einfacher vonstattengegangen.
All diese Gedanken in Gigas Kopf, sie existierten nicht. Er blickte William durch einen Schleier an. Unterbewusst, unwillkürlich. Das animalische Treiben bewegte ihn Schritt für Schritt auf den Hammerträger zu. Dieser zuckte zusammen, da er nun den Unterschied zwischen dem Kaiser Gigas und William Martell ausmachte. Nur einer von ihnen verlor seine Menschlichkeit, etwas, das ihn dem anderen gegenüber auszeichnete. Aber es war noch nicht so, dass er gestorben war. Diese Option war natürlich noch da, jedoch nahm er sie nicht wahr. Stattdessen ging in Williams Kopf ein anderer letzter Gedanke seines Weges.
„Alle Menschen außer dir sind fort. Du kannst es zu Ende bringen.“
Die fremde Stimme in seinem Kopf, sie hatte ihn zum richtigen Zeitpunkt eingeholt. Was immer ihn vorher nachdenken ließ, es war fort. Er spürte die unendliche Schwere, die im Hammerkopf verborgen lag. Verborgen, da sie mit jedem Schlag gesteigert und somit unerkenntlich groß wurde. Gigas sprang auf ihn zu, William tat es ihm gleich und holte aus.
Die Macht des Hammers ist nutzlos, wenn man sie nicht einzusetzen weiß.
Die schwebende Gestalt brachte Williams angeführten Gedanken zu Ende, wusste, dass es soweit war. Wie oft hatte sie dieses Geräusch bereits gehört? Das erste Mal war es noch was Besonderes. Der Aufprall des Hammers und seine entfesselte Kraft. Eine Kraft, deren Wirkung bis zur Unendlichkeit getrieben werden konnte. Eine, die die gesamte Welt mit einem Schlag zerstören konnte. Doch noch war es dafür nicht an der Zeit. Noch war kein Martell dazu imstande. Die Gestalt lächelte, als sie den Ausklang des Schlages vernahm. Ein Geräusch, das niemand beschreiben konnte. Der Boden unter ihren nicht vorhandenen Füßen. Die Gebäude, die Bergwerke, das Meer, die Geräusche, die Atmosphäre. Alles um sie herum war verschwunden. Die Gestalt drehte sich, sah blauen Himmel und das klare Wasser in der Ferne. Doch alles, was vor dieser Ferne war, es ist das richtige Wort, ‚war‘ nicht mehr da. Gigas und William Martell waren nicht mehr zu sehen. So wie alles um die Gestalt herum. Einsam schwebte sie im Nichts.
Nachdem sie aus dem Nichts ‚etwas´ machte, entschwand sie und hinterließ blauen Himmel, ruhiges Meer, alles war so wie immer. Mit dem feinen Unterschied, dass Goldback-Island nicht mehr existierte.
Roooooooooooooooooooooooooooooaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaahhhhhhhhhhhhhhhh
Wassermassen bewegten, überholten, überlagerten, stauten sich immer weiter auf, bis sie – auf stattliche Größe herangewachsen – von der Insel hinweg drängten. William trat ein paar Schritte zurück, und wo er eben noch nassen Fußes in seiner Bewegung eingeschränkt worden wäre, betrat er trockenen Untergrund. Das Meer in seinem Rücken zog sich weiter zurück. Doch wie weit, wollte William gar nicht wissen. Erfahrungsgemäß wollte er den sich ankündigenden Kaiser im Sichtfeld behalten, zum anderen hätte es ihm die Sprache verschlagen.
„Martellllllllll“
Was eben noch ein Urschrei war, der einen Krieg unter Tausenden in einem infernalischen Schlachtenlärm einläutete, hörte sich nun William nach das Menschliche aus der verzerrten Kaiserstimme heraus. Menschliche Wut, Menschliche Neugier. Es war beides, es war eines von beiden, es war weder das eine noch das andere. Gigas war ein wütendes Naturell mit einem berechtigten Interesse an dem, das folgte. Eine Hand griff nach dem Hammerkopf, versuchte ihn nach unten zu drücken, während die zweite nach der Kehle Williams griff. Der Kaiser war gerade noch zu hören, schon tauchte er geradezu schleichend leise aus dem Loch heraus auf. Trotz seines dichtbeschuppten Körpers bewegte er sich wie ein Blatt im Wind. William war über dieses Bild amüsiert, ignorierte die fehlende Schwerfälligkeit seines kompakt aussehenden Gegenübers. Dessen Vorhaben hatte er nämlich unlängst begriffen. William konzentrierte sich darauf, sich in kein direktes Kräftemessen zu begeben, ließ daher keinerlei Widerstand aufkommen. Zu Gigas Überraschung konnte er die Waffe ohne jegliche Reaktion gen Boden drücken, wodurch sein Halt ins Wanken geriet. William ließ seine Waffe fallen, sah, wie der Kaiser diese instinktiv zu ergreifen versuchte, dabei jedoch den Fehler beging und sich für einen Moment unwillkürlich nach vorne beugte. Dies genügte William für eine platzierte Kopfnuss. Die Schläfen der beiden bebten fürchterlich, jedoch war William auf seinen Schmerz vorbereitet. Gigas hingegen taumelte nach hinten, ließ den Hammer allerdings nicht los. Was wäre ein Martell ohne seinen berüchtigten Hammer? Dieser Treffer war eine Überraschung, doch nichts, was ihn in irgendeiner Form in die Knie zwingen würde. Gigas warf den Hammerkopf in die Luft, mit ihm drehte sich der Stiel, den er ergriff. So standen sie sich jetzt erneut gegenüber. Kaiser Gigas mit blutender Schläfe und einem Hammer – auf der anderen Seite William Martell mit keinem Hammer. Ein Lächeln zierte das Gesicht des Kaisers. Jetzt war er rundum zufrieden. Denn jetzt hielt er die Macht in seinen ohnehin mächtigen Händen. Es übertraf seine Vorstellungen, die er in den kurzen Momenten der Einsicht gewann. Kurze Momente, die ihn wie William überrumpelten. Die dicken Schuppen in seiner Brustgegend knackten, als sich die Faust Williams in seinem Feind widerfand, sich öffnete und mit den Fingern einzelne Organe ertastete. Der Kaiser spürte keinerlei Schmerz, es ging alles furchtbar schnell.
„Der Hammer versprüht seinen eigenen Reiz.“
Jetzt, mit den gesprochenen Worten, die er vernahm, spürte Gigas, dass seine Rüstung mit einem Schlag durchbrochen wurde.
„Seine Macht ist allerdings wertlos“, jetzt spürte der Kaiser, dass er handeln musste, der Schmerz, der in ihm aufkommen sollte, er kam einfach nicht. Zu groß war seine Wut auf seinen Körper, der nicht nachgeben wollte, jedoch aufgeben musste, sobald sein mickriges Herz ihm entrissen werden würde. Es war so enttäuschend, dass eine unzerstörbare Maschinerie einfach stillstehen würde, sobald man ihr den Antrieb entfernte. Diese Regeln wollte er nicht wahrhaben und er würde sie nicht wahrhaben. William sah den roten Glanz in den Augen des Kaisers, spürte, dass das eben noch weiche pulsierende Herz plötzlich stahlhart wurde. Er riss dran, doch es half nichts. Selbst die Arterien und Venen, an denen es hing, waren erhärtet. Nichts gab nach. Gigas brüllte und schlug beide Fäuste zusammen. William stieß sich von der schuppigen Brust ab, griff im Fall seinen Hammer und wurde von der Wucht des Kaisers fortgeschleudert. Zwar wurde er nicht getroffen, doch der Druck den Gigas zwischen seinen geballten Fäusten entfachte, war nicht ohne. Prüfend blickte der Kaiser in das Loch in seiner Brust und sah, wie sich sein Herz von einer schwarzen Schicht befreite, wieder weich und beweglich wurde. Er wusste, dass ein Herz nicht allzu lange mit Rüstungshaki verstärkt werden durfte. Sonst würde es danach womöglich gar nicht wieder anfangen zu schlagen. Instinktiv riss er seine Hand nach oben und fing den Hammerkopf ab, der schleunigst auf seinen Kopf herabsauste. Der Boden unter seinen Füßen verschwand dieses Mal nicht, sondern brach lediglich. Gigas schleuderte den Kopf nach unten und schlug seine freie Hand in die Luft. Doch Martell wandte den gleichen Trick nicht ein zweites Mal an, wodurch der Kaiser ins Leere langte. Mit dem Kopf voran sprang William zwischen den Beinen des Kaisers durch, seinen Hammer hinterherziehend, und riss den Kaiser von den Füßen. Ein dumpfer Aufprall zeugte von seinem Fall.
William sah, während sich der Kaiser wiederaufrichtete, etwas in dessen Augen. Es war nicht mehr der Zorn, der diesem tiergewordenen Mensch stets zuteil war, sondern etwas Anderes. Ein Ausdruck, der ihm Angst bereitete. Nun, es war nur ein kurzer Augenblick, sah er hinter sich. Seine Angst war nun Gewissheit. Das Meer in seinem Rücken, es war weg. In der Ferne sollte er etwas erkennen, doch nach dieser Bestätigung war ihm nicht zumute. Der Kaiser richtete sich vor ihm zu voller Größe auf, leckte sich über seine Lippen. William sah das Herz, wie es unbeirrt vor sich hinschlug. Man mochte meinen, dass es Angst vor Gigas hatte. So zaghaft, wie es manchmal einfach einen Schlag aussetzte. Gigas selbst wusste nicht, was er sagen wollte. Ihm waren so viele Worte eingefallen, die er diesem arroganten Martell ins Gesicht schleudern wollte. Zugleich allerdings war ihm nicht nach Reden zumute. Die Ebenbürtigkeit, die er zu sehen schien, war nur ein Trugschluss. Eine Illusion, die ihn ein, zwei Mal nachdenken ließ. Eine Manipulation, die ihn zu Fehlern zwang und sein Gegenüber am Leben ließ. Wäre er einfach nur stumpf auf ihn losgegangen, wäre es eine Frage der Zeit, eine Frage, die er sich nach dem erfolgten Blutbad vielleicht gestellt hätte – es wäre alles so viel einfacher vonstattengegangen.
All diese Gedanken in Gigas Kopf, sie existierten nicht. Er blickte William durch einen Schleier an. Unterbewusst, unwillkürlich. Das animalische Treiben bewegte ihn Schritt für Schritt auf den Hammerträger zu. Dieser zuckte zusammen, da er nun den Unterschied zwischen dem Kaiser Gigas und William Martell ausmachte. Nur einer von ihnen verlor seine Menschlichkeit, etwas, das ihn dem anderen gegenüber auszeichnete. Aber es war noch nicht so, dass er gestorben war. Diese Option war natürlich noch da, jedoch nahm er sie nicht wahr. Stattdessen ging in Williams Kopf ein anderer letzter Gedanke seines Weges.
„Alle Menschen außer dir sind fort. Du kannst es zu Ende bringen.“
Die fremde Stimme in seinem Kopf, sie hatte ihn zum richtigen Zeitpunkt eingeholt. Was immer ihn vorher nachdenken ließ, es war fort. Er spürte die unendliche Schwere, die im Hammerkopf verborgen lag. Verborgen, da sie mit jedem Schlag gesteigert und somit unerkenntlich groß wurde. Gigas sprang auf ihn zu, William tat es ihm gleich und holte aus.
Die Macht des Hammers ist nutzlos, wenn man sie nicht einzusetzen weiß.
Die schwebende Gestalt brachte Williams angeführten Gedanken zu Ende, wusste, dass es soweit war. Wie oft hatte sie dieses Geräusch bereits gehört? Das erste Mal war es noch was Besonderes. Der Aufprall des Hammers und seine entfesselte Kraft. Eine Kraft, deren Wirkung bis zur Unendlichkeit getrieben werden konnte. Eine, die die gesamte Welt mit einem Schlag zerstören konnte. Doch noch war es dafür nicht an der Zeit. Noch war kein Martell dazu imstande. Die Gestalt lächelte, als sie den Ausklang des Schlages vernahm. Ein Geräusch, das niemand beschreiben konnte. Der Boden unter ihren nicht vorhandenen Füßen. Die Gebäude, die Bergwerke, das Meer, die Geräusche, die Atmosphäre. Alles um sie herum war verschwunden. Die Gestalt drehte sich, sah blauen Himmel und das klare Wasser in der Ferne. Doch alles, was vor dieser Ferne war, es ist das richtige Wort, ‚war‘ nicht mehr da. Gigas und William Martell waren nicht mehr zu sehen. So wie alles um die Gestalt herum. Einsam schwebte sie im Nichts.
Nachdem sie aus dem Nichts ‚etwas´ machte, entschwand sie und hinterließ blauen Himmel, ruhiges Meer, alles war so wie immer. Mit dem feinen Unterschied, dass Goldback-Island nicht mehr existierte.
Das Schiff schaukelte im Wellengang. Ganz leicht, geradezu sorgsam gegenüber den seekrank gewordenen Gestalten. Was sich aber auf ihm abspielte, war ganz anderer Natur. Dort war die Stimmung eines Mannes geradezu in Wallung, wandelte sich in tobende Wut.
„Was soll der Mist?“
Seine blutunterlaufenen Augen stierten auf einen Fetzen Papier, der unter einem Glassockel gepolstert sein Dasein fristete. Beziehungsweise eben nicht, was für ratloses Kopfschütteln bei ihm hätte sorgen müssen. Doch da dies nicht seine Natur war, stampfte er stattdessen auf und brüllte herum. Schließlich erbarmte sich eine kleine Gestalt, ein Matrose, und nutzte die eingetretene Stille für seine gefassten Gedanken.
„Die Vivrecard des Kapitäns verbrennt und stellt sich danach wieder her. Dabei bewegt sie sich kein Stück vom Fleck.“ Nachdem er die Situation erläuterte, endete das Leben des Matrosen abrupt. Dumpf prallte sein lebloser Körper auf den Boden.
„Vielen Dank für das Offensichtliche“, entgegnete Jack nun sarkastisch und würdigte den soeben Erschlagenen keines Blickes. Ihn nervten Klugscheißer. Oder kluge Menschen. Oder viele andere Menschen, Tiere und Gegenstände. Doch da ihn jemand gefragt hatte, wo denn der Käpt'n sei, suchte er nach der Antwort, die er dem Kameraden, vermutlich war ihm durch das Foltern von Gefangenen langweilig geworden, mit den Worten 'na gut' zugesichert hatte. Er war ja niemand, dessen Wort nichts zählte, drum stand er jetzt hier in der Kajüte des Kaisers Gigas. Nichts auffälliges schien in ihr zu sein. Vor seinem Tisch lag ein großer Sack Kartoffeln, die dem Kaiser als Schlafplatz dienten. Die Abdrücke des stämmigen Mannes waren noch klar auf den ungeschälten Nachtschattengewächsen zu sehen. Auf dem Tisch war lediglich ein Karton voller Papierfetzen, neben denen zahllose blankgeleckte Teller aufeinandergestapelt standen. Ein zerkauter Bleistift lag an der Kante und drohte jeden Moment auf den Boden zu fallen. Jack wusste, dass der Kaiser hin und wieder den Namen einer Insel zog, um diese und die darauf lebenden Einwohner zu massakrieren. Doch bei der Unordnung war es kaum ersichtlich, welches Ziel der Kaiser für einen spontanen Besuch ins Auge gefasst hatte.
„Anscheinend lebt der Käpt'n noch“, murmelte eine Stimme. Jack drehte sich, erblickte seinen Kameraden, der neben ihm vor einer geöffneten Holztruhe stand. Noch so ein Klugscheißer. Die Augen des 'Mammuts' weiteten sich vor Wut. Am liebsten würde er jetzt noch jemanden für seine unnötig vielen Worte erschlagen. Doch das würde sich hier als wesentlich schwieriger erweisen. Vor ihm stand Pizarro, der sich fragend an seiner silbernen Mähne kratzte.
„Die Vivrecard verbrennt, doch die Frucht verwandelt sich nicht in die vorgesehene Kaimangattung zurück.“ Ehe Pizarro fortfahren konnte, wurde der Kapitänstisch durch Jacks Faust in zwei Teile geschlagen. Die Zettel flogen durch die Gegend, die Teller landeten klirrend auf dem Boden.
„Genug geredet“, tobte Jack.
Was er für ein Mammut war, das interessierte ihn nicht. Was der Kaiser für ein Tier war, interessierte diesen auch nicht. Hauptsache, sie waren stark, konnten Verletzungen verkraften und vor allem Verletzungen bereiten. Das war wichtig. Nicht, was sie waren, sondern was sie taten. Alles weitere würden die Maden zusammenfantasieren, die irgendwie überlebten. Gedankliche Arbeit, für die sie sich selbst zu fein waren.
„Wer soll jetzt der neue Käpt'n werden?“
Jacks Frage war dieses Mal ernster Natur. Eine, die ihn, so schnell er beschloss sie zu stellen, durchaus interessierte. Wäre der erschlagene Matrose noch am Leben, hätte er für die Antwort, die ihm Pizarro schließlich nannte, womöglich nicht den Tod verdient. Es gab nämlich einen Unterschied zwischen Information und Geschwätz. So geschah es an diesem unstürmischen Morgen, dass Gigas der Todbringer, kein Kapitän und dessen rechte Hand zum Kapitän ausgerufen wurde.
„Der neue Käpt'n ist ein Guter“, sagte Jack. Mit dem Wissen, diesen nicht einfach umbringen zu können, hatte das Mammut einen gewissen Respekt für den weinerlichen Trinker entwickelt. Pizarro nickte zustimmend und kratzte sich erneut am Kopf. Sein Blick war fragender Natur.
„Zuerst müssen wir ihn aus der Gefangenschaft befreien, nicht wahr?“
„Ja“, entgegnete Jack zugeknöpft und verließ schnurstracks den verwüsteten Raum. Nur noch eine verrücktspielende Vivrecard, ein in einer Truhe verstautes Obst, ein Bleistift und ein Sack Kartoffeln zeugten von der Habe des Kaisers Gigas, der er weder Kaiser noch Kapitän mehr sein würde.
Geduld war nämlich nicht unbedingt ein Wesenszug seiner Piratenbande.
Er hatte ihn getroffen. Und er hatte William Martell kennengelernt. Seitdem wollte er das Extreme nicht mehr von vornherein ausschließen. Der Psychiater kratzte sich am Bart und betrachtete den namenlosen Patienten. Seine Gedanken kreisten beim Anblick des jungen Mannes.
Gigas ging, Kaidou kam.
Es war das Glück der Weltregierung, dass dieser weit weniger willkürlich agierte. Zwar war auch er ein unberechenbares Naturell, doch der Todbringer war weitaus schlimmer. Wie der Kampf zwischen Gigas und Martell wohl abgelaufen war? Krueger schmunzelte. Er konnte sich ausmalen, was Martell dachte – doch was genau geschah? Er hatte keinen blassen Schimmer. William Martell konnte er schlecht fragen und mit einem Kaiser wollte er – das gebot ihm der gesunde Menschenverstand – ganz und gar nicht in Kontakt treten. Dafür war er nicht bereit, seine Leibwache nicht stark genug. Ansonsten hätte sie ganz woanders sicher besseres zu tun gehabt. Dr. Ryan Jay Krueger war nicht das Zentrum der Welt und dessen war er sich durchaus bewusst. Er beugte sich nun nach vorne und stellte dem Patienten ein neues Glas Milch auf den Schreibtisch.
„Werden Sie dieses Gefängnis verlassen?“, fragte der Psychiater nun. Kruegers Patient wirkte kalt wie ein Eisblock, drum galt es ihn aus der Reserve zu locken. War er ein Newcomer, der etwas auf dem Kasten hatte, ein armer Wicht, ein Verzweifelter? Wo war er einzuordnen? Bislang ließ er sich weder von den Schreien, noch von der Hitze, noch von der Tatsache, dass dies das Impel Down war, beeindrucken. Er nahm es alles so hin, aß Kekse, trank Milch und redete von sich nicht besonders viel. Trotzdem sah er interessiert aus – verlangte etwas. Etwas, das er nicht kriegen konnte.
„Ich möchte mit jemandem reden“, entgegnet der Patient.
Sein vernarbtes linkes Auge zuckt erneut. Er will nicht daran denken, was passiert ist, sondern was noch unweigerlich zu folgen hat. Sein Körper zittert. Er ist voller Stolz, da er etwas verändert, etwas verändern wird. Es gab…
Krueger sah, wie der Körper des Patienten plötzlich bebte, dieser seine Hand auf das rechte Auge presste. Er kämpfte mit sich, sah die Vergangenheit, die ihn einholen und der er entrinnen wollte. Der Psychiater sah, wie sein Patient auf die Zähne biss, beinahe vom Stuhl fiel.
„Schließen Sie die Augen und denken Sie an Leiter Hannyabal, den nackten, grillenden Hannyabal, der mit einer good-cock-bad-spelling-Schürze ein Stück Wurst wendet.“
Verdutzt stockt der Patient. Was soll diese Vorstellung? Sein Körper zittert nicht mehr aus den bisherigen Gründen, sondern aus Ekel. Blankem Horror. Er schiebt den Teller Kekse weit auf den Schreibtisch, da ihm der Appetit jeden Moment vergehen wird.
„Konzentrieren Sie sich auf die Gegenwart, solange alles andere Sie krank macht!“
Den Blick des Psychiaters empfindet er als streng, eine Strenge, die mit Erfahrung gepaart ist. Der Erfahrung, dass in heikler Lage nicht viele Worte gebraucht werden, um etwas zu verändern. Er fürchtet das, was er sich gerade vorstellt. – Denn wenn ihn diese Hölle hier kalt lässt, jene, in der es einen riesigen flammend brodelnden Topf für Gefangene gibt, so fürchtet er den kleinen Grill mitsamt seinem Grillmeister Hannyabal.
Krueger sah, wie sich der Patient schüttelte. Sein großgewachsener Körper, sein braunes struppiges Haar. Noch hielt er die Augen geschlossen, atmete tief ein und aus. Wer immer er war und was immer er auch tat. Es verfolgte ihn. Mehr, als ihm lieb war. Mehr, als er zu ahnen glaubte. Der Psychiater fragte sich, ob sein Gegenüber menschlich sei – oder ein Monster.
Monster machten keine Fehler, sie nahmen sie lächelnd in Kauf.
Und Menschen fürchteten einen dicken, nackten Beamten, der beinahe von einem Toilettenhäuschen erschlagen wurde. Ganz klar!
Langsam begann der Psychiater Spaß an dieser Arbeit zu haben.
Seine blutunterlaufenen Augen stierten auf einen Fetzen Papier, der unter einem Glassockel gepolstert sein Dasein fristete. Beziehungsweise eben nicht, was für ratloses Kopfschütteln bei ihm hätte sorgen müssen. Doch da dies nicht seine Natur war, stampfte er stattdessen auf und brüllte herum. Schließlich erbarmte sich eine kleine Gestalt, ein Matrose, und nutzte die eingetretene Stille für seine gefassten Gedanken.
„Die Vivrecard des Kapitäns verbrennt und stellt sich danach wieder her. Dabei bewegt sie sich kein Stück vom Fleck.“ Nachdem er die Situation erläuterte, endete das Leben des Matrosen abrupt. Dumpf prallte sein lebloser Körper auf den Boden.
„Vielen Dank für das Offensichtliche“, entgegnete Jack nun sarkastisch und würdigte den soeben Erschlagenen keines Blickes. Ihn nervten Klugscheißer. Oder kluge Menschen. Oder viele andere Menschen, Tiere und Gegenstände. Doch da ihn jemand gefragt hatte, wo denn der Käpt'n sei, suchte er nach der Antwort, die er dem Kameraden, vermutlich war ihm durch das Foltern von Gefangenen langweilig geworden, mit den Worten 'na gut' zugesichert hatte. Er war ja niemand, dessen Wort nichts zählte, drum stand er jetzt hier in der Kajüte des Kaisers Gigas. Nichts auffälliges schien in ihr zu sein. Vor seinem Tisch lag ein großer Sack Kartoffeln, die dem Kaiser als Schlafplatz dienten. Die Abdrücke des stämmigen Mannes waren noch klar auf den ungeschälten Nachtschattengewächsen zu sehen. Auf dem Tisch war lediglich ein Karton voller Papierfetzen, neben denen zahllose blankgeleckte Teller aufeinandergestapelt standen. Ein zerkauter Bleistift lag an der Kante und drohte jeden Moment auf den Boden zu fallen. Jack wusste, dass der Kaiser hin und wieder den Namen einer Insel zog, um diese und die darauf lebenden Einwohner zu massakrieren. Doch bei der Unordnung war es kaum ersichtlich, welches Ziel der Kaiser für einen spontanen Besuch ins Auge gefasst hatte.
„Anscheinend lebt der Käpt'n noch“, murmelte eine Stimme. Jack drehte sich, erblickte seinen Kameraden, der neben ihm vor einer geöffneten Holztruhe stand. Noch so ein Klugscheißer. Die Augen des 'Mammuts' weiteten sich vor Wut. Am liebsten würde er jetzt noch jemanden für seine unnötig vielen Worte erschlagen. Doch das würde sich hier als wesentlich schwieriger erweisen. Vor ihm stand Pizarro, der sich fragend an seiner silbernen Mähne kratzte.
„Die Vivrecard verbrennt, doch die Frucht verwandelt sich nicht in die vorgesehene Kaimangattung zurück.“ Ehe Pizarro fortfahren konnte, wurde der Kapitänstisch durch Jacks Faust in zwei Teile geschlagen. Die Zettel flogen durch die Gegend, die Teller landeten klirrend auf dem Boden.
„Genug geredet“, tobte Jack.
Was er für ein Mammut war, das interessierte ihn nicht. Was der Kaiser für ein Tier war, interessierte diesen auch nicht. Hauptsache, sie waren stark, konnten Verletzungen verkraften und vor allem Verletzungen bereiten. Das war wichtig. Nicht, was sie waren, sondern was sie taten. Alles weitere würden die Maden zusammenfantasieren, die irgendwie überlebten. Gedankliche Arbeit, für die sie sich selbst zu fein waren.
„Wer soll jetzt der neue Käpt'n werden?“
Jacks Frage war dieses Mal ernster Natur. Eine, die ihn, so schnell er beschloss sie zu stellen, durchaus interessierte. Wäre der erschlagene Matrose noch am Leben, hätte er für die Antwort, die ihm Pizarro schließlich nannte, womöglich nicht den Tod verdient. Es gab nämlich einen Unterschied zwischen Information und Geschwätz. So geschah es an diesem unstürmischen Morgen, dass Gigas der Todbringer, kein Kapitän und dessen rechte Hand zum Kapitän ausgerufen wurde.
„Der neue Käpt'n ist ein Guter“, sagte Jack. Mit dem Wissen, diesen nicht einfach umbringen zu können, hatte das Mammut einen gewissen Respekt für den weinerlichen Trinker entwickelt. Pizarro nickte zustimmend und kratzte sich erneut am Kopf. Sein Blick war fragender Natur.
„Zuerst müssen wir ihn aus der Gefangenschaft befreien, nicht wahr?“
„Ja“, entgegnete Jack zugeknöpft und verließ schnurstracks den verwüsteten Raum. Nur noch eine verrücktspielende Vivrecard, ein in einer Truhe verstautes Obst, ein Bleistift und ein Sack Kartoffeln zeugten von der Habe des Kaisers Gigas, der er weder Kaiser noch Kapitän mehr sein würde.
Geduld war nämlich nicht unbedingt ein Wesenszug seiner Piratenbande.
[in der Gegenwart]
Er hatte ihn getroffen. Und er hatte William Martell kennengelernt. Seitdem wollte er das Extreme nicht mehr von vornherein ausschließen. Der Psychiater kratzte sich am Bart und betrachtete den namenlosen Patienten. Seine Gedanken kreisten beim Anblick des jungen Mannes.
Gigas ging, Kaidou kam.
Es war das Glück der Weltregierung, dass dieser weit weniger willkürlich agierte. Zwar war auch er ein unberechenbares Naturell, doch der Todbringer war weitaus schlimmer. Wie der Kampf zwischen Gigas und Martell wohl abgelaufen war? Krueger schmunzelte. Er konnte sich ausmalen, was Martell dachte – doch was genau geschah? Er hatte keinen blassen Schimmer. William Martell konnte er schlecht fragen und mit einem Kaiser wollte er – das gebot ihm der gesunde Menschenverstand – ganz und gar nicht in Kontakt treten. Dafür war er nicht bereit, seine Leibwache nicht stark genug. Ansonsten hätte sie ganz woanders sicher besseres zu tun gehabt. Dr. Ryan Jay Krueger war nicht das Zentrum der Welt und dessen war er sich durchaus bewusst. Er beugte sich nun nach vorne und stellte dem Patienten ein neues Glas Milch auf den Schreibtisch.
„Werden Sie dieses Gefängnis verlassen?“, fragte der Psychiater nun. Kruegers Patient wirkte kalt wie ein Eisblock, drum galt es ihn aus der Reserve zu locken. War er ein Newcomer, der etwas auf dem Kasten hatte, ein armer Wicht, ein Verzweifelter? Wo war er einzuordnen? Bislang ließ er sich weder von den Schreien, noch von der Hitze, noch von der Tatsache, dass dies das Impel Down war, beeindrucken. Er nahm es alles so hin, aß Kekse, trank Milch und redete von sich nicht besonders viel. Trotzdem sah er interessiert aus – verlangte etwas. Etwas, das er nicht kriegen konnte.
„Ich möchte mit jemandem reden“, entgegnet der Patient.
Sein vernarbtes linkes Auge zuckt erneut. Er will nicht daran denken, was passiert ist, sondern was noch unweigerlich zu folgen hat. Sein Körper zittert. Er ist voller Stolz, da er etwas verändert, etwas verändern wird. Es gab…
Krueger sah, wie der Körper des Patienten plötzlich bebte, dieser seine Hand auf das rechte Auge presste. Er kämpfte mit sich, sah die Vergangenheit, die ihn einholen und der er entrinnen wollte. Der Psychiater sah, wie sein Patient auf die Zähne biss, beinahe vom Stuhl fiel.
„Schließen Sie die Augen und denken Sie an Leiter Hannyabal, den nackten, grillenden Hannyabal, der mit einer good-cock-bad-spelling-Schürze ein Stück Wurst wendet.“
„Was?“
Verdutzt stockt der Patient. Was soll diese Vorstellung? Sein Körper zittert nicht mehr aus den bisherigen Gründen, sondern aus Ekel. Blankem Horror. Er schiebt den Teller Kekse weit auf den Schreibtisch, da ihm der Appetit jeden Moment vergehen wird.
„Konzentrieren Sie sich auf die Gegenwart, solange alles andere Sie krank macht!“
Den Blick des Psychiaters empfindet er als streng, eine Strenge, die mit Erfahrung gepaart ist. Der Erfahrung, dass in heikler Lage nicht viele Worte gebraucht werden, um etwas zu verändern. Er fürchtet das, was er sich gerade vorstellt. – Denn wenn ihn diese Hölle hier kalt lässt, jene, in der es einen riesigen flammend brodelnden Topf für Gefangene gibt, so fürchtet er den kleinen Grill mitsamt seinem Grillmeister Hannyabal.
Krueger sah, wie sich der Patient schüttelte. Sein großgewachsener Körper, sein braunes struppiges Haar. Noch hielt er die Augen geschlossen, atmete tief ein und aus. Wer immer er war und was immer er auch tat. Es verfolgte ihn. Mehr, als ihm lieb war. Mehr, als er zu ahnen glaubte. Der Psychiater fragte sich, ob sein Gegenüber menschlich sei – oder ein Monster.
