Hallo liebe Piratenfreunde!
Ich habe lange überlegt, ob ich die Geschichte hierveröffentliche und bin dementsprechend nervös, denn es ist nicht nur meine erste Geschichte,die ich hier im Board veröffentliche, sondern auch die erste seit Ewigkeiten,in der ich eigene Figuren benutze, um eine Handlung zu erzählen. Die Kapitel würden einmal im Monat erscheinen.
Mal sehen, wie sie ankommt.
Vielen Dank an Qoii, dass er sich die Zeit genommenhat, die ersten beiden Kapitel vorher zu lesen und mir Denkanstöße gegeben hat, wie ichmeine Geschichte noch verbessern könnte. Ich hoffe, dass ich alles umsetzenkonnte. Sollten dennoch irgendwelche Fehler zu finden sein, dann entschuldigtmeine Schusseligkeit. Und nein, es handelt sich nicht um meine Lebensgeschichte, auch wenn die Hauptfigur zufällig meinen Nickname trägt. Ich hoffe das ist nicht allzu irritierend. XD
Gruß,
Capriciosa D. Devlin
Kapitel 1 Eine schrecklich liebevolle Familie
Kapitel 1
Am südlichsten Punkt des South Blue, dort wo die Spaghetti-Palmen wuchsen und der Rio Marinara sich quer über das ganze Land erstreckte, bevor er schließlich am Fuße des Fleischbällchen-Gebirges endete, lag die Insel Santa Bolognese. Es war eine schöne Insel von der an sehr windigen Tagen, der Geruch von Kräutern, überbackenem Käse und Tomatensauce sich übers ganze Meer erstreckte und vom Wind in alle Himmelsrichtungen verteilt wurde. Jedes Schiff, dass auch nur in die Nähe von Santa Bolognese kam, wurde geradezu magisch von den köstlichen Düften angezogen und gezwungen Kurs auf die Insel zu nehmen. Dabei war es ein Wunder wie diese Insel sich überhaupt über dem Meeresspiegel halten konnte, wenn der durchschnittliche BMI eines Bolognesers bei 80 und die durchschnittliche Körpergröße bei 1,70 m lag. Aufgrund der hohen Fettleibigkeit und weil bei den meisten eine normale Fortbewegung zu Fuß schon längst nicht mehr möglich war, bewegten sich die meisten nur noch rollend fort, da für keinen Anwohner von Santa Bolognese eine Diät in Frage kam. Jeder einzelne hatte sich mit Leib und Seele dem Essen verschrieben und beabsichtigte, diese Lebensphilosophie auch bis zum letzten Atemzug beizubehalten.
Doch es gab auch Ausnahmen, denn eine Familie im Dorf hatte das Glück, über einen erstaunlichen Stoffwechsel zu verfügen, dank dem sie einfach nicht dick wurden. Aber nicht nur deswegen, sondern auch, weil sie sich auf ihre ganz eigenwillige Art und Weise fit hielten. Oder zumindest die Kinder. Denn die Familie Capriciosa bestand seit dem Tod der Eltern nur noch aus den fünf Männern, die alle einer Arbeit nachgingen, sowie aus zwei jungen Frauen, die zusammen den einzigen Friseursalon auf der Insel betrieben. Zumindest bemühte sich eine der beiden den Laden so gut es ging zu führen, während sie ständig die Fehler der anderen wieder ausbügeln musste, was zu regelmäßigen Reibereien zwischen den beiden Schwestern führte. Die Streitereien waren mittlerweile legendär und trugen zur allgemeinen Unterhaltung aller bei, wenn ihre Stimmen wie ein Echo über die ganze Insel hallten. So auch an diesem sonnigen Tag, als Capriciosa D. Rapunzel ihre Schwester dabei ertappte, wie diese einer Kundin mit dem elektrischen Rasierer anstatt mit der Schere die Haare schnitt, weil sie mal wieder in einem ihrer Tagträume versunken war. Den Fehler bemerkte sie dennoch zu spät, denn die linke Seite war bereits wegrasiert und eine Halbglatze zierte nun den einst üppig bewachsenen Kopf von Vetuccine Burgunda.
Capriciosa D. Devlin, kniff die Augen zusammen, während der Speichel ihrer Schwester wie ein warmer Sprühregen auf ihr Gesicht niederprasselte. Doch das war sie inzwischen gewöhnt, denn bei einer Körpergröße von 1,50 m war sie im Vergleich zu ihrer 1,80 m großen Schwester das perfekte Opfer für deren Feuchtattacken.
„Kannst du dich auch nur einmal für fünf Sekunden konzentrieren?! Jede Fliege hat eine größere Aufmerksamkeitsspanne als du!“ fauchte sie mit dem Charme einer Rasierklinge, der für Devlin das Stichwort war, besser zu verschwinden, bevor sie sie wieder zu irgendwelchen unliebsamen Arbeiten verdonnerte, wie das Klo mit der Zahnbürste blank zu putzen oder auf ihren hyperaktiven Neffen aufzupassen, dessen Nase so auffällig war, dass selbst die Vögel ihn vom Himmel aus, in einer Entfernung von 10 Kilometern noch erkennen konnten. Dabei konnte der arme Wurm nichts dafür, die Schuld trug einzig und allein seine Mutter die einen ungewöhnlichen Männergeschmack hatte.
Seufzend verließ sie das Zimmer, schnappte sich im Hinausgehen ihre Tasche, die an einem Haken neben dem Eingang hing und verließ den Salon. Sie versuchte wirklich ihre Arbeit so gut es ging zu erledigen, doch das war nicht leicht, denn seit sie klein war, sehnte sie sich danach diese Insel zu verlassen und mit einem Schiff die Welt zu erkunden und all die Orte zu besuchen, von denen sie träumte. Und zwar ständig. Sie spürte, dass sie gehen musste, denn manchmal, wenn sie am Hafen saß und sehnsüchtig aufs Meer blickte, glaubte sie eine Stimme zu hören die vom Meer zu kommen schien, die sie aufforderte sich auf die Reise zu begeben und die Welt zu entdecken. Deshalb arbeitete sie seit ihrem 8. Lebensjahr, um sich eines Tages diesen Traum zu erfüllen und nahm dafür jeden Job an, den sie neben der Arbeit im Friseursalon kriegen konnte, um sich Stück für Stück, das Schiff ihrer Träume zusammen zu bauen, an dem sie seit ihrem 14. Lebensjahr baute.
Eines Tages werde ich diesem Ruf folgen, versicherte sie sich dabei immer wieder, es war nur eine Frage der Zeit. Und vor allem des Geldes.
Doch die Materialkosten, um ein Schiff zu bauen, waren nicht gerade gering. Glücklicherweise wurde sie von ihrem ältesten Bruder Mercusio unterstützt, der ihr die nötigen Materialien besorgte und zum Einkaufspreis überließ und ihr alles über die Arbeit des Schiffszimmermanns beibrachte. Mercusio war auf der Insel ein angesehener, wenn auch sehr armer Schiffszimmermann, der mit seinem Beruf leider nicht viel verdiente, weil niemand Interesse an einem Schiff hatte, geschweige denn den Wunsch verspürte die Insel zu verlassen. Bis auf Devlin. Nur gelegentlich erhielt er Aufträge, wenn sich jemand auf die Insel verirrte, wie dieser lustige Typ mit der roten Knollennase vor fünf Jahren, der sämtliche seiner Körperteile abtrennen und wieder zusammenfügen konnte. Ihre Schwester Rapunzel hatte es ihm besonders angetan und nach einer schweren Lebensmittelvergiftung, die er sich auf Santa Bolognese zugezogen hatte, hatte sie sich rührend um ihn gekümmert. Im Gegenzug dafür hatte er sie mit seiner flinken Zunge fast um den Verstand gebracht, während der Rest seines Körpers nebenan im Badezimmer über der Kloschüssel hing und sich die Seele aus dem Leib kotzte, wie sie ihr eines Tages mit hochrotem Kopf gestand, nachdem Devlin sie gefragt hatte, wie sie und der Vater von Buggy Jr. sich eigentlich kennen gelernt hatten. Auf die intimen Details hätte sie allerdings gerne verzichten können, denn sie lösten in ihr Bilder aus, die sie vermutlich zu Lebzeiten nicht mehr aus ihrem Kopf bekommen würde. Noch heute schwärmte ihre Schwester von seinen langen blauen Haaren, seiner überdimensionalen roten Nase und seiner begnadeten Zunge. Offenbar schätzte ihre Schwester Männer, die das Multitasking beherrschten. Sie versicherte Devlin aber, dass dieser Abend nicht der Abend der Zeugung gewesen war, sondern dass dieser 5 Tage später erfolgte, bevor Buggy dann weiter segelte, nicht ahnend, dass er 9 Monate später Vater werden würde. Rapunzel, die damals 22 gewesen war, war zunächst geschockt und unsicher, ob sie das Kind wirklich bekommen sollte, immerhin war der Vater ein berühmter und vor allem gesuchter Pirat gewesen, doch ihre Familie stand hinter ihr und war bereit sie zu unterstützen. Und seitdem hatte sie ihre Entscheidung nicht ein einziges Mal bereut. Buggy Jr. hatte von seinem Vater die blauen Haare und die rote Nase geerbt und das aufbrausende Temperament seiner Mutter. Und auch wenn er manchmal anstrengend sein konnte, liebte sie ihn trotzdem.
Während Devlin den Lasagnepfad zum Dorf hinunter lief, wehte ihr schon der Geruch der verschiedenen Fleischbällchen-Birken und der Serrano-Schinken Kiefern entgegen und sie verzog angewidert das Gesicht, denn sie konnte den Geruch nicht ausstehen. Sie mochte überhaupt kein Essen, da allein schon die Berührung mit Nahrungsmitteln heftigste Hautreaktionen wie Juckreiz und Hautausschlag bei ihr verursachten und sie daher gezwungen war, Overalls sowie Handschuhe aus Baumwolle zu tragen. Und ans Essen mochte sie noch nicht einmal denken, denn außer unbehandeltem Obst und Gemüse, konnte sie nichts bei sich behalten und erbrach alles sofort. So war das schon immer gewesen. Zumindest seit ihrem 4. Lebensjahr. Davor konnte sie, so hatten ihre Geschwister ihr zumindest erzählt, sogar gekochte Babynahrung essen und Säuglingsmilch trinken. Doch mit zunehmendem Alter konnte sie immer weniger essen und wurde stetig kränker. Letztendlich war ihre Familie gezwungen sie irgendwann zwangs zu ernähren, weil sie sich weigerte zu essen. Erst als Devlin eines Tages im Garten spielte, beobachtete Rapunzel wie ihre kleine Schwester, vor ihren Augen zu leuchten begann und ihre Haare sich in die Erde vor dem Haus gruben, als ob sie Wurzeln wären. Damals hatte sie nicht verstanden was geschah und hatte ihre kleine Schwester panisch ergriffen und ins Haus gezehrt. Schnurstracks war sie geradewegs zu ihrem Bruder Humble geeilt, der damals schon großes Interesse für Bücher und vor allem für Medizin zeigte und hatte ihm aufgeregt berichtet was sie gesehen hatte. Dieser war daraufhin sehr nachdenklich geworden und hatte sich in seine Bibliothek zurückgezogen, um zu recherchieren. Ganze vier Tage und Nächte hatte er damit zugebracht ein Fachbuch nach dem anderen zu studieren, bis er schließlich wohl eine Erklärung gefunden hatte, für Devlins Symptome und warum sie so geleuchtet hatte. Von diesem Tag an, war es ihr verboten, Lebensmittel weder zu berühren noch sie zu essen, bis auf unbehandeltes Obst und Gemüse. Und sie war gezwungen, ihren Körper immer komplett bedeckt zu halten, für den Fall das sie mit Essen in Berührung kam, was auf Santa Bolognese oft genug passierte, da sich die Pollen der Bäume über die Luft verteilten. Nur wenn sie ihr Sonnenbad nahm, war es ihr gestattet ihre Kleidung abzulegen, wenn auch nur für kurze Zeit. All diese Einschränkungen waren zwar nicht einfach für sie, doch zumindest vermisste sie das Essen nicht. Als sie auf dem Dorfplatz ankam, blieb sie vor dem Bronzedenkmal des Gründers von Santa Bolognese stehen, der auf einem Messingsockel in der Mitte des Pesto-Brunnens stand und betrachtete sein sympathisches Gesicht, das sie verschmitzt angrinste. Vor zwanzig Jahren, hatte er aus einem unfruchtbaren, trockenen Land dieses fruchtbare Paradies gemacht, indem er es mit Fleisch- und Pasta- sowie anderen Essenssamen bepflanzte, die er von einer exotischen Insel mitgebracht hatte.
Er war in seiner Jugend wohl ein sehr berüchtigter Pirat gewesen, der sich eine eindrucksvolle Crew zusammengestellt hatte, mit der er es ihm sogar gelang, Piratenkönig zu werden, obwohl er anfangs ein absoluter Außenseiter war, dem kaum jemand etwas zugetraut hatte.
Devlin würd ihn sehr gerne einmal kennen lernen, denn er schien ein interessanter Mensch zu sein. Doch niemand wusste, wo er oder seine ehemalige Crew sich aufhielten, denn alle führten, bis auf einen, ein sehr zurückgezogenes Leben.
Verträumt dachte sie an die Geschichten, die man sich über ihn erzählte und bemerkte dabei nicht wie etwas den Hügel herunter auf sie zugerollt kam.
„Achtung, Bahn frei!“ rief Gumbatsch, während er wie eine Dampfwalze mit einem Affenzahn den Hügel runtergerollt kam. Devlin die durch das Geschrei unsanft aus ihrem Tagtraum gerissen wurde, sprang mit einem Hechtsprung zur Seite, gerade noch rechtzeitig, bevor sie Teil des Lasagnewegs unter ihren Füßen geworden wäre.
Grimmig blickte sie ihm hinterher, während sie sich den Staub von der Kleidung klopfte. Immer dasselbe, wenn es im „Halt Die Schnauze Und Iss“ einen „All you can eat!“-Tag gab. Sie verstand nicht, wie man sich darauf freuen konnte, schon gar nicht, wenn es auf der ganzen Insel nur so vor Essen wimmelte. Aber die Leute liebten nun mal ihre Events, besonders wenn sie für einen festgelegten Betrag, einmal in der Woche so viel essen konnten wie sie wollten. Und obwohl jeder Einwohner hier auf der Insel Essen über alles liebte, ließ der bloße Anblick essender Menschen sie schon aufstoßen und sie verzog angewidert das Gesicht, als sie den Geschmack von Galle in ihrem Mund schmeckte. Sie war die einzige aus ihrer Familie, die sich nicht wie alle anderen von Nahrungsmitteln ernährte, sondern von Wasser, Nährstoffen, die sie aus der Erde bezog, sowie Sonnenlicht, das sie zur Energiegewinnung benötigte. Aber diesbezüglich unterschied sie sich in vielen Dingen von ihren Geschwistern. Wie zum Beispiel in der Haarfarbe, denn alle in ihrer Familie waren blond und hatten blaue Augen, im Gegensatz zu Devlin, dessen Haar Moosgrün war und deren Augen eine goldene Farbe hatten, wie die Sonne. Manchmal hatte sie die anderen im Dorf munkeln hören, dass ihre Mutter eine Affäre mit einem anderen Mann gehabt hatte, auch wenn man sie nie mit einem anderen gesehen hatte. Dennoch war es unbestreitbar, dass sie nicht wie der Rest ihrer Familie war, obwohl ihre Geschwister ihr nie das Gefühl gegeben hatten, dass sie anders war oder nicht zur Familie gehörte. Ganz im Gegenteil, ihre Geschwister hatten alles getan und dafür gesorgt, dass es ihr an Liebe, Geborgenheit und Sicherheit nie fehlte. Ihr Vater war ungefähr sechs Monate vor ihrer Geburt gestorben, nachdem ihm nach einer Fressorgie der Darm geplatzt war und er sich mit einem letzten Furzer von seinem irdischen Dasein verabschiedet hatte, bevor sie die Gelegenheit bekam ihn kennen zu lernen. Ebenso wie ihre Mutter die vor 17 Jahren bei ihrer Geburt aufgrund von Komplikationen gestorben war.
Manchmal beneidete sie ihre Geschwister die wenigstens noch ein paar gemeinsame Jahre mit ihren Eltern verbringen durften und somit Erinnerungen an sie besaßen, denn Mercusio, Humble, Gulliver, Schnabel, und Rapunzel lagen jeweils nur 2 Jahre auseinander im Gegensatz zu ihr und Kein, die beide noch zu klein gewesen waren, als ihre Eltern starben.
Es war gerade für den damals 18-jährigen Mercusio nicht einfach gewesen, der die plötzliche Lücke und vor allem Leere die die Eltern nach ihrem Tod hinterlassen hatten, füllen musste. Von jetzt auf gleich wurde er erwachsen und musste Verantwortung für seine Geschwister übernehmen. Doch wenigstens war er nicht allein und wurde von Humble, Gulliver, Schnabel und Rapunzel tatkräftig dabei unterstützt, die ihm halfen sich um ihre beiden noch sehr jungen Geschwister zu kümmern.
Devlin strahlte übers ganze Gesicht, als sie ihren Bruder Kein sah, der auf sie zugelaufen kam, um sie zum Schwimmen abzuholen. Devlin musste bei der Farbwahl seiner Kleidung jedes Mal schmunzeln, wenn sie ihn sah. Er besaß überhaupt keinen Sinn für Farben und trug daher giftgrüne, kurze Shorts, zu einem türkisfarbenen T-Shirt und lilafarbenen, fast kniehohen Strümpfen und neongelbe Sandalen. Sie und ihre Schwester Rapunzel hatten schon oft versucht ihn davon zu überzeugen ihnen die Auswahl seiner Kleidung zu überlassen, aber Kein wollte davon nichts wissen und zog letztendlich das an was ihm gefiel. Das galt auch für seine Haare, die er auf der rechten Seite sehr kurz trug, während die Haare auf der linken Seite ihm mittlerweile schon bis zu den Schultern gingen. Mit ausgestreckten Armen rannte er auf sie zu und holte mit beiden Armen aus, um ihr mit seinen Handkanten einen kräftigen Schlag in den Nacken zu verpassen, den sie erwiderte indem sie ihrerseits mit ausgestrecktem Arm ihm einen Kinnhaken verpasste.
Devlin wartete gar nicht erst, dass er sich erholte, sondern stürzte sich auf ihn und riss ihn von den Füßen. Doch sie hatte die Zähigkeit ihres Bruders unterschätzt, der seine Arme unter ihre Achseln hakte und mit ihr eine Rückwärtsrolle vollführte, bevor er sie zu Boden beförderte.
Devlin lachte und kam wieder hoch, während sie sich etwas Blut aus dem Mundwinkel wischte und packte das auf sie bereits zufliegende Bein ihres Bruders und schleuderte ihn quer über die Insel, direkt auf einen Fleischbällchen-Baum zu. Doch bevor er mit dem Baum kollidierte, streckte er das rechte Bein aus und stieß sich vom Baumstamm ab, woraufhin ein paar Fleischbällchen vom Baum fielen, die sogleich von ein paar heranrollenden Eichhörnchen geschnappt wurden, bevor sie auf demselben Weg wieder davonrollten. Während er zu Devlin zurückflog, presste er beide Handflächen aneinander und spreizte seine Hände nach oben und unten auseinander, während er die Handgelenke weiterhin aneinanderpresste.
Oh, seine berüchtigte, Venus-Fliegenfallen-Attacke bei der er seinem Gegenüber die Handflächen wie kräftige Peitschenhiebe um die Ohren haute. Devlin stellte sich breitreinig hin und verlagerte ihren Oberköper so, dass er ihr wie ein drittes Standbein sicheren Halt gab und wartete darauf, dass ihr Bruder nahe genug herankam, um ihn an den Handgelenken zu packen und sich mit ihm wie ein Kreisel um die eigene Achsel zu drehen, bis sie sich so schnell drehten, dass er durch die Fliegkraft, von ihr weggeschleudert wurde, sobald sie ihn losließ. Selbst etwas benommen taumelte sie zunächst und schloss die Augen, während sie darauf wartete, dass das Schwindelgefühl nachließ. Zehn Minuten später tauchte ihr Bruder dann endlich wieder auf und verpasste ihr mit der Faust einen Schlag ins Gesicht, der ihr das Gefühl gab, dass ihr Kopf ihr gleich von den Schultern flog. Sie rieb sich über ihre rot leuchtende Wange und lächelte ihren Bruder an.
Sie bekam von ihrer Familie soviel Liebe, dass sie manchmal überwältigt war und Zweifel bekam, ob es die richtige Entscheidung war, die Insel verlassen. Andererseits war da diese unbändige Sehnsucht und Neugier die Welt zu erkunden und zu sehen, was jenseits von Santa Bolognese lag, viel größer und mächtiger als alles andere. Es hatten sich zwar schon Fremde hin und wieder auf die Insel verirrt und sie hatte auch schon mehrmals versucht auf einem der Schiffe, die hier landeten anzuheuern, doch leider scheiterten ihre Bemühungen stehts aufgrund von Kommunikationsproblemen zwischen ihr und der Besatzung der Schiffe.
Ihre Familie hatte ihr versucht zu erklären, dass viele nicht mit ihrer Art klarkamen und sie nicht jedem zur Begrüßung erst einmal die Faust ins Gesicht schlagen konnte, schon gar nicht so fest, dass sie demjenigen gleich die Gesichtsknochen brach. Doch irgendwie konnte sie sich einfach nicht beherrschen, denn sie war jedes Mal, wenn sie einem Fremden begegnete so aus dem Häuschen, dass sie vor Freude einfach denjenigen begrüßen musste, indem sie ihn schlug. Wohin auch immer.
Ihr Bruder grinste von einem Ohr zum anderen und entblößte dabei eine Reihe von Zahnlücken, die von den Spuren ihrer gemeinsamen liebevollen Auseinandersetzungen stammten.
„Man hat dich und Rapunzel mal wieder bis zum Hafen gehört. Was hast du diesmal angestellt, hm?“ fragte er, doch seine Schwester zuckte nur die Schultern und lächelte verlegen.
„Ich verstehe, na ich werde die Einzelheiten ja heute Abend beim Abendessen sowieso von ihr erfahren. Hast du an deine Schwimmsachen gedacht?“
„Klar, es kann losgehen!“ antwortete sie und hielt ihre Schwimmtasche wie einen Pokal hoch. Gemeinsam gingen sie den Rest des Weges zum Hafen hinunter, um im Meer zu schwimmen.
Devlin hielt ihr Gesicht in die Sonne und genoss die warmen Strahlen.
„Man, ich fühle mich als ob ich Bäume ausreißen könnte!“ rief sie und streckte ihre Arme über ihren Kopf als ob sie versuchte nach der Sonne zu greifen, um sie zu einer innigen Umarmung an sich zu ziehen.
„Kein Wunder, deine Kräfte sind der Wahnsinn, wenn die Sonne scheint. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, du hast von der Sonnenschein-Frucht gegessen“ witzelte Kein.
„Dann könnte ich wohl kaum mit dir schwimmen, Dummkopf!“ erwiderte Devlin und schlug ihm liebevoll auf den Hinterkopf, der ihn 5 Meter weit fliegen ließ. Ein kehliges Lachen entfuhr ihrer Kehle, als sie hörte wie er irgendwo krachend einschlug und folgte dem Lärm. Der Flugbahn ihres Bruders folgend, verfiel sie wieder ihrer Tagträumerei. Ein Fehler, wie sie schon bald am eigenen Leib erfahren sollte, denn ihr entging dabei der große, dunkle Schatten, der sich ebenfalls in ihre Richtung bewegte, wenn auch deutlich schwerfälliger, so als ob er erschöpft wäre.
Mit einem heftigen Rumms stießen die beiden zusammen und Devlin kehrte in die Wirklichkeit zurück. Sie musste den Kopf in den Nacken legen, um zu der Gestalt vor ihr aufschauen zu können. Ihre Augenbrauen streckten sich fast bis zu ihrem Haaransatz hinauf, als sie ihn von oben bis unten musterte, denn sie hatte noch nie jemanden wie ihn gesehen.
Kapitel 2 Der Fremde
Kapitel 2
Devlin schluckte, als sie zu dem Fremden aufsah. Seine Haut war aschgrau und sein nackter Oberkörper war über und über mit schwarzen Tattoos überzogen, die seinen Körper bis hinunter zum Ansatz seiner schwarzen Wildlederhose zierten. Er war sehr groß und muskulös und auf seinem breiten Stiernacken thronte ein kahler Schädel, aus dem nur eine einzige silberne Strähne wuchs, die über seinem linken Auge hing und es verdeckte. Devlin wurde mulmig zumute als sie in das rechte Auge starrte, das weiß und trüb auf sie hinabsah, als ob es in ihre Seele blickte und sie bekam eine Gänsehaut und fröstelte.
Ich glaube ich bekomme einen steifen Nacken, wenn ich noch länger zu ihm aufschaue. Wer ist er überhaupt? Und warum hat sein rechtes Auge keine farbige Iris? Wann war er eigentlich auf Santa Bolognese angekommen?
Er konnte noch nicht lange hier sein, sonst hätte sich seine Ankunft schon längst herumgesprochen, so wie alle Neuigkeiten auf Santa Bolognese, denn jeder Dorfbewohner war von Natur aus ein Klatschmaul.
Devlin überlegte gerade was sie sagen sollte, da schob er sie auch schon unsanft zur Seite und ging einfach weiter. Besonders freundlich war er nicht und offensichtlich auch nicht sehr gesprächig, aber das störte sie nicht weiter, denn ihr Bruder Schnabel war ebenfalls ein stiller Mensch, jedenfalls solange bis ihr Bruder Kein ihn ansprach, dann zeigte er sich von seiner hitzigen Art und die beiden stritten sich dann oft Stunden. Sie beobachtete wie er durchs Dorf lief, als ob er auf der Suche nach etwas wäre und verschwand dann schließlich in der Dorfkneipe gleich hinter dem Denkmal.
Kurz dachte sie darüber nach ihm zu folgen, da hörte sie die Stimme ihres Bruders Kein, der sich von hinten näherte und sie fragte, wo sie bleibe. Devlin konnte sich ein herzhaftes Lachen nicht verkneifen, als sie die große Beule sah, die auf dem Kopf ihres Bruders wuchs und duckte sich unter seiner auf sie zurasenden Faust hinweg, bevor sie mit dem Kopf voran hochsprang um ihn an seinem Glaskinn zu treffen, doch diesmal wich er ihrem Kopf aus und bevor sie sich versah, waren sie schon wieder in einem ihrer kleinen Schlägereien vertieft und der Fremde fürs Erste vergessen.
Bis zum Abend, als sie mit ihrer Familie zusammensaß und alle von ihrem Tag erzählten. Ihre Schwester hatte Buggy Jr. zu Bett gebracht damit er nichts von ihrer Unterhaltung mitbekam, denn sonst würde er vor lauter Aufregung nicht schlafen und seine Mutter die ganze Nacht auf Trapp halten.
Rapunzel beschwerte sich bei Devlin und sagte ihr, dass sie den Preis für die Perücke, die sie dank ihr verschenken musste, ihr vom Gehalt abziehen müsse, doch Devlin ignorierte die Schimpftirade, als ihr Bruder Gulliver, dem die Dorfkneipe hinter dem Denkmal gehörte, von dem Fremden erzählte, der gegen Mittag plötzlich bei ihm aufgetaucht sei. Alle Augen richteten sich neugierig auf ihn und warteten gespannt auf seinen Bericht.
„Und was hat er gesagt? Was hat er dort gewollt?“ fragte Devlin und wäre vor lauter Aufregung und Neugier fast über den Tisch gehüpft, um die Antworten aus ihrem Bruder herauszuschütteln.
„Er hat eigentlich nichts gesagt, nur mit der Faust auf den Tresen geschlagen und dann auf eine Flasche im Regal hinter mir gezeigt. Als ich ihm dann etwas einschenken wollte, hat er mir fast das Handgelenk gebrochen, als er zupackte, um mir die Flasche aus der Hand zu reißen und hat mit der anderen Hand das Geld auf den Tresen gelegt. Und zwar für die gesamte Flasche.“
„Wie ist er eigentlich auf die Insel gekommen? Im Hafen liegt zumindest kein Schiff vor Anker“ mischte sich Schnabel völlig unerwartet in die Unterhaltung ein und zog damit die ganze Aufmerksamkeit auf sich. Er arbeitete am Hafen und wusste, daher sofort Bescheid, wenn ein neues Schiff kam. Santa Bolognese bestand zwar nur aus einem kleinen Dorf, doch aufgrund der Seeleute, die sich manchmal auf der Insel verirrten, hatte man eines Tages beschlossen, einen Hafen für die anlegenden Schiffe zu bauen, in der Hoffnung, mehr Touristen anzulocken und mit ihnen Geld zu verdienen.
„Vielleicht hat er ja, nicht im Hafen, sondern woanders angelegt“, vermutete Kein und rieb sich mit der Hand nachdenklich übers Kinn.
„Wenn er aber auf einem anderen Teil der Insel ankam, wieso sollte er dann einmal die Insel umrunden, nur um den Weg vom Hafen ins Dorf zu laufen?“
In diesem Punkt stimmten ihre Geschwister Devlin zu und nickten einstimmig.
„Vielleicht ist er ein Zoan, ihr wisst schon ein Vogel-Zoan oder Fliegen-Zoan oder so? Oder jemand mit einer anderen Teufelsfrucht, die es ihm ermöglicht zu fliegen das würde zumindest erklären, wie er es auf die Insel geschafft hat ohne Schiff“, sagte Humble, den schon seit seiner Geburt, die Kräfte der Teufelsfrüchte faszinierten und sie studierte, seit er lesen konnte.
„Mag sein, wie sieht er eigentlich aus?“ wollte Rapunzel wissen und schaute ihren Bruder Gulliver an, doch Devlin antwortete für ihn und fuchtelte aufgeregt mit den Armen herum, während sie ihn in allen Einzelheiten beschrieb.
„Sehr muskulös sagst du? Ich glaube den schaue ich mir mal aus der Nähe an. Vielleicht sucht er nach einer Übernachtungsmöglichkeit. Wir könnten ihm ein Zimmer bei uns herrichten. Nur schade, dass er blind zu sein scheint. Und eine ungesunde Hautfarbe hat.“
„Wieso blind?“ wollte Devlin wissen.
„Na ja zumindest auf einem Auge scheint er blind zu sein, deshalb die weiße Pupille. Obwohl auf dem anderen wird er auch nicht viel sehen, wenn ihm diese Strähne ins Gesicht hängt.“
Devlin sank nachdenklich auf ihrem Stuhl zurück. Sie fand diese Info höchst interessant und machte den Fremden für sie umso interessanter und geheimnisvoller.
„Wir könnten ihm Humbles Bibliothek als Schlafplatz anbieten, dort steht doch ein gemütliches Sofa und wenn ihm das zu unbequem ist, biete ich ihm mein Bett an.“
„Und dich vermutlich gleich mit dazu, was Rapunzel?“ witzelte Kein und formte mit seinem Daumen und dem Zeigefinger seiner linken Hand ein Loch, durch das er den Zeigefinger seiner rechten Hand schob und ihn immer wieder rein und rauszog und dazu anzüglich grinste.
„Du bist so ein verdorbener, kleiner Kindskopf!“ fuhr Rapunzel ihn an, doch ihr hochroter Kopf konnte niemanden über ihre wahren Absichten hinwegtäuschen. Alle am Tisch lachten bis auf Devlin die schon wieder in ihren Gedanken versunken war und sich den Kopf darüber zerbrach, welche Teufelskraft der Fremde wohl besaß, wer er war, wo er herkam und was er schon alles erlebt hatte. Sie unterhielten sich noch gute zwei Stunden, ehe sich jeder in sein Zimmer zurückzog, um zu schlafen.
Doch Devlin konnte nicht schlafen und saß stattdessen auf ihrem Fensterbrett und starrte nachdenklich in die Dunkelheit. Sie blickte noch nicht einmal auf, als es an ihrer Zimmertür klopfte und ihr Bruder Mercusio das Zimmer betrat.
Erschrocken zuckte sie zusammen, als er sie plötzlich an der Schulter berührte und wäre um ein Haar von ihrem Fensterbrett gefallen, hätte er sie nicht festgehalten. Sie fand den Anblick seiner offenen Haare befremdlich, denn er trug sie normalerweise immer zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, doch wenn er sie offen trug, erinnerte er sie an diese gruseligen Gestalten aus ihren Büchern, die in irgendwelchen Brunnen hausten und nur emporkletterten, um ihren Opfern mit bloßen Händen das Genick zu brechen.
„Musst du mich so erschrecken?“ fuhr sie ihn an.
„Entschuldige“ sagte Mercusio, obwohl seine strahlenden Augen und sein Grinsen das Gegenteil aussagten.
„Was willst du?“
„Ich habe SEHR gute Nachrichten für dich. Es ist fertig. Ich habe heute die letzten Arbeiten abgeschlossen.“
Devlin brauchte einen Moment, bis sie begriff, was das bedeutete, doch als der Groschen endlich fiel, weiteten sich ihre Pupillen und sie stürzte sich auf ihn und riss ihn zu Boden. Sie war so außer sich vor Freude, dass sie nicht an sich halten konnte und ihre Fäuste auf ihren am Boden liegenden Bruder nur so niederprasselten wie Gewehrfeuermunition.
Als sie sich endlich wieder eingekriegt hatte, bat sie ihren Bruder es sofort sehen zu dürfen, doch er vertröstete sie auf Morgen, da es bereits zu dunkel war, um es sehen zu können.
Enttäuscht kniff sie ihre Lippen zusammen, doch Mercusio nahm sie zärtlich in den Schwitzkasten und drückte ihr solange die Luft ab, bis ihre Gesichtsfarbe ein zartes schlumpfblau annahm.
Japsend holte sie mit dem Arm aus und rammte ihm den Ellenbogen zwischen die Beine, woraufhin er nach Luft schnappend sie losließ.
„Ok, jetzt ist aber Zeit schlafen zu gehen. Gleich morgen früh nach deinem Sonnenbad zeige ich dir dein neues Schiff, ok? Ich hab dich lieb Schwesterchen!“ sagte Mercusio zum Abschied und verpasste ihr eine Ohrfeige, dass der Kopf auf ihrem Hals wackelte.
„Ich dich auch, gute Nacht!“
Devlin sprang hoch und ließ ihre Faust mitten auf den Kopf ihres Bruders niedersausen, die seine Zähne klappern ließ und verschwand lächelnd.
Glücklich legte sie sich ins Bett, und schloss die Augen, aber nicht für lange, denn schon bald, öffnete sie sie wieder und blickte zur Decke. Sie konnte es kaum erwarten, dass es endlich Morgen wurde und fieberte voller Ungeduld dem Sonnenaufgang entgegen. Doch ihre Gedanken kreisten nicht nur um ihr Schiff, sondern auch um den Fremden. Was wollte er auf Santa Bolognese? Den Cholesterin-Tod? Dem Club der rollenden Insulaner beitreten? Sie wusste es nicht und genau das, ließ ihr keine Ruhe, denn sie war ein von Grund auf, neugieriger Mensch.
Ob er noch auf der Insel war? Oder schon weggeflogen? Bis auf Essen gab es hier auf Santa Bolognese eigentlich nichts Sehenswertes zu sehen. Vermutlich war ihm das inzwischen auch schon klar geworden und er war schon wieder abgereist, ehe es dunkel geworden war.
Eigentlich schade, dabei hätte sie sich so gerne mit ihm unterhalten, ihn gebeten ihr von seinen Reisen zu erzählen, ihn vielleicht gefragt, ob er mit ihr reisen wolle, jetzt wo ihr Schiff endlich fertig war, denn sie brauchte noch jemanden der sich mit Navigation auskannte. Sie hatte sich leider nur die Grundkenntnisse angeeignet, die sie aus den Büchern ihres Bruders Humble bezogen, hatte.
Doch das würde bei weitem nicht reichen. Außerdem wäre es schöner gemeinsam zu reisen, denn auch wenn sie schon seit Jahren davon träumte die Welt zu bereisen, hatte sie auch ein bisschen Angst, aber nicht vor der Welt, sondern vor der Einsamkeit. Von ihrer Familie wollte leider niemand mitkommen, denn allen gefiel es hier, selbst Kein, konnte sie nicht überreden mitzureisen, obwohl er gerade Mal zwei Jahre älter als sie war.
Deshalb wäre ein Reisegefährte schön. Aber um dauerhaft auf See zu überleben, brauchte sie sowieso noch mehr Mitglieder, denn sie wusste aus ihren Büchern, dass die See rau und gnadenlos sein konnte und auch wenn sie sich um Essen keine Sorgen zu machen brauchte, da sie außer der Sonne, Regen und ihrem Gewächshaus, dass sie sich an Deck eingerichtet hatte nichts brauchte, benötigte sie zumindest noch einen Navigator, einen Arzt und einen Koch, der die anderen beköstigte, denn sie hatte aufgrund ihrer Allergie gegen Essen, nie Kochen gelernt. Dennoch hatte sie sich an Bord ihres Schiffes eine Küche eingerichtet, im 2. Unterdeck, soweit wie möglich von ihr entfernt, damit sich ihre spätere Crew etwas kochen konnte und sie nicht mit den Essensgerüchen oder dem Anblick ihrer essenden Kameraden belästigt wurde.
Devlin horchte auf, als etwas unten lautstark immer wieder gegen die Eingangstür pochte und richtete sich mit klopfendem Herzen in ihrem Bett auf. Wer mochte das so spät am Abend noch sein?
