Willkommen zur FF "Das Monster namens Gier".
Mir ist bewusst, dass ich lange hab auf mich warten lassen- nun bin ich hier.
Viel werde ich hier noch nicht sagen, das Wichtigste wird reineditiert.
Also genießt!
Mir ist bewusst, dass ich lange hab auf mich warten lassen- nun bin ich hier.
Viel werde ich hier noch nicht sagen, das Wichtigste wird reineditiert.
Also genießt!
Rücksichtslos bohrten sich ihre zierlichen Finger in die Spalten zwischen den kalten Pflastersteinen der endlosen Gasse. Von weitem eilte der Klang von Glockenschlägen herbei, zu dessen Takt die nach Halt suchenden Arme des Kindes den trägen Körper hinter sich herzogen. Ihre Beine unterstützen die Kleine schon lange nicht mehr. Deshalb kroch sie über den Boden, beschmutzte das gelbe Sommerkleid und ihr kastanienbraunes Haar ermattete unter einer Schicht von Staub. Tränen der Verzweiflung rannen über die Backen des Mädchens und ließen ihr bleiches Gesicht im nächtlichen Mondlicht silbern schimmern. Sie durfte nicht aufgeben.
Die Welt verschwamm, die beiden Häuserreihen um sie herum verwandelten sich in bedrohlich-dunkle Schatten, die sie einzukesseln versuchten und der gepflasterte Weg unter ihr in einen silbergrauen Teppich, der ihr die Kräfte aus dem Leib zu ziehen schien. Sie durfte nicht aufgeben.
„Wohin des Weges, junge Dame?“. Tränengeblendet nahm sie den hageren Mann im blauen Anzug nicht wahr, der ihr die Hand zum Aufstehen reichte. Erst als der Fremde seine Frage wiederholte, reagierte die Trauerstumme auf den großen Unbekannten, packte mit ihren Händen den ausgestreckten Arm und ließ sich behutsam von ihrem Retter auf die Beine ziehen. Mit neu geschöpfter Kraft ging das ungleiche Paar los. Der Blaue und die Gelbe.
Mut und Sicherheit wuchsen in ihr, als sich ihre zierliche Hand in seiner Faust trocknete und wärmte. Die schwarzen Schatten der Häuser, die sie zuvor noch eingeschüchtert hatten, schrumpften, während der kräftezehrende Sog des Pflasterbodens versiegte. Das kleine Mädchen war nicht mehr die ängstliche Gefangene dieser Gasse. Als sie zu ihrem Retter nach oben schielte, huschte ein Lächeln auf ihre trockenen Lippen. Seine Augen lächelten zurück.
„Wohin des Weges?“, versuchte es der Retter in Blau erneut.
„Ich bin auf der Suche nach meiner Mami.“
„Dann lass mich dir helfen. Wo hast du sie denn verloren?“. Das unerwartete Knarzen in seiner Stimme ließ das kleine Mädchen zurückschrecken und sie piepste verunsichert: „Nicht verloren.“
„Deine Mutter macht sich bestimmt bereits Sorgen. Was machst du hier so ganz allein an einem solchen Ort?“, bohrte er aggressiv weiter. Panik wuchs. „Sie sagte, ich solle weglaufen.“ Ihr Herz fing an, stärker zu pochen als zuvor. Ihre Schläfen pulsierten in dem unrhythmischen Takt des verängstigten Organs und pressten sich gewaltsam in den Kopf der Kleinen. Währenddessen zuckten die kindlichen Muskeln, teils aus Angst und teils in der Hoffnung, sie aus der sich anbahnenden Starre rauszureißen. Vergeblich, sie blieb wehrlos.
„Vor wem läufst du weg?“
Ihr Herz stoppte. Seines raste.
Plötzlich schoss das Gesicht des Mannes auf das ihre zu und ließ ihr keine Zeit, auf diesen Angriff zu reagieren. Seine astdürren Finger, die kurz zuvor noch fest umschlossen von ihrer schweißnassen Faust waren, krallten sich nun ihre linke Schulter. Er zwang sie in eine feste Umarmung. Ihre Nasen berührten sich. Das Mädchen starrte in malachitgrünen Augen hinein, und diese starrten mit einer wilden Verbissenheit zurück. Geschockt, starr, gefangen.