Monster machten keine Fehler, sie nahmen sie lächelnd in Kauf.
Und Menschen fürchteten einen dicken, nackten Beamten, der beinahe von einem Toilettenhäuschen erschlagen wurde. Ganz klar!
Langsam begann der Psychiater Spaß an dieser Arbeit zu haben.
„Das ist eine kritische Situation“, fauchte Magellan und rannte in Richtung des großen Aufzuges, der ihn wieder an die Oberfläche bringen sollte. Seine Überzeugung hatte sich ein weiteres Mal bestätigt. Es war richtig, sein Amt ruhen zu lassen. Wenn er nämlich nicht einmal seinen eigenen Arbeitsplatz in- und auswendig kannte, war es gewiss nicht hinnehmbar, dass er einfach über diesen toten Winkel hinweggesehen hatte. In der Hand hielt er eine kleine mit Gasmaske bekleidete Teleschnecke, die ihn treu anstierte. Es konnte jeden Moment etwas Furchtbares geschehen. Verdammt! Der ehemalige Direktor hielt sich die Magengegend, bereitete etwas vor, um im Notfall schnell eingreifen zu können. Es gluckerte in seinem Bauch, während er weiterlief. Die Zeit war knapp.
Argh.
Ächzend blieb er stehen. Dieser vermaledeite Stress übermannte ihn. Ein lauter Furz entwich seinem Darm.
Ohhh.
Erleichtert und zugleich schuldbewusst hatte Magellan die Augen geschlossen. Die Mitarbeiter konnte er nicht mehr warnen, wie sie hinter ihm schreiend in Flammen aufgegangen waren.
„Hoppla!“
Geduldig blickte er auf die Uhr, die hinter dem Patienten über der Tür hing. Schweigend saßen sie sich gegenüber. Weshalb wollte der Patient jemanden sprechen? Den Psychiater faszinierte nicht die Tatsache, dass eine Forderung gestellt wurde. Ihn beschäftigte jetzt auch nicht, wer als Gesprächsziel auserkoren wurde. Er dachte bereits einige Schritte weiter. Dafür benötigte er seine Konzentration, weshalb er seinen Gesprächspartner einen Schale Kekse hinstellte und sich mit eiem Nicken aus der ohnehin sehr überschaubaren Konversation ausklinkte.
Dr. Krueger war dazu imstande die Menschen anzusehen und wie ein offenes Buch zu lesen. Wenn er jemandem eine Frage stellte, suchte er nicht die Antwort in den Worten, sondern in den sich verändernden Denkprozessen im Kopf seines Gegenübers. Manche Menschen waren regelrecht zu verschlingen, anderen wollte er ihre Belanglosigkeit nur ungern offenbaren. Sein Patient war für Psychiater Krueger als ein zensiertes Buch in neuer Auflage zu sehen. Eines konnte er schnell in den Gedanken des Patienten entdecken:
Der Moment, als die Kaiserin starb, war der erhabenste Augenblick seines Lebens gewesen.
Ihr großer massiver Körper lag vor ihm und alles Leben, das sie erschaffen hatte, war mit einem Schlag ausgelöscht. Die laute Musik, die zu einem fröhlichen Tanz einlud, war zugleich alles, was man während dieses Blutbades hörte. Menschen wurden von lebendigen Gegenständen verfolgt, von Klippen gestoßen, von tanzenden Messern durchbohrt, fielen von fliegenden Teppichen. Big Mum war ein fröhlicher Mensch, nach außen hin. Innerlich war sie ein Strudel der Verwüstung, der brennende Städte besang und zum Tee einlud, wenn es hieß, dass nun Krieg zu führen sei. Es war grotesk. Und es endete an jenem Tag.
Krueger blickte erneut auf die Uhr, wandte sich dann wieder seinem Patienten zu. Der Psychiater sah die Gedanken im Kopf seines Patienten, einem Bild innerhalb einer brennenden Wolke gleichend, wie er in aller Stille vor der Kaiserin stand. Eben war sie von hunderten Sachen umgeben, die ihr stets Gesellschaft leisteten, während sich die menschlichen Weggefährten bereits von ihr abwandten – und jetzt, jetzt war sie mutterseelenallein. Die Piratenmutter, die allem eine Seele einhauchte, sie war allein.
Krueger stutzte innerlich, wie er den Gesichtsausdruck des Patienten erblickte. In den gesehenen Gedanken und hier in der Realität waren sie just in diesem Augenblick komplett identisch. Dieses siegessichere Lächeln, diese bittere Erkenntnis für die einen, sie war die süßeste Versuchung für ihn. Es waren zwei verschiedene Situationen, zwei völlig verschiedene Zeitabschnitte. Einmal der stillgewordene Abschluss eines blutigen Kampfes – und hier das ruhige Innehalten in den alten Mauern dieses Gefängnisses.
Was hatte das zu bedeuten?
Der Psychiater hatte eine Vermutung, die gleichsam naheliegend wie verstörend war. Er blickte ein drittes Mal auf die Uhr.
„Entschuldigen Sie mich einen Augenblick“, merkte er sofort an und stand auf. Der Patient blieb sitzen, lehnte sich zurück. Krueger schaute ihn an, ließ sich seine Unsicherheit nicht anmerken. Eigentlich musste man es genau genommen als Sicherheit bezeichnen, da der Psychiater ziemlich genau zu wissen glaubte, dass sein Patient hier nicht dauerhaft einzusitzen gedachte. Diese ganze Situation war von einem völlig anderen Blickwinkel zu betrachten. Um diesen Verdacht zu stärken, musste er Antworten kriegen. Die Zeit drängte, doch sie war ihm in diesem Augenblick wohlgesonnen. Er war sich sicher.
Dr. Krueger schloss die Tür, zog eine Teleschnecke aus der Tasche seines weißen Arztkittels und rief die eine Person an, die nicht für Begrüßungen bekannt war. Darum schoss er rhetorisch sofort aus der Hüfte, als er sie am Apparat wähnte.
„Wie hat man #65-19-2 aufgefunden…!“
Dr. Krueger wäre mit diesen ersten Worten zu jedem anderen Zeitpunkt auf berechtigte Irritation gestoßen. Er blickte auf die Uhr, konnte sich in dieser Situation ein verschmitztes Lächeln abringen, als die Antwort genauso schnell folgte, wie es von dieser Person zu erwarten war.
„Der mutmaßliche Mörder von Big Mum wurde apathisch aufgefunden. Außer ihm und der Leiche der Kaiserin befand sich kein weiterer Mensch auf der Insel.“
Die Stimme, die zu Krueger sprach, klang scharf geschliffen. Geradezu auf den Laut präzisiert sprach sie die Schlüsselwörter aus, die der Psychiater hören wollte.
„Ich danke dir!“, murmelte dieser und legte auf. Kurz, ohne Umschweife und prägnant. Diese Person am anderen Ende der Leitung war eine seiner Geheimwaffen. Krueger verstaute die Teleschnecke in seiner Tasche und warf ihr einen Kekskrümel hinterher. Ein erfreutes Quietschen brachte ein kaum hörbares Geräusch der Freude in diese sonst so freudlose und zermürbende Einrichtung. Krueger rieb sich zufrieden die Hände, da sich seine Idee wie ein Puzzle zusammensetzte. Zugleich überkam ihn ein leichtes Zittern, da die Idee eines bedeutete…
Der Psychiater kehrte ins Zimmer zurück und fand den Patienten genauso vor, wie er ihn die letzten 20 Sekunden zurückgelassen hatte.
„Wie viele werden bald hier sein?“, fragte er den Patienten.
Sie blickten sich an. Der Patient wusste weit weniger über Dr. Krueger als ihm lieb war. Der Psychiater praktizierte diesen Beruf seit Jahrzehnten, dachte so weit, dass es ihn eigentlich wahnsinnig machen musste. Wenn er nicht wüsste, was es damit auf sich hätte, müsste er unlängst selbst auf der Couch sitzen. Doch er war der Mann jenseits der Couch. Sein Patient wollte hierher ins Impel Down, warum, das wusste Dr. Krueger noch nicht. Doch er würde es sehr bald herausfinden.
„Das möchte ich Sie zurückfragen!“, antwortet der Patient nickend und überschlägt die Beine.
„Zwei“, entgegnete der Psychiater und rief Magellan an.
„Das Impel Down wird jeden Moment angegriffen, kommen Sie bitte nach oben“, erklärte Direktor Krueger kurz und ruhig in die Teleschnecke. Danach legte er auf und blickte den Patienten an.
„Sie wissen nicht, was gleich passieren wird?“, fragte der Psychiater nun und setzte das Glas Milch an seine Lippen.
„Erklären Sie es mir“, erwidert der Patient.
Der Psychiater verschluckte sich fast vor Lachen und lehnte sich gelassen zurück.
„Ich werde Ihnen gerne erklären, was hier eigentlich los ist.“
Er stand auf, gebot dem Patienten mit einer Handgeste es ihm gleichzutun. Gemeinsam verließen sie das Büro und gingen in Richtung des Ausgangs.
„Lassen Sie die Zugbrücke herunter“, sagte der Psychiater und kniff die Augen zusammen, nachdem das einfallende Sonnenlicht seinen verdutzten Patienten und ihn blendete.
„Sie sind ein Köder – ohne es zu wissen!“, erklärte der Psychiater.
Plötzlich durchfuhr den Patienten ein gewaltiger Schmerz, nachdem eine blutige Wunde seinen Rücken zierte.
„Doch der wahre Angler bin ich“, murmelte der Psychiater ungerührt. Sein Blick war auf diejenigen gerichtet, die er nicht sehen konnte.
„Herzlich Willkommen in der Hölle!“
Ächzend blieb er stehen. Dieser vermaledeite Stress übermannte ihn. Ein lauter Furz entwich seinem Darm.
Ohhh.
Erleichtert und zugleich schuldbewusst hatte Magellan die Augen geschlossen. Die Mitarbeiter konnte er nicht mehr warnen, wie sie hinter ihm schreiend in Flammen aufgegangen waren.
„Hoppla!“
[kurz zuvor im Büro des Psychiaters]
Geduldig blickte er auf die Uhr, die hinter dem Patienten über der Tür hing. Schweigend saßen sie sich gegenüber. Weshalb wollte der Patient jemanden sprechen? Den Psychiater faszinierte nicht die Tatsache, dass eine Forderung gestellt wurde. Ihn beschäftigte jetzt auch nicht, wer als Gesprächsziel auserkoren wurde. Er dachte bereits einige Schritte weiter. Dafür benötigte er seine Konzentration, weshalb er seinen Gesprächspartner einen Schale Kekse hinstellte und sich mit eiem Nicken aus der ohnehin sehr überschaubaren Konversation ausklinkte.
Dr. Krueger war dazu imstande die Menschen anzusehen und wie ein offenes Buch zu lesen. Wenn er jemandem eine Frage stellte, suchte er nicht die Antwort in den Worten, sondern in den sich verändernden Denkprozessen im Kopf seines Gegenübers. Manche Menschen waren regelrecht zu verschlingen, anderen wollte er ihre Belanglosigkeit nur ungern offenbaren. Sein Patient war für Psychiater Krueger als ein zensiertes Buch in neuer Auflage zu sehen. Eines konnte er schnell in den Gedanken des Patienten entdecken:
Der Moment, als die Kaiserin starb, war der erhabenste Augenblick seines Lebens gewesen.
Ihr großer massiver Körper lag vor ihm und alles Leben, das sie erschaffen hatte, war mit einem Schlag ausgelöscht. Die laute Musik, die zu einem fröhlichen Tanz einlud, war zugleich alles, was man während dieses Blutbades hörte. Menschen wurden von lebendigen Gegenständen verfolgt, von Klippen gestoßen, von tanzenden Messern durchbohrt, fielen von fliegenden Teppichen. Big Mum war ein fröhlicher Mensch, nach außen hin. Innerlich war sie ein Strudel der Verwüstung, der brennende Städte besang und zum Tee einlud, wenn es hieß, dass nun Krieg zu führen sei. Es war grotesk. Und es endete an jenem Tag.
Krueger blickte erneut auf die Uhr, wandte sich dann wieder seinem Patienten zu. Der Psychiater sah die Gedanken im Kopf seines Patienten, einem Bild innerhalb einer brennenden Wolke gleichend, wie er in aller Stille vor der Kaiserin stand. Eben war sie von hunderten Sachen umgeben, die ihr stets Gesellschaft leisteten, während sich die menschlichen Weggefährten bereits von ihr abwandten – und jetzt, jetzt war sie mutterseelenallein. Die Piratenmutter, die allem eine Seele einhauchte, sie war allein.
Krueger stutzte innerlich, wie er den Gesichtsausdruck des Patienten erblickte. In den gesehenen Gedanken und hier in der Realität waren sie just in diesem Augenblick komplett identisch. Dieses siegessichere Lächeln, diese bittere Erkenntnis für die einen, sie war die süßeste Versuchung für ihn. Es waren zwei verschiedene Situationen, zwei völlig verschiedene Zeitabschnitte. Einmal der stillgewordene Abschluss eines blutigen Kampfes – und hier das ruhige Innehalten in den alten Mauern dieses Gefängnisses.
Was hatte das zu bedeuten?
Der Psychiater hatte eine Vermutung, die gleichsam naheliegend wie verstörend war. Er blickte ein drittes Mal auf die Uhr.
„Entschuldigen Sie mich einen Augenblick“, merkte er sofort an und stand auf. Der Patient blieb sitzen, lehnte sich zurück. Krueger schaute ihn an, ließ sich seine Unsicherheit nicht anmerken. Eigentlich musste man es genau genommen als Sicherheit bezeichnen, da der Psychiater ziemlich genau zu wissen glaubte, dass sein Patient hier nicht dauerhaft einzusitzen gedachte. Diese ganze Situation war von einem völlig anderen Blickwinkel zu betrachten. Um diesen Verdacht zu stärken, musste er Antworten kriegen. Die Zeit drängte, doch sie war ihm in diesem Augenblick wohlgesonnen. Er war sich sicher.
Dr. Krueger schloss die Tür, zog eine Teleschnecke aus der Tasche seines weißen Arztkittels und rief die eine Person an, die nicht für Begrüßungen bekannt war. Darum schoss er rhetorisch sofort aus der Hüfte, als er sie am Apparat wähnte.
„Wie hat man #65-19-2 aufgefunden…!“
Dr. Krueger wäre mit diesen ersten Worten zu jedem anderen Zeitpunkt auf berechtigte Irritation gestoßen. Er blickte auf die Uhr, konnte sich in dieser Situation ein verschmitztes Lächeln abringen, als die Antwort genauso schnell folgte, wie es von dieser Person zu erwarten war.
„Der mutmaßliche Mörder von Big Mum wurde apathisch aufgefunden. Außer ihm und der Leiche der Kaiserin befand sich kein weiterer Mensch auf der Insel.“
Die Stimme, die zu Krueger sprach, klang scharf geschliffen. Geradezu auf den Laut präzisiert sprach sie die Schlüsselwörter aus, die der Psychiater hören wollte.
„Ich danke dir!“, murmelte dieser und legte auf. Kurz, ohne Umschweife und prägnant. Diese Person am anderen Ende der Leitung war eine seiner Geheimwaffen. Krueger verstaute die Teleschnecke in seiner Tasche und warf ihr einen Kekskrümel hinterher. Ein erfreutes Quietschen brachte ein kaum hörbares Geräusch der Freude in diese sonst so freudlose und zermürbende Einrichtung. Krueger rieb sich zufrieden die Hände, da sich seine Idee wie ein Puzzle zusammensetzte. Zugleich überkam ihn ein leichtes Zittern, da die Idee eines bedeutete…
Der Psychiater kehrte ins Zimmer zurück und fand den Patienten genauso vor, wie er ihn die letzten 20 Sekunden zurückgelassen hatte.
„Wie viele werden bald hier sein?“, fragte er den Patienten.
Sie blickten sich an. Der Patient wusste weit weniger über Dr. Krueger als ihm lieb war. Der Psychiater praktizierte diesen Beruf seit Jahrzehnten, dachte so weit, dass es ihn eigentlich wahnsinnig machen musste. Wenn er nicht wüsste, was es damit auf sich hätte, müsste er unlängst selbst auf der Couch sitzen. Doch er war der Mann jenseits der Couch. Sein Patient wollte hierher ins Impel Down, warum, das wusste Dr. Krueger noch nicht. Doch er würde es sehr bald herausfinden.
„Das möchte ich Sie zurückfragen!“, antwortet der Patient nickend und überschlägt die Beine.
„Zwei“, entgegnete der Psychiater und rief Magellan an.
„Das Impel Down wird jeden Moment angegriffen, kommen Sie bitte nach oben“, erklärte Direktor Krueger kurz und ruhig in die Teleschnecke. Danach legte er auf und blickte den Patienten an.
„Sie wissen nicht, was gleich passieren wird?“, fragte der Psychiater nun und setzte das Glas Milch an seine Lippen.
„Erklären Sie es mir“, erwidert der Patient.
Der Psychiater verschluckte sich fast vor Lachen und lehnte sich gelassen zurück.
„Ich werde Ihnen gerne erklären, was hier eigentlich los ist.“
Er stand auf, gebot dem Patienten mit einer Handgeste es ihm gleichzutun. Gemeinsam verließen sie das Büro und gingen in Richtung des Ausgangs.
„Lassen Sie die Zugbrücke herunter“, sagte der Psychiater und kniff die Augen zusammen, nachdem das einfallende Sonnenlicht seinen verdutzten Patienten und ihn blendete.
„Sie sind ein Köder – ohne es zu wissen!“, erklärte der Psychiater.
Plötzlich durchfuhr den Patienten ein gewaltiger Schmerz, nachdem eine blutige Wunde seinen Rücken zierte.
„Doch der wahre Angler bin ich“, murmelte der Psychiater ungerührt. Sein Blick war auf diejenigen gerichtet, die er nicht sehen konnte.
„Herzlich Willkommen in der Hölle!“
Jemand schmiedete einen perfiden Plan, um unerkannt ins Impel Down zu gelangen. Weshalb, das wusste er noch nicht. Doch das spielte keine Rolle. Sie waren ihm nämlich ins Netz gegangen.
Dr. Krueger blickte auf den Patienten, der schwer atmend am Boden lag. Außer Atem war auch Magellan, der jetzt vor den Toren des Gefängnisses angekommen war. Sie waren vollzählig. Der Psychiater hob ruhig den Arm, woraufhin das riesige Eingangstor unter lautem Ächzen heruntergelassen wurde. Da standen sie nun im windstillen Bereich – im Calm Belt. Die Schreie des Impel Down waren hermetisch von der Außenwelt getrennt, nur noch das leise Atmen des Psychiaters, das angestrengte Röcheln Magellans und das stockende Keuchen des Patienten waren für das ungeschulte Ohr zu vernehmen. Doch der Psychiater war keineswegs ungeschult, drum fächelte er sich den angenehmen Duft seiner Umgebung mit der Hand zu, schnupperte auffällig laut, während er sich leicht nach vorn beugte. Ehe Magellan fragen konnte, was hier los war, durchbrach die Stimme des Psychiaters die rhythmisch untermalte Stille.
„Zeigt euch, dann habt ihr nichts zu befürchten.“
Sein Blick war noch immer auf diejenigen gerichtet, die er nicht sehen konnte. Doch er wusste, dass sie da waren. Ein Überraschungsangriff war für ihn der amüsanteste Spaß, sobald die Leute nämlich begriffen, dass sie offene Türen einrannten. Dass ihre akribische Planung vergebens war. Sie würden gereizt reagieren und dadurch weitere Fehler begehen. Das lehrte ihn die Erfahrung und genauso geschah es auch hier: Einer der Männer rannte auf ihn zu, bewaffnet. Den Psychiater berührte es herzlich wenig, obwohl er sich selbst nicht wehren konnte. Trotzdem brauchte er nicht beunruhigt zu sein. Er spürte die aufsteigende Wut des Unsichtbaren, er sah dessen aufkeimenden Gedanken der Gewalt. Dr. Krueger lächelte in die Richtung des Angreifers. Er musste ihn nicht sehen, da selbst ein Unsichtbarer nach wie vor ein bestehender Körper mit Gefühlen war. Solange er diese Gefühle spüren konnte, konnte sich niemand vor ihm verbergen. Es machte sowieso keinen Unterschied, denn ehe der Psychiater verletzt werden konnte, wurde der Angreifer mit einem Faustschlag niedergestreckt. Gelassen beobachtete Krueger, wie das Gestein vor seinen Füßen brach. Klirrend fiel ein Gegenstand zu Boden. Ruhig griff er in die linke Tasche seines weißen Kittels und holte einen Streuer mit einem eingravierten S hervor.
„Mal sehen, wen wir hier haben“, murmelte der Psychiater und schüttelte etwas Salz in das kleine Loch, welches der Angreifer unfreiwillig mit seinem Kopf in den Steinboden hineingeschlagen hatte. Die schwere Atmung des Bewusstlosen reihte sich zum Patienten und Magellan ein, der sich allerdings inzwischen fassen konnte. Nicht aber mental, da ihm diese Situation sehr unbefriedigend erschien.
Als er noch Gefängnisdirektor war, wusste er in etwa, was um ihn herum passierte. Doch seit Kruegers Antritt fand wesentlich ungewöhnlichere Methodik ihren Einzug ins Tagesgeschäft. Solange es klappte, wollte er da auch keine Fragen stellen. Denn es klappte tadellos.
Magellan sah jetzt im eben noch staubaufgewirbelten Krater einen sichtbar gewordenen Körper, der regungslos in seiner ganzen Länge dalag. Der Angreifer maß nämlich über zwei Meter und trug ausschließlich rote Kleidung. Krueger und Magellan empfanden das als sehr passend, da dessen Gesicht unter den orangen Haaren ebenfalls von dem Blut gezeichnet war, das aus Nase, Mund und Schläfe lief. Der ehemalige Direktor griff den „Roten“ am Träger seiner Latzhose und hielt ihn schweigend in die Höhe. Wer hatte ihn niedergeschlagen? Magellan sah sich um, weit und breit nichts zu sehen. Doch weiter ließ man ihn nicht denken.
„Zeigt euch, dann habt ihr nichts zu befürchten.“, wiederholte der Psychiater nämlich mit Nachdruck und hob das Messer hoch, welches der Angreifer fallen ließ. Ein gewöhnliches Küchenmesser. Für ein gelungenes Attentat völlig ausreichend. Doch hier klappte gar nichts. Entsprechend kam langsam eine leichte Ungeduld in der Stimme des Psychiaters zum Vorschein. Das Impel Down hatte gewonnen.
„Ihr seid zwei Leute, einer unsicher, einer gefasst.“
Ohne weitere Worte zu verlieren, krempelte Dr. Krueger seine Kitteltasche nach Außen, woraufhin das darin enthaltene Salz zu Boden rieselte. Es würde eine Frage von Sekunden sein, ehe er erfahren würde, wie viele Leute an diesem Plan beteiligt waren. Hier im Eingangsbereich standen sieben Personen: Drei vom Impel Down, drei Angreifer und der Patient. Die entscheidende Frage lautete, ob noch eine vierte Person in dieses misslungene Unterfangen involviert war. Krueger nickte in Richtung Magellan und trat ein paar Schritte vom Salzhaufen zurück.
„Ihr habt zehn Sekunden, um euch zu zeigen. Ansonsten wird die schöne Luft hier ungenießbar.“ Der ehemalige Direktor klopfte sich auf die Brust, woraufhin ein lautes, ungesund wirkendes Gluckern ertönte.
„Fünf Sekunden“, murmelte Direktor Krueger, blickte auf Magellan und auf seine Uhr.
Wie erwartet wurde der Salzhaufen vor seinen Füßen angehoben und es wurden zwei Angreifer durch die Kraft des Salzes sichtbar gemacht. Salz, es war die Macht des Meeres, es bekämpfte die Kräfte des Teufels, die auf die drei Angreifer gewirkt wurden.
„Sie sind wahrhaftig ein kluger Kopf“, sagte der Mann, der von Krueger als gefasst charakterisiert wurde. Er klatschte anerkennend in seine Hände und strich sich danach das Salz aus den kurzen schwarzen Haaren. Hinunter rieselte es, vorbei an seinem freien Oberkörper und der weißen Trainingshose, hinauf auf seine nackten Füße, die er sachte schüttelte, um salzfrei vor den Toren des Impel Down stehen zu können. Ob es gelang? Er zog scharf die Luft ein und schnaubte, wollte gerade auf einem Bein stehen, um seine zweitliebste Kampfhaltung einzunehmen, als ein weiteres Mal Salz auf seine Haare herabrieselte. Es gelang nicht!
„Beruhige dich, mein Freund!“, mahnte der athletisch aussehende und gefasst wirkende Mann, der er seinen Blick auf die großgewachsene Gestalt neben sich richtete. Nervös bewegte die Gestalt ihren riesigen Körper, ihr wuschiges Fell tanzte und ließ immer mehr Salz auf den Kämpfer hinunter rieseln. Ihr gelang es bald, salzfrei vor dem Impel Down zu stehen.
„Rawr, mjam!“, murmelte die bärenartige Gestalt nun und holte einen Löffel aus den Tiefen ihres Fells hervor. Interessiert beobachteten Krueger und Magellan den Bären, wie er sich Salz aus seinem Fell auf den Löffel schüttelte und zu seiner Schnauze führte. Der Bär war noch größer als der bewusstlose, rotgekleidete Mann, maß er knappe drei Meter. Doch das war nicht das Besondere. Neben der talentierten Benutzung eines Löffels stachen eine offene schwarze Lederjacke und eine Sonnenbrille hervor, die dem Braunbären in seiner aufrechten Haltung vorzüglich standen.
Ist das nicht furchtbar warm?, grübelte Magellan und musterte den salzschleckenden Bären vor sich.
„Groar!“
„Du hast Recht, Beck, wir sollten erst einmal kooperieren!“
Der Gefasste hielt sich die Hände hinter den Kopf und verbeugte sich. Der Bär tat es ihm gleich, nahm zuvor aber der Höflichkeit halber seine Sonnenbrille ab, welche mitsamt dem Löffel in den Untiefen seines Fells verschwand.
„Raaa!“
„Keine Hintertürchen, okay okay! Wir werden vollends kooperieren!“, berichtigte der Mann in seinem halben Karateoutfit.
„Sie wissen auch weshalb?“, fragte Magellan, um sich produktiv einzubringen.
Der Bär raunte, blickte kurz nach oben, hinauf auf die Zinnen des Gefängnisses, nur um danach den Gefassten mit seiner kalten schwarzen Nase anzustoßen.
„Wir wissen es. Da oben ist jemand, der unseren voreilig handelnden Freund hier ausgeknockt hat.“ Zähneknirschend blickte der Schwarzhaarige auf den blutüberströmten Kopf ihres großen Freundes, dem rotgekleideten Percy. Ein kurzes Zittern war in der Stimme des Gefassten zu vernehmen, jedoch nicht, weil es um sie drei jetzt nicht gut bestellt war. Nein, Dr. Krueger würde sie nicht exekutieren lassen. Der Schwarzhaarige sah oben auf den Zinnen des Gefängnisses eine Gestalt sitzen, die lange Zeit als wahrer Mythos galt.
„Es ist aller Ehren wert, dass sie ihn wahrgenommen haben!“
Nun war es Dr. Krueger, der zu Magellans Irritation in die Hände klatschte und einen dankbaren Blick nach oben warf. Er hatte es dem Patienten gesagt: Zwei Leute würde er mitnehmen. Magellan, den ehemaligen Direktor des Impel Down und seinen eigenen Leibwächter. Einen Mann, den er einst therapierte und der ihm eben mal wieder das Leben rettete. Schmunzelnd blickte der Psychiater auf das Messer, das der Rotgekleidete gegen ihn einsetzen wollte. Er ging einige Schritte weiter und trat sachte gegen den Patienten, der ein letztes Mal hustete.
Der Bär blickte erstaunt auf das, was sich vor seinen großen Knopfaugen abspielte. Hätte er seine Sonnenbrille nicht bereits verstaut, wäre es einer dieser Momente gewesen, in der er sie leicht nach unten gezogen hätte, um mit einem fragenden Gesichtsausdruck über die Gläser hinweg zu sehen. Ein Ratschen war zu hören und der Patient warf eine schwarze Weste zu Boden. Es polterte kurz, als mit ihr das Messer auf den Steinboden fiel.
„Was macht Ihr Rücken?“, fragte Krueger beiläufig.
„Etwas taub“, erwidert der Patient und schüttelt seine eingeschlafenen Gliedmaßen. Ein warmes, unangenehmes Gefühl strahlt von seinem Rücken aus. Diese Schutzweste ist doch enger um seinen Körper geschnallt gewesen als ihm lieb war. Aber es stimmt, was man über den Psychiater sagt. Er plant und handelt untypisch, doch er lässt niemanden ins sprichwörtliche Messer laufen.
Krueger nahm das Messer, das eigentlich im Rücken des Patienten steckten sollte. Kaum zu fassen, wie gut dieser den abgefederten Treffer überdramatisierte. Doch es wirkte. Die Angreifer glaubten an ihr überfallartiges Erscheinen.
„Wer hat euch drei geschickt?“, fragte Dr. Krueger nun und blickte den Bären, den oberkörperfreien Kämpfer und den großen rotgekleideten Kerl an, der sich inzwischen zu ihnen auf den Boden gekniet und die Hände hinter den blutenden Kopf gelegt hatte.
„Lassen wir uns doch erst einmal reingehen, es wird gleich regnen!“, sagte der Bär und zog sich seine Sonnenbrille tief ins Gesicht. Der Leibwächter und der Patient staunten nicht schlecht, als diese mit jazzig rauchiger Stimme vorgetragene Aussage von einem plötzlichen Gewitter untermalt wurde.
„Faszinierend!“, stammelte Magellan, der jetzt noch weniger verstand. Manchmal beneidete er Hannyabal um dessen gemütliches Bett mit Haferbrei, Krankenschwestern und weit weniger Irrsinn als hier. Doch das würde er natürlich niemals zugeben. Drum tat er seinen Dienst und führte die drei Angreifer ins Impel Down.
„Zeigt euch, dann habt ihr nichts zu befürchten.“
Sein Blick war noch immer auf diejenigen gerichtet, die er nicht sehen konnte. Doch er wusste, dass sie da waren. Ein Überraschungsangriff war für ihn der amüsanteste Spaß, sobald die Leute nämlich begriffen, dass sie offene Türen einrannten. Dass ihre akribische Planung vergebens war. Sie würden gereizt reagieren und dadurch weitere Fehler begehen. Das lehrte ihn die Erfahrung und genauso geschah es auch hier: Einer der Männer rannte auf ihn zu, bewaffnet. Den Psychiater berührte es herzlich wenig, obwohl er sich selbst nicht wehren konnte. Trotzdem brauchte er nicht beunruhigt zu sein. Er spürte die aufsteigende Wut des Unsichtbaren, er sah dessen aufkeimenden Gedanken der Gewalt. Dr. Krueger lächelte in die Richtung des Angreifers. Er musste ihn nicht sehen, da selbst ein Unsichtbarer nach wie vor ein bestehender Körper mit Gefühlen war. Solange er diese Gefühle spüren konnte, konnte sich niemand vor ihm verbergen. Es machte sowieso keinen Unterschied, denn ehe der Psychiater verletzt werden konnte, wurde der Angreifer mit einem Faustschlag niedergestreckt. Gelassen beobachtete Krueger, wie das Gestein vor seinen Füßen brach. Klirrend fiel ein Gegenstand zu Boden. Ruhig griff er in die linke Tasche seines weißen Kittels und holte einen Streuer mit einem eingravierten S hervor.
