FFT 2020: Phase 2 - Wie erschaffe ich eine dichte Atmosphäre?

  • FFT 2020: Phase 2 - Wie erschaffe ich eine dichte Atmosphäre?

    Hiermit begrüßen wir alle herzlich zum Startschuß der zweiten Turnierphase des FFT 2020. Hier findet ihr alle Infos, die ihr benötigt, um eure weiteren Texte erfolgreich zu schreiben und was ihr beachten solltet, wenn ihr für einen Text eure Stimme abgeben wollt. Aber beginnen wir zuallererst mit den acht Teilnehmern, die es bis hierher geschafft haben:

    Duo Infernale (OneBrunou & Eldrail)
    Callico
    EmpororsHaki
    Hugo
    strohutbande89
    King X. Drake
    Baka
    Blink

    Vier von diesen acht Teilnehmer(-gruppen) werden es in die dritte Phase schaffen. Aber was müssen sie dafür tun?

    Der Turniermodus ähnelt sehr dem aus Phase 1. Die Teilnehmer werden in zwei Vierergruppen aufgeteilt und je nach Platzierung innerhalb ihrer Gruppe mit 1-4 Punkten vergütet. Insgesamt wird es zwei Runden geben, wobei (wie in Phase 1) in Runde 2 die zwei Gruppen neu durchgemischt werden. Das heißt, es wird diese Phase zwei Runden mit jeweils zwei Gruppen geben.

    Aber welche Vorgaben wird es dieses Mal geben?
    Genau genommen gibt es dieses Mal zwei Vorgaben. In der ersten Phase musstet ihr in einem bestimmten Blue starten und eine festgelegte Organisation zum Handlungsmittelpunkt eurer Geschichte machen. Dieses Mal werdet ihr die Saga eines anderen Teilnehmers der zweiten Phase erweitern. Ein Beispiel: Person X bekommt die Saga "Der Preis der Wahrheit" (vom Duo Infernale) zugeteilt. Diese Saga wird er in beiden Runden betreuen. Person X hat die freie Wahl, wo er an der Saga ansetzt. Erzählt er, was vor dem ersten Text (Prequel) passiert ist oder setzt er lieber nach dem dritten Text an (Sequel)? Kann er machen, wie er möchte. Er kann auch zwischen Text 1 und Text 2 ansetzen usw. Wichtig ist, dass die Texte aus Runde 1 und 2 nicht zusammenhängend sein müssen. Ihr könnt euch dazu entscheiden, im ersten Text zum Beispiel die Lücke zwischen Text 2 und 3 der ursprünglichen Saga zu füllen und im zweiten Text erzählt ihr die Vorgeschichte der Saga. Natürlich dürft ihr auch eine zusammenhängende Geschichte schreiben, ihr müsst es aber nicht. Weiterhin sind die acht ausgeschiedenen Sagen ebenso Teil des Canons wie die acht, die weitergekommen sind. Ihr dürft also Charaktere aus den ausgeschiedenen Sagen verwenden, solange ihr nicht gegen den bereits etablierten Canon verstoßt . Bedenkt aber, dass der Fokus ganz klar auf der euch zugeteilen Saga liegen muss. Was die anderen Sagen anbelangt, die es in die zweite Phase geschafft haben und die euch nicht zugeteilt wurden: Erwähnt sie, wenn überhaupt, nur in dem Rahmen, der in den Sagen ganz klar beschrieben wurde. Sprich, ergänzt diese nicht.
    Muss die Perspektive des Protagonisten aus der jeweiligen Saga angenommen werden? Nein. Wichtig ist nur, dass ein klarer Bezug zur Saga besteht. Es reicht nicht, wenn aus der Saga bekannte Namen nebenbei genannt werden, aber sonst keine Rolle in der neuen Geschichte spielen. Aber ihr müsst nicht versuchen, den Stil der Saga zu treffen. Macht daraus euer eigenes Ding, wenn ihr es wollt. Ihr habt genug Freiheiten, um euch frei zu entfalten, und wenn ihr euch unsicher seid, ob euer geplantes Konzept in Ordnung geht, dann kommt einfach auf uns zu. Aber wir denken, es sollte klar sein, was die Aufgabe ist. Erweitert die euch zugeteile Saga.

    Das ist die erste Vorgabe, was ist die zweite? In dieser Phase wollen wir den Autoren etwas mehr abverlangen, ihnen aber gleichzeitig die Freiheiten gewähren, für die dieses Turnier von Anfang an steht. Um beides zu kombinieren, bekommt ihr die Aufgabe, eure Texte in eine festgelegte Stimmung oder eine festgelegte Atmosphäre zu setzen. Welche Stimmungen/Atmosphären werden es denn sein?

    Runde 1: Gruppe 1: düster - Gruppe 2: heiter
    Runde 2: ? - ?

    Wie sollt ihr die Stimmung bzw. die Atmosphäre einbauen? Nehmen wir dafür ein Beispiel, dass nicht dran kommt: nervös.
    Heißt das, dass euer Protagonist die ganze Zeit über nervös sein muss? Nein. Es gibt viele Möglichkeiten, eine nervöse Atmosphäre aufzubauen. Zum Beispiel kann Zeitdruck aufgebaut werden (gerne von Oda verwendet), eine undefinierte Gefahr kann angedeutet weden, der Protagonist kann erstmal scheitern, um dann in letzter Sekunde doch noch zu gewinnen. Nervosität muss nicht negativ sein, sie kann auch positiv sein. Es gibt sehr viele Möglichkeiten, wie ihr die geforderte Atmosphäre einbauen könnt. Dabei müsst ihr sie dem Leser auch nicht förmlich ins Gesicht drücken. Solange der Unterton der Geschichte die geforderte Atmosphäre aufbaut, habt ihr die Vorgabe erfüllt. Wobei in erster Linie nicht wir, das Organisatorenteam, entscheiden, wie gut ihr die geforderte Stimmung umgesetzt habt, sondern die Leser.

    Votingverfahren
    Denn dieses Mal bekommt jede Gruppe zwei Umfragen. Die eine bleibt wie gehabt. Welcher Text hat dir am besten gefallen? Wie ihr damit umzugehen habt, wisst ja bereits aus der ersten Phase zur Genüge. Wählt einfach die Geschichte, die euch am besten gefallen hat. Ihr müsst keinerlei Maßstäbe beachten.
    Die zweite Umfrage lautet Welcher Text konnte die geforderte Atmosphäre/Stimmung am besten einfangen? Die Umfrage erklärt sich von selbst. Wichtig ist, dass der Leser sich hier wirklich auf die Stimmung des Textes beschränken soll. Heißt das, dass man zum Beispiel Rechtschreibfehler oder Schreibstil unbeachtet lassen soll? Wenn das für dich beeinflusst, ob der Text die geforderte Atmosphäre transportieren kann, dann natürlich nicht. Was auch immer wichtig ist, ob die geforderte Stimmung getroffen wurde oder nicht, ist auch für die Bewertung eben dieser relevant. Natürlich kann das auch Hand in Hand mit der Begründung gehen, wieso einem der Text insgesamt am Besten gefallen hat. Wichtig ist eben nur, dass in der zweiten Abstimmung die Atmosphäre beurteilt wird.

    Das heißt, dass die Teilnehmer auch dieses mal wieder 16 Punkte sammeln können. Es wird keine Gesamtumfrage geben, welche erweiterte Saga am besten ist, da hier die Atmosphäre im Mittelpunkt steht. Die vier besten Autoren(-teams) kommen weiter.

    Wortgrenze
    Auch hier stehen wir weiterhin für das Motto Freiheit. Ihr bekommt für die zweite Phase ein Kontingent von insgesamt 2000 Wörter zur Verfügung gestellt. Wie ihr sie nutzt, ist komplett euch überlassen. Entfallen auf beide Texte jeweils 1000 Wörter oder bekommt einer 500 und der andere 1500? Macht es, wie ihr wollt. Natürlich müsst ihr die 2000 Wörter nicht aufbrauchen, aber ihr könnt keine Wörter mit in die dritte Phase nehmen. Was ungenutzt ist, bleibt verloren. Wichtig ist, dass ihr dieses Mal keine Toleranz bekommt. Wer 2001 Wörter verwendet, kassiert einen Strafpunkt. Wer deutlich mehr überzieht, darf mit mehr Strafpunkten rechnen. Genauere Angaben werden aber nicht gemacht, da ihr nicht mit Strafpunkten taktierten sollt.


    Zeitplan
    Die Abgabe eures ersten Textes erfolgt am 28.06.2020 um 14 Uhr.
    Die Abgabe eures zweiten Textes erfolgt am 04.07.2020 um 14 Uhr.

    Die einzelnen Gruppenkonstellationen laufen genau wie in der ersten Phase jeweils drei Tage lang. Somit ergibt sich folgender Veröffentlichungsplan der Gruppen:

    Start Runde 1/Gruppe 1: 28.06.2020
    Start Runde 1/Gruppe 2: 01.07.2020
    Start Runde 2/Gruppe 1: 04.07.2020
    Start Runde 2/Gruppe 2: 07.07.2020
    Ende Phase 2: 10.07.2020

    Damit wisst ihr jetzt alles, was ihr über die zweite Phase wissen müsst. Habt ihr dennoch Fragen? Dann schreibt einfach einen von uns an. Wir helfen gerne weiter. Die Sagen, die es in die zweite Phase geschafft haben, findet ihr der Übersicht halber im folgenden Beitrag.

    In welcher Gruppe ihr seid und welche Saga und Atmosphäre euch zugeteilt wird, erfahrt ihr noch heute.

    Wir wünschen euch viel Spaß beim schreiben eurer Werke!

    Eure FFT-Crew
    Vexor
    -Bo-
    Leonardho
    Sirus.0

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  • Hier nochmal die acht Sagen, die in dieser Phase erweitert werden:

    Saga: Der Preis der Wahrheit (Ein neuer Sinn - Das soll Gerechtigkeit sein? -Der Sonne entgegen)
    Ein neuer Sinn

    28. Mai 1504

    Ich glaube jeder Mensch sucht nach einem Sinn in seinem Leben. Und heute habe ich meinen gefunden. Die Unsicherheit, sie ist wie weggeblasen. Das Schreiben gab mir Halt, jetzt muss es mich beruhigen. Es hätte ein weiterer, bedeutungsloser Tag sein können. Ich würde Zuhause sitzen, den Stift in der Hand und Zweifel zu Papier bringen. Doch heute ist alles anders.

    Die Erinerungen haben sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Sie verfolgen mich. Bei Tag, wie auch bei Nacht. Loslassen werden sie mich nie. Doch man sagt, dass das Schreiben helfen kann. Dass es helfen kann Erlebnisse besser zu verarbeiten. Sie zu verstehen. Details zu erkennen, die man bislang vielleicht übersehen hat.

    Es war ein Tag wie jeder andere. Wie üblich war ich im Kontor am Hafen. Stumpfsinnige Arbeit, aber irgendwie musste das Essen ja auf den Tisch kommen. Beklagen will ich mich nicht. Nicht mehr.

    Mittags wollte ich zur Fischstube, doch erreichen sollte ich sie nicht. Ich liebe den Anblick des Meeres. So still, so friedlich. So beruhigend. Doch dieses Mal war etwas anders. Ein Segel am Horizont. Vielleicht ein Handelsschiff, dachte ich. Doch dann bemerkte ich die Farbe des Stoffes, die mich erschaudern ließ. Das Segel, es war schwarz. Pechschwarz. Piraten, das war etwas worüber man sonst nur in der Zeitung las. Sowas stieß doch nur anderen zu, redete ich mir ein. Ein eigenartiger Gedanke, der aber vermutlich jedem durch den Kopf schießt, dessen Heimat kurz davor steht von Piraten überrannt und gebrandschatzt zu werden.

    Entgegen aller Vernunft hoffte ich darauf, dass das Schiff vielleicht noch abdrehen würde. Dass es unsere Insel ignorieren würde. Denn was wollten sie hier? Unseren Schlamm? Hier gab es doch nichts. Doch das wussten die Piraten natürlich nicht. Und so musste ich mit ansehen, wie das Segel immer größer wurde. Wie das Schiff immer näher rückte. Während ich wie gelähmt nur da stand. Ohne mich zu rühren. Meine Glieder, sie waren wie betäubt. Ein Held, das war ich nicht.

    Auf so etwas waren wir nicht vorbereitet. Es gab keine Marinebasis, keinen Schutz. In mir erwachte ein urtümlicher Instinkt. Flieh. Es war das einzige Wort, an das ich noch denken konnte.

    Ich schämte mich dafür. Für diesen egoistischen und selbstsüchtigen Gedanken. Auch wenn ich uns nicht retten konnte, Flucht war nicht die Antwort. Das wusste ich. Ob das auch der Grund dafür war, dass ich mich meinem Urinstinkt widersetzt habe? Vielleicht war es aber auch nur das Schamgefühl, das mich noch in demselben Augenblick zu plagen begann ... Und doch frage ich mich, ob mein Retter einst genauso angefangen hat. Voller Angst. Voller Ehrfurcht. Voller Selbstzweifel. Ich stelle mir gerne vor, dass er einst genauso empfunden hat.

    Ich rannte los. Der Gefahr entgegen. Doch nicht um mich ihr zu stellen. Ich lief, um zu helfen. Auf die einzige Art und Weise, die mir möglich war. Ein Held, das war ich nicht. Ich erinnere mich noch dumpf daran, wie ich schrie. Warnende Rufe an die Menschen, um sie auf das nahende Unheil vorzubereiten. Bevor ich mich versah, fand ich mich am Glockenturm wieder. Ich überlegte nicht lange, eilte sofort die Treppenstufen hinauf. Dreimal läutete ich die Glocke. Das Signal für Gefahr.

    Doch was hat es gebracht? Die Piraten erreichten den Hafen. Sie raubten, mordeten, plünderten. Panik und Chaos brach aus. Ein Held hätte sich jetzt schützend vor die Menschen gestellt und den Verbrechern das Fürchten gelehrt. Ein wunderschöner Traum. Einer, an dem ich mich verbissen festhielt. Wie sehr ich mir doch wünschte, dass jemand kommen und uns retten würde. Doch da war niemand. Mein Traum, er drohte zu zerplatzen. Und damit auch jede Hoffnung auf Rettung.

    Plötzlich brach mir der Boden unter den Füßen weg. Eine Kanonenkugel hatte den Glockenturm getroffen und zum Einsturz gebracht. Mit mir, der von den Trümmern begraben wurde. Die Dunkelheit, sie umklammerte mich. Zog mich zu sich. War das das Ende? Nein. Ich kam wieder zu mir. Mein Schädel brummte stärker, als es irgendein Wort beschreiben könnte. Ich wühlte mich durch die Steine. Taumelte ziellos durch die brennenden Straßen. Dass ich das überlebte, scheint mir im Nachhinein eine glückliche Fügung des Schicksals zu sein.

    Auf dem Marktplatz trieben die Piraten die Menschen zusammen. Wieso? Das werde ich wohl nie erfahren. Und ich bin dankbar dafür.

    Meine Hände wurden zu Fäusten. Ich war nur ein einzelner, unbewaffneter Mann. Verletzlich und schwach. Ein Held, das war ich nicht. Dennoch rannte ich los, doch mehr als ein Stolpern brachte ich nicht zustande. Ein Held, das wollte ich sein. Alle Hoffnung schien verloren, da erschien Rettung!

    Ein weißer Mantel. Die Aufschrift “Gerechtigkeit”. Die Marine, sie war hier. Sie war wirklich gekommen. Die Piraten fühlten sich in ihrer Überzahl überlegen. Denn es war nur ein Mann, der sich ihnen entgegen stellte. Und dennoch, Zweifel kamen mir keine. Meine Hoffnung, sie war einem bedingungslosen Glauben gewichen. Die Piraten stürmten mit gezogenen Waffen auf ihn zu. Schneller als das Auge es erfassen konnte, fällte er die Angreifer. Ein Held, das war ich nicht. Aber er war es. Und in diesem Augenblick wusste ich: Das wollte ich auch werden. Nicht mehr erzittern, nicht mehr davonlaufen im Angesicht der Gefahr. Ein Beschützer der einfachen Menschen. Ein Retter in der Not. Das wollte ich sein.

    Jetzt sitze ich hier in meinem trauten Heim. Schaue mich ein letztes Mal um. Ob ich das hier vermissen werde? Vielleicht, doch meine Bestimmung ist nun eine andere. Und sie ruft nach mir.

    Ich weiß nicht, was meine Zukunft als Marinesoldat bringen wird. Aber wenn ich morgen das Schiff betrete, so weiß ich, dass ich Teil von etwas Großem werde. Ein Held, das werde ich sein.
    Das soll Gerechtigkeit sein?


    19. Mai 1507

    Vor drei Jahren legte ich meine Unsicherheit ab. Oder glaubte zumindest sie endlich abgelegt zu haben. Endlich hatte ich einen Sinn in meinem Leben. Ich hatte Hoffnung. Doch was habe ich seitdem wirklich erreicht? Hat das, was ich bislang getan habe, wirklich etwas verändert? Hat es einen Unterschied gemacht? Lange Zeit habe ich fest daran geglaubt, doch mein Glaube, er wurde erschüttert. Wiederholt.