Schnell eilte sie zur Tür und öffnete sie einen Spaltbreit, um zu lauschen. Sie hörte eine Frauenstimme aufgeregt sprechen, doch sie sprach so zusammenhanglos und wirr, dass sie zunächst nicht verstand, was sie sagte. Dann wurde es plötzlich still und sie hörte die schweren Schritte eines ihrer Brüder und wie etwas über den Boden rollte, vermutlich einer der Dorfbewohner und eine Tür sich kurz darauf öffnete und dann wieder schloss. Der einzige der schnell genug an der Haustür sein konnte, um diese zu öffnen, war Humble, weil er unten nicht nur seine Praxis hatte, sondern auch sein Schlafzimmer.
Um die anderen nicht zu wecken, schlich sie vorsichtig die Treppen hinunter und versuchte an der Tür zu lauschen, doch sie verstand nichts. Nur dass sie in Humbles Zimmer waren. Doch wen empfing ihr Bruder um diese Uhrzeit noch? Patienten?
Die Ungewissheit und Neugier zerfraßen sie innerlich, daher entschied sie sich, den Zorn ihres Bruders auf sich zu nehmen und drückte die Klinke herunter. Sofort richteten sich 6 Augenpaare auf sie und in jedem Gesicht las sie eine andere Emotion. Angst, Wut und Besorgnis. Ihr Bruder Humble hatte offensichtlich noch nicht geschlafen, denn er trug noch immer seine dunkelbraune Cordhose sowie eines seiner weißen Hemden und der dazu passenden braunen Weste, und braune Lederschuhe. Devlin konnte sich nicht erinnern, ihn jemals schlampig oder gar leger gekleidet gesehen zu haben, dafür war ihm sein äußeres Erscheinungsbild, im Gegensatz zu ihrem Bruder Kein, zu wichtig. Noch nicht einmal sein Haar war zerzaust, sondern ordentlich zu einem Seitenscheitel gekämmt.
„Was machst du hier Devlin? Es ist mitten in der Nacht!“
„Entschuldige, aber was kann ich dafür, wenn jemand nachts an unsere Türe hämmert? Was ist überhaupt pass…“
Devlin verstummte, als sie die Wunde am Hals von Theodor bemerkte, dem örtlichen Leichenbestatter, der seinen Job mit einer Eifrigkeit nachging, die manch einer als übergriffig bezeichnen würde, weil er gerne den Leuten die ihm auf der Straße begegneten, kostenlose Angebote für eine Bestattung in die Hand drückte, oder einfach Maße von ihnen nahm, wenn sie langsam genug an ihm vorbei rollten und er ihnen anbot kostenlos in einem seiner Sargmodelle „Probe zu liegen“. Dabei riskierte er regelmäßig sein Leben, denn es war gefährlich einem Bologneser in die Quere zu kommen, da er dabei selbst Gefahr lief in einem seiner Särge zu landen.
Seine Frau Ursula, die neben ihm stand schien ratlos und zutiefst besorgt über das was ihrem Mann passiert war.
Neugierig trat Devlin näher, um sich die Wunde aus der Nähe anzusehen.
Es waren eigentlich drei Wunden, die parallel zueinander lagen und eine kreisrunde Form hatten. Doch während die beiden äußeren Wunden einen Durchmesser von ca. 3 cm hatten, war die Wunde in der Mitte gerade Mal so groß wie der Einstich einer Nadel, wie Humble sie benutzte, um beispielsweise Blut abzunehmen.
„Was zum Teufel…? Wie ist das passiert?“
„Ich weiß es nicht, er kam sturzbetrunken und blutend nach Hause und faselte irgendetwas von einer dunklen Kreatur, die ihn angefallen hätte“, antwortete Ursula stellvertretend für ihren Mann.
Eine Falte bildete sich zwischen Devlins Augen und sie wiederholte ihre Aussage im Flüsterton, als ob sie sie nicht verstanden hätte.
„Ich war im „Wilden Eber“ und habe mir dort noch ein paar Absacker mit meinem Freund Radicchio gegönnt und wollte gerade nach Hause als plötzlich mich etwas attackierte und an meinem Hals saugte. Ich hatte solche Angst…“ nuschelte Theodor, dem das Sprechen aufgrund seiner Trunkenheit sichtlich schwerfiel.
„Schon gut, Theodor, beruhige dich erst einmal. Devlin bitte… sei so freundlich und koche etwas heißes Wasser für Tee. Glaubst du, du schaffst das?“
„Wasser? Aber ich weiß doch gar nicht wo die Töpfe stehen…“
„Dann geh wieder ins Bett, ich kann dich hier nicht gebrauchen“, antwortete Humble barsch und widmete sich wieder seinem Patienten. Devlin warf seinem Hinterkopf noch ein paar finstere Blicke zu und verließ schließlich das Zimmer. Doch kaum fiel die Tür hinter ihr zu, fragte sie sich wer oder was das gewesen sein könnte, denn Theodor hatte nichts über seinen Angreifer gesagt, nur dass er ihn gebissen hatte.
Es hatte noch nie einen Angriff dieser Art auf Santa Bolognese gegeben, nicht seit…
Devlins Augen weiteten sich und sie fragte sich, ob der Fremde etwas damit zu tun haben könnte.
Kapitel 3 Il Giardino Soleggiato
Kapitel 3
Er musste sich schnell ein Versteck suchen, um den Alkohol in seinem Blut abzubauen und seinen Rausch auszuschlafen. Doch wohin? Sobald er wieder nüchtern war, würde der Typ, bestimmt jedem den er kannte, erzählen was passiert war und dann würde man nach ihm suchen. Doch der Zufall hatte ihm bereits das perfekte Versteck zugespielt und so machte er sich auf den Weg dorthin, trudelte vom Alkohol benebelt, durch die Luft und atmete tief die warme Nachtluft ein, um einen klaren Kopf zu bekommen. Er folgte dem Geruch, der ihm in die Nase wehte, während er seine Umgebung vorsichtig abtastete, um sicher zu gehen nicht gegen irgendwelche Hindernisse zu fliegen, doch das war nicht gerade einfach, angesichts der Kopfschmerzen, die er hatte. Nie mehr irgendwelche Schnapsdrosseln, schwor er sich, obwohl er wusste, dass er beim nächsten Mal sowieso wieder zuschlagen würde, ganz gleich, ob er betrunken war oder erkältet. Er hatte keine andere Wahl, ob er wollte oder nicht.
Aufmerksam lauschte er, tastete die Dunkelheit nach irgendwelchen Stimmen oder auffälligen Geräuschen ab, doch bis auf das Zirpen der Grillen und der Wind, der durch die Gräser unter ihm strich, war alles still.
Das verdammte Zirpen erinnerte ihn daran, dass er Hunger hatte und so suchte er sich ein ganz besonders laut zirpendes Exemplar aus und stürzte sich einem Raubvogel gleich auf seine Beute, bevor er sich wieder in die Lüfte erhob und weiterflog.
Die Grille würde seinen Hunger zwar nur für den Augenblick stillen, aber sie war besser als gar nichts dachte er sich und flog weiter. Er orientierte sich an den Gerüchen und Geräuschen, die ihm in der Finsternis entgegenschlugen, bis er sein Ziel endlich erreicht hatte und setzte erleichtert zum Landeanflug an, um sich die beste Stelle zum Verstecken zu suchen.
Devlin hatte die ganze Nacht nicht geschlafen, weil ihre Gedanken ständig um den Angriff auf Theodor kreisten. Ob der Fremde wirklich für den Angriff verantwortlich gewesen war? Und wenn ja, hieß das er besaß, eine dieser Zoan-Früchte von denen Humble gesprochen hatte? Aber welche? Und wo mochte er jetzt stecken? Wie war er überhaupt ohne Schiff auf die Insel gelangt? Wenn er eine Zoan-Frucht gegessen hatte, konnte es sich nur um eine Zoan-Frucht handeln, mit der man fliegen konnte, um das Wasser zu überqueren, doch da gab es von Vögeln bis hin zu Insekten so viele Möglichkeiten. Allerdings nicht viele die andere Menschen stachen. Beim Gedanken daran, dass irgendjemand sich an Menschen vergriff, wurde ihr anders und sie entschloss sich aufzustehen, um sich abzulenken. Ihre Augen blickten zum Fenster und stellten erleichtert fest, dass die Sonne bald aufging und so begab sie sich nach unten und schlich so leise sie konnte, durch die Eingangstür nach draußen. Sie war immer die erste in ihrer Familie, die aufstand, vermutlich sogar die erste im ganzen Dorf, da sie die ersten Sonnenstrahlen des Tages in aller Ruhe genießen wollte, ohne von neugierigen Gaffern beobachtet zu werden.
Dennoch blickte sie sich immer erst nach allen Seiten um, um sicher zu gehen, dass nicht doch jemand vorbeikam und sie sah, bevor sie sich ihren Schlafanzug auszog und aus ihren Pantoffeln schlüpfte. Ihr Herz klopfte vor Aufregung in ihrer Brust, so wie jedes Mal, wenn sie sehnsüchtig auf die ersten Sonnenstrahlen des Tages wartete.
Sie liebte das Gefühl, wenn sie sie in der Nase kitzelten, während das warme Licht langsam in ihre Poren eindrang und es mit einer Energie durchflutete, die so gewaltig war, dass sie manchmal das Gefühl hatte zu explodieren vor Kraft und Vitalität. Ihre Haare schlängelten sich wie Schlangen in Ekstase zum Himmel und umrahmten ihren Kopf wie einen Fächer. Es war ein unglaubliches Gefühl, dass sie niemandem beschreiben konnte, denn niemand verstand sie. Wie auch, sie war in der Hinsicht nun mal nicht wie die anderen. Einmal hatte Mercusio sie beim Sonnenbaden erwischt, als er nicht schlafen konnte und beschlossen hatte joggen zu gehen. Als er sie gesehen hatte, war er bei ihrem Anblick stehen geblieben und hatte sie völlig fasziniert beobachtet. Noch nie hatte er einen Menschen so strahlen sehen, wie seine Schwester, dessen ganzer Körper mit einer Intensität geleuchtet hatte, die ihn unwillkürlich an die Sonne erinnerte, wie er ihr später erzählt hatte. Deshalb zog er sie manchmal auf, indem er sie „kleiner Sonnenschein“ nannte, woraufhin sie immer rot anlief, denn es war ihr peinlich. Aber nicht, weil er sie nackt gesehen hatte, sondern weil er daraus eine so große Sache machte, als ob es etwas Besonderes wäre. Dabei war das was sie hier tat, nichts außergewöhnliches, zumindest nicht außergewöhnlicher als das was andere taten, wenn sie aßen und tranken. Es war ihre Art der „Nahrungsaufnahme“.
Langsam drückte sie ihre Füße, in den Boden, und ließ ihre Haut die Nährstoffe aus dem Boden aufsaugen, ähnlich wie ein Schwamm. Ein leiser Seufzer purer Glückseligkeit entfuhr ihren Lippen, während das Licht ihren Körper durchflutete und er von innen heraus zu strahlen begann. Devlin öffnete die Augen und kleine farbige Lichtflecken, tanzten wie Elfen vor ihren Augen herum, bis sie schließlich ganz verschwanden und sie sich schnell wieder anzog, bevor es windig wurde und die ersten Pollen in ihre Richtung wehten. Mit federnden Schritten kehrte sie ins Haus zurück und pfiff dabei eine Melodie vor sich hin.
Sie konnte es kaum erwarten, dass Schiff zu sehen. Am liebsten würde sie ins Zimmer ihres Bruders stürmen, um ihn zu wecken und zu bitten ihr endlich das Schiff zu zeigen, doch er war ein unausstehlicher Morgenmuffel und würde sie nur anknurren, bevor er sich wieder umdrehte und weiterschlief, daher beschloss sie sich anzuziehen und in ihrem Zimmer zu lauern, bis sie seine Tür hörte. Doch die Zeit verging so furchtbar langsam und irgendwann hatte sie keine Lust mehr zu warten und entschloss sich den 20. Band der Buchreihe Die Abenteuer des Kapitän Lysop zu lesen. Sie war gerade im letzten Kapitel angelangt und verfolgte mit angehaltenem Atem der Geschichte, wie Kapitän Lysop den stärksten Riesen aller Zeiten in einem Zweikampf auf Leben und Tod besiegte, indem er ihm einen überdimensionalen Zahnstocher mitten durchs Herz schoss, den er sich mit bloßen Zähnen aus einer Eiche geschnitzt hatte und so Herrscher über Elbaf wurde, als sie draußen Schritte hörte. Schnell legte sie ihr Buch zur Seite und lief auf den Flur hinaus, in der Hoffnung, dass Mercusio endlich aus seinem Dornröschen-Schlaf erwacht war. Enttäuscht musste sie feststellen, dass es nur ihr Neffe und ihr Bruder Schnabel waren. Buggy Jr. kam auf dem Rücken seines Onkels angeritten, behängt mit dem Goldschmuck seiner Mutter, den sie von Buggy geschenkt bekommen hatte, kurz bevor dieser wieder abgereist war. Er trug eines seiner geliebten Shirts mit Querstreifenmuster, das unter all dem Goldschmuck und dem mit Pailletten übersäten Kapitänsmantel, den er von seinem Onkel Kein zu Weihnachten bekommen hatte, aber vollkommen unterging und ihn im Sonnenlicht heller strahlen ließ als eine Discokugel. Glücklicherweise war er unterhalb der Gürtellinie eher dezent gekleidet mit seiner dunkelroten Hose und den schwarzen Schuhen mit den Goldschnallen. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht, entblößte er seine strahlend weißen Zähne, die ebenfalls etwas vom Lippenstift, den er auf die Lippen aufgetragen hatte, abbekommen hatten und präsentierte mit rausgestreckter Brust den Schmuck, den er um seinen Hals und um seine Handgelenke trug. An seiner Hüfte baumelte ein Holzschwert, dass in einer Schwertscheide an seiner Schärpe befestigt war, die er um die Hüften trug. Schnabel wirkte wenig begeistert von der Tatsache, dass sein Neffe ihm einen Strick zwischen die Lippen geklemmt hatte den er als Zaumzeug benutzte, um sich festzuhalten.
Als er Devlin sah, hüpfte er aufgeregt auf und ab. Sie empfand Mitleid mit ihrem Bruder, der das Gesicht schmerzvoll verzog als sein Neffe ihm seine Hacken in den Bauch rammte, um ihm zu signalisieren, dass er sich schneller bewegen sollte.
„Guck mal Tante Devlin, was ich gezähmt habe. Einen echten Schnabefanten!“
Devlin grinste ihren Neffen an und schenkte ihrem Bruder ein aufmunterndes Lächeln, der sie mit den Augen anflehte ihn zu erschießen, um ihn von seinem Elend zu erlösen.
Ich glaube der Schnabefant braucht eine Pause. Wie wäre es, wenn du dir ein anderes Tier suchst, dass du zähmen kannst?“
„Au ja!“
Sofort sprang Buggy Jr. von Schnabels Rücken und rannte Aristoteles hinterher der gerade an ihm vorbei trottete, um zu seinem Fressnapf zu gelangen. Sein Holzschwert zückend stürzte er sich auf den armen Kater, der gelassen den Kopf drehte und ihn gleichgültig musterte.
„Ergib dich, Ungetüm!“ rief er. Aristoteles aber verzog keine Miene und zeigte sich wenig beeindruckt von der Tatsache, dass er ihn mit einem Holzschwert attackieren wollte. Gelangweilt riss er sein Maul auf und gähnte, woraufhin Buggy Jr. vor Schreck auf dem Absatz kehrt machte und in die entgegengesetzte Richtung lief, direkt in die Arme seiner Mutter, die gerade aus ihrer Zimmertür kam. Rapunzel war bereits fertig angezogen und geschminkt. Ihr geflochtenes Haar hatte sie sich hochgesteckt und ihr fliederfarbenes Kleid mit großzügigem Ausschnitt schmiegte sich an ihren kurvigen Körper wie eine zweite Haut. Zitternd versteckte er sich hinter ihr und vergrub sein Gesicht zwischen ihren Beinen, sodass nur noch seine rote, dicke Knollennase zwischen ihren Beinen hervorschaute.
„Mamie, Ari will mich fressen! Los, mach aus ihm Katzen-Frikassee!“
„Sei nicht albern, mein Schatz, Ari ist froh, wenn er seine Ruhe hat. Komm her und lass dich von Mami drücken, mein Großer“, sagte Rapunzel und griff zwischen ihre Beine, um ihren Sohn zu packen und in die Arme zu schließen. Doch kaum erblickte sie den Schmuck am Körper ihres Sohnes und ihren Lippenstift auf seinem Mund, fauchte sie ihn wie eine Wildkatze an und ihr Gesicht verzog sich zu einer Fratze, die selbst Kaido noch das Fürchten gelehrt hätte. Wenn es um ihren Schmuck und ihr Make-Up ging, verstand sie keinen Spaß, selbst bei ihrem über alles geliebten Sohn nicht, den sie fast noch mehr vergötterte als seinen Vater.
Buggy Jr. der die Wutanfälle seiner Mutter kannte, wusste dass es besser war, zu verschwinden und so rannte er die Treppe runter, dicht gefolgt von seiner Mutter die vor Wut schäumend hinter ihm herrannte und ihm vergeblich befahl stehen zu bleiben, während sie ebenso erfolglos versuchte ihn zu packen.
Schnabel und Devlin sahen sich an und zuckten einvernehmlich die Schultern. Gegen ihre temperamentvolle Schwester war kein Kraut gewachsen. Sie wollten sich gerade mit einem Tritt in die Magengrube begrüßen, als sich die Tür am Ende des Ganges öffnete. Devlin strahlte übers ganze Gesicht und sie rannte über den Flur, um ihren Bruder Mercusio mit einer Faust mitten ins Gesicht liebevoll einen guten Morgen zu wünschen.
Doch Mercusio war noch nicht ganz wach, deshalb schlug er ihr nur sanft mit der Faust gegen den Arm und ging an ihr vorbei, um eine Tasse Kaffee in der Küche zu trinken.
Da er vor seinem ersten Kaffee nicht ansprechbar war, wartete sie geduldig im Hausflur auf ihn, da sie wusste, dass er es hasste, wenn man ihn beim Frühstück störte und zog sich in der Zwischenzeit ihre Schuhe an. Doch er ließ sich mit seinem Frühstück heute mehr als Zeit und sie verlor langsam die Geduld. Gerade wollte sie schon in die Küche gehen, um nachzusehen, ob er nicht beim Frühstück eingeschlafen war, da ging plötzlich die Tür auf und ihr Bruder Kein kam herausgerannt, dicht gefolgt von Humble, der ihn mit einem Bügeleisen verfolgte.
„Ich weiß genau, dass du dieses Hemd aus dem Bügelwäschekorb gemopst hast! Und zwar bevor ich es bügeln konnte!“
Humble bezog sich auf Keins apricotfarbenes Hawaiihemd mit den riesigen pinken Blumen, dass er zu einer schwarzen Hose mit weißen Punkten, karierten Wollsocken und lila High Heels trug. Ihr Bruder Humble hasste faltige Kleidung, nicht nur an sich selbst, sondern auch an anderen, weshalb er im Hause Capriciosa, nicht nur für das Waschen, sondern auch für das Bügeln zuständig war und es daher nicht duldete, wenn jemand Wäsche aus seinem Korb entwendete, wenn diese noch nicht gebügelt war. Jeder wusste das, dennoch machte sich Kein ab und zu den Spaß und nahm sich doch ein Kleidungsstück heraus, nur um seinen peniblen Bruder zur Weißglut zu bringen. Im Vorbei gehen, rief er Devlin zu, dass Mercusio gerade mit dem Frühstück fertig geworden sei, bevor er sein Tempo beschleunigte, um seinem Bruder zu entkommen. Dies ließ sie sich nicht zweimal sagen und rannte, ungeachtet der Essengerüche, in die Küche. Mercusio seufzte als er seine Schwester erblickte, doch schließlich lächelte er und willigte endlich ein ihr das Schiff zu zeigen.
Buggy Jr. der gerade zur Tür hereingekommen war, hatte das Gespräch mitangehört und wollte mitkommen um seiner immer noch wütenden Mutter zu entfliehen und quengelte solange, bis Devlin und Mercusio einverstanden waren ihn mitzunehmen.
Mercusio ging nach oben, um sich umzuziehen und kam eine Viertelstunde später mit einem weißen Shirt und einer braunen Leinenhose und braunen Sandalen die Treppe herunter, die schulterlangen Haare zu einem strubbeligen Pferdeschwanz zusammengebunden. Devlin konnte es kaum erwarten und stürmte zur Tür, als ihre Schwester ihr befahl stehen zu bleiben. Frustriert seufzte sie und drehte sich zu Rapunzel um, die sie mit hochgezogenen Augenbrauen musterte.
„Du willst ernsthaft so vor die Tür gehen?“ fragte sie und sah zuerst Devlin und dann Mercusio an.
Beide blickten kurz an sich herab, verstanden aber nicht, was ihre Schwester an ihrer Kleidung zu beanstanden hatte. Devlin trug wie immer einen ihrer einfarbigen Overalls, einen zitronengelben. Doch Rapunzel bezog sich nicht auf ihre Kleidung.
Sie packte Mercusios Haarschopf und hielt ihm die strubbelige Haarpracht tadelnd ins Gesicht.
„Wollt ihr mich vor dem ganzen Dorf blamieren? Ich bin Frisörin, wie glaubt ihr, sieht das denn aus, wenn ihr rumlauft wie Straßenköter? Nein, nein, erst kämmen und dann geht es raus. Nehmt euch ein Beispiel an Buggy Jr. Er mag zwar ein gemeiner Schmuckdieb sein, aber wenigstens kämt er sein Haar jeden Morgen mindestens 1000 Mal so wie es sich gehört.“
Buggy Jr. grinste bei den Worten seiner Mutter von einem Ohr zum anderen, und legte sich sein glänzendes, zu einem Fischgrätenzopf geflochtenes Haar über die Schulter. Liebevoll trat er seiner Mutter gegen das Schienbein, woraufhin sie ihm mit der flachen Hand auf den Hinterkopf schlug, ein Zeichen dafür, dass sie ihm verziehen hatte. Sie konnte ihm sowieso nie lange böse sein, dafür liebte sie ihn zu sehr.
Nachdem Rapunzel Mercusio und Devlin eigenhändig die Haare durchgekämmt hatte, bis ihre Haare glänzten, ließ sie sie endlich gehen. Devlin konnte es kaum noch erwarten und rannte voraus Richtung Hafen, wo ihr Schiff schon auf sie wartete, während ihr Bruder mit Buggy Jr. spielte. Ihr eigenes Schiff. Endlich war es soweit! Da Schnabel noch zu Hause saß und frühstückte, befand er sich noch nicht in seinem Häuschen im Hafen und so war alles ruhig als sie ihn erreichte. Devlins Schritte verlangsamten sich, als sie am Ende des großen Bootstegs ihr Schiff stehen sah, dass lautlos im Wasser trieb. Ehrfürchtig kam sie näher, betrachtete die liebevollen Details, die sie und Mercusio über die Jahre in das Holz des Schiffes geschnitzt hatten und sie schluckte den Kloß in ihrem Hals herunter. Es war genauso wie sie es sich in ihren Träumen immer ausgemalt hatte, nein sogar noch besser. Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Augen, um sicher zu gehen, dass sie nicht träumte oder ihre Augen ihr einen Streich spielten und lief am Schiff entlang, um sich alles genau anzusehen.
Mit einem glücklichen Lächeln, stellte sie fest, dass Mercusio die Gallionsfigur endlich fertig gestellt hatte, die die Form der Sonne hatte, dessen Sonnenstrahlen sich seitlich entlang des Schiffes erstreckten und durch ihre gezackte Form eigentlich eher an gelbe Blitze erinnerten, als an Sonnenstrahlen, aber das störte sie nicht weiter, im Gegenteil ihr gefiel es sogar sehr. Ihre Haare wurden länger, schlängelten sich langsam nach oben und wickelten sich um den Hauptmast des Schiffes, an dem sie sich langsam heraufzog, bis ihre Füße das Deck berührten. Sie besaß diese Fähigkeit schon seit sie denken konnte. Anfangs hatte sie geglaubt, dass sie eine Teufelsfrucht besaß, doch da sie schwimmen konnte, verwarf sie diese Theorie wieder und akzeptierte einfach, dass sie sie besaß, auch wenn weder sie noch ihre Geschwister eine Erklärung dafür hatten. Lächelnd erinnerte sie sich noch an den Tag, als sie ihre Fähigkeit zum ersten Mal entdeckt hatte. Sie war vier und wollte ihrem Bruder Kein hinterher klettern, der auf einen Baum gestiegen war, um sich eine besonders große Salami zu pflücken, als er plötzlich das Gleichgewicht verlor. Er wäre vermutlich runtergefallen und hätte sich den Arm oder sonst etwas gebrochen, wenn sie ihre Haare nicht ausgestreckt und seinen Sturz abgebremst hätte. Er war natürlich begeistert, von ihrer Fähigkeit, während sie anfangs ein bisschen Angst vor ihr hatte, da sie nicht wusste, warum sie sie besaß oder wie man sie kontrollierte. Auch ihre anderen Geschwister waren nicht begeistert, denn ihre neue Fähigkeit bereitete ihnen sorgen, gerade weil sie noch so jung war, doch genauso wie Devlin gewöhnten sie sich auch an diese Eigenart von ihr und lernten damit umzugehen. Kein aber, war von Anfang an begeistert von ihrer Fähigkeit und dachte sich immer wieder neue Aufgaben für sie aus, um ihre Fähigkeiten zu trainieren. Er lernte sogar nähen, denn er wollte unbedingt Kostüme für sie entwerfen, doch seine Kreationen waren für sie dann doch etwas zu ausgefallen. Doch davon ließ er sich nicht unterkriegen und entwarf weiter fleißig Kleidungsstücke, die er dann selbst trug und träumte davon, eines Tages Modedesigner zu werden. Auf dem Deck angekommen ließen ihre Haare den Mast wieder los und wurden wieder kürzer. Langsam ging sie über das komplett mit Gras und Blumen bewachsene Deck, zum Gewächshaus hinüber. Es war komplett verglast und nahm fast das halbe Deck ein und beherbergte jene Pflanzen, die etwas empfindlicher waren. Mercusio hatte für das Gewächshaus ein spezielles Glas verwendet, dass nur von innen durchsichtig war, während man von außen nicht hineinsehen konnte. Sie freute sich schon, ihr erstes Sonnenbad darin zu nehmen und schirmte mit ihrer Hand ihre Augen ab, um zum Ausguck hinaufzublicken, der mit seiner runden, gelben Form ebenfalls an die Sonne erinnerte und auf einem riesigen Baum thronte, der als Hauptmast diente. Devlin freute sich, dass sie ihn mitnehmen konnte, denn er war seit ihrer Geburt Teil ihres Lebens gewesen und mit ihr herangewachsen. Auch wenn ihre Geschwister sie für verrückt hielten, glaubte sie manchmal ein Flüstern zu hören, dass vom Wind an ihr Ohr getragen wurde und zu ihr sprach, wie an diesem Tag vor neun Jahren, als diese Stimme wieder zu ihr gesprochen und ihr zugeflüstert hatte, dass sie mitreisen wolle und einen hervorragenden Mast abgeben würde. Devlin hatte die Stimme zunächst für Einbildung gehalten und nicht recht gewusst, was sie damit gemeint hatte, aber als der Baum dann eines Tages plötzlich im Hafen gestanden hatte, als würde er auf sie warten, hatte sie die kryptischen Worte verstanden und ihren Bruder gebeten ihn in das Schiff zu integrieren. Ihr Bruder hatte ihr diesen Wunsch erfüllt, ebenso wie ihre Bitte, für das Schiff kein Holz zu verwenden, weil ihr bei dem Gedanken, dass er Bäume tötete, um ihr ein Schiff zu bauen, ein eiskalter Schauder über den Rücken lief, denn sie liebte Pflanzen über alles. Sie verstand zwar, dass Holz notwendig war, um Möbel daraus herzustellen und auch das ihre Familie wenig Verständnis für ihre Gefühle hatte, doch das bedeutete nicht, dass ihr Schiff auch aus Holz sein musste. Oder die Möbel, die sich auf dem Schiff befanden. Es reichte schon, dass ihre geliebten Bücher aus Papier hergestellt waren, dass aus Bäumen gemacht wurde, weshalb sie jedes Buch mit dem größten Respekt behandelte, damit ihr Opfer nicht umsonst gewesen war. Aus diesem Grund hatte Mercusio einen Holzersatz entwickelt, dass aus Reishülsen, Steinsalz sowie Mineralölen bestand und sehr pflegeleicht und widerstandsfähig gegen äußere Umwelteinflüsse war, um das Schiff und die Möbel zu bauen.
Ihre Augen strahlten vor Glück als ihr Blick bewundernd über die kleinen Schnitzereien wanderte, die sich in jeder Wand, jedem Bullauge und jedem Möbelstück, das sich an Bord befand, wiederfanden und das Thema Sonne trugen, sei es in den gelben Farben, oder den sonnenförmigen Verzierungen.
Eigentlich hatte sie vorgehabt, sich das Schiff mit ihrem Bruder gemeinsam anzuschauen, doch jetzt wo sie hier an Deck stand, konnte sie nicht mehr warten und stieg die Wendeltreppe zu den Unterdecks hinab.
Kapitel 4 Überzeugungskünste
Kapitel 4
Die Sonnenstrahlen schienen durch die Fenster und durchfluteten das Unterdeck mit Licht, als Devlin über den schmalen Gang lief und die erste Tür zu ihrer linken öffnete.
Da sie nicht wusste, welches Geschlecht ihre Mitglieder haben würden, hatte sie und Mercusio sich entschieden, sowohl Schlafkajüten für Männer als auch für Frauen zu bauen und hoffte, dass sie sich in ihnen wohlfühlen würden. Die Zimmer waren schlicht eingerichtet und besaßen nur einen begehbaren Kleiderschrank indem jeder seine Kleidungsstücke unterbringen konnte, ein Badezimmer, dass an die Schlafkajüten angrenzte und 6 Betten in jedem Zimmer, die jeweils zu zweit übereinander an der Wand verschraubt waren. Nur ein Bett in der Schlafkajüte der Frauen war nicht an der Wand verschraubt, sondern stand direkt unter dem Fenster. Dieses beanspruchte sie für sich selbst, denn sie konnte den Anblick eines Bettes über ihrem Kopf nicht ertragen, da es sie zu sehr an einen Sargdeckel erinnerte. Allein schon beim Gedanken daran bekam sie Angstzustände und verließ das Zimmer schnell wieder, um sich den nächsten Raum anzusehen.
Gegenüber der Schlafkajüten befand sich ihre Werkstatt, in der sie in Ruhe arbeiten konnte, wenn sie Reparaturen durchführen oder an etwas Neuem basteln wollte. Sie war zwar nicht so gut wie ihr Bruder Mercusio, dennoch hatte sie sich in den letzten Jahren einiges bei ihm abgeguckt und wurde immer besser und geschickter. Das galt auch für das Lesen von Seekarten.
Am Ende des Ganges war die Bibliothek, die aus dutzenden Regalen mit Büchern, einem winzigen Tisch mit Stuhl sowie einem kleinen Sofa bestand, auf dem sie sich ausstrecken konnte, wenn sie sich entspannen wollte um in einem besonders spannenden Buch zu lesen. Hinter der Bibliothek hatte sie sich einen Raum eingerichtet, in dem sie Seekarten und Utensilien zur Berechnung von Kursen aufbewahrte, die alle fein säuberlich in einem Schrank aufbewahrt wurden. Außerdem hatte sie einen gemütlichen Sessel hineingestellt, der vor einem Sekretär stand. Sie hoffte, dass sie alles hatte, was ihr Navigator brauchte und wenn nicht, ließe es sich bestimmt schnell beschaffen. Devlin vergewisserte sich, dass die Beleuchtung funktionierte, bevor sie den Kartenraum sowie die Bibliothek verließ, um über die Wendeltreppe in das zweite Unterdeck zu gelangen in der sich die Waschküche befand, die sie sich aber nicht anschaute, da sie nur aus einem Waschkübel, einem Waschbrett sowie mehreren Wäscheleinen bestand, um die gewaschene Wäsche zum Trocknen aufzuhängen.
Zu guter Letzt gelang sie in das dritte Unterdeck, wo sich die Küche, die Vorratskammer sowie das Krankenzimmer befanden.
Da dieses Deck sie noch weniger als die Waschküche interessierte, hielt sie sich auch hier nicht lange auf, sondern schaute nur, was ihr Bruder daraus gemacht hatte, um ihre Neugier zu befriedigen. Devlin musste über den Perfektionismus ihres Bruders lächeln, der sich mit den Holzschränken und der Arbeitsfläche sowie dem Esstisch und den Stühlen sehr viel Mühe gegeben hatte und jedes Möbelstück mit hübschen Schnitzereien in Form von Sonnen verziert hatte. Wenn es nach ihr gegangen wäre, würde hier nur ein Campingkocher, sowie ein paar Klappstühle und ein Klapptisch stehen, aber Mercusio hatte sie überzeugen können, dass sie ihrer Mannschaft einen gewissen Komfort bieten musste, um ihre Mahlzeiten einnehmen zu können. Die Vorratskammer befand sich direkt hinter der Küche und war ebenso wie die Bibliothek mit Regalen vollgestellt, in denen Konserven standen, denn frisches Fleisch oder andere schnell verderbliche Lebensmittel machten keinen Sinn, solange sie noch keine Crew besaß. Sie konnten frische Lebensmittel immer noch später kaufen. Und Obst und Gemüse konnte sie sich aus ihrem Gewächshaus nehmen.
Devlin verließ die Küche und überquerte den Gang, um ins Krankenzimmer zu gelangen, in dem sich zwei Betten befanden, ein Schreibtisch und ein Stuhl, sowie zwei Glasschränke die Humble mit Medikamenten, Medizinbüchern und medizinischen Utensilien zur Behandlung von kranken oder verletzten Patienten gefüllt hatte.
Es hatte sie einige Überzeugung gekostet, ihn dazu zu bewegen ihr Krankenzimmer auszustatten, denn er und Rapunzel waren dagegen, dass sie in die Welt zog und Santa Bolognese verließ, da sie fürchteten, ihr könnte etwas passieren. Ihr graute schon vor dem Moment, in dem sie die Insel verlassen würde, denn sie wusste, welche Angst sie davor hatten. Die beiden waren für sie die Eltern, die ihr das Schicksal leider vergönnt hatte und auch wenn sie manchmal anstrengend sein konnten, liebte sie sie trotzdem und war ihnen dankbar, dass sie auf sie aufgepasst hatten. Seufzend ging sie die Stufen wieder nach oben, um nachzusehen wo Mercusio und Buggy Jr. blieben. Inzwischen hatten die beiden das Schiff auch erreicht und Buggy Jr. lief aufgeregt übers Deck, schwang sein Holzschwert durch die Luft, als würde er einen unsichtbaren Gegner bekämpfen und rief dabei immer wieder irgendwelche Attacken.
Ihr älterer Bruder musterte sie neugierig. Sie konnte an seinen Augen sehen, dass er es kaum erwarten konnte, von ihr mit Komplimenten für seine Arbeit überschüttet zu werden und platzte fast vor Stolz über sein Werk. Wenn es ihn an einem nicht mangelte, dann an Selbstbewusstsein.
Eigentlich hatte sie vorgehabt ihn ein bisschen zu ärgern, indem sie einfach irgendwelche Mängel erfand, doch sie wusste, dass er ihr nicht glauben würde, dafür war er zu überzeugt von seiner Arbeit, daher gab sie ihm die Anerkennung, nach der er so lechzte und überschüttete ihn mit Komplimenten, woraufhin sein Grinsen immer breiter wurde. Selbst Buggy Jr. war begeistert und wollte unbedingt mitreisen, doch Devlin schenkte ihm nur ein Lächeln und schlug ihm zärtlich mit der Faust auf den Kopf. Sie versuchte ihm zu erklären, dass das nicht gehe, weil seine Mama sie sonst umbringen würde.
„Nicht, wenn ich Papa wieder nach Hause bringe. Ich bin sicher, dann würde sie mich gehen lassen, um ihn zu suchen“, sagte Buggy Jr. und benutzte seine gefürchtetste Waffe: den Hundeblick.
Er schob zitternd die Unterlippe vor und schniefte dabei laut, während er seine Tränendrüsen aktivierte und zu ihr aufsah, bevor er theatralisch seine Arme um ihren Oberschenkel schlang und mit einer Inbrunst schluchzte, als ob sein Kater und geliebter Spielgefährte Aristoteles soeben gestorben wäre.
„Aber… aber… ich will doch nur zu meinem Papaaaaaa!“
Devlin rollte mit den Augen, während sie ihm immer wieder liebevoll Backpfeifen mal auf die linke und mal auf die rechte Wange verpasste und erfolglos versuchte beruhigend auf ihn einzureden.
Eines musste man ihm lassen, er war ein hervorragender und sehr überzeugender Schauspieler. Doch vor allem war er ein perfider Manipulator, der wusste welche Knöpfe er bei seinem gegenüber drücken musste, um zu bekommen was er wollte. Die einzige, die sich nicht von seinen Schauspielkünsten täuschen ließ, war seine Mutter. Zumindest meistens nicht.
„In Ordnung Buggy, ich rede mit Mama“, gab sie schließlich klein bei nur um ihn ruhig zu stellen, denn sie konnte Heulsusen nicht ertragen, was der kleine Mistkerl nur zu gut wusste. Sofort hörte er auf zu weinen und wischte sich mit den Händen übers Gesicht, bevor er sie angrinste.
„Ich wusste, du wirst nicht nein sagen“, sagte er und drehte sich um, um seinem Onkel aufgeregt von seinen Reiseplänen zu erzählen. Die Geschwister tauschten einen kurzen Blick aus und Devlin gab ihrem Bruder mit einem Schütteln ihres Kopfes zu verstehen, dass sie ihn nicht mitnehmen würde, woraufhin dieser verständnisvoll lächelte, denn er wusste, wie anstrengend ihr Neffe sein konnte, wenn er unbedingt etwas haben wollte.