„Mal sehen, wen wir hier haben“, murmelte der Psychiater und schüttelte etwas Salz in das kleine Loch, welches der Angreifer unfreiwillig mit seinem Kopf in den Steinboden hineingeschlagen hatte. Die schwere Atmung des Bewusstlosen reihte sich zum Patienten und Magellan ein, der sich allerdings inzwischen fassen konnte. Nicht aber mental, da ihm diese Situation sehr unbefriedigend erschien.
Als er noch Gefängnisdirektor war, wusste er in etwa, was um ihn herum passierte. Doch seit Kruegers Antritt fand wesentlich ungewöhnlichere Methodik ihren Einzug ins Tagesgeschäft. Solange es klappte, wollte er da auch keine Fragen stellen. Denn es klappte tadellos.
Magellan sah jetzt im eben noch staubaufgewirbelten Krater einen sichtbar gewordenen Körper, der regungslos in seiner ganzen Länge dalag. Der Angreifer maß nämlich über zwei Meter und trug ausschließlich rote Kleidung. Krueger und Magellan empfanden das als sehr passend, da dessen Gesicht unter den orangen Haaren ebenfalls von dem Blut gezeichnet war, das aus Nase, Mund und Schläfe lief. Der ehemalige Direktor griff den „Roten“ am Träger seiner Latzhose und hielt ihn schweigend in die Höhe. Wer hatte ihn niedergeschlagen? Magellan sah sich um, weit und breit nichts zu sehen. Doch weiter ließ man ihn nicht denken.
„Zeigt euch, dann habt ihr nichts zu befürchten.“, wiederholte der Psychiater nämlich mit Nachdruck und hob das Messer hoch, welches der Angreifer fallen ließ. Ein gewöhnliches Küchenmesser. Für ein gelungenes Attentat völlig ausreichend. Doch hier klappte gar nichts. Entsprechend kam langsam eine leichte Ungeduld in der Stimme des Psychiaters zum Vorschein. Das Impel Down hatte gewonnen.
„Ihr seid zwei Leute, einer unsicher, einer gefasst.“
Ohne weitere Worte zu verlieren, krempelte Dr. Krueger seine Kitteltasche nach Außen, woraufhin das darin enthaltene Salz zu Boden rieselte. Es würde eine Frage von Sekunden sein, ehe er erfahren würde, wie viele Leute an diesem Plan beteiligt waren. Hier im Eingangsbereich standen sieben Personen: Drei vom Impel Down, drei Angreifer und der Patient. Die entscheidende Frage lautete, ob noch eine vierte Person in dieses misslungene Unterfangen involviert war. Krueger nickte in Richtung Magellan und trat ein paar Schritte vom Salzhaufen zurück.
„Ihr habt zehn Sekunden, um euch zu zeigen. Ansonsten wird die schöne Luft hier ungenießbar.“ Der ehemalige Direktor klopfte sich auf die Brust, woraufhin ein lautes, ungesund wirkendes Gluckern ertönte.
„Fünf Sekunden“, murmelte Direktor Krueger, blickte auf Magellan und auf seine Uhr.
Wie erwartet wurde der Salzhaufen vor seinen Füßen angehoben und es wurden zwei Angreifer durch die Kraft des Salzes sichtbar gemacht. Salz, es war die Macht des Meeres, es bekämpfte die Kräfte des Teufels, die auf die drei Angreifer gewirkt wurden.
„Sie sind wahrhaftig ein kluger Kopf“, sagte der Mann, der von Krueger als gefasst charakterisiert wurde. Er klatschte anerkennend in seine Hände und strich sich danach das Salz aus den kurzen schwarzen Haaren. Hinunter rieselte es, vorbei an seinem freien Oberkörper und der weißen Trainingshose, hinauf auf seine nackten Füße, die er sachte schüttelte, um salzfrei vor den Toren des Impel Down stehen zu können. Ob es gelang? Er zog scharf die Luft ein und schnaubte, wollte gerade auf einem Bein stehen, um seine zweitliebste Kampfhaltung einzunehmen, als ein weiteres Mal Salz auf seine Haare herabrieselte. Es gelang nicht!
„Beruhige dich, mein Freund!“, mahnte der athletisch aussehende und gefasst wirkende Mann, der er seinen Blick auf die großgewachsene Gestalt neben sich richtete. Nervös bewegte die Gestalt ihren riesigen Körper, ihr wuschiges Fell tanzte und ließ immer mehr Salz auf den Kämpfer hinunter rieseln. Ihr gelang es bald, salzfrei vor dem Impel Down zu stehen.
„Rawr, mjam!“, murmelte die bärenartige Gestalt nun und holte einen Löffel aus den Tiefen ihres Fells hervor. Interessiert beobachteten Krueger und Magellan den Bären, wie er sich Salz aus seinem Fell auf den Löffel schüttelte und zu seiner Schnauze führte. Der Bär war noch größer als der bewusstlose, rotgekleidete Mann, maß er knappe drei Meter. Doch das war nicht das Besondere. Neben der talentierten Benutzung eines Löffels stachen eine offene schwarze Lederjacke und eine Sonnenbrille hervor, die dem Braunbären in seiner aufrechten Haltung vorzüglich standen.
Ist das nicht furchtbar warm?, grübelte Magellan und musterte den salzschleckenden Bären vor sich.
„Groar!“
„Du hast Recht, Beck, wir sollten erst einmal kooperieren!“
Der Gefasste hielt sich die Hände hinter den Kopf und verbeugte sich. Der Bär tat es ihm gleich, nahm zuvor aber der Höflichkeit halber seine Sonnenbrille ab, welche mitsamt dem Löffel in den Untiefen seines Fells verschwand.
„Raaa!“
„Keine Hintertürchen, okay okay! Wir werden vollends kooperieren!“, berichtigte der Mann in seinem halben Karateoutfit.
„Sie wissen auch weshalb?“, fragte Magellan, um sich produktiv einzubringen.
Der Bär raunte, blickte kurz nach oben, hinauf auf die Zinnen des Gefängnisses, nur um danach den Gefassten mit seiner kalten schwarzen Nase anzustoßen.
„Wir wissen es. Da oben ist jemand, der unseren voreilig handelnden Freund hier ausgeknockt hat.“ Zähneknirschend blickte der Schwarzhaarige auf den blutüberströmten Kopf ihres großen Freundes, dem rotgekleideten Percy. Ein kurzes Zittern war in der Stimme des Gefassten zu vernehmen, jedoch nicht, weil es um sie drei jetzt nicht gut bestellt war. Nein, Dr. Krueger würde sie nicht exekutieren lassen. Der Schwarzhaarige sah oben auf den Zinnen des Gefängnisses eine Gestalt sitzen, die lange Zeit als wahrer Mythos galt.
„Es ist aller Ehren wert, dass sie ihn wahrgenommen haben!“
Nun war es Dr. Krueger, der zu Magellans Irritation in die Hände klatschte und einen dankbaren Blick nach oben warf. Er hatte es dem Patienten gesagt: Zwei Leute würde er mitnehmen. Magellan, den ehemaligen Direktor des Impel Down und seinen eigenen Leibwächter. Einen Mann, den er einst therapierte und der ihm eben mal wieder das Leben rettete. Schmunzelnd blickte der Psychiater auf das Messer, das der Rotgekleidete gegen ihn einsetzen wollte. Er ging einige Schritte weiter und trat sachte gegen den Patienten, der ein letztes Mal hustete.
Der Bär blickte erstaunt auf das, was sich vor seinen großen Knopfaugen abspielte. Hätte er seine Sonnenbrille nicht bereits verstaut, wäre es einer dieser Momente gewesen, in der er sie leicht nach unten gezogen hätte, um mit einem fragenden Gesichtsausdruck über die Gläser hinweg zu sehen. Ein Ratschen war zu hören und der Patient warf eine schwarze Weste zu Boden. Es polterte kurz, als mit ihr das Messer auf den Steinboden fiel.
„Was macht Ihr Rücken?“, fragte Krueger beiläufig.
„Etwas taub“, erwidert der Patient und schüttelt seine eingeschlafenen Gliedmaßen. Ein warmes, unangenehmes Gefühl strahlt von seinem Rücken aus. Diese Schutzweste ist doch enger um seinen Körper geschnallt gewesen als ihm lieb war. Aber es stimmt, was man über den Psychiater sagt. Er plant und handelt untypisch, doch er lässt niemanden ins sprichwörtliche Messer laufen.
Krueger nahm das Messer, das eigentlich im Rücken des Patienten steckten sollte. Kaum zu fassen, wie gut dieser den abgefederten Treffer überdramatisierte. Doch es wirkte. Die Angreifer glaubten an ihr überfallartiges Erscheinen.
„Wer hat euch drei geschickt?“, fragte Dr. Krueger nun und blickte den Bären, den oberkörperfreien Kämpfer und den großen rotgekleideten Kerl an, der sich inzwischen zu ihnen auf den Boden gekniet und die Hände hinter den blutenden Kopf gelegt hatte.
„Lassen wir uns doch erst einmal reingehen, es wird gleich regnen!“, sagte der Bär und zog sich seine Sonnenbrille tief ins Gesicht. Der Leibwächter und der Patient staunten nicht schlecht, als diese mit jazzig rauchiger Stimme vorgetragene Aussage von einem plötzlichen Gewitter untermalt wurde.
„Faszinierend!“, stammelte Magellan, der jetzt noch weniger verstand. Manchmal beneidete er Hannyabal um dessen gemütliches Bett mit Haferbrei, Krankenschwestern und weit weniger Irrsinn als hier. Doch das würde er natürlich niemals zugeben. Drum tat er seinen Dienst und führte die drei Angreifer ins Impel Down.
[Mary Joa]
Ein Ort, der zum Träumen einlädt. Hoch oben über allem thronend. Der perfekt ist. Abgesehen von den Menschen, die keine sind, da sie sich für etwas Besseres halten. Die, die Sklaven halten und sie verkaufen, ihrer Willkür nachgehen und trotz all dieser Laster Herrschende sind. Selbst diese 'Menschen', die Weltaristokraten, hielten sich aus diesem Park fern. Niemand sollte hier sein. Nicht um diese Uhrzeit.
Der Wind wehte sachte durch die Baumkronen, die hinter ihm in der höchsten Höhe lagen. Mary Joa lag so nahe am Himmel wie irgend möglich. Umso beeindruckender waren die riesigen Laubbäume, die ihre Schatten in den Park warfen. Ein kleiner Pfad lag hinter ihm, doch es war niemand da. Niemand ging hier entlang, niemand spielte oder lag in der Sonne. Niemand schwamm im Teich und ganz und gar niemand saß auf der Bank, die einsam und verlassen inmitten dieser Kulisse stand.
Der alte Mann blickte auf seine Taschenuhr, danach auf den leeren Sitzplatz neben sich. Er brach noch etwas Brot ab und warf es in den kleinen Teich, blickte den Enten nach, die sich um ihr Futter zankten. Beinahe wäre ein wütender Kampf mit lautem Geschnatter ausgebrochen, doch selbst die Vögel hielten inne, als der Mann einen leisen Seufzer ausstieß.
„Es ist Zeit.“
Er warf den Rest des Brotes ins Wasser und stand auf. Pfeifend kehrte er in sein Büro zurück, beendete seine Pause.
[Impel Down]
Der Psychiater blickte auf die Uhr an der Wand. Die Zeit der unbeschwerten Einfachheit war vorbei. Ab jetzt würde er erst einmal keine Informationen mehr aus dem Heiligen Land anfordern können, ohne einen bürokratischen Hürdenlauf über sich ergehen zu lassen.
Er trommelte mit den Fingern auf der Holzplatte, die seinen Schreibtisch zierte. Er wollte, in aller Stille, ein kleines Liedchen anstimmen. Jetzt, wo er mal alleine war, unbeobachtet. Ein kurzer Pfiff ertönte. Er war furchtbar anzuhören für jeden Hund, und jeden, der ein Instrument spielte. Mehr spuckend als melodisch agierend saß Krueger in seinem Zimmer. Es war einer dieser Momente des Tages, in denen er diesen Beruf verabscheute. Er war niemand, der sich jeden Tag irgendwo hinsetzen und abschalten konnte.
Seine Gedanken waren auf einem Schiff, das immer in Bewegung war. Mal ging es schnell und wüst, geradezu zerstörerisch zu. Dann wieder war es sacht und ruhig, rhythmisch schaukelnd. Für seekranke Menschen eine Tortur, für andere das, was sie unter Freiheit verstanden. Das höchste Gefühl, das sie jemals in ihrem Leben kennenlernen würden. Es passierte immer etwas auf dem metaphorischen Schiff in jeglichem Gewässer. Stillstand, den gab es nicht. In seiner Pause versuchte sich der Psychiater von all dem hier zu entfernen. Sei es für zehn, für fünf, wenigstens eine Minute. Doch es fiel ihm schwer.
Wenn andere nach dem ‚per Du‘ Ryan fragen würden, was würde er antworten? Fernab von steuernder Kommunikation, auf einer Ebene. Krueger hielt seine Finger still, kratzte sich am Bart. Es juckte. Er hatte sich das seit Jahren so gut wie gar nicht gefragt – und noch seltener hatte er sich mit einer zufriedenstellenden Antwort beschäftigt. Seine Finger zitterten, folgten dem Rhythmus. Sei es drum. Takttreffend trommelte er an der Lehne seines Stuhls, hinter den er sich gestellt hatte. Pfeifen konnte er nicht. Doch er konnte vieles, von denen sich andere nicht einmal eine Vorstellung machen konnten. Er war hier, um Verbrecher auszulesen und einzusperren.
Dr. Ryan Jay Krueger war der Direktor des Impel Down – niemandes Freund. Von niemandem der Mann, von niemandem der Vater. Er hielt noch einmal inne. Ein, zwei Sekunden. Er atmete aus, blickte auf die Uhr, rückte den Stuhl näher an seinen Tisch und verließ das Büro.
Sein Kopf brummte. Leise stöhnend legte sich Percy einen Lappen auf die Stirn, den er aus einem Eimer mit Wasser fischte. Dass es sich dabei um einen Putzeimer mit hineingebürstetem Bodenbelag handelte, war ihm herzlich egal. Hauptsache es kühlte seinen warmen, donnernden Schädel. Der großgewachsene Mann blickte sich im Raum um. Ein wenig fühlte er sich hier drinnen beengt, obwohl er alleine war.
Eine Pritsche, ein Eimer, kein Fenster – und durch die Gitterstäbe waren auch kaum mehr als zusammengekauerte Gestalten zu erblicken, die zuhauf gegenüber in ihrer Sträflingsmontur eingekerkert wurden. Keine Gespräche, lediglich lautes Atmen. Weshalb er hier war, das wollte keiner wissen. Sie waren nur wenige Meter und zwei Gitterzeilen voneinander entfernt. Doch in diesem Stockwerk des Gefängnisses gab es kaum noch Aufregung. Die früheren Foltermaßnahmen und Mutanten wurden größtenteils verkauft, verzehrt oder ins Meer entlassen. Kaum noch einer erfreute sich am Leid des andern, es war eine der wenigen Freuden, die einem früheren Insassen tagtäglich zuteil wurde.
Percy seufzte.
Nicht einmal Magellan schien es zu interessieren, wer er war. Dabei sollten sie sich doch noch kennen. Beiläufig, irgendwie. Doch womöglich war selbst er, der große Percy, bei der Masse an Gefangenen auch nur eines von vielen Gesichtern gewesen. Der rotgekleidete Mann schüttelte den Kopf. Hätte er früher gewusst, dass er ihrem Ziel schon so nahe war, hätte er nicht die Gunst der Stunde genutzt. Er ließ sich leiten.
Von allen Dingen, die ihn umgeben hatten, ließ er sich verführen. Hinauf ins Sonnenlicht, hinaus zu den Stimmen der unschuldigen Menschen, raus aufs Meer, dessen Größe sie lediglich umgab. Sie wenige Meter weiter zermalmen würde. Doch dicke Steinmauern schützten sie vor allem. Nicht aber vor dem Unwissen, welches er nun beinahe bereute. Ihre heutige Aufgabe und sein damaliger Kenntnisstand waren völlig unterschiedliche Welten. Piraterie ist halt anders. Percy warf den Lappen in den Eimer, schüttelte den Dreck aus seinen roten Haaren. Von ihnen Dreien wirkte er groß und unbeholfen, ohne Bartwuchs geradezu kindlich. Er war intelligent und unvorsichtig. Doch er war gewiss nicht dumm. Was immer ihn erwartete: Er kannte es, diese ganze körperliche Tortur. Der Direktor würde sie sicherlich mental fordern. Dafür war er nicht bekannt, er kannte ihn schließlich nicht, jedoch legte es sein ganzer Werdegang nahe. Direktor Magellan, Direktor Krueger, sie waren unterschiedliche Typen.
Wie aussichtsreich war ihr Unterfangen? Unsichtbarkeit und Zielmarkierung, zwei Teufelskräfte, die geradezu für Infiltration geschaffen wurden. Die Gedanken bezüglich ihres Versagens spukten in seinem Kopf, obwohl er sich jetzt nur konzentrieren wollte. Der Stoff seiner weißen Hose rutschte hin und her, als er seine Beine runter und wieder hoch bewegte. Sein ganzes Körpergewicht lag inzwischen auf allen seinen Zehen. Schnaufend machte der ‚Karatekämpfer‘ seine Liegestütze. Mit zwei Händen, mit einer Hand, mit einem Finger und nun hatte er beide Hände auf seinen Rücken gelegt, während sein Gesicht nur noch wenige Zentimeter über dem Steinboden lag. Für ein Gefängnis war es hier erstaunlich sauber, das freute ihn.
„Weiter, immer weiter!“
Es brannte in seinen Füßen, seinen Armen, der Brust, ein angenehmes Brennen der körperlichen Ertüchtigung. Er hob einen Fuß an und machte weiter. Man sagte ihm nach, dass er ehrgeizig sei. Wie töricht. Er lachte jedes Mal darüber, sobald jemand Ehre und Geiz in einem Wort vereinte. Wann sparte, wann schonte er sich denn jemals? Das wurde ihm in die Wiege gelegt. Konzentration, Fokussierung, Ausdauer. Seine Lunge, sein ganzer Körper war nach allem Training immer noch menschlicher Natur. Magellan drohte sie zu vergiften, darum mussten sie kapitulieren. Das war keine Schwäche, es war Fokussierung: Auf das Wesentliche, den lebenserhaltenen Trieb.
Er wollte gerne weiterleben, weiter an seine Grenzen gehen. Den Wettbewerb suchen, ihn annehmen. Er wollte gewinnen, verlieren, er wollte alles, was dazu gehörte. Brände mit einem Schlag löschen, über Wasser laufen, durchs Eis schwimmen. Vieles war unmöglich, darum versuchte er es. Der ‚Karatekämpfer‘ hatte sich sein Gedankenkonstrukt über Jahre zurechtgelegt. Das machte ihn sicher, glücklich.
Unmöglich ist das, was als solches bezeichnet wird. Was an Grenzen gebunden ist. Doch alles im Laufe der Geschichte veränderte sich. Menschen kamen nicht als Menschen auf die Welt. Sie entwickelten sich, passten sich an, um zu überleben. Grenzen verschoben sich über Jahrtausende. Weshalb sollte er nicht dazu imstande sein, an dieser Grenzverschiebung mitzuwirken? Er konnte derjenige sein, der den Stein letzten Endes umwirft, nachdem sich jahrelang andere dagegen stemmten. Irgendwann würde alles nachgeben. Auch er. Doch solange es nicht an der Zeit war, wollte er derjenige sein, der Neues entdeckte.
„Was machen Sie da?“
Die Stimme des Wärters war laut. Er brüllte geradezu, um den lauten Gesang aus dem Inneren der Zelle zu übertönen.
Eins, zwei, drei, vier.
Seine Tatzen waren um einen dünnen Wischmob gelegt und er tat sich schwer, den dünnen Stiel nicht zu zerbrechen. Beck bewegte sich galant durch den Raum, drehte sich, fing seine Sonnenbrille mit schnellen Reflexen, ehe sie von seinem zotteligen Gesicht weg an einer der Wände zerspringen würde.
„Das ist meine Liebste, oh yeah!“
Er verstaute seine schwarzen, heilgebliebenen Gläser in seinem Fell und schmetterte weitere Lieder.
„Ich werde Beck genannt
und dreh hier ganz entspannt
‘n paar Runden durch den Gang
lauf bis zu diesem Hang
dreh mich um
dum – deli – dum
geh‘ zurück
– und fertig ist das schöne Stück“
‘n paar Runden durch den Gang
lauf bis zu diesem Hang
dreh mich um
dum – deli – dum
geh‘ zurück
– und fertig ist das schöne Stück“
Mit an den Hüften angelegten Tatzen tänzelte der Kodiakbär durch den Gang, entlang an den Zellen der Mithäftlinge, die inzwischen aus ihrer Lethargie gerissen wurden. Wie seine zwei Kompagnons war er vorrübergehend in eine Einzelzelle verfrachtet worden. Doch da er zum Tanz mehr Platz haben wollte, beschloss er nach draußen zu gehen. Hinaus und entlang an den aneinandergereihten Zellen, in denen sich Scharen an Verbrechern auf engsten Raume miteinander arrangieren mussten. Die Selbstverständlichkeit, mit der Beck die sonst so gelangweilten Häftlinge amüsierte, stand der Irritation der Wärter gegenüber, die sich dem Bären mit ihren Gewehren im Anschlag näherten.
„Zurück in deinen Käfig, du Bestie!“
Die Worte, so scharf sie ausgesprochen wurden, umso effektiver trafen sie das Gemüt des Tanzbären. Schwerer als jedes Stückchen Blei traf ihn diese Aussage. Ein Kloß steckte in seinem Hals, als Beck ein Seidentaschentuch aus seinem Fell zog und sich die schwarze, kalte Nase schnäuzte. Das entstandene Geräusch, so laut es durch den Gang hallte, ließ die Wärter vor Schreck aufspringen. Einer von ihnen, es war keine Absicht, betätigte dabei den Abzug seines Gewehres. Ein lauter Knall übertönte das Schnäuzen des Bären bei weitem, auch aus dem Grund, da es abrupt endete. Die Gefängnisinsassen rüttelten an ihren Stäben, sprachen laute Flüche aus, die Wärter traten ein paar Schritte zurück, vorbei an dem Unglücksraben, der zitternd im Gang stand. Unter lauten Schreien schüttelte er sich, roch den aufziehenden Schwefel in der Luft. Eine Berühmtheit stand vor ihm – getroffen. Sonst würden sie sich keine Gedanken machen, und kein Gefangener würde rebellieren.
Doch dies war anders.
Hinter ihm standen die Wärter, schauten, ob der Tumult der übrigen Insassen irgendwelche Konsequenzen hatte. Natürlich würden die Gitterstäbe nicht nachgeben, doch wenn selbst ein Einzelner hinaus spazieren konnte – was war dann mit denen, die es mit aller Macht in den Gang drängte?
„Nichts ist passiert.“
Hinter den Wärtern schob sich ein Mann entlang, der ihnen allen wohlbekannt war. Nicht sonderlich klein, doch gewiss kein Hüne. Unscheinbar ging er ruhigen Schrittes durch den Gang – auf den Bären zu – und während er die rüttelnde und schreiende Meute passierte, begannen diese ruhiger zu werden. Nur noch wenige Sekunden blieben, bis sich eine gespenstische Stille in die Etage legte. Der Direktor ging auf Becks geöffnete Zelle zu und deutete auf das Schloss.
„Hier wurde nicht abgeschlossen“, begründete der Psychiater den Freigang des Bären ungerührt und ging ein paar Schritte hinüber. Ehe sich seine Hand dem anderen Schloss näherte, zogen die Gefangenen sofort ihre Hände zurück, traten ein paar Schritte nach hinten. Dr. Krueger nickte, während ihn die Gefangenen hinter den Gitterstäben anstarrten.
Magellan und sein berühmt berüchtigter, durch Hannyabal bekannt gemachter Stuhlgang konnte die Autorität des ehemaligen Direktor tatsächlich schmälern. Selbst wenn er sich durch sein Gift einen gehörigen Eindruck verschaffte, war er für viele Gefangene zugleich eine Witzfigur.
Doch dies war anders.
Der jetzige Direktor machte keinen Hehl aus seiner physischen Schwäche. Er legte von vornherein alle seine Mängel offen und nahm damit all denen den Wind aus den Segeln, die über „den Neuen“ tuscheln wollten. Kaum jemand wusste, wie sich Gerüchte in einem Gefängnis verbreiten konnten, jedoch war klar, welche Macht hinter dieser Kommunikation stand. Geschichten und Erzählungen prägten das Bild eines Menschen, machten es für denjenigen realer, der weggesperrt von allem keine Möglichkeit hatte, um selbst einen Eindruck gewinnen zu können.
Der Direktor stand seelenruhig im Gang, die Gefangenen waren hinter ihren Stäben nur wenige Meter von ihm entfernt. Ein jeder von ihnen besaß die Macht, ihn zu töten. Ein Gedanke, der jeden antreiben müsste, der sich nach der Welt da draußen zurück sehnte. Trotzdem blieb der Direktor ruhig. Ihr Antrieb war es gewiss nicht, ihn umzubringen. Sie respektierten ihn, weil sie ihn nicht zu fürchten hatten. Er würde sie nicht vergiften, nicht foltern, nicht verhöhnen.
Dr. Krueger zog einen Schlüssel aus seiner Tasche und ging langsam auf die offene Zelle von Beck zu. „Wer nicht fliehen will, muss auch nicht eingesperrt werden.“
Vor den Augen der Gefangenen, der Wärter und seinen eigenen verschloss er die leere Zelle des Bären und legte diesem die Hand auf die Hüfte, zu hoch waren seine Schultern gelegen.
„Ich möchte noch ein Lied hören!“
Der traurige Schütze traute seinen Augen kaum, als sich der Bär ein weiteres Mal schüttelte und die Kugel aus seinem Fell flog. Unversehrt und auf einen dramatischen Moment bedacht, umarmte der großgewachsene Bär den Psychiater und begann mit diesem zu tanzen. Etwas unbeholfen ließ es der Direktor über sich ergehen und folgte den Bewegungen des Tänzers, der seine Tatzen auf seinen Schultern abgelegt hatte.
„Ich singe hiiier,
ich tanz´ mit diiir,
ich frage diiich,
sagst du es miiir,
weshalb – bin – ich – eigentlich – hiiier?“
ich tanz´ mit diiir,
ich frage diiich,
sagst du es miiir,
weshalb – bin – ich – eigentlich – hiiier?“
Pirouetten drehend bewegten sich Krueger und Beck galant über den Steinboden, angefeuert von den Gefangenen und angestarrt von den Wärtern, die sich eigentlich genauso gut in Luft hätten auflösen können. Dies würde dieser Skurrilität nichts mehr Exklusives hinzufügen können.
Krueger blickte den Bären an, wusste, was dieser in seinem Liedtext ansprach - der er operngerecht vorgetragen wurde. Er vollzog eine drehende Armbewegung, unter der der geschulte Tänzer Beck sich von ihm wegdrehte und sich nach hinten fallen ließ, nur um von Krueger unter aller Anstrengung wieder herangezogen wurde. Besondere Gestalten erforderten besondere Maßnahmen, drum musste wohl auch er singen, um dieses Gespräch in aller Öffentlichkeit unauffällig auffällig durchführen zu können.
„Wir sind hier gaaanz allein, allein zu zweit, es geht so weit, so weit entfernt, haben wir es denn schooon verlernt?“
Krueger beendete seine erste Strophe, erhielt ein Nicken des Bären, der sich keine Blöße gab und seinen Schritt beschleunigte.
Nun waren es die nicht in Luft aufgelösten Wärter, die zu Applaudieren begannen, während Krueger weiter tanzte und den Bären so ausfragte, wie er es noch nie getan hatte.
Doch dies war anders…
„Sie waren ein großer Star.“
Tänzelnd bewegten sich Krueger und Beck ans Ende des Ganges, weg von den Gefangenen, die mit ihren Fingern den Tanzablauf zu dirigieren versuchten. Fort von den Wärtern, die schmachteten, an Hochzeiten und vornehme Bälle dachten. Irgendwo anders in einem feinen Saal mit hohen Decken, Kronleuchtern und Klaviermusik. Parkett, so gründlich poliert, dass man sich drinnen hätte spiegeln können. Hach! Dann öffneten sie ihre Augen, sahen den Direktor mit schmuddeligem Kittel, wie er sich grazil mit einem Bären durch den Gang bewegte. Und sie wollten sich am liebsten einweisen lassen. Früher wurden Gefangene einfach eingesperrt. Das war einfach zu sehen, zu ertragen. Doch jetzt diese harmonische Schiene? Es war zu schön um wahr zu sein. Zu schön, weil es nicht wahr war.
„Damit muss ich leben.“
Das Flüstern von Becks Stimme jagte dem Direktor beinahe einen Schauer über den Rücken. Fast. Er hielt dieses leise Raunen nämlich für unwirklich. Doch tatsächlich war er der Einzige, der den dicht an sich geschmiegten Bären zu hören imstande war. Der fröhliche Gesang war verstummt, der ambitionierte Tanz hingegen wurde einen Schritt beschleunigt. Erst war ein lautes „Ohh“ aus den Zellen zu hören, während sich Krueger und Beck dem Abgrund dieser Etage näherten. Er verband die beiden Etagen miteinander, war ein schnellerer Weg als der Fahrstuhl, und lediglich eine chrompolierte Stange – eine Idee der reizenden Sadi-chan, welche Krueger damals ungerührt nickend annahm – an der man herunterrutschen konnte, war als Sicherheit inmitten des Abgrund angebracht worden. Das „Ohh“ wich einem „Uff“ der Bediensteten, als sich die Tänzer wieder vom Abgrund wegbewegten.
„Ich vertraue Ihnen.“
Der Psychiater blickte weit nach oben, um die Knopfaugen Becks unter den Sonnenbrillengläsern zu fixieren. Das Fell des Bären schüttelte sich kurz, kitzelte den Direktor. Dieser blieb ganz ruhig, obwohl er sich nur noch führen ließ. Vor ihm war eine Bühnenpräsenz par excellence. Wieder näherten sie sich dem Abgrund und wieder folgten ihnen die erstaunten Geräusche, die zwischen Neugier und Unbehagen hin und her sprangen.
Weshalb Beck, ein Symbol der Freiheit? Weshalb Percy, ein Ausbrecher der Blackbeard-Revolte? Weshalb…
„Genug getanzt!“, merkte Beck gähnend an. Das Flüstern hatte sich gelegt und erneut füllte sich der Gang mit einem langgezogenen Geräusch der Lethargie. Der Glanz in den Augen des Nicht-Gefangenen verblasste. Der Psychiater sah ihm an, dass es alles um ihn herum eine Momentaufnahme war. Ein Augenblick, der ihn an all das erinnerte, das die Tiefe seines Daseins zeichnete. Ein Punkt, von dem aus es nur aufwärts, bis in die höchsten Höhen hinausging. Hin zu einem Moment, an dem er als Berühmtheit den Himmel küsste. Die Fesseln löste und Freiheit erlangte. Dank einem Mann, der sich selbst als Mensch sah. Der mehr zu sein schien und doch einsah, dass sie alle unter einem Himmel lebten. Keinen bildlichen, sondern den, an dem die Wolken standen und das blau, das keines war, doch jedem Menschen sehendes Auges so vorkam. Und beruhigte. Ein Mann, der so bildhaft dachte, die Worte, die Metaphern, die Schönheit von allem sah, schenkte Beck die Freiheit. Dafür musste er bezahlen. Gerüchte. Geschichten. Geschwätz. Becks Fell sträubte sich und Dr. Krueger wusste, weshalb. Die Gedanken des großgewachsenen, plüschig wirkenden Tänzers, sie waren so klar zu sehen. In einem Moment der überspielten Demut öffnete er sich dem Psychiater, der er nur einen kurzen Zeitpunkt brauchte, um all das zu lesen und zu verstehen. Dinge, die so unklar und verworren waren – für den Direktor war es ein leichtes, es zu spüren. Den Moment, an dem er mit einem genauen Hinschauen alles wie auf einer riesigen Leinwand sah. Das Bild, seine Konturen, die Pinselführung des Künstlers – das, was er vor und nach dem gestalterischen Akt tat.