Die Gelbe brachte nicht genug Kraft auf, um diesem Todesgriff entfliehen zu können. Ihre vergebene Mühe reichte gerade noch für ein verzweifeltes Flehen: „Bitte, tu mir nichts“. Ihr Wimmern schien ihren Angreifer nicht abzuhalten, im Gegenteil. Seine unbarmherzigen Finger drangen nur noch tiefer in das junge Fleisch ihrer Schulter ein. Die Blutströme vermischten sich mit den Eimern Angstschweiß, den ihr der Blick in die bedrohlich grünen Augen dieses gnadenlosen Monsters aus dem Körper trieb. Ihr einst kindliche Freude ausstrahlendes Sommerkleid ertrank in den widerlichen Körperflüssigkeiten und zurück blieb ein nasses Stück Elend, welches am verwundeten Körper eines jungen Mädchens klebte.
Genau dies schien das Monster zu genießen. Seine Hakennase gierte nach dem süßlich stechenden Angstgeruch seines Opfers, während die manischen Augen die roteglänzende Schulter krankhaft musterten.
„Hör auf. Ich will zu …“, sie vollendete ihren Satz nicht, als das Monster den Zeigefinger seiner freien Hand unter das vor Schreck starrende Auge des Mädchens setzte, um Tränen zu zerdrücken.
Nach einer langen Pause, die sich für die Bedrohte wie eine Ewigkeit anfühlte, fing er wieder an, zu sprechen: „Lass uns deine geliebte Mutter finden.“
Mit diesen Worten hievte das Monster die Kleine hoch, warf sie über seine nach vorne gezogene Schulter und trug sie wie einen nassen Sack. Bei jedem seiner langen Schritte schlug der Kopf des Mädchens auf den buckeligen Rücken ihres Entführers, passend zum Takt der immer noch klingenden Stadtglocke.
Mami, bitte. Wo bist du?
Arc I: Die Verstoßenen
Unbeirrt drückte er sich nach dem unerwarteten Fall wieder auf die Beine, säuberte kurz seine verdreckte Hose, trieb sich mit der Hand schwarzen Strähnen aus dem Gesicht und lief weiter. Er blickte nicht zurück zu dem fremden Bein, über welches er gestolpert war. Das Einzige, was ihn an diesem kalten Mittag interessierte, war sein rechtzeitiges Erscheinen auf dem Marktplatz.
Laute Glockenschläge hallten durch die menschengefüllten Straßen Blackburnes und kündigten das große Ereignis an. Rücksichtlos schubsten, pressten und drückten sich die Einwohner der Stadt gegenseitig aus dem Weg. Gierige Schaulust zwang sie. Dabei nahmen einige unsanft Kontakt mit dem nassen Pflasterboden und den rauen Häuserwänden auf. Ungeduld breitete sich rasch unter ihnen aus und erzeugte genug Lärm, um den rhythmischen Klang der auf Dächer klopfenden Regentropfen gnadenlos zu verschlucken.
Geschickt zwängte sich der Jugendliche durch die Lücken in der wandernden Menschenmasse und zog damit abfällige Blicke auf sich. In seiner Eile blendete der Schwarzhaarige diese gekonnt aus, genauso wie den Rest seiner Umgebung. Hierbei half ihm ein alter Bekannte der Stadt, der Nebel, der nahezu täglich die Gassen und Wege sämtlicher Stadtteile trübte. Er verschwendete keinen Gedanken an die rostroten Backsteinhäuser mit den dunkelgrauen Ziegeln, die unter dem Einfluss des Regens leicht glänzten. Und keinen Gedanken an den gepflasterten Weg unter ihm, von dessen Härte er sich an diesem Tag bereits selbst überzeugen konnte. Dieses Gebiet war sowieso nicht Teil seiner Welt.
Links, rechts, Sprung. Wie ein flinkes Messer durch Fleisch glitt er ungebremst durch die Menge und ließ ihn hoffen.
Wenn es so weitergeht, bin ich rechtzeitig dort. Ich schaffe es.
Doch genau in diesem Moment spürte er eine unerwartete Kraft in Form einer klobigen Hand, die an seinem Kragen zerrte und ihn nach hinten riss. Er landete abermals auf dem regennassen Boden.