„Wie soll das Schiff eigentlich heißen?“ fragte Mercusio und Devlin antwortete, ohne zu überlegen, denn seit sie das Schiff zum ersten Mal gesehen hatte, stand für sie fest, dass es Giardino Soleggiato heißen sollte.
„Sonniger Garten also… gefällt mir,“ stimmte ihr Bruder ihr zu, doch Buggy Jr. fand, dass es einen furchteinflößenden Namen brauchte, der seine Gegner schon beim Klang vor Angst erzittern ließ. Er listete mindestens ein Dutzend Namen auf, doch einer klang verrückter als der andere und entlockte Devlin nicht mehr als ein Augenrollen, daher trat sie Buggy Jr. mit dem Fuß in den Hintern, um ihn zum Schweigen zu bringen und fragte ihn ob er den Rest des Schiffes auch sehen wolle. Begeistert riss er die Arme in die Luft und stürmte die Wendeltreppe runter, dicht gefolgt von seinem Onkel und seiner Tante.
Als sie eine Stunde später wieder Zuhause ankamen, wurden sie schon von Rapunzel erwartet, die ungeduldig mit ihrem rechten Fuß wippte, ein sicheres Zeichen dafür, dass sie langsam wütend wurde und sie beschleunigten ihre Schritte, denn keiner wollte sie wütend erleben.
Buggy eilte seiner Mutter mit ausgestreckten Armen entgegen und schlang seine Arme zu einer knochenbrechenden Umarmung um ihre Hüfte, während er ihr aufgeregt erzählte, dass das Schiff endlich fertig sei und er mit seiner Tante mitfahren würde um seinen Papa zu suchen.
Sofort ruckte Rapunzels Kopf, wie das Maul einer Schnappschildkröte nach oben und ihre Augen funkelten ihre Geschwister mit einer Intensität und Bedrohlichkeit an, die ihre Knie schlottern ließen.
„Ist das so, mein Süßer? Davon hat Tante Devlin ja gar nichts erzählt. Zumindest kann man Mami sich beim besten Willen nicht daran erinnern. Was hältst du davon, wenn du schnell hineingehst, um zu frühstücken, während ich mit Tante Devlin die Einzelheiten eurer Reise bespreche? Ich habe deine Lieblingspfannkuchen gemacht!“
„Au ja“ rief Buggy Jr. und rannte ins Haus, während seine Mutter ihre Geschwister mit ihrem Todesblick bedachte. Mercusio und Devlin schluckten und hoben beschwichtigend die Arme.
„Ich versichere dir, er hat da was missverstanden! Du weißt ich würde ihn nie einer solchen Gefahr aussetzen!“
„Und was ist mit deiner eigenen Sicherheit, hm? Wie lange glaubst du, auf dem Meer zu überleben? Du kennst dich mit Navigation doch gar nicht ausreichend aus und würdest beim erstbesten Sturm gnadenlos kentern und ertrinken. Hat dir Humble denn nicht genug Bücher über die Gefahren des Meeres zum Lesen gegeben?“
„Doch, gerade deshalb weiß ich ja, was…“
„Schnauze!“ schrie sie und zeigte mit vor Wut bebendem Finger auf ihren Bruder.
„Und duuuu…“ fauchte sie und ihre Augen funkelten dabei so bedrohlich, dass Mercusio vor Angst zurückwich. „Wie konntest du sie bei diesem Himmelfahrtskommando unterstützen?! Sie ist unsere kleine Schwester, verdammt! Haben wir uns nach dem Tod von Mutter und Vater nicht geschworen, dass wir aufeinander aufpassen würden? Wie soll das gehen, wenn sie die Insel verlässt?! Wir können sie dann nicht mehr beschützen!“
„Rapunzel…“
Mercusio näherte sich seiner Schwester wie ein Sprengstoffexperte einer Bombe, darauf bedacht sie nicht durch irgendwelche falschen Worte doch noch zum Explodieren zu bringen.
„Schwesterchen…“ sagte er zärtlich und senkte seine Hände langsam herab, um sie vorsichtig auf die Schultern seiner Schwester zu legen. Seine blauen Augen blickten sie liebevoll an und er sprach mit seiner sanften, warmen Stimme zu ihr, die selbst Eisberge zum Schmelzen brachte.
„Du weißt doch genau wie ich, dass wir nicht ewig alle zusammenleben können. Devlin ist 17 und will, nein muss, ihre eigenen Erfahrungen machen. Außerdem ist Santa Bolognese Gift für sie, sie wird hier nie so unbeschwert und frei leben können, wie anderswo und das weißt du. Willst du denn nicht, dass sie glücklich wird? Das sie sich frei bewegen kann? Frei atmen kann ohne sich um irgendwelche Pollen sorgen zu müssen, die ihr gefährlich werden könnten? Willst du sie wirklich ein Leben lang an dich binden, bis du sie mit deiner Liebe erdrückst?“
Mercusio drückte zärtlich Rapunzels Schultern und seine Stimme brach sich fast, während er weitersprach.
„Glaub mir, mir fällt es genauso schwer wie dir unser Schwesterchen gehen zu lassen, aber vertrau mir, wenn ich sage, dass ich ihr das Beste und sicherste Schiff gebaut habe, dass es gibt. Es hat alles was sie braucht, damit es ihr an nichts fehlt und ich werde dafür sorgen, dass regelmäßig ein Postvogel zu ihr fliegt, damit sie uns schreiben kann, wie es ihr geht.“
Rapunzel schwieg, doch er wusste, dass seine Worte sie erreicht hatten, sie wusste, dass er recht hatte, doch stur wie sie war, würde sie den Teufel tun und dies zugeben, daher drehte sie sich um und ging zum Haus zurück, ohne ihre Geschwister noch einmal anzusehen. Kaum war sie in der Tür verschwunden, atmeten Mercusio und Devlin erleichtert aus. Die Gefahr wäre abgewendet. Zumindest vorerst. Ihr Bruder drehte sich zu ihr um und sie bemerkte die Traurigkeit in seinen Augen, als er sie fragte, wann sie abreisen wolle.
„So schnell wie möglich, bevor mich der Mut wieder verlässt“ sagte sie und eilte nun ebenfalls zum Haus. So unauffällig wie möglich wischte sie sich mit dem Ärmel über die Augen und herrschte sich an, sich zusammen zu reißen, denn sie musste schließlich noch Humble überzeugen, sie gehen zu lassen, der mindestens genauso sturköpfig war wie Rapunzel.
Kapitel 5 Abschied
Kapitel 5
Humble war geschockt, als er erfuhr, dass das Schiff fertig war und die Abreise seiner Schwester nun unmittelbar bevorstand. Doch im Gegensatz zu Rapunzel, hatte er sich mit der Tatsache schon vor langer Zeit abgefunden, dass er Devlin nicht aufhalten konnte, sonst hätte er ihr nicht die Bibliothek und die Krankenstation eingerichtet. Daher seufzte er nur und verpasste ihr einen Leberhaken bevor er sie zu einer Umarmung an sich zog, die sich anfühlte als ob sie mit einem Grizzlybären kuscheln würde. Devlin ging sicher, dass Buggy Jr. immer noch draußen spielte und sie nicht hören konnte, bevor sie auch dem Rest ihrer Familie von ihrer Abreise erzählte.
Rapunzel entschloss sich Buggy Jr. mit zum Friseursalon zu nehmen, damit Devlin und ihre Brüder alles für die Abfahrt vorbereiten konnten. Es dauerte nicht lange, bis die ersten Dorfbewohner Wind davon bekamen und zum Hafen rollten, um sich zu erkundigen was los war. Neugierig durchlöcherten Sie Humble mit Fragen, wollten von ihm wissen, ob es stimmte, dass Theodor wirklich von einer Kreatur angegriffen worden war und ob der Fremde, der gestern plötzlich im Dorf aufgetaucht war, etwas damit zu tun haben könnte. Dieser bejahte zwar den Angriff, gab aber gleichzeitig zu bedenken, dass sie nicht einfach jemanden auf bloßen Verdacht anklagen sollten, bloß weil er fremd und zufällig zur selben Zeit aufgetaucht war, kurz bevor der Angriff stattfand. Doch die Dorfbewohner wollten nicht an einen Zufall glauben und erzählten, dass man schon überall nach ihm suche. Humble erkundigte sich, ob es seitdem weitere Angriffe gegeben habe, doch die Dorfbewohner verneinten und erkundigten sich bei den Brüdern ob sie bereit wären, sich an einer Bürgerwehr zu beteiligen, um ihn ausfindig zu machen.
Als die Capriciosa Männer alle einstimmig nickten, waren die Dorfbewohner erleichtert und sie besprachen wer wann patrouillieren würde. Devlin fand es auch nicht richtig, den Fremden einfach zu verdächtigen, ohne ihm die Chance zu geben, sich zu verteidigen, doch sie war erleichtert, dass ihre Brüder sich an der Suche beteiligten und hoffte, sie würden ihn noch vor dem wütenden Mob finden um die Sache aufzuklären. Und falls er sich doch als schuldig herausstellte, würden sie ihn zur Strecke bringen, denn jeder ihrer Brüder war enorm stark.
Als das Schiff endlich beladen und der Moment des Abschieds gekommen war, fiel es Devlin sichtlich schwer die passenden Worte zu finden, denn ihr fiel der Abschied ebenso schwer wie ihrer Familie. Besonders Rapunzel brachte es nicht über sich, ihr Lebewohl zu sagen und war daher im Laden geblieben und gar nicht erst Zuhause aufgetaucht. Devlin war darüber sehr betrübt, doch sie konnte es ihrer Schwester nicht verübeln, denn sie wusste, dass sie sich nur sorgen um sie machte und dass seit dem Tag ihrer Geburt. Mercusio war der erste, der aus der Reihe trat und einen Schritt auf Devlin zumachte, um ihr einen Beutel mit Geld zu überreichen.
„Das… das ist nicht viel, aber es wird für die erste Zeit reichen, wenn du sparsam damit umgehst.“
Devlin dankte ihm kleinlaut, nahm den Beutel an sich und befestigte ihn an ihrem Gürtel.
„Also… dann lasst uns auf Capriciosa Art Abschied nehmen…“ sagte Mercusio und nahm ebenso wie der Rest seiner Brüder seine Kampfhaltung ein. Devlins Augen strahlten vor Glück, denn solche Geschwisterprügeleien mit allen Brüdern gleichzeitig waren sehr selten geworden. Nur noch zu Weihnachten und an Geburtstagen ließen sie sich dazu hinreißen, denn besonders Humble und Gulliver waren solche Liebesbekundungen in aller Öffentlichkeit mittlerweile etwas peinlich. Sofort stellte sie sich breitbeinig hin und gab mit ihrer rechten Hand ihren Brüdern ein Zeichen sie anzugreifen.
Wie ein Blitz schoss Mercusios Bein nach vorne und feuerte ein paar gezielte und sehr harte Tritte auf seine Schwester ab, die sie parierte, während sie gleichzeitig den auf sie niederprasselnden Fäusten ihrer Brüder Gulliver und Schnabel auswich. Mit jeder weiteren Attacke wurde sie unweigerlich zurückgedrängt, direkt in die Arme von Humble, der sich nach vorne beugte und seine Arme um Devlin Brust schlang und sie von den Füßen riss. Wie ein Kreisel drehte er sich um die eigene Achse, immer schneller und schneller, bis er schließlich genug Schwung hatte und mit Devlin im Arm wie ein Komet senkrecht abhob und durch die Luft wirbelte.
Devlin kannte diese Technik nur zu gut, denn sie war der Grund, dass fast Gullivers gesamter Hinterkopf eine dicke Eisenplatte zierte nachdem Humble ihm im Alter von 8 Jahren beim Spielen fast den Schädel zertrümmert hatte, als er dieselbe Technik angewandt hatte. Seitdem hatte er hart an seiner Technik gearbeitet, um sie besser kontrollieren zu können und solche Unfälle künftig zu vermeiden. Doch auch wenn ihr Bruder ein ziemlich harter Brocken war, wusste sie sich dennoch zu helfen. Mit ihrem Ellenbogen verpasste sie ihm erst einen Schlag in den Magen, bevor sie ihren Oberkörper ruckartig nach vorne kippte. Wie ein Pfeil schoss Humble über ihren Rücken nach vorne und sauste im Steilflug Richtung Erde, dicht gefolgt von Devlin. Doch da tauchte plötzlich wie aus dem nichts Kein auf und sprang mit den Füßen voran auf sie zu. Die Beine um ihren Hals schlingend, packte er fest zu und vollführte in der Luft eine Rückwärtsrolle, bevor er sie losließ und zu Boden schleuderte. Mit den Reflexen einer Katze ausgestattet, gelang es Devlin jedoch in letzter Sekunde auf ihren Füßen zu landen. Blitzschnell richtete sie sich auf, denn ihre Brüder kamen nun von allen Seiten auf sie zu zugestürmt, während Kein von oben angeflogen kam. Devlin wollte ihre Arme ausstrecken und sie abwehren indem sie sich um die eigene Achse drehte, doch so weit kam sie gar nicht mehr, denn ihre Brüder stürzten sich mit ausgestreckten Armen auf sie und schlossen sie zu einer Gruppenumarmung zwischen sich ein.
Mit Händen und Füßen versuchte sie sich zu befreien, denn sie konnte spüren wie sich ein riesiger Kloß in ihrem Hals bildete, der immer größer wurde, je länger die Umarmung andauerte.
„OK, genug das reicht!“ schrie sie und boxte jeden einzelnen in den Magen und befreite sich schließlich. Plötzlich konnte sie gar nicht schnell genug verschwinden und zog sich an ihren Haaren an Bord, bevor sie ihre Meinung änderte, denn sie merkte, dass sie die Tränen kaum noch zurückhalten konnte.
Sie löste den Anker und blickte zu ihren Brüdern hinab die alle zu ihr aufschauten und sich mit der rechten Faust auf die linke Brust schlugen. Devlin schluckte, als sie realisierte, dass es sich um ihr Geheimzeichen handelte, dass so viel wie „für immer in meinem Herzen“ bedeutete. Devlin tat es ihnen nach und schluckte einen weiteren Kloß hinunter.
Traurig blickte sie zurück zur Insel, die sich immer weiter entfernte. Ihr Herz wurde ihr schwer, als sie daran dachte, dass sie sich nicht von ihrer Schwester verabschiedet hatte und sie bedauerte es sehr, dass sie sich nicht ausgesprochen hatten. Doch dann, wie aus dem nichts, bemerkte sie plötzlich die Gestalt ihrer Schwester, die zwischen ihren Brüdern hervortrat und dem davon segelnden Schiff nachblickte. Sie konnte die Wut und die Traurigkeit, die ihre Schwester empfand, förmlich spüren und kämpfte mit den Tränen, die sich nun doch langsam nach oben bahnten. Mit den Armen durch die Luft rudernd, winkte sie ihrer Familie zum Abschied zu und die Tränen, die sie bis dahin so erfolgreich verdrängt hatte, liefen ihr nun doch übers Gesicht.
„Es tut mir leid! Bitte verzeih mir, Rapunzel! Ich verspreche dir, ich werde auf mich aufpassen und euch regelmäßig schreiben! Ich hoffe du wirst eines Tages verstehen, warum ich gehen muss! Wir werden uns eines Tages wiedersehen!“ Ich hab euch lieb! So furchtbar lieb!“ schrie Devlin und hoffte, dass ihre Geschwister sie hörten. Sie winkte selbst noch als die Umrisse ihrer Familie nicht mehr zu sehen waren und ihre Arme schon weh taten. Erschöpft sank sie zu Boden, während ihr die Tränen in Strömen übers Gesicht liefen und ihr Körper von lauten heftigen Schluchzern erfasst wurde, die sie erzittern ließen.
Mercusio, Humble, Gulliver, Kein, Schnabel und Rapunzel standen noch lange am Kai und blickten dem Schiff ihrer Schwester nach, dass inzwischen kaum mehr als ein kleiner Fleck am Horizont war.
„Hey großer Bruder, dürfen wir jetzt endlich heulen?“ fragte Kein, dem die Tränen und der Schnodder in Sturzbächen übers Gesicht liefen und eine riesige Lache auf dem Boden verursachte.
„Tust du das nicht schon bereits?“ fragte Mercusio lautstark schniefend.
„Halt die Klappe und fass dich lieber an die eigene Nase, Heulsuse!“ schrie er ihn an und wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht.
„Verdammt, sie wird mir fehlen!“ sagte und vergrub seine Nase im Hemd seines Bruders Schnabel um hinein zu schniefen und sich die Nase zu putzen, worauf ihn dieser anschnauzte.
„Sag mal geht´s noch?! Soll ich dir zu den Blumen auf deinem Hemd ein paar Veilchen auf die Augen verpassen, Giftzwerg?“
„Das sagt der Richtige, wer kann denn bei Mercusio gerade so unter der Achselhöhle durchgucken?“
„Und du reichst ihm doch gerade so weit, dass du ihm die Fusseln aus dem Bauchnabel puhlen kannst.“
Sofort stürzten sie sich aufeinander und fochten einen ihrer üblichen Streits aus, der von ihren Geschwistern allerdings nur mit einem Schulterzucken quittiert wurde. Sie wussten, wenn die beiden erst einmal in Fahrt waren, konnte es Stunden dauern, bis sie sich wieder beruhigten und gingen einfach zum Haus zurück, während die beiden ihren Aggressionen freien Lauf ließen.
Devlin hatte gewusst, dass der Abschied schwer werden würde, aber nicht wie schwer. Dennoch wusste sie, dass sie das Richtige tat und so wischte sie sich die lästigen Tränen aus dem Gesicht und überlegte sich wie sie sich von ihrer Sehnsucht nach ihrer Familie ablenken konnte.
Ihre Augen wanderten zur Sonne, die sich langsam am Horizont herabsenkte und ihre letzten Sonnenstrahlen auf das Meer warf und zum ersten Mal seit ihrer Abreise, lächelte sie. Hastig streifte sie ihre Kleidung ab und stellte sich breitbeinig und nackt hin. Ihre Arme ausstreckend hob sie sie in die Höhe und genoss die letzten Strahlen des Tages. Zum ersten Mal in ihrem Leben konnte sie den Sonnenuntergang voll auskosten, ohne Angst haben zu müssen, dass irgendwelche Pollen allergische Hautreaktionen bei ihr auslösten und genoss die neuerlangte Freiheit.
Kolasi, South Blue
Akira und Lios wateten durch das braune, stinkende Wasser und achteten darauf den Ratten auszuweichen, die durch die Kloake schwammen. Der beißende Gestank von Fäkalien und Amoniak, machte ihnen schon gar nichts mehr aus, sie rochen ihn nicht einmal mehr, denn er war ihnen so vertraut wie ihre Hände. Gerne hätten sie noch ein paar mehr von ihnen mitgenommen, doch erstens waren ihre Chancen auf Flucht größer, je kleiner ihre Gruppe war und zweitens war sich Akira nicht sicher, wem sie letztendlich vertrauen konnten, da es bekannt war, dass SEINE Lieblinge einen Sonderstatus genossen, wenn sie ihm im Gegenzug regelmäßig über Fluchtpläne oder dergleichen Bericht erstatteten oder ihm in anderen Dingen gefällig waren. Letztere waren nur als „Sugars“ bekannt und trugen ein Brandmal auf der Pobacke. Wer diese Spione allerdings waren, wusste niemand von ihnen, selbst die „Sugars“ nicht, nur dass sie unter ihnen lebten, daher traute er niemandem. Dem einzigen dem er bedingungslos vertraute, war Lios, mit dem er damals hier angekommen war und dem man sofort ansah, wenn er log. Anfangs hatte er Angst und sich geweigert mitzukommen, doch schließlich hatte Akira ihn überzeugen können mit ihm zu fliehen, denn sie beide wussten, was passieren würde, wenn sie noch länger hierblieben und davor hatten sie noch mehr Angst als vor den Konsequenzen, die ihnen drohten, wenn sie erwischt würden.
„Lios, komm wir müssen uns beeilen, bevor unser Verschwinden bemerkt wird!“ zischte er ihm flüsternd zu, aus Angst man könnte ihn hören und biss sich auf die Zähne, als ob er fürchtete, bestraft zu werden, wenn er weiterredete. Nervös blickte Akira immer wieder über seine Schulter. Noch nie war es ihm erlaubt gewesen, lauter als im Flüsterton zu sprechen, noch nicht einmal, wenn er sich vor Schmerzen krümmte, denn nichts wurde von IHM mehr gehasst, als Lärm, darum hüteten sich alle in seiner Gegenwart auch nur zu atmen, aus Angst in der Mülltonne zu enden.
„Ich kann nicht mehr Akira, ich bin müde und habe Hunger. Wir irren doch schon seit Stunden durch die Toilette und haben den Ausgang immer noch nicht gefunden.“
„Wir dürfen nicht aufgeben Lios, wir werden bestimmt bald den Ausgang finden“ versuchte er seinem Freund Mut zu machen, obwohl er sich selbst nicht mehr sicher war, ob die Wache, der er die Information entlockt hatte, die Wahrheit gesagt hatte. Es muss wahr sein! Ich habe dafür auch das letzte bisschen was ich besaß aufgegeben. Meinen Stolz. Meine Selbstachtung. Meine Unschuld.
Akira schüttelte bei dem Gedanken den Kopf, versuchte die dunklen Erinnerungen zu verscheuchen, die sich wieder in sein Bewusstsein drängten und ihn quälten. Nein, er musste sich auf ihre Flucht konzentrieren und seinen Freund antreiben sich zu beeilen. Er zuckte erschrocken zusammen als er glaubte etwas gehört zu haben und fürchtete schon, dass es einer von den Wächtern sein könnte, bevor er merkte, dass es nur sein Magen war.
Reiß dich zusammen, sie werden uns hier nicht suchen. Der Einzige, der Bescheid wusste war tot. Er erinnerte sich nur zu gut, an den aufgeplatzten Schädel und an all das Blut, dass er immer noch auf seiner Haut riechen konnte, obwohl er sie schon ein Dutzend Mal gewaschen und wie ein Besessener geschrubbt hatte.
Es hatte ihn alle Kraft gekostet, die er besaß, um den Wächter mit dem schweren Stein den Schädel einzuschlagen. Er hatte nicht gewusst, wie lange es wirklich brauchte, um jemanden den Kopf zu zertrümmern und fast hätten ihn die Kräfte verlassen, doch seine Verzweiflung und Wut, hatten ihm eine scheinbar unerschöpfliche Kraft verliehen und schließlich war der Kopf zerplatzt wie eine reife Frucht und er hatte den Stein vollkommen erschöpft fallen lassen. Glücklicherweise hatte er seinen ersten Schlag so gut platziert, dass dieser schon ausgereicht hatte, um ihn bewusstlos zu schlagen, bevor er um Hilfe rufen konnte. In seiner Arglosigkeit hatte der Wächter einen abgelegenen Platz ausgesucht, damit Akira seine „Dankbarkeit“ für die Information beweisen konnte, und so hatte er den Stein unauffällig eingesteckt, kurz bevor sie losgezogen waren.
Um ihn abzulenken war er gezwungen gewesen seinen Stolz runter zu schlucken und hatte seine Augen geschlossen, den widerlichen Geschmack in seinem Mund ertragen und den Würgereflex so gut es ging unterdrückt, während er seinen Arm langsam erhoben hatte bevor er ihn wie aus dem Nichts auf den Kopf des Wächters herabsausen ließ, immer und immer wieder, während mit jedem weiteren Schlag ein klein bisschen mehr von ihm gestorben war.
„Akira… ich glaube, es folgt uns jemand“ flüsterte Lios ängstlich und Akira blickte seinen Freund skeptisch an.
„Was redest du da, Lios? Wer denn? Der einzige der von unserer Flucht wusste ist tot!“
„Ich weiß… trotzdem… da ist jemand…,“ gestand Lios und schaute sich nach allen Seiten um.
Akira blieb stehen und musterte seine Umgebung aufmerksam, doch er konnte beim Besten Willen nichts sehen, geschweige denn hören. Oder? Er lauschte angestrengt, konzentrierte sich auf jedes noch so verdächtige Geräusch und seine Augen weiteten sich als er tatsächlich glaubte etwas zu hören und Panik ergriff Besitz von ihm, denn er war sich sicher dieses Geräusch zu kennen.
Er herrschte Lios an, zu laufen, so schnell er konnte und rannte so gut er konnte durchs Wasser. Doch der schnelle Lauf forderte so langsam seinen Tribut, er konnte die Erschöpfung spüren, da er solche Sprints einfach nicht gewohnt war, dennoch durfte er auf keinen Fall aufgeben und trieb sich zur Höchstleistung an, immerhin stand ihr Leben auf dem Spiel. Er ignorierte den brennenden Schmerz in seinen Lungen und rief seinem Freund zu, zu rennen, doch dann hörte er wie etwas durch die Luft zischte und sein Kopf wirbelte nach hinten, um zu sehen, aus welcher Richtung es kam. Ungläubig starrte er seinen Freund an, dessen linke Körperhälfte an der rechten herabrutschte, sein Mund zu einem stummen Schrei geöffnet, bevor der leblose Körper im bräunlichen Wasser landete. Akiras Augen weiteten sich, konnten nicht fassen, was gerade passiert war und sein fassungsloser Blick hefteten sich auf die blutige Hellebarde, die seinen Freund einfach in der Mitte durchtrennt hatte, als ob er ein Stück Kuchen wäre.
Die Fühler Zorgors zuckten erregt, glücklich über den Volltreffer und er kam langsam auf sie zu, um sich seine Hellebarde, die er nach ihnen geworfen hatte, zurück zu holen.
Akira schluckte, er wusste er hatte bei einem Zweikampf keine Chance gegen die Monsterkakerlake, denn mit ihren vier Waffenarmen war sie ihm einfach überlegen. Akira besaß noch nicht einmal ein Schwert um sich gegen die Hellebarde, das Schwert, die Peitsche oder gegen die Armbrust zu wehren, die Zorgor in diesem Moment unter seinem Schaben Panzer hervorholte und damit auf ihn zielte, geladen und zum Abschuss bereit, während er immer näherkam. Ihm war bewusst, dass er fliehen musste, sonst wäre Lios Opfer umsonst gewesen. Er holte kurz Luft und tauchte unter dem auf ihn zufliegenden Armburstpfeil ab. Er wusste, dass er ihm nicht folgen würde, wozu auch, er war sowieso nur eine ferngesteuerte Marionette, die mithilfe eines Chips, der sich am Hinterkopf befand, gesteuert wurde. Leider bedeutete das auch, dass man ihre Flucht schon bemerkt hatte. Verdammt! Egal, jetzt blieb ihm nur noch die Flucht nach vorn. Die mahnenden Worte der Wächter schwirrten in seinen Gedanken umher. Wie oft hatte man ihnen eingetrichtert, wie sinnlos eine Flucht war und dass niemand es bisher geschafft hatte, lebend zu entkommen. Er wusste es nur gut, denn er kannte sämtliche Geschichten in- und auswendig, sie verfolgten ihn sogar in seinen Träumen, dennoch würde er nicht aufgeben, lieber starb er bei dem Versuch, als hier zu verrecken. Manchmal träumte er auch von dem leuchtenden Sternenhimmel, den er mittlerweile nur noch aus seinen frühen Kindheitserinnerungen kannte und erinnerte sich, wenn auch nur noch sehr schwach, wie strahlend schön der Mond und die Sterne in klaren Nächten geleuchtet hatten, wie warm sich die Sonne auf seiner Haut angefühlt hatte. Er wollte nicht an diesem dunklen, kalten Ort sterben und sehnte sich nach dem hellen Tageslicht, dass er schon seit 9 Jahren nicht mehr gesehen hatte.
Die Arme durch das dunkle Wasser pflügend, schwamm er so schnell er konnte, holte aus seinem Körper alles was er noch an Kraft besaß heraus, während ihn sein Wunsch nach Freiheit vorantrieb. Egal was ihn dort draußen erwartete, schlimmer als hier drin konnte es nicht sein. Er wusste zwar nicht wie weit dieser Tunnel noch ging, doch er hoffte, dass er anschließend noch genug Kraft hatte für den schwierigsten Teil: der Flucht durch den Zwinger, den Garten und über die Mauer. Er erinnerte sich nur zu gut, an die Geschichten, die ihnen die Wärter über die Welt außerhalb erzählt hatten, um ihnen jegliche Fluchtgedanken auszutreiben und er fragte sich, wieviel von dem was er gehört hatte, der Wahrheit entsprach und wieviel erfunden war und die Angst kroch ihm langsam das Rückgrat hinauf bis zum Nacken.
Kapitel 6 Blinder Passagier
Kapitel 6
Blinzelnd starrte Devlin in das Licht der Sonne, dass durch ihr Fenster ins Zimmer fiel. Es musste bereits Vormittag sein, denn die Sonne stand hoch am Himmel und streckte ihre warmen Fühler nach ihr aus. Endlich war es Tag, dachte sie und zuckte unwillkürlich als ihr bewusst wurde, was das bedeutete. Erschrocken fuhr erschrocken hoch und sprang mit einem Satz aus dem Bett. Sie hatte doch tatsächlich den Sonnenaufgang verpasst. Und zwar zum allerersten Mal in ihrem Leben. Die Dielenbretter knarzten unter ihren Füßen, während sie mit schnellen Schritten das Deck überquerte. Sie war froh, dass sie, seit sie auf dem Schiff lebte, nachts nackt schlief, so sparte sie sich das lästige Ausziehen. Solange sie noch keine Crewmitglieder hatte, würde sie es auch so beibehalten, denn es hatte etwas befreiendes nackt zu schlafen, zumindest solange es warm war. Aber da sie tagsüber so viel Sonnenenergie in ihrem Körper speicherte, dass sie nachts nicht fror, war ihr sowieso nie kalt. Seit sie vor drei Tagen ihre Heimatinsel und vor allem ihre Familie verlassen hatte, um die Welt zu erkunden und neue Orte kennen zu lernen, hatte sie sich immer noch nicht an die Stille, diese unheimliche Ruhe gewöhnt und sie kam sich manchmal schrecklich einsam vor. Daher fing sie am zweiten Tag sogar an Selbstgespräche zu führen, um sich abzulenken und die Einsamkeit etwas erträglicher zu machen. Schon seit ihrer Kindheit hatte sie davon geträumt, auf ihrem eigenen Schiff um die Welt zu segeln und auch wenn der Abschied von ihrer Familie ihr fast das Herz gebrochen hatte, war sie doch voller Zuversicht und Freude auf die noch kommenden Abenteuer und stürzte sich euphorisch auf sämtliche Aufgaben, die auf einem Schiff so anfielen um sich so gut es ging die Zeit und vor allem ihre traurigen Gedanken, zu vertreiben. Zugegeben, es war anstrengend nun alle Arbeiten allein verrichten zu müssen, denn sie war es bisher immer gewohnt gewesen, sämtliche Aufgaben mit ihren Geschwistern zu teilen. Doch sie würde sich schon daran gewöhnen. Zwangsläufig. Heute zum Beispiel stand Wäsche waschen auf ihrem Tagesplan. Sie hasste es, denn es war so furchtbar mühselig, aber wenigstens konnte sie die Wäsche an Deck waschen und dabei die Sonne genießen, die ihre Stimmung sogleich anhob. Mit dem Handrücken fuhr sie sich über die schweißnasse Stirn, nachdem sie auch das letzte Wäschestück gewaschen hatte. Mein erstes Crewmitglied wird auf jeden Fall jemand, der Waschen liebt, vermerkte sie im Geiste und ging die Stufen zum Trockenraum runter, um die Nasse Wäsche zum Trocknen aufzuhängen. Glücklicherweise war heute ein sonniger Tag, so brauchte sie kein Licht machen. Sie stellte den Korb ab und fischte eines ihrer Unterhosen aus dem Korb, um sie aufzuhängen, als plötzlich ein kleines, fliegendes Etwas, vor ihr auftauchte und sich auf sie stürzte. Schützend hob Devlin die Arme vors Gesicht, um sich vor den großen Flügeln zu schützen, die ihr immer wieder ins Gesicht schlugen und warf vor Schreck ihre Unterhose nach dem Ungetüm, worauf es ins Trudeln geriet und hektisch mit den Flügeln schlug. Panisch versuchte es sich von dem lästigen Wäschestück zu befreien, das auf seinem Kopf saß, doch ohne Hände war dies schwierig. Devlin die sich inzwischen von dem Schreck erholt hatte empfand Mitleid als sie sah, wie das flatternde Ding sich verzweifelt versuchte von ihrer Unterhose zu befreien und lief hinterher, doch es flatterte immer wieder weg als ob es vor ihr flöhe.
„Bleib stehen, ich will dir doch nur helfen!“ rief sie der Kreatur zu und blieb wie angewurzelt stehen, als das kleine Etwas sich verwandelte und ein 1,80 m großer, muskulöser Mann mit aschgrauer Haut und silberner Haarsträhne plötzlich vor ihr stand, der sich mit zusammengeballten Fäusten vor ihr aufbaute, den Oberkörper nach vorne gebeugt, als wollte er sich jeden Moment auf sie stürzen. Devlin wich erschrocken zurück, denn er kam ihr nur allzu vertraut vor. Es bestand kein Zweifel, er war es, der Fremde, den sie in ihrem Heimatdorf kennen gelernt hatte. Und er schien vor Wut zu kochen, denn er schnaufte wie ein Stier, der sich jeden Moment mit den Hörnern voran, auf sein Opfer stürzte. Eigentlich sollte sein Anblick ihr Angst machen, doch als sie ihre türkisfarbene Unterhose mit den kleinen Wassermelonenscheiben auf seinem Kopf sah, konnte sie sich nicht mehr beherrschen und musste laut loslachen, was dem Fremden ein wütendes Schnauben entlockte.
„Es… es… tut… mir leid… hahahaha“ Konnte sie nur mit Mühe sagen, weil sie sich einfach nicht beruhigen wollte, im Gegenteil sie lachte immer weiter, bis ihr Körper vor Lachen bereits weh tat. Dem Fremden war allerdings überhaupt nicht nach Lachen zumute. Wütend riss er sich das Kleidungsstück vom Kopf und holte mit der Faust aus, erwischte allerdings nur die Luft, da Devlin nur 1,50 m war.
„Ich… ich bin hier unten…“ sagte sie atemlos und konnte sie kaum noch aufrecht halten, da sie Seitenstechen vom vielen Lachen hatte. Der Fremde ließ seine rechte Hand herabsinken, bis seine Handfläche ihren Kopf berührte und Devlin beruhigte sich langsam wieder. Den Kopf leicht anhebend, schaute sie zu ihm auf und fragte sich, was er da machte und was er wohl gerade dachte, als er sie völlig unerwartet zur Seite stieß und an ihr vorbeiging, ohne sie weiter zu beachten. Erleichtert darüber nicht mehr allein zu sein und endlich jemanden zu haben, mit dem sie sich unterhalten konnte, folgte sie ihm die Wendeltreppe nach oben aufs Deck. Besonders aber freute sie sich darüber jemanden zu haben, der über eine Teufelsfrucht-Zoan verfügte.
„Hey, wenn du schon mal auf meinem Schiff gelandet bist, kannst du dich mir doch auch anschließen? Ja genau, warum wirst du nicht mein Nakama?“ rief sie und klatschte begeistert dabei in die Hände.
Doch der Fremde drehte sich zur ihr um und tippte sich mit dem Zeigefinger an die Schläfe, um ihr zu zeigen was er von ihrer Idee hielt. Gut, taub war er schon mal nicht, stellte sie fest, was bedeutete, dass er ihr nicht nur zuhören konnte, sondern ihr auch tatsächlich zuhörte. Devlin war es gleichgültig, was er von ihrer Idee hielt, sie war einfach nur froh, dass sie nun doch nicht allein war. Neugierig stellte sie ihm Fragen, während sie ihm auf Schritt und Tritt übers Deck folgte.
„Warte doch mal! Wer… wer bist du überhaupt? Und was machst du auf meinem Schiff? Und…“ Devlin schluckte, bevor sie den Satz vollendete, denn plötzlich viel ihr wieder Theodor ein und sie blieb abrupt stehen, ihre Stimme nur noch ein Flüstern.
„…warst du derjenige der Theodor gebissen hat? Hast du dich deshalb auf meinem Schiff versteckt?“
Der Fremde wirbelte plötzlich zu ihr herum und blickte auf sie herab, doch er sagte nichts, sondern starrte sie nur an, bis es so unangenehm wurde, dass sie den Blick abwandte.
Sein Schweigen konnte man sowohl als Bestätigung als auch als Verneinung betrachten, aber da er es zumindest nicht abstritt, betrachtete sie es als indirektes Schuldeingeständnis. Doch was sollte sie nur tun? Ihn bis zur nächsten Insel mitfahren lassen? Sie konnte ihn ja schlecht mitten auf dem Meer aussetzen, zumal er ein Teufelsfruchtnutzer war. Andererseits… was war, wenn er sie ebenfalls versuchte zu beißen? Sollte er nur, sie war mit fünf Brüdern und einer Schwester aufgewachsen und wusste wie man sich wehrte. Außerdem… bis auf diesen Schreck und die drei kleinen Wunden an seinem Hals, schien er Theodor nichts weiter getan zu haben, zumindest wirkte Theodor nach der Attacke recht munter in jener Nacht. Vielleicht war dieses Beißen, seine Art mit anderen Menschen zu kommunizieren, ein Gruß, den sie noch nicht kannte. Manchmal verhielten sich manche Menschen anders als andere. Doch was war, wenn er ihm wirklich weh tun wollte und den Angriff abgebrochen hatte, weil er Schritte gehört hatte und war deshalb verschwunden?