    Seit meinem Aufbruch aus meiner unbedeutenden Heimat habe ich vieles erlebt. Viel gesehen. Ich habe in die Augen dankbarer Menschen geblickt, die von der Marine, von mir, gerettet wurden. Jede gute Tat bestärkte mich in meinem Glauben. In meinem Glauben etwas Gutes zu tun. Dieses Gefühl trieb mich voran. Immerzu. Belohnt wurde ich schließlich vor ein paar Wochen mit einer Beförderung zum Kapitän. Eine Beförderung auf die ich lange hingefiebert hatte. Mein eigenes Kommando. Endlich. Doch damit ging auch eine Versetzung zum Marine Ford einher. Und schon jetzt frage ich mich, ob ich als einfacher, bescheidener Marinesoldat in meinem West Blue nicht doch glücklicher gewesen wäre. Ein egoistischer Gedanke. Der Realität zu entfliehen ist feige, es ist falsch.


    Jetzt sitze ich hier in meinem ersten eigenen Büro und blicke auf das vor mir liegende Buch. Meine Augen gleiten über die Zeilen, die ich vor drei Jahren verfasst hatte. Zeilen voller Verzweiflung, voller Hoffnung, doch auch triefend vor Naivität.

    Ich ging zur Marine, um etwas gegen die anhaltende Piraterie zu unternehmen. Um den kleinen Leuten zu helfen. Um sie zu beschützen. Um sie zu retten. So wie man mir half. So wie man mich beschützte. So wie man mich rettete. Doch ich war naiv. So unerträglich naiv.


    Schnell musste ich realisieren, dass nicht alles schwarz und weiß ist. Die Marine ist gut, die Piraten sind böse? Wie kann man daran noch festhalten, nachdem man einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hat? Denn das hat man, als man sich dazu entschlossen hat sieben Piraten zu begnadigen. Mehr noch, mit ihnen zusammenzuarbeiten!

    Mein Weltbild wackelte, drohte wie ein Kartenhaus in sich zusammenzubrechen, als der Beschluss von den Oberen durchgewunken wurde. Aber was kann mir dann Halt geben, wenn nicht mein Glaube an die Institution, der ich mich verschrieben habe? Steht die Marine überhaupt für das, was ich in ihr gesehen habe? Ich weiß es nicht mehr. Meine Zweifel von damals, sie suchen mich wieder heim. Rauben mir den Schlaf. Und ich frage mich… Wo liegt hier die Gerechtigkeit?


    Die Rückkehr ins Hauptquartier wird normalerweise von einem Gefühl der Glückseligkeit, der Zufriedenheit, begleitet. Doch dieses Mal war es anders. Das Nachbeben dieses Auftrags, es nährt die Saat meiner wiederkehrenden Zweifel.

    Buster Call. Zwei Worte. Nur zwei verdammte Worte. Doch mit solch enormen Auswirkungen, dass es mir auch jetzt noch kalt den Rücken herunterläuft. Der ultimative Angriff der Marine. Was das bedeutet weiß ich jetzt. Vorher gab es eine Insel. Was danach noch verbleibt, ist eine traurige Einöde. Ein ganzes Land, vollständig vernichtet. Ich weiß nicht mal genau warum.

    Ich will nicht zurückdenken, nicht mehr den ekelerregenden Geruch von verbranntem Menschenfleisch in der Nase haben, nicht mehr die verzweifelten Schreie hören. Doch so sehr ich mich auch bemühe, ich kann mich nicht von diesen abscheulichen Erinnerungen befreien. Sie quälen mich.

    Und nun sitze ich hier und frage mich, wer von ihnen dieses grausame Schicksal denn verdient hatte. Wie viele Unschuldige wurden hier im Namen der sogenannten Gerechtigkeit unter dem Stiefel der Marine zertrampelt, als wären sie Insekten? Wo liegt hier die Gerechtigkeit?


    Absolute Gerechtigkeit. So nennen sie es, wenn eine Insel ausradiert wird. Gerechtigkeit… Das soll Gerechtigkeit sein? Eine Rechtfertigung für das, was dort geschehen war, existiert nicht. Darf nicht existieren. Ich ging zur Marine, um Menschen zu retten, nicht sie zu töten! Und jetzt? Jetzt hatte ich mit ansehen müssen, wie vielleicht hunderte oder gar tausende dieser Menschen, die ich schwor zu beschützen, kaltblütig ermordet wurden. Von uns. Von mir. Wo liegt hier die Gerechtigkeit? Nirgends. Das ist keine Gerechtigkeit.

    Endlich glaubte ich zu wissen, wo ich hingehöre. Endlich glaubte ich Teil von etwas Gutem, etwas Reinem, zu sein. Und jetzt? Jetzt frage ich mich, wie ich nur so naiv sein konnte. Ich fühle mich nicht wie ein Retter, nicht wie ein Held. Ich fühle mich wie ein Verbrecher. Wie ein ganz gewöhnlicher Verbrecher. Wo liegt der Unterschied zwischen uns und den Piraten? Ich weiß es nicht mehr.


    Was bin ich denn schon? Ein kleines Rädchen in einem allumfassenden Getriebe, das bin ich. Meine Taten, sie waren belanglos. Sie waren bedeutungslos. Allesamt. Das verstehe ich nun. Und ich verstehe jetzt was ich tun muss, um wirklich etwas zu bewirken. Um den Unterschied ausmachen zu können. Meine Zukunft, sie entfaltet sich vor meinem inneren Auge. Ich habe nun erkannt, dass ich in meinen Möglichkeiten beschränkt bin. Mein Einfluss ist begrenzt. Nie wieder möchte ich tatenlos dabei zusehen, wie im Namen der Gerechtigkeit derartige Gräueltaten verübt werden. Mein Weg, er führt mich hoch hinaus. Bis nach ganz oben. Eine Position, mit der ich wirklich etwas bewirken, wirklich etwas verändern kann. Das will ich.

    Meine Ambition, sie ist nun eine andere. Weil ich erkannt habe, dass die Probleme der Welt viel tiefer liegen, als mein naives Ich es sich vor drei Jahren auch nur hätte erträumen können. Ich werde aufsteigen und etwas verändern. Ich werde das bestehende System zerschlagen und ein Neues, ein Besseres, erschaffen. Ich werde für wahrhaftige Gerechtigkeit in der Welt sorgen!
    Der Sonne entgegen


    10. Juni 1518

    Ich lebte einen Traum. Einen Traum, der sich als Fiktion herausstellen sollte. All diese Jahre, verschwendet. Und wofür? Nur damit ich hier als besserer Wachhund versauern darf?

    Bei dem Versuch eine neue Welt zu erschaffen, sitze ich nun ausgerechnet in der „Neuen“ Welt fest. Welch grausamer Scherz, den das Leben mir da gespielt hat. Frieden, Gerechtigkeit, Rechtschaffenheit? Alles Trugschlüsse. Nichts davon ist real.

    Je mehr man sieht, je mehr man lernt und je näher man den Schalthebeln der Macht kommt, desto klarer wird einem, wie verdorben diese Welt doch ist. Wie verschwindend gering jedwede Hoffnung auf Veränderung ist. Einst hatte ich Zweifel, jetzt habe ich Gewissheit. Einst sah ich Illusionen, jetzt sehe ich Realität.

    Welch schöne Fassade sich die Marine doch errichtet hat. Das Bild einer gerechten, rechtschaffenen Organisation, die sich dem Schutz der Zivilbevölkerung verschrieben hat. Eine wunderschöne Lüge. Denn hinter verschlossenen Türen entblößt sie ihr wahres Gesicht. Korruption und Willkür. Grausamkeiten jeder nur erdenklichen Art. Es ist ein Sumpf, den ich nunmehr in seiner vollen, stinkenden Pracht erblicken kann. Ein Sumpf, den ich niemals werde trockenlegen können.

    Als Vizeadmiral besitze ich Einfluss, doch an der Leine liege ich noch immer. Wie soll ich so Gerechtigkeit walten lassen?

    Oh, was war ich doch blind! Die Admiräle? Auch nur Hunde die bellen, wenn die Weltaristokraten ein Stöckchen werfen. Flottenadmiral? Generalkommandant? An der Spitze stehen die 5 „Weisen“ und spotten jeglicher Träume. Weltaristokrat müsste man sein, um einen Wandel herbeiführen zu können. Eine unerträgliche Divergenz.

    Es ist leicht sich als etwas Besseres zu sehen. Zu glauben, man könnte nicht so tief sinken wie andere. Doch ich bin nicht besser.

    Die verbrannten Leichen und verzweifelten Schreie suchen mich noch immer heim. Ich habe Unrecht gesehen, wieder und wieder. Ausgeübt durch jene, die für das Recht einstehen sollten. Doch habe ich je etwas gesagt? Nein, denn Aufwiegler steigen nicht auf. Ich bin schuldig, denn auch wer wegschaut ist mitverantwortlich. Und ich frage mich, in was für einem dichten Geflecht aus Lügen man sich verstricken muss, um zu glauben, dass der Zweck die Mittel heiligen würde.

    Erneut finde ich mich in einer Situation wieder, die von mir verlangt mich zu verbiegen. Für Recht und Ordnung soll ich sorgen. Als ein besserer Schoßhund dieser verkommenen Aristokraten. Ist das nicht Wahnsinn?

    Während ich also die Sicherheit des hiesigen Adels gewährleiste, beutet eben jener die Bevölkerung nach Belieben aus. Des Goldes wegen. Himmelsgold für die Weltaristokraten. Himmelsgold? Blutgold sollte man es nennen. Tribut für diese wertlosen und doch so mächtigen Wenigen. Dieses niederträchtige Geschlecht. Das Fundament dieser Welt, erbaut auf den Rücken der Armen. Das ist das wahre Gesicht der Marine. Sie ist der Arm der Weltregierung. Das Bückstück der Himmelsdrachen.

    Wie leicht man doch verdrängen kann. Der rötliche Horizont, der von der Morgensonne wachgeküsst wird. Den Kaffee in der einen, den Stift in der anderen Hand halte--.

    Ein unwillkürlicher Blick in Richtung des Marktplatzes enthüllte ihm einen unvergesslichen Anblick. Wahrheitverschleierndes Weiß, eine offenbarende Blase. Der Hohn jeder Gleichheit, ein Affront gegen die Menschlichkeit. Ein Weltaristokrat mit dem unverzichtbaren Rattenschwanz an Dienern im Schlepptau. Wie erstarrt saß er da, ohne die sich anbahnende Tragödie rechtzeitig zu begreifen. Ein Kellner, der einen Tisch mit der Hingabe putzte, als ob sein Leben davon abhinge, befand sich nahe des Weges vom Himmelsdrachen. Wie Ewigkeiten erscheinende Sekunden später öffnete er den Mund, als ob es irgendwelche Worte geben könnte, die noch helfen würden. Doch zu spät.

    „Straft diesen Abschaum“, war das Einzige, was zu hören war. Pflichtbewusst eilten zwei der Lakaien im feinen Anzug zu dem unglücklichen Mann, der sich keines Vergehens schuldig gemacht hatte, außer sich in Armweite zu einem Weltaristokraten zu befinden. Blut spritzte, als die Beiden den Unglücklichen zu Boden prügelten.

    Und der Vizeadmiral blieb still. Die latenten Ketten schnürten ihn ein, hielten ihn fest. Doch dann sprengte er sie. Das Tagebuch war vergessen, der Stift zerbrach in seiner zur Faust geballten Hand. Er sprang auf, seine rechte Hand ruhend auf dem smaragdgrünen Griff seines Katanas. Langsamen Schrittes näherte er sich dem Unheil, das wie ein Weckruf für ihn war. Lange hatte er mit sich gerungen, hatte sich gewunden. Doch nun sah er endlich klar. Nach all diesen Jahren.

    Die Augen dieses niederträchtigen Geschwürs, auf das er zusteuerte, waren unlängst auf ihn gerichtet. Worte richtete es an seine Garde. Vernehmen konnte er jedoch nichts. Die Welt um ihn herum war verstummt. Mit einem Mal erspähte er die Welt wie durch ein Schlüsselloch. Doch das wahre Übel dieser Welt sah er noch immer vor sich. Die Leibgarde versperrte ihm den Weg, doch fiel sie genauso schnell, wie sie erschienen war. Bedrohlich näherte er sich dem Weltaristokraten, die Hand noch immer auf dem Schwertgriff ruhend. Wie leicht es für ihn doch wäre ihn wie das dreckige Schwein zu schlachten, das er war. Doch er kannte die Himmelsdrachen, wusste um ihre größte Angst. Und er wusste um die Konsequenzen, die die Menschen erleiden werden müssten, würde er ihn totschlagen. Er hob seinen Schwertarm und ließ die Klinge auf den verängstigten Aristokraten niederrasen. Es klirrte. Zerberstende Glassplitter. Verzweifelt fasste sich der Himmelsdrache an Mund und Nase, um nicht jene Luft einatmen zu müssen, die auch das gemeine Volk genoss.

    Aufatmend wandte sich der Vizeadmiral dem zitternden Kellner zu. Ein Lächeln brach sich Bahn, dann riss er sich ohne Bedauern den weißen Mantel von den Schultern. Er streckte sich, als sei eine schwere Last von ihm abgefallen, hob die Hand und ging wortlos der aufsteigenden Sonne entgegen.

    Saga: Den Tollwütigen hinterher(Der erste Hund - Schuld und Trümmer - Blitzregen)
    Der erste Hund


    Marinebasis auf Ketaluna Bay, West Blue


    „Mal wieder ein ruhiger Tag im Paradies?“, knarzte eine genervte weibliche Stimme hinter ihm. Doch er ließ sich nicht beirren. Gleißende Sonnenstrahlen wärmten seine Haut, während er auf dem Balkon saß und die Landschaft der sichelförmigen Insel unter ihm betrachtete.

    Das Marinebasisgebäude ragte wie ein blaugrüner Vulkan im Zentrum der Insel empor, was ihm eine vortreffliche Aussicht auf das Land zu seinen Füßen gewährte. Eine sanfte Brise Meereswind wehte durch die Gassen der Häuser aus weißem Stein, die im Schein der abendlichen Sonne eine leicht rotgoldene Farbe einnahmen.

    Doch seine Aufmerksamkeit galt der großen blauen Möwe, die soeben gemächlich in den Hafen tuckerte und an den Hauptpier der Marine anlegte. Von weitem konnte er es nicht genau sehen, aber das Schiff sah mitgenommen aus. Konteradmiral Heddony rieb sich die dicklichen Hände, strich sich die dunklen Locken zu Recht und schwang sich aus seinem gemütlichen Sonnenbad mit einem leichten seufzen: „ Auf geht’s, Lorna. Wir kriegen Besuch!“ Mit diesen Worten eilten die beiden zum Pier, um den unerwarteten Besuch herzlichst zu empfangen.


    „Es ist mir eine Ehre, Sie auf der Marinebasis von Ketaluna Bay Wilkkommen zu heißen, Vizeadmiral Gideon! Ich bin Konteradmiral Heddony und das ist Kaddett zur See“ , er deutete mit der tapsigen Hand auf seine blonde Begleiterin, „Lorna. Zu Ihren Diensten!“

    Vor ihnen stand ein muskelbepackter Hüne in einem lachsfarbenem Hemd, einer weißen Hose und dem Marine-Umhang, welcher würdevoll auf den breiten Schultern dieses Mannes thronte.

    Der Vizeadmiral überragte beide bei mehr als zwei Köpfe, so musste dieser seinen kahlen, sonnengebräunten Kopf während der Begrüßung nach unten wenden. Er ließ sich Zeit, in welcher er Lorna und Heddony mit einem strengen Blick musterte, bevor er antwortete: „ Vielen Dank für den herzlichen Empfang. Wie ich sehe, habe ich hier ein recht schönes Fleckchen erwischt. Ke-Ta-Lu-Na.“ Mit diesen Worten lockerte er den strengen Blick mit einem leichten Lächeln und ließ seine Augen, die im Licht der Abendsonne golden schimmerten, an den hellen Häuserwänden der entspannten Hafenstadt entlangwandern. Doch als ihm wieder bewusst wurde, dass sein Besuch beruflicher Natur war, riss es ihn aus seinen Tagträumen und ein leichter Seufzer entwich seiner Kehle. „Wir waren gerade der Tollwütige Piratenbande auf den Fersen, als uns aus heiterem Himmel ein Sturm erwischte und wir kehrt machen mussten. Das Resultat können Sie ja sehen!“ Er deutete auf die große Möwe, deren Hauptmast schon angebrochen zu sein schien. Die prächtigen Segel waren zerfetzt und Teile der Reling sind weggesplittert. „Das war nicht nur ein Sturm, sie waren in einer Schlacht!“ Lorna konnte die Aufregung in ihrer Stimme nicht verbergen und deutete auf die zahlreichen Löcher in der Holzverkleidung des ramponierten Schiffs. Gideon musterte das zierliche Mädchen, schaute ihr in die braunen Augen, bevor er fortfuhr: „In der Tat. Wir waren in einen Kampf mit dieser Bande verwickelt und haben sogar einen von ihnen festnehmen können. Sie haben doch sicherlich von Divallo, Teufel der Nacht, gehört, nicht wahr?“

    „Das ist unfassbar! Teuflischer Divallo. Von dem hört man doch nur in den Nachrichten“, lachte Lorna drauf los. Heddony war sichtlich geschockt.

    „Von solchen bösen Hunden bekommen wir in unserem stinklangweiligen Kaff leider überhaupt nichts mit. Ich würde alles dafür geben, mal die Welt da draußen zu sehen. Bitte erzählen sie mir von dem Kampf, Herr Vizeadmiral!“, bat Lorna, woraufhin der Hüne losprustete.