„Drängel dich gefälligst nicht vor, du lausiger Wicht!“, befahl die dickliche Blondine, zu welcher die Hand gehörte. Der Jugendliche starrte in blaue Augen.
Fass mich nicht an, fette Kuh. Ich darf hier keine Zeit verlieren.
Blitzschnell richtete er sich auf und versuchte wieder an ihr vorbeizuspringen. Seine Gegnerin verhinderte dies mit einem schrillen Schrei, welcher den hochgewachsenen Mann zu ihrer linken alarmierte. Reaktionsschnell trieb er das verdreckte Ende seines Gehstocks in die Magengrube des Jugendlichen. Daraufhin sackte der Angegriffene mit Schmerzen im Bauch zusammen.
Glücklich darüber applaudierte die Blondine dem älteren Herrn, der seine silberglänzende Brille zurechtrückte, und sie musterte nun den Wicht ausführlicher.
Zuerst glitten ihre Augen abfällig über die zerzausten, regendurchnässten Haare, den dreckigen Mantel, der seinem Träger eindeutig einige Nummer zu groß war, und die in Mitleidenschaft gezogene Hose und Schuhe. Ihr Blick verharrte einige Zeit auf seiner krummen Hakennase, die scheinbar bereits einige Brüche zu verkraften hatte. Kopfschüttelnd.
„Deinem Aussehen nach zu urteilen, sollte man dir noch beibringen, wie du dich in unserem Teil zu verhalten hast, Bengel. Du hältst dich hier gefälligst an die Regeln. Was du bei dir dort drüben machst, interessiert uns nicht, verstanden?“, drückte sie voller Ekel aus dem zwischen zwei fetten Backen gefangenen Mund, wandte sich an den Retter mit Gehstock und fügte die Schweinenase rümpfend hinzu: „Ich hab mir sagen lassen, dass sie sich gegenseitig die Köpfe einschlagen.“ Daraufhin näselte ihr Gesprächspartner: „Na bestens. Sie haben sich ebenfalls als Problem erkannt und möchten sich loswerden.“ Beide verfielen in ein hämisches Gackern und schenkten dem am Boden liegenden keine Beachtung mehr. Antworten waren verpönt, verboten. Zorn stieg in ihm auf, seine Fäuste ballten sich wie von selbst. Schmerzendheiße Tränen füllten seine Augen.
Immer wieder dieselbe Scheiße mit euch Pennern.
Und ehe er mit sehnenglänzenden Knöcheln weiterpreschte, spürte er fremde Hände an seinem Körper, die ihn zur Seite drängten. Wo kurz zuvor noch ein kleiner Zwischenraum gewesen war, durch den ein motivierter Drängler schlüpfen konnte, war nun eine kollektive Masse zusammengedrückter Menschen. Denn sie räumten den Weg in der Straßenmitte frei, sodass dort eine leere Gasse entstand. Der Schwarzhaarige kämpfte nicht an und fügte sich, weil er den Grund dafür kannte. Der Lärm verstummte und jegliche Augen waren sofort auf den blonden Hünen in grauem Umhang gerichtet, der in der Mitte der Straße an allen gemächlich vorbeizog. „Sir Victor Blythe“, murmelte er.
-6 Jahre später-
Es sieht wieder nach Regen aus.
Seine grauen Augen musterten den Himmel sorgfältig, ehe er den Blick wieder auf die beiden Menschenreihen zu seiner Linken wie auch zu seiner Rechten legte. Mit gesenkten Köpfen räumten sie voller Ehrfurcht den Weg für den Schwarzhaarigen frei, sodass manche unbequem an die Wände der Häuser gepresst wurden und das Rot hinter ihnen kaum zu erkennen war. Als er die Mitglieder der Anhäufung musterte, bemerkte er, dass alle möglichen Schichten vertreten und diese an Hand der Kleidung sowie des Vorneigungswinkels des Hauptes unterscheiden ließen. Zähneknirschend schlenderte er an dem Volk vorbei.