Devlin betrachtete aufmerksam sein Gesicht, seine kantigen Gesichtszüge, die schmale Nase, die schmalen, verbissen zusammengekniffenen Lippen und die auffallend silberne Haarsträhne, die ihm ins Gesicht hing. Obwohl er versuchte so bedrohlich wie möglich zu erscheinen und Devlin etwas Angst vor ihm hatte, fühlte sie sich überhaupt nicht bedroht, im Gegenteil, sie war überzeugt, dass seine gefährliche und aggressive Art nur ein Schutz war. Vielleicht hatte er sich sogar von Theodor bedroht gefühlt als er ihm nachts über den Weg lief. Das einzige was für sie zählte war, dass Theodor noch lebte. Und dass er sie nicht getötet hatte, auch wenn er es bestimmt könnte.
Vielleicht sollte sie ihm eine Chance geben, es blieb ihr schließlich nichts anderes übrig, bis zur nächsten Insel und vielleicht würde er sich ja doch noch öffnen und reden.
„Hör mal, ich weiß nicht, ob und warum du Theodor angegriffen hast und es geht mich auch nichts an, aber solange du auf meinem Schiff bist, bist du friedlich und versuchst mich nicht zu beißen, ok? Sonst werde ich sehr ungemütlich!“
Der Fremde schnaubte verächtlich und drehte sich um, doch so schnell gab Devlin nicht nach, eine Frage brannte ihr noch auf den Fingernägeln, darum fragte sie ihn einfach.
„Wie heißt du eigentlich?“ fragte sie, doch der Fremde schwieg beharrlich weiter und ging in die entgegengesetzte Richtung. Gut, wenn er es ihr nicht verraten wollte, musste sie es eben anders aus ihm rauskriegen. Ihre Mundwinkel kräuselten sich aufwärts als ihr eine Idee kam, wie sie es anstellen könnte.
„Ok, wenn du es mir nicht verraten willst, dann muss ich ihn wohl erraten. Hmm, mal überlegen…“
Devlin fuhr sich mit der Hand übers Kinn und versuchte nachdenklich auszusehen, bevor sie mit einem breiten Grinsen irgendeinen Namen in den Raum warf, der ihn genug provozieren würde, um ihr seinen Namen zu verraten.
„Ich habe es! Mausi stimmst? Das muss er sein! Du siehst in deiner Fledermausgestalt aus wie eine Mausi! Uh, das ist super, ich wollte schon immer einen Freund namens Mausi haben! Alles klar Mausi was willst du heute Schönes machen? Wir könnten…“ plapperte sie fröhlich vor sich hin, als wie aus dem nichts heraus, seine Finger sich tief in ihren Hals bohrten und sie hochhoben, bis ihr Gesicht direkt vor seinem war und er drückte erbarmungslos zu, entschlossen ihr den Kehlkopf zu brechen. Kleine Lichtblitze zuckten vor ihren Augen und sie spürte wie sie drohte in die Bewusstlosigkeit zu gleiten. Mit einem gezielten Schlag trat sie ihm zwischen die Beine, woraufhin er sie wie einen Stein fallen ließ. Sofort rutschten seine Hände zu seinem Lendenbereich und er beugte sich mit dem Oberkörper vor Schmerzen krümmend nach vorne. Devlin tat es leid, dass sie zu diesem fiesen Trick gegriffen hatte, sie hatte ihm nicht weh tun wollen. Normalerweise war sie für jeden Spaß zu haben, aber wenn man sie würgte, hörte für sie der Spaß auf. Besorgt fragte sie ihn, ob er etwas Eis zum Kühlen haben wollte, da schnellte seine rechte Hand plötzlich nach vorne und es gelang ihr nur mit Mühe auszuweichen. Sie konnte spüren, wie seine scharfen Fingernägel den dünnen Stoff ihres T-Shirts zerrissen und ihre Haut nur um Haaresbreite verfehlten. Der Fremde schien sich schon wieder erholt zu haben und Devlin beobachtete aus großen Augen, wie seine Ohren nicht nur breiter, sondern auch länger wurden, sein Mund zu einem langen rosa-bräunlichen Maul mit spitzen Zähnen heranwuchs und auf seinem Körper überall ein dichtes graubraunes Fell spross. Doch das Beeindruckendste an ihm waren seine Flügel, die aus seinem Rücken wuchsen und eine Spannweite von ca. drei Metern haben mussten. (Anmerkung: der Fremde hat von der Fledermaus-Zoan Typ Bechsteinfledermaus gegessen) WOW, war alles woran Devlin bei seiner Verwandlung denken konnte, während sie sich vor Begeisterung kaum noch bremsen konnte.
Der Fremde öffnete sein großes Maul, doch es kam kein Ton raus, zumindest hörte sie nichts, bis auf dieses unangenehme Klingeln, dass plötzlich in ihren bimmelte, wie die Glocke beim Boxkampf, die entweder das Ende oder den Beginn einer Runde ankündigte. In ihrem Fall fühlte es sich allerdings wie das Ende an, denn alles in ihrem Kopf drehte sich und sie spürte, wie die Beine unter ihr, unsicher hin und her taumelten. Was war nur plötzlich los mit ihr? Wieso war ihr nur so schwindelig auf einmal? Devlin schloss ihre Augen, denn alles drehte sich und ihr wurde schlecht.
Der Fremde erhob sich mit seinen Schwingen in die Luft, flog ein paar Meter hoch, während er mit seiner Echoortung seine Umgebung abscannte, um seine Gegnerin zu lokalisieren und ging im Sturzflug auf sie nieder. Die Krallen seiner Füße, vergruben sich in ihren Haaren und rissen sie unsanft von den Füßen. Devlin verzog das Gesicht, als sie spürte, wie seine Krallen sich in ihre Kopfhaut bohrten und versuchte sich zu befreien, nachdem dieser nervtötende Ton in ihren Ohren langsam nachließ und sie wieder klar denken und vor allem sehen und hören konnte. Als sie sah, dass sie mindestens zehn Meter über dem Wasser schwebte, begriff sie, was los war.
Sie war beeindruckt und begeistert zugleich, auch wenn es nicht fair von ihm gewesen war, ihre Ohren und damit ihren Gleichgewichtssinn durcheinander zu bringen. Dennoch hatte sie endlich mal die Gelegenheit einen richtige Zoan kennen zu lernen und ihr anfänglicher Schrecken, den sie empfunden hatte, als sie sich in der Luft wiederfand, war verflogen und ihre Haare schlängelten wie Schlangen um ihren Kopf und schlangen sich um den Oberkörper des Fledermausmanns, den sie damit so überraschte, dass er keine Chance hatte, sich gegen die Haare zu wehren, die sich wie ein Kokon um seinen Körper schlangen. Wie ein abgeschossener Vogel trudelte er in einer spiralförmigen Abwärtsbewegung auf die Giardino Soleggiato zu, während er versuchte sich von ihren Haaren zu befreien. Kurz bevor sie das Schiff erreichten, hatte er sich mithilfe seiner Hände von dem Gestrüpp in seinem Gesicht befreit, von dem er nicht wusste, wo es herkam und konnte sich mithilfe seiner Echoortung orientieren, um herauszufinden, wo sie waren, gerade noch rechtzeitig, denn sie waren nur noch 2,5 Meter vom Schiff entfernt, dem sie sich unaufhaltsam näherten. Doch sie schien das nicht in geringstem zu beunruhigen, denn er konnte ihr Lachen hören und ihr Herz, das vor lauter Aufregung und Freude wie wild pochte, während sie auf das Schiff zurasten. Sie schien nicht mehr die geringste Angst zu haben, obwohl sie vor Angst eigentlich die Hosen gestrichen voll haben müsste und für ihn stand eins fest: sie war vollkommen verrückt. Mit seinen scharfen Fingernägeln fuhr er sich über den Oberkörper und befreite sich von ihren Haaren und ging in den Rüttelflug über, während sie ungebremst weiter auf das Schiff zustürzte. Mal hören, ob sie immer noch lachte, wenn sie auf ihrem eigenen Schiff landete und sich dabei das Genick brach.
Doch er sollte Devlin diesbezüglich mächtig unterschätzen, denn es gelang ihr sich mit ihren Haaren am Baummast ihres Schiffs festzuhalten, die sie wie Bungeeseile nutzte, um sich wieder in die Luft zu katapultieren, direkt auf den Fremden zu, der im Rüttelflug immer noch über dem Schiff schwebte. Um sicher zu gehen, dass er nicht wieder diesen Trick benutzte, um ihr Gleichgewicht zu stören, hielt sie sich die Ohren zu, während sie auf ihn zugeflogen kam und streckte erst kurz bevor sie ihn erreichte, ihren rechten Arm nach vorne, ihre Faust geballt, um ihm einen Schlag zu verpassen, doch er ahnte ihren Angriff bereits, denn er spürte, wie ihr Arm die Luft durchschnitt als er sich seinem Gesicht näherte und parierte ihren Schlag, indem er seinerseits seine rechte Faust ausstreckte. Als sich ihre Fäuste trafen, spürte Devlin wie die Knochen ihrer Hand knackten und sie biss sich vor Schmerz so fest auf die Unterlippe, dass ein kleiner Rinnsal Blut aus ihrem Mundwinkel lief, der an ihrem Kinn hinab rann. Verdammt, ich glaube, ich habe mir die Hand gebrochen, seine Fäuste müssen aus Stahl sein, es war als hätte sie gegen eine Stahltür geschlagen. Der Fremde nutzte Devlins Überraschung und verpasste ihr noch ein paar schnelle Schläge in den Magen, bevor er sich kurz um die eigene Achse drehte und ihr einen kräftigen Tritt in die Magengegend verpasste, der sie direkt auf die Planken ihres Schiffes beförderte, durch die sie krachend fiel und sie unsanft auf dem Boden des ersten Unterdecks landen ließ.
Beim Klang der berstenden Bretter beschloss er zur Landung anzusetzen und steuerte mithilfe seiner Echoortung das Schiff an und landete direkt vor dem Loch, dass im Schiff klaffte. Mit dem Kopf beugte er sich über das Loch, während er mit seinen Ultraschallwellen das Unterdeck nach ihr abtastete, obwohl er sich ziemlich sicher war, dass sie sich von diesem Schlag nicht so schnell erholen würde. Zwischen seinen Augen bildete sich eine kleine Falte und er zog seine Stirn kraus. Was zum Teufel ging hier nur vor, wie konnte…?
Wie ein Komet schoss plötzlich wie aus heiterem Himmel eine Faust aus dem Loch heraus und traf ihn mitten ins Gesicht. Benommen von dem Schlag taumelte Bardoque rückwärts und schüttelte den Kopf, um ihn wieder frei zu bekommen. Schnell war sie, dass musste er ihr lassen! Aber so war es immer mit kleinen Gegnern, sie machten ihre Größe, oft durch ihre Schnelligkeit und Wendigkeit wieder wett.
Doch wenn es um physische Stärke ging, konnte sie ihm auf keinen Fall das Wasser reichen, dafür war sie noch zu jung, er schätzte sie aufgrund ihrer hohen Stimme, ihrer Körpergröße und ihres sehr leichten, federnden Gangs, den junge Mädchen ihres Alters hatten, auf höchstens 12, auch wenn er zugeben musste, dass sie für ihr Alter, doch einen sehr harten Schlag draufhatte. Eigentlich schlug er keine Kinder, aber dieses Gör schrie geradezu danach, also sollte sie kriegen was sie wollte. Er würde ihr den Hintern windelweich prügeln und sie anschließend auf der nächsten Insel aussetzen und mit ihrem Schiff weitersegeln. Als Navigator brauchte er keine Hilfe, denn mit seinem Magnetsinn wusste er immer in welche Himmelsrichtung er gerade segelte.
Dieser Kampf würde sowieso nicht mehr lange dauern, schließlich hatte er deutlich gehört, wie ihre Fingerknochen brachen, als ihre Fäuste miteinander kollidiert waren und er stürzte sich siegesgewiss auf sie. Doch ganz so schnell, sollte der Fight dann doch nicht enden, er dauerte, trotz Devlins gebrochener Hand, noch mehrere Stunden. Devlin wollte nicht aufgeben, selbst wenn sie vor Erschöpfung nicht mehr gekonnt hätte, hätte sie diesen Kampf um nichts auf der Welt aufgeben wollen, dafür hatte sie einfach zu viel Spaß. Gut, er hatte ihr zwar die Hand gebrochen, aber sie war Brüche gewohnt, denn sie hatte sich gerade im Alter von 6 – 10 mindestens 10 Mal allein die Hand gebrochen, bei den Kämpfen mit ihren Brüdern, das gehörte nun einmal dazu. Doch die Schläge ihrer Brüder waren nichts im Vergleich zu den Schlägen, die sie von diesem Fremden bekam und sie freute sich, das sie endlich jemanden gefunden hatte, der das Kämpfen ebenso zu lieben schien wie sie und ihre Familie und der nicht gleich in Tränen ausbrach, bloß weil sie ihm zur Begrüßung die Faust ins Gesicht schlug. Doch als die Nacht hereinbrach, flog der Fremde plötzlich weg, auf und davon und ließ sie verdattert zurück.
Er fluchte während er sich so schnell wie möglich von dem Schiff entfernte, bloß weg von ihr.
Was sie auch war, sie war auf keinen Fall ein Kind, soviel hatte er schon nach kurzer Zeit gemerkt, als er seine Arme um ihren Oberkörper geschlungen hatte, um ihre Rippen zu zerquetschen und war erstaunt als er festgestellt hatte, dass ihr Körper für ein Kind schon viel zu ausgereift war, zumindest soweit er das ertasten konnte, bevor sie ihm mit einer Kopfnuss befohlen hatte aufzuhören. Offensichtlich hatte er sich bezüglich ihres Alters geirrt und nicht nur darin. Auch ihre Kräfte schienen schier endlos, selbst nachdem er ihr die Hand gebrochen hatte. Was war sie nur für ein Mensch? War sie überhaupt einer? Und wieviel Energie hatte sie? Eines war jedenfalls klar, sie konnte zuschlagen wie ein Mann, hatte sogar mehr Ausdauer als alle Kämpfer, die er bisher kennen gelernt hatte. Doch was noch verrückter war, es hatte ihr Spaß gemacht, er hatte ihr Herz gehört, dass vor Freude gepocht hatte, hatte ihr Lachen gehört, jedes Mal, wenn sie erfolgreich einen Treffer erzielt hatte und ihren Puls gehört, der sich beschleunigt hatte, kaum das ihr Kampf begonnen hatte. Nein, sie hatte eindeutig Spaß am Kämpfen, aber nicht auf eine sadistische Art. Wenn er es nicht besser wüsste, würde er sagen, sie hatte wirklich SPAß an dem was sie getan hatten. Regelrecht Freude und das war für ihn fast noch unheimlicher als die krankhaften Sadisten, Mörder, Schläger, die er bisher so kennen gelernt hatte.
Er wollte sie eigentlich beißen, doch sie hatte sich erfolgreich gegen ihn zu Wehr gesetzt und so war ihm, nichts anderes übrig geblieben, als aufzugeben, denn er spürte schon wieder, wie sich sein Zustand verschlechterte, daher musste er sich so schnell wie möglich ein neues Opfer suchen.
Er tastete seine Umgebung auf der Suche nach einer Insel ab, während er sich mithilfe seines Magnetsinns orientierte in welche Richtung er flog.
Devlin sah ihn wegfliegen und war enttäuscht, dass er den Kampf einfach abgebrochen hatte, denn sie hatte dank ihm in den letzten Stunden nicht einmal an ihre Familie denken müssen, da sie so viel Spaß mit ihm gehabt hatte, wie seit langem nicht mehr. Sie hatte das Gefühl, dass sie sich hervorragend verstanden hatten, immerhin hatten sie sich ohne Pause geprügelt und sie hatte sich wie Zu Hause gefühlt. Ihre bisherige Erfahrung mit Fremden war bisher leider immer enttäuschend verlaufen, denn oft liefen die meisten weg, brachen in Tränen aus oder schrien sie an, wenn sie jemandem freundschaftlich auf den Rücken oder den Kopf schlug. Doch er war anders, er war der erste bei dem sie sich wohl fühlte. Nur einmal als er ihr eine Umarmung geben wollte, die sie von ihrem Bruder Humble nur zu gut kannte, war er etwas zu weit gegangen und hatte sie begrapscht, war aber nur bis zu ihren Hüften gekommen, bevor sie ihm mit einer Kopfnuss sanft zu verstehen gegeben hatte, dass er aufhören solle. Danach hatte er es nie wieder versucht.
Sie wusste zwar nicht in welche Richtung er geflogen war, hoffte aber ihn wieder zu finden, denn sie war entschlossen, ihn in ihre Mannschaft aufzunehmen.
Kapitel 7 Ein verschlafenes Städtchen
Kapitel 7
Devlin war sehr verwundert, als der Himmel sich plötzlich verdunkelte. Zuerst glaubte sie ein Sturm würde über sie hereinbrechen, doch als nichts passierte und die Wolken am Himmel sich irgendwann wieder verzogen, traute sie ihren Augen kaum, als sich der Sternenhimmel auf einmal über ihr erstreckte und das fahle Mondlicht sanft auf ihr Gesicht herabfiel.
Wie konnte es schon Nacht sein, fragte sie sich verwundert und blickte stirnrunzelnd zum Himmel hinauf. Es war höchstens Nachmittag und außerdem Sommerzeit, das bedeutete, dass es vor 22 Uhr auf keinen Fall dunkel wurde, zumindest nicht im South Blue.
Wie war es also möglich, dass bereits die Sterne und der Mond am Himmel standen? War sie etwa wirklich schon so lange unterwegs? Doch was war mit der Sonne? Es wäre ihr doch aufgefallen, wenn sie untergegangen wäre?
Mit der Hand fuhr sie sich über den Kopf und überlegte, ob sie jemals von etwas ähnlichem gelesen oder gar gehört hatte, doch ihr fiel nichts ein. Ihre Augen wanderten geradeaus und von weitem konnte sie die strahlenden Lichter einer Stadt erkennen, die wie ein Stern auf dem Wasser leuchteten und nahm Kurs auf die Insel, in der Hoffnung dort vielleicht den Fremden zu finden. Zwei Tage waren vergangen, seit er einfach davongeflogen war und sie wusste immer noch nicht warum. Vielleicht war sie in ihrem Kampfeifer zu weit gegangen oder er hatte keine Lust mehr gehabt weiter mit ihr zu reisen und hatte sich deshalb einfach aus dem Staub gemacht. Es spielte letztendlich auch keine Rolle mehr, das einzige was für sie zählte war, dass er sich ihr anschloss, denn sie brauchte gute Leute und ein fliegender Fledermaus-Zoan war ein hervorragender Zuwachs für ihre Crew, auch wenn er ihr die rechte Hand gebrochen hatte. Sie wusste, was ihre Geschwister sagen würden, wenn sie wüssten, wen sie sich an Bord holte und sie mochten mit ihren Bedenken sicherlich recht haben, dennoch wollte sie ihn in ihrer Crew haben, denn er war allein in seiner Fledermaus-Hybrid Form schon sehr beeindruckend. Und auch wenn er furchteinflößend war, empfand sie keine Angst ihm gegenüber, ganz im Gegenteil, es hatte ihr viel Spaß gemacht sich mit ihm zu prügeln, er war auch nicht so zimperlich wie die meisten, wenn sie ihnen zur Begrüßung die Faust ins Gesicht schlug. Sie hatte einen recht guten Instinkt was Menschen anging und der Fremde wirkte auf sie nicht wie jemand Böses, auch wenn es nicht richtig von ihm gewesen war, Theodor zu beißen. Es bestand natürlich die Gefahr, dass er sie ebenfalls beißen könnte, doch darum machte sie sich keine Gedanken, denn sie konnte sich wehren. Außerdem hatte sich der Piratenkönig Monkey D. Ruffy einst auch eine gefährliche Crew zugelegt, unter anderem den ehemaligen Piratenjäger und stärksten Schwertkämpfer der Welt, Lorenor Zorro, den mutigen Krieger der Meere und weltberühmten Chronisten und inoffiziellen Vizekapitän der Strohhutpiratenbande, Lysop, die weltberühmte Kartographin und Wetterhexe Nami, der es als einzige gelang eine komplette und detaillierte Seekarte der Welt anzufertigen, den ehemaligen Ex-Samurai der Meere Jimbei und viele weitere gefürchtete und starke Persönlichkeiten. Und wenn es ihm gelungen war, sich mit 17 bzw. 19 eine so starke Mannschaft zusammen zu stellen, würde sie es auch schaffen und mit ihnen gemeinsam die Welt umsegeln. Doch dafür brauchte sie den Fremden.
Devlins Kinnlade sank nach unten und ihre Augen fielen ihr fast aus den Augenhöhlen, als sie die Insel, die sie in der Ferne gesehen hatte, erreichte. Noch nie in ihrem Leben hatte sie etwas Vergleichbares gesehen, doch das bedeutete nichts, da sie die Welt bisher nur aus Büchern kannte.
Mit klopfendem Herzen warf sie den Anker aus, vertäute das Schiff so gut es mit einer Hand eben ging und sprang schließlich von Bord. Sie wagte in Anbetracht der Schönheit, die sie umgab, kaum zu atmen. Überall wo sie nur hinsah, blitzten und blinkten sie Edelsteine, die in den Mauern des Hafens und den vergoldeten Wegen eingefasst waren an, und ihr stockte der Atem beim Anblick der tausenden Glühwürmchen die wie winzige Glühbirnen durch die Luft schwebten, als ob sie zu einer nur für sie hörbaren Musik tanzten. Mit kindlicher Freude und Faszination ergötzte sie sich an all den Eindrücken, die sie in sich aufnahm, um sich für immer an diesen Augenblick zurück zu erinnern und vergaß darüber sogar ihre anfängliche Sorge über die plötzlich über sie hereingebrochene Nacht. Ehrfürchtig streckte sie einen Arm in die Luft und versuchte eines der Glühwürmchen, die um sie herumschwirrten einzufangen, doch sie schienen so scheu wie die Irrlichter aus ihren Büchern zu sein und flogen daher jedes Mal davon, sobald sie nur nah genug an sie herankam. Enttäuscht gab sie irgendwann ihr sinnloses Unterfangen auf und lief über den Pier zum Hafen, der wie ausgestorben dalag, denn außer ihr gab es kein weiteres Schiff, das hier vor Anker lag.
Nachdem sie den mit grünen Smaragden besetzten Torbogen des Hafens passiert hatte, gelangte sie in die Stadt, dessen imposante goldene Straßen und goldene Gebäude ebenfalls im Glanz der Edelsteine und Glühwürmchen erstrahlte und legte den Kopf in den Nacken, als über ihr ein 20 m langes Faultier, an einem langen, dicken Stahlseil über ihr entlanghangelte. Mit den Augen folgte sie fasziniert dem Weg des Faultiers, dass sich langsam dem Boden näherte, bis es plötzlich vor zwei 5 m großen Kängurus stehen blieb, die wortlos auf den Bauch des Faultiers sprangen, bevor es wieder nach oben kletterte, offenbar, zu dem oberen Teil der Stadt, der auf einer Anhöhe errichtet wurde und ungefähr 1.500 m über der anderen Stadt erbaut worden war. Devlin glaubte in der Ferne ein Schloss aus purem Gold zu erkennen und wollte sich dieses auf jeden Fall später einmal genauer anschauen. Erschrocken sprang sie zur Seite als zwei Kängurus an ihr vorbei sprangen und sie starrte ungläubig auf die Beutel, aus denen doch tatsächlich zwei menschliche Köpfe herausguckten, die scheinbar schliefen.
Menschen die von Kängurus in deren Beutel transportiert wurden? Was ging hier nur vor, dachte sie sich als sie um ein Haar mit einer Riesenschnecke kollidierte, die gerade an ihr vorbeikroch. Auf ihrem Rücken trug sie eine Kabine mit einer Tür und zwei Fenstern, die Devlin an eine Pferdekutsche erinnerte und auch sie transportierte Menschen darin, die zu schlafen schienen, zumindest waren ihre Augenlieder geschlossen.
Devlins Verwunderung wuchs immer mehr und sie fragte sich, warum all diese Tiere Menschen transportierten, wenn sie doch offensichtlich schliefen. Waren sie etwa während der Fahrt eingeschlafen? Oder steckte etwas anderes dahinter?
Kolasi
Im Zwinger
Akira riss den Mund weit auf und seine Lungen sogen gierig die Luft in seinen Körper, als er endlich wiederauftauchen konnte und er hustete das dreckige, braune Wasser aus, dass er auf den letzten Metern geschluckt hatte, bevor er schließlich an die Erdoberfläche gelangt war. Völlig erschöpft und am Ende seiner Kräfte robbte Akira, sich auf seinen Unterarmen abstützend, aus dem Wasser. Er hatte es tatsächlich geschafft, hatte wirklich das Ende dieses verdammten unterirdischen Tunnels erreicht und spürte nach neun Jahren zum ersten Mal wieder die Sonne auf seiner Haut. Ihre warmen Strahlen breiteten sich wie eine Decke über seinen völlig durchgefrorenen Körper und er spürte wie seine Glieder langsam wieder zum Leben erwachten. Das Wasser war kälter gewesen als er gedacht hatte und fast hatte er geglaubt, in diesem elenden Tunnel draufzugehen, doch irgendwie war es ihm gelungen durch zu halten, obwohl er keinen blassen Schimmer hatte wie. Seine Augen, die 9 Jahre Dunkelheit hinter sich hatten, waren das Tageslicht nicht mehr gewöhnt und er kniff seine Augenlieder immer wieder schmerzhaft zusammen. Sein Magen revoltierte und er würgte eine weitere Welle dreckigen, braunen Wassers hoch, solange bis er nur noch den bitteren Geschmack von Galle schmeckte. Die Hand zitterte, als er sie zum Mund führte, jede körperliche Anstrengung schien ihm zu viel, doch er konnte sich nicht ausruhen, nicht im Zwinger, es gab nur noch einen Weg und der führte nach vorne. Seine Augen wanderten über die kleine mit Wasser gefüllte Grube, aus der er gerade aufgetaucht war, zu dem steilen Weg hinauf, der vor ihm lag und er fragte sich, ob seine Kräfte noch reichen würden. Sie mussten es, wenn er weiterleben wollte. Er versuchte sich auf seine Beine zu stellen um hoch zu laufen, doch der Weg war so steil, dass er immer wieder abrutschte, daher blieb ihm nichts anderes übrig als auf allen Vieren den steilen Weg hoch zu kriechen und er grub seine Finger in die harte Erde, um besseren Halt zu haben. Der Aufstieg war beschwerlich und Akira war immer noch erschöpft vom Schwimmen durch den langen Tunnel, daher musste er immer wieder Pausen einlegen, bevor er weiter ging. Als er endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit das obere Ende des steilen Pfads erreicht hatte, konnte er die Tränen der Erleichterung und des Glücks kaum zurückhalten und er gestattete sich sogar kurz zu lachen, bevor er sofort wieder verstummte, als ihm bewusst wurde, dass er sich keine Geräusche erlauben durfte. Er schwor ab jetzt keinen Mucks mehr von sich zu geben.
Auf seinen Händen abstützend, drückte er sich mit den Knien hoch, doch kaum stand er aufrecht, hörte er ein verräterisches Knurren und verfluchte sich, dass er keine Waffe mitgenommen hatte oder irgendetwas anderes besaß, um sich zu verteidigen. Seine Augen blickten sich hektisch um und erfassten kurz seine Umgebung.
Er befand sich auf einem umzäunten Gelände, auf dem überall Holzpflöcke aus dem Boden ragten, um die man Eisenketten gewickelt und mit einem Schloss an den Holzpflöcken befestigt hatte. Akira schluckte, als er in die ausgezerrten Gesichter der Menschen sah, die man wie Hunde angeleint hatte. Zumindest sahen sie aufgrund ihrer Statur und ihrer aufrechten Körperhaltung wie Menschen aus. Doch ansonsten…
Akira blinzelte ungläubig und war starr vor Angst, als eines dieser menschlichen Wachhunde, auf ihn zukam. Die Haut war dünn und sah so rau wie Schmirgelpapier aus. Auf dem Kopf hingen nur noch vereinzelt Haarbüschel auf dem ansonsten kahlen Schädel, als ob er sich den Rest ausgerissen hätte. Die Kleidung war dreckig und hing in Fetzen von dem dürren, knochigen Körper herunter. Doch das schlimmste waren diese eingefallenen Augen, die ihn mit einer Mischung aus Verzweiflung und absolutem Hass anstarrten. Er wollte den Blick abwenden, doch er konnte es nicht, denn er wusste, dass wenn er es tat, dies sein sicheres Ende wäre und so blieb ihm nichts anderes übrig als dem Grauen direkt in dessen groteskes Antlitz zu blicken, um sicher zu gehen, dass es ihn nicht überraschend anfiel, wenn er gerade nicht hinsah.
Der Mund des menschlichen Wachhunds war zugenäht, nur zwei kleine Lücken hatte man offen gelassen, nicht größer als 2 mm und man hatte seine Zähne auf die Haut um die Mundpartie genäht. Akira konnte sich vorstellen warum man diesem armen Menschen das angetan hatte und ihm wurde wieder schlecht vor Ekel und Abscheu vor denjenigen die dafür verantwortlich waren.
Er wusste von den Wächtern, dass diejenigen die im Zwinger landeten, künstlich ernährt wurden, wobei man darauf achtete, ihnen nur so viel zu geben, dass sie gerade so überleben konnten und nicht zu stark wurden, um die Wärter, die sie „fütterten“, anzufallen. Außerdem hatte man ihnen den Teil des Gehirns, der für das Sättigungsgefühl zuständig war, entfernt, sodass sie ständig Hunger verspürten und sich aufgrund des ständigen Appetits auf jeden stürzten der ihnen in die Quere kam. Man hielt sie wie Tiere, bis sie wirklich zu Tieren wurden.
Akira versuchte die Länge der Ketten einzuschätzen und vermutete, dass sie gerade lang genug waren, dass sie ihm näherkommen konnten, ohne den anderen menschlichen Wachhunden dabei in die Quere zu kommen.
Da das Gelände zu klein war, um außen herum zu laufen, blieb ihm nur der Weg durch die Mitte, mitten durch die blutrünstigen Menschenfresser, die geifernd näher kamen und dabei unverständliche, animalische Laute von sich gaben.
Akira holte tief Luft und herrschte seine Beine an, sich endlich in Bewegung zu setzen, wenn sie nicht getötet werden wollten und er rannte so schnell er konnte, im Zick Zack zwischen den Holzpflöcken hindurch. Einige bekamen ihn flüchtig zu packen, doch aufgrund seiner besseren, kräftigeren körperlichen Verfassung, gelang es ihm sich loszueisen und weiter zu laufen, bis er schließlich einem Holzpfahl zu nahe kam und es einem der humanoiden Wachhunde gelang, Akira mitten auf den Rücken zu springen. Sein Gesicht verzerrte sich schmerzhaft und er schrie auf, als sich die scharfen, spitzen Zähne in seine linke Schulter bohrten. Er versuchte die Person auf seinem Rücken abzuschütteln, indem er mit dem Oberkörper immer wieder nach vorne ruckte, um sie abzuwerfen, doch sie hatte ihre Arme und Beine so fest um seinen Oberkörper geschlungen, dass er keine Chance hatte, sie so schnell loszuwerden. Wie ein Kreisel wirbelte Akira um die eigene Achse, in der Hoffnung, dass der Person auf seinem Rücken schwindelig wurde und warf sich schließlich mit voller Wucht mit dem Rücken gegen den Holzpfahl, woraufhin er das Knacken von Knochen hörte. Er spürte wie ihre Arme und Beine erschlafften und sie zu Boden sackte und drehte sich um, um sich zu vergewissern wie es ihr ging.
Doch als er in die leeren Pupillen sah, die anklagend zu ihm aufblickten, wusste er, dass sie tot war und er schüttelte ungläubig den Kopf, denn er hatte ihren Tod nicht gewollt. Alles was er wollte war, dass sie ihn losließ, doch offensichtlich, war er zu weit gegangen und nun war sie tot. Fassungslos schaute er auf den leblosen Körper herab, starrte geschockt auf das, was er getan hatte. Seine Füße trugen ihn unbewusst fort von dem Leichnam und trieben ihn unweigerlich in die Arme eines anderen Wachhunds, der hinter ihm auflauerte und darauf wartete, dass er nah genug herankam. Akira wusste zuerst nicht, was passierte so überraschend traf ihn der Hinterhalt. Mit dem Mut der Verzweiflung versuchte er sich gegen den Unbekannten Angreifer zu wehren und es entstand ein wildes Gerangel, bei dem Akira jedoch in einem Moment der Unaufmerksamkeit, das Gleichgewicht verlor und zu Boden stürzte. Der Wachhund zögerte keine Sekunde und setzte sich rittlings auf ihn. Akira war überrascht als er in das Gesicht eines jungen Mädchens blickte, dass kaum älter als er selbst war. Auch ihr Gesicht war ausgemergelt und dürr und ihr von der Sonne ausgetrocknetes, strohiges, schulterlanges, dunkles Haar hing ihr ins Gesicht. Irgendetwas an ihr, löste eine Gänsehaut auf seinem ganzen Körper aus und er fragte sich warum. Speichel tropfte aus den kleinen Löchern in ihrem Mund und sie knurrte, versuchte ihre Zähne in Akiras Haut zu vergraben, doch es gelang ihm seine Hand unter ihr Kinn zu legen und ihren Kopf so weit nach hinten zu drücken, dass sie ihn mit ihren Zähnen nicht mehr verletzen konnte. Dabei entblößte er ein kleines, aber markantes Muttermal, dass ziemlich weit hinten unter dem Kinn lag, dass ihm aber sehr vertraut war und sein Körper begann zu beben, als er begriff, warum sie ihm bekannt vorkam.
Nein… nein das konnte nicht sein. Bitte…
Es gab nur eine Person, die ein solches Muttermal hatte. Mika…
Sie waren 5 Jahre zusammen in demselben Minenschacht tätig gewesen und hatten sich angefreundet, er hatte sie sogar richtig gern gehabt, doch dann war sie vor ca. 8 Wochen verschwunden. Man munkelte, sie sei geflohen, doch niemand wusste, ob sie es geschafft hatte oder nicht und die Wächter äußerten sich nicht dazu.
Doch nun hatte er traurige Gewissheit und die Tränen brannten wie Säure in seinen Augen.
Was hatten sie ihr nur angetan? Akira erinnerte sich an die gemeinsame Zeit mit ihr, an den Kummer, den sie zusammen erlebt hatten, aber auch an die schönen Momente, die er mit ihr teilen durfte und er war verzweifelt.
Er wusste nicht was er tun sollte und blickte in die Augen seiner Freundin, die ihn scheinbar nicht wiedererkannten und er fragte sich, was sie mit ihr gemacht hatten und ob das was ihre Persönlichkeit einmal ausgemacht hatte, überhaupt noch da war oder ob die Mika, die er einmal kannte, bereits tot war. Bei dem Gedanken daran, krampfte sich sein Herz schmerzhaft zusammen. Selbst wenn ein Teil von ihr noch vorhanden war, was war das überhaupt für ein Leben? Angekettet wie ein Tier, immer hungrig, doch nicht in der Lage diesen Hunger zu stillen… Nein, sie hatte gewiss etwas Besseres verdient, niemand sollte so leben müssen…
Akira fasste einen schweren Entschluss, der seine Eingeweide innerlich zusammendrückte, doch er sah keine andere Möglichkeit. Er wollte sie hier auf keinen Fall so zurücklassen, doch befreien konnte er sie auch nicht, dafür fehlte ihm das nötige Werkzeug. Und selbst wenn er sie befreite… würde sie sich überhaupt von dem, was sie hier erlebt hatte jemals wieder erholen? Oder hatte man sie schon so gebrochen, dass sie niemals wieder so werden würde wie früher? Er blickte ein letztes Mal in die Augen seiner Freundin und auch wenn der Gedanke ihm körperlich Schmerzen bereitete, wusste er die Antwort bereits.
Dadurch, dass sie so abgemagert war, würde er sicherlich nicht viel Kraft brauchen, um ihr den Kehlkopf zu brechen oder das Rückgrat, wenn es ihm gelang den Kopf so weit wie nur möglich, nach hinten zu drücken. Akira schloss die Augen und ließ die Tränen stumm über sein Gesicht laufen, während er den Kopf immer weiter nach hinten drückte, bis er ein Knacken hörte und ihr Kopf schließlich leblos nach vorne sackte.
Er schniefte und nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände, streichelte mit seinen Daumen ein letztes Mal zärtlich über ihre Wangen und hauchte ein leises „Es tut mir so leid“ auf ihre Stirn, bevor er mühsam unter ihrem Leichnam hervorkroch und aufstand. Seine Flucht hatte gerade erst begonnen und dennoch fühlte er sich bereits ausgelaugt, wie tot und er taumelte vom einen Fuss auf den anderen, während sein Verstand versuchte den Tod seiner Freundin zu verarbeiten. Eine Welle der Wut und der Trauer brach über ihm ein, die seinen Körper erbeben ließ und er schrie seine Verzweiflung in den Himmel hinauf. Seine Schreie schienen die anderen Wachhunde nervös, schier rasend zu machen, denn sie zogen und zerrten an ihren Ketten und schrien ebenfalls. Einem der menschlichen Wachhunde gelang sogar das undenkbare. Es war eines der erst kürzlich hinzugefügten menschlichen Wachhunde, der im Gegensatz zu den anderen noch recht kräftig war. Seine Wut und sein Zorn verliehen ihm solche Kräfte, dass es ihm gelang den Holzpflock aus der Erde zu reißen und er wollte sich auf den vor Trauer völlig besinnungslosen Akira stürzen, der wie ein Häufchen Elend auf seine Knie gestürzt war und abwechselnd schluchzte und schrie, doch plötzlich hielt er inne als ein Schatten über ihm wie aus dem nichts auftauchte. Die Augen des menschlichen Wachhunds wurden ihm fast aus dem Schädel gepresst und die Blutgefäße in seinen Augäpfeln platzten während er fassungslos in die weiße Pupille seines Gegenübers blickte. Die schmalen, aschgrauen Lippen öffneten sich und entblößten dabei ein paar sehr scharfe, spitze Zähne, die sich ohne Vorwarnung in den Hals des menschlichen Wachhunds gruben, der zappelnd von seinem ausgestreckten Arm hing.