    „Wir brauchen ein anderes Schiff für unsere Weiterfahrt. Dürfte ich um eines aus eurem Bestand bitten?“, erfragte Gideon, was der Konteradmiral prompt bejahte.

    Plötzlich vernahm die kleine Gruppe laute Schreie aus Richtung des Schiffs und es fielen Schüsse. Gideon reagierte in Blitzschnelle, sprang sofort aufs Schiff und hastete unter Deck. Die abenteuerlustige Lorna witterte ihre Gelegenheit und folgte dem Vizeadmiral, Heddony hingegen blieb unbeeindruckt auf dem Pier zurück.

    Unter Deck angekommen suchte Lorna sofort nach Möglichkeiten, sich in den dunklen, engen Gängen zu orientieren. Sie ging minutenlang in die Richtung, aus welcher sie die aufgebrachten Stimmen vernahm, doch sie traf auf keine Seele. Selbst von Gideon war keine Spur.

    Doch plötzlich hörte sie ein dumpfes Hämmern, das stetig lauter wurde. Sie blieb stehen und lauschte in den dunklen Gang hinein. Jemand rannte auf sie zu. Die Dunkelheit verhinderte, dass sie ausmachen konnte, wer sich da mit gehöriger Geschwindigkeit näherte, aber sie hatte kein gutes Gefühl. Ihr Herz hämmerte beinahe genauso wild, wie die hektischen Schritte auf dem Holz trommelten. Die Person kam immer näher und näher. Sie sah ihn nicht, aber sie spürte es. Sie wusste. Der Unbekannte hechtete los und wollte sich auf Lorna werfen, doch diese sprang intuitiv im letzten Augenblick einen Schritt zurück, sodass der Angreifer ins Leere fiel. Verblüfft über das Ausweichmanöver startete er einen neuen Angriff, diesmal schwang er seine rechte Faust in ihre Richtung, doch wieder erahnte sie den Schlag in der Dunkelheit, wich nach rechts aus und verpasste dem Unbekannten einen fiesen Kinnhaken, sodass dieser nachhinten taumelte. Er hatte sich auf die Zunge gebissen, Blut strömte aus seinem Mund. Jedoch geschah dies im Verborgenen der Dunkelheit. Wutentbrannt stürmte der Angreifer abermals auf die zierliche Blondine los, er versuchte sie mit beiden Händen am Hals zu packen, doch sie duckte sich. Dann schnellte sie hervor und verpasste ihm einen weiteren Kinnhaken und setzte dann mit einem mächtigen Tritt in den Bauch des Ungeschützten nach. Er flog quer durch den Gang und blieb bewusstlos liegen.

    Schuld und Trümmer


    Sabaody Archipel, Grandline. Eineinhalb Jahre später



    Ihre zittrigen Hände drückten den marineblauen Schal auf seine Bauchwunde. Mit den Fingern spürte sie das unter dem improvisierten Druckverband stetig herausquellende Blut. Halte durch, bitte!

    Obwohl nur wenige Lichtstrahlen durch die mit Brettern versiegelten Fenster ihren Weg in den stockdüsteren Raum fanden, konnte sie sein Gesicht ziemlich genau erkennen. Es leuchtete leichenblass in der Dunkelheit. Die Augen fest verschlossen, der Mund leicht geöffnet und ein leises Röcheln war zu hören. Die junge Marinesoldatin wusste, dass ihnen nicht viel Zeit blieb. Ihr Herz raste. Mit tiefen Atemzügen versuchte sie sich zu beruhigen. Vergeblich. Der metallische Geruch von Blut mischte sich mit dem staubigen Mief des Raums und drang in ihre Nase, was ihr aufgeregtes Herz nur noch weiter anspornte.

    Plötzlich dröhnte der vertraute Klang einer Teleschnecke im Raum. Sie horchte auf und versuchte das kleine Kommunikationsstück zu orten. Ihre Augen huschten mehrmals über den staubigen Boden, ehe sie das weiße Häuschen in der Dunkelheit ausmachten. Der linke Arm schoss wie eine gierige Viper auf die Schnecke zu. Sie nahm sofort ab, ließ dem Anrufer keine Zeit, sich zu Wort zu melden: „Hier spricht K-Kommandant Lorna Mackery. Meine Einheit und ich sind in einen Kampf mit den Tollwütigen verwickelt. Bitte verbindet mich umgehend mit Vizeadmiral Gideon!“

    Nach kurzem Rascheln antwortete eine strenge Männerstimme: „Am Apparat. Was ist passiert?“

    „Wir brauchen dringend Unterstützung! Stießen auf den Rudelführer und wollten ihn festnehmen. Doch da waren seine Köter. Wir mussten uns zurückziehen, weil Kapidelli angeschossen wurde. Holts und Rennsing sind zurückgeblieben, um uns Zeit zu verschaffen.“ Sie biss sich auf die Lippen.

    „Wo genau seid ihr?“, fragte Gideon.

    Lorna zögerte einen kurzen Moment, ehe sie antwortete: „Grove21.“

    „Ach Lorna. Wir habens besprochen. Die gesetzlose Zone…“, knurrte der Vizeadmiral.

    Nun war es die junge Blondine, die ihren Gesprächspartner unterbrach: „Ich weiß, ich weiß. Es war ein Fehler und es tut mir leid. Aber können wir bitte später darüber reden?“

    Sie warf nochmal einen Blick auf die pulsierende Wunde, aus der noch immer Blut quoll und fuhr fort: „Kapidelli verliert Unmengen an Blut, keine Ahnung, was mit den beiden Anderen ist. Bin hier ganz allein. Bitte Gideon, ich brauche deine Hilfe!“

    Am anderen Ende der Leitung holte Gideon tief Luft : „In Ordnung, Lorna. Bleibt dort, wir sind auf dem Weg!“



    Ein Schuss, so laut wie ein Donnerschlag, unterbrach das Gespräch abrupt.

    „Was war das? Lorna, ist alles in Ordnung?“, plärrte es panisch aus der Teleschnecke. Momente verstrichen, in denen die blonde Soldatin wie angewurzelt über ihrem angeschossenen Kollegen hockte, die Hände noch immer fest auf die pulsierende Wunde pressend. Als sie sich von dem plötzlichen Schreck losriss, flüsterte sie: „E-es kam von draußen. I-ich muss nachsehen.“

    Mit trommelndem Herzen huschte sie hinüber zu den Fenstern und schielte durch einen Spalt nach draußen.

    „Oh nein.“ Lorna wusste es sofort. Ihr Herz trommelte nicht mehr. Es stand still. Die blutbesudelten Hände vor dem weit aufgerissenen Mund geschlagen.

    Ein Mann in weißer Uniform humpelte über das weite Archipel-Grün. Er heftete seine Augen starr auf das einsame Häuschen. Vor langer Zeit mochte es mal ein herzlicher Souvenirshop gewesen sein, doch nun war dieses runtergekommene Haus seine letzte Chance.

    Ein lauter Knall. Als die Kugel die Hüfte des Soldaten zerfetzte, verlor er sein Gleichgewicht und kippte vornüber. Ein unbeschreiblicher Schmerz durchfuhr seinen Unterkörper, wie als ob man ihm soeben ein Bein rausgerissen hätte. Tränen schwemmten die zielstrebigen Augen und trübten die Welt um ihn herum. Nicht hier, nicht so!

    Mit letzter Kraft gruben sich seine erschöpften Finger in den weichen Boden und seine Arme zogen den lädierten Körper in Richtung Ziel. Weit kam er nicht, als sich ein enormer Schatten über ihn ausbreitete. Reflexartig drehte sich der Angeschossene um und versuchte seine Arme in die Höhe zu reißen, um sich vor dem Angriff des Verfolgers zu schützen. Zu langsam. Der linke Arme sauste wie ein mächtiger Hammer nieder und zerstörte seinen Kiefer. Heißes Blut schwemmte den Mund und floss den Rachen runter. Der Verfolger holte nochmals mit der Linken aus und zertrümmerte das Stirnbein. Alles schwarz. Den dritten und letzten Schlag spürte der Soldat schon nicht mehr.

    Lorna konnte ihren Blick nicht abwenden. Schock hatte sie gepackt, jede Faser ihres Körpers war angespannt. Doch plötzlich vernahm sie ein bedrohliches Knurren hinter ihr und sie fuhr schlagartig herum. Eine pechschwarze Bestie schoss auf sie zu. Es gelang Lorna zwar den Fängen auszuweichen, doch sie stießen zusammen und wegen der Wucht des Angriffs krachte Lorna gegen die Wand und sackte zu Boden. Langsam rappelte sie sich auf. Das dralle Monster hatte sich indessen Kapidelli gewidmet, die Fänge in den Hals des Beweglosen geschlagen. Lorna hob einen schweren Stein vom Boden auf und stürmte auf den Hund zu. Mit voller Kraft rammte sie dem Köter den Stein an den Schädel. Noch bevor die Bestie zu Boden ging, löste sie sich in dunklem Rauch auf. Lorna blickte zu Kapidelli. Sie wusste es bereits. Ihre Knie gaben nach, sie verlor all ihre Kraft. Lorna sank zu Boden, es wurde alles schwarz um sie herum.


    Eisiger Nachtwind umfasste ihre Haut, als sie mit glasigem Blick in die Wellen blickte. Ihre Finger gruben sich tief in ihre eigenen Oberarme und hinterließen Male. Immer fester wurde ihr Griff. Der Vizeadmiral gesellte sich stillschweigend zur Blondine an die Reling und blickte aufs Meer hinaus. Bis auf den pfeifenden Wind und die klatschenden Wellen herrschte bedrückende Stille. Gideon bedeckte Lornas frierenden Schultern mit seinem Umhang und legte ihr seine warme Hand auf den Rücken. Heiße Tränen rannen Lornas Wangen hinunter.
    Blitzregen


    Küste vor Raijin, zwei Monate später

    Er starrte in die zornroten Augen der Bestie, die mit voller Geschwindigkeit auf ihn zuraste. Hektisch griff er nach seinem Gewehr, legte an und versuchte den schwarzen Köter anzuvisieren. Ein Schuss, daneben. Der dralle Körper knallte mit erheblicher Wucht in die Magengrube des Marinesoldaten. Er wirbelte mehrere Meter durch die Luft und über die Reling des Piratenschiffs hinweg. Reflexartig schossen seine Hände hinaus, um nach der Reling zu greifen. Seine Finger krallten sich immer fester in das morsche Holz, als sein Körper wegen der stürmischen Winde wie eine kraftlose Fahne herumflatterte. Plötzlich vernahm er aus den Augenwinkeln, wie der winselnde Hund ebenfalls über die Reling hinweggeschleudert und von den tosenden Wellen des schwarzen Meeres unter ihnen verschluckt wurde. Dann packte ihn eine kräftige Hand am Unterarm und hievte ihn wieder zurück aufs Deck.

    „Wie viele von diesen Hunden schwirren hier bloß herum? Alles in Ordnung, Nimitz?“, erkundigte sich der Vizeadmiral. Der junge Marine rang noch immer nach Luft und nickte bloß. „Siehst grün aus im Gesicht.“ Gideon lächelte matt und ließ seinen Blick suchend über das Deck gleiten. Marinesoldaten schmissen sich auf Piraten und die Piraten schlugen zurück. Kampfgebrüll mischte sich mit dem wild pfeifenden Wind.

    „Weißt du, wo Lorna ist?“, fragte er, nachdem er sie in dem chaotischen Getümmel nicht ausmachen konnte. Eine kräftige Welle brachte die Karavelle zum Schaukeln und warf den ohnehin schon angeschlagenen Nimitz auf die Knie. Er atmete tief ein und sein Zeigefinger deutete in Richtung Heck mit den Worten: „Sie hat Canperro gefunden!“ Gideons Augen weiteten sich.

    „Uns bleibt nicht mehr viel Zeit. Pack die Männer und schaff sie zu unserem Schiff zurück. Ich schnapp mir Lo…“, doch weiter kam er nicht.

    Ein Blitz raste in den Schiffsmast und der Ausguck zerschellte in unzählige Holzsplitter, die auf die kämpfende Menge wie spitzer Regen rieselte. Ein gewaltiges Dröhnen erschütterte den Kampfplatz und vertrieb sämtlichen Lärm. Der Donner breitete sich wie eine bedrohliche, lähmende Aura auf dem Schiff aus.

    Doch sie hatte nur Augen für ihren Gegenüber. Mauro Canperro, Kapitän der Tollwütigen Piraten, baute sich wie eine enorme Statue vor ihr auf. Seine nachtschwarzen, schulterlangen Haare wehten zersaust im Wind umher, während seine kleinen, gierigen Augen sie fixierten. Er schob sich Daumen und Zeigefinger zwischen die gelben, spitzen Zähne, um einen langen Pfiff aus seiner Kehle zu jagen. Im selben Moment stieg schwarzer Rauch zwischen den Holzdielen des Decks empor und formte den bulligen Körper einer weiteren pechschwarzen Bestie.

    „Fass!“, befahl der Rudelführer und der Hund schoss wie eine schwarze Kanonenkugel auf Lorna zu. Wenig Zeit zu reagieren wich sie zur linken Seite aus, doch Canperro war seinem Köter hinterhergerannt und packte die unvorbereitete Lorna an ihrem zierlichen Hals und donnerte sie gegen den hölzernen Boden. Schmerz durchzuckte ihren Körper, als sie mit voller Wucht auf ihrem Rücken landete. Doch noch mehr Schmerz breitete sich aus, als seine linke Faust in ihr Gesicht knallte. Die Lippen platzten auf, die Nase pochte. Blut benetzte das Gesicht. Als die Linke wieder hinuntersauste, wich sie mit ihrem Kopf im letzten Moment aus, er schlug ins Holz. Dann schnellte ihr rechter Arm zuerst in die Innenseite seines Ellenbogens, sodass er die Balance verlor. Anschließend peitschte sie ihm die Handrückfläche ins Gesicht. Dies gab ihr genug Zeit, um sich keuchend aufzurappeln. Doch Canperro wischte sich nur das Blut von der Lippe und grinste sie an. Dann hörte sie das Knurren.

    Verdammt, der Hund. Die Blondine drehte sich schlagartig um und sah, wie der schwarze Köter schon zu einem Sprung ansetzte. Sie wollte noch die Arme vor ihren ungeschützten Körper reißen, als das Biest in der Luft stecken blieb und winselnd zu Boden krachte.

    Gideon hatte ihn an den Hinterbeinen gepackt und schleuderte ihn nun wie einen nassen Sack Mehl über seinen Kopf hinweg auf die Holzdielen.

    „Perfektes Timing.“

    „Würde ich auch sagen!“

    „Halt du mir bitte diesen Hund vom Leib, während ich mich um den hier kümmere!“

    „ Abgemacht. Aber bitte beeil dich!“

    In Rasurschnelle raste Lorna auf den Rudelführer zu, sprang in die Luft und ließ ihren rechten Arm wie eine Guillotine auf den Schwarzhaarigen niedersausen. Doch dieser reagierte, indem er seine Arme über seinem Kopf überkreuzte. Im letzten Moment zog Lorna ihren Angriff noch einen Stückchen weit nach links und so schoss ihre Handkante über die Finger der linken Hand Canperros. Noch bevor sie auf dem Boden aufkam, hörte sie sein markerschütterndes Jaulen. Seine rechte Hand umklammerte das linke Handgelenk, er stand ihr leicht gebeugt gegenüber.

    „Na warte… Wenn ich dich …“, keuchte er schmerzerfüllt.

    „… in die Finger kriege?“, unterbrach sie seinen Satz und zwinkerte genüsslich.

    Abermals rannte sie auf ihn zu, machte kurz vor ihm einen Ausfallschritt nach rechts und zog ihr linkes Bein in die Höhe. Der angeschlagene Rudelführer drehte sich zu ihr und versuchte nach ihr zu greifen. Doch plötzlich sprang sie nach links, landete auf dem linken Bein, verlagerte ihr Gewicht darauf, zog das Rechte hinterher und katapultierte sich in die Luft. Canperro konnte ihren blitzschnellen Bewegungen nicht folgen, er reagierte zu langsam. Sie donnerte ihm das rechte Bein mit aller Kraft an die Schläfe, er flog durch die Luft und stürzte regungslos zu Boden.

    Sie blickte zu Gideon, in dessen Händen sich der schwarze Hund gerade wieder in Rauch auflöste. Ein mattes Lächeln huschte über ihre Lippen. Sie hatte es geschafft.


    Marinefriedhof, zwei Tage später

    Lange Zeit verharrte sie in friedlicher Stille und starrte auf die drei Grabsteine vor ihr. Eine leichte Brise wehte über den Friedhof. Kapidelli, Holts, Rennsing. Sie legte Blumen auf die Grabsteine, atmete tief durch und ließ ihre Augen über die weite, leuchtendgrüne Wiese zum sonnigen Horizont wandern.

    Dann kehrte sie zu ihrem Schiff zurück.
    Saga: Asche-Trilogie (Aschneschnee - Aschewolken - Ascheschleier)

    Ascheschnee
    „Mein Name ist Arden. Ich möchte mich bei der Marine einschreiben.“

    Mit diesen Worten begann er vor vielen Jahren seine Karriere in der Marinebasis in Loguetown. Er brachte die besten Voraussetzungen für einen Marine-Soldaten mit. Er war jung, groß und die harte Arbeit auf dem Fischkutter der Familie hatte seinen Körper abgehärtet. Was den Ausbildner in der Marinebasis allerdings am meisten beeindruckt hatte, war der eiskalte Blick des Bewerbers, der keinen Zweifel an seiner Entschlossenheit ließ.