„Doch kein Sonnenschein an diesem besonderen Tag. Aber wenigstens sind alle gekommen. Wohl auch das Wichtigste, oder Devlin?“, krächzte der ältere Mann in Handschellen, der einige Fuß hinter dem Schwarzhaarigen her trottete. „Es tut mir leid, Herr Nathan“, bedauerte er ehrlich, während er mit einem müden Blick ziellos die Reihen abklapperte. Beide marschierten gemäßigt motiviert durch die herbstkalte Stadt.
-Buchanan Circus, kurze Zeit später-
Mit viel Schwung versuchte der kalte Wind, Devlin von der hölzernen Bühne zu blasen, welche am Fuße des Glockenturms aufgebaut war. Die erhöhte Position ermöglichte dem jungen Mann in die Gesichter der Leute zu blicken, die nur erahnen konnten, was alsbald geschehen würde. Kinder, Frauen, Männer, Alte, Arme, Reiche. Alle drängelten und schubsten, kletterten selbst auf den Brunnen, der das Zentrum der Fläche darstellte, nur um einen besseren Blick zu erhaschen. Der runde Marktplatz war trotz der Kälte und dem nahenden Gewitter maßlos überfüllt mit schaulustigen Gaffern und Menschen, die nicht glauben wollten, was der Schwarzhaarige und der Blonde planten.
„Und hiermit verurteile ich“, rief Devlin mit so viel Kraft in seiner rauen Stimme wie möglich, „den Herrn Nathan Butler zum Tode durch den Strang!“ Auf der Holzvorrichtung neben ihm kniend, schüttelte der alte Mann fassungslos den Kopf und sie sahen zusammen mit an, wie Gejammer, Gebrüll und Geschrei nahezu zeitgleich unter dem wolkigen Himmel einsetzten.
Der Lärm war dermaßen ohrenbetäubend, dass Devlin nur einzelne Fetzen der protestierenden Menge entnehmen konnte.
„Wie können sie bloß? Nathan war doch immer für uns da!“, brüllte eine dicke Magd, während sie mit ihrer linken Faust energisch in der Luft fuchtelte.
Ein kleinwüchsiger Metzger nicht weit von ihr, jammerte aufgebracht: „ Was ist denn zurzeit bei euch los? Verdammt, wir haben ein Recht darauf, zu erfahren, was gerade passiert!“.
„Wie alt ist das Kerlchen da oben, 21? Was weiß schon so einer wie er? Naja, wer weiß. Vielleicht sollten wir lieber diesen Teufel da töten. Würd` uns bestimmt einiges erleichtern“, kam es aus einer anderen Richtung. Wo der Devlin auch hinschaute, kaum jemand gab sich mit jenem Urteil zufrieden. Flächendeckend aufgebrachte und erzürnte Mienen. Mit einem leisen Räuspern signalisierte der dritte Mann auf der Holzbühne, der sich neben ihm aufgestellt hatte, ordnungsgemäß einzuschreiten und die Lage wieder unter Kontrolle zu bringen. Doch wie?
Gefällt dir das etwa, Victor? Nichts anderes hast du doch erwartet, hoffentlich bist du zufrieden. Denn dann ist es wenigstens einer hier.
Mit erhobenem Arm und einem Schritt vorwärts bat Devlin die Versammlung um Ruhe. Vergeblich, denn diese brüllte ungezähmt weiter. Leicht verunsichert zupfte er am Ärmel seines schwarzen Mantels und sprach: „Herr Butler soll nicht den…“. Als der Schwarzhaarige merkte, dass es zwecklos war, da seine Stimme vom tosenden Lärm der aufgewühlten Menge gnadenlos verschluckt wurde, spürte er Victors kaltblauen Blick, ihn von der Seite niederstechend. Ratlos huschten seine sturmgrauen Augen abermals durch die Reihen, auf der verzweifelten Suche nach der richtigen Antwort. Doch stattdessen fand er die Falsche. Ava Leigh Ducson.