Ich habe lange überlegt, ob ich die Geschichte hierveröffentliche und bin dementsprechend nervös, denn es ist nicht nur meine erste Geschichte,die ich hier im Board veröffentliche, sondern auch die erste seit Ewigkeiten,in der ich eigene Figuren benutze, um eine Handlung zu erzählen. Die Kapitel würden einmal im Monat erscheinen.
Mal sehen, wie sie ankommt.
Vielen Dank an Qoii, dass er sich die Zeit genommenhat, die ersten beiden Kapitel vorher zu lesen und mir Denkanstöße gegeben hat, wie ichmeine Geschichte noch verbessern könnte. Ich hoffe, dass ich alles umsetzenkonnte. Sollten dennoch irgendwelche Fehler zu finden sein, dann entschuldigtmeine Schusseligkeit. Und nein, es handelt sich nicht um meine Lebensgeschichte, auch wenn die Hauptfigur zufällig meinen Nickname trägt. Ich hoffe das ist nicht allzu irritierend. XD
Gruß,
Capriciosa D. Devlin
Kapitel 1
Am südlichsten Punkt des South Blue, dort wo die Spaghetti-Palmen wuchsen und der Rio Marinara sich quer über das ganze Land erstreckte, bevor er schließlich am Fuße des Fleischbällchen-Gebirges endete, lag die Insel Santa Bolognese. Es war eine schöne Insel von der an sehr windigen Tagen, der Geruch von Kräutern, überbackenem Käse und Tomatensauce sich übers ganze Meer erstreckte und vom Wind in alle Himmelsrichtungen verteilt wurde. Jedes Schiff, dass auch nur in die Nähe von Santa Bolognese kam, wurde geradezu magisch von den köstlichen Düften angezogen und gezwungen Kurs auf die Insel zu nehmen. Dabei war es ein Wunder wie diese Insel sich überhaupt über dem Meeresspiegel halten konnte, wenn der durchschnittliche BMI eines Bolognesers bei 80 und die durchschnittliche Körpergröße bei 1,70 m lag. Aufgrund der hohen Fettleibigkeit und weil bei den meisten eine normale Fortbewegung zu Fuß schon längst nicht mehr möglich war, bewegten sich die meisten nur noch rollend fort, da für keinen Anwohner von Santa Bolognese eine Diät in Frage kam. Jeder einzelne hatte sich mit Leib und Seele dem Essen verschrieben und beabsichtigte, diese Lebensphilosophie auch bis zum letzten Atemzug beizubehalten.
Doch es gab auch Ausnahmen, denn eine Familie im Dorf hatte das Glück, über einen erstaunlichen Stoffwechsel zu verfügen, dank dem sie einfach nicht dick wurden. Aber nicht nur deswegen, sondern auch, weil sie sich auf ihre ganz eigenwillige Art und Weise fit hielten. Oder zumindest die Kinder. Denn die Familie Capriciosa bestand seit dem Tod der Eltern nur noch aus den fünf Männern, die alle einer Arbeit nachgingen, sowie aus zwei jungen Frauen, die zusammen den einzigen Friseursalon auf der Insel betrieben. Zumindest bemühte sich eine der beiden den Laden so gut es ging zu führen, während sie ständig die Fehler der anderen wieder ausbügeln musste, was zu regelmäßigen Reibereien zwischen den beiden Schwestern führte. Die Streitereien waren mittlerweile legendär und trugen zur allgemeinen Unterhaltung aller bei, wenn ihre Stimmen wie ein Echo über die ganze Insel hallten. So auch an diesem sonnigen Tag, als Capriciosa D. Rapunzel ihre Schwester dabei ertappte, wie diese einer Kundin mit dem elektrischen Rasierer anstatt mit der Schere die Haare schnitt, weil sie mal wieder in einem ihrer Tagträume versunken war. Den Fehler bemerkte sie dennoch zu spät, denn die linke Seite war bereits wegrasiert und eine Halbglatze zierte nun den einst üppig bewachsenen Kopf von Vetuccine Burgunda.
Capriciosa D. Devlin, kniff die Augen zusammen, während der Speichel ihrer Schwester wie ein warmer Sprühregen auf ihr Gesicht niederprasselte. Doch das war sie inzwischen gewöhnt, denn bei einer Körpergröße von 1,50 m war sie im Vergleich zu ihrer 1,80 m großen Schwester das perfekte Opfer für deren Feuchtattacken.
„Kannst du dich auch nur einmal für fünf Sekunden konzentrieren?! Jede Fliege hat eine größere Aufmerksamkeitsspanne als du!“ fauchte sie mit dem Charme einer Rasierklinge, der für Devlin das Stichwort war, besser zu verschwinden, bevor sie sie wieder zu irgendwelchen unliebsamen Arbeiten verdonnerte, wie das Klo mit der Zahnbürste blank zu putzen oder auf ihren hyperaktiven Neffen aufzupassen, dessen Nase so auffällig war, dass selbst die Vögel ihn vom Himmel aus, in einer Entfernung von 10 Kilometern noch erkennen konnten. Dabei konnte der arme Wurm nichts dafür, die Schuld trug einzig und allein seine Mutter die einen ungewöhnlichen Männergeschmack hatte.
Seufzend verließ sie das Zimmer, schnappte sich im Hinausgehen ihre Tasche, die an einem Haken neben dem Eingang hing und verließ den Salon. Sie versuchte wirklich ihre Arbeit so gut es ging zu erledigen, doch das war nicht leicht, denn seit sie klein war, sehnte sie sich danach diese Insel zu verlassen und mit einem Schiff die Welt zu erkunden und all die Orte zu besuchen, von denen sie träumte. Und zwar ständig. Sie spürte, dass sie gehen musste, denn manchmal, wenn sie am Hafen saß und sehnsüchtig aufs Meer blickte, glaubte sie eine Stimme zu hören die vom Meer zu kommen schien, die sie aufforderte sich auf die Reise zu begeben und die Welt zu entdecken. Deshalb arbeitete sie seit ihrem 8. Lebensjahr, um sich eines Tages diesen Traum zu erfüllen und nahm dafür jeden Job an, den sie neben der Arbeit im Friseursalon kriegen konnte, um sich Stück für Stück, das Schiff ihrer Träume zusammen zu bauen, an dem sie seit ihrem 14. Lebensjahr baute.
Eines Tages werde ich diesem Ruf folgen, versicherte sie sich dabei immer wieder, es war nur eine Frage der Zeit. Und vor allem des Geldes.
Doch die Materialkosten, um ein Schiff zu bauen, waren nicht gerade gering. Glücklicherweise wurde sie von ihrem ältesten Bruder Mercusio unterstützt, der ihr die nötigen Materialien besorgte und zum Einkaufspreis überließ und ihr alles über die Arbeit des Schiffszimmermanns beibrachte. Mercusio war auf der Insel ein angesehener, wenn auch sehr armer Schiffszimmermann, der mit seinem Beruf leider nicht viel verdiente, weil niemand Interesse an einem Schiff hatte, geschweige denn den Wunsch verspürte die Insel zu verlassen. Bis auf Devlin. Nur gelegentlich erhielt er Aufträge, wenn sich jemand auf die Insel verirrte, wie dieser lustige Typ mit der roten Knollennase vor fünf Jahren, der sämtliche seiner Körperteile abtrennen und wieder zusammenfügen konnte. Ihre Schwester Rapunzel hatte es ihm besonders angetan und nach einer schweren Lebensmittelvergiftung, die er sich auf Santa Bolognese zugezogen hatte, hatte sie sich rührend um ihn gekümmert. Im Gegenzug dafür hatte er sie mit seiner flinken Zunge fast um den Verstand gebracht, während der Rest seines Körpers nebenan im Badezimmer über der Kloschüssel hing und sich die Seele aus dem Leib kotzte, wie sie ihr eines Tages mit hochrotem Kopf gestand, nachdem Devlin sie gefragt hatte, wie sie und der Vater von Buggy Jr. sich eigentlich kennen gelernt hatten. Auf die intimen Details hätte sie allerdings gerne verzichten können, denn sie lösten in ihr Bilder aus, die sie vermutlich zu Lebzeiten nicht mehr aus ihrem Kopf bekommen würde. Noch heute schwärmte ihre Schwester von seinen langen blauen Haaren, seiner überdimensionalen roten Nase und seiner begnadeten Zunge. Offenbar schätzte ihre Schwester Männer, die das Multitasking beherrschten. Sie versicherte Devlin aber, dass dieser Abend nicht der Abend der Zeugung gewesen war, sondern dass dieser 5 Tage später erfolgte, bevor Buggy dann weiter segelte, nicht ahnend, dass er 9 Monate später Vater werden würde. Rapunzel, die damals 22 gewesen war, war zunächst geschockt und unsicher, ob sie das Kind wirklich bekommen sollte, immerhin war der Vater ein berühmter und vor allem gesuchter Pirat gewesen, doch ihre Familie stand hinter ihr und war bereit sie zu unterstützen. Und seitdem hatte sie ihre Entscheidung nicht ein einziges Mal bereut. Buggy Jr. hatte von seinem Vater die blauen Haare und die rote Nase geerbt und das aufbrausende Temperament seiner Mutter. Und auch wenn er manchmal anstrengend sein konnte, liebte sie ihn trotzdem.
Während Devlin den Lasagnepfad zum Dorf hinunter lief, wehte ihr schon der Geruch der verschiedenen Fleischbällchen-Birken und der Serrano-Schinken Kiefern entgegen und sie verzog angewidert das Gesicht, denn sie konnte den Geruch nicht ausstehen. Sie mochte überhaupt kein Essen, da allein schon die Berührung mit Nahrungsmitteln heftigste Hautreaktionen wie Juckreiz und Hautausschlag bei ihr verursachten und sie daher gezwungen war, Overalls sowie Handschuhe aus Baumwolle zu tragen. Und ans Essen mochte sie noch nicht einmal denken, denn außer unbehandeltem Obst und Gemüse, konnte sie nichts bei sich behalten und erbrach alles sofort. So war das schon immer gewesen. Zumindest seit ihrem 4. Lebensjahr. Davor konnte sie, so hatten ihre Geschwister ihr zumindest erzählt, sogar gekochte Babynahrung essen und Säuglingsmilch trinken. Doch mit zunehmendem Alter konnte sie immer weniger essen und wurde stetig kränker. Letztendlich war ihre Familie gezwungen sie irgendwann zwangs zu ernähren, weil sie sich weigerte zu essen. Erst als Devlin eines Tages im Garten spielte, beobachtete Rapunzel wie ihre kleine Schwester, vor ihren Augen zu leuchten begann und ihre Haare sich in die Erde vor dem Haus gruben, als ob sie Wurzeln wären. Damals hatte sie nicht verstanden was geschah und hatte ihre kleine Schwester panisch ergriffen und ins Haus gezehrt. Schnurstracks war sie geradewegs zu ihrem Bruder Humble geeilt, der damals schon großes Interesse für Bücher und vor allem für Medizin zeigte und hatte ihm aufgeregt berichtet was sie gesehen hatte. Dieser war daraufhin sehr nachdenklich geworden und hatte sich in seine Bibliothek zurückgezogen, um zu recherchieren. Ganze vier Tage und Nächte hatte er damit zugebracht ein Fachbuch nach dem anderen zu studieren, bis er schließlich wohl eine Erklärung gefunden hatte, für Devlins Symptome und warum sie so geleuchtet hatte. Von diesem Tag an, war es ihr verboten, Lebensmittel weder zu berühren noch sie zu essen, bis auf unbehandeltes Obst und Gemüse. Und sie war gezwungen, ihren Körper immer komplett bedeckt zu halten, für den Fall das sie mit Essen in Berührung kam, was auf Santa Bolognese oft genug passierte, da sich die Pollen der Bäume über die Luft verteilten. Nur wenn sie ihr Sonnenbad nahm, war es ihr gestattet ihre Kleidung abzulegen, wenn auch nur für kurze Zeit. All diese Einschränkungen waren zwar nicht einfach für sie, doch zumindest vermisste sie das Essen nicht. Als sie auf dem Dorfplatz ankam, blieb sie vor dem Bronzedenkmal des Gründers von Santa Bolognese stehen, der auf einem Messingsockel in der Mitte des Pesto-Brunnens stand und betrachtete sein sympathisches Gesicht, das sie verschmitzt angrinste. Vor zwanzig Jahren, hatte er aus einem unfruchtbaren, trockenen Land dieses fruchtbare Paradies gemacht, indem er es mit Fleisch- und Pasta- sowie anderen Essenssamen bepflanzte, die er von einer exotischen Insel mitgebracht hatte.
Er war in seiner Jugend wohl ein sehr berüchtigter Pirat gewesen, der sich eine eindrucksvolle Crew zusammengestellt hatte, mit der er es ihm sogar gelang, Piratenkönig zu werden, obwohl er anfangs ein absoluter Außenseiter war, dem kaum jemand etwas zugetraut hatte.
Devlin würd ihn sehr gerne einmal kennen lernen, denn er schien ein interessanter Mensch zu sein. Doch niemand wusste, wo er oder seine ehemalige Crew sich aufhielten, denn alle führten, bis auf einen, ein sehr zurückgezogenes Leben.
Verträumt dachte sie an die Geschichten, die man sich über ihn erzählte und bemerkte dabei nicht wie etwas den Hügel herunter auf sie zugerollt kam.
„Achtung, Bahn frei!“ rief Gumbatsch, während er wie eine Dampfwalze mit einem Affenzahn den Hügel runtergerollt kam. Devlin die durch das Geschrei unsanft aus ihrem Tagtraum gerissen wurde, sprang mit einem Hechtsprung zur Seite, gerade noch rechtzeitig, bevor sie Teil des Lasagnewegs unter ihren Füßen geworden wäre.
Grimmig blickte sie ihm hinterher, während sie sich den Staub von der Kleidung klopfte. Immer dasselbe, wenn es im „Halt Die Schnauze Und Iss“ einen „All you can eat!“-Tag gab. Sie verstand nicht, wie man sich darauf freuen konnte, schon gar nicht, wenn es auf der ganzen Insel nur so vor Essen wimmelte. Aber die Leute liebten nun mal ihre Events, besonders wenn sie für einen festgelegten Betrag, einmal in der Woche so viel essen konnten wie sie wollten. Und obwohl jeder Einwohner hier auf der Insel Essen über alles liebte, ließ der bloße Anblick essender Menschen sie schon aufstoßen und sie verzog angewidert das Gesicht, als sie den Geschmack von Galle in ihrem Mund schmeckte. Sie war die einzige aus ihrer Familie, die sich nicht wie alle anderen von Nahrungsmitteln ernährte, sondern von Wasser, Nährstoffen, die sie aus der Erde bezog, sowie Sonnenlicht, das sie zur Energiegewinnung benötigte. Aber diesbezüglich unterschied sie sich in vielen Dingen von ihren Geschwistern. Wie zum Beispiel in der Haarfarbe, denn alle in ihrer Familie waren blond und hatten blaue Augen, im Gegensatz zu Devlin, dessen Haar Moosgrün war und deren Augen eine goldene Farbe hatten, wie die Sonne. Manchmal hatte sie die anderen im Dorf munkeln hören, dass ihre Mutter eine Affäre mit einem anderen Mann gehabt hatte, auch wenn man sie nie mit einem anderen gesehen hatte. Dennoch war es unbestreitbar, dass sie nicht wie der Rest ihrer Familie war, obwohl ihre Geschwister ihr nie das Gefühl gegeben hatten, dass sie anders war oder nicht zur Familie gehörte. Ganz im Gegenteil, ihre Geschwister hatten alles getan und dafür gesorgt, dass es ihr an Liebe, Geborgenheit und Sicherheit nie fehlte. Ihr Vater war ungefähr sechs Monate vor ihrer Geburt gestorben, nachdem ihm nach einer Fressorgie der Darm geplatzt war und er sich mit einem letzten Furzer von seinem irdischen Dasein verabschiedet hatte, bevor sie die Gelegenheit bekam ihn kennen zu lernen. Ebenso wie ihre Mutter die vor 17 Jahren bei ihrer Geburt aufgrund von Komplikationen gestorben war.
Manchmal beneidete sie ihre Geschwister die wenigstens noch ein paar gemeinsame Jahre mit ihren Eltern verbringen durften und somit Erinnerungen an sie besaßen, denn Mercusio, Humble, Gulliver, Schnabel, und Rapunzel lagen jeweils nur 2 Jahre auseinander im Gegensatz zu ihr und Kein, die beide noch zu klein gewesen waren, als ihre Eltern starben.
Es war gerade für den damals 18-jährigen Mercusio nicht einfach gewesen, der die plötzliche Lücke und vor allem Leere die die Eltern nach ihrem Tod hinterlassen hatten, füllen musste. Von jetzt auf gleich wurde er erwachsen und musste Verantwortung für seine Geschwister übernehmen. Doch wenigstens war er nicht allein und wurde von Humble, Gulliver, Schnabel und Rapunzel tatkräftig dabei unterstützt, die ihm halfen sich um ihre beiden noch sehr jungen Geschwister zu kümmern.
Devlin strahlte übers ganze Gesicht, als sie ihren Bruder Kein sah, der auf sie zugelaufen kam, um sie zum Schwimmen abzuholen. Devlin musste bei der Farbwahl seiner Kleidung jedes Mal schmunzeln, wenn sie ihn sah. Er besaß überhaupt keinen Sinn für Farben und trug daher giftgrüne, kurze Shorts, zu einem türkisfarbenen T-Shirt und lilafarbenen, fast kniehohen Strümpfen und neongelbe Sandalen. Sie und ihre Schwester Rapunzel hatten schon oft versucht ihn davon zu überzeugen ihnen die Auswahl seiner Kleidung zu überlassen, aber Kein wollte davon nichts wissen und zog letztendlich das an was ihm gefiel. Das galt auch für seine Haare, die er auf der rechten Seite sehr kurz trug, während die Haare auf der linken Seite ihm mittlerweile schon bis zu den Schultern gingen. Mit ausgestreckten Armen rannte er auf sie zu und holte mit beiden Armen aus, um ihr mit seinen Handkanten einen kräftigen Schlag in den Nacken zu verpassen, den sie erwiderte indem sie ihrerseits mit ausgestrecktem Arm ihm einen Kinnhaken verpasste.
Devlin wartete gar nicht erst, dass er sich erholte, sondern stürzte sich auf ihn und riss ihn von den Füßen. Doch sie hatte die Zähigkeit ihres Bruders unterschätzt, der seine Arme unter ihre Achseln hakte und mit ihr eine Rückwärtsrolle vollführte, bevor er sie zu Boden beförderte.
Devlin lachte und kam wieder hoch, während sie sich etwas Blut aus dem Mundwinkel wischte und packte das auf sie bereits zufliegende Bein ihres Bruders und schleuderte ihn quer über die Insel, direkt auf einen Fleischbällchen-Baum zu. Doch bevor er mit dem Baum kollidierte, streckte er das rechte Bein aus und stieß sich vom Baumstamm ab, woraufhin ein paar Fleischbällchen vom Baum fielen, die sogleich von ein paar heranrollenden Eichhörnchen geschnappt wurden, bevor sie auf demselben Weg wieder davonrollten. Während er zu Devlin zurückflog, presste er beide Handflächen aneinander und spreizte seine Hände nach oben und unten auseinander, während er die Handgelenke weiterhin aneinanderpresste.
Oh, seine berüchtigte, Venus-Fliegenfallen-Attacke bei der er seinem Gegenüber die Handflächen wie kräftige Peitschenhiebe um die Ohren haute. Devlin stellte sich breitreinig hin und verlagerte ihren Oberköper so, dass er ihr wie ein drittes Standbein sicheren Halt gab und wartete darauf, dass ihr Bruder nahe genug herankam, um ihn an den Handgelenken zu packen und sich mit ihm wie ein Kreisel um die eigene Achsel zu drehen, bis sie sich so schnell drehten, dass er durch die Fliegkraft, von ihr weggeschleudert wurde, sobald sie ihn losließ. Selbst etwas benommen taumelte sie zunächst und schloss die Augen, während sie darauf wartete, dass das Schwindelgefühl nachließ. Zehn Minuten später tauchte ihr Bruder dann endlich wieder auf und verpasste ihr mit der Faust einen Schlag ins Gesicht, der ihr das Gefühl gab, dass ihr Kopf ihr gleich von den Schultern flog. Sie rieb sich über ihre rot leuchtende Wange und lächelte ihren Bruder an.
Sie bekam von ihrer Familie soviel Liebe, dass sie manchmal überwältigt war und Zweifel bekam, ob es die richtige Entscheidung war, die Insel verlassen. Andererseits war da diese unbändige Sehnsucht und Neugier die Welt zu erkunden und zu sehen, was jenseits von Santa Bolognese lag, viel größer und mächtiger als alles andere. Es hatten sich zwar schon Fremde hin und wieder auf die Insel verirrt und sie hatte auch schon mehrmals versucht auf einem der Schiffe, die hier landeten anzuheuern, doch leider scheiterten ihre Bemühungen stehts aufgrund von Kommunikationsproblemen zwischen ihr und der Besatzung der Schiffe.
Ihre Familie hatte ihr versucht zu erklären, dass viele nicht mit ihrer Art klarkamen und sie nicht jedem zur Begrüßung erst einmal die Faust ins Gesicht schlagen konnte, schon gar nicht so fest, dass sie demjenigen gleich die Gesichtsknochen brach. Doch irgendwie konnte sie sich einfach nicht beherrschen, denn sie war jedes Mal, wenn sie einem Fremden begegnete so aus dem Häuschen, dass sie vor Freude einfach denjenigen begrüßen musste, indem sie ihn schlug. Wohin auch immer.
Ihr Bruder grinste von einem Ohr zum anderen und entblößte dabei eine Reihe von Zahnlücken, die von den Spuren ihrer gemeinsamen liebevollen Auseinandersetzungen stammten.
„Man hat dich und Rapunzel mal wieder bis zum Hafen gehört. Was hast du diesmal angestellt, hm?“ fragte er, doch seine Schwester zuckte nur die Schultern und lächelte verlegen.
„Ich verstehe, na ich werde die Einzelheiten ja heute Abend beim Abendessen sowieso von ihr erfahren. Hast du an deine Schwimmsachen gedacht?“
„Klar, es kann losgehen!“ antwortete sie und hielt ihre Schwimmtasche wie einen Pokal hoch. Gemeinsam gingen sie den Rest des Weges zum Hafen hinunter, um im Meer zu schwimmen.
Devlin hielt ihr Gesicht in die Sonne und genoss die warmen Strahlen.
„Man, ich fühle mich als ob ich Bäume ausreißen könnte!“ rief sie und streckte ihre Arme über ihren Kopf als ob sie versuchte nach der Sonne zu greifen, um sie zu einer innigen Umarmung an sich zu ziehen.
„Kein Wunder, deine Kräfte sind der Wahnsinn, wenn die Sonne scheint. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, du hast von der Sonnenschein-Frucht gegessen“ witzelte Kein.
„Dann könnte ich wohl kaum mit dir schwimmen, Dummkopf!“ erwiderte Devlin und schlug ihm liebevoll auf den Hinterkopf, der ihn 5 Meter weit fliegen ließ. Ein kehliges Lachen entfuhr ihrer Kehle, als sie hörte wie er irgendwo krachend einschlug und folgte dem Lärm. Der Flugbahn ihres Bruders folgend, verfiel sie wieder ihrer Tagträumerei. Ein Fehler, wie sie schon bald am eigenen Leib erfahren sollte, denn ihr entging dabei der große, dunkle Schatten, der sich ebenfalls in ihre Richtung bewegte, wenn auch deutlich schwerfälliger, so als ob er erschöpft wäre.
Mit einem heftigen Rumms stießen die beiden zusammen und Devlin kehrte in die Wirklichkeit zurück. Sie musste den Kopf in den Nacken legen, um zu der Gestalt vor ihr aufschauen zu können. Ihre Augenbrauen streckten sich fast bis zu ihrem Haaransatz hinauf, als sie ihn von oben bis unten musterte, denn sie hatte noch nie jemanden wie ihn gesehen.
Kapitel 2
Devlin schluckte, als sie zu dem Fremden aufsah. Seine Haut war aschgrau und sein nackter Oberkörper war über und über mit schwarzen Tattoos überzogen, die seinen Körper bis hinunter zum Ansatz seiner schwarzen Wildlederhose zierten. Er war sehr groß und muskulös und auf seinem breiten Stiernacken thronte ein kahler Schädel, aus dem nur eine einzige silberne Strähne wuchs, die über seinem linken Auge hing und es verdeckte. Devlin wurde mulmig zumute als sie in das rechte Auge starrte, das weiß und trüb auf sie hinabsah, als ob es in ihre Seele blickte und sie bekam eine Gänsehaut und fröstelte.
Ich glaube ich bekomme einen steifen Nacken, wenn ich noch länger zu ihm aufschaue. Wer ist er überhaupt? Und warum hat sein rechtes Auge keine farbige Iris? Wann war er eigentlich auf Santa Bolognese angekommen?
Er konnte noch nicht lange hier sein, sonst hätte sich seine Ankunft schon längst herumgesprochen, so wie alle Neuigkeiten auf Santa Bolognese, denn jeder Dorfbewohner war von Natur aus ein Klatschmaul.
Devlin überlegte gerade was sie sagen sollte, da schob er sie auch schon unsanft zur Seite und ging einfach weiter. Besonders freundlich war er nicht und offensichtlich auch nicht sehr gesprächig, aber das störte sie nicht weiter, denn ihr Bruder Schnabel war ebenfalls ein stiller Mensch, jedenfalls solange bis ihr Bruder Kein ihn ansprach, dann zeigte er sich von seiner hitzigen Art und die beiden stritten sich dann oft Stunden. Sie beobachtete wie er durchs Dorf lief, als ob er auf der Suche nach etwas wäre und verschwand dann schließlich in der Dorfkneipe gleich hinter dem Denkmal.
Kurz dachte sie darüber nach ihm zu folgen, da hörte sie die Stimme ihres Bruders Kein, der sich von hinten näherte und sie fragte, wo sie bleibe. Devlin konnte sich ein herzhaftes Lachen nicht verkneifen, als sie die große Beule sah, die auf dem Kopf ihres Bruders wuchs und duckte sich unter seiner auf sie zurasenden Faust hinweg, bevor sie mit dem Kopf voran hochsprang um ihn an seinem Glaskinn zu treffen, doch diesmal wich er ihrem Kopf aus und bevor sie sich versah, waren sie schon wieder in einem ihrer kleinen Schlägereien vertieft und der Fremde fürs Erste vergessen.
Bis zum Abend, als sie mit ihrer Familie zusammensaß und alle von ihrem Tag erzählten. Ihre Schwester hatte Buggy Jr. zu Bett gebracht damit er nichts von ihrer Unterhaltung mitbekam, denn sonst würde er vor lauter Aufregung nicht schlafen und seine Mutter die ganze Nacht auf Trapp halten.
Rapunzel beschwerte sich bei Devlin und sagte ihr, dass sie den Preis für die Perücke, die sie dank ihr verschenken musste, ihr vom Gehalt abziehen müsse, doch Devlin ignorierte die Schimpftirade, als ihr Bruder Gulliver, dem die Dorfkneipe hinter dem Denkmal gehörte, von dem Fremden erzählte, der gegen Mittag plötzlich bei ihm aufgetaucht sei. Alle Augen richteten sich neugierig auf ihn und warteten gespannt auf seinen Bericht.
„Und was hat er gesagt? Was hat er dort gewollt?“ fragte Devlin und wäre vor lauter Aufregung und Neugier fast über den Tisch gehüpft, um die Antworten aus ihrem Bruder herauszuschütteln.
„Er hat eigentlich nichts gesagt, nur mit der Faust auf den Tresen geschlagen und dann auf eine Flasche im Regal hinter mir gezeigt. Als ich ihm dann etwas einschenken wollte, hat er mir fast das Handgelenk gebrochen, als er zupackte, um mir die Flasche aus der Hand zu reißen und hat mit der anderen Hand das Geld auf den Tresen gelegt. Und zwar für die gesamte Flasche.“
„Wie ist er eigentlich auf die Insel gekommen? Im Hafen liegt zumindest kein Schiff vor Anker“ mischte sich Schnabel völlig unerwartet in die Unterhaltung ein und zog damit die ganze Aufmerksamkeit auf sich. Er arbeitete am Hafen und wusste, daher sofort Bescheid, wenn ein neues Schiff kam. Santa Bolognese bestand zwar nur aus einem kleinen Dorf, doch aufgrund der Seeleute, die sich manchmal auf der Insel verirrten, hatte man eines Tages beschlossen, einen Hafen für die anlegenden Schiffe zu bauen, in der Hoffnung, mehr Touristen anzulocken und mit ihnen Geld zu verdienen.
„Vielleicht hat er ja, nicht im Hafen, sondern woanders angelegt“, vermutete Kein und rieb sich mit der Hand nachdenklich übers Kinn.
„Wenn er aber auf einem anderen Teil der Insel ankam, wieso sollte er dann einmal die Insel umrunden, nur um den Weg vom Hafen ins Dorf zu laufen?“
In diesem Punkt stimmten ihre Geschwister Devlin zu und nickten einstimmig.
„Vielleicht ist er ein Zoan, ihr wisst schon ein Vogel-Zoan oder Fliegen-Zoan oder so? Oder jemand mit einer anderen Teufelsfrucht, die es ihm ermöglicht zu fliegen das würde zumindest erklären, wie er es auf die Insel geschafft hat ohne Schiff“, sagte Humble, den schon seit seiner Geburt, die Kräfte der Teufelsfrüchte faszinierten und sie studierte, seit er lesen konnte.
„Mag sein, wie sieht er eigentlich aus?“ wollte Rapunzel wissen und schaute ihren Bruder Gulliver an, doch Devlin antwortete für ihn und fuchtelte aufgeregt mit den Armen herum, während sie ihn in allen Einzelheiten beschrieb.
„Sehr muskulös sagst du? Ich glaube den schaue ich mir mal aus der Nähe an. Vielleicht sucht er nach einer Übernachtungsmöglichkeit. Wir könnten ihm ein Zimmer bei uns herrichten. Nur schade, dass er blind zu sein scheint. Und eine ungesunde Hautfarbe hat.“
„Wieso blind?“ wollte Devlin wissen.
„Na ja zumindest auf einem Auge scheint er blind zu sein, deshalb die weiße Pupille. Obwohl auf dem anderen wird er auch nicht viel sehen, wenn ihm diese Strähne ins Gesicht hängt.“
Devlin sank nachdenklich auf ihrem Stuhl zurück. Sie fand diese Info höchst interessant und machte den Fremden für sie umso interessanter und geheimnisvoller.
„Wir könnten ihm Humbles Bibliothek als Schlafplatz anbieten, dort steht doch ein gemütliches Sofa und wenn ihm das zu unbequem ist, biete ich ihm mein Bett an.“
„Und dich vermutlich gleich mit dazu, was Rapunzel?“ witzelte Kein und formte mit seinem Daumen und dem Zeigefinger seiner linken Hand ein Loch, durch das er den Zeigefinger seiner rechten Hand schob und ihn immer wieder rein und rauszog und dazu anzüglich grinste.
„Du bist so ein verdorbener, kleiner Kindskopf!“ fuhr Rapunzel ihn an, doch ihr hochroter Kopf konnte niemanden über ihre wahren Absichten hinwegtäuschen. Alle am Tisch lachten bis auf Devlin die schon wieder in ihren Gedanken versunken war und sich den Kopf darüber zerbrach, welche Teufelskraft der Fremde wohl besaß, wer er war, wo er herkam und was er schon alles erlebt hatte. Sie unterhielten sich noch gute zwei Stunden, ehe sich jeder in sein Zimmer zurückzog, um zu schlafen.
Doch Devlin konnte nicht schlafen und saß stattdessen auf ihrem Fensterbrett und starrte nachdenklich in die Dunkelheit. Sie blickte noch nicht einmal auf, als es an ihrer Zimmertür klopfte und ihr Bruder Mercusio das Zimmer betrat.
Erschrocken zuckte sie zusammen, als er sie plötzlich an der Schulter berührte und wäre um ein Haar von ihrem Fensterbrett gefallen, hätte er sie nicht festgehalten. Sie fand den Anblick seiner offenen Haare befremdlich, denn er trug sie normalerweise immer zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, doch wenn er sie offen trug, erinnerte er sie an diese gruseligen Gestalten aus ihren Büchern, die in irgendwelchen Brunnen hausten und nur emporkletterten, um ihren Opfern mit bloßen Händen das Genick zu brechen.
„Musst du mich so erschrecken?“ fuhr sie ihn an.
„Entschuldige“ sagte Mercusio, obwohl seine strahlenden Augen und sein Grinsen das Gegenteil aussagten.
„Was willst du?“
„Ich habe SEHR gute Nachrichten für dich. Es ist fertig. Ich habe heute die letzten Arbeiten abgeschlossen.“
Devlin brauchte einen Moment, bis sie begriff, was das bedeutete, doch als der Groschen endlich fiel, weiteten sich ihre Pupillen und sie stürzte sich auf ihn und riss ihn zu Boden. Sie war so außer sich vor Freude, dass sie nicht an sich halten konnte und ihre Fäuste auf ihren am Boden liegenden Bruder nur so niederprasselten wie Gewehrfeuermunition.
Als sie sich endlich wieder eingekriegt hatte, bat sie ihren Bruder es sofort sehen zu dürfen, doch er vertröstete sie auf Morgen, da es bereits zu dunkel war, um es sehen zu können.
Enttäuscht kniff sie ihre Lippen zusammen, doch Mercusio nahm sie zärtlich in den Schwitzkasten und drückte ihr solange die Luft ab, bis ihre Gesichtsfarbe ein zartes schlumpfblau annahm.
Japsend holte sie mit dem Arm aus und rammte ihm den Ellenbogen zwischen die Beine, woraufhin er nach Luft schnappend sie losließ.
„Ok, jetzt ist aber Zeit schlafen zu gehen. Gleich morgen früh nach deinem Sonnenbad zeige ich dir dein neues Schiff, ok? Ich hab dich lieb Schwesterchen!“ sagte Mercusio zum Abschied und verpasste ihr eine Ohrfeige, dass der Kopf auf ihrem Hals wackelte.
„Ich dich auch, gute Nacht!“
Devlin sprang hoch und ließ ihre Faust mitten auf den Kopf ihres Bruders niedersausen, die seine Zähne klappern ließ und verschwand lächelnd.
Glücklich legte sie sich ins Bett, und schloss die Augen, aber nicht für lange, denn schon bald, öffnete sie sie wieder und blickte zur Decke. Sie konnte es kaum erwarten, dass es endlich Morgen wurde und fieberte voller Ungeduld dem Sonnenaufgang entgegen. Doch ihre Gedanken kreisten nicht nur um ihr Schiff, sondern auch um den Fremden. Was wollte er auf Santa Bolognese? Den Cholesterin-Tod? Dem Club der rollenden Insulaner beitreten? Sie wusste es nicht und genau das, ließ ihr keine Ruhe, denn sie war ein von Grund auf, neugieriger Mensch.
Ob er noch auf der Insel war? Oder schon weggeflogen? Bis auf Essen gab es hier auf Santa Bolognese eigentlich nichts Sehenswertes zu sehen. Vermutlich war ihm das inzwischen auch schon klar geworden und er war schon wieder abgereist, ehe es dunkel geworden war.
Eigentlich schade, dabei hätte sie sich so gerne mit ihm unterhalten, ihn gebeten ihr von seinen Reisen zu erzählen, ihn vielleicht gefragt, ob er mit ihr reisen wolle, jetzt wo ihr Schiff endlich fertig war, denn sie brauchte noch jemanden der sich mit Navigation auskannte. Sie hatte sich leider nur die Grundkenntnisse angeeignet, die sie aus den Büchern ihres Bruders Humble bezogen, hatte.
Doch das würde bei weitem nicht reichen. Außerdem wäre es schöner gemeinsam zu reisen, denn auch wenn sie schon seit Jahren davon träumte die Welt zu bereisen, hatte sie auch ein bisschen Angst, aber nicht vor der Welt, sondern vor der Einsamkeit. Von ihrer Familie wollte leider niemand mitkommen, denn allen gefiel es hier, selbst Kein, konnte sie nicht überreden mitzureisen, obwohl er gerade Mal zwei Jahre älter als sie war.
Deshalb wäre ein Reisegefährte schön. Aber um dauerhaft auf See zu überleben, brauchte sie sowieso noch mehr Mitglieder, denn sie wusste aus ihren Büchern, dass die See rau und gnadenlos sein konnte und auch wenn sie sich um Essen keine Sorgen zu machen brauchte, da sie außer der Sonne, Regen und ihrem Gewächshaus, dass sie sich an Deck eingerichtet hatte nichts brauchte, benötigte sie zumindest noch einen Navigator, einen Arzt und einen Koch, der die anderen beköstigte, denn sie hatte aufgrund ihrer Allergie gegen Essen, nie Kochen gelernt. Dennoch hatte sie sich an Bord ihres Schiffes eine Küche eingerichtet, im 2. Unterdeck, soweit wie möglich von ihr entfernt, damit sich ihre spätere Crew etwas kochen konnte und sie nicht mit den Essensgerüchen oder dem Anblick ihrer essenden Kameraden belästigt wurde.
Devlin horchte auf, als etwas unten lautstark immer wieder gegen die Eingangstür pochte und richtete sich mit klopfendem Herzen in ihrem Bett auf. Wer mochte das so spät am Abend noch sein?