Krueger schmunzelte. Er dachte genauso wie der Mann, der Beck aus seinem fröhlichen Elend befreite. Genauso bildreich. Genauso optimistisch – in einer düsteren Umgebung. Er war im Gefängnis, wo es dunkel war. Der andere im Himmel, wo es hell war. Doch nur ein Ort zeichnete ein echtes Bild. Beck raunte. Knurrte. Dann, Krueger hatte alle „Ohhs“ um sie herum längst überhört, die sich in laute „Ahhs“ gewandelt hätten, während Beck und er Arm in Arm in den Abgrund stürzten. Der Psychiater spürte den Fall, wie er an seinem Körper zog und Adrenalin in ihm ausschüttete. Es war ein wunderbares Gefühl. Dann, in einem kurzen Moment der Realisierung, schrie er lauthals. Das war ein noch befreienderes Gefühl.
Bisher hatte man ihn an der Oberfläche befragt und auszuleuchten versucht. Doch jetzt hatte etwas die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Solange galt es ihn von den Angreifern zu isolieren. Sie durften sich nicht begegnen, nicht absprechen. Ob sie etwas miteinander zu tun hatten, wusste er nicht. Magellan schlug die Beine übereinander, rückte an die hölzerne Stuhllehne und beobachtete die Zelle vor sich. Der Gang war verwinkelt, die verhöhnenden Stimmen der Gefangenen konnte er kaum noch vernehmen. Ruhig war es. Im Großen und Ganzen.
„Wer hat dich markiert?“ Die Stimme des ehemaligen Direktors blieb bedrohlich sanft, während er den Patienten sah. Es wurden jetzt andere Saiten aufgezogen. Der Psychiater hatte ihm freie Hand gelassen, einfach, weil er ihm vertraute. Dieses Angebot wollte er bei diesem Kerl doch gerne annehmen. Allerdings rasselten die Ketten kaum, da er sich wenig bewegte. Magellan seufzte. Er vermisste das Rasseln, die Schreie. Er war kein Monster. Die lange Zeit in diesem Gefängnis machte ihn lediglich sentimental. Hach!
Kopfüber hing der Patient vor ihm, dessen freier Rücken war Magellan zugewandt. Die Wunde, die dem Patienten zugefügt wurde, war kaum zu sehen. Dafür hatte Krueger gesorgt. Doch etwas Unbekanntes verwunderte Magellan. Die Markierung auf dem Rücken des Patienten war ein rotes Kreuz. Keine Tätowierung. Keine Farbe. Kein Blut. Es war ein Leuchten, das in der schwach beschienenen Etage umso auffälliger wirkte. Magellan kratzte sich am Kinn, blätterte im Buch der Teufelsfrüchte.
Wie konnte das gehen?
Es rasselte stärker. Magellans Gesicht hellte sich auf, als die Ketten die Geräusche machten, nach denen er sich sehnte. Der Gefangene hat die Augen geschlossen. Eines zuckt, jenes vernarbte, das ihn verfolgt. Die Vergangenheit, die Markierung. Er ist apathisch gewesen, hat kaum noch etwas mitgekriegt, nachdem das Leben der Kaiserin endete. Doch eines war, ist, die Schnittmenge zwischen der Gegenwart und Vergangenheit. Der Punkt, an dem es ihm wehzutun beginnt. Da war jemand. War, Vergangenheit. Es verkrampfte sich alles in seinem Körper, die Ketten rasselten immer stärker, während Magellan im Buch der Teufelsfrüchte vertieft war.
„Diese Teufelsfrucht gibt es gar nicht?“, murmelte Magellan – und seine Stimme hob sich vor Erstaunen, als er den Patienten sah.
Tänzelnd bewegten sich Krueger und Beck ans Ende des Ganges, weg von den Gefangenen, die mit ihren Fingern den Tanzablauf zu dirigieren versuchten. Fort von den Wärtern, die schmachteten, an Hochzeiten und vornehme Bälle dachten. Irgendwo anders in einem feinen Saal mit hohen Decken, Kronleuchtern und Klaviermusik. Parkett, so gründlich poliert, dass man sich drinnen hätte spiegeln können. Hach! Dann öffneten sie ihre Augen, sahen den Direktor mit schmuddeligem Kittel, wie er sich grazil mit einem Bären durch den Gang bewegte. Und sie wollten sich am liebsten einweisen lassen. Früher wurden Gefangene einfach eingesperrt. Das war einfach zu sehen, zu ertragen. Doch jetzt diese harmonische Schiene? Es war zu schön um wahr zu sein. Zu schön, weil es nicht wahr war.
„Damit muss ich leben.“
Das Flüstern von Becks Stimme jagte dem Direktor beinahe einen Schauer über den Rücken. Fast. Er hielt dieses leise Raunen nämlich für unwirklich. Doch tatsächlich war er der Einzige, der den dicht an sich geschmiegten Bären zu hören imstande war. Der fröhliche Gesang war verstummt, der ambitionierte Tanz hingegen wurde einen Schritt beschleunigt. Erst war ein lautes „Ohh“ aus den Zellen zu hören, während sich Krueger und Beck dem Abgrund dieser Etage näherten. Er verband die beiden Etagen miteinander, war ein schnellerer Weg als der Fahrstuhl, und lediglich eine chrompolierte Stange – eine Idee der reizenden Sadi-chan, welche Krueger damals ungerührt nickend annahm – an der man herunterrutschen konnte, war als Sicherheit inmitten des Abgrund angebracht worden. Das „Ohh“ wich einem „Uff“ der Bediensteten, als sich die Tänzer wieder vom Abgrund wegbewegten.
„Ich vertraue Ihnen.“
Der Psychiater blickte weit nach oben, um die Knopfaugen Becks unter den Sonnenbrillengläsern zu fixieren. Das Fell des Bären schüttelte sich kurz, kitzelte den Direktor. Dieser blieb ganz ruhig, obwohl er sich nur noch führen ließ. Vor ihm war eine Bühnenpräsenz par excellence. Wieder näherten sie sich dem Abgrund und wieder folgten ihnen die erstaunten Geräusche, die zwischen Neugier und Unbehagen hin und her sprangen.
Weshalb Beck, ein Symbol der Freiheit? Weshalb Percy, ein Ausbrecher der Blackbeard-Revolte? Weshalb…
„Genug getanzt!“, merkte Beck gähnend an. Das Flüstern hatte sich gelegt und erneut füllte sich der Gang mit einem langgezogenen Geräusch der Lethargie. Der Glanz in den Augen des Nicht-Gefangenen verblasste. Der Psychiater sah ihm an, dass es alles um ihn herum eine Momentaufnahme war. Ein Augenblick, der ihn an all das erinnerte, das die Tiefe seines Daseins zeichnete. Ein Punkt, von dem aus es nur aufwärts, bis in die höchsten Höhen hinausging. Hin zu einem Moment, an dem er als Berühmtheit den Himmel küsste. Die Fesseln löste und Freiheit erlangte. Dank einem Mann, der sich selbst als Mensch sah. Der mehr zu sein schien und doch einsah, dass sie alle unter einem Himmel lebten. Keinen bildlichen, sondern den, an dem die Wolken standen und das blau, das keines war, doch jedem Menschen sehendes Auges so vorkam. Und beruhigte. Ein Mann, der so bildhaft dachte, die Worte, die Metaphern, die Schönheit von allem sah, schenkte Beck die Freiheit. Dafür musste er bezahlen. Gerüchte. Geschichten. Geschwätz. Becks Fell sträubte sich und Dr. Krueger wusste, weshalb. Die Gedanken des großgewachsenen, plüschig wirkenden Tänzers, sie waren so klar zu sehen. In einem Moment der überspielten Demut öffnete er sich dem Psychiater, der er nur einen kurzen Zeitpunkt brauchte, um all das zu lesen und zu verstehen. Dinge, die so unklar und verworren waren – für den Direktor war es ein leichtes, es zu spüren. Den Moment, an dem er mit einem genauen Hinschauen alles wie auf einer riesigen Leinwand sah. Das Bild, seine Konturen, die Pinselführung des Künstlers – das, was er vor und nach dem gestalterischen Akt tat.
Krueger schmunzelte. Er dachte genauso wie der Mann, der Beck aus seinem fröhlichen Elend befreite. Genauso bildreich. Genauso optimistisch – in einer düsteren Umgebung. Er war im Gefängnis, wo es dunkel war. Der andere im Himmel, wo es hell war. Doch nur ein Ort zeichnete ein echtes Bild. Beck raunte. Knurrte. Dann, Krueger hatte alle „Ohhs“ um sie herum längst überhört, die sich in laute „Ahhs“ gewandelt hätten, während Beck und er Arm in Arm in den Abgrund stürzten. Der Psychiater spürte den Fall, wie er an seinem Körper zog und Adrenalin in ihm ausschüttete. Es war ein wunderbares Gefühl. Dann, in einem kurzen Moment der Realisierung, schrie er lauthals. Das war ein noch befreienderes Gefühl.
[in einer anderen Etage]
Bisher hatte man ihn an der Oberfläche befragt und auszuleuchten versucht. Doch jetzt hatte etwas die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Solange galt es ihn von den Angreifern zu isolieren. Sie durften sich nicht begegnen, nicht absprechen. Ob sie etwas miteinander zu tun hatten, wusste er nicht. Magellan schlug die Beine übereinander, rückte an die hölzerne Stuhllehne und beobachtete die Zelle vor sich. Der Gang war verwinkelt, die verhöhnenden Stimmen der Gefangenen konnte er kaum noch vernehmen. Ruhig war es. Im Großen und Ganzen.
„Wer hat dich markiert?“ Die Stimme des ehemaligen Direktors blieb bedrohlich sanft, während er den Patienten sah. Es wurden jetzt andere Saiten aufgezogen. Der Psychiater hatte ihm freie Hand gelassen, einfach, weil er ihm vertraute. Dieses Angebot wollte er bei diesem Kerl doch gerne annehmen. Allerdings rasselten die Ketten kaum, da er sich wenig bewegte. Magellan seufzte. Er vermisste das Rasseln, die Schreie. Er war kein Monster. Die lange Zeit in diesem Gefängnis machte ihn lediglich sentimental. Hach!
Kopfüber hing der Patient vor ihm, dessen freier Rücken war Magellan zugewandt. Die Wunde, die dem Patienten zugefügt wurde, war kaum zu sehen. Dafür hatte Krueger gesorgt. Doch etwas Unbekanntes verwunderte Magellan. Die Markierung auf dem Rücken des Patienten war ein rotes Kreuz. Keine Tätowierung. Keine Farbe. Kein Blut. Es war ein Leuchten, das in der schwach beschienenen Etage umso auffälliger wirkte. Magellan kratzte sich am Kinn, blätterte im Buch der Teufelsfrüchte.
Wie konnte das gehen?
Es rasselte stärker. Magellans Gesicht hellte sich auf, als die Ketten die Geräusche machten, nach denen er sich sehnte. Der Gefangene hat die Augen geschlossen. Eines zuckt, jenes vernarbte, das ihn verfolgt. Die Vergangenheit, die Markierung. Er ist apathisch gewesen, hat kaum noch etwas mitgekriegt, nachdem das Leben der Kaiserin endete. Doch eines war, ist, die Schnittmenge zwischen der Gegenwart und Vergangenheit. Der Punkt, an dem es ihm wehzutun beginnt. Da war jemand. War, Vergangenheit. Es verkrampfte sich alles in seinem Körper, die Ketten rasselten immer stärker, während Magellan im Buch der Teufelsfrüchte vertieft war.
„Diese Teufelsfrucht gibt es gar nicht?“, murmelte Magellan – und seine Stimme hob sich vor Erstaunen, als er den Patienten sah.
Unfassbar. Das ist alles in seinem Kopf. So vieles, wichtiges. Elementares. Doch nur das wenigste davon kann für ihn von Bedeutung sein...
„Es wäre ein Jammer.“
Die Kälte zehrte an seinen Beinen, machte jeden weiteren Schritt zu einem schmerzvollen Kraftakt. Seine Hüfte, sein Hals, alles schien wie festgefroren. Eine abrupte Bewegung und es würde wie gefallenes Glas zerbrechen. Darum war es ihm nicht möglich, nach hinten zu schauen. – Dem Ursprung der Kälte entgegenzusehen, welche ihn nach vorne peitschte. Entweder blieb er stehen, ergab sich dem Stillstand, und würde sehenden Auges durch eine dünne Eisschicht ins Licht starren, jenes, das er nicht mehr erreichen, stattdessen seinem langsamer werdenden Herzschlag lauschen musste. Nichts blieb ihm dann mehr übrig, abgesehen vom Warten auf den Tod. Langsam, schleichend, der fatalen Ironie bewusst, dass sehr viel Zeit vergehen würde, bis es endlich endete. Aus diesem Grund durfte er nicht nach hinten schauen. Es würde ihn brechen – und früher oder später umbringen.
Die Ketten, die den Patienten in der Luft hielten, rasselten immer stärker, während er gegen dieses lähmende Bild in seinem Kopf ankämpfte. Sein linkes, vernarbtes Auge blickte in die Vergangenheit, etwas, das er nicht wahrhaben wollte.
Er schätzt die Gegenwart, die ihn von der Kälte fernhält. Ihn schützt. Dieses Gefängnis, so tief und alt es die Geschichten unzähliger Menschen sammelte, es fasziniert ihn. Es lenkte ihn von den Gedanken ab, mit denen er sich auseinandersetzte. Dazu war er nicht mehr imstande. Seit jenem Moment.
Seit jenem Moment, in dem der zu erwartende Herzschlag aussetzte, das Ende der mächtigen Piratin bezeugend, war er nicht mehr in der Lage in seine Vergangenheit zu blicken. Ein Gefühl der Überwältigung überkam ihn und mit einem Lächeln erstarrte er, verfiel in Apathie. Sein Körper wollte nicht mehr gehorchen, als er ganz allein war, nur noch begleitet vom Wind, der eine Mischung aus süßem Teig und bestialischem Gestank an seine Nase herantrug. Damals auf der Heimatinsel von Big Mum, sie starb und er war anwesend. Dann war er allein und dann, ja dann war er schlussendlich hier – im Impel Down.
Was genau dazwischen geschah, stellte den Direktor und Magellan vor Fragen, die er ihnen nicht beantworten konnte. Zu unklar war das, was er durch einen Schleier zu sehen glaubte. Was er zu hören glaubte. Was er wahrzunehmen gedachte in einem Zustand zwischen Leben und Tod, etwas, das er kaum zu beschreiben imstande war. Es war ein Jammer, das der schönste Augenblick, so fühlte er ihn, zugleich der Moment ist, den er sich am wenigsten erklären konnte.
Da war sie wieder: Die Vergangenheit, die ihn jagte. Er würde sich ihr zu gern stellen, gleichzeitig jedoch wollte er sie meiden, im jetzt leben. Jetzt möchte er sein. Doch es fällt, es fiel ihm schwer. Kein Wunder, dass man ihn hier als Patienten titulierte. Er fühlte sich irritiert, wusste nicht mehr, was er denken sollte. Als hätte man ihm ein Hindernis in den Weg gestellt. Eines, das ihn daran hinderte weiterzugehen, zugleich auch vergessen ließ, dass er weitergehen wollte. Zu sehr beschäftigte er sich mit dem Hindernis. Seiner Größe und Beschaffenheit, den Geruch, den er nicht so recht zuordnen konnte.
„Sind Sie das?“
Magellan, der eben das Buch zuschlug, stand abrupt auf und mit lautem Knall fiel der Stuhl hinter ihm auf dem Boden. Betroffen drehte sich der ehemalige Direktor um und eine Träne rollte über seine Wange.
Klappstühlchen..., wimmerte er leise und ließ die einzelne salzige Träne mit einer Schar Säuretränen zersetzen, um dem Patienten wieder mit einer gefährlich kränklichen, anstatt einer vertränt-roten Gesichtsfarbe zu begegnen.
„Wen um alles in der Welt meinst du?“, polterte Magellan bedrohlich, vor allem, um die Patienten in diesem verwinkelten Trakt in Angst und Schrecken zu versetzen. Der Giftmann verstand bisher nicht sehr viel von dem, das sich hier abspielte. Doch eines verriet ihm sein geschärfter Instinkt: Es war Gefahr im Verzug. Der Patient sprach nicht ihn an, sondern zu sich selbst, viel eher zu einer anderen Existenz, die sich ihnen beiden zu entziehen scheint.
Unter dem lauter werdenden Tuscheln der entfernten Gefangenen blickte sich Magellan um. Entlang an seinem Klappstuhl, der auf dem Steinboden ruhte, der Wand am Ende des Traktes, welche von einem Gemälde geziert wurde. Nicht einsehbar für die Gefangenen, zugleich eine Muße für jeden nostalgischen Wärter: Das Bild hatte zwei Abschnitte, einen hellen, oben liegenden mit Sonne beschienenen Teil der Erde, auf dem Menschen im Gras lagen und gen Himmel blickten. Der zweite Abschnitt war dunkel und unter der gesegneten Erde standen die Gefangenen auf Knien, den Blick nach unten gerichtet, während eine riesige Hand über ihnen lag, einen Blick nach oben hin verwehrte.
Hach!
Verbrecher waren dazu angehalten, in der Dunkelheit zu büßen, während die freien Menschen sich am blauen Himmel erfreuen durften. Einst hielt er, Magellan, sich für diese Hand, die die beiden Welten voneinander trennte, mit wehmütigem Blick in seine dunkle Welt, sich dessen bewusst, dass er auf den Himmel verzichtete, um die gescholtenen Seelen in der Dunkelheit vor der Außenwelt zu verbergen.
„Es wäre ein Jammer.“
Magellan, für wenige Sekunden in das Gemälde vertieft, wandte sich um. Tropfen perlten von seiner Stirn und landeten zischend auf dem Boden. Zwischen ihm und der Zelle des Patienten stand eine Person, die an ihm vorbei auf das Gemälde blickte.
Der Patient zog eine Augenbraue nach unten, was so aussah, da er noch immer kopfüber in seiner Zelle hing. In Wahrheit wirkte er irritiert, als er die Gestalt vor sich stehen sah. Noch wurde er nicht von ihr beachtet, zu vertieft schien auch sie ihre Aufmerksamkeit beim Gemäldebeschau abgegeben zu haben. Jetzt ärgerte er sich, da er nur einen unbesetzten, liegenden Holzstuhl vor sich falsch herum erblickte.
Etwas anderes allerdings fiel ihm auf: Ihm war warm. Mochte es das viele Blut in seinem Kopf sein, doch er fühlte sich tatsächlich wohl. Vor seinem inneren Auge war zwar noch immer ein Hindernis, doch die Kälte, die er stets als seinen Verfolger wähnte, war wie vom Erdboden verschluckt.
„Ich bin kein Bote“, murmelte die Gestalt nun und hob ihre klauenartige Hand, die sich aus ihrem langen seidenen Ärmel schälte. Die Kapuze, die die Gestalt trug, verbarg lediglich das fehlende menschliche Aussehen, doch es verbarg nicht die Bekanntheit, die der Fremde in der Welt besaß. Magellan zog scharf die Luft ein, als die Gestalt auf ihn zu- und schließlich unbescholten an ihm entlang zur Wand hinschwebte.
„Mir wurde gesagt, dass hier ein wertvoller Fund lauert“, fügte sie unbekümmert hinzu und nahm das Gemälde von der Wand. Magellans Gifttropfen vermischten sich mit den Schweißtropfen auf seiner Stirn, zu angespannt war er. Doch letztlich regungslos nahm er es hin, dass der Fremde ein jahrhundertealtes Bild von der Wand nahm und in den Tiefen seines purpurfarbenen Umgangs verstaute. Obwohl das Bild gute zwei Meter maß, verschwand es spurlos in den inliegenden Taschen der Gestalt, die nicht als Bote bekannt war, dennoch heute als ein solcher in Erscheinung trat.
„Sehr geehrter Herr Magellan, im Namen meiner Auftraggeberin möchte Ihnen und dem hier hängenden Mann folgendes ausrichten: Betreten Sie unter keinen Umständen das Siebte Level. Widerstehen Sie dem Drang!“
Schließlich betrat die Gestalt die Zelle des Patienten, indem sie mühelos durch die Gitter schwebte, blieb kurz vor dem rot angelaufenen Gesicht des Patienten stehen.
„Du fragst dich sicher, weshalb du nicht zurückschauen kannst.“
Die Präsenz der Gestalt verschlug dem Patienten den Atem, drum nickte er lediglich, während er hilflos mit ansah, wie jemand vor ihm stand, der alles verkörperte, was an Leid, an Freude, an Grausamkeit und Edelmut in einem Körper vereint sein konnte. Sein vernarbtes linkes Auge blickte die Gestalt an und er erinnerte sich an den Zeitpunkt, an dem die Kaiserin starb.
„Sie haben mich nicht markiert?“
„Ich bin nicht als jemand bekannt, der so etwas macht“, antwortete die Gestalt aufrichtig. Wie gern würde er den Patienten berühren, doch er konnte es nicht. Das war eine der Lasten, die er seit je her mit sich trug. Eine Berührung und manche seiner Erinnerungen und Gefühle, die in seinem grün beschuppten Kopf gehütet wurden, würden auf sein Gegenüber überspringen – wie eine übertragbare Krankheit. Es war seine Geschichte, seine Taten, seine Lasten, die ihn zu dem manchen, was er heute war. Respektiert und insgeheim gefürchtet, obwohl er es niemals wollte. Der Patient, der vor ihm hing, erinnerte ihn an jemanden. Einen Freund. Doch die Erinnerungen des hängenden Mannes wurden beeinflusst. Seine Vergangenheit verschlüsselt und seine Existenz dazu veräußert, einen anderen Weg einzuschlagen. Das war die Last, die der junge Patient auf seinen Schultern trug. Er war jemand anderes geworden, obwohl er es nicht wollte. Nur die Gefühle, die ihn darin bestärkten, jemand Neues zu sein, dominierten das Bild in seinem Kopf. Eine Kälte war geboren, die den Patienten nach vorne trieb. Hinfort von seinem alten Leben, seiner Herkunft und seinem wahren Namen, den er vermutlich gar nicht mehr kannte.
Die alligatorenähnliche Gestalt seufzte – so kurz -, dass der Patient und Magellan zu keinem Zeitpunkt ein Bedauern feststellen konnten. Doch tatsächlich bedauerte die Gestalt. Der Patient musste etwas an sich haben, wenn er Gefühle auszulösen vermochte. Doch das war nicht seine Aufgabe, drum schwebte er rückwärts durch die Gitterstäbe und deutete auf die nun gemäldelose Wand.
„Widerstehen Sie dem Drang, betreten Sie nicht das Siebte Level.“
Dort, wo einst das Gemälde hing, zuvor seit Jahren unberührt, hing ein eisernes Steuerrad, das in der Wand eingelassen wurde.
„Durch Zufall werden Sie sich jedenfalls nicht in diese Gefahr begeben.“
Erstmals, seitdem die Gestalt hier war, hatte ihre sanfte, weiche Stimme einen scharf geschliffenen, bedrohlichen Klang angenommen.
„Besuchen Sie mich doch beizeiten in meinem Geschäft, ich helfe gerne“, fügte der, der nicht als Bote und nicht als Markierer bekannt war, mit freundlicher Stimme hinzu. Anschließend richtete er den Holzstuhl Magellans auf, verbeugte sich und verschwand spurlos.
„Ich finde ihn sehr freundlich“, murmelte Magellan und setzte sich wieder hin.
Der Patient hingegen blickte nach links und nur eine Steinwand trennte ihn vom freigelegten Eingang ins Siebte Level. Sein linkes Auge zuckte, drum versuchte er sich abzulenken.
„Weshalb hat der ehemalige Gefängnisdirektor Magellan einen Diebstahl zugelassen?“ Die Süffisanz in der Frage verbarg die Wut in der Stimme des Patienten. Um so erstaunter war er, als der nasepopelnde, kippelnde Magellan ihm schließlich antwortete.
„Was Fes sich nimmt, nimmt er sich.“
Damit war diese Frage geklärt. Wenigstens eine, dachte der Patient kopfschüttelnd, woraufhin die Ketten erneut zu rasseln begannen.
„Wie schön!“, flüsterte Magellan und horchte dem Gerassel, während er sich in seinen Lieblingsklappstuhl schmiegte. Hach!
„Es wäre ein Jammer.“
Die Kälte zehrte an seinen Beinen, machte jeden weiteren Schritt zu einem schmerzvollen Kraftakt. Seine Hüfte, sein Hals, alles schien wie festgefroren. Eine abrupte Bewegung und es würde wie gefallenes Glas zerbrechen. Darum war es ihm nicht möglich, nach hinten zu schauen. – Dem Ursprung der Kälte entgegenzusehen, welche ihn nach vorne peitschte. Entweder blieb er stehen, ergab sich dem Stillstand, und würde sehenden Auges durch eine dünne Eisschicht ins Licht starren, jenes, das er nicht mehr erreichen, stattdessen seinem langsamer werdenden Herzschlag lauschen musste. Nichts blieb ihm dann mehr übrig, abgesehen vom Warten auf den Tod. Langsam, schleichend, der fatalen Ironie bewusst, dass sehr viel Zeit vergehen würde, bis es endlich endete. Aus diesem Grund durfte er nicht nach hinten schauen. Es würde ihn brechen – und früher oder später umbringen.
Die Ketten, die den Patienten in der Luft hielten, rasselten immer stärker, während er gegen dieses lähmende Bild in seinem Kopf ankämpfte. Sein linkes, vernarbtes Auge blickte in die Vergangenheit, etwas, das er nicht wahrhaben wollte.
Er schätzt die Gegenwart, die ihn von der Kälte fernhält. Ihn schützt. Dieses Gefängnis, so tief und alt es die Geschichten unzähliger Menschen sammelte, es fasziniert ihn. Es lenkte ihn von den Gedanken ab, mit denen er sich auseinandersetzte. Dazu war er nicht mehr imstande. Seit jenem Moment.
Seit jenem Moment, in dem der zu erwartende Herzschlag aussetzte, das Ende der mächtigen Piratin bezeugend, war er nicht mehr in der Lage in seine Vergangenheit zu blicken. Ein Gefühl der Überwältigung überkam ihn und mit einem Lächeln erstarrte er, verfiel in Apathie. Sein Körper wollte nicht mehr gehorchen, als er ganz allein war, nur noch begleitet vom Wind, der eine Mischung aus süßem Teig und bestialischem Gestank an seine Nase herantrug. Damals auf der Heimatinsel von Big Mum, sie starb und er war anwesend. Dann war er allein und dann, ja dann war er schlussendlich hier – im Impel Down.
Was genau dazwischen geschah, stellte den Direktor und Magellan vor Fragen, die er ihnen nicht beantworten konnte. Zu unklar war das, was er durch einen Schleier zu sehen glaubte. Was er zu hören glaubte. Was er wahrzunehmen gedachte in einem Zustand zwischen Leben und Tod, etwas, das er kaum zu beschreiben imstande war. Es war ein Jammer, das der schönste Augenblick, so fühlte er ihn, zugleich der Moment ist, den er sich am wenigsten erklären konnte.
Da war sie wieder: Die Vergangenheit, die ihn jagte. Er würde sich ihr zu gern stellen, gleichzeitig jedoch wollte er sie meiden, im jetzt leben. Jetzt möchte er sein. Doch es fällt, es fiel ihm schwer. Kein Wunder, dass man ihn hier als Patienten titulierte. Er fühlte sich irritiert, wusste nicht mehr, was er denken sollte. Als hätte man ihm ein Hindernis in den Weg gestellt. Eines, das ihn daran hinderte weiterzugehen, zugleich auch vergessen ließ, dass er weitergehen wollte. Zu sehr beschäftigte er sich mit dem Hindernis. Seiner Größe und Beschaffenheit, den Geruch, den er nicht so recht zuordnen konnte.
„Sind Sie das?“
Magellan, der eben das Buch zuschlug, stand abrupt auf und mit lautem Knall fiel der Stuhl hinter ihm auf dem Boden. Betroffen drehte sich der ehemalige Direktor um und eine Träne rollte über seine Wange.
Klappstühlchen..., wimmerte er leise und ließ die einzelne salzige Träne mit einer Schar Säuretränen zersetzen, um dem Patienten wieder mit einer gefährlich kränklichen, anstatt einer vertränt-roten Gesichtsfarbe zu begegnen.
„Wen um alles in der Welt meinst du?“, polterte Magellan bedrohlich, vor allem, um die Patienten in diesem verwinkelten Trakt in Angst und Schrecken zu versetzen. Der Giftmann verstand bisher nicht sehr viel von dem, das sich hier abspielte. Doch eines verriet ihm sein geschärfter Instinkt: Es war Gefahr im Verzug. Der Patient sprach nicht ihn an, sondern zu sich selbst, viel eher zu einer anderen Existenz, die sich ihnen beiden zu entziehen scheint.
Unter dem lauter werdenden Tuscheln der entfernten Gefangenen blickte sich Magellan um. Entlang an seinem Klappstuhl, der auf dem Steinboden ruhte, der Wand am Ende des Traktes, welche von einem Gemälde geziert wurde. Nicht einsehbar für die Gefangenen, zugleich eine Muße für jeden nostalgischen Wärter: Das Bild hatte zwei Abschnitte, einen hellen, oben liegenden mit Sonne beschienenen Teil der Erde, auf dem Menschen im Gras lagen und gen Himmel blickten. Der zweite Abschnitt war dunkel und unter der gesegneten Erde standen die Gefangenen auf Knien, den Blick nach unten gerichtet, während eine riesige Hand über ihnen lag, einen Blick nach oben hin verwehrte.
Hach!
Verbrecher waren dazu angehalten, in der Dunkelheit zu büßen, während die freien Menschen sich am blauen Himmel erfreuen durften. Einst hielt er, Magellan, sich für diese Hand, die die beiden Welten voneinander trennte, mit wehmütigem Blick in seine dunkle Welt, sich dessen bewusst, dass er auf den Himmel verzichtete, um die gescholtenen Seelen in der Dunkelheit vor der Außenwelt zu verbergen.
„Es wäre ein Jammer.“
Magellan, für wenige Sekunden in das Gemälde vertieft, wandte sich um. Tropfen perlten von seiner Stirn und landeten zischend auf dem Boden. Zwischen ihm und der Zelle des Patienten stand eine Person, die an ihm vorbei auf das Gemälde blickte.
Der Patient zog eine Augenbraue nach unten, was so aussah, da er noch immer kopfüber in seiner Zelle hing. In Wahrheit wirkte er irritiert, als er die Gestalt vor sich stehen sah. Noch wurde er nicht von ihr beachtet, zu vertieft schien auch sie ihre Aufmerksamkeit beim Gemäldebeschau abgegeben zu haben. Jetzt ärgerte er sich, da er nur einen unbesetzten, liegenden Holzstuhl vor sich falsch herum erblickte.