Ihre spitze Nase zeigte in seine Richtung. Die Blicke trafen sich. Bernsteinrot fräste sich in seinen Kopf, ließ sowohl sein aufgeregtes Herz schneller schlagen als auch seine angespannten Muskeln erstarren. Wie gelähmt sah er dem Mädchen in seinem Alter zu, wie sie sich eine Strähne ihres kurzen kupferfarbenen Haars hinter ihr Ohr klemmte, enttäuscht den Blick abwendete und spurlos in der Menge abtauchte. Dieser kurze Moment genügte und Panik attackierte. Mit einer massiven Eisenkette schürte sie sich um seine Brust und erschwerte dem jungen Mann das Atmen. Drückte dabei seine Rippen zusammen, sodass sie einen verhängnisvollen Käfig für Herz und Lungen darstellten. Sein Herz versuchte gegen die Bedrohung anzukämpfen und hämmerte fleißig in einem hohen Tempo dagegen, doch es bleib eingesperrt.
Den Schock bemerkte Butler, der mit seiner rechten Hand den weißen Bart streichelnd anmerkte: „Frauen sind während der Arbeit eine unglaubliche Plage…da hab ich auch noch ein paar Geschichten auf Lager, Jungchen.“
Unfähig, seinen angespannten Körper zu rühren. Devlin ließ stumm den kalten Wind über sich fließen, die scheinbar unaufhaltbaren Proteste der tosenden Menge auf sich einhageln, als plötzlich sein blonder Kollege einen Schritt nach vorne trat und unmittelbar die Aufmerksamkeit der Aufgebrachten auf sich zog. „Ruhe!“, rief er mit seiner kantigen Stimme und versiegelte die Lippen jeglicher Bürger, die diesem Spektakel beiwohnten. Sätze endeten unerwartet abrupt, niemand traute sich mehr, Laute von sich zu geben. Einzig und allein der pfeifende Wind.
Strenge und Enttäuschung waren in das abgehärtete Gesicht des blonden Mannes geschrieben, während er die Stille mit seinen eigenen Worten füllte: „Was du Casse gerade vermitteln wollte, ist die Relevanz von Tagen wie diesen für die gesamte Bevölkerung von Auburn Arch.“ Sie hingen an den spröden Lippen des Redners, der bei diesen Worten die muskulösen Arme wie zu einer Umarmung ausbreitete, ehe er mit kräftiger Stimme fortfuhr: „Ich gebe zu, dass es in letzter Zeit nicht einfach war“, woraufhin er bedrückte schnaufte. „Aber es gibt Regeln, die eingehalten werden müssen. Von jedem von uns. Andernfalls“, sein Zeigefinger deutete auf den schmunzelnden Greis, „ist eine Strafe fällig. Aus welchem Grund? Wie viele sicherlich bereits bemerkt haben, ist die Zahl der Piraten und auch Marine-Soldaten in diesem Gewässer drastisch angestiegen. Zeiten werden unruhiger. Und wo Piraten und Soldaten sind, dort folgen Kämpfe. Schmerz. Unglück“, seine kalten Augen glitten durch die Reihen, um sich zu vergewissern, die Aufmerksamkeit aller Zuhörer zu haben, „Tod und Verderben. Aber Sicherheit kostet nun mal, was ein Mann wie Butler doch am besten wissen müsste. Verlange ich zu etwa zu viel? Du zahlst, du lebst. Du weigerst, du stirbst.“ Angst war ihnen deutlich ins Gesicht geschrieben, was Victor ein Triumphlächeln in seines zauberte, welches es dringend zu unterdrücken galt. Er hatte sein Ziel erreicht.
„Nathan Butler, so tüchtig, gehorsam, hilfreich und vertrauenswürdig du auch jemals warst, so sehr du uns auch im Kampf gegen das Verbrechen über all die Jahre hinweg unterstützt hast“, sagte er, während er seinen Oberkörper zum alten Mann wandte: "Du musst heute sterben!“
Die schwarzen Flügel ließen sich kurzzeitig vom Wind auftreiben, als die Augen des Raben die stumme Menschenmenge unter sich musterte. Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit galt einer hölzernen Bühne und den Personen, die sich auf dieser befanden. Neugierig gesellte sich der Dunkelgefiederte zu den anderen Vögeln, die Platz auf den Dächern rings um den kreisrunden Platz gefunden hatten. Alle erwarteten gierig das Ende.