    Er hasste Piraten. Seit dem Tag, an dem die sogenannte „Piratenära“ begann. Dem Tag, an dem ein gewisser Gold Roger hingerichtet wurde. Dem Tag, an dem sein Vater starb…

    Arden wuchs auf einer kleinen Insel namens Tuna auf. An einem schönen Tag konnte man von der Küste Tunas aus Loguetown am Horizont als kleinen Punkt ausmachen. Die meisten Bewohner der Insel verdienten ihr Geld als einfache Fischer, so auch die Familie von Arden. Die Arbeit war hart, besonders für Ardens Vater, der seinen Sohn allein erziehen musste, nachdem seine Frau bei der Geburt verstarb. Dies war auch der Grund, warum er Arden schon früh mit auf Fischzüge nahm und ihm dieses Handwerk beibrachte. Arden war ein Naturtalent. Das Netz, das er zum Fangen der Fische ins Meer warf, fühlte sich für ihn an, wie eine Verlängerung seines Körpers. Durch die Beobachtung der Strömung konnte er sofort erkennen, wo sich die großen Fischschwärme aufhielten. Und auch das Steuern des kleinen Fischerboots war für ihn kein Problem. So war Arden bald bereit, seinen ersten Fischzug im Alleingang durchzuführen. Sein Vater hielt ihn mit seinen zwölf Jahren zwar noch für etwas zu jung, um allein aufs offene Meer hinauszufahren, doch er wusste auch um die Fähigkeiten seines Sohnes, weshalb er dem Vorhaben zustimmte.

    Die Sonne schien, die Wellen waren niedrig, der Wind in den Segeln aber trotzdem stark genug, um sein Schiff in einem beachtlichen Tempo über das Wasser gleiten zu lassen. Arden fühlte sich so frei wie noch nie! Es dauerte nicht lange und er fand einen geeigneten Platz, um sein Netz auszuwerfen. Während er darauf wartete, dass sich die Fische in den engen Maschen verfingen, blickte sich der junge Fischer mit seinem Fernglas um. Erst jetzt bemerkte er, dass er so weit von seiner Heimat entfernt war, wie noch nie zuvor.

    Plötzlich schaukelte das Boot. Das Fischernetz wurde in unregelmäßigen Abständen in die Tiefe gezogen. Zeit, die Beute an Bord zu ziehen. Es war ein guter Fang. Arden war zufrieden und machte sich direkt auf den Weg nach Hause, um seinem Vater seinen Erfolg zu präsentieren. Doch etwas Unheilvolles zeichnete sich am Horizont ab. Genau dort, wo Tuna liegen müsste. Eine gewaltige Rauchsäule stieg über seiner Heimatinsel in die Höhe. Der Fischersjunge versuchte alles, um so schnell wie möglich nach Hause zu kommen. Er warf sogar seinen Fang über Bord, um Gewicht zu verlieren und das Tempo des Bootes zu erhöhen.
    Je näher er der Insel kam, desto finsterer wurde der Himmel. Asche fiel wie Schnee aus den Rauchwolken. Als Arden die Insel betrat, fand er nur noch die verkohlten Überreste seines Heimatdorfes auf. Verzweifelt rief Arden nach Hilfe, doch er bekam keine Antwort. Seine gesamte Kraft entwich aus seinem Körper und er sackte auf seine Knie zusammen. Tränen füllten seine vom Rauch brennenden Augen. Sein Blick schweifte verloren über das Meer, bis er an etwas hängen blieb. Arden zückte erneut sein Fernglas und blickte hindurch. Da fuhr ein Schiff. Ein Schiff, mit einer schwarzen Flagge auf dem Mast…

    Die nächsten fünf Jahre verbrachte Arden auf sich allein gestellt in Loguetown. Morgens fuhr er mit seinem Kutter raus, um Fische zu fangen, am Nachmittag verkaufte er seinen Fang am Markt und die Abende verbrachte er in der Kneipe am Hafen, wo er immer wieder auf Piraten traf, die scheinbar von der Marine ungestört ihren Trieben nachgingen. Eines Tages hatte er genug von diesem Zustand und er entschloss sich, selbst der Marine beizutreten, um im Hafen aufzuräumen.

    Ardens eiserner Wille, sein Training und seine Entschlossenheit machten ihn bald zu einem gefürchteten Marine-Soldaten in Loguetown. Er war eiskalt und verhandelte nicht mit Piraten. Für viele Banden war seinetwegen auf dieser Insel Endstation, doch das war Arden nicht genug. Loguetown ist eine der letzten Inseln vor dem Rivers Mountain. Spätestens hier müssten allePiraten auf ihrem Weg zur Grandline aufgehalten werden. Zumindest sah Arden das so. Der Rest der Marine-Basis schien damit zufrieden zu sein, dass es in Loguetown abends nur noch wenige Auseinandersetzungen mit Piratenbanden gab.

    Wie jeden Abend patrouillierte Arden auf seiner üblichen Route durch den Hafen, als es zu schneien begann. Doch es war kein Schnee, Asche fiel vom Himmel. Aber nirgendwo war ein Feuer zu sehen. Plötzlich kam ein kleiner Junge schreiend aus einer Gasse gerannt, verfolgt von einem großen Mann in schwarzem Anzug. Arden blickte in die verzweifelten Augen des Jungen. Seine Tränen und der Aschegeruch erinnerten Arden an jenen Tag auf Tuna… Und plötzlich, wie im Rausch griff Arden zu seiner Lieblingswaffe, einem Fischernetz. Er riss den Verfolger damit von seinen Beinen, und brach ihm mit nur einem Handgriff das Genick. Noch bevor er wieder richtig zu Sinnen kommen konnte, war er schon von mehreren Männern in Anzügen umzingelt.
    „Rasur!“
    Wie aus dem nichts erschien vor Arden ein großgewachsener Mann mit grau durchzogenem Haar.
    „Junger Marinesoldat. Du hast soeben ein Mitglied meiner Einheit umgebracht“, seine Stimme klang tief und ruhig, „hast du überhaupt eine Ahnung, wer wir sind?“
    Arden gefror das Blut in den Adern, als er das Symbol der Weltregierung auf dem Revers seines Opfers entdeckte.
    „Ci-, Cipher… Pol?“
    „Cipherpol 4, um genau zu sein. Mein Name ist Kiln. Ich leite die Einheit. Und ich habe ein Wörtchen mit dir zu reden.“

    Aschewolken

    Die feierliche Beförderung fand im Gerichtssaal von Enies Lobby statt. Das Zeremoniell selbst war schnell erledigt, doch die Beglückwünschungen der anderen Agenten war eine zähe Prozedur. Jeder der Anwesenden wollte Kiln persönlich gratulieren. Seine Redegewandtheit machte ihn sehr beliebt in der Cipherpol und jedes Mitglied seiner ehemaligen Einheit wäre für ihn, ohne zu zögern, durch’s Feuer gegangen.

    Doch nun war er Leiter der CP8 und er musste sich erneut beweisen. Mit seinem getreuen Partner an der Seite, hatte Kiln jedoch keinerlei Bedenken. Zehn Jahre ist es nun her, als seine ehemalige CP-Einheit in Loguetown war, um Untersuchungen zu potenziellen Nachfahren des sogenannten ‚Piratenkönigs‘ durchzuführen. Dort traf er dann das erste Mal auf den jungen Marine-Soldaten, mit außergewöhnlicher Aura. Trotz seiner warmen, goldbraunen Augenfarbe hatte der Junge eine Eiseskälte im Blick. Und dass er ohne Skrupel und Mühe einen Agenten der Weltregierung ausschalten konnte, war der Funke, der Kilns Interesse an dem Jungen auflodern ließ. Es war ihm vollkommen egal, dass einer seiner Männer sein Leben lassen musste, hatte er doch direkt vor sich einen besseren Ersatz gefunden. Viel musste er nicht machen. Er wischte ihm mit seinem Seidentaschentuch Dreck und Asche von den Schultern, schüttelte das Tuch aus und flüsterte ihm ein paar beruhigende Worte zu - schon hatte er den Jungen für sich gewonnen. Seitdem ließ er ihn nicht mehr von seiner Seite weichen. Er veranlasste sogar, dass Arden die Teufelskraft erhalten sollte, die sein Vorgänger besaß. Arden wurde Kilns persönlicher Assistent und das blieb er auch, als dieser befördert wurde.

    Langsam hatte Kiln genug von den Gratulanten. In einem kurzen Moment der Ruhe suchte er im Saal nach Arden. Dieser war allerdings nicht aufzufinden. Das war nicht gut. Arden konnte große Menschenansammlungen nicht ausstehen, das wusste Kiln. Er musste ihn suchen. Doch bevor er sich von der Menschenmenge befreien konnte, wurde er von einem Beamten im Gerichtssaal aufgehalten.

    „Einheitsleiter Kiln! Generalkommandant Kong will Sie sprechen. Eine Teleschnecke steht im Nebenzimmer bereit!“

    ***
    Eine Eskorte also, und wir sollen schon heute das Zielobjekt im Marine-Hauptquartier auflesen. Wir müssen sofort aufbrechen. Wo ist Arden?

    Kiln durchsuchte das Gerichtsgebäude, doch er konnte ihn nicht finden. Langsam wurde er unruhig, als ein Mitglied seiner neuen Einheit mit zittrigen Schritten den Raum betrat. Sein Blick war leer, er atmete schwer. Schweißperlen standen auf seiner Stirn.

    „Sir… Agent Arden… Archiv… Erdgeschoss! Aber…“

    Der Agent drohte zusammenzubrechen, einer seiner Kameraden konnte ihn jedoch noch stützen.

    „Ich übernehme das. Zieht euch auf’s Schiff zurück, wir legen in Kürze ab!“

    Zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte Kiln so etwas wie Nervosität. Als er die Tür zum Archiv öffnete, sah er Arden an einem Regal stehen, seinen Blick auf eine Akte in seinen Händen gerichtet. Die Atmosphäre im Raum drückte auf Kilns Brustkorb. Es war, als wäre er dem erbarmungslosen Druck der Tiefsee ausgesetzt. Ardens Nasenlöcher stießen in unregelmäßigen Abständen Aschewolken aus. Ein Zeichen, so wusste Kiln, dass sein Assistent wütend war. In diesem Zustand konnte er seine Teufelskräfte nur schwer kontrollieren. Erst als Kiln sich Arden näherte, bemerkte dieser ihn.

    „Wussten Sie davon?“

    „Wov-“

    „WUSSTEN SIE DAVON?“, Arden stieß eine Aschewolke aus dem Mund. Er bebte vor Wut.

    Kiln durchströmte eine Welle aus Angst. Mit Mühe unterdrückte er das Gefühl und zückte gespielt ruhig sein Seidentaschentuch. Das Emblem der Weltregierung war darauf eingestickt. Er schüttelte es zwei-, dreimal aus und begann sanft zu sprechen.

    „Arden, beruhige dich. Wovon soll ich gewusst haben?“

    Das Beben ließ etwas nach. Arden sagte kein Wort, sondern streckte Kiln nur die Akte entgegen. Kiln musste schlucken, als er das Wort Tuna sah, das mit großen, roten Lettern auf den Umschlag gedruckt war.

    „Da ist ein Foto meines Vaters drin“, sagte Arden mit leicht stockender Stimme, „Warum wurde es durchgestrichen? Und warum haben Sie darunter unterschrieben?“

    Kiln öffnete die Akte. Darin war der Bericht einer Mission. Vor 17 Jahren wurde die gesamte Insel von einer CP-Einheit ausgelöscht – seiner CP-Einheit.

    „Arden, hör mir z-“

    „Ich dachte es waren Piraten, die meinen Vater umgebracht haben“, Kiln sah ein eiskaltes Funkeln in Ardens Augen. Sie hatten schon lange ihre Wärme verloren und ihre ehemals goldbraune Farbe glich nun mehr einem fahlen Erdton. „Hier steht, dass es Ihre Einheit war, die meine Heimatinsel angegriffen hat.“

    Kiln machte einen behutsamen Schritt auf den Agenten zu. Er durfte seine Nervosität nicht zeigen. Erneut zückte er sein Seidentaschentuch und begann, die Asche vom Regal vor Arden zu wischen.

    „Es ist die Wahrheit. Dein Vater, nein, alle Bewohner der Insel waren Schwerverbrecher.“

    Arden schluckte.

    „Die Bewohner von Tuna haben sich gegen die Weltregierung verschworen. Sie haben Piraten auf ihrem Weg zur Grandline unterstützt und ihnen Asyl gewährt. Es war unsere Pflicht als Vertreter der Weltordnung, sie zu eliminieren“, Kiln wischte Arden Asche von seinen Schultern, „das verstehst du doch?“

    „Ich…“, Ardens Augen verloren ihr eisiges Funkeln, „Verstehe.“

    Der Druck von Kilns Brustkorb ließ nach. Er atmete tief durch.

    „Arden. Du bist der fähigste Agent, der mir je begegnet ist. Ich vertraue dir, wie keinem anderen. Die anderen Agenten haben Angst vor dir. Sie sagen, du seist kalt. Wie erloschene Glut. Aber ich kenne dich. Du bist nicht kalt. Das Feuer in deinem Herzen, es brennt. Es brennt, für die Weltregierung!“

    Die Worte durchdrangen Ardens Körper wie eine glühende Woge. Kilns Blick wurde sicher.

    „Und jetzt haben wir eine Aufgabe zu erledigen, Agent. Auf zum Schiff. Wir müssen Dr. Vegapunk in die Neue Welt eskortieren!“

    „Jawohl, Sir!“


    Ascheschleier

    Endlich hatten Sie Punk Hazard erreicht. Bald würden sie Vegapunk bei der Forschungsstation abliefern und die Mission abschließen können. Die Stimmung während der Eskorte war angespannt. Dabei war zuerst alles unaufgeregt. Sie hatten den Forscher im Marinehauptquartier aufgelesen und Kiln hatte ihn willkommen geheißen, doch schon nach wenigen ausgetauschten Worten begann Vegapunk den Einheitsleiter zu ignorieren. Er antwortete weder auf Fragen, noch reagierte er auf Kilns Versuche, oberflächliche Konversation zu führen. Arden bemerkte schnell, dass Kiln diese Situation nicht ausstehen konnte. Er sah, wie er des Öfteren seine Faust unter dem Cape, das er über seiner linken Schulter trug, ballte.
    Die Forschungsstation war nicht mehr weit, gleich hinter dem nächsten Hügel. Plötzlich spuckte Arden in Richtung Gebüsch am Wegesrand, wo sich im nächsten Moment wie aus einer Explosion eine Aschewolke ausbreitete. Mehrere Gestalten preschten aus der Wolke heraus und blieben hustend in der Mitte des Weges stehen. Die Unbekannten trugen Kapuzenmäntel, die tief über ihre Gesichter gezogen waren.


    „Wer seid ihr? Gebt euch zu erkennen!“, Kiln unterdrückte seine Anspannung. Seine Stimme klang gewohnt ruhig.
    „Sie haben uns wohl entdeckt“, hustete die größte der Gestalten mit schriller Stimme.
    „Im Namen der Weltregierung! Ich befehle euch, euch zu identifizieren!“, nun wirkte der Einheitsleiter etwas beunruhigt.
    „Das hättest du wohl gerne, Schätzchen!“, mit einem Satz stürmte der Unbekannte mit hohem Tempo auf Kiln zu.

    Wieder reagierte Arden als erster. Eine Handbewegung und die Aschewolke im Gebüsch verformte sich zu einem dichten Klumpen. Dieser schoss auf den Angreifer zu, traf ihn hart auf die Schläfe und schleuderte ihn zur Seite. Beim Aufprall verlor der Vermummte seine Kapuze und seine blauen Locken kamen zum Vorschein. Die restlichen Kapuzenträger stürmten nun auf die Agenten zu.

    „Emporio Ivankov“, ein Beben begleitete die Stimme von Kiln.
    „Du bist wohl ein Fan, Süßer?“, der Revolutionär stemmte sich unbeeindruckt auf die Beine.
    Kiln schien nun seine Ruhe verloren zu haben, „Verdammt nochmal! Beschützt das Zielobjekt!“

    Die Fronten prallten aufeinander. Keine der Parteien ließ sich zurückdrängen. Ivankov machte erneut einen Satz auf Kiln zu, doch Arden war schneller. Er blockte den kräftigen Tritt des Revolutionären ab. Arden spie Asche aus seinem Mund, um dem Angreifer die Sicht zu nehmen. Doch plötzlich wurde die Asche, die sei umgab durch Luftstöße aufgewirbelt. Arden blickte hinter sich. Es war Kiln. Er schwang sein Cape, welches das Emblem der Weltregierung zierte, wie eine Flagge durch die Luft. Arden spürte auf einmal eine unglaubliche Kraft in ihm aufkeimen.

    Die Kraft der Ansporn-Frucht.

    „Schlagt die Verbrecher zurück!“, rief Kiln den Agenten zu.

    Die Stimmung änderte sich schlagartig. Die CP8-Agenten überrannten die Revolutionäre regelrecht. Einer nach dem anderen wurde von den Agenten kampfunfähig gemacht, bis nur noch Ivankov übrig war. Dieser bewegte sich blitzartig über das Kampffeld, „Mich kriegt ihr nicht, Schätzchen!“
    „Los jetzt, Männer! Angriff!“, Kilns Worte gaben Arden einen weiteren Kraftschub.
    „Everett, gib mir dein Gewehr!“, befahl Arden dem Agenten neben ihm.