Etwas anderes allerdings fiel ihm auf: Ihm war warm. Mochte es das viele Blut in seinem Kopf sein, doch er fühlte sich tatsächlich wohl. Vor seinem inneren Auge war zwar noch immer ein Hindernis, doch die Kälte, die er stets als seinen Verfolger wähnte, war wie vom Erdboden verschluckt.
„Ich bin kein Bote“, murmelte die Gestalt nun und hob ihre klauenartige Hand, die sich aus ihrem langen seidenen Ärmel schälte. Die Kapuze, die die Gestalt trug, verbarg lediglich das fehlende menschliche Aussehen, doch es verbarg nicht die Bekanntheit, die der Fremde in der Welt besaß. Magellan zog scharf die Luft ein, als die Gestalt auf ihn zu- und schließlich unbescholten an ihm entlang zur Wand hinschwebte.
„Mir wurde gesagt, dass hier ein wertvoller Fund lauert“, fügte sie unbekümmert hinzu und nahm das Gemälde von der Wand. Magellans Gifttropfen vermischten sich mit den Schweißtropfen auf seiner Stirn, zu angespannt war er. Doch letztlich regungslos nahm er es hin, dass der Fremde ein jahrhundertealtes Bild von der Wand nahm und in den Tiefen seines purpurfarbenen Umgangs verstaute. Obwohl das Bild gute zwei Meter maß, verschwand es spurlos in den inliegenden Taschen der Gestalt, die nicht als Bote bekannt war, dennoch heute als ein solcher in Erscheinung trat.
„Sehr geehrter Herr Magellan, im Namen meiner Auftraggeberin möchte Ihnen und dem hier hängenden Mann folgendes ausrichten: Betreten Sie unter keinen Umständen das Siebte Level. Widerstehen Sie dem Drang!“
Schließlich betrat die Gestalt die Zelle des Patienten, indem sie mühelos durch die Gitter schwebte, blieb kurz vor dem rot angelaufenen Gesicht des Patienten stehen.
„Du fragst dich sicher, weshalb du nicht zurückschauen kannst.“
Die Präsenz der Gestalt verschlug dem Patienten den Atem, drum nickte er lediglich, während er hilflos mit ansah, wie jemand vor ihm stand, der alles verkörperte, was an Leid, an Freude, an Grausamkeit und Edelmut in einem Körper vereint sein konnte. Sein vernarbtes linkes Auge blickte die Gestalt an und er erinnerte sich an den Zeitpunkt, an dem die Kaiserin starb.
„Sie haben mich nicht markiert?“
„Ich bin nicht als jemand bekannt, der so etwas macht“, antwortete die Gestalt aufrichtig. Wie gern würde er den Patienten berühren, doch er konnte es nicht. Das war eine der Lasten, die er seit je her mit sich trug. Eine Berührung und manche seiner Erinnerungen und Gefühle, die in seinem grün beschuppten Kopf gehütet wurden, würden auf sein Gegenüber überspringen – wie eine übertragbare Krankheit. Es war seine Geschichte, seine Taten, seine Lasten, die ihn zu dem manchen, was er heute war. Respektiert und insgeheim gefürchtet, obwohl er es niemals wollte. Der Patient, der vor ihm hing, erinnerte ihn an jemanden. Einen Freund. Doch die Erinnerungen des hängenden Mannes wurden beeinflusst. Seine Vergangenheit verschlüsselt und seine Existenz dazu veräußert, einen anderen Weg einzuschlagen. Das war die Last, die der junge Patient auf seinen Schultern trug. Er war jemand anderes geworden, obwohl er es nicht wollte. Nur die Gefühle, die ihn darin bestärkten, jemand Neues zu sein, dominierten das Bild in seinem Kopf. Eine Kälte war geboren, die den Patienten nach vorne trieb. Hinfort von seinem alten Leben, seiner Herkunft und seinem wahren Namen, den er vermutlich gar nicht mehr kannte.
Die alligatorenähnliche Gestalt seufzte – so kurz -, dass der Patient und Magellan zu keinem Zeitpunkt ein Bedauern feststellen konnten. Doch tatsächlich bedauerte die Gestalt. Der Patient musste etwas an sich haben, wenn er Gefühle auszulösen vermochte. Doch das war nicht seine Aufgabe, drum schwebte er rückwärts durch die Gitterstäbe und deutete auf die nun gemäldelose Wand.
„Widerstehen Sie dem Drang, betreten Sie nicht das Siebte Level.“
Dort, wo einst das Gemälde hing, zuvor seit Jahren unberührt, hing ein eisernes Steuerrad, das in der Wand eingelassen wurde.
„Durch Zufall werden Sie sich jedenfalls nicht in diese Gefahr begeben.“
Erstmals, seitdem die Gestalt hier war, hatte ihre sanfte, weiche Stimme einen scharf geschliffenen, bedrohlichen Klang angenommen.
„Besuchen Sie mich doch beizeiten in meinem Geschäft, ich helfe gerne“, fügte der, der nicht als Bote und nicht als Markierer bekannt war, mit freundlicher Stimme hinzu. Anschließend richtete er den Holzstuhl Magellans auf, verbeugte sich und verschwand spurlos.
„Ich finde ihn sehr freundlich“, murmelte Magellan und setzte sich wieder hin.
Der Patient hingegen blickte nach links und nur eine Steinwand trennte ihn vom freigelegten Eingang ins Siebte Level. Sein linkes Auge zuckte, drum versuchte er sich abzulenken.
„Weshalb hat der ehemalige Gefängnisdirektor Magellan einen Diebstahl zugelassen?“ Die Süffisanz in der Frage verbarg die Wut in der Stimme des Patienten. Um so erstaunter war er, als der nasepopelnde, kippelnde Magellan ihm schließlich antwortete.
„Was Fes sich nimmt, nimmt er sich.“
Damit war diese Frage geklärt. Wenigstens eine, dachte der Patient kopfschüttelnd, woraufhin die Ketten erneut zu rasseln begannen.
„Wie schön!“, flüsterte Magellan und horchte dem Gerassel, während er sich in seinen Lieblingsklappstuhl schmiegte. Hach!
[vor einer Minute im Impel Down]
„Widerstehen Sie dem Drang, betreten Sie nicht das Siebte Level.“
[eine Minute später]
In der Neuen Welt drängte sich das Geräusch des Kanonendonners zwischen das laute Grollen der Wolken, das Meer tobte neben dem Gefecht zweier Schiffe, die Marine stellte sich den Piraten entgegen, die ihr Schiff zu Kapern versuchten. Wie viele Männer auf beiden Seiten umgekommen waren, wusste keiner von ihnen. Es war unübersichtlich, fürchterlich laut, jeder dachte nur noch an sich, dass er diesem würdelosen Aufeinandertreffen nicht sein Leben zu opfern hatte.
Und daneben, gar nicht weit entfernt, schaukelte ein kleines Boot, von Wellen gehoben und gesenkt, jedoch nicht aus der Balance zu bringen. Jeder darauf hatte nicht zu befürchten, dem Zorn des Meeres anheimzufallen. Auf diesem kleinen Boot aus Holz, da stand ein Zelt in edel anmutenden Stoffen, die kegelförmig nach oben ragten.
Und in jenes Zelt war soeben eine Person eingetreten, der eben noch der Kanonendonner in den Ohren hallte, der eben noch der starke Regen die dünne Kleidung durchnässte – und der im nächsten Moment auffiel, dass alle Geräusche, alle Temperaturen, die sie eben noch fühlte, mit ihrem Eintreten verschwanden. Die beiden Vorhänge, zwischen denen sie eintrat, fielen zu und sperrten jegliches Bild, jegliches Geräusch ihrer Außenwelt aus. Beim ersten Mal dachte sie, dass sie ins Jenseits eintrat, sich von allem Irdischen trennte und ihre Seele nun hier in diesem kleinen Raum ihre letzte Ruhestätte fand. Doch sie irrte.
Vor ihren Augen war eine kleine feingeschliffene Holzfläche, der Verkaufstresen, der momentan allerdings leer war. Der Teppich unter ihren Füßen, die mit Kissen ausgelegte Ecke, der Geruch, es wirkte alles so exotisch – orientalisch – wie aus einer anderen Zeit. Ihr gefiel es, die Person mochte es hier, drum merkte sie gar nicht, dass sie hier bereits einige Sekunden wartete. Das war ungewöhnlich. Da öffnete sich der Vorhang hinter dem Verkaufstresen und eine ihr bekannte Gestalt schwebte in den Raum, ein Tablett mit Teekanne und zwei Tassen in den klauenartigen Händen haltend.
„Entschuldige die Verspätung, du weißt, dass ich fort war.“
Die Dame blickte den Alligator an. Sie nahm die gefüllte Tasse und setzte sie an ihre roten Lippen.
„Du bist zu bescheiden“, murmelte sie aus der Kissenecke, in der sie sich niedergelassen hatte. Dann pustete sie in ihre Tasse, obwohl es unnötig war. Die Temperatur des Tees war perfekt, sehr warm und doch auf den Punkt unbedenklich für die vielen Nerven ihrer Zunge. Doch sie war es gewohnt. Darum pustete sie. Sie war so vieles gewohnt, umso öfter wollte sie sich kneifen, sobald sie ihn sah. Sie fürchtete ihn nicht. Es gab vieles, was weit harmloser war.
Ruhig zog sie den weißen Ärmel ihrer Bluse zurück und öffnete den Vorhang, hörte sofort das donnernde Unwetter, das sich wie das Ende der Welt anhörte – wie das Meer, das nun beschloss, alles zu verschlingen, nachdem es Millionen Jahre das Festland festes Land bleiben ließ. Es war schaurig daran zu denken, was die Wassermassen mit den armen Körpern derer machten, die in die Tiefe sanken und ihre armen Seelen in der unendlichen Dunkelheit des unbekannten Meeresgrundes verlieren würden. Es war ein schaurig schönes Gefühl. Sie ließ den Vorhang los und zog ihren nass gewordenen Arm wieder ins Innere. Stille kehrte ein.
Sie blickte ihren Bekannten an und lächelte.
„Fürchtest du das Meer oder liebst du die Ruhe an diesem Ort?“ Sie blickte sich um: Teppiche mit Kreismustern, fransige Kissen, weiche Stoffwände. Hier konnte man sich wahrlich entspannen, während um sie herum der Tod auf die armen Seelen wartete. Auf Seebären, Kaufleute, Abenteurer, Piraten, auf die Marine, auf alle, welche lediglich zusammengebautes Holz von einem nassen Grab trennte. Deren Schiffe sich den Naturgewalten der Neuen Welt beugten und ihre Besatzung dem gnadenlosen Meer preisgab. Sie malte diese Szenarien in ihren Gedanken grausam und gnadenlos, doch das ließ ein aufgeregtes Kribbeln in ihr aufkommen. Sie liebte den schmalen Grat, der eine unbedachte Dummheit in ein gewolltes Risiko verwandelte. Womöglich fühlte sie sich deswegen in seiner Gegenwart wohl.
„Ich habe Herrn Magellan gewarnt, er wird es sicher bald dem Direktor melden.“
Die junge Frau strich sich durch ihr braunes Haar und blickte die Kreatur vor sich an. Ihre Augen blitzten, als sie einen tiefen Schluck Tee zu sich nahm.
„Wer der Frage einer Dame ausweicht, macht sich verdächtig.“
„Ich bin nicht als unruhige Person bekannt“, antwortete der schwebende Gastgeber abrupt und die Röte, die sich in seinem Gesicht beinahe bemerkbar machte, verschwand so schnell wie sie sich andeutete. Er blickte sie durch seine grünlichen Augen an: Ein junger weiblicher Mensch, wunderschön mit einnehmenden Charme. Glaubte er.
„Ich bedanke mich für dieses Bild.“
Er zog das alte Gemälde aus seinem Umhang und legte es auf den Verkaufstresen, der nun bis zum Rand gefüllt war. Mit Gemälde und alter Kunst, einem Unikat. Verkannt vom Personal des Impel Downs, seit Jahrzehnten anscheinend ignoriert, so fristete es in einer Ecke des Gefängnisses sein Dasein, die fast nie betreten wurde. Nun würde er es haben. Sein Körper zitterte, als er mit seinen schuppigen Fingern über den beschlagenen Rahmen strich.
„Es gehört ganz dir“, sagte die Frau und stellte die leere Tasse neben sich ab.
Freudig nickte der schwebende Teetrinker und verstaute seine Tasse im Inneren seines Umgangs. „Meine Warnung war für ihn und Magellan nicht falsch zu verstehen.“
Die Frau war aufgestanden und näherte sich dem Besitzer dieser kleinen Nussschale. Kurz vor seinem Gesicht blieb sie stehen, blickte ihn von nahem an, so nahe, wie ihm schon lange keiner mehr war. Er sah ein Funkeln in ihren Augen, das ihn bestätigte. Sie war nicht gewöhnlich. Nicht krank, nicht wahnsinnig, auch nicht gebrochen. Sie blinzelte kurz und sein Gedankenfaden riss. Sie war kein normaler Mensch. Das war schön. Aufregend.
Sie sah die spitzen schwarzen Pupillen eines Reptils. Wenn Augen das Tor zur Seele waren, sie trat einen Schritt zurück. Was wollte sie? Aufregung. Spannung. Sie konzentrierte sich. Seine Augen waren nicht echt, sie sah nicht die Seele, die sie sehen wollte. Dann lachte sie.
„Indem sie es richtig verstehen, werden womöglich andere Schlüsse gezogen.“
„Deshalb bietest du mir ein Gemälde von unschätzbarem Wert?“
Erstmals war ein Zug von Überraschung in der Stimme des schwebenden Gemäldebesitzers zu hören. Die Frau lachte und ließ sich wieder in die Kissen fallen. Sie war erleichtert.
„Das ist nicht mehr meine Entscheidung.“
Schier unendliche Last fiel von ihren Schultern ab und sie ließ sich tiefer ins Kissen sinken.
„Ich bin froh, dass sie von einem starken Mann getroffen wird.“
[vor einiger Zeit]
„Sie sind eine starke Persönlichkeit.“
Mit stotternder Stimme nahm der Psychiater seine Brille ab und rieb sich mit seinem Ärmel über die feuchten Augen. Es war unprofessionell. Für seinen Berufszweig verwerflich. Sie blickte ihn an, zitterte am ganzen Körper. Sie war durch die Hölle gegangen und sah endlich das Licht. Sie sah die geröteten Augen eines Mannes, der er der Beste seines Faches war. Er war wahrlich menschlich.
„Ich danke Ihnen“, stammelte sie, wie sie vor dem Sofa kniete, ihr Gesicht in ihren Armen vergrub.
„Danke…“
Dr. Krueger nickte. Stolz überkam ihn, während die Tränen der Erleichterung wichen. Ihre Dämme hingegen waren gebrochen. Das war gut. Sie würde weiterleben.
Sie war eine starke Frau. Etwas besonderes.
Es war der reine Wahnsinn, der sie letztlich überkam.
„Wir verstehen uns…“
Der Mann fuhr mit dem Finger über seine Schulter, betrachtete den Staub, der sich auf seinem schwarzen Anzug angesammelt hatte. Seine Augen funkelten im Schein der Fackeln, die neben ihnen an den Wänden hingen.
„...oder nicht?“ Seinen Blick führte er an jeden einzelnen Gefährten entlang, prüfte, spürte und fasste die Angst in ihren trostlosen Augen. Sie waren nicht überzeugt. Etwas, was sie durchaus zu sein hatten. Ihr alter Freund hatte sie an den Rand einer Niederlage geführt. Sie, die Weisen, verloren um ein Haar ihre Macht, welche seit Jahrhunderten unermessliche Größe umfasste. Doch ein Mann wollte es ihnen streitig machen: Weshalb, wussten sie nicht. Wie er es schaffte? Sie fürchteten sich davor, auch dies nicht in Erfahrung gebracht zu haben. Und warum er letztendlich kapitulierte? Die Hände des Weisen zitterten, während er das Gemälde aufhing.
„Gedenken wir unserem...Freund.“
Die übrigen Weisen hörten die Verbitterung, die in der Stimme des Wortführers lag. Sie waren die Sieger, behielten ihr Privileg über die Herrschaft der Welt. Doch letztendlich waren sie die Verlierer, eigentlich. Nicht zu wissen, weshalb sie die unabwendbare Niederlage nicht mit allen ihren Konsequenzen zu durchstehen hatten – und letztlich daran zugrunde zu gehen hatten, dieses zehrende Unwissen war es, das sie seit Wochen nicht mehr schlafen ließ. Was an ihnen zehrte, was sie zermürbte. Sie konnten den Mann einsperren. Für jeden Menschen war er verstorben. Nur sie kannten die Wahrheit.
Es hatte etwas Historisches, denn kein Gefängnisdirektor wusste mehr von diesem Ort. Einem Bereich, der unter dem Meeresboden lag, der über das geheime sechste Level hinausging. Es war nicht einmal mehr ein Gerücht unter den Gefängnisinsassen. Nein, es war schlichtweg nicht mehr existent. Er würde da unten hungern, isoliert sein. Er würde in völliger Dunkelheit nichts mehr wahrnehmen, nichts mehr hören. Irgendwann würde er seinen Namen vergessen, den Grund für seinen Aufenthalt. Sein selbstgefälliges Lächeln würde irgendwann verschwinden.
Das war ihre Hoffnung. Das einzige Gefühl, das die unendliche Scham betäuben konnte. Doch irgendwann war der Zeitpunkt gekommen, an dem sie ihn vergaßen. Vergaßen, dass er da unten inzwischen gestorben war, sein kalter Leichnam verwest und in der Dunkelheit für alle Zeiten unentdeckt die Zeit selbst überdauern würde. Sie vergaßen, dass sie betäubt waren. Und sie vergaßen, dass dies der einzige Grund war, um diese Schande zu überstehen. So begab es sich zu einer Zeit des Friedens, in der die Regierung bejubelt und ihre Politik begrüßt wurde, dass sie sich das Leben nahmen. Einer nach dem anderen brach innerlich, stürzte sich ins Schwert, kostete einen letzten Trunk, der sie in den Schlaf entführte, ging sehenden Auges im Sturm über Bord.
Magellan saß auf seinem Klappstuhl, betrachtete die gemäldelose Wand.
Geschichten. Alles Geschichten.
Als er hier vor Jahrzehnten im Impel Down seinen Dienst antrat, erzählte ihm der damalige Direktor diese Schauergeschichte. Deshalb sollte er dieses Gemälde mit den Augen sehen, sehen, was darauf abgebildet war und was es für ihn als Bediensteten dieses alten Gefängnisses zu bedeuten hatte. Doch er sollte es nicht anfassen, schließlich galt es seit je her als hohes Geschenk eines noblen Spenders. Und immerhin beging der letzte Mann, der es berührte, Selbstmord, nachdem er über Jahre hinweg den Verstand verloren hatte. Ein mächtiger und zugleich armer Mann. Magellan erinnerte sich an das Lachen seines alten Vorgesetzten, nachdem er diese Schauergeschichte wieder und wieder erzählte. - Ehe er einen tiefen Schluck aus seiner Weinflasche nahm. Was aus ihm geworden war? Magellan lachte.
Vergangenheit. Alles Vergangenheit.
Der jetzige Direktor würde diese Geschichte anders erzählen. Er würde jedes einzelne Wort glauben und es jedem Skeptiker so erzählen, bis er es schließlich für die reinste Wahrheit hielte. Das war die Gabe des Mannes, den er als Dr. Ryan Jay Krueger kennenlernte. Mehr brauche man nicht für eine gute Zusammenarbeit wissen, meinte er damals. Tatsächlich war sich Magellan der Unkenntnis über Krueger durchaus bewusst. Doch im Gegensatz zu den Weisen aus der Gemäldegeschichte trieb es ihn nicht in den Wahnsinn. Es reichte, seinem neuen Vorgesetzten zu vertrauen.
„Sie wissen, dass er das Siebte Level betreten wird?“
Die Stimme des Patienten ließ Magellan innehalten. Der Klappstuhl knarzte. Die Ketten, die den Gefangenen in der Luft hielten, rasselten. Dessen Kopf dröhnte. Es strengte ihn an, dass die Taubheit in seinen Füßen ihm ein unbehagliches Kribbeln durch den Körper jagte. All das Blut, es sammelte sich in seinem Kopf, doch es sollte weichen, es sollte weiterfließen. Es kribbelte alles in ihm. Unterdessen bemerkte er nicht den aufgestandenen, nach hinten blickenden und kurz trauernden Magellan, der seinen Klappstuhl erneut aufrichtete. Hastig, ehe der Patient das ungestüme Poltern des ehemaligen Direktors mit Argwohn kommentieren konnte. Mit verschränkten Armen stand er vor dem Patienten, blickte in dessen blau angelaufenes Gesicht.
„Du bist keiner zum foltern, oder?“
„Wer ist das schon?“, japste der Patient, ehe er von Magellan von den Ketten befreit wurde.
„WIESO?“, schrie der Mächtige und trat erneut auf den am Boden liegenden Mann ein. Das Blut des Kapitulierenden floss den feinen spiegelnden Fliesengrund dieses altehrwürdigen Palastes entlang. Hier residierten sie, die Weisen. Seit Jahrhunderten. Generation, für Generation, für Generation. Bis sie berufen wurden und bis sie starben. Der unterzeichnete Vertrag lag irgendwo herum, denn kein einziger Tisch, kein einziges Möbelstück stand mehr aufrecht in diesem Raum. Die Weisen blickten auf denjenigen unter ihnen, der er später ein Gemälde aufhängen würde. Er war schon immer der dominanteste, impulsivste Teil ihrer beschaulichen Gruppe. Schweigend beobachteten sie, wie er erneut auf den Besiegten einschlug.
„WIESO HAST DU KAPITULIERT?“
Die Verzweiflung war deutlich aus der Stimme des Weisen zu hören. Der eigentliche Sieger lag nur schmunzelnd zu seinen Füßen. Doch was hieß schon eigentlich? Er unterschrieb eben eine Vereinbarung, die jegliche Kampfhandlung gegen die Weisen ausschloss. Er ergab sich. Doch weshalb ließ er sie mit einem blauen Auge davonkommen? Ein Mann hatte es beinahe geschafft, die Weisen, die Weltregierung selbst zu stürzen. Doch er tat es nicht.
„Ihr habt gewonnen...“, kam es undeutlich aus dem blutgefüllten Mund des Mannes. Er drehte seinen Kopf zur Seite, hustete, um besser verstanden zu werden, sah, wie ein Zahn in der Blutlache davon trieb.
„...ganz einfach so.“
Sein Brustkorb, die Fliesen auf denen er lag, sie wurden mit einem Hieb durchbohrt, als sich ein zweiter Weiser zur Tortur dazugesellte. Ruhig und bedächtig zog er seine Klinge aus der Brust des Liegenden. Dieser reagierte gar nicht darauf, blickte stattdessen auf die Klinge, die in aller Länge aus ihm herausgezogen zum Vorschein kam. Blutgetränkt, mit Fliesenbruchstücken, die am Blatt hafteten. Ein Schuss ertönte, als sich der dritte Weise mit einem Gewehr dazugesellte, welches er kurzerhand von der Wand nahm und in heller Vorfreude befüllte. Es sollte immer so weitergehen. Doch eine Antwort bekamen sie nicht. Nichts, was sie in Zukunft erlösen sollte…
Magellan blickte den Patienten an, dachte an den Teil der Schauergeschichte, den ihm sein alter Vorgesetzter einst erzählte. Beim ersten Mal, er war noch jung und kannte nicht die Gewalt, die an diesem Ort weilte, - beim ersten Mal erbrach er sich, nachdem er die ganze Geschichte zu Ohren bekam.
„Es gibt sicher Leute, die die Folter mögen“, murmelte Magellan verlegen und führte den Patienten aus der Zelle.
„Es wird Zeit, mit Dr. Krueger zu sprechen“, fügte er hastig hinzu. Mit dem Klappstuhl unterm Arm und dem Patienten am Genick gepackt, verließen sie schließlich den Trakt der gemäldelosen Wand. Jenem Ort, der einst so viel Wahnsinn freisetzte.
Schauergeschichten. Alles Schauergeschichten.
Der Mann fuhr mit dem Finger über seine Schulter, betrachtete den Staub, der sich auf seinem schwarzen Anzug angesammelt hatte. Seine Augen funkelten im Schein der Fackeln, die neben ihnen an den Wänden hingen.
„...oder nicht?“ Seinen Blick führte er an jeden einzelnen Gefährten entlang, prüfte, spürte und fasste die Angst in ihren trostlosen Augen. Sie waren nicht überzeugt. Etwas, was sie durchaus zu sein hatten. Ihr alter Freund hatte sie an den Rand einer Niederlage geführt. Sie, die Weisen, verloren um ein Haar ihre Macht, welche seit Jahrhunderten unermessliche Größe umfasste. Doch ein Mann wollte es ihnen streitig machen: Weshalb, wussten sie nicht. Wie er es schaffte? Sie fürchteten sich davor, auch dies nicht in Erfahrung gebracht zu haben. Und warum er letztendlich kapitulierte? Die Hände des Weisen zitterten, während er das Gemälde aufhing.
„Gedenken wir unserem...Freund.“
Die übrigen Weisen hörten die Verbitterung, die in der Stimme des Wortführers lag. Sie waren die Sieger, behielten ihr Privileg über die Herrschaft der Welt. Doch letztendlich waren sie die Verlierer, eigentlich. Nicht zu wissen, weshalb sie die unabwendbare Niederlage nicht mit allen ihren Konsequenzen zu durchstehen hatten – und letztlich daran zugrunde zu gehen hatten, dieses zehrende Unwissen war es, das sie seit Wochen nicht mehr schlafen ließ. Was an ihnen zehrte, was sie zermürbte. Sie konnten den Mann einsperren. Für jeden Menschen war er verstorben. Nur sie kannten die Wahrheit.
Es hatte etwas Historisches, denn kein Gefängnisdirektor wusste mehr von diesem Ort. Einem Bereich, der unter dem Meeresboden lag, der über das geheime sechste Level hinausging. Es war nicht einmal mehr ein Gerücht unter den Gefängnisinsassen. Nein, es war schlichtweg nicht mehr existent. Er würde da unten hungern, isoliert sein. Er würde in völliger Dunkelheit nichts mehr wahrnehmen, nichts mehr hören. Irgendwann würde er seinen Namen vergessen, den Grund für seinen Aufenthalt. Sein selbstgefälliges Lächeln würde irgendwann verschwinden.
Das war ihre Hoffnung. Das einzige Gefühl, das die unendliche Scham betäuben konnte. Doch irgendwann war der Zeitpunkt gekommen, an dem sie ihn vergaßen. Vergaßen, dass er da unten inzwischen gestorben war, sein kalter Leichnam verwest und in der Dunkelheit für alle Zeiten unentdeckt die Zeit selbst überdauern würde. Sie vergaßen, dass sie betäubt waren. Und sie vergaßen, dass dies der einzige Grund war, um diese Schande zu überstehen. So begab es sich zu einer Zeit des Friedens, in der die Regierung bejubelt und ihre Politik begrüßt wurde, dass sie sich das Leben nahmen. Einer nach dem anderen brach innerlich, stürzte sich ins Schwert, kostete einen letzten Trunk, der sie in den Schlaf entführte, ging sehenden Auges im Sturm über Bord.
Magellan saß auf seinem Klappstuhl, betrachtete die gemäldelose Wand.
Geschichten. Alles Geschichten.
Als er hier vor Jahrzehnten im Impel Down seinen Dienst antrat, erzählte ihm der damalige Direktor diese Schauergeschichte. Deshalb sollte er dieses Gemälde mit den Augen sehen, sehen, was darauf abgebildet war und was es für ihn als Bediensteten dieses alten Gefängnisses zu bedeuten hatte. Doch er sollte es nicht anfassen, schließlich galt es seit je her als hohes Geschenk eines noblen Spenders. Und immerhin beging der letzte Mann, der es berührte, Selbstmord, nachdem er über Jahre hinweg den Verstand verloren hatte. Ein mächtiger und zugleich armer Mann. Magellan erinnerte sich an das Lachen seines alten Vorgesetzten, nachdem er diese Schauergeschichte wieder und wieder erzählte. - Ehe er einen tiefen Schluck aus seiner Weinflasche nahm. Was aus ihm geworden war? Magellan lachte.
Vergangenheit. Alles Vergangenheit.
Der jetzige Direktor würde diese Geschichte anders erzählen. Er würde jedes einzelne Wort glauben und es jedem Skeptiker so erzählen, bis er es schließlich für die reinste Wahrheit hielte. Das war die Gabe des Mannes, den er als Dr. Ryan Jay Krueger kennenlernte. Mehr brauche man nicht für eine gute Zusammenarbeit wissen, meinte er damals. Tatsächlich war sich Magellan der Unkenntnis über Krueger durchaus bewusst. Doch im Gegensatz zu den Weisen aus der Gemäldegeschichte trieb es ihn nicht in den Wahnsinn. Es reichte, seinem neuen Vorgesetzten zu vertrauen.
„Sie wissen, dass er das Siebte Level betreten wird?“
Die Stimme des Patienten ließ Magellan innehalten. Der Klappstuhl knarzte. Die Ketten, die den Gefangenen in der Luft hielten, rasselten. Dessen Kopf dröhnte. Es strengte ihn an, dass die Taubheit in seinen Füßen ihm ein unbehagliches Kribbeln durch den Körper jagte. All das Blut, es sammelte sich in seinem Kopf, doch es sollte weichen, es sollte weiterfließen. Es kribbelte alles in ihm. Unterdessen bemerkte er nicht den aufgestandenen, nach hinten blickenden und kurz trauernden Magellan, der seinen Klappstuhl erneut aufrichtete. Hastig, ehe der Patient das ungestüme Poltern des ehemaligen Direktors mit Argwohn kommentieren konnte. Mit verschränkten Armen stand er vor dem Patienten, blickte in dessen blau angelaufenes Gesicht.
„Du bist keiner zum foltern, oder?“
„Wer ist das schon?“, japste der Patient, ehe er von Magellan von den Ketten befreit wurde.
*
„WIESO?“, schrie der Mächtige und trat erneut auf den am Boden liegenden Mann ein. Das Blut des Kapitulierenden floss den feinen spiegelnden Fliesengrund dieses altehrwürdigen Palastes entlang. Hier residierten sie, die Weisen. Seit Jahrhunderten. Generation, für Generation, für Generation. Bis sie berufen wurden und bis sie starben. Der unterzeichnete Vertrag lag irgendwo herum, denn kein einziger Tisch, kein einziges Möbelstück stand mehr aufrecht in diesem Raum. Die Weisen blickten auf denjenigen unter ihnen, der er später ein Gemälde aufhängen würde. Er war schon immer der dominanteste, impulsivste Teil ihrer beschaulichen Gruppe. Schweigend beobachteten sie, wie er erneut auf den Besiegten einschlug.
„WIESO HAST DU KAPITULIERT?“
Die Verzweiflung war deutlich aus der Stimme des Weisen zu hören. Der eigentliche Sieger lag nur schmunzelnd zu seinen Füßen. Doch was hieß schon eigentlich? Er unterschrieb eben eine Vereinbarung, die jegliche Kampfhandlung gegen die Weisen ausschloss. Er ergab sich. Doch weshalb ließ er sie mit einem blauen Auge davonkommen? Ein Mann hatte es beinahe geschafft, die Weisen, die Weltregierung selbst zu stürzen. Doch er tat es nicht.
„Ihr habt gewonnen...“, kam es undeutlich aus dem blutgefüllten Mund des Mannes. Er drehte seinen Kopf zur Seite, hustete, um besser verstanden zu werden, sah, wie ein Zahn in der Blutlache davon trieb.