„Bist du endlich fertig?“, spuckte Butler zusammen mit reichlich Zorn aus seinem trockenen Mund heraus und starrte dabei in die kaltblauen Augen von Blythe. Obwohl der alte Mann mit gefesselten Händen zu Füßen seines Peinigers kniete, war keinerlei Anzeichen von Angst bemerkbar. Kurz vor demnahenden Tod schimmerte grenzenloser Hass in den grünen Augen. Keiner der beiden Männer durfte dem Anderen unterliegen.
„Diese Stadt… nein, die gesamte Insel verdient etwas Besseres als einen dreckigen, geldeintreibenden Piraten, der sich zusammen mitseinen Männern und dem Feigling von König hinter Reichtum zu verstecken weiß.Du sollst für Sicherheit und Ordnung sorgen? Du?“ Er konnte das verächtlicheSchnauben nicht unterdrücken, bemühte sich dabei auch gar nicht. Also fuhr er genauso wutentbrannt fort: „Ihr pumpt dieser Stadt Leid und Trauer in die Venen, macht die Menschen abhängig von euch.“ Er leckte sich über die Lippen: „Du bringst das Schlimmste in den Menschen hervor- diese Fähigkeit hast du bereits oft genug unter Beweis gestellt. Und anschließend hast du noch den Anstand, dir stolz auf die Schulter zu klopfen. Ihr verdammten Bastarde kotzt mich an.“Tränen mischten sich indes in die betagten Augen und seine trockenen Lippen bebten unkontrolliert. Lodernder Zorn verbrannte den Angeklagten von innen. Zähneknirschend und Fäuste ballend glotzte Nathan in das unbeeindruckte Gesicht seines Gegners, der mit seiner Kühle den Worten Butlers nahezu jegliche Kraft raubte. Die Anschuldigungen erzielten keine Wirkung. Verwirrt darüber wandte sich der Weißhaarige ans Volk, welches ebenfalls von der Gelassenheit des Blonden verunsichertwar und demnach unentschieden, auf wessen Seite es sich zu schlagen habe.
Rücksichtshalber entfernte Victor die Last der Entscheidung von den Schultern, als er mit seinen Ausführungen begann:„Vor fünf Tagen starben drei Leute während einer Schießerei in der Bow Street. Unter den Opfern befand sich leider eine unschuldige Mutter und ihr Sohn. Dieser Mann, unser ehemaliger Held, ist für diese Tragödie allein verantwortlich!“ Während Victor dies mit betont viel Verachtung in der kantigen Stimme ausspuckte, deutete sein Zeigefinger demonstrativ und verurteilend auf Butler. Ein leises Raunen eilte durch das Publikum.
„Arme Miss Amy Browns, armer Freddy Browns. Beide sind vollkommen unnötig seiner blinden Rage zum Opfer gefallen und es tut mir unendlich leid.“ Traurig schüttelte er den Kopf und wertete das Gemurmel seiner gespannten Audienz als gutes Zeichen.
„Wovon sprichst du da?“, meldete sich daraufhin sein Gegner,der verunsichert seine grünen Augen durch die Reihen huschen ließ. Unzählige starrten den Mann auf dem Podest voller Argwohn zurück. Gleichzeitig schirmten die Hände der dazugehörigen Blicke die murmelnden Münder ab. Die unverständlichen Lauten begannen sich zu vereinen und bauten sich vor Nathan wie eine mächtige Welle zu einem bedrohlichen Raunen auf.
„F-freddy und Amy sind t-tot? A-aber…“, setzte Nathan perplex an, als Blythe ihn unterbrach: „Am besagten Tag ist der Herr Polizist mit einer Knarre, welche er mit vielen Kugeln und eben so viel Wut geladen hatte, auf meine Männer losgegangen. Sein Ziel war die Zerstörung der Ordnung. Beim Versuch, diesen wütenden Greis zu stoppen,bevor er unserer Bevölkerung Schaden zufügen konnte, ließ einer meiner tapferen Männer sein Leben-und mit ihm zwei Unschuldige.“ Der Blonde presste mit viel Kraft Tränen aus seinen Augen, und tatsächlich kullerte eine über seine raue Wange. Daraufhin wurden seine Anstrengungen mit flächendeckendem Schluchzen auf dem Buchanan Circus belohnt.