    Everett übergab ohne Widerwort seine Waffe. Arden legte an. Er spuckte dreimal aus, zielte zwischen die entstehenden Wolken. Ein Schuss – gefolgt von einem dumpfen Geräusch.

    „Verdammt! Seesteinkugeln!“, die Selbstsicherheit war aus Ivankovs Stimme verschwunden. Als sich die Asche legte sah Arden wie der Revolutionär blutend vor Kiln lag.
    „Arden - Hol das Seestein-besetzte Netz von unserem Schiff! Wir werden der Marine ein kleines Präsent bereiten. Der Rest bringt Vegapunk sofort zur Station. Ich habe das hier im Griff“, Kiln schwang weiterhin sein Cape. Zwei Agenten packten Vegapunk grob an den Armen, dieser wirkte etwas betrübt, und die Gruppe verschwand mit ihm in Richtung Forschungsstation.

    Arden erreichte das Schiff und nahm das engmaschige Netz in die Hände. Schon lange hatte er kein solches mehr gehalten. Es fühlte sich zugleich fremd und vertraut an. Zurück auf dem Kampffeld, bewegte sich der Agent langsam auf Ivankov zu. Dieser riss panisch seine Augen auf. Arden schwang das Netz einmal über seinen Kopf und warf es in Richtung des Revolutionären. Der Wurf war unsauber, würde sein Ziel aber treffen.

    „DEATH WINK!“ Mit einem lauten Knall flog Ivankov zur Seite und blieb bewusstlos liegen. Die Druckwelle seiner Attacke jedoch veränderte die Flugbahn des Netzes. Kiln konnte nicht mehr reagieren und wurde unter dem Netz begraben.
    Arden brach zusammen. Ein Schwall aus Gefühlen übermannte ihn. Sein Kopf wurde mit Tausenden Bildern auf einmal überschwemmt. Erinnerungen an seinen Vater, das brennende Tuna, Kilns Gesicht, das Emblem der Weltregierung. Beim letzten Bild musste Arden plötzlich unkontrolliert schreien. Die unterdrückte Wut in seinem Bauch suchte sich einen Weg nach draußen.

    Die Weltregierung… Sie ist schuld am Tod meines Vaters, an der Auslöschung meiner Heimat. Sie ist… böse! Warum erkenne ich das erst jetzt? Wie konnte ich nur für diese Teufel arbeiten?!

    Ardens Blick traf Kiln, der sich kraftlos unter dem Netz herauszuziehen versuchte.

    Er hat mich mit seinen Worten vergiftet. Jeden Tag auf’s Neue. Aber wie konnte er…? Die Ansporn-Frucht!

    Dann erkannte er, was aus Kilns Revers-Tasche herausragte.

    Das Seidentaschentuch mit dem Emblem der Weltregierung! Es sieht aus wie eine kleine…

    Die Wut, die Arden durchströmte ließ ihn seine Schmerzen vergessen und neue Energie schöpfen. Er rappelte sich auf, bewegte sich langsam auf Kiln zu. Er schaute auf seinen Vorgesetzten hinunter. Blanke Angst verzerrte Kilns Gesicht, als er die Augen des Agenten sah, „Arden… Nicht!“

    Mit einer einzigen Handbewegung brach Arden seinem einstigen Mentor das Genick.
    Ein mechanisches Klicken war zu hören. Arden drehte sich um. Everett stand vor ihm, sein Gewehr im Anschlag. Arden verzog keine Miene, nur eine einzelne Träne quoll aus seinen fahlen, erdfarbenen Augen hervor, als der Agent den Abzug betätigte.
    Arden landete auf seinem Rücken. Sein Atem war flach. Er blickte gen Himmel. Kalte, weiße Flocken fielen auf ihn herab. Nach und nach wurde der Agent unter ihnen begraben.

    Asche? Nein… Keine Asche… Schnee.
    Saga: König der Unterwelt (Schwelende Glut - Loderndes Feuer - Kalte Asche)

    Schwelende Glut
    Loguetown, East Blue

    Das Treffen fand in einem ausrangierten Weinkeller unter einem unscheinbaren Gebäude statt. Die Wände waren meterdick und fensterlos. Der Raum selbst erstreckte sich etliche Meter in die Tiefe. Riesige Holzfässer waren in zwei Reihen nebeneinander aufgestellt, mit genug Abstand, dass man zwischen ihnen hindurchgehen konnte. Am Eingangsbereich nahe der Treppe standen ein Tisch und ein paar Stühle. Alles war mit einer dicken Staubschicht bedeckt. Hier unten ist schon lange niemand mehr gewesen. Der perfekte Ort also für diesen Anlass.

    Drei Männer in schwarzen Anzügen betraten den Keller. Ihre Körper wirkten angespannt, ihre Mienen waren hoch konzentriert. Als sie unten ankamen, nickte einer der Männer in Richtung der Holzfässer. Die anderen beiden verstanden und begannen, die hinteren Ecken des Raumes zu inspizieren. Erst, als sie jede Ecke gecheckt hatten, entspannten sich ihre Körper ein wenig.
    „Alles sauber.“
    Der Mann, der die Anweisungen gab, sah auf seine Uhr. „Dann warten wir nun.“

    Es dauerte eine ganze Weile, bis sich etwas tat, doch irgendwann waren Schritte oben auf der Treppe zu hören. Sofort waren die drei Männer im Keller wieder in Alarmbereitschaft. Ein weiterer Mann kam die Treppe herunter. Energisch, fast schon tänzelnd. Er war mittelgroß und von schlaksiger Statur, trug einen weißen Anzug und eine Fliege. Das kurze, schwarze Haar hatte er nach hinten gegelt. Trotz seines mittleren Alters wirkte sein Gesicht jung, fast schon bubenhaft. Das schelmische Grinsen auf seinen Lippen tat sein Übriges. Nichts an diesem Mann sah gefährlich aus. Nichts, bis auf den Blick in seinen Augen. Als er am Ende der Treppe ankam, klatsche er fröhlich in die Hände.
    „Wie ich sehe, haben Sie es sich bereits gemütlich gemacht. Dann lasst uns doch beginnen.“
    „Nicht so schnell“, entgegnete der Anführer des Trios und deutete auf den Neuankömmling. „Durchsucht ihn.“
    Doch der Mann im weißen Anzug protestierte: „Ach kommen Sie, Carson, wir beide können uns inzwischen doch wohl vertrauen. Oder etwa nicht?“
    Demonstrativ stülpte er die Innenseiten seiner Hosentaschen nach außen: „Ich bin vollkommen unbewaffnet.“
    Doch Agent Carson ließ sich nicht beirren. Erst als seine beiden Gehilfen tatsächlich keine Waffe finden konnten, fuhr er fort: „Wo ist die vereinbarte Ware, Hades?“
    „Ah, natürlich“, entgegnete sein Gegenüber, drehte sich zur Treppe um und klatsche zwei Mal in die Hände. „Beinahe hätte ich das wichtigste vergessen.“
    Erneut waren Schritte auf der Treppe zu hören, dieses Mal jedoch schwer und stumpf. Ein hünenhafter Mann erschien am Ende der Treppe. Er passte kaum durch das enge Treppenhaus und musste seinen kahlen Kopf einziehen, um sich nicht den Schädel zu stoßen. In den Händen trug er eine Holztruhe, die mit einem stabilen Schloss versehen war.
    „Martinez kennen Sie ja bereits.“
    „Übergeben sie uns die Truhe“, befahl Agent Carson, doch Hades hob nur entschuldigend die Hände.
    „Was das angeht, muss ich leider auf eine meiner obersten Regeln beharren: erst das Geld, dann die Ware. Da kann ich selbst bei meinen Freunden von der Weltregierung keine Ausnahme machen.“
    Agent Carson schnaubte verächtlich: „Sie glauben ernsthaft, dass wir nach Ihren Regeln spielen? Schauen Sie sich doch um. Sie sind unbewaffnet, gefangen in einem Keller mit drei Agenten der Weltregierung. Was glauben Sie, wie hoch Ihre Chancen sind, aus der Sache lebend wieder herauszukommen?“
    „Nun, ich habe ja immer noch Martinez an meiner Seite“, erwiderte Hades und begann langsam im Raum auf und ab zu laufen, so als mache er einen Spaziergang im Wald. Doch diese Antwort entlockte dem Agenten nur ein kaltes Lachen.
    Der Mann im weißen Anzug jedoch fuhr unbeirrt fort: „Das heißt, natürlich nur, solange er nicht gemeinsame Sache mit Ihnen macht. Aber du würdest mich doch niemals hintergehen, Martinez, nicht wahr?“
    Plötzlich änderte sich der Ausdruck auf Hades‘ Gesicht. Das belustigte Lächeln war einem diabolischen Grinsen gewichen. Auf Martinez‘ Stirn dagegen bildeten sich Sorgenfalten und auch das Lachen des Agenten erstarb. „Woher wissen Sie…?“
    „Informationen sind mein Gewerbe. Verrat gehört zum Geschäft dazu.“
    Der Agent schien den ersten Schock überwunden zu haben: „Wie dem auch sei, das ändert auch nichts mehr an Ihrer Situation. Sie sind hier mit uns eingesperrt, es gibt für Sie keinen Ausweg aus diesem Keller. Zumindest nicht lebendig. Ihre perfide Art ist der Weltregierung schon lange ein Dorn im Auge und es erfüllt mich mit Genugtuung, derjenige zu sein, der Ihrem Treiben ein Ende bereiten darf.“
    Die beiden anderen Agenten zogen nun ihre Pistolen und richteten sie auf Hades. Doch dieser schien sich davon nicht aus der Ruhe bringen zu lassen: „Das ist typisch für eure Organisation. Ihr glaubt, ihr seid unantastbar. Doch diese Zeiten sind lange vorbei.“ Hades machte nun einen Schritt auf Agent Carson zu und bleckte die Zähne. „Und was Sie persönlich betrifft, Carson: Sie müssen verstehen, dass Sie hier unten mit mir eingesperrt sind!“
    „Erschießt ihn!“
    Peng. Peng. Zwei ohrenbetäubende Pistolenschüsse erfüllten den Keller.

    Ein Mann stand am Rande einer Klippe, die Geburtsstadt des Piratenkönigs im Rücken und starrte hinaus auf die tiefschwarze See. Sein weißer Anzug war mit roten Blutspritzern übersät. Er dachte an die Holztruhe und ihren blutigen Inhalt, die gerade auf dem Weg nach Mary Joa war, und ein wohliger Schauer freudiger Erwartung lief ihm über den Rücken. Die Stadt, in der alles anfing und endete - kein schlechter Ort, um seine eigene Reise zu starten. Noch tappte die Welt im Dunkeln. Doch schon bald würde sie von einem Feuer erleuchtet werden. Schon bald er würde er diese Welt brennen sehen.

    Loderndes Feuer

    Sabaody Archipel, Mangrove 13

    Madame Maggy saß in ihrem Wohnzimmer, als der unangekündigte Besucher ihr Haus betrat. Selbstverständlich hatte sie ihn bereits erwartet. Sie hatte es gesehen. Auf den ersten Blick wirkte der Mann nicht sonderlich bedrohlich, mit seinem jugendlichen Gesicht und seinem weißen Anzug. Doch Madame Maggy wusste es besser. Man konnte jemanden nicht nach dem Äußeren beurteilen. Sie selbst war das beste Beispiel. Ihr eingefallener Körper war auf die Größe eines Kindes geschrumpft, ihre Haut inzwischen rau und faltig. Ihre alten Knie schmerzten bei jedem Schritt, sodass sie sich nur noch auf einer Seifenblase vorwärtsbewegte. Doch die Erfahrung von hundertvierzehn Jahren hatte ihre Kräfte gestärkt und ihr Verstand war wacher denn je. Sie sah die Gefahr, die diesen Mann umgab wie eine unheilvolle Aura.
    „Sie haben mich bereits erwartet?“ stellte der Mann im weißen Anzug erfreut fest und zwinkerte in Richtung des runden, aufwändig verzierten Tisches, auf dem Madame Maggys Kristallkugel platziert war: „Dann können wir ja gleich loslegen.“
    „Ich werde Ihnen nicht geben, was sie wollen. Lieber sterbe ich.“
    Doch der Mann ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Im Gegenteil, er wirkte belustigt und hob nur beschwichtigend die Hände: „Aber, aber, meine Liebe… warum denn gleich so gewalttätig?“
    Sein Gesichtsausdruck änderte sich. Das Lächeln wirkte nun diabolisch und sein eiskalter Blick schien Maggy zu durchbohren: „Wir wissen doch beide schon längst, dass Sie das doch tun werden.“
    Plötzlich ging ein Ruck durch ihn hindurch und einen Lidschlag später stand er auch schon direkt vor Maggy. Er zog sie näher zu sich heran: „Es geht ganz einfach, völlig ohne Gewalt. Ein simpler Tausch. Ich erzähle Ihnen ein Geheimnis über mich und im Gegenzug verraten Sie mir, was ich wissen will.“
    Der Mann beugte sich nun noch ein Stück näher an Maggy heran, brachte seine Lippen ganz nah an ihr Ohr. Maggys Augen weiteten sich, als er ihr etwas zuflüsterte und eine unsichtbare Kraft durch sie hindurchströmte. Es war, als ergriffe etwas die Kontrolle über sie. Maggy versuchte sich zu wehren, doch sie spürte, dass diese dunkle, teuflische Macht stärker war. Sie versuchte die Zähne zusammenzupressen, doch ihre Lippen hatten ein Eigenleben entwickelt und formten die tiefen, tierischen Laute, die aus ihrer Kehle hervordrangen, zu Worten.

    Sabaody Archipel, Mangrove 24

    Das Mondschein-Theater hatte seine besten Tage lange hinter sich. Die äußere Fassade bröckelte, die Farbe war längst verblasst. Der Innenraum sah auch nicht viel besser aus. Die ikonischen roten Sessel waren zerschlissen, die runden Tische zerkratzt und verstaubt. Das Theater stand inzwischen seit über zehn Jahren leer. An diesem Abend jedoch erfüllte zum ersten Mal wieder aufgeregtes Gemurmel den Saal, als eine Schar illustrer Gäste gemeinsam auf den Beginn der Show wartete.

    Plötzlich tat sich etwas. Der Vorhang öffnete sich und ein schlaksiger Mann in einem weißen Anzug betrat die Bühne, die Arme weit ausgebreitet und ein aufgeregtes Grinsen auf dem Gesicht.
    „Ich freue mich, dass Sie alle meiner Einladung gefolgt sind. Wie Sie sicher bereits festgestellt haben, befinden sich in diesem Raum einige der einflussreichsten Persönlichkeiten unserer allseits geliebten Unterwelt. Sie alle haben sich in den letzten Jahrzehnten einen Namen gemacht. Namen, die auf der Welt Angst und Schrecken verbreiten“, der Mann auf der Bühne zog eine verängstigte Grimasse. „Huuuh!“
    Einige Leute im Saal sahen irritiert zu ihren Sitznachbarn, verärgertes Gemurmel setzte ein. Wer war dieser Clown bloß?
    Der Mann auf der Bühne ließ sich davon jedoch nicht beirren: „So unterschiedlich Ihre Interessen auch sein mögen, es gibt etwas, dass Sie alle miteinander verbindet: Heute ist der Tag, an dem Sie alle sterben werden.“
    Er wartete einen Moment, ließ die Worte im Saal wirken. Die Unruhe wuchs weiter an. Einige Gäste protestierten lautstark, während andere lauthals lachten.
    Doch der Mann im weißen Anzug setzte seine Rede fort, schrie nun fast gegen den Lärm an: „Egal ob Korruption, Bestechung oder illegaler Handel – Sie alle verdanken Ihren Ruhm der Zusammenarbeit mit der Weltregierung. Doch der Ruhm hat Sie blind gemacht. Sie sehen nicht, dass die Weltregierung Sie nur benutzt. Ich hingegen habe die Weltregierung herausgefordert. Und was ist passiert? Ich wurde ignoriert. Doch heute werde ich ihr den Krieg erklären. Heute werde ich ein Leuchtfeuer entfachen, dass die Weltregierung nicht ignorieren kann. Heute werde ich, Hades, eine neue Ära einleiten."
    Hades hob seine rechte Hand in die Höhe und schnipste. Der Vorhang schloss sich wieder und ließ die verdutzte Menge im Saal zurück. Einige Augenblicke rührte sich niemand. Sie warteten auf weitere Erklärungen. Was war das gerade? Doch nichts geschah. Einige der Unterwelt-Bosse begannen wütend miteinander zu diskutieren. Wie konnte es dieser Emporkömmling nur wagen, sie so zu beleidigen? Die ersten Gäste wollten schon aus dem Saal stürmen, doch die Türen waren fest verschlossen. Einige andere versuchten, die Bühne zu stürmen und Hades zu verfolgen. Doch gerade, als die ersten den Vorhang erreicht hatten, erschütterte eine Explosion das Theater.

    Das ploppende Geräusch der Seifenblasen erfüllte die Nachtluft, als ein einsamer Mann gemächlichen Schrittes durch den Distrikt marschierte. Aus der Ferne waren Schreie zu hören und eine seichte Brise verteilte den Geruch von Rauch und Asche über den Archipel. Der weiße Anzug des Mannes war mit schwarzen Rußpartikeln bedeckt, in der Hand balancierte er ein rostiges Messer. Als er am Baum mit der Aufschrift 27 angekommen war, blieb er stehen und starrte gedankenverloren in den Nachthimmel.