„...ganz einfach so.“
Sein Brustkorb, die Fliesen auf denen er lag, sie wurden mit einem Hieb durchbohrt, als sich ein zweiter Weiser zur Tortur dazugesellte. Ruhig und bedächtig zog er seine Klinge aus der Brust des Liegenden. Dieser reagierte gar nicht darauf, blickte stattdessen auf die Klinge, die in aller Länge aus ihm herausgezogen zum Vorschein kam. Blutgetränkt, mit Fliesenbruchstücken, die am Blatt hafteten. Ein Schuss ertönte, als sich der dritte Weise mit einem Gewehr dazugesellte, welches er kurzerhand von der Wand nahm und in heller Vorfreude befüllte. Es sollte immer so weitergehen. Doch eine Antwort bekamen sie nicht. Nichts, was sie in Zukunft erlösen sollte…
Magellan blickte den Patienten an, dachte an den Teil der Schauergeschichte, den ihm sein alter Vorgesetzter einst erzählte. Beim ersten Mal, er war noch jung und kannte nicht die Gewalt, die an diesem Ort weilte, - beim ersten Mal erbrach er sich, nachdem er die ganze Geschichte zu Ohren bekam.
„Es gibt sicher Leute, die die Folter mögen“, murmelte Magellan verlegen und führte den Patienten aus der Zelle.
„Es wird Zeit, mit Dr. Krueger zu sprechen“, fügte er hastig hinzu. Mit dem Klappstuhl unterm Arm und dem Patienten am Genick gepackt, verließen sie schließlich den Trakt der gemäldelosen Wand. Jenem Ort, der einst so viel Wahnsinn freisetzte.
Schauergeschichten. Alles Schauergeschichten.
[vor wenigen Minuten]
„Uaaaaaaaaaaaaaaaaaaaah!“
Das war befreiend.
Laut und lang, und mit einer Prise Panik, einem Cocktail mit erlesenen Zutaten gleichend, mit Eiswürfeln und Schirmchen, umgerührt mit dem Strohhalm, der farblich zum Getränk passte, so angenehm fühlte sich der Sturz für ihn an. Lauthals schrie er, während er mit Beck in den Abgrund gestürzt war. Die Rutschstange neben ihnen sauste wie ein silberner Streifen an seinen Augen entlang. Wie der Aufprall letztlich aussehen würde, wusste der Direktor nicht. Das war ihm ehrlich gesagt auch ziemlich gleichgültig, zu sehr genoss er die Überraschung, die die aufkommende Nervosität in ihm auslöste. Eine menschliche Reaktion, die allerdings ungeahnte Schübe in ihm auslösten. Adrenalin, Erregung, alles kam in ihm zum Vorschein, was zuvor nur Kalkül und Berechenbarkeit gewesen ist. Er sah den Boden, auf den sie zustürzten.
*
Ein Glas ging zu Bruch. Erneut. Ein trüber Schleier lag auf seinen Augen, das flackernde Licht zuckte neben allem, das in seinem verschwommenen Sichtfeld gärte. Sein Kopf lag träge auf der Theke, klebte im feuchten, riechenden Rumfilm, der an seiner Nase entlang lief. Er fühlte sich hundeelend, achtete nur auf das Surren der defekten Lampe, die neben den aufgereihten Spirituosen an der Wand hing. Brummend hob der Wirt den Kopf des Betrunkenen an, um darunter die Alkohol- und Speichelpfützen wegzuwischen. Unsanft ließ er das schwere Haupt auf die Theke donnern, um mit beiden Händen seinen Lappen über der Spüle auswringen zu können. Angewidert blickte er das Häufchen Elend an, das seit Stunden allein an der Theke saß, umringt von mehreren Dutzenden Gläsern. Alle anderen Gäste hatten sich weggesetzt oder näherten sich der Theke mit zugehaltener Nase. Natürlich roch es hier und da nach Urin und Erbrochenem, doch der Halbtote toppte es noch bei weitem. So musste eine Leiche riechen, dachten viele, die an ihm vorbei zu den Toiletten huschten. Was immer es war, es war abstoßend.
„Ich...kann...nicht...“
Plötzlich rutschte der Mann zur Seite, kippte vor den Augen des Wirts mitsamt seinem Hocker um und landete krachend auf dem Boden. Die vielen Gläser über ihm wackelten und das ein oder andere fand den Weg über den Thekenrand hinweg, landete neben ihm, zerbrach in unzählige Scherben. Reste des Alkohols spritzten ihm ins Gesicht, während ein nasser Film an ihm entlang lief. Er blinzelte, merkte die fehlenden Scherben in seinen Augen, war kurz erleichtert, der er in seinem Delirium kaum noch Schmerz verspürte. Da lag er, umzingelt von Leuten, die ihn begutachteten. Wobei das ‚gut‘ kaum noch gelten konnte. Sie sahen ihn. Denn gut war an dieser jämmerlichen Existenz nichts mehr. Er war kaum noch mitleiderregend, lediglich ein Leben, das in der Form keinen Wert mehr hatte. Es musste erst etwas zerstört werden, bevor etwas Neues erschaffen werden konnte. Er atmete tief ein. Jeden Moment würde es ihn überkommen. In seinem Schädel donnerte es. Es konnte nur besser werden. Doch vorher musste er durch die Hölle gehen. Alles kam in ihm hoch und er ließ es einfach zu.
Der Wirt schüttelte den Kopf und ließ Wasser in einen Eimer laufen. Am besten sollte doch ein reißender Wasserstrom allen Unrat aus seiner Bar schwemmen. Doch so einfach war es nun auch nicht. Er seufzte und sammelte die Glasscherben aus der frischen Kotze.
„Danke…James“, sprotzte die Gestalt, als ihr lauwarmes Wasser ins Gesicht geschüttet wurde.
Das war befreiend.
*
Lachend erhob sich der Direktor aus dem riesigen Fellballen, der er den Namen Beck trug und ihren Sturz gedämpft hatte. Diese Sekunden des freien Falls bescherten ihm einen Schub. Aufgeregt schüttelte er sich. Seitdem er hier war, fühlte er sich kaum noch herausgefordert. Alles war so vorhersehbar, zu erahnen, intuitiv richtig einzuschätzen. Doch jetzt fühlte er sich quietschfidel. Der Direktor drehte seinen Kopf hin und her, hörte ein leises Knacken. Alles war gut. Bis zu dem Moment als sich Beck hinter ihm schüttelte und eine gigantische Staubwolke den verdutzten Krueger in einen Hustenanfall hüllte.
„Sind wir hier allein?“
Wo war das fröhlich-groovige in der Bärenstimme hin? Der Direktor ahnte, dass ihnen nur wenig Zeit blieb, ehe jegliches Gespräch mit weiteren Fragen belastet würde. Darum streckte er seine eingestaubte Hand aus und reichte sie dem großen Gegenüber.
„Lass uns tanzen.“
So bewegten sie sich galant, abseits der Gefangenen dieses Stockwerks, die sie neben der „Tanzstange“ nicht mehr einsehen konnten. Nahe schmiegte sich Krueger an die Brust des Bären, spürte dessen Herzschlag. Es gab die unterschiedlichsten Methoden, um jemanden zu lesen. In welchen Situationen war jemand mit sich selbst in Einklang? Wann spürte er Anspannung, wann spiegelte er eine Erinnerung?
„Ich kenne deine Geschichte“, brummte der Direktor, während er ins dichte Fell hinein sprach.
„Sie kennen die Vergangenheit“, entgegnete der Bär, dessen unruhige Stimme nicht mehr zu seinen koordinierten Bewegungen passte. Ein weiteres Merkmal: Asymmetrisches Verhalten. Nach Außen hin konzentriert, der Herzschlag jedoch schneller. Nun hieß es nur noch: War es körperliche oder geistige Anstrengung? Krueger wusste es, dennoch ließ er sein Gegenüber nicht los. Sein Vertrauen war größer als seine Angst vor einer schmerzhaften Bärenumarmung.
„Wer ist das Bindeglied zwischen deinem Heiland und mir?“, fragte der Direktor und ließ sich kurz in die Luft werfen, um sich von einem rotierenden Beck auffangen zu lassen. Ja, sein Vertrauen war durchaus vorhanden, auch wenn er nun durch die Gegend gewirbelt wurde. Wie umgedrehtes Capoeira. Sehr lässig. Jedenfalls hatte er die richtige Frage gestellt, zu sehr kompensierte sein Gegenüber seine Wut in immer wilderen Bewegungen. Es steckte viel Aggression in Beck, vieles, was sich über Jahre aufstaute. Doch es war wohl noch nicht die Zeit, sie zu entladen.
„Können Sie etwas tun?“, fragte der Kodiakbär.
Wer Vertrauen sät...nein, die Metapher war furchtbar, dachte der Direktor. Dennoch war ihm klar, dass ihm nun auch eine großgewachsene Kreatur vertraute. Das war einfach seine Stärke.
„Klar!“, antwortete der Direktor lapidar.
[woanders]
„Sir, wir haben den Kontakt zu unseren Männern verloren.“
Die Stimme des Boten klang nervös, deckte sich mit seinen Gefühlen, die er seit Eintritt in diesen prunkvollen Raum verspürte. Weit vor ihm stand ein Mann, kerzengerade in die Höhe gewachsen, die sichtbaren Hände hinterm Rücken verschränkt, aus dem gigantischen Fenster blickend. Wo er den Himmel sah, und Vögel, weites blau, einen Park, in dem Enten gefüttert wurden. Ja, hier war ein guter Platz, um das zu sehen, was schön war. Er drehte sich um und blickte den Boten mit einem Lächeln an.
„Glaubst du, das sei eine Geschichte?“
Er schritt ruhig auf den jungen Mann zu, der er nicht einmal ein kleines Rädchen verkörperte. Er liebte es nachzudenken, sich eine Welt auszumalen, die weit schöner war als das, was er hier zu sehen glaubte. Immerhin kannte er alles. Das Leben, die Armut, den Reichtum und den Tod.
Er legte dem Überbringer der „Neuigkeiten“ seine behandschuhte Hand auf die Schulter und sah ihm in die Augen.
„Dein Blick spricht Bände. Du fürchtest dich. Daher wiederhole ich meine Frage...“
Er wandte sich kurz ab, da er wusste, dass zu langer Augenkontakt als unangenehm empfunden wurde. Dem Jüngling wollte er auch keine Angst einjagen. Dafür gab es hier zu vieles, was weit verstörender war als er selbst. Er lachte kurz.
„Glaubst du, das sei eine Geschichte, eine, in der dem reichen, einsam in die weite Welt blickenden Mann eine missliebige Botschaft überbracht wird und der Überbringer der schlechten Nachricht seinem ungezügelten Temperament anheimfällt?“
Er ließ diese lang formulierte Frage auf sein Gegenüber wirken, trank ein Schluck Wasser und kehrte zum Fenster zurück. Der Park war leer, die Enten zankten sich ums letzte Brot, das im Teich trieb. Wie er diese heile, falsche Welt verabscheute. Und doch mochte er sich stets fragen: War ihm eine falsche schöne Welt lieber als eine wahrhaft hässliche?
„Junger Mann, wie findest du diesen Ort?“, fragte der einsam aus dem Fenster blickende Mann und bereitete sich innerlich auf die zu erwartende Antwort vor.
„Sir, ich finde es hier wundervoll!“
Als keine Antwort von der Fensterseite kam, blickte der junge Mann auf die geballten Fäuste, die sich unter den weißen Handschuhen des reichen Herren kein Stück bewegten.
„Weißt du, dass eine Reaktion erwartbar sein muss, selbst wenn es keinerlei Anzeichen...“
Da sackte der Bote plötzlich zusammen und lag ohne jegliche Regung auf dem polierten Boden.
Ehe der verbliebene Mann seinen Satz beenden wollte, überlegte er kurz. Wem würde er jetzt die Pointe servieren können?
„...dafür gibt.“
Er ließ diese zwei trotzdem ausgesprochenen Worte im weiten Raum erklingen. Nein, das war ohne zuhörendes Publikum nicht das gleiche. Da stampfte er auf und ärgerte sich. In Wahrheit aber musste er ein lautes Lachen unterdrücken. Alles lief wie erwartet.
Das war schön.
Ja, das war schön. Wirklich!
Er wurde von seinem Boten mit 'Sir' angeredet, während dessen Stimme zitterte und jeden Moment zu brechen drohte. Diese Angst, die er im Raum spürte, sie war einfach ein erhabenes Gefühl. Zwar blickte er ihm nicht in die Augen, wo sicher noch mehr Spuren der Ehrfurcht zu entdecken waren, doch der Blick aus dem Fenster, hinaus in die friedliche Landschaft des Heiligen Landes, ja, auch diese Aussicht war von wahrhaftiger Schönheit. Der bildhaft denkende Mann entfernte sich vom Fenster, schritt unaufgeregt über den harten, glänzenden Untergrund und beugte sich zu dem Boten herunter, der reglos auf dem Boden lag.
„Ich hatte auch mal dieses Gefühl gehabt.“
Ob er seine Worte hörte, wusste der Mann nicht. Seufzend strich er sich durch sein blondes Haar.
„Ich werde noch sentimental“, murmelte der Mann und spürte seine Bartstoppeln an seinem Handrücken, wie er sich übers Gesicht strich. Bis er eine Antwort von „ihm“ erhalten würde, musste er Zeit totschlagen. Seine Faust ballte sich unter seinem Handschuh, er näherte sich langsam dem Boten, der noch immer am Boden lag.
„Totschlagen...“
Er lockerte seine Faust und hielt die flache Hand in die Höhe.
„Jetzt wäre es totschlagen“, seine Hand sauste von rechts nach links. Aufmerksam lauschte er dem Geräusch, als seine Hand durch die Luft fuhr. Er ballte wieder eine Faust.
„Jeder würde bei einem Schlag doch eine flache Hand, einen brennenden roten Abdruck im Gesicht des Geschlagenen erwarten.“
Er lockerte seine Faust. Dann lachte er kurz.
Wollte er jetzt ein Leben nehmen, nur weil er ein gesprochenes Wort wörtlich nahm? Kurz überlegte er. Erneut blickte er ins zitternde Gesicht des Boten.
„Bin ich wirklich so ein...?“
Ihm fiel keine geeignete Bezeichnung ein, doch es gab durchaus einige, die ihm im Laufe der Jahrzehnte entgegnet wurden. Mit Inbrunst. Mit Verlangen. Mit Zorn und Abscheu, so vieles, was er an sich herankommen ließ, was er vehement leugnete. Erneut blickte er den Boten an, der sich langsam wieder aufrappelte.
„Lass mich dir helfen.“
Er streckte dem jungen Mann seine Hand entgegen. Dieser blickte auf, sah das freundlich lächelnde Gesicht des Mächtigen. Obwohl dessen gepflegtes Äußeres und der Tonfall seiner Stimme nichts anmerken ließ, fiel der Bote hinten über auf seinen Hintern, krabbelte instinktiv rückwärts Richtung Ausgang. Seine Angst war zu groß. Er wusste nicht, was es war. Doch sein Instinkt riet ihm zur Flucht. Er blickte den Wohlhabenden mit zitternden Augenlidern an.
Nein, sein Instinkt riet nicht, es drängte. Es drängte, es zwang ihn zur Flucht.
„Danke, es geht schon“, schrie er panisch auf, die geöffnete Flügeltüre hinter sich wähnend. Er wollte den Mann, zu dem er entsandt wurde, nicht aus den Augen verlieren, ihm nicht den Rücken zuwenden. Die Gesichtszüge des Verschmähten verkrampften nicht, so blieb er einfach stehen und beobachtete ruhig die Unruhe seines Boten, der er wohl nicht mehr lange sein Bote würde.
„Ich verstehe deine Angst“, wiederholte der Mächtige mit anderen gewählten Worten und blickte schlussendlich in die mit Tränen gefüllten Augen des Boten. Er bekam beinahe Mitleid, als er die schiere Panik im Gesicht des Neulings sah. Kreidebleich kroch er noch immer in Richtung Ausgang, unfähig seine Gliedmaßen zu koordinieren und aufzustehen. Worte bekam er nicht mehr heraus, da er nicht einmal wusste, was er sagen sollte. Der Mächtige gab ihm nämlich gar keinen Anlass, um irgendeine Form von Unbehagen zu verspüren. Was er zu wissen glaubte, quatsch, er wusste schlichtweg gar nichts.
Da knallte der Bote mit dem Kopf auf den Boden, mit weit aufgerissenen Augen, und Speichel, der ihm aus dem Mund lief. Seine Arme suchten mit letzter Kraft ihn irgendwie aufzurichten. Doch sein Rücken, sein ganzer Körper sackte in sich zusammen. Da lag er, unfähig mit geöffneten Augen das zu sehen, was sich vor ihm abspielte. Nämlich nichts.
Der reiche Mann hielt sich die Hand vors Gesicht, wandte sich ab. Er wollte sich dieses letzte hilflose Aufbäumen des Körpers nicht mehr mit ansehen.
Darum wartete er.
So trommelte er auf der Lehne des Sofas, auf das er sich niedergelassen hatte. Erst spielten seine Finger auf schwarzem Leder, dann auf einem mit Daunen gefüllten Kissen. Natürlich hörte es sich grundverschieden an, drum lauschte er auch dieser Geräuschkulisse, merkte schließlich die Veränderung, die sich ihm offenbarte. Der Atem fehlte. Das Herz des Boten stellte seinen Dienst ein, entließ ihn mit grauenvoller Unsicherheit ins Jenseits.
Der Mann blickte sich um, schloss die Tür. Als er den frischen Leichnam des Boten sah, tat er das, was er sich für einen solchen Augenblick ausgedacht hatte. Er öffnete sein Fenster, lehnte sich in den geschliffenen Rahmen, spürte den Wind in seinem Gesicht und lachte. Als hätte man ihm einen köstlichen Witz erzählt, als wäre ein Mann gestolpert und im hohen Bogen die Redline hinunter gestürzt. Er lachte laut, übte die abstraktesten Laute. Er atmete tief ein, hielt sich den aufgeblähten Bauch.
Hoooo hooo hooo
Er variierte, brillierte, hustete, seine Stimme hob sich, sie senkte sich. Sie quietschte. Er drehte sich um, sah den regungslosen Körper des Boten, den er unterdessen aufrecht aufs Sofa gesetzt hatte.
„Ich lache dich nicht aus, mein Freund!“
Er schloss das Fenster seines großen Palastzimmers und räusperte sich.
„Ich weiß einfach nicht, was ich sonst machen soll...“
Der Tote hatte für ihn keine Bedeutung mehr. Streng genommen hatte er nie eine gehabt. Er sollte ihm das sagen, was er hören wollte. Dass er ihre Begegnung nicht überleben würde...
Er kratzte sich am Kinn.
...das passierte nicht zum ersten Mal. Er war eine durchaus einnehmende, ja, streitbare Persönlichkeit.
Der reiche Mann ballte seine Fäuste. Dieses verdammte Leben, es kotzte ihn einfach an. Und gleichzeitig, ja, eigentlich liebte er sein Leben. Es passierte stets etwas Neues.
Es musste erst etwas zerstört werden, bevor etwas Neues erschaffen werden konnte. Wie würde Krueger seine Botschaft aufnehmen?
[Mary Joa – Büro]
Sein Stuhl knarzte nicht mehr, nachdem er sich prüfend nach hinten lehnte. Ravehouse rieb sich die Stirn. Hatte sie sich etwa an seinem Platz zu schaffen gemacht, während er weg war? Nein, er wollte der Person, die er im Verdacht hatte, keine Vorwürfe machen. Trotzdem ertappte sich der alte Beamte dabei, die Schubladen neben seinem Schreibtisch genauer anzusehen. Er hauchte die metallenen Griffe an und sah...nichts. Selbst der Hinternabdruck auf seiner Stuhlauflage war der gleiche wie zuvor. Ein klassischer eins-A-ravehouse'scher Gesäßstempel. Man hätte ihn als Stempelkissen verkaufen können. Er hob das Kissen an und legte sein Ohr auf die Holzoberfläche seines Stuhls.
„Hah!“, rief er laut aus und tanzte freudig um den Stuhl herum.
„Bale!“, schrie er noch lauter – die Entenkämpfe hatten ihn ganz wuschig gemacht. Das spürte er in seinen alten Knochen. Das pure Leben, hervorgerufen durch eine Ente, die sich mit einer anderen, weniger hübschen Ente um Brotkrumen prügelte. Schnatternd mit Schnabel und kleinen flauschigen Flügeln.
Das war schön.
„Bale, bring mir Kaffee!“, krähte Ravehouse und polterte unruhig auf seinem Stuhl. Nun war er wieder in seinem Beamtenalltag gefangen. Doch er bereute es nicht, etwas Neues erschaffen zu haben. Zufrieden führte er schließlich die Tasse an seinen Mund und sprotzte sie seinem Gegenüber plötzlich ins Gesicht.
naak naak naak
„Die Ente...du hättest sie hören sollen“, flüsterte der alte Mann lachend und beobachtete, wie sich Bale das verbrannte, gerötete Gesicht hielt.
„Zier dich nicht so“, entgegnete Ravehouse todernst und wandte sich wieder seiner Arbeit zu.
Rache ist süß...beziehungsweise bitter, dachte er schmunzelnd.
Niemand setzte sich auf seinen Stuhl. Niemand!
Dann öffnete er eine Akte, betrachtete das angehängte Foto eines Mannes mit blonden Haaren und weißen Handschuhen, mit denen er sich durch eben selbiges Haar fuhr.
„Was hast du bloß getan...“
Alexander...
Er wollte den Namen, den er da las, nicht aussprechen. Denn erstmals in dieser Woche bebte seine Stimme vor Wut.
[vor einigen Jahren]
„Wie können Siiiiie
es waaaaaaaaagen?“
Die dumpfen Laute der Wachen überschlugen sich vor Entsetzen und sie taten alles, um den Eindringling festzuhalten, während ihre zarten Stimmchen an den Wänden des Ganges widerhallten. Sie versuchten ihn durch ihre Sehschlitze zu erspähen, welche in ihre Rüstungen eingelassen waren. Doch nur wenige sahen ihn tatsächlich, zu groß war bereits der Haufen an Rittern, die sich polternd auf ihn gestürzt hatten. Es klapperte und schepperte als der Blechhaufen durch die Luft – und die in den Rüstung steckenden Männer – kreischend durch die Gegend geschleudert wurden.
„Lasst mich“, entgegnete der Mann kurz angebunden. Er schrie nicht, doch im Vergleich zu ihnen allen würde seine Stimme ihre metallischen Uniformen rosten und sie darin elendig verrecken lassen. Was immer nötig war, um ihnen diese Vorstellung eines grausamen Todes vor den Einspruch zu stellen, der ihnen zu dem Zeitpunkt verwehrt blieb, an dem sie diese zwei Worte mit trockenen Kehlen vernahmen. Nicht wenige von ihnen waren froh, in einer Rüstung zu stecken, so sollte keiner die stinkende Schande sehen, die sich in ihrem jeweiligen Schritt abspielte.
„A...“, eine der Wachen, die noch mit letzter Willenskraft einen Buchstaben ansetzte, wurde vom Eindringling angesehen. Kurz, ruckartig. Wie von Sinnen sah der zitternde Blechmann die blauen Augen des Mannes, der er ihnen allen bekannt war. Doch wer nicht angemeldet war, der war ein Eindringling. Selbst er, dessen nicht zitternde Augenlider der Wächter erblickte, auf wackligen Knien zu Boden gehend, und ihm schließlich hinterher blickte, selbst er war ein Eindringling.
„Klopf klopf“, sagte der Mann und riss die Flügeltür auf – und aus ihren Scharnieren heraus. Da er die Gesetze der Physik kannte, ließ er sie zeitig los, sodass sie - ohne ihn - durch die Fenster im Flur krachten und irgendwo in Mary Joa – hoffentlich – einem Sklaventreiber in der Fresse landen würden. Der Mann lachte bei diesem Gedanken, lauschte den klirrenden Fensterscheiben, den berstenden Rahmen und den Stimmchen der Ritter, die vermutlich irgendwo weinend auf dem Boden kauerten. Doch sie sollten froh sein, dass er ihnen nur seelische Gewalt antat.
Er trat ein.
Er schnaubte.
Dampf schoss ihm aus der Nase. Zumindest wäre das in dem Moment etwas, was er sich wünschte, um seine Gemütslage jedem ersichtlich zu machen. Mit hochrotem Kopf stand er in ihrer Halle, spürte einen frischen Windzug, der durch das neue Loch im Palast seinen zu Berge stehenden Rückenhaaren schmeichelte.
„Ravehouse“, murmelte einer der Männer, die er aufzusuchen gedachte. Die Stimme des alten Mannes, der er noch älter als Ravehouse war, klang melodisch und freundlich, als würde bereits die Aussprache des Namen Ravehouse ein Loblied auf denselben anstimmen.
„Wir freuen uns, dich zu sehen!“, fügte der alte Mann hinzu, der er mit seinem langen weißen Bart und seiner kerzengeraden Haltung wie auf Stelzen gehend auf ihn zu stackselte. Wäre er nicht wütend, würde er über diese abstruse Gangart lachen. Doch es war einfach, er war sehr wütend.
„Reize mich nicht, Bob“, antwortete Ravehouse nun ruhig, doch sein Blick verriet den übrigen Vieren, dass es mit der Ruhe kein anhaltender Zustand sein würde.
„Reiz mich nicht, Booob“, äffte der Bärtige ihn belustigt nach, um die Stimmung ein wenig aufzulockern. Die Mannen hinter ihm hielten sich vor Peinlichkeit die Hände vors Gesicht.
Ravehouse blickte Bob ruhig an, danach trat er ihm gegen das hohe Bein, brachte ihn unter lautem Knacken seiner Kniescheibe zu Fall. Der Weise schrie vor Schmerz auf, hielt sich wimmernd seinen zertrümmerten Knochen.
„Was...“
„DU KENNST MICH!“, brüllte Ravehouse ihn ohne Zögern an und ließ den Weisen nicht einmal mehr dazu kommen, seine Frage zu stellen. Bob holte tief Luft, kniff die Augen zu und schwieg. Eine Träne kullerte über sein faltiges Gesicht, zu stark waren die Schmerzen, die er bis zu diesem Moment nicht mehr zu kennen glaubte.
„Wir kennen dich“, sagte ein anderer Weise und schob sich seine Brille auf die Nase. Er ließ von seinem Blatt ab, das er gerade polierte, legte sein Katana auf dem Stuhl ab, auf dem er bis eben in aller Stille saß. Dann ging er auf Ravehouse zu und legte diesem in aller Ruhe seine Hand auf die Schulter.
„Was möchtest Du uns mitteilen?“, fragte der Weise Al Gandhi und blickte den „Eindringling“ durch seine runden Gläser mit Fassung an. Gewalt war ein Weg, der bis zu Bobs Kniescheiben gegangen werden durfte, doch nicht weiter. Alles weitere würde für keinen hier Sinn ergeben.
Ravehouse zitterte, er blickte dem vernünftigsten Weisen in die Augen, spürte dessen Aufgeschlossenheit ihm gegenüber. Immerhin war er für sie kein niemand, niemand, auf den sie von den Sternen aus herab blickten. Das konnten sie sich nicht erlauben. Das wussten sie – und er wusste, dass sie es wussten und akzeptierten. Mussten.
„Bestraft Alexander Baelon!“
Der Wind, der eben noch durchs offene Fenster pfiff, er stand plötzlich still. Das Funkeln in Al Gandhis Augen erlosch und er blickte Ravehouse mit zitternder Unterlippe an. Eine zweite Träne kullerte über Bobs Gesicht, der sich auf dem Boden hin und her wälzte. Etwas brach in ihnen. Der Wille, hier eine einvernehmliche Lösung zu finden, er schwand immer mehr und jeder wusste hier, was es bedeutete, diesem nicht mehr nacheifern zu können. Der Eifer, den eine so kurze wie plötzliche Begegnung unter zwölf Augen eben hervorbringen konnte. Zwölf Ohren, die so vieles hörten, das die Geschicke von allem zu lenken imstande war. Pläne und Ideen, Reden und Ideale.
Sie alle standen still, nur noch das Scheppern der Blechrüstungen war zu hören.
Die gedämpften Stimmchen wandelten sich in ungedämpfte, jämmerliche Laute der Palastwachen, die in vollgeschissener Unterwäsche aus den Gängen flohen, wohl wissend, was diese Stille bedeuten musste. Wohl ahnend von ihrem Überlebensinstinkt gesagt bekamen: Verschwindet. Rennt einfach davon.
Innen im Raum der Weisen holte Al Gandhi tief Luft.
„Wir werden Alexander nicht bestrafen!“
Eine riesige weiße Kugel flog auf Ravehouse zu, der er mit schnellem Reflex zur Seite sprang. Danach knallte es und eine riesige Schicht aus weißem Flaum stäubte sich zwischen den Sprechenden auf, stieß den überraschten Al Gandhi von den Beinen. Er landete krachend neben Bob auf dem Boden, der ihn prompt mit gequältem Lächeln begrüßte. Böse funkelte Al Gandhi ihn an.
„Das war kein guter Schuss“, flötete der dritte Weise, Ludwig, mit seiner Lockenpracht und ließ sein spezielles Perückenkugelgewehr sinken.
Der Letzte unter ihnen beobachtete den vierten Weisen, Joseph, mit seinem markant feurigen Muttermal, der er begierig schnaubend seinen Sichelbart von der Nase schraubte und mit einer Nagelpfeile zu schleifen begann.
„Das ist doch Irrsinn!“, brüllte der jüngste Weise. Seine Stimme bebte und entlockte Ravehouse ein erstauntes „oh“. Immerhin war Adam der Erste hier, der seine Sprache zu sprechen schien.
„Müssen wir uns zwischen Alexander und ihm entscheiden?“
Er warf sein Jackett auf das Sofa hinter ihm und krempelte sich die Hemdärmel nach oben.
„Ganz gleich, wie wir entscheiden.“
Ein Grinsen zierte sein vergleichsweise junges Gesicht.
„Der gute Ravehouse muss Dampf ablassen.“
Al Gandhi schüttelte den Kopf. Dieser verdammte Adam. DAS war Irrsinn!
Er rotzte unverblümt auf den Boden. Jetzt, ja jetzt war es auch egal.
Platsch.
Ein dröhnendes Geräusch pochte mit schnellen Schlägen in ihren haarigen Ohren, ihr Trommelfell war zum Zerreißen gespannt, doch zu ihrem Glück sollte ihnen jener grausame Schmerz erspart bleiben.
Ba-dam.
Nicht aber die gebrochenen Knochen in ihren Armen, die geprellten Rippen und schmerzhaften Schädelfrakturen. Jede Bewegung entlockte ein unangenehmes Knacken, Zähne schmerzten, strahlten auf die Gelenke aus, Schultern waren verrengt, was auf den Kopf ausstrahlte. - Gemengt mit den Gehirnerschütterungen und dem wallenden Gehirn eine gemeingefährliche Kombination des klassischen Auf-die-Zähne-beißens. Wenn da nicht die Zahnschmerzen wären - und so ging alles wieder von vorne los. Sie waren alt, und wenn nicht deshalb, dann spätestens jetzt an der Schwelle des Todes.
„Das war ein...heidenspaß!“, flüsterte Al Gandhi und setzte sich auf den Boden neben seinen Stuhl. Laut atmend legte er sein Schwert auf diesem ab, woraufhin er krachend zusammenbrach. Verdutzt war er nicht, trotzdem zog er entgeistert eine Braue nach oben, als sein verausgabtes stählernes Blatt klirrend im Staub landete. So wie alles andere in diesem Raum, das wohl nur aus reiner Scheu noch nicht wie Putz von den Wänden gebröckelt war.