Schnell eilte sie zur Tür und öffnete sie einen Spaltbreit, um zu lauschen. Sie hörte eine Frauenstimme aufgeregt sprechen, doch sie sprach so zusammenhanglos und wirr, dass sie zunächst nicht verstand, was sie sagte. Dann wurde es plötzlich still und sie hörte die schweren Schritte eines ihrer Brüder und wie etwas über den Boden rollte, vermutlich einer der Dorfbewohner und eine Tür sich kurz darauf öffnete und dann wieder schloss. Der einzige der schnell genug an der Haustür sein konnte, um diese zu öffnen, war Humble, weil er unten nicht nur seine Praxis hatte, sondern auch sein Schlafzimmer.
Um die anderen nicht zu wecken, schlich sie vorsichtig die Treppen hinunter und versuchte an der Tür zu lauschen, doch sie verstand nichts. Nur dass sie in Humbles Zimmer waren. Doch wen empfing ihr Bruder um diese Uhrzeit noch? Patienten?
Die Ungewissheit und Neugier zerfraßen sie innerlich, daher entschied sie sich, den Zorn ihres Bruders auf sich zu nehmen und drückte die Klinke herunter. Sofort richteten sich 6 Augenpaare auf sie und in jedem Gesicht las sie eine andere Emotion. Angst, Wut und Besorgnis. Ihr Bruder Humble hatte offensichtlich noch nicht geschlafen, denn er trug noch immer seine dunkelbraune Cordhose sowie eines seiner weißen Hemden und der dazu passenden braunen Weste, und braune Lederschuhe. Devlin konnte sich nicht erinnern, ihn jemals schlampig oder gar leger gekleidet gesehen zu haben, dafür war ihm sein äußeres Erscheinungsbild, im Gegensatz zu ihrem Bruder Kein, zu wichtig. Noch nicht einmal sein Haar war zerzaust, sondern ordentlich zu einem Seitenscheitel gekämmt.
„Was machst du hier Devlin? Es ist mitten in der Nacht!“
„Entschuldige, aber was kann ich dafür, wenn jemand nachts an unsere Türe hämmert? Was ist überhaupt pass…“
Devlin verstummte, als sie die Wunde am Hals von Theodor bemerkte, dem örtlichen Leichenbestatter, der seinen Job mit einer Eifrigkeit nachging, die manch einer als übergriffig bezeichnen würde, weil er gerne den Leuten die ihm auf der Straße begegneten, kostenlose Angebote für eine Bestattung in die Hand drückte, oder einfach Maße von ihnen nahm, wenn sie langsam genug an ihm vorbei rollten und er ihnen anbot kostenlos in einem seiner Sargmodelle „Probe zu liegen“. Dabei riskierte er regelmäßig sein Leben, denn es war gefährlich einem Bologneser in die Quere zu kommen, da er dabei selbst Gefahr lief in einem seiner Särge zu landen.
Seine Frau Ursula, die neben ihm stand schien ratlos und zutiefst besorgt über das was ihrem Mann passiert war.
Neugierig trat Devlin näher, um sich die Wunde aus der Nähe anzusehen.
Es waren eigentlich drei Wunden, die parallel zueinander lagen und eine kreisrunde Form hatten. Doch während die beiden äußeren Wunden einen Durchmesser von ca. 3 cm hatten, war die Wunde in der Mitte gerade Mal so groß wie der Einstich einer Nadel, wie Humble sie benutzte, um beispielsweise Blut abzunehmen.
„Was zum Teufel…? Wie ist das passiert?“
„Ich weiß es nicht, er kam sturzbetrunken und blutend nach Hause und faselte irgendetwas von einer dunklen Kreatur, die ihn angefallen hätte“, antwortete Ursula stellvertretend für ihren Mann.
Eine Falte bildete sich zwischen Devlins Augen und sie wiederholte ihre Aussage im Flüsterton, als ob sie sie nicht verstanden hätte.
„Ich war im „Wilden Eber“ und habe mir dort noch ein paar Absacker mit meinem Freund Radicchio gegönnt und wollte gerade nach Hause als plötzlich mich etwas attackierte und an meinem Hals saugte. Ich hatte solche Angst…“ nuschelte Theodor, dem das Sprechen aufgrund seiner Trunkenheit sichtlich schwerfiel.
„Schon gut, Theodor, beruhige dich erst einmal. Devlin bitte… sei so freundlich und koche etwas heißes Wasser für Tee. Glaubst du, du schaffst das?“
„Wasser? Aber ich weiß doch gar nicht wo die Töpfe stehen…“
„Dann geh wieder ins Bett, ich kann dich hier nicht gebrauchen“, antwortete Humble barsch und widmete sich wieder seinem Patienten. Devlin warf seinem Hinterkopf noch ein paar finstere Blicke zu und verließ schließlich das Zimmer. Doch kaum fiel die Tür hinter ihr zu, fragte sie sich wer oder was das gewesen sein könnte, denn Theodor hatte nichts über seinen Angreifer gesagt, nur dass er ihn gebissen hatte.
Es hatte noch nie einen Angriff dieser Art auf Santa Bolognese gegeben, nicht seit…
Devlins Augen weiteten sich und sie fragte sich, ob der Fremde etwas damit zu tun haben könnte.
Kapitel 3
Er musste sich schnell ein Versteck suchen, um den Alkohol in seinem Blut abzubauen und seinen Rausch auszuschlafen. Doch wohin? Sobald er wieder nüchtern war, würde der Typ, bestimmt jedem den er kannte, erzählen was passiert war und dann würde man nach ihm suchen. Doch der Zufall hatte ihm bereits das perfekte Versteck zugespielt und so machte er sich auf den Weg dorthin, trudelte vom Alkohol benebelt, durch die Luft und atmete tief die warme Nachtluft ein, um einen klaren Kopf zu bekommen. Er folgte dem Geruch, der ihm in die Nase wehte, während er seine Umgebung vorsichtig abtastete, um sicher zu gehen nicht gegen irgendwelche Hindernisse zu fliegen, doch das war nicht gerade einfach, angesichts der Kopfschmerzen, die er hatte. Nie mehr irgendwelche Schnapsdrosseln, schwor er sich, obwohl er wusste, dass er beim nächsten Mal sowieso wieder zuschlagen würde, ganz gleich, ob er betrunken war oder erkältet. Er hatte keine andere Wahl, ob er wollte oder nicht.
Aufmerksam lauschte er, tastete die Dunkelheit nach irgendwelchen Stimmen oder auffälligen Geräuschen ab, doch bis auf das Zirpen der Grillen und der Wind, der durch die Gräser unter ihm strich, war alles still.
Das verdammte Zirpen erinnerte ihn daran, dass er Hunger hatte und so suchte er sich ein ganz besonders laut zirpendes Exemplar aus und stürzte sich einem Raubvogel gleich auf seine Beute, bevor er sich wieder in die Lüfte erhob und weiterflog.
Die Grille würde seinen Hunger zwar nur für den Augenblick stillen, aber sie war besser als gar nichts dachte er sich und flog weiter. Er orientierte sich an den Gerüchen und Geräuschen, die ihm in der Finsternis entgegenschlugen, bis er sein Ziel endlich erreicht hatte und setzte erleichtert zum Landeanflug an, um sich die beste Stelle zum Verstecken zu suchen.
Devlin hatte die ganze Nacht nicht geschlafen, weil ihre Gedanken ständig um den Angriff auf Theodor kreisten. Ob der Fremde wirklich für den Angriff verantwortlich gewesen war? Und wenn ja, hieß das er besaß, eine dieser Zoan-Früchte von denen Humble gesprochen hatte? Aber welche? Und wo mochte er jetzt stecken? Wie war er überhaupt ohne Schiff auf die Insel gelangt? Wenn er eine Zoan-Frucht gegessen hatte, konnte es sich nur um eine Zoan-Frucht handeln, mit der man fliegen konnte, um das Wasser zu überqueren, doch da gab es von Vögeln bis hin zu Insekten so viele Möglichkeiten. Allerdings nicht viele die andere Menschen stachen. Beim Gedanken daran, dass irgendjemand sich an Menschen vergriff, wurde ihr anders und sie entschloss sich aufzustehen, um sich abzulenken. Ihre Augen blickten zum Fenster und stellten erleichtert fest, dass die Sonne bald aufging und so begab sie sich nach unten und schlich so leise sie konnte, durch die Eingangstür nach draußen. Sie war immer die erste in ihrer Familie, die aufstand, vermutlich sogar die erste im ganzen Dorf, da sie die ersten Sonnenstrahlen des Tages in aller Ruhe genießen wollte, ohne von neugierigen Gaffern beobachtet zu werden.
Dennoch blickte sie sich immer erst nach allen Seiten um, um sicher zu gehen, dass nicht doch jemand vorbeikam und sie sah, bevor sie sich ihren Schlafanzug auszog und aus ihren Pantoffeln schlüpfte. Ihr Herz klopfte vor Aufregung in ihrer Brust, so wie jedes Mal, wenn sie sehnsüchtig auf die ersten Sonnenstrahlen des Tages wartete.
Sie liebte das Gefühl, wenn sie sie in der Nase kitzelten, während das warme Licht langsam in ihre Poren eindrang und es mit einer Energie durchflutete, die so gewaltig war, dass sie manchmal das Gefühl hatte zu explodieren vor Kraft und Vitalität. Ihre Haare schlängelten sich wie Schlangen in Ekstase zum Himmel und umrahmten ihren Kopf wie einen Fächer. Es war ein unglaubliches Gefühl, dass sie niemandem beschreiben konnte, denn niemand verstand sie. Wie auch, sie war in der Hinsicht nun mal nicht wie die anderen. Einmal hatte Mercusio sie beim Sonnenbaden erwischt, als er nicht schlafen konnte und beschlossen hatte joggen zu gehen. Als er sie gesehen hatte, war er bei ihrem Anblick stehen geblieben und hatte sie völlig fasziniert beobachtet. Noch nie hatte er einen Menschen so strahlen sehen, wie seine Schwester, dessen ganzer Körper mit einer Intensität geleuchtet hatte, die ihn unwillkürlich an die Sonne erinnerte, wie er ihr später erzählt hatte. Deshalb zog er sie manchmal auf, indem er sie „kleiner Sonnenschein“ nannte, woraufhin sie immer rot anlief, denn es war ihr peinlich. Aber nicht, weil er sie nackt gesehen hatte, sondern weil er daraus eine so große Sache machte, als ob es etwas Besonderes wäre. Dabei war das was sie hier tat, nichts außergewöhnliches, zumindest nicht außergewöhnlicher als das was andere taten, wenn sie aßen und tranken. Es war ihre Art der „Nahrungsaufnahme“.
Langsam drückte sie ihre Füße, in den Boden, und ließ ihre Haut die Nährstoffe aus dem Boden aufsaugen, ähnlich wie ein Schwamm. Ein leiser Seufzer purer Glückseligkeit entfuhr ihren Lippen, während das Licht ihren Körper durchflutete und er von innen heraus zu strahlen begann. Devlin öffnete die Augen und kleine farbige Lichtflecken, tanzten wie Elfen vor ihren Augen herum, bis sie schließlich ganz verschwanden und sie sich schnell wieder anzog, bevor es windig wurde und die ersten Pollen in ihre Richtung wehten. Mit federnden Schritten kehrte sie ins Haus zurück und pfiff dabei eine Melodie vor sich hin.
Sie konnte es kaum erwarten, dass Schiff zu sehen. Am liebsten würde sie ins Zimmer ihres Bruders stürmen, um ihn zu wecken und zu bitten ihr endlich das Schiff zu zeigen, doch er war ein unausstehlicher Morgenmuffel und würde sie nur anknurren, bevor er sich wieder umdrehte und weiterschlief, daher beschloss sie sich anzuziehen und in ihrem Zimmer zu lauern, bis sie seine Tür hörte. Doch die Zeit verging so furchtbar langsam und irgendwann hatte sie keine Lust mehr zu warten und entschloss sich den 20. Band der Buchreihe Die Abenteuer des Kapitän Lysop zu lesen. Sie war gerade im letzten Kapitel angelangt und verfolgte mit angehaltenem Atem der Geschichte, wie Kapitän Lysop den stärksten Riesen aller Zeiten in einem Zweikampf auf Leben und Tod besiegte, indem er ihm einen überdimensionalen Zahnstocher mitten durchs Herz schoss, den er sich mit bloßen Zähnen aus einer Eiche geschnitzt hatte und so Herrscher über Elbaf wurde, als sie draußen Schritte hörte. Schnell legte sie ihr Buch zur Seite und lief auf den Flur hinaus, in der Hoffnung, dass Mercusio endlich aus seinem Dornröschen-Schlaf erwacht war. Enttäuscht musste sie feststellen, dass es nur ihr Neffe und ihr Bruder Schnabel waren. Buggy Jr. kam auf dem Rücken seines Onkels angeritten, behängt mit dem Goldschmuck seiner Mutter, den sie von Buggy geschenkt bekommen hatte, kurz bevor dieser wieder abgereist war. Er trug eines seiner geliebten Shirts mit Querstreifenmuster, das unter all dem Goldschmuck und dem mit Pailletten übersäten Kapitänsmantel, den er von seinem Onkel Kein zu Weihnachten bekommen hatte, aber vollkommen unterging und ihn im Sonnenlicht heller strahlen ließ als eine Discokugel. Glücklicherweise war er unterhalb der Gürtellinie eher dezent gekleidet mit seiner dunkelroten Hose und den schwarzen Schuhen mit den Goldschnallen. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht, entblößte er seine strahlend weißen Zähne, die ebenfalls etwas vom Lippenstift, den er auf die Lippen aufgetragen hatte, abbekommen hatten und präsentierte mit rausgestreckter Brust den Schmuck, den er um seinen Hals und um seine Handgelenke trug. An seiner Hüfte baumelte ein Holzschwert, dass in einer Schwertscheide an seiner Schärpe befestigt war, die er um die Hüften trug. Schnabel wirkte wenig begeistert von der Tatsache, dass sein Neffe ihm einen Strick zwischen die Lippen geklemmt hatte den er als Zaumzeug benutzte, um sich festzuhalten.
Als er Devlin sah, hüpfte er aufgeregt auf und ab. Sie empfand Mitleid mit ihrem Bruder, der das Gesicht schmerzvoll verzog als sein Neffe ihm seine Hacken in den Bauch rammte, um ihm zu signalisieren, dass er sich schneller bewegen sollte.
„Guck mal Tante Devlin, was ich gezähmt habe. Einen echten Schnabefanten!“
Devlin grinste ihren Neffen an und schenkte ihrem Bruder ein aufmunterndes Lächeln, der sie mit den Augen anflehte ihn zu erschießen, um ihn von seinem Elend zu erlösen.
Ich glaube der Schnabefant braucht eine Pause. Wie wäre es, wenn du dir ein anderes Tier suchst, dass du zähmen kannst?“
„Au ja!“
Sofort sprang Buggy Jr. von Schnabels Rücken und rannte Aristoteles hinterher der gerade an ihm vorbei trottete, um zu seinem Fressnapf zu gelangen. Sein Holzschwert zückend stürzte er sich auf den armen Kater, der gelassen den Kopf drehte und ihn gleichgültig musterte.
„Ergib dich, Ungetüm!“ rief er. Aristoteles aber verzog keine Miene und zeigte sich wenig beeindruckt von der Tatsache, dass er ihn mit einem Holzschwert attackieren wollte. Gelangweilt riss er sein Maul auf und gähnte, woraufhin Buggy Jr. vor Schreck auf dem Absatz kehrt machte und in die entgegengesetzte Richtung lief, direkt in die Arme seiner Mutter, die gerade aus ihrer Zimmertür kam. Rapunzel war bereits fertig angezogen und geschminkt. Ihr geflochtenes Haar hatte sie sich hochgesteckt und ihr fliederfarbenes Kleid mit großzügigem Ausschnitt schmiegte sich an ihren kurvigen Körper wie eine zweite Haut. Zitternd versteckte er sich hinter ihr und vergrub sein Gesicht zwischen ihren Beinen, sodass nur noch seine rote, dicke Knollennase zwischen ihren Beinen hervorschaute.
„Mamie, Ari will mich fressen! Los, mach aus ihm Katzen-Frikassee!“
„Sei nicht albern, mein Schatz, Ari ist froh, wenn er seine Ruhe hat. Komm her und lass dich von Mami drücken, mein Großer“, sagte Rapunzel und griff zwischen ihre Beine, um ihren Sohn zu packen und in die Arme zu schließen. Doch kaum erblickte sie den Schmuck am Körper ihres Sohnes und ihren Lippenstift auf seinem Mund, fauchte sie ihn wie eine Wildkatze an und ihr Gesicht verzog sich zu einer Fratze, die selbst Kaido noch das Fürchten gelehrt hätte. Wenn es um ihren Schmuck und ihr Make-Up ging, verstand sie keinen Spaß, selbst bei ihrem über alles geliebten Sohn nicht, den sie fast noch mehr vergötterte als seinen Vater.
Buggy Jr. der die Wutanfälle seiner Mutter kannte, wusste dass es besser war, zu verschwinden und so rannte er die Treppe runter, dicht gefolgt von seiner Mutter die vor Wut schäumend hinter ihm herrannte und ihm vergeblich befahl stehen zu bleiben, während sie ebenso erfolglos versuchte ihn zu packen.
Schnabel und Devlin sahen sich an und zuckten einvernehmlich die Schultern. Gegen ihre temperamentvolle Schwester war kein Kraut gewachsen. Sie wollten sich gerade mit einem Tritt in die Magengrube begrüßen, als sich die Tür am Ende des Ganges öffnete. Devlin strahlte übers ganze Gesicht und sie rannte über den Flur, um ihren Bruder Mercusio mit einer Faust mitten ins Gesicht liebevoll einen guten Morgen zu wünschen.
Doch Mercusio war noch nicht ganz wach, deshalb schlug er ihr nur sanft mit der Faust gegen den Arm und ging an ihr vorbei, um eine Tasse Kaffee in der Küche zu trinken.
Da er vor seinem ersten Kaffee nicht ansprechbar war, wartete sie geduldig im Hausflur auf ihn, da sie wusste, dass er es hasste, wenn man ihn beim Frühstück störte und zog sich in der Zwischenzeit ihre Schuhe an. Doch er ließ sich mit seinem Frühstück heute mehr als Zeit und sie verlor langsam die Geduld. Gerade wollte sie schon in die Küche gehen, um nachzusehen, ob er nicht beim Frühstück eingeschlafen war, da ging plötzlich die Tür auf und ihr Bruder Kein kam herausgerannt, dicht gefolgt von Humble, der ihn mit einem Bügeleisen verfolgte.
„Ich weiß genau, dass du dieses Hemd aus dem Bügelwäschekorb gemopst hast! Und zwar bevor ich es bügeln konnte!“
Humble bezog sich auf Keins apricotfarbenes Hawaiihemd mit den riesigen pinken Blumen, dass er zu einer schwarzen Hose mit weißen Punkten, karierten Wollsocken und lila High Heels trug. Ihr Bruder Humble hasste faltige Kleidung, nicht nur an sich selbst, sondern auch an anderen, weshalb er im Hause Capriciosa, nicht nur für das Waschen, sondern auch für das Bügeln zuständig war und es daher nicht duldete, wenn jemand Wäsche aus seinem Korb entwendete, wenn diese noch nicht gebügelt war. Jeder wusste das, dennoch machte sich Kein ab und zu den Spaß und nahm sich doch ein Kleidungsstück heraus, nur um seinen peniblen Bruder zur Weißglut zu bringen. Im Vorbei gehen, rief er Devlin zu, dass Mercusio gerade mit dem Frühstück fertig geworden sei, bevor er sein Tempo beschleunigte, um seinem Bruder zu entkommen. Dies ließ sie sich nicht zweimal sagen und rannte, ungeachtet der Essengerüche, in die Küche. Mercusio seufzte als er seine Schwester erblickte, doch schließlich lächelte er und willigte endlich ein ihr das Schiff zu zeigen.
Buggy Jr. der gerade zur Tür hereingekommen war, hatte das Gespräch mitangehört und wollte mitkommen um seiner immer noch wütenden Mutter zu entfliehen und quengelte solange, bis Devlin und Mercusio einverstanden waren ihn mitzunehmen.
Mercusio ging nach oben, um sich umzuziehen und kam eine Viertelstunde später mit einem weißen Shirt und einer braunen Leinenhose und braunen Sandalen die Treppe herunter, die schulterlangen Haare zu einem strubbeligen Pferdeschwanz zusammengebunden. Devlin konnte es kaum erwarten und stürmte zur Tür, als ihre Schwester ihr befahl stehen zu bleiben. Frustriert seufzte sie und drehte sich zu Rapunzel um, die sie mit hochgezogenen Augenbrauen musterte.
„Du willst ernsthaft so vor die Tür gehen?“ fragte sie und sah zuerst Devlin und dann Mercusio an.
Beide blickten kurz an sich herab, verstanden aber nicht, was ihre Schwester an ihrer Kleidung zu beanstanden hatte. Devlin trug wie immer einen ihrer einfarbigen Overalls, einen zitronengelben. Doch Rapunzel bezog sich nicht auf ihre Kleidung.
Sie packte Mercusios Haarschopf und hielt ihm die strubbelige Haarpracht tadelnd ins Gesicht.
„Wollt ihr mich vor dem ganzen Dorf blamieren? Ich bin Frisörin, wie glaubt ihr, sieht das denn aus, wenn ihr rumlauft wie Straßenköter? Nein, nein, erst kämmen und dann geht es raus. Nehmt euch ein Beispiel an Buggy Jr. Er mag zwar ein gemeiner Schmuckdieb sein, aber wenigstens kämt er sein Haar jeden Morgen mindestens 1000 Mal so wie es sich gehört.“
Buggy Jr. grinste bei den Worten seiner Mutter von einem Ohr zum anderen, und legte sich sein glänzendes, zu einem Fischgrätenzopf geflochtenes Haar über die Schulter. Liebevoll trat er seiner Mutter gegen das Schienbein, woraufhin sie ihm mit der flachen Hand auf den Hinterkopf schlug, ein Zeichen dafür, dass sie ihm verziehen hatte. Sie konnte ihm sowieso nie lange böse sein, dafür liebte sie ihn zu sehr.
Nachdem Rapunzel Mercusio und Devlin eigenhändig die Haare durchgekämmt hatte, bis ihre Haare glänzten, ließ sie sie endlich gehen. Devlin konnte es kaum noch erwarten und rannte voraus Richtung Hafen, wo ihr Schiff schon auf sie wartete, während ihr Bruder mit Buggy Jr. spielte. Ihr eigenes Schiff. Endlich war es soweit! Da Schnabel noch zu Hause saß und frühstückte, befand er sich noch nicht in seinem Häuschen im Hafen und so war alles ruhig als sie ihn erreichte. Devlins Schritte verlangsamten sich, als sie am Ende des großen Bootstegs ihr Schiff stehen sah, dass lautlos im Wasser trieb. Ehrfürchtig kam sie näher, betrachtete die liebevollen Details, die sie und Mercusio über die Jahre in das Holz des Schiffes geschnitzt hatten und sie schluckte den Kloß in ihrem Hals herunter. Es war genauso wie sie es sich in ihren Träumen immer ausgemalt hatte, nein sogar noch besser. Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Augen, um sicher zu gehen, dass sie nicht träumte oder ihre Augen ihr einen Streich spielten und lief am Schiff entlang, um sich alles genau anzusehen.
Mit einem glücklichen Lächeln, stellte sie fest, dass Mercusio die Gallionsfigur endlich fertig gestellt hatte, die die Form der Sonne hatte, dessen Sonnenstrahlen sich seitlich entlang des Schiffes erstreckten und durch ihre gezackte Form eigentlich eher an gelbe Blitze erinnerten, als an Sonnenstrahlen, aber das störte sie nicht weiter, im Gegenteil ihr gefiel es sogar sehr. Ihre Haare wurden länger, schlängelten sich langsam nach oben und wickelten sich um den Hauptmast des Schiffes, an dem sie sich langsam heraufzog, bis ihre Füße das Deck berührten. Sie besaß diese Fähigkeit schon seit sie denken konnte. Anfangs hatte sie geglaubt, dass sie eine Teufelsfrucht besaß, doch da sie schwimmen konnte, verwarf sie diese Theorie wieder und akzeptierte einfach, dass sie sie besaß, auch wenn weder sie noch ihre Geschwister eine Erklärung dafür hatten. Lächelnd erinnerte sie sich noch an den Tag, als sie ihre Fähigkeit zum ersten Mal entdeckt hatte. Sie war vier und wollte ihrem Bruder Kein hinterher klettern, der auf einen Baum gestiegen war, um sich eine besonders große Salami zu pflücken, als er plötzlich das Gleichgewicht verlor. Er wäre vermutlich runtergefallen und hätte sich den Arm oder sonst etwas gebrochen, wenn sie ihre Haare nicht ausgestreckt und seinen Sturz abgebremst hätte. Er war natürlich begeistert, von ihrer Fähigkeit, während sie anfangs ein bisschen Angst vor ihr hatte, da sie nicht wusste, warum sie sie besaß oder wie man sie kontrollierte. Auch ihre anderen Geschwister waren nicht begeistert, denn ihre neue Fähigkeit bereitete ihnen sorgen, gerade weil sie noch so jung war, doch genauso wie Devlin gewöhnten sie sich auch an diese Eigenart von ihr und lernten damit umzugehen. Kein aber, war von Anfang an begeistert von ihrer Fähigkeit und dachte sich immer wieder neue Aufgaben für sie aus, um ihre Fähigkeiten zu trainieren. Er lernte sogar nähen, denn er wollte unbedingt Kostüme für sie entwerfen, doch seine Kreationen waren für sie dann doch etwas zu ausgefallen. Doch davon ließ er sich nicht unterkriegen und entwarf weiter fleißig Kleidungsstücke, die er dann selbst trug und träumte davon, eines Tages Modedesigner zu werden. Auf dem Deck angekommen ließen ihre Haare den Mast wieder los und wurden wieder kürzer. Langsam ging sie über das komplett mit Gras und Blumen bewachsene Deck, zum Gewächshaus hinüber. Es war komplett verglast und nahm fast das halbe Deck ein und beherbergte jene Pflanzen, die etwas empfindlicher waren. Mercusio hatte für das Gewächshaus ein spezielles Glas verwendet, dass nur von innen durchsichtig war, während man von außen nicht hineinsehen konnte. Sie freute sich schon, ihr erstes Sonnenbad darin zu nehmen und schirmte mit ihrer Hand ihre Augen ab, um zum Ausguck hinaufzublicken, der mit seiner runden, gelben Form ebenfalls an die Sonne erinnerte und auf einem riesigen Baum thronte, der als Hauptmast diente. Devlin freute sich, dass sie ihn mitnehmen konnte, denn er war seit ihrer Geburt Teil ihres Lebens gewesen und mit ihr herangewachsen. Auch wenn ihre Geschwister sie für verrückt hielten, glaubte sie manchmal ein Flüstern zu hören, dass vom Wind an ihr Ohr getragen wurde und zu ihr sprach, wie an diesem Tag vor neun Jahren, als diese Stimme wieder zu ihr gesprochen und ihr zugeflüstert hatte, dass sie mitreisen wolle und einen hervorragenden Mast abgeben würde. Devlin hatte die Stimme zunächst für Einbildung gehalten und nicht recht gewusst, was sie damit gemeint hatte, aber als der Baum dann eines Tages plötzlich im Hafen gestanden hatte, als würde er auf sie warten, hatte sie die kryptischen Worte verstanden und ihren Bruder gebeten ihn in das Schiff zu integrieren. Ihr Bruder hatte ihr diesen Wunsch erfüllt, ebenso wie ihre Bitte, für das Schiff kein Holz zu verwenden, weil ihr bei dem Gedanken, dass er Bäume tötete, um ihr ein Schiff zu bauen, ein eiskalter Schauder über den Rücken lief, denn sie liebte Pflanzen über alles. Sie verstand zwar, dass Holz notwendig war, um Möbel daraus herzustellen und auch das ihre Familie wenig Verständnis für ihre Gefühle hatte, doch das bedeutete nicht, dass ihr Schiff auch aus Holz sein musste. Oder die Möbel, die sich auf dem Schiff befanden. Es reichte schon, dass ihre geliebten Bücher aus Papier hergestellt waren, dass aus Bäumen gemacht wurde, weshalb sie jedes Buch mit dem größten Respekt behandelte, damit ihr Opfer nicht umsonst gewesen war. Aus diesem Grund hatte Mercusio einen Holzersatz entwickelt, dass aus Reishülsen, Steinsalz sowie Mineralölen bestand und sehr pflegeleicht und widerstandsfähig gegen äußere Umwelteinflüsse war, um das Schiff und die Möbel zu bauen.
Ihre Augen strahlten vor Glück als ihr Blick bewundernd über die kleinen Schnitzereien wanderte, die sich in jeder Wand, jedem Bullauge und jedem Möbelstück, das sich an Bord befand, wiederfanden und das Thema Sonne trugen, sei es in den gelben Farben, oder den sonnenförmigen Verzierungen.
Eigentlich hatte sie vorgehabt, sich das Schiff mit ihrem Bruder gemeinsam anzuschauen, doch jetzt wo sie hier an Deck stand, konnte sie nicht mehr warten und stieg die Wendeltreppe zu den Unterdecks hinab.
Kapitel 4
Die Sonnenstrahlen schienen durch die Fenster und durchfluteten das Unterdeck mit Licht, als Devlin über den schmalen Gang lief und die erste Tür zu ihrer linken öffnete.
Da sie nicht wusste, welches Geschlecht ihre Mitglieder haben würden, hatte sie und Mercusio sich entschieden, sowohl Schlafkajüten für Männer als auch für Frauen zu bauen und hoffte, dass sie sich in ihnen wohlfühlen würden. Die Zimmer waren schlicht eingerichtet und besaßen nur einen begehbaren Kleiderschrank indem jeder seine Kleidungsstücke unterbringen konnte, ein Badezimmer, dass an die Schlafkajüten angrenzte und 6 Betten in jedem Zimmer, die jeweils zu zweit übereinander an der Wand verschraubt waren. Nur ein Bett in der Schlafkajüte der Frauen war nicht an der Wand verschraubt, sondern stand direkt unter dem Fenster. Dieses beanspruchte sie für sich selbst, denn sie konnte den Anblick eines Bettes über ihrem Kopf nicht ertragen, da es sie zu sehr an einen Sargdeckel erinnerte. Allein schon beim Gedanken daran bekam sie Angstzustände und verließ das Zimmer schnell wieder, um sich den nächsten Raum anzusehen.
Gegenüber der Schlafkajüten befand sich ihre Werkstatt, in der sie in Ruhe arbeiten konnte, wenn sie Reparaturen durchführen oder an etwas Neuem basteln wollte. Sie war zwar nicht so gut wie ihr Bruder Mercusio, dennoch hatte sie sich in den letzten Jahren einiges bei ihm abgeguckt und wurde immer besser und geschickter. Das galt auch für das Lesen von Seekarten.
Am Ende des Ganges war die Bibliothek, die aus dutzenden Regalen mit Büchern, einem winzigen Tisch mit Stuhl sowie einem kleinen Sofa bestand, auf dem sie sich ausstrecken konnte, wenn sie sich entspannen wollte um in einem besonders spannenden Buch zu lesen. Hinter der Bibliothek hatte sie sich einen Raum eingerichtet, in dem sie Seekarten und Utensilien zur Berechnung von Kursen aufbewahrte, die alle fein säuberlich in einem Schrank aufbewahrt wurden. Außerdem hatte sie einen gemütlichen Sessel hineingestellt, der vor einem Sekretär stand. Sie hoffte, dass sie alles hatte, was ihr Navigator brauchte und wenn nicht, ließe es sich bestimmt schnell beschaffen. Devlin vergewisserte sich, dass die Beleuchtung funktionierte, bevor sie den Kartenraum sowie die Bibliothek verließ, um über die Wendeltreppe in das zweite Unterdeck zu gelangen in der sich die Waschküche befand, die sie sich aber nicht anschaute, da sie nur aus einem Waschkübel, einem Waschbrett sowie mehreren Wäscheleinen bestand, um die gewaschene Wäsche zum Trocknen aufzuhängen.
Zu guter Letzt gelang sie in das dritte Unterdeck, wo sich die Küche, die Vorratskammer sowie das Krankenzimmer befanden.
Da dieses Deck sie noch weniger als die Waschküche interessierte, hielt sie sich auch hier nicht lange auf, sondern schaute nur, was ihr Bruder daraus gemacht hatte, um ihre Neugier zu befriedigen. Devlin musste über den Perfektionismus ihres Bruders lächeln, der sich mit den Holzschränken und der Arbeitsfläche sowie dem Esstisch und den Stühlen sehr viel Mühe gegeben hatte und jedes Möbelstück mit hübschen Schnitzereien in Form von Sonnen verziert hatte. Wenn es nach ihr gegangen wäre, würde hier nur ein Campingkocher, sowie ein paar Klappstühle und ein Klapptisch stehen, aber Mercusio hatte sie überzeugen können, dass sie ihrer Mannschaft einen gewissen Komfort bieten musste, um ihre Mahlzeiten einnehmen zu können. Die Vorratskammer befand sich direkt hinter der Küche und war ebenso wie die Bibliothek mit Regalen vollgestellt, in denen Konserven standen, denn frisches Fleisch oder andere schnell verderbliche Lebensmittel machten keinen Sinn, solange sie noch keine Crew besaß. Sie konnten frische Lebensmittel immer noch später kaufen. Und Obst und Gemüse konnte sie sich aus ihrem Gewächshaus nehmen.
Devlin verließ die Küche und überquerte den Gang, um ins Krankenzimmer zu gelangen, in dem sich zwei Betten befanden, ein Schreibtisch und ein Stuhl, sowie zwei Glasschränke die Humble mit Medikamenten, Medizinbüchern und medizinischen Utensilien zur Behandlung von kranken oder verletzten Patienten gefüllt hatte.
Es hatte sie einige Überzeugung gekostet, ihn dazu zu bewegen ihr Krankenzimmer auszustatten, denn er und Rapunzel waren dagegen, dass sie in die Welt zog und Santa Bolognese verließ, da sie fürchteten, ihr könnte etwas passieren. Ihr graute schon vor dem Moment, in dem sie die Insel verlassen würde, denn sie wusste, welche Angst sie davor hatten. Die beiden waren für sie die Eltern, die ihr das Schicksal leider vergönnt hatte und auch wenn sie manchmal anstrengend sein konnten, liebte sie sie trotzdem und war ihnen dankbar, dass sie auf sie aufgepasst hatten. Seufzend ging sie die Stufen wieder nach oben, um nachzusehen wo Mercusio und Buggy Jr. blieben. Inzwischen hatten die beiden das Schiff auch erreicht und Buggy Jr. lief aufgeregt übers Deck, schwang sein Holzschwert durch die Luft, als würde er einen unsichtbaren Gegner bekämpfen und rief dabei immer wieder irgendwelche Attacken.
Ihr älterer Bruder musterte sie neugierig. Sie konnte an seinen Augen sehen, dass er es kaum erwarten konnte, von ihr mit Komplimenten für seine Arbeit überschüttet zu werden und platzte fast vor Stolz über sein Werk. Wenn es ihn an einem nicht mangelte, dann an Selbstbewusstsein.
Eigentlich hatte sie vorgehabt ihn ein bisschen zu ärgern, indem sie einfach irgendwelche Mängel erfand, doch sie wusste, dass er ihr nicht glauben würde, dafür war er zu überzeugt von seiner Arbeit, daher gab sie ihm die Anerkennung, nach der er so lechzte und überschüttete ihn mit Komplimenten, woraufhin sein Grinsen immer breiter wurde. Selbst Buggy Jr. war begeistert und wollte unbedingt mitreisen, doch Devlin schenkte ihm nur ein Lächeln und schlug ihm zärtlich mit der Faust auf den Kopf. Sie versuchte ihm zu erklären, dass das nicht gehe, weil seine Mama sie sonst umbringen würde.
„Nicht, wenn ich Papa wieder nach Hause bringe. Ich bin sicher, dann würde sie mich gehen lassen, um ihn zu suchen“, sagte Buggy Jr. und benutzte seine gefürchtetste Waffe: den Hundeblick.
Er schob zitternd die Unterlippe vor und schniefte dabei laut, während er seine Tränendrüsen aktivierte und zu ihr aufsah, bevor er theatralisch seine Arme um ihren Oberschenkel schlang und mit einer Inbrunst schluchzte, als ob sein Kater und geliebter Spielgefährte Aristoteles soeben gestorben wäre.
„Aber… aber… ich will doch nur zu meinem Papaaaaaa!“
Devlin rollte mit den Augen, während sie ihm immer wieder liebevoll Backpfeifen mal auf die linke und mal auf die rechte Wange verpasste und erfolglos versuchte beruhigend auf ihn einzureden.
Eines musste man ihm lassen, er war ein hervorragender und sehr überzeugender Schauspieler. Doch vor allem war er ein perfider Manipulator, der wusste welche Knöpfe er bei seinem gegenüber drücken musste, um zu bekommen was er wollte. Die einzige, die sich nicht von seinen Schauspielkünsten täuschen ließ, war seine Mutter. Zumindest meistens nicht.
„In Ordnung Buggy, ich rede mit Mama“, gab sie schließlich klein bei nur um ihn ruhig zu stellen, denn sie konnte Heulsusen nicht ertragen, was der kleine Mistkerl nur zu gut wusste. Sofort hörte er auf zu weinen und wischte sich mit den Händen übers Gesicht, bevor er sie angrinste.
„Ich wusste, du wirst nicht nein sagen“, sagte er und drehte sich um, um seinem Onkel aufgeregt von seinen Reiseplänen zu erzählen. Die Geschwister tauschten einen kurzen Blick aus und Devlin gab ihrem Bruder mit einem Schütteln ihres Kopfes zu verstehen, dass sie ihn nicht mitnehmen würde, woraufhin dieser verständnisvoll lächelte, denn er wusste, wie anstrengend ihr Neffe sein konnte, wenn er unbedingt etwas haben wollte.