„Ich selbst habe versagt, jene Zwei zu beschützen und es schmerzt mich sehr. Es schmerzt, mein Versprechen, euch… uns alle zu beschützen, nicht eingehalten zu haben. Ich bitte euch, mir zu verzeihen. In Zukunft werden wir gemeinsam verhindern, dass Leute wie er Menschen, die auf uns bauen -Menschen wie Amy und Freddy- ihres Gefühls der Behutsamkeit berauben.“
Tosenden Wasserbergen gleich, die rücksichtslos mit steinernen Klippen kollidierten, hallte der ohrenbetäubende Applaus unter dem wolkenverhangenen Himmel und legte sich wie ein tonnenschweres Gewicht auf die Schultern des Todgeweihten. Und trotzdem versuchte der alte Mann tapfer dagegen anzukämpfen, als er schrie: „Halts Maul, du verdammter Lügner! Du hast sie umgebracht und möchtest mir das nun anhängen!“ Verzweiflung schmiegte sich an seine Stimme, weil seine Botschaft in den tobenden Wellen unbemerkt unterzugehen drohte: „Das alles ist ja nur passiert, weil ich mich für die beiden eingesetzt habe. Amy ist weinend zu mir gekommen… hat mich gebeten, ihr zu helfen. Deine dreckigen Männer haben diese Frau verarscht, gedemütigt und v…“
„Du hast sie umgebracht, Nathan. Schau dich doch um! Denkst du wirklich, es interessiert sie, was du zu sagen hast?“, flüsterte sein Gegner und deutete auf die immer noch jubelnde Menge unter ihnen. „Aber…“, erwiderte Butler mit merklich weniger Kraft, was jäh von seinem Gegner unterbrochen wurde: „Nichts aber. Es ist vorbei, alter Mann!“
Bei diesen Worten, sackte der gebrechliche Körper allmählich zusammen und es schien, als ob der Strick der einzige Grund war, weshalb der Oberkörper Nathans überhaupt noch aufrecht stand. Damit erloschen weitere Funken Hoffnung, die Nathan Butler hegte. Unter der Last dieser Anschuldigung brach er immer mehr zusammen. Er verlor die Kontrolle. Sein Atmen war ein hastiges Keuchen, als seine Lungen unersättlich nach Luft gierten. Egal wie viel Sauerstoff er durch seine spröden Lippen sog, es war nicht genug. Er fühlte,wie sich die Schlinge gefährlich nah an seinen Hals schmiegte, weshalb seine vor Schreck geweiteten Augen in der verräterischen Menge nach Verbündeten suchten. Vergebens, er war allein. Der Blick zur rechten Seite offenbarte ihm Argwohn, ein Blick zu seiner linken Enttäuschung. Ein unkontrolliertes Zittern befiel seinen gealterten Körper, als ihm klar wurde, dass er verloren hatte. Sein Leben, sein Ansehen, seine Wahrheit. „Bitte…“, presste er beinaheschon demütig schluchzend aus seinem rauen Rachen, während Tränen seine Wangen runter rannen und auf den hölzernen Untergrund tropften. Wenigstens verlor seine Sicht dadurch an Schärfe, weshalb ihm weitere Blicke in die strafendverurteilenden Gesichter der Zuschauer erspart blieben.
„Das ist nicht richtig, Victor. Diese gesamte Hinrichtung ist ein gewaltiger Fehler.“, mahnte sich Devlin plötzlich, der den Anblick des gebrochenen Mannes, der neben ihm kniete, kaum noch ertragen konnte. Seine Hände waren bereits zu schmerzenden Fäusten geballt und mit einer dünnen Schicht Blut überzogen, welches unter seinen Fingernägeln hervorquoll. „Das wird nicht gut enden!“ Die Zuschauer bekamen von diesem kleinen Aufstand nicht viel mit, weil der Lärm Devlins Worte verschluckte. Der Schwarzhaarige mied es, in das zornige Gesicht Blythes zu blicken, seine strenge Wut spürte er in der darauffolgenden Antwort: „Was sagte ich noch gleich, was passieren würde, wenn du dich hier einmischst?“ „Aber…“, fügte der junge Mann zähneknirschend hinzu, woraufhin Victor mit noch mehr Strenge konterte: „Ich meine es ernst.“ Die Kälte in seiner Stimme war angsteinflößend und Devlin bohrte in seiner Machtlosigkeit seine Nägel noch tiefer in sein eigenes Fleisch.