„Wir brauchen einen neuen Tagungsraum!“, raunte Joseph und strich sich an die haarlose, ungewohnt glatte Stelle unter seiner Nase, wo vor wenigen Minuten noch ein weißer, mit Pomade bearbeiteter sichelförmiger Bart trohnte - und stets Tribut in Form von Essensresten einforderte. Er spitzte die Lippen und begann zu schielen, um die kahle Stelle böse anschauen zu können. Kurz darauf, sein Körper kannte den strengen Weisen wohl nur zu gut, wuchs ein neuer Bart in die für ihn typische halbmondförmige Ausgestaltung. Zufrieden holte der Weise einen kleinen Kamm aus seiner zerrissenen Anzugtasche und streichelte sein neues, bereits liebgewonnenes Barthaar.
„Eure Meinung werdet Ihr nicht mehr ändern?“, fragte Ravehouse mit verschränkten Armen. Ein glänzendes Strahlen ging von seinem gestählten Oberkörper aus, augenscheinlich, um all diejenigen Vögel zu blenden, die unverhofft am Loch vorbeiflogen, in dem einst riesige Fenster - und eine tragende Wand - eingelassen waren, und aus Versehen den halbnackten Ravehouse erblickten, dessen Kleidung im flammenden Eifer seiner Wut verbrannt waren.
Kreischend klatschten diese gegen die noch heile Wand - oder flogen blindlings in den Raum und verfingen sich in Ludwigs lockiger Haarpracht.
Bob blickte Al Gandhi an, der er von allen Weisen fast keinen Schaden genommen hatte, und rollte sich danach wieder zusammen, um ungesehen in seinem Schmerz zu baden. Weshalb war er auch aufgestanden, um humpelnd an diesem Kampf teilzunehmen? Fünf gegen Einen. Letztlich einigte man sich auf ein Unentschieden, nachdem der erste Weise tatsächlich nicht mehr aufgestanden war - und nun ärztlich behandelt werden musste.
Dieser törichte Tunichtgut, dachte Bob und schmunzelte über diese vorzügliche Alliteration.
„Alexander wurde untersucht. Das ist einer der Gründe, weshalb wir unsere schützende Hand nicht von ihm nehmen werden!“
Ravehouse blickte Al Gandhi an, der ruhig im Schneidersitz auf dem Boden saß und sich die Brillengläser am verdreckten Gewand zu reiben versuchte. Seine, und ihre Meinung war endgültig.
Der in der Gegenwart kaffeetrinkende Beamte ballte die Fäuste, atmete jedoch auch tief ein und verließ schließlich ohne ein weiteres Wort den offenen Raum, in dem schließlich vier einigermaßen intakte Weise zurückblieben.
„Der Mann ist topfit“, murmelte Bob anerkennend und blickte Ravehouse sehnsüchtig nach.
„Sei ruhig“, bemerkte Al Gandhi, in dessen Stimme ein Seufzen Einzug hielt.
Platsch.
Ein dröhnendes Geräusch pochte mit schnellen Schlägen in ihren haarigen Ohren, ihr Trommelfell war zum Zerreißen gespannt, doch zu ihrem Glück sollte ihnen jener grausame Schmerz erspart bleiben.
Ba-dam.
Nicht aber die gebrochenen Knochen in ihren Armen, die geprellten Rippen und schmerzhaften Schädelfrakturen. Jede Bewegung entlockte ein unangenehmes Knacken, Zähne schmerzten, strahlten auf die Gelenke aus, Schultern waren verrengt, was auf den Kopf ausstrahlte. - Gemengt mit den Gehirnerschütterungen und dem wallenden Gehirn eine gemeingefährliche Kombination des klassischen Auf-die-Zähne-beißens. Wenn da nicht die Zahnschmerzen wären - und so ging alles wieder von vorne los. Sie waren alt, und wenn nicht deshalb, dann spätestens jetzt an der Schwelle des Todes.
„Das war ein...heidenspaß!“, flüsterte Al Gandhi und setzte sich auf den Boden neben seinen Stuhl. Laut atmend legte er sein Schwert auf diesem ab, woraufhin er krachend zusammenbrach. Verdutzt war er nicht, trotzdem zog er entgeistert eine Braue nach oben, als sein verausgabtes stählernes Blatt klirrend im Staub landete. So wie alles andere in diesem Raum, das wohl nur aus reiner Scheu noch nicht wie Putz von den Wänden gebröckelt war.
„Wir brauchen einen neuen Tagungsraum!“, raunte Joseph und strich sich an die haarlose, ungewohnt glatte Stelle unter seiner Nase, wo vor wenigen Minuten noch ein weißer, mit Pomade bearbeiteter sichelförmiger Bart trohnte - und stets Tribut in Form von Essensresten einforderte. Er spitzte die Lippen und begann zu schielen, um die kahle Stelle böse anschauen zu können. Kurz darauf, sein Körper kannte den strengen Weisen wohl nur zu gut, wuchs ein neuer Bart in die für ihn typische halbmondförmige Ausgestaltung. Zufrieden holte der Weise einen kleinen Kamm aus seiner zerrissenen Anzugtasche und streichelte sein neues, bereits liebgewonnenes Barthaar.
„Eure Meinung werdet Ihr nicht mehr ändern?“, fragte Ravehouse mit verschränkten Armen. Ein glänzendes Strahlen ging von seinem gestählten Oberkörper aus, augenscheinlich, um all diejenigen Vögel zu blenden, die unverhofft am Loch vorbeiflogen, in dem einst riesige Fenster - und eine tragende Wand - eingelassen waren, und aus Versehen den halbnackten Ravehouse erblickten, dessen Kleidung im flammenden Eifer seiner Wut verbrannt waren.
Kreischend klatschten diese gegen die noch heile Wand - oder flogen blindlings in den Raum und verfingen sich in Ludwigs lockiger Haarpracht.
Bob blickte Al Gandhi an, der er von allen Weisen fast keinen Schaden genommen hatte, und rollte sich danach wieder zusammen, um ungesehen in seinem Schmerz zu baden. Weshalb war er auch aufgestanden, um humpelnd an diesem Kampf teilzunehmen? Fünf gegen Einen. Letztlich einigte man sich auf ein Unentschieden, nachdem der erste Weise tatsächlich nicht mehr aufgestanden war - und nun ärztlich behandelt werden musste.
Dieser törichte Tunichtgut, dachte Bob und schmunzelte über diese vorzügliche Alliteration.
„Alexander wurde untersucht. Das ist einer der Gründe, weshalb wir unsere schützende Hand nicht von ihm nehmen werden!“
Ravehouse blickte Al Gandhi an, der ruhig im Schneidersitz auf dem Boden saß und sich die Brillengläser am verdreckten Gewand zu reiben versuchte. Seine, und ihre Meinung war endgültig.
Der in der Gegenwart kaffeetrinkende Beamte ballte die Fäuste, atmete jedoch auch tief ein und verließ schließlich ohne ein weiteres Wort den offenen Raum, in dem schließlich vier einigermaßen intakte Weise zurückblieben.
„Der Mann ist topfit“, murmelte Bob anerkennend und blickte Ravehouse sehnsüchtig nach.
„Sei ruhig“, bemerkte Al Gandhi, in dessen Stimme ein Seufzen Einzug hielt.
[kurz nach der Konfrontation der Fünf Weisen]
Stille.Niemand war da, obwohl er hier um diese Zeit nicht zu erwarten war. Ein Tropfen Morgentau löste sich von einem Blatt, das mitsamt seinem Ast über dem kleinen Teich hing.
Platsch.
Sein geschärfter Blick folgte den winzig kleinen Wellen, die sich in Kreisen vom in die Wasseroberfläche eintretenden Tröpfchen entfernten. Selbst kleinste Dinge konnten etwas bewegen. Und er, mit seiner Kraft und seiner Erfahrung, er konnte es nicht.
Ravehouse ballte die Faust, die Holzbank knarzte unter seiner angespannten Gesäßmuskulatur. Er war alleine an seinem Rückzugsort - und dennoch konnte er nicht innehalten. Er tobte innerlich.
Nein.
Risse zeichneten sich in den splitternden Holzlatten ab, auf denen er seit je her saß. Um zu ruhen, um sich vom Stress zu erholen. Weil das seiner Vorstellung vom alt werden so nahe wie möglich kam.
Leider war es zu spät, um dieser einst romantischen Idee nachkommen zu können. Ein Pärchen im Park, das Hand in Hand dem idyllischen Fleckchen Natur lauschen konnte - dem Wind, der durch die hohen Baumkronen strich, den Vögeln, die sich badeten, Entenküken, die leise schnatternd in Reih und Glied ihrer Mutter folgten.
Ein Pärchen im Park, das den Sonnenuntergang beobachtete, der hier oben in Mary Joa so nahe wie nirgends sonst den Himmel in abfallende Orangetöne eintauchte. Ravehouse legte seine flache Hand auf den leeren Platz neben sich.
Nein.
Er durfte sich nicht seiner Wut hingeben. Nicht an diesem Ort, nicht hier, wo er stets saß und ruhte. Nicht an diesem Ort, an dem er einst kniete - und innerlich betete.
Ravehouse blickte auf seinen Oberkörper, der hier in der Helligkeit des Morgengrauens noch stärker zu strahlen schien. Er rieb sich über die tiefe Schnittwunde, spürte den brennenden Wundrand, seinen Herzschlag, der beinahe sein Ende fand.
Nein.
Er wäre heute ganz sicher nicht gestorben. Adams wahrgewordener Albtraum legte sich erstmals in aller Länge auf die Bank, blickte gen Himmel und hörte ein letztes Platschen, ehe er lächelnd einschlief.
[in der Gegenwart - Impel Down]
„Klar!“Beck traute seinen wuschigen Ohren kaum, als er sich Kruegers Antwort wieder und wieder durch den Kopf gehen ließ. Vermutlich war es nicht die schlechteste Idee, sich dem Direktor anzuvertrauen. Solage die anderen nicht erfuhren, was er dem Direktor eben erzählte.
Der Kodiakbär zögerte und brummte, dann spitzte er die Ohren, während sich Schritte mehrerer Personen ankündigten. Man hatte sie gefunden.
„Dass keiner diese Stange nutzt“, murmelte Krueger, blickte nach oben und schmiegte dann seine haarige Wange an das polierte Metall. Es roch nach Sadi-chan!
„Ihnen geht es gut!“
„Hurra!“
Die Stimmen verrieten die Freude der Mitarbeiter, die sich in einer Traube aus Einheitlichkeit von einer Wendeltreppe aus den beiden Gestürzten näherten. Hinter ihnen, mit weniger Elan und vollgeschwitzter Stirn, näherte sich Magellan in schnellen Schritten, unter seinem linken Arm den dort eingeklemmten und - aus naheliegenden Gründen - weinenden Patienten, auf der anderen Seite ein Polster auf seiner rechten Handfläche balancierend, auf dem sein Klappstuhl in aller Anmut stand.
„Endlich habe ich Sie gefunden!“, rief Magellan japsend und setzte sich auf das Polster, welches sein Klappstuhl zuvor durch seine hölzerne Wärme für einen guten Sitz vorbereitet hatte.
„Hach!“, seufzte der ehemalige Direktor im Einklang mit sich selbst und streckte sich vor lauter Entspannung. Wortlos krachte der aus dem Achselgriff befreite Patient auf, wobei dessen Nase den Steinboden zuerst kennenlernte.
„Was gibt es denn?“, fragte Krueger, der sich unlängst von der noch warmen Stange lösen konnte - und blickte in die Staubwolke, die durch das Gesicht des Patienten aufgewirbelt wurde.
„Gehen wir am besten in Ihr Büro!“, erwiderte Magellan. Sein Blick traf den des Bären, worauf er sofort den Reißverschluss seines Sitzpolsters öffnete und den regungslosen Patienten darin verstaute.
„Diskretion ist eine Tugend!“, sagte er und wandte den Blick vom Bären ab. Er ballte nervös die Faust. Beinahe hätte er vergessen, dass sich Beck und der Patient noch nicht begegnen durfen. Nicht bis sie wussten, was hier genau vor sich ging.
Zum Glück hatte er heute nicht geduscht, sonst hätte er den Patienten nicht mithilfe seines berüchtigten Oberarmschultergiftes betäuben können - so nannte er es. Doch in Wahrheit war es bloß der bestialische Achselgestank, was allerdings niemals jemand herausfinden würde.
Nein. Dieses finstere Geheimnis würde Magellan mit ins Grab nehmen.
Mit dem dicht befüllten Polster in beiden Händen schritt Magellan neben Krueger zum Fahrstuhl, um sich schließlich im Büro mit diesem auszutauschen. Es war Zeit, ihr neu gewonnenes Wissen zu teilen.
Jenes von Fes.
Jenes von Beck.
Sie mussten weitermachen!
[vor einiger Zeit]
„Schau auf das, was dich glücklich macht!“
Die Stimme des Mannes zitterte, dann griff er das Ohr des Bären, zog ihn daran nach unten. Was diesen erst belustigte, immerhin war er viel größer und schwerer als sein Gegenüber, dieses hochmütige Gefühl wich der Überraschung. Mit solcher Kraft hatte er gar nicht mehr gerechnet, da wurde Beck bereits auf Augenhöhe heruntergerissen.
Es schmerzte ihn, und es kribbelte, während er Mühen hatte nicht vornüber zu fallen und vor dem Mann zu Boden zu gehen. Jenem Mann, der ihn rettete. Er wollte ihm danken, doch das aus freien Stücken. An einem geeigneteren Moment. Nicht jetzt, nicht in dieser Hektik.
„Hör mir zu“, wiederholte Becks Heiland zitternd, wie er den Griff am Ohr des Bären lockerte. Schließlich ließ er es los, um sich die Brust zu halten.
Das Schlagen seines Herzens löste ein wahres Beben in seinem Körper aus. Das Gift hatte einen Arm bereits gelähmt, jegliche Bewegung, jegliches Gefühl war aus ihm gewichen. Er konnte sehen, in verschwommenen Formen sah er das plüschige Gesicht seines Freundes, der er der Begleiter eines jeden Kindes hätte sein können. Der er ein Tier war - und menschlich zugleich. Wie ein Mensch fühlte, Leid empfand, und Dankbarkeit. Ihm gegenüber. Becks Dankbarkeit war aufrichtig und er fühlte, dass es ihn bewegte.
„Du bist zu gut für diesen Ort...“
Tränen rannen ihn über die Wangen.
„...ein Vorbild in Fesseln.“
Dann fiel er vornüber, knallte mit dem Kopf auf den Boden und der gläserne Helm auf seinem Kopf zersprang in dutzende Teile. Blut rann über seinen Schädel, lief aus den frischen Wunden seines aufgeschlitzten Gesichtes.
„Dieses Leben, diese Luft...“
Er unterdrückte die letzten Atemzüge, die ihm verblieben. Er hasste die Eigenschaften dieses Landes. Seine Intoleranz, sein Größenwahn, seine schier unermessliche Grausamkeit. Diese Eigenschaften, sie waren zwar nicht greifbar, doch trotzdem glaubte er fest daran, dass diese bösartige Aura des Landes jene Luft verpestete, die sie alle atmen mussten. Er hustete, Blut rann aus seinem Mund. Luft, die er jetzt atmen musste.
Beck blickte seinen Heiland an, griff dessen blutige Hand, griff in die Glasscherben, die sich noch in ihnen befanden. Doch es störte ihn nicht, störte nicht den Mann, der ihn durch einen trüben Schleier anblickte.
„So...flauschig.“
Noch ein letztes Mal spürte der Kodiakbär die schiere Kraft des Mannes, der er seine Pfote feste griff. Es schmerzte, zu überrumpelt war er von den verbliebenen Kräften eines sterbenden Mannes. Er biss auf die Zähne, ertrug den angenehmen Schmerz. Dann hörte er den lauten Herzschlag seines Freundes. Seine Ohren zitterten bei dem Geräusch. Der Schmerz ließ nach, der wiederkehrende Schlag, er blieb aus. Becks Herz pochte schneller denn je. Er wusste nicht, was er fühlte. Sein Körper war wie erstarrt.
Der Bär blickte seinen adeligen Freund an.
Die Farbe seiner ohnehin hellen Haut veränderte sich, die langen Haare fielen ihm aus, der braune feingetrimmte Bart verblich. Was war das für ein grausames Schicksal, selbst nach dem Tod von innen heraus...
Ein zischendes Geräusch drang an sein Ohr, ein übler chemischer Geruch stieg ihm in die sensible Nase. Es vergingen einige Minuten, bis ein saurer Regen über das Heilige Land hereinbrach. Nun schreckte er auf, als der Geruch um ihn herum nahezu unerträglich wurde.
Der Bär wandte sich jetzt endlich ab. Er konnte sich das nicht mehr ansehen. Wie die zersetzten Reste seines Freundes durch die Straßen geschwemmt wurden - das konnte er nicht.
Langsam bewegte er seine Pfote, spürte den verbliebenen drückenden Schmerz. Dann tastete er sich an sein Ohr, das noch regelrecht zu brennen schien. Er genoss diese Schmerzen.
Sie waren das letzte Gefühl, das Paul ihm mitgeben konnte. So durfte nur er ihn nennen, schließlich waren sie Freunde.
Kein Weltaristokrat und kein Freigelassener.
Sondern ein Mann und sein Tanzbär.
*
Beck stand mit seinem Tablett vor dem Tisch, an dem die Bediensteten ihre Fleischgrütze aßen.„Komm, setz dich!“, brüllten die Uniformierten unisono, wobei sie sich gegenseitig die beigen Hemden vollspuckten.
Geistesabwesend schlenderte der Bär durch den kleinen Raum, ignorierte die frische warme Pampe, die sich in seinem Fell verteilte.
Dr. Krueger vertraute ihm sein Leben an. Er hätte ihn einfach in den Tod stürzen lassen können. Doch der Mann freute sich über ihren gemeinsamen Fall.
Und er, der Bär, er spürte den Schmerz, als sich der Direktor im Fallen enger an ihn gekrallt hatte. Das war...vertraut. Er roch auch gut.
Beck blieb stehen.
Drehte sich um und schritt nun mit klarem Blick auf die Bediensteten zu, ließ ihre schiefen, spuckenden Gesänge über sich ergehen. Dann aß auch er diese nahrhafte, leckere Fleischgrütze.
Krueger war Krueger - nicht Paul. Trotzdem hatte er ein Stück der Wahrheit verdient.
Zufrieden tupfte Beck sich mit einer Serviette den Mund ab und erntete für dieses Verhalten regen Applaus. Überrascht darüber blickte er auf und sah, dass seine Esskollegen kaum noch unter der Schicht Grütze zu erkennen waren. Beck knurrte.
Er hasste Mary Joa aus tiefstem Herzen, doch dort konnten die Penner immerhin mit geschlossenem Mund essen.
„Bleiben Sie ruhig sitzen“, sagte Dr. Krueger, während er unter lautem Keuchen seinen schweren unhandlichen Stuhl hinterm Schreibtisch hervorzog und neben Magellans Klappstuhl abzustellen versuchte. Dieser beobachtete seinen Vorgesetzten nur popelnd mit überschlagenen Beinen und einem beherzten Griff in Richtung Keksteller.
„Ich möchte mit Ihnen auf Augenhöhe reden, es soll kein Blatt zwischen uns passen!“, murmelte der Direktor und legte seine Hände nun auf seinem Schoß ab. Magellan blickte diesen kauend an, dann zog er schließlich seinen kleinen Finger aus der Nase und räusperte sich verlegen.
„Ich habe verstanden!“, entgegnete er.
Die Stimmung in diesem Raum war irgendwie anders. Der Direktor war zwar schon immer verbissen, in seine Arbeit vertieft, ganz anders in seiner Amtsführung. Doch er war nie verkrampft.
Körperlich kam er bereits an seine Grenzen, als er die ganzen Streitäxte von der Wand nahm, um dieses neue Direktorenbüro nach seinen Vorstellungen zu gestalten. Doch eine mentale Verkrampfung, zögerliches Hadern? Das erlebte er bei Dr. Ryan Jay Krueger so gut wie nie. Der Mann war ein geistiges Uhrwerk, jede gedankliche Pause machte er zwischen den Sekunden. Er stand niemals still, schlief beizeiten auf seinem Schreibtisch – zugedeckt mit den Papieren, die er tagsüber so schnell beschrieb, sodass sie ihn nachts noch durch die verbliebene Reibung wärmen konnten. Genauso malte sich Magellan seinen Vorgesetzten aus.
„Beck hat nachgegeben“, sagte Krueger nun. Seine Stimme klang nachdenklich, die Worte waren langsam, geradezu bedächtig ausgesprochen worden. Er legte die Hände aufeinander, übte Druck aus, spürte die angenehme Spannung.
„Ich gehe davon aus, dass ich eine Erinnerung in ihm geweckt habe.“ Er legte eine kurze Pause ein.
„Sie kennen sicher Mr. Ravehouse?“
Magellans Magen begann zu grummeln, als er sich an eine ihrer letzten Begegnungen erinnerte.
„Es war ein...flüchtiges Treffen“, sagte der großgewachsene ehemalige Direktor kleinlaut. Er blickte in die Ecke des Raumes, in der früher noch eine kleine begehbare Toilette stand. Wo jetzt ein Bücherregal die Wand zierte, stand dort der alte Beamte, der ihn anflehte, sein Direktorenamt nicht aufzugeben. Krueger blickte den abwesend wirkenden Magellan an und seufzte.
„Er mag Psychiater nicht...besonders“, Krueger zuckte. Es fiel ihm schwer fortzufahren, weshalb er ein Schluck Wasser zu sich nahm.
„Aus dem Grund habe ich eine Kontaktperson in seinem Büro, die mir ohne Nachfragen Informationen übermittelt.“ Nun wartete er.
Er wartete auf Magellans Reaktion, die wütend, die enttäuscht sein konnte. Genau konnte er es nicht vorhersagen, da es für den ehemaligen Direktor nur zu klar war, welche Privilegien sie in diesem Amt genossen. Dass Krueger die Amtswege missachtete...
„Ist es ein ernstes Problem?“, fragte Magellan schmatzend.
„Wie...?“
Verdattert starrte Krueger den kekseessenden Gesprächspartner an. Die Stimme des Giftmenschen war völlig ruhig, ein Vorwurf war gar nicht herauszuhören. Damit hatte er nicht gerechnet.
Mit offen stehendem Mund blickte der Direktor den Uniformierten an, der ihm nun schmunzelnd einen halben Keks in den Rachen zu werfen versuchte.
„Sie denken anders als ich“, sagte Magellan und blickte gelassen den würgenden Krueger an. „Vermutlich können Sie effektiver arbeiten, sobald Sie alles nach eigenen Regeln machen.“ Der Direktor kniete sich vor seinen Stuhl und hob das krampfhaft ausgespuckte Keksstückchen mit einem Taschentuch auf.
„Sie vertrauen mir?“ Seine Verdatterung oder wie immer er dieses Gefühl der Überraschung nennen wollte, es war alles schlagartig verschwunden. Er blickte Magellan mit ernster Miene an.
„Sie sind der Direktor. Sie sind Dr. Ryan Jay Krueger!“
Er stand von seinem Klappstuhl auf und zuckte nicht einmal mit der Wimper, nachdem der hinter ihm auf dem Boden krachte. Es schien ihm so ernst wie nie zu sein.
„Ich vertraue Ihnen, Dr. Krueger!“
Das Augenlid des Direktors zuckte kurz. Das kurze Unbehagen wich jedoch dem Fortschritt, den er in seinen Gedanken zurecht gelegt hatte.
„Unsere drei Angreifer sind der ehemalige Sklave Beck Sanbroufth, Percival Ruthers, ein naher Vertrauter von Don Pizzi und unser Karatefreund...“, Kruegers Stimme blieb nicht so ruhig wie sonst, während er es aussprach.
Magellan stockte der Atem.
Pizzi war schon ein abartig großer Fisch, doch der Karatemann Harlem, er blickte Dr. Krueger an, der er nicht so geschockt war wie Magellan. War es der Trotz oder das wohlige Gefühl, wenn ihnen beiden unbehaglich war, er konnte es selber nicht mehr halten. Die Worte.
„Fes war hier, mit einer Nachricht für Sie!“
„Wie?“
Magellan erwartete ein Zittern, eine Gesichtsentgleisung. Ein Zögern des Uhrwerks namens Krueger. Doch er erhielt eine viel verwirrende Reaktion. Ruhig setzte sich Krueger auf die Tischplatte, baumelte mit den Beinen hin und her, biss in den letzten Keks, der auf dem Teller lag – und schmunzelte erfreut.
„Das ist sehr gut!“
Krueger reckte die Faust in die Höhe. Sein gedankliches Uhrwerk übersprang die übliche Rhythmik, alles ging viel schneller als sonst.
Also war der Angriff aufs Impel Down doch nur eine Botschaft an mich. Die drei Angreifer haben gar nichts miteinander zu tun, trotzdem wurden sie dazu bewegt, diesen Auftrag gemeinsam anzunehmen: Sie sollten jemanden umbringen, der sich in diesem Gefängnis befindet.
Aus Kruegers Schmunzeln wurde ein sicheres Lächeln.
Er sagt mir, dass er Einfluss hat. Dass er Einfluss auf die verschiedensten Personen hat. Ganz gleich, in welchen Kreisen sie verkehren.
„Das ist deine Botschaft, nicht wahr?“, sprach der Direktor seine Gedanken nun laut aus.
„Wie meinen?“, fragte Magellan noch irritierter als zuvor.
„Das Impel Down ist hunderte Jahre alt, beherbergt so einige Geheimnisse, die uns Direktoren gar nicht bekannt sein dürfen.“
Der jetzige Direktor sprang vom Schreibtisch auf und legte Magellan seine Hand auf die Schulter.
„Beck hat mir gesagt, dass Sie einen gewissen Havide D. Rennessey umbringen sollen!“
Kruegers Blick war wieder so typisch...Krueger.
Magellan wusste nicht genau, was an ihm vertrauenswürdig war, doch er hatte kein schlechtes Gefühl dabei, ihm zu folgen.
„Wer ist das?“, fragte er ruhig.
War diese Situation unbehaglich? Magellan zuckte.
Ein wenig.
Doch Krueger schien in seinem Element aufzugehen. Er klatschte erfreut in die Hände.
„Es gibt keinen Gefangenen, der so heißt!“ Er wollte nicht in Ekstase verfallen, obwohl seine wichtigste Entscheidung der letzten Jahre eine richtige wahr.
Zum Glück war er der Direktor. Und nicht dieser...Einfaltspinsel, der ihnen die drei Angreifer schickte.
„Es gibt keinen Havide D. Rennessey“, wiederholte Krueger die Irreführung der Drei, die in ihren Einzelzellen – oder bei sabbernden Bediensteten saßen.
„Ich werde Ihnen jede Frage beantworten, die Sie haben, doch bitte sagen Sie mir, was der gute Fes mir mitzuteilen hat!“, sagte Krueger nun ruhig – und voller Gelassenheit.
Denn er ahnte, worauf es hinauslaufen würde. Er wusste vieles über das Impel Down, das war einer der Gründe, weshalb er diesen Posten annahm.
Damit er ihn nicht bekam. Dieser Einfaltspinsel!
„Ich habe verstanden!“, entgegnete er.
Die Stimmung in diesem Raum war irgendwie anders. Der Direktor war zwar schon immer verbissen, in seine Arbeit vertieft, ganz anders in seiner Amtsführung. Doch er war nie verkrampft.
Körperlich kam er bereits an seine Grenzen, als er die ganzen Streitäxte von der Wand nahm, um dieses neue Direktorenbüro nach seinen Vorstellungen zu gestalten. Doch eine mentale Verkrampfung, zögerliches Hadern? Das erlebte er bei Dr. Ryan Jay Krueger so gut wie nie. Der Mann war ein geistiges Uhrwerk, jede gedankliche Pause machte er zwischen den Sekunden. Er stand niemals still, schlief beizeiten auf seinem Schreibtisch – zugedeckt mit den Papieren, die er tagsüber so schnell beschrieb, sodass sie ihn nachts noch durch die verbliebene Reibung wärmen konnten. Genauso malte sich Magellan seinen Vorgesetzten aus.
„Beck hat nachgegeben“, sagte Krueger nun. Seine Stimme klang nachdenklich, die Worte waren langsam, geradezu bedächtig ausgesprochen worden. Er legte die Hände aufeinander, übte Druck aus, spürte die angenehme Spannung.
„Ich gehe davon aus, dass ich eine Erinnerung in ihm geweckt habe.“ Er legte eine kurze Pause ein.
„Sie kennen sicher Mr. Ravehouse?“
Magellans Magen begann zu grummeln, als er sich an eine ihrer letzten Begegnungen erinnerte.
„Es war ein...flüchtiges Treffen“, sagte der großgewachsene ehemalige Direktor kleinlaut. Er blickte in die Ecke des Raumes, in der früher noch eine kleine begehbare Toilette stand. Wo jetzt ein Bücherregal die Wand zierte, stand dort der alte Beamte, der ihn anflehte, sein Direktorenamt nicht aufzugeben. Krueger blickte den abwesend wirkenden Magellan an und seufzte.
„Er mag Psychiater nicht...besonders“, Krueger zuckte. Es fiel ihm schwer fortzufahren, weshalb er ein Schluck Wasser zu sich nahm.
„Aus dem Grund habe ich eine Kontaktperson in seinem Büro, die mir ohne Nachfragen Informationen übermittelt.“ Nun wartete er.
Er wartete auf Magellans Reaktion, die wütend, die enttäuscht sein konnte. Genau konnte er es nicht vorhersagen, da es für den ehemaligen Direktor nur zu klar war, welche Privilegien sie in diesem Amt genossen. Dass Krueger die Amtswege missachtete...
„Ist es ein ernstes Problem?“, fragte Magellan schmatzend.
„Wie...?“
Verdattert starrte Krueger den kekseessenden Gesprächspartner an. Die Stimme des Giftmenschen war völlig ruhig, ein Vorwurf war gar nicht herauszuhören. Damit hatte er nicht gerechnet.
Mit offen stehendem Mund blickte der Direktor den Uniformierten an, der ihm nun schmunzelnd einen halben Keks in den Rachen zu werfen versuchte.
„Sie denken anders als ich“, sagte Magellan und blickte gelassen den würgenden Krueger an. „Vermutlich können Sie effektiver arbeiten, sobald Sie alles nach eigenen Regeln machen.“ Der Direktor kniete sich vor seinen Stuhl und hob das krampfhaft ausgespuckte Keksstückchen mit einem Taschentuch auf.
„Sie vertrauen mir?“ Seine Verdatterung oder wie immer er dieses Gefühl der Überraschung nennen wollte, es war alles schlagartig verschwunden. Er blickte Magellan mit ernster Miene an.
„Sie sind der Direktor. Sie sind Dr. Ryan Jay Krueger!“
Er stand von seinem Klappstuhl auf und zuckte nicht einmal mit der Wimper, nachdem der hinter ihm auf dem Boden krachte. Es schien ihm so ernst wie nie zu sein.
„Ich vertraue Ihnen, Dr. Krueger!“
Das Augenlid des Direktors zuckte kurz. Das kurze Unbehagen wich jedoch dem Fortschritt, den er in seinen Gedanken zurecht gelegt hatte.
„Unsere drei Angreifer sind der ehemalige Sklave Beck Sanbroufth, Percival Ruthers, ein naher Vertrauter von Don Pizzi und unser Karatefreund...“, Kruegers Stimme blieb nicht so ruhig wie sonst, während er es aussprach.
Magellan stockte der Atem.