„Wie soll das Schiff eigentlich heißen?“ fragte Mercusio und Devlin antwortete, ohne zu überlegen, denn seit sie das Schiff zum ersten Mal gesehen hatte, stand für sie fest, dass es Giardino Soleggiato heißen sollte.
„Sonniger Garten also… gefällt mir,“ stimmte ihr Bruder ihr zu, doch Buggy Jr. fand, dass es einen furchteinflößenden Namen brauchte, der seine Gegner schon beim Klang vor Angst erzittern ließ. Er listete mindestens ein Dutzend Namen auf, doch einer klang verrückter als der andere und entlockte Devlin nicht mehr als ein Augenrollen, daher trat sie Buggy Jr. mit dem Fuß in den Hintern, um ihn zum Schweigen zu bringen und fragte ihn ob er den Rest des Schiffes auch sehen wolle. Begeistert riss er die Arme in die Luft und stürmte die Wendeltreppe runter, dicht gefolgt von seinem Onkel und seiner Tante.
Als sie eine Stunde später wieder Zuhause ankamen, wurden sie schon von Rapunzel erwartet, die ungeduldig mit ihrem rechten Fuß wippte, ein sicheres Zeichen dafür, dass sie langsam wütend wurde und sie beschleunigten ihre Schritte, denn keiner wollte sie wütend erleben.
Buggy eilte seiner Mutter mit ausgestreckten Armen entgegen und schlang seine Arme zu einer knochenbrechenden Umarmung um ihre Hüfte, während er ihr aufgeregt erzählte, dass das Schiff endlich fertig sei und er mit seiner Tante mitfahren würde um seinen Papa zu suchen.
Sofort ruckte Rapunzels Kopf, wie das Maul einer Schnappschildkröte nach oben und ihre Augen funkelten ihre Geschwister mit einer Intensität und Bedrohlichkeit an, die ihre Knie schlottern ließen.
„Ist das so, mein Süßer? Davon hat Tante Devlin ja gar nichts erzählt. Zumindest kann man Mami sich beim besten Willen nicht daran erinnern. Was hältst du davon, wenn du schnell hineingehst, um zu frühstücken, während ich mit Tante Devlin die Einzelheiten eurer Reise bespreche? Ich habe deine Lieblingspfannkuchen gemacht!“
„Au ja“ rief Buggy Jr. und rannte ins Haus, während seine Mutter ihre Geschwister mit ihrem Todesblick bedachte. Mercusio und Devlin schluckten und hoben beschwichtigend die Arme.
„Ich versichere dir, er hat da was missverstanden! Du weißt ich würde ihn nie einer solchen Gefahr aussetzen!“
„Und was ist mit deiner eigenen Sicherheit, hm? Wie lange glaubst du, auf dem Meer zu überleben? Du kennst dich mit Navigation doch gar nicht ausreichend aus und würdest beim erstbesten Sturm gnadenlos kentern und ertrinken. Hat dir Humble denn nicht genug Bücher über die Gefahren des Meeres zum Lesen gegeben?“
„Doch, gerade deshalb weiß ich ja, was…“
„Schnauze!“ schrie sie und zeigte mit vor Wut bebendem Finger auf ihren Bruder.
„Und duuuu…“ fauchte sie und ihre Augen funkelten dabei so bedrohlich, dass Mercusio vor Angst zurückwich. „Wie konntest du sie bei diesem Himmelfahrtskommando unterstützen?! Sie ist unsere kleine Schwester, verdammt! Haben wir uns nach dem Tod von Mutter und Vater nicht geschworen, dass wir aufeinander aufpassen würden? Wie soll das gehen, wenn sie die Insel verlässt?! Wir können sie dann nicht mehr beschützen!“
„Rapunzel…“
Mercusio näherte sich seiner Schwester wie ein Sprengstoffexperte einer Bombe, darauf bedacht sie nicht durch irgendwelche falschen Worte doch noch zum Explodieren zu bringen.
„Schwesterchen…“ sagte er zärtlich und senkte seine Hände langsam herab, um sie vorsichtig auf die Schultern seiner Schwester zu legen. Seine blauen Augen blickten sie liebevoll an und er sprach mit seiner sanften, warmen Stimme zu ihr, die selbst Eisberge zum Schmelzen brachte.
„Du weißt doch genau wie ich, dass wir nicht ewig alle zusammenleben können. Devlin ist 17 und will, nein muss, ihre eigenen Erfahrungen machen. Außerdem ist Santa Bolognese Gift für sie, sie wird hier nie so unbeschwert und frei leben können, wie anderswo und das weißt du. Willst du denn nicht, dass sie glücklich wird? Das sie sich frei bewegen kann? Frei atmen kann ohne sich um irgendwelche Pollen sorgen zu müssen, die ihr gefährlich werden könnten? Willst du sie wirklich ein Leben lang an dich binden, bis du sie mit deiner Liebe erdrückst?“
Mercusio drückte zärtlich Rapunzels Schultern und seine Stimme brach sich fast, während er weitersprach.
„Glaub mir, mir fällt es genauso schwer wie dir unser Schwesterchen gehen zu lassen, aber vertrau mir, wenn ich sage, dass ich ihr das Beste und sicherste Schiff gebaut habe, dass es gibt. Es hat alles was sie braucht, damit es ihr an nichts fehlt und ich werde dafür sorgen, dass regelmäßig ein Postvogel zu ihr fliegt, damit sie uns schreiben kann, wie es ihr geht.“
Rapunzel schwieg, doch er wusste, dass seine Worte sie erreicht hatten, sie wusste, dass er recht hatte, doch stur wie sie war, würde sie den Teufel tun und dies zugeben, daher drehte sie sich um und ging zum Haus zurück, ohne ihre Geschwister noch einmal anzusehen. Kaum war sie in der Tür verschwunden, atmeten Mercusio und Devlin erleichtert aus. Die Gefahr wäre abgewendet. Zumindest vorerst. Ihr Bruder drehte sich zu ihr um und sie bemerkte die Traurigkeit in seinen Augen, als er sie fragte, wann sie abreisen wolle.
„So schnell wie möglich, bevor mich der Mut wieder verlässt“ sagte sie und eilte nun ebenfalls zum Haus. So unauffällig wie möglich wischte sie sich mit dem Ärmel über die Augen und herrschte sich an, sich zusammen zu reißen, denn sie musste schließlich noch Humble überzeugen, sie gehen zu lassen, der mindestens genauso sturköpfig war wie Rapunzel.
Kapitel 5
Humble war geschockt, als er erfuhr, dass das Schiff fertig war und die Abreise seiner Schwester nun unmittelbar bevorstand. Doch im Gegensatz zu Rapunzel, hatte er sich mit der Tatsache schon vor langer Zeit abgefunden, dass er Devlin nicht aufhalten konnte, sonst hätte er ihr nicht die Bibliothek und die Krankenstation eingerichtet. Daher seufzte er nur und verpasste ihr einen Leberhaken bevor er sie zu einer Umarmung an sich zog, die sich anfühlte als ob sie mit einem Grizzlybären kuscheln würde. Devlin ging sicher, dass Buggy Jr. immer noch draußen spielte und sie nicht hören konnte, bevor sie auch dem Rest ihrer Familie von ihrer Abreise erzählte.
Rapunzel entschloss sich Buggy Jr. mit zum Friseursalon zu nehmen, damit Devlin und ihre Brüder alles für die Abfahrt vorbereiten konnten. Es dauerte nicht lange, bis die ersten Dorfbewohner Wind davon bekamen und zum Hafen rollten, um sich zu erkundigen was los war. Neugierig durchlöcherten Sie Humble mit Fragen, wollten von ihm wissen, ob es stimmte, dass Theodor wirklich von einer Kreatur angegriffen worden war und ob der Fremde, der gestern plötzlich im Dorf aufgetaucht war, etwas damit zu tun haben könnte. Dieser bejahte zwar den Angriff, gab aber gleichzeitig zu bedenken, dass sie nicht einfach jemanden auf bloßen Verdacht anklagen sollten, bloß weil er fremd und zufällig zur selben Zeit aufgetaucht war, kurz bevor der Angriff stattfand. Doch die Dorfbewohner wollten nicht an einen Zufall glauben und erzählten, dass man schon überall nach ihm suche. Humble erkundigte sich, ob es seitdem weitere Angriffe gegeben habe, doch die Dorfbewohner verneinten und erkundigten sich bei den Brüdern ob sie bereit wären, sich an einer Bürgerwehr zu beteiligen, um ihn ausfindig zu machen.
Als die Capriciosa Männer alle einstimmig nickten, waren die Dorfbewohner erleichtert und sie besprachen wer wann patrouillieren würde. Devlin fand es auch nicht richtig, den Fremden einfach zu verdächtigen, ohne ihm die Chance zu geben, sich zu verteidigen, doch sie war erleichtert, dass ihre Brüder sich an der Suche beteiligten und hoffte, sie würden ihn noch vor dem wütenden Mob finden um die Sache aufzuklären. Und falls er sich doch als schuldig herausstellte, würden sie ihn zur Strecke bringen, denn jeder ihrer Brüder war enorm stark.
Als das Schiff endlich beladen und der Moment des Abschieds gekommen war, fiel es Devlin sichtlich schwer die passenden Worte zu finden, denn ihr fiel der Abschied ebenso schwer wie ihrer Familie. Besonders Rapunzel brachte es nicht über sich, ihr Lebewohl zu sagen und war daher im Laden geblieben und gar nicht erst Zuhause aufgetaucht. Devlin war darüber sehr betrübt, doch sie konnte es ihrer Schwester nicht verübeln, denn sie wusste, dass sie sich nur sorgen um sie machte und dass seit dem Tag ihrer Geburt. Mercusio war der erste, der aus der Reihe trat und einen Schritt auf Devlin zumachte, um ihr einen Beutel mit Geld zu überreichen.
„Das… das ist nicht viel, aber es wird für die erste Zeit reichen, wenn du sparsam damit umgehst.“
Devlin dankte ihm kleinlaut, nahm den Beutel an sich und befestigte ihn an ihrem Gürtel.
„Also… dann lasst uns auf Capriciosa Art Abschied nehmen…“ sagte Mercusio und nahm ebenso wie der Rest seiner Brüder seine Kampfhaltung ein. Devlins Augen strahlten vor Glück, denn solche Geschwisterprügeleien mit allen Brüdern gleichzeitig waren sehr selten geworden. Nur noch zu Weihnachten und an Geburtstagen ließen sie sich dazu hinreißen, denn besonders Humble und Gulliver waren solche Liebesbekundungen in aller Öffentlichkeit mittlerweile etwas peinlich. Sofort stellte sie sich breitbeinig hin und gab mit ihrer rechten Hand ihren Brüdern ein Zeichen sie anzugreifen.
Wie ein Blitz schoss Mercusios Bein nach vorne und feuerte ein paar gezielte und sehr harte Tritte auf seine Schwester ab, die sie parierte, während sie gleichzeitig den auf sie niederprasselnden Fäusten ihrer Brüder Gulliver und Schnabel auswich. Mit jeder weiteren Attacke wurde sie unweigerlich zurückgedrängt, direkt in die Arme von Humble, der sich nach vorne beugte und seine Arme um Devlin Brust schlang und sie von den Füßen riss. Wie ein Kreisel drehte er sich um die eigene Achse, immer schneller und schneller, bis er schließlich genug Schwung hatte und mit Devlin im Arm wie ein Komet senkrecht abhob und durch die Luft wirbelte.
Devlin kannte diese Technik nur zu gut, denn sie war der Grund, dass fast Gullivers gesamter Hinterkopf eine dicke Eisenplatte zierte nachdem Humble ihm im Alter von 8 Jahren beim Spielen fast den Schädel zertrümmert hatte, als er dieselbe Technik angewandt hatte. Seitdem hatte er hart an seiner Technik gearbeitet, um sie besser kontrollieren zu können und solche Unfälle künftig zu vermeiden. Doch auch wenn ihr Bruder ein ziemlich harter Brocken war, wusste sie sich dennoch zu helfen. Mit ihrem Ellenbogen verpasste sie ihm erst einen Schlag in den Magen, bevor sie ihren Oberkörper ruckartig nach vorne kippte. Wie ein Pfeil schoss Humble über ihren Rücken nach vorne und sauste im Steilflug Richtung Erde, dicht gefolgt von Devlin. Doch da tauchte plötzlich wie aus dem nichts Kein auf und sprang mit den Füßen voran auf sie zu. Die Beine um ihren Hals schlingend, packte er fest zu und vollführte in der Luft eine Rückwärtsrolle, bevor er sie losließ und zu Boden schleuderte. Mit den Reflexen einer Katze ausgestattet, gelang es Devlin jedoch in letzter Sekunde auf ihren Füßen zu landen. Blitzschnell richtete sie sich auf, denn ihre Brüder kamen nun von allen Seiten auf sie zu zugestürmt, während Kein von oben angeflogen kam. Devlin wollte ihre Arme ausstrecken und sie abwehren indem sie sich um die eigene Achse drehte, doch so weit kam sie gar nicht mehr, denn ihre Brüder stürzten sich mit ausgestreckten Armen auf sie und schlossen sie zu einer Gruppenumarmung zwischen sich ein.
Mit Händen und Füßen versuchte sie sich zu befreien, denn sie konnte spüren wie sich ein riesiger Kloß in ihrem Hals bildete, der immer größer wurde, je länger die Umarmung andauerte.
„OK, genug das reicht!“ schrie sie und boxte jeden einzelnen in den Magen und befreite sich schließlich. Plötzlich konnte sie gar nicht schnell genug verschwinden und zog sich an ihren Haaren an Bord, bevor sie ihre Meinung änderte, denn sie merkte, dass sie die Tränen kaum noch zurückhalten konnte.
Sie löste den Anker und blickte zu ihren Brüdern hinab die alle zu ihr aufschauten und sich mit der rechten Faust auf die linke Brust schlugen. Devlin schluckte, als sie realisierte, dass es sich um ihr Geheimzeichen handelte, dass so viel wie „für immer in meinem Herzen“ bedeutete. Devlin tat es ihnen nach und schluckte einen weiteren Kloß hinunter.
Traurig blickte sie zurück zur Insel, die sich immer weiter entfernte. Ihr Herz wurde ihr schwer, als sie daran dachte, dass sie sich nicht von ihrer Schwester verabschiedet hatte und sie bedauerte es sehr, dass sie sich nicht ausgesprochen hatten. Doch dann, wie aus dem nichts, bemerkte sie plötzlich die Gestalt ihrer Schwester, die zwischen ihren Brüdern hervortrat und dem davon segelnden Schiff nachblickte. Sie konnte die Wut und die Traurigkeit, die ihre Schwester empfand, förmlich spüren und kämpfte mit den Tränen, die sich nun doch langsam nach oben bahnten. Mit den Armen durch die Luft rudernd, winkte sie ihrer Familie zum Abschied zu und die Tränen, die sie bis dahin so erfolgreich verdrängt hatte, liefen ihr nun doch übers Gesicht.
„Es tut mir leid! Bitte verzeih mir, Rapunzel! Ich verspreche dir, ich werde auf mich aufpassen und euch regelmäßig schreiben! Ich hoffe du wirst eines Tages verstehen, warum ich gehen muss! Wir werden uns eines Tages wiedersehen!“ Ich hab euch lieb! So furchtbar lieb!“ schrie Devlin und hoffte, dass ihre Geschwister sie hörten. Sie winkte selbst noch als die Umrisse ihrer Familie nicht mehr zu sehen waren und ihre Arme schon weh taten. Erschöpft sank sie zu Boden, während ihr die Tränen in Strömen übers Gesicht liefen und ihr Körper von lauten heftigen Schluchzern erfasst wurde, die sie erzittern ließen.
Mercusio, Humble, Gulliver, Kein, Schnabel und Rapunzel standen noch lange am Kai und blickten dem Schiff ihrer Schwester nach, dass inzwischen kaum mehr als ein kleiner Fleck am Horizont war.
„Hey großer Bruder, dürfen wir jetzt endlich heulen?“ fragte Kein, dem die Tränen und der Schnodder in Sturzbächen übers Gesicht liefen und eine riesige Lache auf dem Boden verursachte.
„Tust du das nicht schon bereits?“ fragte Mercusio lautstark schniefend.
„Halt die Klappe und fass dich lieber an die eigene Nase, Heulsuse!“ schrie er ihn an und wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht.
„Verdammt, sie wird mir fehlen!“ sagte und vergrub seine Nase im Hemd seines Bruders Schnabel um hinein zu schniefen und sich die Nase zu putzen, worauf ihn dieser anschnauzte.
„Sag mal geht´s noch?! Soll ich dir zu den Blumen auf deinem Hemd ein paar Veilchen auf die Augen verpassen, Giftzwerg?“
„Das sagt der Richtige, wer kann denn bei Mercusio gerade so unter der Achselhöhle durchgucken?“
„Und du reichst ihm doch gerade so weit, dass du ihm die Fusseln aus dem Bauchnabel puhlen kannst.“
Sofort stürzten sie sich aufeinander und fochten einen ihrer üblichen Streits aus, der von ihren Geschwistern allerdings nur mit einem Schulterzucken quittiert wurde. Sie wussten, wenn die beiden erst einmal in Fahrt waren, konnte es Stunden dauern, bis sie sich wieder beruhigten und gingen einfach zum Haus zurück, während die beiden ihren Aggressionen freien Lauf ließen.
Devlin hatte gewusst, dass der Abschied schwer werden würde, aber nicht wie schwer. Dennoch wusste sie, dass sie das Richtige tat und so wischte sie sich die lästigen Tränen aus dem Gesicht und überlegte sich wie sie sich von ihrer Sehnsucht nach ihrer Familie ablenken konnte.
Ihre Augen wanderten zur Sonne, die sich langsam am Horizont herabsenkte und ihre letzten Sonnenstrahlen auf das Meer warf und zum ersten Mal seit ihrer Abreise, lächelte sie. Hastig streifte sie ihre Kleidung ab und stellte sich breitbeinig und nackt hin. Ihre Arme ausstreckend hob sie sie in die Höhe und genoss die letzten Strahlen des Tages. Zum ersten Mal in ihrem Leben konnte sie den Sonnenuntergang voll auskosten, ohne Angst haben zu müssen, dass irgendwelche Pollen allergische Hautreaktionen bei ihr auslösten und genoss die neuerlangte Freiheit.
Kolasi, South Blue
Akira und Lios wateten durch das braune, stinkende Wasser und achteten darauf den Ratten auszuweichen, die durch die Kloake schwammen. Der beißende Gestank von Fäkalien und Amoniak, machte ihnen schon gar nichts mehr aus, sie rochen ihn nicht einmal mehr, denn er war ihnen so vertraut wie ihre Hände. Gerne hätten sie noch ein paar mehr von ihnen mitgenommen, doch erstens waren ihre Chancen auf Flucht größer, je kleiner ihre Gruppe war und zweitens war sich Akira nicht sicher, wem sie letztendlich vertrauen konnten, da es bekannt war, dass SEINE Lieblinge einen Sonderstatus genossen, wenn sie ihm im Gegenzug regelmäßig über Fluchtpläne oder dergleichen Bericht erstatteten oder ihm in anderen Dingen gefällig waren. Letztere waren nur als „Sugars“ bekannt und trugen ein Brandmal auf der Pobacke. Wer diese Spione allerdings waren, wusste niemand von ihnen, selbst die „Sugars“ nicht, nur dass sie unter ihnen lebten, daher traute er niemandem. Dem einzigen dem er bedingungslos vertraute, war Lios, mit dem er damals hier angekommen war und dem man sofort ansah, wenn er log. Anfangs hatte er Angst und sich geweigert mitzukommen, doch schließlich hatte Akira ihn überzeugen können mit ihm zu fliehen, denn sie beide wussten, was passieren würde, wenn sie noch länger hierblieben und davor hatten sie noch mehr Angst als vor den Konsequenzen, die ihnen drohten, wenn sie erwischt würden.
„Lios, komm wir müssen uns beeilen, bevor unser Verschwinden bemerkt wird!“ zischte er ihm flüsternd zu, aus Angst man könnte ihn hören und biss sich auf die Zähne, als ob er fürchtete, bestraft zu werden, wenn er weiterredete. Nervös blickte Akira immer wieder über seine Schulter. Noch nie war es ihm erlaubt gewesen, lauter als im Flüsterton zu sprechen, noch nicht einmal, wenn er sich vor Schmerzen krümmte, denn nichts wurde von IHM mehr gehasst, als Lärm, darum hüteten sich alle in seiner Gegenwart auch nur zu atmen, aus Angst in der Mülltonne zu enden.
„Ich kann nicht mehr Akira, ich bin müde und habe Hunger. Wir irren doch schon seit Stunden durch die Toilette und haben den Ausgang immer noch nicht gefunden.“
„Wir dürfen nicht aufgeben Lios, wir werden bestimmt bald den Ausgang finden“ versuchte er seinem Freund Mut zu machen, obwohl er sich selbst nicht mehr sicher war, ob die Wache, der er die Information entlockt hatte, die Wahrheit gesagt hatte. Es muss wahr sein! Ich habe dafür auch das letzte bisschen was ich besaß aufgegeben. Meinen Stolz. Meine Selbstachtung. Meine Unschuld.
Akira schüttelte bei dem Gedanken den Kopf, versuchte die dunklen Erinnerungen zu verscheuchen, die sich wieder in sein Bewusstsein drängten und ihn quälten. Nein, er musste sich auf ihre Flucht konzentrieren und seinen Freund antreiben sich zu beeilen. Er zuckte erschrocken zusammen als er glaubte etwas gehört zu haben und fürchtete schon, dass es einer von den Wächtern sein könnte, bevor er merkte, dass es nur sein Magen war.
Reiß dich zusammen, sie werden uns hier nicht suchen. Der Einzige, der Bescheid wusste war tot. Er erinnerte sich nur zu gut, an den aufgeplatzten Schädel und an all das Blut, dass er immer noch auf seiner Haut riechen konnte, obwohl er sie schon ein Dutzend Mal gewaschen und wie ein Besessener geschrubbt hatte.
Es hatte ihn alle Kraft gekostet, die er besaß, um den Wächter mit dem schweren Stein den Schädel einzuschlagen. Er hatte nicht gewusst, wie lange es wirklich brauchte, um jemanden den Kopf zu zertrümmern und fast hätten ihn die Kräfte verlassen, doch seine Verzweiflung und Wut, hatten ihm eine scheinbar unerschöpfliche Kraft verliehen und schließlich war der Kopf zerplatzt wie eine reife Frucht und er hatte den Stein vollkommen erschöpft fallen lassen. Glücklicherweise hatte er seinen ersten Schlag so gut platziert, dass dieser schon ausgereicht hatte, um ihn bewusstlos zu schlagen, bevor er um Hilfe rufen konnte. In seiner Arglosigkeit hatte der Wächter einen abgelegenen Platz ausgesucht, damit Akira seine „Dankbarkeit“ für die Information beweisen konnte, und so hatte er den Stein unauffällig eingesteckt, kurz bevor sie losgezogen waren.
Um ihn abzulenken war er gezwungen gewesen seinen Stolz runter zu schlucken und hatte seine Augen geschlossen, den widerlichen Geschmack in seinem Mund ertragen und den Würgereflex so gut es ging unterdrückt, während er seinen Arm langsam erhoben hatte bevor er ihn wie aus dem Nichts auf den Kopf des Wächters herabsausen ließ, immer und immer wieder, während mit jedem weiteren Schlag ein klein bisschen mehr von ihm gestorben war.
„Akira… ich glaube, es folgt uns jemand“ flüsterte Lios ängstlich und Akira blickte seinen Freund skeptisch an.
„Was redest du da, Lios? Wer denn? Der einzige der von unserer Flucht wusste ist tot!“
„Ich weiß… trotzdem… da ist jemand…,“ gestand Lios und schaute sich nach allen Seiten um.
Akira blieb stehen und musterte seine Umgebung aufmerksam, doch er konnte beim Besten Willen nichts sehen, geschweige denn hören. Oder? Er lauschte angestrengt, konzentrierte sich auf jedes noch so verdächtige Geräusch und seine Augen weiteten sich als er tatsächlich glaubte etwas zu hören und Panik ergriff Besitz von ihm, denn er war sich sicher dieses Geräusch zu kennen.
Er herrschte Lios an, zu laufen, so schnell er konnte und rannte so gut er konnte durchs Wasser. Doch der schnelle Lauf forderte so langsam seinen Tribut, er konnte die Erschöpfung spüren, da er solche Sprints einfach nicht gewohnt war, dennoch durfte er auf keinen Fall aufgeben und trieb sich zur Höchstleistung an, immerhin stand ihr Leben auf dem Spiel. Er ignorierte den brennenden Schmerz in seinen Lungen und rief seinem Freund zu, zu rennen, doch dann hörte er wie etwas durch die Luft zischte und sein Kopf wirbelte nach hinten, um zu sehen, aus welcher Richtung es kam. Ungläubig starrte er seinen Freund an, dessen linke Körperhälfte an der rechten herabrutschte, sein Mund zu einem stummen Schrei geöffnet, bevor der leblose Körper im bräunlichen Wasser landete. Akiras Augen weiteten sich, konnten nicht fassen, was gerade passiert war und sein fassungsloser Blick hefteten sich auf die blutige Hellebarde, die seinen Freund einfach in der Mitte durchtrennt hatte, als ob er ein Stück Kuchen wäre.
Die Fühler Zorgors zuckten erregt, glücklich über den Volltreffer und er kam langsam auf sie zu, um sich seine Hellebarde, die er nach ihnen geworfen hatte, zurück zu holen.
Akira schluckte, er wusste er hatte bei einem Zweikampf keine Chance gegen die Monsterkakerlake, denn mit ihren vier Waffenarmen war sie ihm einfach überlegen. Akira besaß noch nicht einmal ein Schwert um sich gegen die Hellebarde, das Schwert, die Peitsche oder gegen die Armbrust zu wehren, die Zorgor in diesem Moment unter seinem Schaben Panzer hervorholte und damit auf ihn zielte, geladen und zum Abschuss bereit, während er immer näherkam. Ihm war bewusst, dass er fliehen musste, sonst wäre Lios Opfer umsonst gewesen. Er holte kurz Luft und tauchte unter dem auf ihn zufliegenden Armburstpfeil ab. Er wusste, dass er ihm nicht folgen würde, wozu auch, er war sowieso nur eine ferngesteuerte Marionette, die mithilfe eines Chips, der sich am Hinterkopf befand, gesteuert wurde. Leider bedeutete das auch, dass man ihre Flucht schon bemerkt hatte. Verdammt! Egal, jetzt blieb ihm nur noch die Flucht nach vorn. Die mahnenden Worte der Wächter schwirrten in seinen Gedanken umher. Wie oft hatte man ihnen eingetrichtert, wie sinnlos eine Flucht war und dass niemand es bisher geschafft hatte, lebend zu entkommen. Er wusste es nur gut, denn er kannte sämtliche Geschichten in- und auswendig, sie verfolgten ihn sogar in seinen Träumen, dennoch würde er nicht aufgeben, lieber starb er bei dem Versuch, als hier zu verrecken. Manchmal träumte er auch von dem leuchtenden Sternenhimmel, den er mittlerweile nur noch aus seinen frühen Kindheitserinnerungen kannte und erinnerte sich, wenn auch nur noch sehr schwach, wie strahlend schön der Mond und die Sterne in klaren Nächten geleuchtet hatten, wie warm sich die Sonne auf seiner Haut angefühlt hatte. Er wollte nicht an diesem dunklen, kalten Ort sterben und sehnte sich nach dem hellen Tageslicht, dass er schon seit 9 Jahren nicht mehr gesehen hatte.
Die Arme durch das dunkle Wasser pflügend, schwamm er so schnell er konnte, holte aus seinem Körper alles was er noch an Kraft besaß heraus, während ihn sein Wunsch nach Freiheit vorantrieb. Egal was ihn dort draußen erwartete, schlimmer als hier drin konnte es nicht sein. Er wusste zwar nicht wie weit dieser Tunnel noch ging, doch er hoffte, dass er anschließend noch genug Kraft hatte für den schwierigsten Teil: der Flucht durch den Zwinger, den Garten und über die Mauer. Er erinnerte sich nur zu gut, an die Geschichten, die ihnen die Wärter über die Welt außerhalb erzählt hatten, um ihnen jegliche Fluchtgedanken auszutreiben und er fragte sich, wieviel von dem was er gehört hatte, der Wahrheit entsprach und wieviel erfunden war und die Angst kroch ihm langsam das Rückgrat hinauf bis zum Nacken.
Kapitel 6
Blinzelnd starrte Devlin in das Licht der Sonne, dass durch ihr Fenster ins Zimmer fiel. Es musste bereits Vormittag sein, denn die Sonne stand hoch am Himmel und streckte ihre warmen Fühler nach ihr aus. Endlich war es Tag, dachte sie und zuckte unwillkürlich als ihr bewusst wurde, was das bedeutete. Erschrocken fuhr erschrocken hoch und sprang mit einem Satz aus dem Bett. Sie hatte doch tatsächlich den Sonnenaufgang verpasst. Und zwar zum allerersten Mal in ihrem Leben. Die Dielenbretter knarzten unter ihren Füßen, während sie mit schnellen Schritten das Deck überquerte. Sie war froh, dass sie, seit sie auf dem Schiff lebte, nachts nackt schlief, so sparte sie sich das lästige Ausziehen. Solange sie noch keine Crewmitglieder hatte, würde sie es auch so beibehalten, denn es hatte etwas befreiendes nackt zu schlafen, zumindest solange es warm war. Aber da sie tagsüber so viel Sonnenenergie in ihrem Körper speicherte, dass sie nachts nicht fror, war ihr sowieso nie kalt. Seit sie vor drei Tagen ihre Heimatinsel und vor allem ihre Familie verlassen hatte, um die Welt zu erkunden und neue Orte kennen zu lernen, hatte sie sich immer noch nicht an die Stille, diese unheimliche Ruhe gewöhnt und sie kam sich manchmal schrecklich einsam vor. Daher fing sie am zweiten Tag sogar an Selbstgespräche zu führen, um sich abzulenken und die Einsamkeit etwas erträglicher zu machen. Schon seit ihrer Kindheit hatte sie davon geträumt, auf ihrem eigenen Schiff um die Welt zu segeln und auch wenn der Abschied von ihrer Familie ihr fast das Herz gebrochen hatte, war sie doch voller Zuversicht und Freude auf die noch kommenden Abenteuer und stürzte sich euphorisch auf sämtliche Aufgaben, die auf einem Schiff so anfielen um sich so gut es ging die Zeit und vor allem ihre traurigen Gedanken, zu vertreiben. Zugegeben, es war anstrengend nun alle Arbeiten allein verrichten zu müssen, denn sie war es bisher immer gewohnt gewesen, sämtliche Aufgaben mit ihren Geschwistern zu teilen. Doch sie würde sich schon daran gewöhnen. Zwangsläufig. Heute zum Beispiel stand Wäsche waschen auf ihrem Tagesplan. Sie hasste es, denn es war so furchtbar mühselig, aber wenigstens konnte sie die Wäsche an Deck waschen und dabei die Sonne genießen, die ihre Stimmung sogleich anhob. Mit dem Handrücken fuhr sie sich über die schweißnasse Stirn, nachdem sie auch das letzte Wäschestück gewaschen hatte. Mein erstes Crewmitglied wird auf jeden Fall jemand, der Waschen liebt, vermerkte sie im Geiste und ging die Stufen zum Trockenraum runter, um die Nasse Wäsche zum Trocknen aufzuhängen. Glücklicherweise war heute ein sonniger Tag, so brauchte sie kein Licht machen. Sie stellte den Korb ab und fischte eines ihrer Unterhosen aus dem Korb, um sie aufzuhängen, als plötzlich ein kleines, fliegendes Etwas, vor ihr auftauchte und sich auf sie stürzte. Schützend hob Devlin die Arme vors Gesicht, um sich vor den großen Flügeln zu schützen, die ihr immer wieder ins Gesicht schlugen und warf vor Schreck ihre Unterhose nach dem Ungetüm, worauf es ins Trudeln geriet und hektisch mit den Flügeln schlug. Panisch versuchte es sich von dem lästigen Wäschestück zu befreien, das auf seinem Kopf saß, doch ohne Hände war dies schwierig. Devlin die sich inzwischen von dem Schreck erholt hatte empfand Mitleid als sie sah, wie das flatternde Ding sich verzweifelt versuchte von ihrer Unterhose zu befreien und lief hinterher, doch es flatterte immer wieder weg als ob es vor ihr flöhe.
„Bleib stehen, ich will dir doch nur helfen!“ rief sie der Kreatur zu und blieb wie angewurzelt stehen, als das kleine Etwas sich verwandelte und ein 1,80 m großer, muskulöser Mann mit aschgrauer Haut und silberner Haarsträhne plötzlich vor ihr stand, der sich mit zusammengeballten Fäusten vor ihr aufbaute, den Oberkörper nach vorne gebeugt, als wollte er sich jeden Moment auf sie stürzen. Devlin wich erschrocken zurück, denn er kam ihr nur allzu vertraut vor. Es bestand kein Zweifel, er war es, der Fremde, den sie in ihrem Heimatdorf kennen gelernt hatte. Und er schien vor Wut zu kochen, denn er schnaufte wie ein Stier, der sich jeden Moment mit den Hörnern voran, auf sein Opfer stürzte. Eigentlich sollte sein Anblick ihr Angst machen, doch als sie ihre türkisfarbene Unterhose mit den kleinen Wassermelonenscheiben auf seinem Kopf sah, konnte sie sich nicht mehr beherrschen und musste laut loslachen, was dem Fremden ein wütendes Schnauben entlockte.
„Es… es… tut… mir leid… hahahaha“ Konnte sie nur mit Mühe sagen, weil sie sich einfach nicht beruhigen wollte, im Gegenteil sie lachte immer weiter, bis ihr Körper vor Lachen bereits weh tat. Dem Fremden war allerdings überhaupt nicht nach Lachen zumute. Wütend riss er sich das Kleidungsstück vom Kopf und holte mit der Faust aus, erwischte allerdings nur die Luft, da Devlin nur 1,50 m war.
„Ich… ich bin hier unten…“ sagte sie atemlos und konnte sie kaum noch aufrecht halten, da sie Seitenstechen vom vielen Lachen hatte. Der Fremde ließ seine rechte Hand herabsinken, bis seine Handfläche ihren Kopf berührte und Devlin beruhigte sich langsam wieder. Den Kopf leicht anhebend, schaute sie zu ihm auf und fragte sich, was er da machte und was er wohl gerade dachte, als er sie völlig unerwartet zur Seite stieß und an ihr vorbeiging, ohne sie weiter zu beachten. Erleichtert darüber nicht mehr allein zu sein und endlich jemanden zu haben, mit dem sie sich unterhalten konnte, folgte sie ihm die Wendeltreppe nach oben aufs Deck. Besonders aber freute sie sich darüber jemanden zu haben, der über eine Teufelsfrucht-Zoan verfügte.
„Hey, wenn du schon mal auf meinem Schiff gelandet bist, kannst du dich mir doch auch anschließen? Ja genau, warum wirst du nicht mein Nakama?“ rief sie und klatschte begeistert dabei in die Hände.
Doch der Fremde drehte sich zur ihr um und tippte sich mit dem Zeigefinger an die Schläfe, um ihr zu zeigen was er von ihrer Idee hielt. Gut, taub war er schon mal nicht, stellte sie fest, was bedeutete, dass er ihr nicht nur zuhören konnte, sondern ihr auch tatsächlich zuhörte. Devlin war es gleichgültig, was er von ihrer Idee hielt, sie war einfach nur froh, dass sie nun doch nicht allein war. Neugierig stellte sie ihm Fragen, während sie ihm auf Schritt und Tritt übers Deck folgte.
„Warte doch mal! Wer… wer bist du überhaupt? Und was machst du auf meinem Schiff? Und…“ Devlin schluckte, bevor sie den Satz vollendete, denn plötzlich viel ihr wieder Theodor ein und sie blieb abrupt stehen, ihre Stimme nur noch ein Flüstern.
„…warst du derjenige der Theodor gebissen hat? Hast du dich deshalb auf meinem Schiff versteckt?“
Der Fremde wirbelte plötzlich zu ihr herum und blickte auf sie herab, doch er sagte nichts, sondern starrte sie nur an, bis es so unangenehm wurde, dass sie den Blick abwandte.
Sein Schweigen konnte man sowohl als Bestätigung als auch als Verneinung betrachten, aber da er es zumindest nicht abstritt, betrachtete sie es als indirektes Schuldeingeständnis. Doch was sollte sie nur tun? Ihn bis zur nächsten Insel mitfahren lassen? Sie konnte ihn ja schlecht mitten auf dem Meer aussetzen, zumal er ein Teufelsfruchtnutzer war. Andererseits… was war, wenn er sie ebenfalls versuchte zu beißen? Sollte er nur, sie war mit fünf Brüdern und einer Schwester aufgewachsen und wusste wie man sich wehrte. Außerdem… bis auf diesen Schreck und die drei kleinen Wunden an seinem Hals, schien er Theodor nichts weiter getan zu haben, zumindest wirkte Theodor nach der Attacke recht munter in jener Nacht. Vielleicht war dieses Beißen, seine Art mit anderen Menschen zu kommunizieren, ein Gruß, den sie noch nicht kannte. Manchmal verhielten sich manche Menschen anders als andere. Doch was war, wenn er ihm wirklich weh tun wollte und den Angriff abgebrochen hatte, weil er Schritte gehört hatte und war deshalb verschwunden?
Devlin betrachtete aufmerksam sein Gesicht, seine kantigen Gesichtszüge, die schmale Nase, die schmalen, verbissen zusammengekniffenen Lippen und die auffallend silberne Haarsträhne, die ihm ins Gesicht hing. Obwohl er versuchte so bedrohlich wie möglich zu erscheinen und Devlin etwas Angst vor ihm hatte, fühlte sie sich überhaupt nicht bedroht, im Gegenteil, sie war überzeugt, dass seine gefährliche und aggressive Art nur ein Schutz war. Vielleicht hatte er sich sogar von Theodor bedroht gefühlt als er ihm nachts über den Weg lief. Das einzige was für sie zählte war, dass Theodor noch lebte. Und dass er sie nicht getötet hatte, auch wenn er es bestimmt könnte.