    Wenn der himmlische Drache vom Throne fällt,
    Erhebt sich der König der Unterwelt.
    Ein tödliches Spiel, wer will es wagen?
    Das Leben, es hängt am seidenen Faden.


    Kalte Asche

    Sabaody Archipel, Grandline, 1509

    Jim erstarrte. Vor seinem inneren Auge liefen die letzten Monate seines Lebens wie Szenen aus einem Film ab. Der Tag, an dem er Mary zum ersten Mal sah. Ihr erstes Rendezvous im Freizeitpark. Ihr erster Kuss, auf dem höchsten Punkt im Riesenrad. Und schließlich sein Heiratsantrag. Es war alles so schnell gegangen, doch das war ihm egal. Er, Jim Richbrook, ein einfacher Hafenarbeiter, war der glücklichste Mann auf der ganzen Welt. Womit hatte er eine solche Frau nur verdient? Es war wie in einem Traum. Doch dieser Traum schien nun zu zerplatzen.
    Der Himmelsdrache begutachtete Mary, als wäre sie Handelsware. Er begrapschte ihre Brüste, ihren Hintern. Jim wurde übel.
    „Die will ich. Das wird meine Frau Nummer 14“, wandte sich der Adlige an seinen Begleiter, packte Mary am Handgelenk und zog sie hinter sich her.
    Plötzlich packte Jim der Mut der Verzweiflung. Er hatte sein ganzes Leben lang hart gearbeitet. Sein Körper war gestählt. Und außerdem hatte er noch das Messer, mit dem er ihre Namen in die Rinde der Mangrove 27 geritzt hatte. Alle Warnsignale ausblendend stürmte er auf den Himmelsdrachen zu. Doch noch bevor er auch nur in die Nähe des Adligen kam, stellte dessen Begleiter sich Jim in den Weg. Mit einer gekonnten Bewegung brachte er Jim aus dem Gleichgewicht, ergriff die Hand mit dem Messer und brach Jim das Handgelenk. Dieser Schrie auf, doch Wut und Verzweiflung trieben ihn an. Er holte mit der anderen Hand aus, doch erneut war sein Gegenüber schneller. Er wich aus und rammte Jim das Messer in die Flanke. Geschlagen sank Jim zu Boden.
    Mary schrie entsetzt auf: „Nein, bitte verschont ihn! Er ist der Vater meines ungeborenen Kindes!“
    „Nanu, schwanger?“ Angeekelt ließ der Himmelsdrache Mary los. „Dann will ich dich nicht.“
    Tränen in den Augen robbte sie auf ihren Verlobten zu. Jim war kaum noch bei Bewusstsein, doch ein Gefühl der Erleichterung durchströmte ihn, als er das Gesicht seiner Liebsten über sich erblickte. Vielleicht würde ja doch noch alles gut werden. Keiner der beiden bemerkte, wie der Himmelsdrache seine Pistole zog. Ein ohrenbetäubender Schuss zerriss die Luft. Das letzte, was Jim spürte, war wie Marys lebloser Körper auf ihn niedersackte. Dann wurde es schwarz.


    Mogaro Königreich, Neue Welt, 1516

    Hades starrte gedankenverloren auf das rostige Messer, das er in seinen Händen hielt. Jim Richbrook war tot. Nichts weiter als eine verblasste Erinnerung. Da war nicht einmal mehr Schmerz, nur Leere. Die Tür zum Thronsaal flog auf und riss Hades aus seinen Gedanken. Zwei Männer in Uniformen schleiften einen Mann hinter sich her, den Kopf unter einem Leinensack versteckt, und stießen ihn unsanft vor dem Thron zu Boden. Hades setzte ein grimmiges Lächeln auf. Zeit, die Leere zu füllen. Auf sein Zeichen hin rissen die Wachen dem Mann die Haube vom Kopf, wobei sie so grob vorgingen, dass dem Mann seine Krone vom Kopf fiel und scheppernd auf dem Marmorboden landete.
    „Verzeiht mir die Umstände, Euer Gnaden. Ich hoffe, Ihre königlichen Augen werden meinen Anblick ertragen können.“
    Die letzten Monate hatten ihre Spuren hinterlassen. Seitdem er nicht nur der Weltregierung, sondern auch der halben Unterwelt den Krieg erklärt hatte, war sein Leben ein Katz-und-Maus-Spiel. Hades‘ sonst so makelloser weißer Anzug war fleckig und an einigen Stellen zerschlissen. Seine Haare wucherten wild und er hatte dunkle Ringe unter den Augen. Doch diese Augen funkelten noch immer wie die Augen eines Raubtiers auf der Jagd.
    Der König blickte sich im Raum um, eine Mischung aus Wut, Enttäuschung und Abscheu auf dem Gesicht: „Meine eigene Leibgarde… wie könnt ihr es wagen?! Das ist Hochverrat und dafür werdet ihr büßen!“
    Genervt rollte Hades mit den Augen. Es war immer dasselbe. Die Mächtigen dachten, mit Loyalität, Angst oder Geld könne man jeden Menschen kontrollieren. Wie langweilig. Doch Menschen waren viel spannender, viel abwechslungsreicher. Jeder Mensch hatte seinen ganz persönlichen Druckpunkt. Das war Hades‘ Waffe. Und Informationen waren seine Munition.
    „Ach, papperlapapp! Für Sentimentalitäten haben wir keine Zeit. Sie waren doch vor Kurzem erst in Mary Joa beim Reverie, nicht wahr, Majestät? Sie müssen mir unbedingt alles darüber erzählen!“
    Hades stand nun vom Thron auf und bewegte sich auf den König zu.
    „Es ist nämlich so: Wie mir zu Ohren gekommen ist, befindet sich irgendwo im Schloss Pangaea ein Schatz, der so wertvoll ist, dass sein Verlust das Ende der Weltregierung bedeuten könnte.“
    Der König spuckte vor Hades auf den Boden: „Einen Scheiß werde ich!“
    „Zu Ihrem Bedauern wird Ihnen leider keine Wahl bleiben. Dank meiner Fähigkeit werden Sie mir alles erzählen, was ich wissen will. Ich muss Ihnen lediglich ein kleines Geheimnis über mich verraten.“
    Damit beugte sich Hades nach unten zum König und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der Ausdruck auf dessen Gesicht wechselte von Wut zu Schock. Er versuchte sich gegen die dunkle Macht zu stemmen, die von ihm Besitz ergriff, doch erfolglos. Sein Mund begann sich zu öffnen und seine Kehle brachte unnatürliche Laute hervor.
    Doch plötzlich, noch bevor der König etwas verraten konnte, schloss sich sein Mund wieder. Es schien fast, als sei er mit unsichtbaren Fäden zugenäht worden.
    „Fuffuffufu, welch interessante Fähigkeit.“
    Hades fuhr herum. Hinter ihm saß plötzlich ein großer Mann mit Sonnenbrille auf dem Thron. Wie war er bloß unbemerkt dahingelangt?
    „Du bist also derjenige, der die Unterwelt in Aufruhe versetzt hat. Doch so amüsant dein Krieg mit der Weltregierung auch sein mag, du bist leider schlecht fürs Geschäft. Hier ist der Weg für dich zuende, Hades.“

    Saga: Schein und Sein (Das Treffen - Gesicht und Gefunden! - Offenbarung)

    Das Treffen

    Spider Miles, North-Blue, in einer großen, florierenden Kneipe am Stadtrand


    „Darf‘s noch was sein?“

    Mürrisch blickte die Person am Tresen von seinem Bierkrug auf in das freundlich lächelnde Gesicht der Barkeeperin, welche ihn erwartungsvoll anblickte und auf sein leeres Glas deutete. Er antwortete mit einem kurzen Nicken und schob wortlos den Krug über den Tresen.

    „Dasselbe?“

    Erneut nur ein Nicken.

    „Neu hier?“, versuchte es die Bedienung mit etwas Small-Talk, erhielt jedoch nur ein kurzes Kopfschütteln zur Antwort.

    „Hab Sie hier noch nie gesehen“, fuhr sie unbeirrt fort, ungeachtet des Desinteresses ihres Gegenübers, „Ist ein kleines Städtchen, viele sind nur kurz hier, meist beruflich.“

    Beruflich. Tja, genau genommen war er tatsächlich beruflich in der Stadt. Seit die Don Quichotte-Piratenbande ihn vor Jahren bei einem ihrer Raubzüge rekrutiert hatte, seither verdiente er sein Geld mit diversen Botengängen für seine Wahlfamilie.

    „Das Kopfgeld ist übertrieben!“, drang eine schrille Stimme vom Tisch hinter ihm an sein Ohr.

    „100.000.000 Berry? Andere sind stärker und haben weniger Kopfgeld!“

    „Das richtet sich nicht nur nach der reinen Kraft, sondern auch nach der Gefahr für die Marine!“, antwortete sein dickbäuchiger Kamerad besserwisserisch, leerte sein Bier und lies den Krug knallend auf die Tischplatte niedersausen.

    „Interessant…“, murmelte daraufhin ein dritter und notierte etwas in sein Notizbuch, „Nächste Frage: Was ist die stärkste Teufelsfrucht?“

    „Einfach! Whitebeards Erdbeben-Frucht!“

    „Waaaaas?!“, erwiderte sein schrillstimmiger Kumpane neben ihm ungläubig, „Unsinn! Gegen Kaido’s oder Kuzans Teufelskräfte kommt der Alte niiiie im Leben an!“

    „Das war aber nicht die Frage, du Fanboy!“

    „Selber Fanboy!“

    Oh man, wie lange musste er das noch ertragen? Seit 2 Stunden führte dieser junge, schlaksige Kerl mit den kurzen, blonden Haaren und seinen rot-schwarzen Anzug am Tisch hinter ihm Bewerbungsgespräche mit diversen Piraten. Stellte ihnen haufenweise sinnlose, unzusammenhängende Fragen und notierte eifrig Stichpunkte in sein Notizbüchlein.

    „Und?“, hörte er den Dickbäuchigen fragen, „Haben wir den Job?“

    Der Blonde seufzte kurz auf und ließ sein Notizbuch geräuschvoll zuklappen.

    „Schwer zu sagen. Unser Kapitän ist ein gefragter Pirat, alle wollen sie zu ihm, aber nur wenige Auserwählte haben letztlich die Chance uns zu begleiten“, er beugte sich verschwörerisch über den Tisch, „Aber ihr gefallt mir, ich werde ein gutes Wort für euch einlegen.“

    Ein Grinsen schlich sich auf das Gesicht des Mannes an der Bar. Denselben Satz hatte er heute bei jedemBewerber gehört!

    „Wir melden uns. Noch Fragen? Nein? Gut, dann war’s das für heute!“

    Ein Stühlerücken hinter ihm ertönte und bereits im nächsten Moment hörte er das Klingeln der Türglocke, als die beiden Männer die Kneipe verließen.

    Der blonde Anzugträger tauchte neben ihm am Tresen auf und setzte sich auf einen freien Barhocker. Ein schneller Wink zur Bardame, kurz darauf stand auch schon ein gut gefülltes Glas mit goldbraunem Inhalt vor ihm.

    „Das hab ich mir verdient“, erwiderte er schelmisch grinsend, als er den Blick seines Tresen-Nachbarns bemerkte, „Diese Recruiting-Interviews sind immer so anstrengend…“

    Ein Schmunzeln schlich sich auf das Gesicht des Mannes.

    „Ich heiße übrigens Anthony“, sagte der Blonde und reichte ihm seine Hand. Etwas widerwillig schüttelte er diese und murmelte ein kurzes „Tom“

    Schweigend tranken sie in den nächsten Minuten nebeneinander ihr Bier. Neugierig musterte Anthony dabei seinen Trinknachbarn, trommelte nachdenklich mit den Fingerkuppen auf seinem Notizbüchlein, rang kurz mit sich selbst, ehe er es doch aufschlug und sich seinem Nachbarn zuwandte.

    „Ernsthaft? Ein Bewerbungs-Interview?“, kam ihm Tom zuvor und bedachte ihn mit einem skeptischen Blick über den Rand seines leeren Glases hinweg.

    „Wer weiß. Kommt drauf an.“

    Anthony gab der Bardkeeperin ein kurzes Handzeichen, kurz darauf stand bereits das nächste Glas, gefüllt mit schaumig-goldbraunen Inhalt vor ihnen auf dem Tresen.

    „Geht auf mich.“

    „Danke“, erwiderte Tom, „Und worauf kommt es an?“

    „Auf deine Antworten.“

    „Na dann, schieß los.“

    „Okay“, er zückte sein Notizbuch, „Was ist die stärkste Teufelsfrucht?“

    Tom brauchte nicht lange zu überlegen.

    „Da gibt es keine Antwort. Eine Teufelsfrucht ist immer nur so stark wie sein Besitzer! Und die Stärken und Schwächen der Teufelskraft seines Gegners…“

    Ein breites Grinsen schlich sich auf Anthonys Gesicht.

    „Der erste mit einer vernünftigen Antwort.“

    „Na dann, nächste Frage.“

    „Ach, ich glaube das reicht“, sagte Anthony und winkte ab.

    „Durchgefallen? So schnell?“

    „Ganz im Gegenteil!“

    Verwirrt blickte Tom seinen Gegenüber an.

    „Willkommen bei den Devilfruit-Pirates! Glückwunsch!“

    „Wer sagt, das ich das überhaupt möchte?“

    „Ich!“, verschwörerisch lehnte sich Anthony zu ihm herüber, „Ich beobachte dich schon länger, Tom. Du bist einer von Jokers Leuten. Ich hab Nachforschungen angestellt.“

    „Aha“, erwiderte Tom skeptisch, „Na, dann sag mir: warum sollte ich zu euch überlaufen?“

    Ein Grinsen schlich sich auf Anthonys Lippen.

    „Weil unser Captain etwas Großes vorhat. Er ist auf der Suche nach etwas Bestimmten, etwas, was alles verändern wird! Und du bist dabei!“

    Er leerte sein Bierglas, fischte eine Visitenkarte aus seinem Jackett und reichte sie ihm.

    „Überleg es dir. Wir legen morgen in der kleinen Bucht hinterm Berg ab.“

    Zögernd griff Tom nach der Karte.

    „Wieso ich und nicht einer der anderen Bewerber?“

    Der Blonde schaute sich in der Bar um.

    „Welche anderen Bewerber?“, fragte er breit grinsend.

    „Na, all die…“, setzte Tom an und stockte mitten im Satz. Verwundert blickte er sich in der Bar um. Sie waren alleine! Der hektische Trubel, die lauten Gespräche, selbst die Barkeeperin war verschwunden. Die zuvor noch schick eingerichtete, belebte Kneipe war nun eine heruntergekommene, wohl seit längerem stillgelegte Bar.

    „Es gab nie andere Bewerber“, hörte er Anthony auf dem Weg zur Tür sagen, „Bis morgen, Tom…“

    Ein letztes Türglockengebimmel und er war verschwunden.
    Gesucht und gefunden!

    Grandline, irgendwo im Nirgendwo im mysteriösen Dreieck…


    Der Wind peitschte ihm ins Gesicht, der Regen prasselte in Strömen auf ihn herab und durchtränkte seine Kleidung, während er vergeblich versuchte das Tau des noch geöffneten Segels von der Reling zu lösen.

    „Mach schon! Sonst kentern wir!!“, hörte er Anthony durch das donnernde Grollen des Sturmes um sie herum schreien.

    „Feuer!!!“

    Krachend schlug die Kanonenkugel nur knapp neben ihnen ins Wasser.

    Als wäre der Sturm nicht schon genug, nein, sie mussten sich auch noch mit einer anderen Piratenbande auseinandersetzen, die ihnen jetzt schon seit Wochen auf den Fersen war. Auf was hatte sich Tom da nur eingelassen… das hatte er sich in letzter Zeit häufiger gefragt. Seit er Anthony in dieser Bar kennengelernt und sich seiner Bande angeschlossen hatte, hatte sich alles verändert. Natürlich hatte er nicht widerstehen können und war am nächsten Tag zum Treffpunkt gekommen. Und was ihm Anthony dort alles erzählt hatte… er konnte einfach nicht anders, er musste mitkommen!

    Ein donnernder Knall ertönte, als eine weitere Kugel mitten in den Mast einschlug und tausende kleine Holzsplitter durch die Luft sausten und sich in alles bohrten, was ihrer Flugbahn im Weg stand.

    „Oh Sch…“, weiter kam Tom nicht, als auch schon der Mast drohend schwankte, zu kippen begann und letztlich krachend auf das Deck fiel.

    „Jetzt mach schon was!“, schrie er Anthony zu, welcher eifrig etwas in sein Notizbuch kritzelte.

    „Bin doch schon dabei!“, schrie er zurück, schrieb einen letzten, hastigen Satz in sein Buch, ehe er es zuklappte und erwartungsvoll in den Dunst aus Nebel und Regenschwaden blickte.

    Und es geschah… nichts. Verwirrt warf Tom einen Blick zu seinem Kameraden.

    „Abwarten“, sagte dieser nur beschwichtigend, „Große Dinge brauchen viel Zeit!“

    „Na, hoffentlich nicht zu viel Zeit…“

    Doch kaum dass er ausgesprochen hatte, spürte er auch schon ein zunehmendes Beben unter ihnen.