Pizzi war schon ein abartig großer Fisch, doch der Karatemann Harlem, er blickte Dr. Krueger an, der er nicht so geschockt war wie Magellan. War es der Trotz oder das wohlige Gefühl, wenn ihnen beiden unbehaglich war, er konnte es selber nicht mehr halten. Die Worte.
„Fes war hier, mit einer Nachricht für Sie!“
„Wie?“
Magellan erwartete ein Zittern, eine Gesichtsentgleisung. Ein Zögern des Uhrwerks namens Krueger. Doch er erhielt eine viel verwirrende Reaktion. Ruhig setzte sich Krueger auf die Tischplatte, baumelte mit den Beinen hin und her, biss in den letzten Keks, der auf dem Teller lag – und schmunzelte erfreut.
„Das ist sehr gut!“
Krueger reckte die Faust in die Höhe. Sein gedankliches Uhrwerk übersprang die übliche Rhythmik, alles ging viel schneller als sonst.
Also war der Angriff aufs Impel Down doch nur eine Botschaft an mich. Die drei Angreifer haben gar nichts miteinander zu tun, trotzdem wurden sie dazu bewegt, diesen Auftrag gemeinsam anzunehmen: Sie sollten jemanden umbringen, der sich in diesem Gefängnis befindet.
Aus Kruegers Schmunzeln wurde ein sicheres Lächeln.
Er sagt mir, dass er Einfluss hat. Dass er Einfluss auf die verschiedensten Personen hat. Ganz gleich, in welchen Kreisen sie verkehren.
„Das ist deine Botschaft, nicht wahr?“, sprach der Direktor seine Gedanken nun laut aus.
„Wie meinen?“, fragte Magellan noch irritierter als zuvor.
„Das Impel Down ist hunderte Jahre alt, beherbergt so einige Geheimnisse, die uns Direktoren gar nicht bekannt sein dürfen.“
Der jetzige Direktor sprang vom Schreibtisch auf und legte Magellan seine Hand auf die Schulter.
„Beck hat mir gesagt, dass Sie einen gewissen Havide D. Rennessey umbringen sollen!“
Kruegers Blick war wieder so typisch...Krueger.
Magellan wusste nicht genau, was an ihm vertrauenswürdig war, doch er hatte kein schlechtes Gefühl dabei, ihm zu folgen.
„Wer ist das?“, fragte er ruhig.
War diese Situation unbehaglich? Magellan zuckte.
Ein wenig.
Doch Krueger schien in seinem Element aufzugehen. Er klatschte erfreut in die Hände.
„Es gibt keinen Gefangenen, der so heißt!“ Er wollte nicht in Ekstase verfallen, obwohl seine wichtigste Entscheidung der letzten Jahre eine richtige wahr.
Zum Glück war er der Direktor. Und nicht dieser...Einfaltspinsel, der ihnen die drei Angreifer schickte.
„Es gibt keinen Havide D. Rennessey“, wiederholte Krueger die Irreführung der Drei, die in ihren Einzelzellen – oder bei sabbernden Bediensteten saßen.
„Ich werde Ihnen jede Frage beantworten, die Sie haben, doch bitte sagen Sie mir, was der gute Fes mir mitzuteilen hat!“, sagte Krueger nun ruhig – und voller Gelassenheit.
Denn er ahnte, worauf es hinauslaufen würde. Er wusste vieles über das Impel Down, das war einer der Gründe, weshalb er diesen Posten annahm.
Damit er ihn nicht bekam. Dieser Einfaltspinsel!
Endlich wirst du mich übertreffen…
Der Mann legte seinen Kopf auf die Theke, lauschte den johlenden Gesängen. Er war so müde, obwohl um ihn herum das Leben erblühte. Männer tanzten auf den Tischen, fielen von ihnen herunter, hinein in eine Traube aus lachenden Freunden, die sie nun alle gemeinsam in einer Lache aus Schnaps und ausgespucktem Kautabak lagen. Diese Blüte. Die furchtbar stank und deshalb so einprägsam war.
Normalerweise würde er es ihnen gleich tun, denn der Anlass zur Freude war kein geringer. Er war zurückgekehrt – und deswegen gab es Freibier. Jetzt saß er da, abseits vom losen Mundwerk und den Hymnen, die sie auf ihn sangen.
„Oh wie schön, dass du noch lebst…“, weiter vermochte er die freundlich vorgetragenen Zeilen nicht zu ergänzen. Er wollte schlafen und mit einem neuen Gefühl erwachen. Mit einem Lächeln.
Besorgt schaute Alice ihn an. Er wollte nicht reden, nicht erzählen, was er erlebt hatte. Das war seine Art und vermutlich würde es sie auch nur verstören. Doch sie wusste, dass etwas an ihm zehrte. Das war auch nicht weiter verwunderlich. Ehe sie ihre Gedanken weiter fassen konnte, riss sie eine Stimme aus ihrem nachdenklichen Gesichtsausdruck. Sofort setzte sie ein Lächeln auf und wandte sich der ruhigen Person zu.
„Was möchten Sie denn?“, fragte sie routiniert interessiert.
„Ich möchte gerne bezahlen“, antwortete der Mann und zog einen Schein aus seiner unbefleckten weißen Hosentasche. Das war ungewöhnlich, wo doch die Luft durch wohlartikulierte Sabberlaute, wallende Bierrülpser und zischende Tabascofürze einen wässrigen Schleier über das Taverneninnere gelegt hatte – und jedem das letzte bisschen verschwommene Sicht zu rauben drohte. Das alles interessierte den Mann gar nicht. Stattdessen blickte er lediglich ihre Hand an, die den zerknitterten Schein aus der seinigen nahm.
„Der ganze Abend geht auf mich!“, sagte er, und sie merkte die Zurückhaltung in seiner leiser werdenden Stimme. Niemand drehte sich zu ihnen, niemand prostete ihm aus Dankbarkeit zu. Das war die fehlende Reaktion, die er am liebsten mochte. Denn es wäre nur unnötiges Unbehagen, das ihm so fern lag wie das schale Bier, das angefangen und einsam sein Dasein fristete. Kurz blickte er es an, sog den Geruch ein. Dann schüttelte er sich kurz und wandte sich wieder lächelnd der Bedienung zu.
„Bier ist nicht so meins“, flüsterte er und kratzte sich verlegen am Kopf.
„Und die große Bühne“, ergänzte sie verschmitzt und blickte an ihm vorbei auf die Männer, die sich zu einer verschwitzten Pyramide aufstapelten. Der Mann blickte auf die zitternden Arme, die ihren Halt auf dem klebrigen Untergrund zu verlieren drohten. Das menschliche Fundament drohte jeden Moment nachzugeben. Bereits nach einer halben Minute drohte der Spaß im wahrsten Sinne zu kippen, bevor die vierte Reihe mit den kleinsten Männern unter ihnen aufgebaut werden konnte. Er lächelte Alice zu, dann schritt er am einsamen schlafenden Mann vorbei und legte ihm zum Abschied die Hand auf die Schulter.
„Genieß die Nacht, du hast genug getan.“
Dann öffnete er die Tür, spürte den eisigen Windzug, der sich über seinen gestählten Oberkörper legte. Seine kalten Brustwarzen durchstießen sein dünnes graues Hemd, was zu seiner Erleichterung keiner mehr sah.
Er trat in die eisige Nacht hinaus, zog sich mit seinem linken Fuß den rechten Schuh aus und schleuderte ihn hinfort. Als er nach dem zweiten Mal barfuß im Schnee stand, riss er sich das Oberteil vom Körper und genoss die Kälte. Er zitterte nicht einmal mehr, da er nicht frieren wollte.
Darum ging er gelassen in die Nacht hinein, spürte das Kraftwerk seines Körpers, wie es ihn aufheizte und einheizte, wie es für ihn arbeitete. Er fühlte sich lebendig. Nicht durch Gesang und Getränke, die sein Innerstes in Brand versetzen konnten. Nicht durch die Gesellschaft einer freundlichen Dame oder zwei guten Freunden, die jeweils eine Schulter zum menschlichen Pyramidenbau anboten. Das war eine Welt, die er sah, jedoch nicht erlebte.
Es war seine eigene Welt, die durch seinen eigenen Eifer Gestalt und Form annahm. Bald wollte er die nächsten Grenzen überschreiten und das menschenunmögliche möglich machen. Er konnte es, er glaubte an sich, an seinen Körper, der voller Energie steckte. Der erst nachgeben würde, sobald sein Leben endete. Sonst würde ihn nichts aufhalten.
Er lächelte, es sah zwar keiner, doch er spürte seine angestrengten Mundwinkel, das, was andere als Anzeichen für ein wohliges Gefühl wahrnahmen, was er selbst im Spiegel als solches wahrnahm. Er strich sich über den Mundwinkel, freute sich innerlich. Manchmal war es gut zu wissen, was einem Glück bescherte.
Danach sprang er nach vorne und es würde einige Sekunden dauern, ehe er irgendwo im Bergtal aufprallen würde. Wo immer es sein würde, dort würde er die Nacht verbringen. Denn auch ihn überkam eine leichte Müdigkeit. Mit leichter Wehmut dachte er an die letzten Stunden. Das war ein freudiges Ereignis, das er immer noch in seiner erstaunlichen Lautstärke zu hören imstande war. Dann prallte er mitsamt seinem Körper auf, doch ehe ihn der laute Knall wecken konnte, war er bereits friedlich eingeschlafen. Immerhin war es ein langer Tag, der in Williams Rückkehr gipfelte.
Gipfelte. Hier in den Bergen. Dieses Wortspiel war bereits Teil seiner lebhaften Traumwelt, sodass ein Lächeln sein schlafendes Gesicht zierte. Das war schön!
Normalerweise würde er es ihnen gleich tun, denn der Anlass zur Freude war kein geringer. Er war zurückgekehrt – und deswegen gab es Freibier. Jetzt saß er da, abseits vom losen Mundwerk und den Hymnen, die sie auf ihn sangen.
„Oh wie schön, dass du noch lebst…“, weiter vermochte er die freundlich vorgetragenen Zeilen nicht zu ergänzen. Er wollte schlafen und mit einem neuen Gefühl erwachen. Mit einem Lächeln.
Besorgt schaute Alice ihn an. Er wollte nicht reden, nicht erzählen, was er erlebt hatte. Das war seine Art und vermutlich würde es sie auch nur verstören. Doch sie wusste, dass etwas an ihm zehrte. Das war auch nicht weiter verwunderlich. Ehe sie ihre Gedanken weiter fassen konnte, riss sie eine Stimme aus ihrem nachdenklichen Gesichtsausdruck. Sofort setzte sie ein Lächeln auf und wandte sich der ruhigen Person zu.
„Was möchten Sie denn?“, fragte sie routiniert interessiert.
„Ich möchte gerne bezahlen“, antwortete der Mann und zog einen Schein aus seiner unbefleckten weißen Hosentasche. Das war ungewöhnlich, wo doch die Luft durch wohlartikulierte Sabberlaute, wallende Bierrülpser und zischende Tabascofürze einen wässrigen Schleier über das Taverneninnere gelegt hatte – und jedem das letzte bisschen verschwommene Sicht zu rauben drohte. Das alles interessierte den Mann gar nicht. Stattdessen blickte er lediglich ihre Hand an, die den zerknitterten Schein aus der seinigen nahm.
„Der ganze Abend geht auf mich!“, sagte er, und sie merkte die Zurückhaltung in seiner leiser werdenden Stimme. Niemand drehte sich zu ihnen, niemand prostete ihm aus Dankbarkeit zu. Das war die fehlende Reaktion, die er am liebsten mochte. Denn es wäre nur unnötiges Unbehagen, das ihm so fern lag wie das schale Bier, das angefangen und einsam sein Dasein fristete. Kurz blickte er es an, sog den Geruch ein. Dann schüttelte er sich kurz und wandte sich wieder lächelnd der Bedienung zu.
„Bier ist nicht so meins“, flüsterte er und kratzte sich verlegen am Kopf.
„Und die große Bühne“, ergänzte sie verschmitzt und blickte an ihm vorbei auf die Männer, die sich zu einer verschwitzten Pyramide aufstapelten. Der Mann blickte auf die zitternden Arme, die ihren Halt auf dem klebrigen Untergrund zu verlieren drohten. Das menschliche Fundament drohte jeden Moment nachzugeben. Bereits nach einer halben Minute drohte der Spaß im wahrsten Sinne zu kippen, bevor die vierte Reihe mit den kleinsten Männern unter ihnen aufgebaut werden konnte. Er lächelte Alice zu, dann schritt er am einsamen schlafenden Mann vorbei und legte ihm zum Abschied die Hand auf die Schulter.
„Genieß die Nacht, du hast genug getan.“
Dann öffnete er die Tür, spürte den eisigen Windzug, der sich über seinen gestählten Oberkörper legte. Seine kalten Brustwarzen durchstießen sein dünnes graues Hemd, was zu seiner Erleichterung keiner mehr sah.
Er trat in die eisige Nacht hinaus, zog sich mit seinem linken Fuß den rechten Schuh aus und schleuderte ihn hinfort. Als er nach dem zweiten Mal barfuß im Schnee stand, riss er sich das Oberteil vom Körper und genoss die Kälte. Er zitterte nicht einmal mehr, da er nicht frieren wollte.
Darum ging er gelassen in die Nacht hinein, spürte das Kraftwerk seines Körpers, wie es ihn aufheizte und einheizte, wie es für ihn arbeitete. Er fühlte sich lebendig. Nicht durch Gesang und Getränke, die sein Innerstes in Brand versetzen konnten. Nicht durch die Gesellschaft einer freundlichen Dame oder zwei guten Freunden, die jeweils eine Schulter zum menschlichen Pyramidenbau anboten. Das war eine Welt, die er sah, jedoch nicht erlebte.
Es war seine eigene Welt, die durch seinen eigenen Eifer Gestalt und Form annahm. Bald wollte er die nächsten Grenzen überschreiten und das menschenunmögliche möglich machen. Er konnte es, er glaubte an sich, an seinen Körper, der voller Energie steckte. Der erst nachgeben würde, sobald sein Leben endete. Sonst würde ihn nichts aufhalten.
Er lächelte, es sah zwar keiner, doch er spürte seine angestrengten Mundwinkel, das, was andere als Anzeichen für ein wohliges Gefühl wahrnahmen, was er selbst im Spiegel als solches wahrnahm. Er strich sich über den Mundwinkel, freute sich innerlich. Manchmal war es gut zu wissen, was einem Glück bescherte.
Danach sprang er nach vorne und es würde einige Sekunden dauern, ehe er irgendwo im Bergtal aufprallen würde. Wo immer es sein würde, dort würde er die Nacht verbringen. Denn auch ihn überkam eine leichte Müdigkeit. Mit leichter Wehmut dachte er an die letzten Stunden. Das war ein freudiges Ereignis, das er immer noch in seiner erstaunlichen Lautstärke zu hören imstande war. Dann prallte er mitsamt seinem Körper auf, doch ehe ihn der laute Knall wecken konnte, war er bereits friedlich eingeschlafen. Immerhin war es ein langer Tag, der in Williams Rückkehr gipfelte.
Gipfelte. Hier in den Bergen. Dieses Wortspiel war bereits Teil seiner lebhaften Traumwelt, sodass ein Lächeln sein schlafendes Gesicht zierte. Das war schön!
Erzähler: Endlich wurde die Bestie aus ihrem Käfig gelassen!
Gelassen klopfte sich der Erzähler über seinen feinen roten Mantel und rückte seine Brille auf die Nasenspitze. Das Erscheinungsbild des vor dem Kaminfeuer im Ohrensessel sitzenden Erzählers mit ruhig melodischer Stimme und einer gewissen Süffisanz in der Kunst der thematischen Überleitung war ihm nachempfunden worden. Zu lange, über zehn Kapitel und einen Prolog, wurde er vernachlässigt. Zu lange wurde er vor der Außenwelt versteckt gehalten.
Erzähler: Wer spricht da bitte? Ich bin jedenfalls wieder da!
Vollzugsbeamter: Ihre Nacht in der Ausnüchterungszelle ist vorbei. Es ist zehn Uhr und Sie dürfen jetzt gehen.
Erzähler: Die Bestie wurde letztendlich...
[er wandte sich in Richtung des Bildschirms, den die Lesenden soeben betrachten]
...auf freien Fuß gesetzt!
Beamter: Gehen Sie jetzt bitte!
[einen Tag später]
Erzähler: Herzlich Willkommen zum World-Military-Draft. Mein Name ist Ernst und ich führe Sie alle durch diese Veranstaltung. *flüstert* Nachdem die Konkurrenz im Moderatorencasting nicht erschienen ist...
Die Menge tobte in den Rängen der Einwegarena als sie hinter dem legitimen Moderator die drei Jurymitglieder erblickten, die sich winkend und nickend den Zuschauern zuwandten.
Erzähler: *flüstert nicht – schreit sich in Rage* WIR SUCHEN EINEN NEUEN ADMIRAL!!
Die Menge tobte, indem sie laut schrie, nicht wie vorher, als sie schreiend durch die Ränge sprang und die ersten Verletzten zu beklagen waren.
Erzähler: *sich nicht beruhigend* Dafür stelle ich Ihnen nun die ehrenwerte Jury vor, bestehend aus Mitgliedern der Marine, der Weltregierung und dem Impel Down.
WUHU
Eine sich schließende metallene Kuppel der Vegapunk'schen Einwegarena hüllte die Arena in Dunkelheit. Doch ehe die Zuschauer in Panik gerieten, wurden Scheinwerfer angeworfen, worauf sich die Jurymitglieder überrascht die Hände vor die Augen schlugen. Nach einigen Sekunden, die der Moderator wartete, um die Jury den Schreck verdauen zu lassen, zeigte er auf den Mann, der Linksaußen auf einem gelben Marmorsessel saß.
Erzähler: Der großartige, der Mann mit dem Durchblick: Borsalino!!!
WUHU YEAH DADDY
Borsalino: Ui, mein Stuhl dreht sich gar nicht. Das finde ich super, maaan!
Erzähler: Der ekstatische, unbeherrschte und durchtriebene Raaaaavehouse!!!!
WUHU-HU YAY-YEAH DADDY-OH PUNK IS DAAAD
Ravehouse: Ja.
Erzähler: Hannyabal.
*Grillenzirpen*
Hannyabal: Warum sitze ich in einem Wok?
Während der Erzähler sich von der Jury abwandte und zu einem riesigen schwarzen Tuch ging, Jurymitglied #3 aus seinem Stuhl glitschte und krachend Einwegarenastaub aufwirbelte, skandierte das Publikum frenetisch DRAFT DRAFT DRAFT
Es dauerte, denn Ernst der Erzähler – der sich eben wieder misstrauisch naserümpfend in Richtung der Stimme (aus dem off) wandte – kostete die Blicke der surrenden Teleschnecken und der hübschen Frauen im Rund aus, bis er schließlich das schwarze Tuch unter einer von Borsalino stimmlich unterlegten 'La Ohhhhla'-Welle hinunterzog und einen darunter befindlichen Käfig freilegte. Hannyabal, der am Boden lag, hob die Arme, worauf er von Ravehouse argwöhnisch beäugt wurde.
Ravehouse: 'La-Ola'-Wellen werden ausschließlich im Stehen oder Sitzen begleitet, nicht im Liegen.
Hannyabal: *träumend* Irgendwann werde ich Leiter dieser Jury!
Danach hievte er sich zurück in seine Wokschale, nachdem er seine Hosentaschen mit Sand füllte, um nicht erneut herauszuflitschen.
Borsalino, die Füße auf dem Tisch liegenhabend, beobachtete die Kandidaten, die ausgehungert und zitternd den Käfig verließen.
Borsalino: Das mit dem Überlebenstraining war doch nur ein Scherz, oder?
Ravehouse: Ich finde es erheiternd.
Hannyabal: Ich sehe nichts!
Ernst legte dem ersten Kandidaten, Morgan, seine Hand auf die ausgemergelte Statur und hielt ihm seinen Flachmann hin.
Erzähler: Sie sind einer von...
Er schaute sich um.
Erzähler: …drei Überlebenden. Was qualifiziert Sie noch zum Admiralposten?
Morgan: *glucksend* Tagelang wurden wir wie Tiere gefangengehalten. Was passiert hier eigentlich?
Borsalino: Wir suchen jemanden für unsere Doppelkopfrunde!
Ravehouse: Das, und einen neuen Admiral.
Hannyabal: Ich fühle mich überga
Erzähler: Und wer sind Sie? *ignoriert den traumatisiert schluchzenden Morgan*
Iss??: Man sagte mir, das sei die Klinik für Glücksspielsucht.
Borsalino: Das war doch nur ein Scherz, maaan!
Hannyabal: Wie reagiert eigentlich das Publikum auf diese Unmenschl
Ravehouse: Admiral zu sein, das ist ein Job für echte Typen!
Borsalino: Oh ja!
???ho: Ich mach's.
Borsalino: Und was ist mit Doppelkopf?
Sie blickten auf die Narbe, die sich über das Gesicht des Schwarzhaarigen zog.
I??h?: Ich mag euren Humor!
Erzähler: Wollen Sie wissen, wer der neue Admiral wird? Wollen Sie wissen, wie das Publikum reagiert, nachdem sie erfahren würden, dass diese Arena gleich per Selbstzerstörung Platz für einen Park schaffen sollte?
Erneut wandte sich der trockene Moderator den Leuten zu, die dies hier lasen.
Erzähler: Dann freue ich mich auf eine neue Ausgabe von WMD.
[Die Scheinwerfer gingen aus]
[Die Arena explodierte]
[Es wurden keine Tiere verletzt]
[Ein Wok wurde gebraucht verkauft]
[Hannyabal fiel keine Arena auf den Kopf]
[Borsalino bekam einen Stuhl mit Rollen und einen Nagelknipser geschenkt]
[Den Stuhl ließ er umtauschen]
[Ernst sang zusammen mit Ravehouse und Sakazuki die neue Marinehymne]
[das letzte Wort, geäußert in einer zu verinnerlichenden moralischen Lehre wurde Hannyabal gewid
Erzähler: Wer spricht da bitte? Ich bin jedenfalls wieder da!
Vollzugsbeamter: Ihre Nacht in der Ausnüchterungszelle ist vorbei. Es ist zehn Uhr und Sie dürfen jetzt gehen.
Erzähler: Die Bestie wurde letztendlich...
[er wandte sich in Richtung des Bildschirms, den die Lesenden soeben betrachten]
...auf freien Fuß gesetzt!
Beamter: Gehen Sie jetzt bitte!
[einen Tag später]
Erzähler: Herzlich Willkommen zum World-Military-Draft. Mein Name ist Ernst und ich führe Sie alle durch diese Veranstaltung. *flüstert* Nachdem die Konkurrenz im Moderatorencasting nicht erschienen ist...
Die Menge tobte in den Rängen der Einwegarena als sie hinter dem legitimen Moderator die drei Jurymitglieder erblickten, die sich winkend und nickend den Zuschauern zuwandten.
Erzähler: *flüstert nicht – schreit sich in Rage* WIR SUCHEN EINEN NEUEN ADMIRAL!!
Die Menge tobte, indem sie laut schrie, nicht wie vorher, als sie schreiend durch die Ränge sprang und die ersten Verletzten zu beklagen waren.
Erzähler: *sich nicht beruhigend* Dafür stelle ich Ihnen nun die ehrenwerte Jury vor, bestehend aus Mitgliedern der Marine, der Weltregierung und dem Impel Down.
WUHU
Eine sich schließende metallene Kuppel der Vegapunk'schen Einwegarena hüllte die Arena in Dunkelheit. Doch ehe die Zuschauer in Panik gerieten, wurden Scheinwerfer angeworfen, worauf sich die Jurymitglieder überrascht die Hände vor die Augen schlugen. Nach einigen Sekunden, die der Moderator wartete, um die Jury den Schreck verdauen zu lassen, zeigte er auf den Mann, der Linksaußen auf einem gelben Marmorsessel saß.
Erzähler: Der großartige, der Mann mit dem Durchblick: Borsalino!!!
WUHU YEAH DADDY
Borsalino: Ui, mein Stuhl dreht sich gar nicht. Das finde ich super, maaan!
Erzähler: Der ekstatische, unbeherrschte und durchtriebene Raaaaavehouse!!!!
WUHU-HU YAY-YEAH DADDY-OH PUNK IS DAAAD
Ravehouse: Ja.
Erzähler: Hannyabal.
*Grillenzirpen*
Hannyabal: Warum sitze ich in einem Wok?
Während der Erzähler sich von der Jury abwandte und zu einem riesigen schwarzen Tuch ging, Jurymitglied #3 aus seinem Stuhl glitschte und krachend Einwegarenastaub aufwirbelte, skandierte das Publikum frenetisch DRAFT DRAFT DRAFT
Es dauerte, denn Ernst der Erzähler – der sich eben wieder misstrauisch naserümpfend in Richtung der Stimme (aus dem off) wandte – kostete die Blicke der surrenden Teleschnecken und der hübschen Frauen im Rund aus, bis er schließlich das schwarze Tuch unter einer von Borsalino stimmlich unterlegten 'La Ohhhhla'-Welle hinunterzog und einen darunter befindlichen Käfig freilegte. Hannyabal, der am Boden lag, hob die Arme, worauf er von Ravehouse argwöhnisch beäugt wurde.
Ravehouse: 'La-Ola'-Wellen werden ausschließlich im Stehen oder Sitzen begleitet, nicht im Liegen.
Hannyabal: *träumend* Irgendwann werde ich Leiter dieser Jury!
Danach hievte er sich zurück in seine Wokschale, nachdem er seine Hosentaschen mit Sand füllte, um nicht erneut herauszuflitschen.
Borsalino, die Füße auf dem Tisch liegenhabend, beobachtete die Kandidaten, die ausgehungert und zitternd den Käfig verließen.
Borsalino: Das mit dem Überlebenstraining war doch nur ein Scherz, oder?
Ravehouse: Ich finde es erheiternd.
Hannyabal: Ich sehe nichts!
Ernst legte dem ersten Kandidaten, Morgan, seine Hand auf die ausgemergelte Statur und hielt ihm seinen Flachmann hin.
Erzähler: Sie sind einer von...
Er schaute sich um.
Erzähler: …drei Überlebenden. Was qualifiziert Sie noch zum Admiralposten?
Morgan: *glucksend* Tagelang wurden wir wie Tiere gefangengehalten. Was passiert hier eigentlich?
Borsalino: Wir suchen jemanden für unsere Doppelkopfrunde!
Ravehouse: Das, und einen neuen Admiral.
Hannyabal: Ich fühle mich überga
Erzähler: Und wer sind Sie? *ignoriert den traumatisiert schluchzenden Morgan*
Iss??: Man sagte mir, das sei die Klinik für Glücksspielsucht.
Borsalino: Das war doch nur ein Scherz, maaan!
Hannyabal: Wie reagiert eigentlich das Publikum auf diese Unmenschl
Ravehouse: Admiral zu sein, das ist ein Job für echte Typen!
Borsalino: Oh ja!
???ho: Ich mach's.
Borsalino: Und was ist mit Doppelkopf?
Sie blickten auf die Narbe, die sich über das Gesicht des Schwarzhaarigen zog.
I??h?: Ich mag euren Humor!
Erzähler: Wollen Sie wissen, wer der neue Admiral wird? Wollen Sie wissen, wie das Publikum reagiert, nachdem sie erfahren würden, dass diese Arena gleich per Selbstzerstörung Platz für einen Park schaffen sollte?
Erneut wandte sich der trockene Moderator den Leuten zu, die dies hier lasen.
Erzähler: Dann freue ich mich auf eine neue Ausgabe von WMD.
[Die Scheinwerfer gingen aus]
[Die Arena explodierte]
[Es wurden keine Tiere verletzt]
[Ein Wok wurde gebraucht verkauft]
[Hannyabal fiel keine Arena auf den Kopf]
[Borsalino bekam einen Stuhl mit Rollen und einen Nagelknipser geschenkt]
[Den Stuhl ließ er umtauschen]
[Ernst sang zusammen mit Ravehouse und Sakazuki die neue Marinehymne]
[das letzte Wort, geäußert in einer zu verinnerlichenden moralischen Lehre wurde Hannyabal gewid
Klank. Da brannten die Scheinwerfer. Alles gehörte zur Show. Sagten sie. Zählten ihr Geld und die Menge schrie. Macht die Tür endlich zu, denn ich hör‘ sie noch immer, drei, vier und fünf. Er zählte immer weiter. Sechs, sieben, acht. Acht Haufen an Scheinen, hinter denen er sich versteckte. Guck her, niemand sieht mich. So reich war er geworden.
Klank. Da brannten die Vorhänge. Alles gehörte zur Show. Und wenn nicht. Ja, wenn nicht, war es ihnen auch egal. Während seine Anzugtypen hinten zählten und lachten, bei der Zahl acht ankamen, war es für ihn die Acht, auf die es ankam.
Oh yeah!
Da stand er auf der Bühne und achtete auf die schreienden Massen, die vor ihm in hellster Aufregung waren. So hell, wie es durch seine dunklen Gläser zu sehen war. Seine Show war das Größte, was sie je gesehen hatten. Lichteffekte, der Groove in seinen Bewegungen – die Freiheit, die er sich auf der großen Bühne nahm. War er ein Gefangener ohne Rechte, so war er hier auf der Bühne frei zu singen, nach Lust und Laune, frei in den Schritten, die er nahm. Von rechts nach links, im Sprung und Dreh. Niemand schrieb ihm vor, was er tat, solange er es tat. Das, was er seit je her konnte. Die Massen begeistern. Selbst die Höchsten in ihren Gläsern tanzten, vergaßen ihren Stand. Sie waren wie elektrifiziert. Als hätten sie einen Zug genommen - und in höchste Höhen entschwebt. Höher, als sie sich ohnehin schon sahen. So hoch, dass sie allen neben sich auf gleicher Höhe begegneten. Zu hoch, um es zu begreifen. Er war wie eine Droge, die keiner konsumierte und gleichzeitig jeder spürte. Die Geburt spielte keine Rolle mehr. Wer in ein hohes Adelshaus hineinkam, entschied der Zufall. Es war keine Leistung, etwas, was sie stets verleugneten. Himmelsdrachen und Nicht-Himmelsdrachen tanzten zusammen, da sie alle auf einer Wolke schwebten.
Klank. Hinter ihm ging die Kulisse in Flammen auf und er ließ das Mikro fallen. Zurück ging es in sein Leben, die Show war vorbei, das Wölkchen zerstoben. Er war zu gut für diese Welt. Diese Welt über den Wolken, die er auf ein noch höheres Niveau zu heben imstande war. Doch dieser kurze Zauber durfte nicht anhalten. Er richtete sich den Kragen seiner Lederjacke und stapfte von der brennenden Bühne. Zauber, der ewig wirkt, ist Normalität.
Das durfte nicht sein. Das konnte er nicht verantworten, solange er den Menschen Freude machen wollte. Was um ihn herum passiert, war schon lange kein Maßstab mehr. Die einen erfreuten sich am Geld, das er ihnen brachte, die anderen erfreuten sich am Zusammenleben, das sie erstmals in Ekstase spürten. Nur dann, nur kurz.
Er war müde. Brauchte den Schlaf. Brauchte die Kraft, um weiterzumachen. Bald auch auf der größten Bühne. Denn das, was er hier im Heiligen Land erlebte – es war nicht genug. Ein Glück waren die Menschen gierig. Sehnten sich nach mehr.
Eines Tages würde er dieses Heilige Land verlassen. Weil er zu gut war, um nur hier zu singen. Oder weil das Schicksal es so wollte. Es wollte keinen Schein in Ketten sehen. Er war keine Illusion. Doch das sollte er erst noch herausfinden.
Oh yeah!
- Für Lemon
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