Vielleicht sollte sie ihm eine Chance geben, es blieb ihr schließlich nichts anderes übrig, bis zur nächsten Insel und vielleicht würde er sich ja doch noch öffnen und reden.
„Hör mal, ich weiß nicht, ob und warum du Theodor angegriffen hast und es geht mich auch nichts an, aber solange du auf meinem Schiff bist, bist du friedlich und versuchst mich nicht zu beißen, ok? Sonst werde ich sehr ungemütlich!“
Der Fremde schnaubte verächtlich und drehte sich um, doch so schnell gab Devlin nicht nach, eine Frage brannte ihr noch auf den Fingernägeln, darum fragte sie ihn einfach.
„Wie heißt du eigentlich?“ fragte sie, doch der Fremde schwieg beharrlich weiter und ging in die entgegengesetzte Richtung. Gut, wenn er es ihr nicht verraten wollte, musste sie es eben anders aus ihm rauskriegen. Ihre Mundwinkel kräuselten sich aufwärts als ihr eine Idee kam, wie sie es anstellen könnte.
„Ok, wenn du es mir nicht verraten willst, dann muss ich ihn wohl erraten. Hmm, mal überlegen…“
Devlin fuhr sich mit der Hand übers Kinn und versuchte nachdenklich auszusehen, bevor sie mit einem breiten Grinsen irgendeinen Namen in den Raum warf, der ihn genug provozieren würde, um ihr seinen Namen zu verraten.
„Ich habe es! Mausi stimmst? Das muss er sein! Du siehst in deiner Fledermausgestalt aus wie eine Mausi! Uh, das ist super, ich wollte schon immer einen Freund namens Mausi haben! Alles klar Mausi was willst du heute Schönes machen? Wir könnten…“ plapperte sie fröhlich vor sich hin, als wie aus dem nichts heraus, seine Finger sich tief in ihren Hals bohrten und sie hochhoben, bis ihr Gesicht direkt vor seinem war und er drückte erbarmungslos zu, entschlossen ihr den Kehlkopf zu brechen. Kleine Lichtblitze zuckten vor ihren Augen und sie spürte wie sie drohte in die Bewusstlosigkeit zu gleiten. Mit einem gezielten Schlag trat sie ihm zwischen die Beine, woraufhin er sie wie einen Stein fallen ließ. Sofort rutschten seine Hände zu seinem Lendenbereich und er beugte sich mit dem Oberkörper vor Schmerzen krümmend nach vorne. Devlin tat es leid, dass sie zu diesem fiesen Trick gegriffen hatte, sie hatte ihm nicht weh tun wollen. Normalerweise war sie für jeden Spaß zu haben, aber wenn man sie würgte, hörte für sie der Spaß auf. Besorgt fragte sie ihn, ob er etwas Eis zum Kühlen haben wollte, da schnellte seine rechte Hand plötzlich nach vorne und es gelang ihr nur mit Mühe auszuweichen. Sie konnte spüren, wie seine scharfen Fingernägel den dünnen Stoff ihres T-Shirts zerrissen und ihre Haut nur um Haaresbreite verfehlten. Der Fremde schien sich schon wieder erholt zu haben und Devlin beobachtete aus großen Augen, wie seine Ohren nicht nur breiter, sondern auch länger wurden, sein Mund zu einem langen rosa-bräunlichen Maul mit spitzen Zähnen heranwuchs und auf seinem Körper überall ein dichtes graubraunes Fell spross. Doch das Beeindruckendste an ihm waren seine Flügel, die aus seinem Rücken wuchsen und eine Spannweite von ca. drei Metern haben mussten. (Anmerkung: der Fremde hat von der Fledermaus-Zoan Typ Bechsteinfledermaus gegessen) WOW, war alles woran Devlin bei seiner Verwandlung denken konnte, während sie sich vor Begeisterung kaum noch bremsen konnte.
Der Fremde öffnete sein großes Maul, doch es kam kein Ton raus, zumindest hörte sie nichts, bis auf dieses unangenehme Klingeln, dass plötzlich in ihren bimmelte, wie die Glocke beim Boxkampf, die entweder das Ende oder den Beginn einer Runde ankündigte. In ihrem Fall fühlte es sich allerdings wie das Ende an, denn alles in ihrem Kopf drehte sich und sie spürte, wie die Beine unter ihr, unsicher hin und her taumelten. Was war nur plötzlich los mit ihr? Wieso war ihr nur so schwindelig auf einmal? Devlin schloss ihre Augen, denn alles drehte sich und ihr wurde schlecht.
Der Fremde erhob sich mit seinen Schwingen in die Luft, flog ein paar Meter hoch, während er mit seiner Echoortung seine Umgebung abscannte, um seine Gegnerin zu lokalisieren und ging im Sturzflug auf sie nieder. Die Krallen seiner Füße, vergruben sich in ihren Haaren und rissen sie unsanft von den Füßen. Devlin verzog das Gesicht, als sie spürte, wie seine Krallen sich in ihre Kopfhaut bohrten und versuchte sich zu befreien, nachdem dieser nervtötende Ton in ihren Ohren langsam nachließ und sie wieder klar denken und vor allem sehen und hören konnte. Als sie sah, dass sie mindestens zehn Meter über dem Wasser schwebte, begriff sie, was los war.
Sie war beeindruckt und begeistert zugleich, auch wenn es nicht fair von ihm gewesen war, ihre Ohren und damit ihren Gleichgewichtssinn durcheinander zu bringen. Dennoch hatte sie endlich mal die Gelegenheit einen richtige Zoan kennen zu lernen und ihr anfänglicher Schrecken, den sie empfunden hatte, als sie sich in der Luft wiederfand, war verflogen und ihre Haare schlängelten wie Schlangen um ihren Kopf und schlangen sich um den Oberkörper des Fledermausmanns, den sie damit so überraschte, dass er keine Chance hatte, sich gegen die Haare zu wehren, die sich wie ein Kokon um seinen Körper schlangen. Wie ein abgeschossener Vogel trudelte er in einer spiralförmigen Abwärtsbewegung auf die Giardino Soleggiato zu, während er versuchte sich von ihren Haaren zu befreien. Kurz bevor sie das Schiff erreichten, hatte er sich mithilfe seiner Hände von dem Gestrüpp in seinem Gesicht befreit, von dem er nicht wusste, wo es herkam und konnte sich mithilfe seiner Echoortung orientieren, um herauszufinden, wo sie waren, gerade noch rechtzeitig, denn sie waren nur noch 2,5 Meter vom Schiff entfernt, dem sie sich unaufhaltsam näherten. Doch sie schien das nicht in geringstem zu beunruhigen, denn er konnte ihr Lachen hören und ihr Herz, das vor lauter Aufregung und Freude wie wild pochte, während sie auf das Schiff zurasten. Sie schien nicht mehr die geringste Angst zu haben, obwohl sie vor Angst eigentlich die Hosen gestrichen voll haben müsste und für ihn stand eins fest: sie war vollkommen verrückt. Mit seinen scharfen Fingernägeln fuhr er sich über den Oberkörper und befreite sich von ihren Haaren und ging in den Rüttelflug über, während sie ungebremst weiter auf das Schiff zustürzte. Mal hören, ob sie immer noch lachte, wenn sie auf ihrem eigenen Schiff landete und sich dabei das Genick brach.
Doch er sollte Devlin diesbezüglich mächtig unterschätzen, denn es gelang ihr sich mit ihren Haaren am Baummast ihres Schiffs festzuhalten, die sie wie Bungeeseile nutzte, um sich wieder in die Luft zu katapultieren, direkt auf den Fremden zu, der im Rüttelflug immer noch über dem Schiff schwebte. Um sicher zu gehen, dass er nicht wieder diesen Trick benutzte, um ihr Gleichgewicht zu stören, hielt sie sich die Ohren zu, während sie auf ihn zugeflogen kam und streckte erst kurz bevor sie ihn erreichte, ihren rechten Arm nach vorne, ihre Faust geballt, um ihm einen Schlag zu verpassen, doch er ahnte ihren Angriff bereits, denn er spürte, wie ihr Arm die Luft durchschnitt als er sich seinem Gesicht näherte und parierte ihren Schlag, indem er seinerseits seine rechte Faust ausstreckte. Als sich ihre Fäuste trafen, spürte Devlin wie die Knochen ihrer Hand knackten und sie biss sich vor Schmerz so fest auf die Unterlippe, dass ein kleiner Rinnsal Blut aus ihrem Mundwinkel lief, der an ihrem Kinn hinab rann. Verdammt, ich glaube, ich habe mir die Hand gebrochen, seine Fäuste müssen aus Stahl sein, es war als hätte sie gegen eine Stahltür geschlagen. Der Fremde nutzte Devlins Überraschung und verpasste ihr noch ein paar schnelle Schläge in den Magen, bevor er sich kurz um die eigene Achse drehte und ihr einen kräftigen Tritt in die Magengegend verpasste, der sie direkt auf die Planken ihres Schiffes beförderte, durch die sie krachend fiel und sie unsanft auf dem Boden des ersten Unterdecks landen ließ.
Beim Klang der berstenden Bretter beschloss er zur Landung anzusetzen und steuerte mithilfe seiner Echoortung das Schiff an und landete direkt vor dem Loch, dass im Schiff klaffte. Mit dem Kopf beugte er sich über das Loch, während er mit seinen Ultraschallwellen das Unterdeck nach ihr abtastete, obwohl er sich ziemlich sicher war, dass sie sich von diesem Schlag nicht so schnell erholen würde. Zwischen seinen Augen bildete sich eine kleine Falte und er zog seine Stirn kraus. Was zum Teufel ging hier nur vor, wie konnte…?
Wie ein Komet schoss plötzlich wie aus heiterem Himmel eine Faust aus dem Loch heraus und traf ihn mitten ins Gesicht. Benommen von dem Schlag taumelte Bardoque rückwärts und schüttelte den Kopf, um ihn wieder frei zu bekommen. Schnell war sie, dass musste er ihr lassen! Aber so war es immer mit kleinen Gegnern, sie machten ihre Größe, oft durch ihre Schnelligkeit und Wendigkeit wieder wett.
Doch wenn es um physische Stärke ging, konnte sie ihm auf keinen Fall das Wasser reichen, dafür war sie noch zu jung, er schätzte sie aufgrund ihrer hohen Stimme, ihrer Körpergröße und ihres sehr leichten, federnden Gangs, den junge Mädchen ihres Alters hatten, auf höchstens 12, auch wenn er zugeben musste, dass sie für ihr Alter, doch einen sehr harten Schlag draufhatte. Eigentlich schlug er keine Kinder, aber dieses Gör schrie geradezu danach, also sollte sie kriegen was sie wollte. Er würde ihr den Hintern windelweich prügeln und sie anschließend auf der nächsten Insel aussetzen und mit ihrem Schiff weitersegeln. Als Navigator brauchte er keine Hilfe, denn mit seinem Magnetsinn wusste er immer in welche Himmelsrichtung er gerade segelte.
Dieser Kampf würde sowieso nicht mehr lange dauern, schließlich hatte er deutlich gehört, wie ihre Fingerknochen brachen, als ihre Fäuste miteinander kollidiert waren und er stürzte sich siegesgewiss auf sie. Doch ganz so schnell, sollte der Fight dann doch nicht enden, er dauerte, trotz Devlins gebrochener Hand, noch mehrere Stunden. Devlin wollte nicht aufgeben, selbst wenn sie vor Erschöpfung nicht mehr gekonnt hätte, hätte sie diesen Kampf um nichts auf der Welt aufgeben wollen, dafür hatte sie einfach zu viel Spaß. Gut, er hatte ihr zwar die Hand gebrochen, aber sie war Brüche gewohnt, denn sie hatte sich gerade im Alter von 6 – 10 mindestens 10 Mal allein die Hand gebrochen, bei den Kämpfen mit ihren Brüdern, das gehörte nun einmal dazu. Doch die Schläge ihrer Brüder waren nichts im Vergleich zu den Schlägen, die sie von diesem Fremden bekam und sie freute sich, das sie endlich jemanden gefunden hatte, der das Kämpfen ebenso zu lieben schien wie sie und ihre Familie und der nicht gleich in Tränen ausbrach, bloß weil sie ihm zur Begrüßung die Faust ins Gesicht schlug. Doch als die Nacht hereinbrach, flog der Fremde plötzlich weg, auf und davon und ließ sie verdattert zurück.
Er fluchte während er sich so schnell wie möglich von dem Schiff entfernte, bloß weg von ihr.
Was sie auch war, sie war auf keinen Fall ein Kind, soviel hatte er schon nach kurzer Zeit gemerkt, als er seine Arme um ihren Oberkörper geschlungen hatte, um ihre Rippen zu zerquetschen und war erstaunt als er festgestellt hatte, dass ihr Körper für ein Kind schon viel zu ausgereift war, zumindest soweit er das ertasten konnte, bevor sie ihm mit einer Kopfnuss befohlen hatte aufzuhören. Offensichtlich hatte er sich bezüglich ihres Alters geirrt und nicht nur darin. Auch ihre Kräfte schienen schier endlos, selbst nachdem er ihr die Hand gebrochen hatte. Was war sie nur für ein Mensch? War sie überhaupt einer? Und wieviel Energie hatte sie? Eines war jedenfalls klar, sie konnte zuschlagen wie ein Mann, hatte sogar mehr Ausdauer als alle Kämpfer, die er bisher kennen gelernt hatte. Doch was noch verrückter war, es hatte ihr Spaß gemacht, er hatte ihr Herz gehört, dass vor Freude gepocht hatte, hatte ihr Lachen gehört, jedes Mal, wenn sie erfolgreich einen Treffer erzielt hatte und ihren Puls gehört, der sich beschleunigt hatte, kaum das ihr Kampf begonnen hatte. Nein, sie hatte eindeutig Spaß am Kämpfen, aber nicht auf eine sadistische Art. Wenn er es nicht besser wüsste, würde er sagen, sie hatte wirklich SPAß an dem was sie getan hatten. Regelrecht Freude und das war für ihn fast noch unheimlicher als die krankhaften Sadisten, Mörder, Schläger, die er bisher so kennen gelernt hatte.
Er wollte sie eigentlich beißen, doch sie hatte sich erfolgreich gegen ihn zu Wehr gesetzt und so war ihm, nichts anderes übrig geblieben, als aufzugeben, denn er spürte schon wieder, wie sich sein Zustand verschlechterte, daher musste er sich so schnell wie möglich ein neues Opfer suchen.
Er tastete seine Umgebung auf der Suche nach einer Insel ab, während er sich mithilfe seines Magnetsinns orientierte in welche Richtung er flog.
Devlin sah ihn wegfliegen und war enttäuscht, dass er den Kampf einfach abgebrochen hatte, denn sie hatte dank ihm in den letzten Stunden nicht einmal an ihre Familie denken müssen, da sie so viel Spaß mit ihm gehabt hatte, wie seit langem nicht mehr. Sie hatte das Gefühl, dass sie sich hervorragend verstanden hatten, immerhin hatten sie sich ohne Pause geprügelt und sie hatte sich wie Zu Hause gefühlt. Ihre bisherige Erfahrung mit Fremden war bisher leider immer enttäuschend verlaufen, denn oft liefen die meisten weg, brachen in Tränen aus oder schrien sie an, wenn sie jemandem freundschaftlich auf den Rücken oder den Kopf schlug. Doch er war anders, er war der erste bei dem sie sich wohl fühlte. Nur einmal als er ihr eine Umarmung geben wollte, die sie von ihrem Bruder Humble nur zu gut kannte, war er etwas zu weit gegangen und hatte sie begrapscht, war aber nur bis zu ihren Hüften gekommen, bevor sie ihm mit einer Kopfnuss sanft zu verstehen gegeben hatte, dass er aufhören solle. Danach hatte er es nie wieder versucht.
Sie wusste zwar nicht in welche Richtung er geflogen war, hoffte aber ihn wieder zu finden, denn sie war entschlossen, ihn in ihre Mannschaft aufzunehmen.
Kapitel 7
Devlin war sehr verwundert, als der Himmel sich plötzlich verdunkelte. Zuerst glaubte sie ein Sturm würde über sie hereinbrechen, doch als nichts passierte und die Wolken am Himmel sich irgendwann wieder verzogen, traute sie ihren Augen kaum, als sich der Sternenhimmel auf einmal über ihr erstreckte und das fahle Mondlicht sanft auf ihr Gesicht herabfiel.
Wie konnte es schon Nacht sein, fragte sie sich verwundert und blickte stirnrunzelnd zum Himmel hinauf. Es war höchstens Nachmittag und außerdem Sommerzeit, das bedeutete, dass es vor 22 Uhr auf keinen Fall dunkel wurde, zumindest nicht im South Blue.
Wie war es also möglich, dass bereits die Sterne und der Mond am Himmel standen? War sie etwa wirklich schon so lange unterwegs? Doch was war mit der Sonne? Es wäre ihr doch aufgefallen, wenn sie untergegangen wäre?
Mit der Hand fuhr sie sich über den Kopf und überlegte, ob sie jemals von etwas ähnlichem gelesen oder gar gehört hatte, doch ihr fiel nichts ein. Ihre Augen wanderten geradeaus und von weitem konnte sie die strahlenden Lichter einer Stadt erkennen, die wie ein Stern auf dem Wasser leuchteten und nahm Kurs auf die Insel, in der Hoffnung dort vielleicht den Fremden zu finden. Zwei Tage waren vergangen, seit er einfach davongeflogen war und sie wusste immer noch nicht warum. Vielleicht war sie in ihrem Kampfeifer zu weit gegangen oder er hatte keine Lust mehr gehabt weiter mit ihr zu reisen und hatte sich deshalb einfach aus dem Staub gemacht. Es spielte letztendlich auch keine Rolle mehr, das einzige was für sie zählte war, dass er sich ihr anschloss, denn sie brauchte gute Leute und ein fliegender Fledermaus-Zoan war ein hervorragender Zuwachs für ihre Crew, auch wenn er ihr die rechte Hand gebrochen hatte. Sie wusste, was ihre Geschwister sagen würden, wenn sie wüssten, wen sie sich an Bord holte und sie mochten mit ihren Bedenken sicherlich recht haben, dennoch wollte sie ihn in ihrer Crew haben, denn er war allein in seiner Fledermaus-Hybrid Form schon sehr beeindruckend. Und auch wenn er furchteinflößend war, empfand sie keine Angst ihm gegenüber, ganz im Gegenteil, es hatte ihr viel Spaß gemacht sich mit ihm zu prügeln, er war auch nicht so zimperlich wie die meisten, wenn sie ihnen zur Begrüßung die Faust ins Gesicht schlug. Sie hatte einen recht guten Instinkt was Menschen anging und der Fremde wirkte auf sie nicht wie jemand Böses, auch wenn es nicht richtig von ihm gewesen war, Theodor zu beißen. Es bestand natürlich die Gefahr, dass er sie ebenfalls beißen könnte, doch darum machte sie sich keine Gedanken, denn sie konnte sich wehren. Außerdem hatte sich der Piratenkönig Monkey D. Ruffy einst auch eine gefährliche Crew zugelegt, unter anderem den ehemaligen Piratenjäger und stärksten Schwertkämpfer der Welt, Lorenor Zorro, den mutigen Krieger der Meere und weltberühmten Chronisten und inoffiziellen Vizekapitän der Strohhutpiratenbande, Lysop, die weltberühmte Kartographin und Wetterhexe Nami, der es als einzige gelang eine komplette und detaillierte Seekarte der Welt anzufertigen, den ehemaligen Ex-Samurai der Meere Jimbei und viele weitere gefürchtete und starke Persönlichkeiten. Und wenn es ihm gelungen war, sich mit 17 bzw. 19 eine so starke Mannschaft zusammen zu stellen, würde sie es auch schaffen und mit ihnen gemeinsam die Welt umsegeln. Doch dafür brauchte sie den Fremden.
Devlins Kinnlade sank nach unten und ihre Augen fielen ihr fast aus den Augenhöhlen, als sie die Insel, die sie in der Ferne gesehen hatte, erreichte. Noch nie in ihrem Leben hatte sie etwas Vergleichbares gesehen, doch das bedeutete nichts, da sie die Welt bisher nur aus Büchern kannte.
Mit klopfendem Herzen warf sie den Anker aus, vertäute das Schiff so gut es mit einer Hand eben ging und sprang schließlich von Bord. Sie wagte in Anbetracht der Schönheit, die sie umgab, kaum zu atmen. Überall wo sie nur hinsah, blitzten und blinkten sie Edelsteine, die in den Mauern des Hafens und den vergoldeten Wegen eingefasst waren an, und ihr stockte der Atem beim Anblick der tausenden Glühwürmchen die wie winzige Glühbirnen durch die Luft schwebten, als ob sie zu einer nur für sie hörbaren Musik tanzten. Mit kindlicher Freude und Faszination ergötzte sie sich an all den Eindrücken, die sie in sich aufnahm, um sich für immer an diesen Augenblick zurück zu erinnern und vergaß darüber sogar ihre anfängliche Sorge über die plötzlich über sie hereingebrochene Nacht. Ehrfürchtig streckte sie einen Arm in die Luft und versuchte eines der Glühwürmchen, die um sie herumschwirrten einzufangen, doch sie schienen so scheu wie die Irrlichter aus ihren Büchern zu sein und flogen daher jedes Mal davon, sobald sie nur nah genug an sie herankam. Enttäuscht gab sie irgendwann ihr sinnloses Unterfangen auf und lief über den Pier zum Hafen, der wie ausgestorben dalag, denn außer ihr gab es kein weiteres Schiff, das hier vor Anker lag.
Nachdem sie den mit grünen Smaragden besetzten Torbogen des Hafens passiert hatte, gelangte sie in die Stadt, dessen imposante goldene Straßen und goldene Gebäude ebenfalls im Glanz der Edelsteine und Glühwürmchen erstrahlte und legte den Kopf in den Nacken, als über ihr ein 20 m langes Faultier, an einem langen, dicken Stahlseil über ihr entlanghangelte. Mit den Augen folgte sie fasziniert dem Weg des Faultiers, dass sich langsam dem Boden näherte, bis es plötzlich vor zwei 5 m großen Kängurus stehen blieb, die wortlos auf den Bauch des Faultiers sprangen, bevor es wieder nach oben kletterte, offenbar, zu dem oberen Teil der Stadt, der auf einer Anhöhe errichtet wurde und ungefähr 1.500 m über der anderen Stadt erbaut worden war. Devlin glaubte in der Ferne ein Schloss aus purem Gold zu erkennen und wollte sich dieses auf jeden Fall später einmal genauer anschauen. Erschrocken sprang sie zur Seite als zwei Kängurus an ihr vorbei sprangen und sie starrte ungläubig auf die Beutel, aus denen doch tatsächlich zwei menschliche Köpfe herausguckten, die scheinbar schliefen.
Menschen die von Kängurus in deren Beutel transportiert wurden? Was ging hier nur vor, dachte sie sich als sie um ein Haar mit einer Riesenschnecke kollidierte, die gerade an ihr vorbeikroch. Auf ihrem Rücken trug sie eine Kabine mit einer Tür und zwei Fenstern, die Devlin an eine Pferdekutsche erinnerte und auch sie transportierte Menschen darin, die zu schlafen schienen, zumindest waren ihre Augenlieder geschlossen.
Devlins Verwunderung wuchs immer mehr und sie fragte sich, warum all diese Tiere Menschen transportierten, wenn sie doch offensichtlich schliefen. Waren sie etwa während der Fahrt eingeschlafen? Oder steckte etwas anderes dahinter?
Kolasi
Im Zwinger
Akira riss den Mund weit auf und seine Lungen sogen gierig die Luft in seinen Körper, als er endlich wiederauftauchen konnte und er hustete das dreckige, braune Wasser aus, dass er auf den letzten Metern geschluckt hatte, bevor er schließlich an die Erdoberfläche gelangt war. Völlig erschöpft und am Ende seiner Kräfte robbte Akira, sich auf seinen Unterarmen abstützend, aus dem Wasser. Er hatte es tatsächlich geschafft, hatte wirklich das Ende dieses verdammten unterirdischen Tunnels erreicht und spürte nach neun Jahren zum ersten Mal wieder die Sonne auf seiner Haut. Ihre warmen Strahlen breiteten sich wie eine Decke über seinen völlig durchgefrorenen Körper und er spürte wie seine Glieder langsam wieder zum Leben erwachten. Das Wasser war kälter gewesen als er gedacht hatte und fast hatte er geglaubt, in diesem elenden Tunnel draufzugehen, doch irgendwie war es ihm gelungen durch zu halten, obwohl er keinen blassen Schimmer hatte wie. Seine Augen, die 9 Jahre Dunkelheit hinter sich hatten, waren das Tageslicht nicht mehr gewöhnt und er kniff seine Augenlieder immer wieder schmerzhaft zusammen. Sein Magen revoltierte und er würgte eine weitere Welle dreckigen, braunen Wassers hoch, solange bis er nur noch den bitteren Geschmack von Galle schmeckte. Die Hand zitterte, als er sie zum Mund führte, jede körperliche Anstrengung schien ihm zu viel, doch er konnte sich nicht ausruhen, nicht im Zwinger, es gab nur noch einen Weg und der führte nach vorne. Seine Augen wanderten über die kleine mit Wasser gefüllte Grube, aus der er gerade aufgetaucht war, zu dem steilen Weg hinauf, der vor ihm lag und er fragte sich, ob seine Kräfte noch reichen würden. Sie mussten es, wenn er weiterleben wollte. Er versuchte sich auf seine Beine zu stellen um hoch zu laufen, doch der Weg war so steil, dass er immer wieder abrutschte, daher blieb ihm nichts anderes übrig als auf allen Vieren den steilen Weg hoch zu kriechen und er grub seine Finger in die harte Erde, um besseren Halt zu haben. Der Aufstieg war beschwerlich und Akira war immer noch erschöpft vom Schwimmen durch den langen Tunnel, daher musste er immer wieder Pausen einlegen, bevor er weiter ging. Als er endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit das obere Ende des steilen Pfads erreicht hatte, konnte er die Tränen der Erleichterung und des Glücks kaum zurückhalten und er gestattete sich sogar kurz zu lachen, bevor er sofort wieder verstummte, als ihm bewusst wurde, dass er sich keine Geräusche erlauben durfte. Er schwor ab jetzt keinen Mucks mehr von sich zu geben.
Auf seinen Händen abstützend, drückte er sich mit den Knien hoch, doch kaum stand er aufrecht, hörte er ein verräterisches Knurren und verfluchte sich, dass er keine Waffe mitgenommen hatte oder irgendetwas anderes besaß, um sich zu verteidigen. Seine Augen blickten sich hektisch um und erfassten kurz seine Umgebung.
Er befand sich auf einem umzäunten Gelände, auf dem überall Holzpflöcke aus dem Boden ragten, um die man Eisenketten gewickelt und mit einem Schloss an den Holzpflöcken befestigt hatte. Akira schluckte, als er in die ausgezerrten Gesichter der Menschen sah, die man wie Hunde angeleint hatte. Zumindest sahen sie aufgrund ihrer Statur und ihrer aufrechten Körperhaltung wie Menschen aus. Doch ansonsten…
Akira blinzelte ungläubig und war starr vor Angst, als eines dieser menschlichen Wachhunde, auf ihn zukam. Die Haut war dünn und sah so rau wie Schmirgelpapier aus. Auf dem Kopf hingen nur noch vereinzelt Haarbüschel auf dem ansonsten kahlen Schädel, als ob er sich den Rest ausgerissen hätte. Die Kleidung war dreckig und hing in Fetzen von dem dürren, knochigen Körper herunter. Doch das schlimmste waren diese eingefallenen Augen, die ihn mit einer Mischung aus Verzweiflung und absolutem Hass anstarrten. Er wollte den Blick abwenden, doch er konnte es nicht, denn er wusste, dass wenn er es tat, dies sein sicheres Ende wäre und so blieb ihm nichts anderes übrig als dem Grauen direkt in dessen groteskes Antlitz zu blicken, um sicher zu gehen, dass es ihn nicht überraschend anfiel, wenn er gerade nicht hinsah.
Der Mund des menschlichen Wachhunds war zugenäht, nur zwei kleine Lücken hatte man offen gelassen, nicht größer als 2 mm und man hatte seine Zähne auf die Haut um die Mundpartie genäht. Akira konnte sich vorstellen warum man diesem armen Menschen das angetan hatte und ihm wurde wieder schlecht vor Ekel und Abscheu vor denjenigen die dafür verantwortlich waren.
Er wusste von den Wächtern, dass diejenigen die im Zwinger landeten, künstlich ernährt wurden, wobei man darauf achtete, ihnen nur so viel zu geben, dass sie gerade so überleben konnten und nicht zu stark wurden, um die Wärter, die sie „fütterten“, anzufallen. Außerdem hatte man ihnen den Teil des Gehirns, der für das Sättigungsgefühl zuständig war, entfernt, sodass sie ständig Hunger verspürten und sich aufgrund des ständigen Appetits auf jeden stürzten der ihnen in die Quere kam. Man hielt sie wie Tiere, bis sie wirklich zu Tieren wurden.
Akira versuchte die Länge der Ketten einzuschätzen und vermutete, dass sie gerade lang genug waren, dass sie ihm näherkommen konnten, ohne den anderen menschlichen Wachhunden dabei in die Quere zu kommen.
Da das Gelände zu klein war, um außen herum zu laufen, blieb ihm nur der Weg durch die Mitte, mitten durch die blutrünstigen Menschenfresser, die geifernd näher kamen und dabei unverständliche, animalische Laute von sich gaben.
Akira holte tief Luft und herrschte seine Beine an, sich endlich in Bewegung zu setzen, wenn sie nicht getötet werden wollten und er rannte so schnell er konnte, im Zick Zack zwischen den Holzpflöcken hindurch. Einige bekamen ihn flüchtig zu packen, doch aufgrund seiner besseren, kräftigeren körperlichen Verfassung, gelang es ihm sich loszueisen und weiter zu laufen, bis er schließlich einem Holzpfahl zu nahe kam und es einem der humanoiden Wachhunde gelang, Akira mitten auf den Rücken zu springen. Sein Gesicht verzerrte sich schmerzhaft und er schrie auf, als sich die scharfen, spitzen Zähne in seine linke Schulter bohrten. Er versuchte die Person auf seinem Rücken abzuschütteln, indem er mit dem Oberkörper immer wieder nach vorne ruckte, um sie abzuwerfen, doch sie hatte ihre Arme und Beine so fest um seinen Oberkörper geschlungen, dass er keine Chance hatte, sie so schnell loszuwerden. Wie ein Kreisel wirbelte Akira um die eigene Achse, in der Hoffnung, dass der Person auf seinem Rücken schwindelig wurde und warf sich schließlich mit voller Wucht mit dem Rücken gegen den Holzpfahl, woraufhin er das Knacken von Knochen hörte. Er spürte wie ihre Arme und Beine erschlafften und sie zu Boden sackte und drehte sich um, um sich zu vergewissern wie es ihr ging.
Doch als er in die leeren Pupillen sah, die anklagend zu ihm aufblickten, wusste er, dass sie tot war und er schüttelte ungläubig den Kopf, denn er hatte ihren Tod nicht gewollt. Alles was er wollte war, dass sie ihn losließ, doch offensichtlich, war er zu weit gegangen und nun war sie tot. Fassungslos schaute er auf den leblosen Körper herab, starrte geschockt auf das, was er getan hatte. Seine Füße trugen ihn unbewusst fort von dem Leichnam und trieben ihn unweigerlich in die Arme eines anderen Wachhunds, der hinter ihm auflauerte und darauf wartete, dass er nah genug herankam. Akira wusste zuerst nicht, was passierte so überraschend traf ihn der Hinterhalt. Mit dem Mut der Verzweiflung versuchte er sich gegen den Unbekannten Angreifer zu wehren und es entstand ein wildes Gerangel, bei dem Akira jedoch in einem Moment der Unaufmerksamkeit, das Gleichgewicht verlor und zu Boden stürzte. Der Wachhund zögerte keine Sekunde und setzte sich rittlings auf ihn. Akira war überrascht als er in das Gesicht eines jungen Mädchens blickte, dass kaum älter als er selbst war. Auch ihr Gesicht war ausgemergelt und dürr und ihr von der Sonne ausgetrocknetes, strohiges, schulterlanges, dunkles Haar hing ihr ins Gesicht. Irgendetwas an ihr, löste eine Gänsehaut auf seinem ganzen Körper aus und er fragte sich warum. Speichel tropfte aus den kleinen Löchern in ihrem Mund und sie knurrte, versuchte ihre Zähne in Akiras Haut zu vergraben, doch es gelang ihm seine Hand unter ihr Kinn zu legen und ihren Kopf so weit nach hinten zu drücken, dass sie ihn mit ihren Zähnen nicht mehr verletzen konnte. Dabei entblößte er ein kleines, aber markantes Muttermal, dass ziemlich weit hinten unter dem Kinn lag, dass ihm aber sehr vertraut war und sein Körper begann zu beben, als er begriff, warum sie ihm bekannt vorkam.
Nein… nein das konnte nicht sein. Bitte…
Es gab nur eine Person, die ein solches Muttermal hatte. Mika…
Sie waren 5 Jahre zusammen in demselben Minenschacht tätig gewesen und hatten sich angefreundet, er hatte sie sogar richtig gern gehabt, doch dann war sie vor ca. 8 Wochen verschwunden. Man munkelte, sie sei geflohen, doch niemand wusste, ob sie es geschafft hatte oder nicht und die Wächter äußerten sich nicht dazu.
Doch nun hatte er traurige Gewissheit und die Tränen brannten wie Säure in seinen Augen.
Was hatten sie ihr nur angetan? Akira erinnerte sich an die gemeinsame Zeit mit ihr, an den Kummer, den sie zusammen erlebt hatten, aber auch an die schönen Momente, die er mit ihr teilen durfte und er war verzweifelt.
Er wusste nicht was er tun sollte und blickte in die Augen seiner Freundin, die ihn scheinbar nicht wiedererkannten und er fragte sich, was sie mit ihr gemacht hatten und ob das was ihre Persönlichkeit einmal ausgemacht hatte, überhaupt noch da war oder ob die Mika, die er einmal kannte, bereits tot war. Bei dem Gedanken daran, krampfte sich sein Herz schmerzhaft zusammen. Selbst wenn ein Teil von ihr noch vorhanden war, was war das überhaupt für ein Leben? Angekettet wie ein Tier, immer hungrig, doch nicht in der Lage diesen Hunger zu stillen… Nein, sie hatte gewiss etwas Besseres verdient, niemand sollte so leben müssen…
Akira fasste einen schweren Entschluss, der seine Eingeweide innerlich zusammendrückte, doch er sah keine andere Möglichkeit. Er wollte sie hier auf keinen Fall so zurücklassen, doch befreien konnte er sie auch nicht, dafür fehlte ihm das nötige Werkzeug. Und selbst wenn er sie befreite… würde sie sich überhaupt von dem, was sie hier erlebt hatte jemals wieder erholen? Oder hatte man sie schon so gebrochen, dass sie niemals wieder so werden würde wie früher? Er blickte ein letztes Mal in die Augen seiner Freundin und auch wenn der Gedanke ihm körperlich Schmerzen bereitete, wusste er die Antwort bereits.
Dadurch, dass sie so abgemagert war, würde er sicherlich nicht viel Kraft brauchen, um ihr den Kehlkopf zu brechen oder das Rückgrat, wenn es ihm gelang den Kopf so weit wie nur möglich, nach hinten zu drücken. Akira schloss die Augen und ließ die Tränen stumm über sein Gesicht laufen, während er den Kopf immer weiter nach hinten drückte, bis er ein Knacken hörte und ihr Kopf schließlich leblos nach vorne sackte.
Er schniefte und nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände, streichelte mit seinen Daumen ein letztes Mal zärtlich über ihre Wangen und hauchte ein leises „Es tut mir so leid“ auf ihre Stirn, bevor er mühsam unter ihrem Leichnam hervorkroch und aufstand. Seine Flucht hatte gerade erst begonnen und dennoch fühlte er sich bereits ausgelaugt, wie tot und er taumelte vom einen Fuss auf den anderen, während sein Verstand versuchte den Tod seiner Freundin zu verarbeiten. Eine Welle der Wut und der Trauer brach über ihm ein, die seinen Körper erbeben ließ und er schrie seine Verzweiflung in den Himmel hinauf. Seine Schreie schienen die anderen Wachhunde nervös, schier rasend zu machen, denn sie zogen und zerrten an ihren Ketten und schrien ebenfalls. Einem der menschlichen Wachhunde gelang sogar das undenkbare. Es war eines der erst kürzlich hinzugefügten menschlichen Wachhunde, der im Gegensatz zu den anderen noch recht kräftig war. Seine Wut und sein Zorn verliehen ihm solche Kräfte, dass es ihm gelang den Holzpflock aus der Erde zu reißen und er wollte sich auf den vor Trauer völlig besinnungslosen Akira stürzen, der wie ein Häufchen Elend auf seine Knie gestürzt war und abwechselnd schluchzte und schrie, doch plötzlich hielt er inne als ein Schatten über ihm wie aus dem nichts auftauchte. Die Augen des menschlichen Wachhunds wurden ihm fast aus dem Schädel gepresst und die Blutgefäße in seinen Augäpfeln platzten während er fassungslos in die weiße Pupille seines Gegenübers blickte. Die schmalen, aschgrauen Lippen öffneten sich und entblößten dabei ein paar sehr scharfe, spitze Zähne, die sich ohne Vorwarnung in den Hals des menschlichen Wachhunds gruben, der zappelnd von seinem ausgestreckten Arm hing.
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