    „Was …“, verwundert blickte er über die Reling zum Wasser. Die Oberfläche zitterte, blubberte zunehmend, während sich ein bedrohlicher Wasserstrudel zwischen ihnen und ihrem Verfolgerschiff formte.

    Tom konnte sehen, wie auf dem gegnerischen Schiff blankes Entsetzen ausbrach. Panisch versuchten sie ihren Kurs zu ändern und drehten letztendlich ab.

    Sie hatten sie abgeschüttelt!

    „Ha, geht doch“, grinste ihm Anthony schelmisch entgegen.

    „Du und deine Illusions-Teufelsfrucht …“, entgegnete Tom kopfschüttelnd, jedoch auch mit einem breiten Lächeln, „Die kann einem manchmal echt Angst machen…“

    Ein dumpfes, undefinierbares Grollen aus der Tiefe des Meeres lies Tom verstummen. Das Boot schwankte bedrohlich, als sich ein meterhoher Wasserberg vor ihnen im Wasserstrudel auftürmte. Lange, glitschige Arme, acht an der Zahl, brachen aus den Wassermassen hervor und einen Moment später sah Tom es in seiner vollen Pracht: den Riesenkraken! Seine roten, glühenden Augen waren wütend auf ihr kleines Schiff gerichtet.

    „Ooooh man“, sagte Tom kopfschüttelnd, „Dass du aber auch immer übertreiben musst Antho! Hätte der Wasserstudel denn nicht gereicht?“

    Sein Blick wanderte zu seinem Kameraden, welcher mit offenem Mund und weit geöffneten Augen in Richtung Kraken starrte.

    „Das… das war…“

    „Sag jetzt nicht…“

    Er schüttelte panisch den Kopf.

    Oh verdammt! Toms Kopf schnellte panisch zurück in Richtung Kraken, welcher bedrohlich seine Tentakel nach ihnen ausstreckte. Tom sah, wie sich zwei von ihnen um den Rumpf des Bootes schlossen, wie das Holz unter dem Klammergriff bedrohlich nachgab und knackend brach. Sah, wie sich einer der Arme hob und auf sie herabgeschossen kam.

    Das war's dann also, wie sollten sie da nur heil wieder rauskommen…


    ------


    Stunden später, an einem Strand einer unbekannten Insel im mysteriösen Dreieck:


    Keuchend, komplett entkräftet und durchnässt ließ sich Tom auf den kühlen, sandig-nassen Strandboden sacken. Anthony, den er die ganze Strecke im Wasser bis hierher mitgeschleift hatte, prustete und kleine Wassermengen ergossen sich aus seiner Lunge auf dem sandigen Boden.

    Sie waren entkommen! Wenn auch mit großen Verlusten und nur knapp.

    „So eine verdammte Sch****“, fluchte Anthony neben ihm enttäuscht auf und schleuderte wütend einen herumliegenden Stein mit Wucht zurück ins Meer, „All die Mühen, die jahrelange Suche… und für was? Dafür, dass sie nun irgendwo da draußen mit unserem Schiff auf dem Meeresboden liegt und für immer verschollen bleibt…“

    Enttäuscht ließ er sich wieder neben Tom auf dem Sandboden nieder.

    „Ein einziger Reinfall…“

    „Nun ja, nicht so ganz…“, erwiderte Tom.

    Anthony warf ihm einen irritierten Blick zu.

    „Wir haben immerhin noch uns“, sagte Tom, gab ihm einen freundschaftlichen Knuff und fuhr nach einer kurzen Pause fort, „Und außerdem hab ich da noch etwas vor unserer ungeplanten Flucht vom Schiff retten können!“

    Seine Hand griff unter seine Jacke. Als er sie wieder hervorholte, weiteten sich Anthonys Augen erstaunt.

    „Du hast…“

    „Ja, genau!“, erwiderte Tom grinsend.

    „…sie gerettet!“

    In seiner Hand hielt Tom eine in allen Farben des Regenbogens schimmernde Teufelsfrucht. Doch es war nicht nur irgendeine, nein, es war die Teufelsfrucht schlechthin. Die, nach der sie so lange gesucht hatten. Die, die alles ändern würde. Die wahrlich mächtigste Teufelsfrucht der Welt. Deren Existenz an sich eigentlich schon ein Widerspruch in sich war.

    In Toms Hand befand sich nichts anderes als…

    „Die Götterfrucht…“, hauchte Anthony ehrfürchtig und warf Tom ein triumphierendes Lächeln zu, „Sie ist nicht verloren!“

    „Jetzt müssen wir sie nur noch zu unserem Kapitän bringen …“

    Tom stockte. Alles um ihn herum begann sich zu verzerren, sich zu drehen und zu verschwimmen.

    „Anthony!“, rief er benommen.

    Unscharf konnte er Anthonys Umrisse ausmachen, welcher besorgt auf ihn zugerannt kam.

    „Irgendetwas stimmt hier nicht…“, weiter kam Tom nicht mehr. Bewusstlos sackte er in sich zusammen…


    Fortsetzung folgt...
    Offenbarung!

    Ort:???, Zeit:???,…

    Toms Kopf pochte schmerzhaft, als er wieder zu sich kam. Um ihn herum war es stockdunkel und still. Er wusste nicht wie viel Zeit vergangen war, noch wo er war. Aber er war sich sicher: Er war nicht mehr auf der Insel im mysteriösen Dreieck!

    Suchend tasteten seine Hände durch die Dunkelheit, ertasteten dabei jedoch nur kühlen, feuchten Stein und… verwirrt hielt er inne… Stahlstangen? Unsicher fuhren seine Hände über die Metallstäbe. Tatsächlich! Fast als säße er… in einem Gefängnis!

    Das konnte doch nicht wahr sein! Wie bitte war er hier nur gelandet? Was war auf der Insel geschehen? Das letzte, an was er sich erinnern konnte, war, dass er Anthony die Gottesfrucht gezeigt hatte, danach herrschte nur noch gähnende Leere in seinem Kopf… Anthony!!! Wo er wohl war? Ob man ihn auch hier irgendwo gefangen hielt?

    Am anderen Ende des Raumes öffnete sich quietschend eine Stahltür. Das Licht einer Fackel fiel herein und ein düster dreinblickender Pirat mit brustfreier Bekleidung, schwarzer Hose und zwei spitzen Hörnen betrat den Raum. Schnurstracks marschierte er auf Toms Zelle zu, öffnete sie und blaffte ihn an:

    „Aufstehen, aber zackig!“

    Tom tat wie ihm geheißen, einen Moment später rasteten die Seesteinhandschellen klickend um seine Handgelenke ein und der Wärter bugsierte ihn aus der Zelle heraus. Wortlos führte er ihn einen schmalen Gang entlang, an dessen Ende er halt machte, eine Türe öffnete und ihn hindurchstoß. Doch es war keine Gefängniszelle, nein, es war ein großer, gemütlich eingerichteter Raum mit einem großen Schreibtisch, mehreren überquirlenden Bücherregalen und Gemälden an den Wänden. Etwas abseits stand ein gemütlicher Lesesessel. In ihm, mit einem Glas Rotwein in der einen und dem Notizbuch in der anderen Hand, saß niemand anderes als…

    „Anthony?!“

    Verwundert kniff Tom die Augen zusammen. Doch als er sie erneut öffnete, zeigte sich ihm dasselbe Bild.

    Anthony blickte kurz auf, klappte sein Notizbuch zu, stellte sein Glas auf einen Beistelltisch, erhob sich langsam und deutete mit einer ausladenden Geste auf den Stuhl vor dem Schreibtisch.

    „Setz dich doch“, sagte er ruhig.

    „Was soll das alles?“, setzte Tom verwirrt an, „Was wird hier gespielt?“

    „Setz dich erstmal, Tom. Alles weitere klären wir dann.“

    Zögerlich näherte sich Tom dem Schreibtisch, an dessen anderem Ende es sich Anthony bereits gemütlich gemacht hatte. Misstrauisch nahm er ihm gegenüber Platz.

    „Sehr schön“, sagte schließlich Anthony mit einem leichten Seufzer, „Du bist vermutlich etwas verwirrt, aber keine Angst, das geht den meisten so…“

    Etwas verwirrt war gut gesagt. Die Untertreibung des Monats! Und was meinte er mit den meisten?

    „Wir mussten letztens leider unterbrechen, es war wohl doch etwas lange und viel für dich, aber heute denke ich, dass wir bis zum Schluss durchkommen werden…“

    Abbrechen? Zum Schluss kommen? Von was sprach er da?

    „Anthony, was ist hier los?“, fragte er verzweifelt, „Was soll das alles? Wo sind wir hier?“

    „Immer dasselbe…“, seufzte Anthony auf, „Du bist unser Gefangener, schon vergessen? Und du weißt etwas, was wir wissen wollen.“

    Gefangener? Hatte er richtig gehört?

    „Nein, nein… wir sind Kameraden, nein mehr… Freunde!“

    „Ach“, erneut seufzte Anthony missmutig auf, klappte sein Notizbüchlein auf und begann ein paar Bemerkungen hinein zu kritzeln, „…erneut… zu hohe… Illusionsdosis… nächstes Mal…mit niedrigerer Dosis… beginnen.“

    Er klappte das Büchlein wieder zu und legte es auf den Tisch.

    „Doch nun zum Punkt: Wir wissen, wie ihr die Götterfrucht gefunden habt. Aber…“, eindringlich starrte er Tom an, „Wo habt ihr sie hingebracht?“

    „Darum geht es dir? Um die Frucht?“

    „Natürlich!“, erwiderte Anthony, „Es dreht sich ALLES um diese Frucht! Wer sie hat, der besitzt die uneingeschränkte Macht! Man ist quasi Gott höchstpersönlich! Man muss nur etwas denken und schon passiert es. Man muss nur etwas wollen und schon wird es erschaffen. Man ist Schöpfer, Richter und Henker zugleich! Man ist quasi der Alles-wissende-Erzähler in seiner eigenen Geschichte!“

    Seine Augen funkelten begeistert auf.

    „Jetzt muss ich nur noch wissen, wo ihr sie versteckt habt!“

    „Also war alles nur gelogen?“, entgegnete Tom niedergeschlagen, „Unser Treffen in der Bar, unsere gemeinsamen Abenteuer…“

    „Nun… Jein… Das alles ist schon -zumindest so oder so ähnlich- passiert. Ich habe mich mit meiner Illusions-Teufelskraft nur in deinen Kopf…gehackt… und jemand anderen durch mich ersetzt. So konnte ich alles beobachten und dein Vertrauen gewinnen…“

    Tränen stiegen Tom in die Augen.

    „Und jetzt willst du wissen, wo die Frucht ist?“

    „Genau, also verlieren wir keine Zeit mehr…“, er klappte erneut sein Notitzbuch auf, setzte seinen Stift aufs Papier und wollte gerade anfangen zu schreiben, als ein energisches Pochen an der Tür ihn unterbrach. Im nächsten Moment stolperte auch schon ein Wächter herein.

    „Meister! Euer Vater ruft nach euch!“, rief er außer Atem, „Er ist schon ziemlich ungeduldig und verlangt, euch beim Bankett zu sehen!“

    „Immer dasselbe“, murrte Anthony, stand auf, strich die Falten aus seinem Anzug und wandte sich an Tom, „Unser Gespräch muss wohl noch warten. Aber wir sehen uns später noch.“

    Er gab dem Wächter ein Zeichen, kurz darauf war er auch schon durch die Tür verschwunden. Toms Blick wanderte zurück zum Schreibtisch, auf dessen Platte mittig eine große Landkarte mit dem Abbild einer totenkopfförmigen Insel ausgebreitet dalag. Sein Blick wanderte weiter und blieb an einem goldenen Namensschild hängen. Ungläubig las er es. Wieder und wieder. Selbst als der Wächter ihn zurück in seine Zelle schleifte gingen ihm die Wörter nicht aus dem Kopf: „Anthony C. E. Kaido“

    A.C.E. -Spitzname „Ace“- Special-Commander der Calamities und zugleich ältester Sohn und rechte Hand des Kaisers Kaido… wo war er da nur wieder reingeraten…
    Saga: Mein Name ist Sir Crocodile (Das kleine Krokodil - Ich rauche; also bin ich - Die Sand-Frucht)
    Das kleine Krokodil

    Ein Junge, keine 10 Jahre alt, kniete in einer Seitengasse im strömenden Regen auf dem Boden. Tränen liefen an seinen blassen Bäckchen herunter, man hörte ein Schluchzen. Verschwommen erblickte er in einer Pfütze sein Spiegelbild. Schnell schloss er die Augen. Er wollte sich so nicht sehen. Vielleicht sei nach dem Öffnen der Augen alles wieder wie früher. Vielleicht würde er dann nicht weinend in einer Gosse liegen, sondern auf einem gepolsterten Sofa in der Villa seines Vaters entspannen und feinsten Brombeersirup aus goldenen Bechern trinken. Abrupt wurde er aus seinem Tagtraum gerissen, als sein Kopf unsanft an seinem Schulterlangen, pechschwarzen Haar nach hinten gerissen wurde.

    „Wen haben wir denn hier, bist du nicht das kleine Krokodil?“

    Er wurde erkannt. Sie würden ihn töten, wie seinen Vater, wie seinen großen Bruder und wie seinen Onkel. Er hatte es mit eigenen Augen gesehen. Soldaten des Königs stürmten das Haus seiner Familie. Aus einem versteckten Lüftungsschacht heraus, konnte das kleine Krokodil das Geschehen beobachten. Seine Familie hatte sich nicht gewehrt, die Situation sollte diplomatisch gelöst werden. Dann wurde seinem Vater ohne Vorwarnung in den Kopf geschossen. Im gleichen Moment wurden sein Bruder und Onkel gepackt und exekutiert. Sein Vater, das Krokodil vom Dancing Hill, Anführer einer der berüchtigten Unterweltorganisation der South Blues, war Tod.

    --------

    05:30: Aufwachen

    05:45: Sammelpunkt inklusive Anwesenheitskontrolle

    06:15: Schichtbeginn

    11:30: Eine Schüssel Reiß mit Bohnen

    16:00: Eine Schüssel Reiß

    19:00: Schichtende

    20:00: Körperpflege

    21:00: Nachtruhe




    Jeden Tag mussten Steinblöcke aus einem Berg geschlagen werden. Diese Brocken wurden anschließend auf Wägen gehievt. Die Arbeit erforderte viel Kraft, eigentlich zu viel für ein Kind. Aber man hatte keine Wahl. Jede Pause wurde mit Peitschenhieben bestraft, jedes Gespräch unterbunden. Und es war kalt. Es dauerte an den meisten Tagen nicht lange, bis das kleine Krokodil seine Hände nicht mehr spürte. Ebenfalls verlor er jegliches Zeitgefühl. Zählte er zu Beginn noch die Tage seit seiner Gefangennahme, hatte er bald zu wenig Energie um weiter zu zählen. Es kamen Zeiten in denen es weniger kalt war, Zeiten in denen es stürmte, so dass er beinahe weg flog und Zeiten, in denen die Kälte kaum auszuhalten war. Die Hoffnung auf ein Ende dieser Qualen verblasste mehr und mehr, das kleine Krokodil fand sich mit seiner Situation ab und dachte kaum noch an sein altes Leben.

    Eines Abends, beim Zubettgehen, fand er einen kleinen Zettel unter seinem Kissen. Auf diesem Zettel stand in krakeliger Schrift geschrieben:

    Willst du fliehen, dann begib dich heute um Mitternacht zu den Waschräumen Block F. Komm alleine.

    Revolutionäre sterben nie!

    Beim Lesen der Nachricht schossen ihm verschiedenste Gedanken durch den Kopf. Er fühlte sich überfordert, zerknüllte den Zettel und legte ihn zurück unter sein Kissen. Es war wenige Minuten nach 21:00 Uhr und es herrschte bereits Totenstille in dem Schlafsaal, mit den vier Etagenbetten. Während alle im Zimmer schnell einschliefen, fing das kleine Krokodil an zu grübeln.

    Wer hat die Nachricht hier hinterlassen? Ist das eine Falle? Und wie komme ich um Mitternacht zum Waschraum?

    Ein Glatzköpfiger Mann in dem Bett unter ihm fing an knatternd zu schnarchen. Die hierdurch entstehenden Vibrationen des Bettgestells hinderten das kleine Krokodil einen fokussierten Gedanken zu fassen. Die Minuten verstrichen und ein heftiges Kribbeln kam in seinem Bauch auf, er empfand es beinahe als Übelkeit. Obwohl er die Nachricht auf dem Zettel nur einmal las, konnte er den Wortlaut auswendig und sagte ihn in Gedanken immer wieder auf. Willst du leben…Wollte er noch leben? Er war nicht in der Lage, darauf eine Antwort zu geben. Er konnte sich ein Leben in Freiheit und ohne Schläge nicht mehr vorstellen. Der Gedanke hier dran kam ihm vor wie ein Traum, an den man sich am Morgen kaum erinnern konnte.

    23:56: „Es ist mir egal ob ich sterbe!“ flüsterte sich das kleine Krokodil selber zu. Dabei war ihm bewusst, dass es ihm natürlich nicht egal war. Wer will schon sterben.

    Geräuschlos kletterte er aus seinem Bett und verließ das Zimmer.

    Die spärliche Beleuchtung im Flur reichte aus um sich zu orientieren und so schlich er in Richtung der Waschräume, welche sich hinter einer Abknickung befanden. Nun begann sein Herz zu rasen, kalter Schweiß lief ihm die Stirn runter und sein Blickfeld engte sich ein. Er geriet in Panik. Er wollte umkehren, zurück ins Bett, alles vergessen. Er würde entdeckt werden und bis an sein Lebensende gefoltert werden.