„Ich habe dich gleich gewarnt, dass deine Gespräche mit dem alten Mann keine gute Idee waren, weil ich Sowas bereits geahnt habe. Sei einbraver Junge, halt deine Klappe und lass uns Erwachsene das klären. Obwohl ich doch tatsächlich gehofft habe, dass du so weit bist. Wir reden später.“
Daraufhin wandte er sich wieder seinem eigentlichen Opfer zu: „Ich sage dir die Wahrheit, wie ich die gesamte Situation betrachte. Jetzt, genau in diesem Moment, empfinde ich Verachtung für dich und deine widerliche Schwäche. Tatsächlich habe ich mehr von dir erwartet.“ Kaum mehr als ein leises Flüstern, trotzdem mit genug Kraft geladen, den Lärm zu durchdringen und die gewünschte Reaktion zu provozieren. Ein letztes Aufbäumen gegen den Mann, der ihm alles geraubt hatte. Das Feuer bahnte sich noch einmal einen Weg durch seinen zitternden Körper und spannte jegliche Muskeln an. Vielleicht hatte er auch Devlin den finalen Kraftschub zu verdanken, der den Tränenfluss versiegen ließ und den Zorn aus seinen Fesseln befreite. Nathan war bereit, seinen Gegner in Flammen aufgehen zu sehen, indem er ihn an seinem wundesten Punkt traf. Aus diesem Grund konzentrierte er seine letzten Kräfte in seine Stimme, die rücksichtslos durch die Gespräche der tratschenden Menschenmenge schnitt und sie unmittelbar verstummen ließ. Er genoss die volle Aufmerksamkeit und wollte sie gewinnbringend nutzen: „Victor Blythe ist ein V…“ Weiter kam er nicht.
Das Geräusch eines umgelegten Hebels zusammen mit dem Öffnen einer Tür, dem Sturz eines Körpers und dem Bruch eines Genicks unterbrach Nathans letzte Verteidigung. Kein Jubel, kein Applaus. Die leblose Leiche baumelte sanft im Wind hin und her, während sie mit seinen weit aufgerissenen Augen auf den gefüllten Platz glotzte. Dabei heftete sein glasiger Blick beinahe unheimlich auf den Menschen, die urplötzlich Unbehagen packte. Die einst Gierigen zwangen sich, ihre Häupter demütig zu senken, weil sie es nicht wagten, in die Augendes gefallenen Helden zu schauen. Die Realität erfasste sie und ließ sie sprachlos zurück.
Eine brünette Frau mittleren Alters schlug es unerwartet auf die wackligen Knie und sie drückte sich ihre Finger mit Gewalt an die Schläfen, ein älterer, schwarzhaariger Mann presste seine Hände wie zu einem Gebet zusammen. Als Devlins Augen durch die Menge jagten, erkannte er, wie Ekel, Scham und Angst sich in die fassungslosen Gesichter seiner Mitbürger fraßen. Gefühle, die er nur allzu gut kannte. Momente der Anspannung vergingen. Die Erlösung ereilte die schockierten Zeugen in Form von fröhlichen Rabengesängen, welche das Ende der Veranstaltung am Buchanan Circus markierten. Als die schwarzgefiederten Vögel sich von den Dächern lösten und das Schafott anvisierten, ergriffen die Bürger panisch die Möglichkeit zur Flucht. Zu spät, dachte sich Devlin. Dem Teufel hatten sie bereits Eintritt gewährt.
„Rührst du auch nur einen Finger, werde ich euch Schmerzen zufügen. Du weißt, ich halte meine Versprechen.“, murmelte Victor kühl und gab damit Devlin zu verstehen, was er von ihm verlangte. Die Raben landeten.
Sobald ich es schaffe, eine eigene Regelmäßigkeit in den Uploads zu finden -wünschenswert wär wöchentlich- wird es hier vermerkt
Bedanke mich herzlichst bei Vexor und Bo für ihre Unterstützung. Haben mich angespornt, meine Texte bewertet und am Wichtigsten: mich in die Welt der Farben eingeführt. Vielen Dank.
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