    Schritte!

    Jeder Schritt hallte im Gang und es war offensichtlich, dass ihm aus Richtung der Waschräume jemand entgegen kam. Zum Umkehren war es zu spät. Adrenalin schoss durch seinen Körper, er wollte wegrennen. Just in diesem Moment kam der voll ausgerüstete Aufseher um die Ecke und ihre Blicke trafen sich. Das kleine Krokodil sprintete an dem Aufseher vorbei, welcher durch das Überraschungsmoment zu langsam agierte. Der Waschraum war nun nur noch wenige Schritte von ihm entfernt als rote Leuchten aufflackerten sowie eine Sirene zu heulen begann. Wie aus dem Nichts tauchte vor ihm ein weiterer Wärter auf, aus dem Augenwinkeln sah er noch eine Frau mit blauen Haaren die ihm zuzwinkerte. Plötzlich sah das Krokodil nur noch rot, er spürte wie eine Flüssigkeit sein Gesicht runter und in seinen Mund strömte. Der Schmerz setzte erst einige Momente später, aber dafür umso heftiger, ein. Ein Schmerz von unerträglicher Intensität erschütterte sein komplettes Gesicht. Wurde seine Nase abgeschnitten? Seine Augen ausgestochen?

    Alles begann sich zu drehen, ihm wurde schwarz vor Augen.

    Das kleine Krokodil fiel in Ohnmacht.
    Ich rauche; also bin ich

    Eine kleine Insel auf der Grandline, umgeben von hundert Meter hohen Klippen. Unerreichbar für jedes Schiff. Inmitten massiver Felsformationen stand ein einzelnes Haus, welches der jungen Gruppierung der Revolutionäre als Hauptquartier diente. Eine kleine Gruppe an Menschen befand sich im Kaminzimmer. Trotz der vorhandenen Stühle saß Niemand und trotz der fortgeschrittenen Stunde schlief Niemand. Niemand wagte es einen Ton von sich zu geben, zwischendurch schaute der ein oder andere nervös auf die Uhr an der Wand. Eine ältere Frau mit grauem Haar ertrug die Stille nicht mehr.

    „Halb 1, wo bleibt Monte…“

    „Hedwig, sei unbesorgt. Habe Vertrauen in Ivans Stärke.“ antwortete ihr ein alter Mann mit Rauschebart und Arztkittel. Hedwig senkte ihren Blick und sagte leise zu sich selber

    „Ach mein Monte“.

    Wenige Augenblicke später nahm die Gruppe wahr, wie sich an einer der Wände eine Erhebung abzeichnete. Mehrere Personen seufzten erleichtert und beobachteten, wie ein abgerundeter Teil der Wand zu einer Tür wurde und offen glitt. Heraus trat ein kräftiger junger Mann mit blauem Haar und zerfetzten Klamotten. Auf seinen Schultern trug er zwei Personen, beide stark blutend. Die Stimmung der Gruppe wechselte von Erleichterung zu Schock. Der blauhaarige Neuankömmling rief in die Runde:

    „WIR HABEN ZWEI SCHWERVERLETZTE! DOKTOR BEREITE DEN OP SAAL VOR!“ Hedwig stieß einen lauten Schrei aus, als sie sah, dass das Bein ihres Sohnes unnatürlich zur Seite abstand. Der Junge, den niemand hier bisher kannte, sah noch übler aus. Sein Gesicht wurde offensichtlich aufgeschlitzt, seine hellen Wangenknochen blitzten unter dem vielen Blut hindurch. Nachdem ihm die Verletzten abgenommen wurden, platzierte der blauhaarige einen Stuhl mit der Rückenlehne in Richtung des Kamins. Sein Blick wanderte von Person zu Person. Er weinte. „Meine Freunde, die Rekrutierungen verliefen nicht problemlos. Wir wurden entdeckt. Bis auf diesen Bengel wurden alle potenziellen Rekruten getötet.“

    Einige Monate später

    Eine Kutsche fuhr durch einen dicht bewachsenen Dschungel, die Straße glich einem Trampelpfad.

    „Es ist doch einfach nicht fair. Wir erledigen die Drecksarbeit und er trifft sich mit Königen, und isst mit ihnen. Nur die feinsten Lebensmittel, davon kannst du ausgehen! Partys, Frauen, Alkohol, er kriegt dort doch alles was er will. Das ist nicht fair, glaub mir das Monte“ Monte verdrehte nur die Augen, schaute aus dem Fenster der Kutsche und dachte an seinen Vater. Einen Großteil seines Lebens verbrachte dieser damit, ein Attentat auf den autoritären Herrscher ihrer Heimat zu planen. Als dieser eines Nachts unerwartet starb, verstarb gleichzeitig die Lebensfreude in seinem Vater. Man sah ihn nie wieder lachen und eines Tages verschwand er für immer.

    Es regnete wie aus Kübeln und die Einschläge der dicken Tropfen auf dem Dach der Kutsche zwangen die beiden Insassen, fast zu schreien, wenn man sich mitteilen wollte. Das Krokodil hatte in den letzten Monaten einen enormen körperlichen Wandel durchlebt. Anders als bei vielen anderen großgewachsenen Jungen in seinem Alter, wurde das starke Höhenwachstum nicht von dünnen Extremitäten begleitet. Nein, seine Muskulatur entwickelte sich außerordentlich stark für einen Jungen Burschen und seine Muskeln zeichneten sich deutlich unter seiner Haut ab. Er wäre ein Mädchenschwarm, jemand dem verlegen zugelächelt wird und der heimlich Liebesbriefe zugeschoben bekommt. Davon war er zumindest überzeugt. Doch mit der fleischigen Wunde, die sein Gesicht horizontal durchzog, war er entstellt. Ein Monster. Kein Schwarm. Niemand würde ihm zulächeln. Wer würde ihn schon länger anschauen ohne sich zu ekeln? Das Krokodil zündete sich eine Zigarette an. Mit einer betonten Lässigkeit steckte er die Kippe zwischen die Lippen, genau wie sein Vater es früher immer tat.

    „Du sollst doch nicht rauchen. Du weißt wie schlecht das für dich ist.“ Das Krokodil verdrehte die Augen und schaute aus dem Fenster. Monte war nicht sein Vater, er konnte ihm nichts verbieten. Demonstrativ blies er seinem Gegenüber den Rauch ins Gesicht.

    „Lass uns einfach diese Teufelsfrucht holen und hier weg. Ich mag den vielen Regen auf dieser Insel nicht. Ich hoffe wir müssen nicht wieder kämpfen.“


    Das Krokodil hatte kein Glück. Bei der Übergabe der Teufelsfrucht entschied der Händler sich dazu, 10% mehr als vorab vereinbart für die Frucht zu verlangen. Ein Schlag vom Krokodil in die Magengrube ließ ihn diese Entscheidung zurücknehmen. Genervt von dieser kleinen Auseinandersetzung fing das Krokodil auf dem Rückweg an, sich zu beschweren.

    „Was hat das alles für einen Sinn, Monte? Unser Anführer macht Nichts“

    „Ach Kroko, unsere Sache ist auf Unterstützung angewiesen.“ Das Krokodil hasste es, so genannt zu werden.

    „Ja, natürlich brauchen wir Unterstützung. Aber anstatt mit den Königen zu verhandeln, sollten wir uns direkt an die Sklaven und Unterdrückten wenden! Wofür brauchen wir die Könige? Unser Anführer verbrüdert sich mit den Falschen!“ Diese Aussagen reizten Monte. Er stand voll hinter ihrem Anführer, Monkey D. Dragon.

    „Wie willst du mit 30 Leuten einen Krieg gewinnen Kroko?“ Das Krokodil schlug sich auf den Oberschenkel und schrie Monte nun an.

    „Es ist mir egal! Durch Fressen mit fetten Königen gewinnt man auch keinen Krieg. Wir sollten den Peinigern die Köpfe abschlagen und wir hätten massenweise Unterstützer!"

    „Kroko, es geht um das große Ganze. Eines Tages wirst du es verstehen.“

    „Und bis dahin sind alle Sklaven lange Tod. Viva La Revolution. Pff “

    Zitternd vor Wut griff das Krokodil nach seiner Zigarettenbox. Monte sah ihm ernst in die Augen und schüttelte fassungslos mit dem Kopf. Das Krokodil zündete sich die Zigarette an und ihm war bewusst, Monte würde dies stören. Gut so. Er soll sich nicht aufspielen als wäre er sein Vater. Er zog an seiner Zigarette und fühlte sich frei. Dann bekam er einen Hustenanfall.
    Die Sand-Frucht

    5 Personen betraten spät am Abend, mit tief ins Gesicht gezogenen Kapuzen, ein Lokal auf Dress Rosa. Der Inhaber war seit langem eine Kontaktperson der Revolutionäre und stellte sein Lokal als Unterschlupf zu Verfügung. Sein Deckname war Baroque, da er ein leidenschaftlicher Sammler von Gemälden dieser Epoche war. Baroque führte die Personen in ein separates Zimmer, in welchem ein Tisch, reichlich gefüllt mit feinen Speisen, bereit stand.

    „Dress Rosa hat das beste Essen in der neuen Welt! Und die Tänzerinnen, wundervoll!“ Mit großen Augen stürzte Monte sich auf das Buffet.

    „Komm schon Kroko, koste doch mal von diesem herrlichen Krabbenfleisch.“ Monte reichte dem Krokodil eine Schale voll mit den roten Schalentieren. Er lehnte mit einer wischenden Handbewegung ab. Heute würde ihm Brot reichen.

    „Gut, dann bleibt mehr für mich übrig!“ Gierig stopfte Monte sich mehrere Krabben in den Mund.

    Ein Glatzkopf mit grimmigem Gesichtsausdruck versuchte etwas zu sagen, jedoch entwichen seinem Mund nur Murmellaute.

    „Karasu du alte Krähe, sprich deutlich!“ Rief Monte ihm breit grinsend zu. Bis auf Karasu fingen alle an zu lachen. Das Krokodil imitierte nun einen Übersetzer.

    „Karasu wollte uns mitteilen, dass wir uns früh schlafen legen sollten. Morgen wird ein wichtiger Tag für die Revolutionäre. Immerhin erfahren wir den Standort, der niemals still stehenden Insel.“

    Schnell machte sich Müdigkeit breit und die fünf Revolutionäre begaben sich in ihre Zimmer. Sie lagen satt und zufrieden in Ihren Betten und es dauerte nicht lange, bis man die ersten Schnarcher durch die Mauern vernahm. Das Krokodil jedoch schlief nicht.

    Eine so mächtige Teufelsfrucht einzutauschen ist töricht. Wir sollten den Informanten zwingen, uns den Standort der Insel zu verraten und die Teufelsfrucht sollte einer von uns einsetzen, im Kampf gegen die Herrscher und die korrupten Medien. Aber was soll man erwarten von einer Organisation, in der Ivankov etwas zu sagen hat. Er mit seinen Transen.

    Schmerzlich erinnerte sich das Krokodil an die Nacht seiner großen Blamage.

    Jedem hätte es passieren können. Jedem. Mann, Frau, woher hätte ich das wissen sollen. Und Ivankov musste es allen erzählen, mich blamieren. Ich hasse ihn.

    Das Krokodil verließ sein Bett und schlich in Richtung des Zimmers von Karasu, dem hochrangigsten Revolutionär der aktuellen Mission.

    Ich weiß, dass es so besser ist. Ich kann die Welt wirklich verändern. Ich war schon immer besonders. Damals als Sklave war ich auch der einzige, der fliehen konnte. Dragon hätte mir einfach erzählen sollen, was dieses Pluton ist. Ich hab verdient es zu wissen.

    Er betrat Karasus Zimmer und begann unmittelbar, Schränke aufzureißen und Taschen zu durchwühlen. Wo ist sie nur? Sein Blick fiel auf den schlafenden Karasu. Er muss sie unter oder hinter seinem Bett verstecken. Sorgen, dass Karasu aufwachen würde, machte das Krokodil sich nicht. So wie seine Mitstreiter beim Buffet zugelangt hatten, würden sie lange und fest schlafen.

    Er schob Karasus Bett zur Seite und dann sah er sie. Die Sand-Frucht. Eine Teufelsfrucht, welche ihn immun gegen jeden körperlichen Angriff machen würde. So lange hatte er auf diesen Moment gewartet. Er würde unbesiegbar werden und die Welt endlich befreien können.


    „Kroko, was machst du hier?“ Das Krokodil drehte sich erschrocken um und sah Monte in der Tür stehen. Wie konnte er wach sein?

    „… Monte?“ Abrupt ging Monte einen Schritt auf das Krokodil zu.

    „Ich fand es direkt merkwürdig, dass du kaum was gegessen hast. Habe alles wieder ausgekotzt um sicher zu gehen, nicht vergiftet zu werden. Wie konntest du uns nur verraten Kroko? Wir sind Freunde!“ Kroko ging nun mit erhobenen Händen langsam auf Monte zu.

    „Das ist ein Missverständnis Monte. Bitte glaub mir. Baroque ist der Verräter. Er hat unser Essen mit Schlafmittel manipuliert. Und er hat es auf die Sand-Frucht abgesehen. Ich wollte sie in Sicherheit bringen. Glaub mir, bitte!“ Trotz des Flehens erkannte das Krokodil in Montes Augen Misstrauen.

    „Kroko, gib mir sofort die Frucht! Ich leg dich in Ketten und morgen sehen wir weiter.“ Das Krokodil schaute beschämt zu Boden und nickte. Er ging auf Monte zu, um ihm die Frucht zu überreichen. Er streckte seinen Arm mit der Frucht aus. In der gleichen Bewegung sprang ein Messer aus seinem Ärmel. Er stach mittig in Montes Brust. Dieser riss die Augen auf, hustete Blut, brach zusammen. Das Krokodil fing ihn auf, und flüsterte im zu:

    „Wir sind keine Freunde und mein Name ist Sir Crocodile!“ Er ließ Monte zu Boden fallen, griff nach der Sand-Frucht und biss ein Stück ab. Mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze verließ er das Lokal und rannte zur Brücke nach Green Bit.


    „Da bist du ja endlich. Komm schnell auf das Schiff, wer weiß wann sie den Diebstahl bemerken.“

    „Entspann dich Baroque. Alle schlafen wie Steine. Außer Monte. Aber der ist jetzt tot.“ Baroque griff sich schockiert in die Haare.

    „Nein, nein das ist schlecht! Sie werden uns finden und sich rächen. Wir sind am Ende.“ Das Krokodil hob demonstrativ seine beiden Hände und verwandelte sie in Sand.

    „Baroque, ich bin jetzt ein Sandmensch. Ich bin unverwundbar. Niemand wird uns etwas anhaben können. Wir verschwinden hier jetzt und machen uns auf die Suche nach diesem Pluton. Und dann werden wir die Welt retten!“


    An diesem Tag sollte die noch immer junge Revolutionsarmee ihre erste große Niederlage erfahren. Ein 16 Jähriger Verräter aus den eigenen Reihen tötete seinen Kameraden und sabotierte den Handel mit einem Informanten. Dadurch erfuhren die Revolutionäre nicht die Koordinate der unauffindbaren Insel, die ihnen als Basis dienen sollte.


    6 Wochen Später:

    „Dragon, wir haben Kroko gefunden. Er ist jetzt Pirat. Wir konnten ihn mehrmals bei Treffen mit hochrangigen Marineoffizieren beobachten. Ich vermute, er bietet Informationen über uns an und erwartet irgendeine Gegenleistung von der Marine oder der Regierung. Sollen wir ihn ausschalten?“
    Saga: An Bord der Orphan's Turf (Ohne Ausweg - Blutrausch - Auf Schnurstrakse Art und Waise)

    An Bord der Orphan’s Turf: Ohne Ausweg

    Ihre Schuhe klapperten im hellen Rhythmus auf das Gestein der Mauer, über welches sie hinweg sprintete. Ihr gehetzter Blick fiel nach hinten, ein begleitender Schatten neben ihr, eine schemenhafte Gestalt weiter hinten. Mako legte an Tempo zu und ihrer Kehle entsprang ein ungestümes Lachen, als sie das wütende Brüllen von Flottillenadmiral Dankig hinter sich hörte:„Ihr dämlichen Rotzgören! Das ist Marinegelände!“

    Mako und ihr Begleiter Raks sprangen auf die Zinnen der Mauer und wirbelten herum. Schwerfällig kam das tiefrote Fischgesicht Dankig näher.

    „Wenn er uns erwischt gibt es ordentlich was auf den Hintern“, bemerkte Mako mit Seitenblick zu Raks. Dieser setzte nur sein üblich dümmliches Grinsen auf und plärrte dem Marinesoldaten entgegen: „Pass auf, dass du dich nicht verschluckst, Forellenadmiral Ranzig!“

    Dieser wollte wohl gerade keuchend etwas erwidern, doch schon wandten sich die beiden Zwölfjährigen um und sprangen mit einem waghalsigen Satz von der Mauer.

    Es war nur ein kurzer Fallrausch, bis die beiden sicher im Dickicht unter der Mauer landeten, der sie gleichzeitig vor den suchenden Glubschaugen des Basisleiters schützte.

    Kurz verharrten sie und als sie sich sicher fühlten kletterten sie weiter im Schutz des Gebüsches zu ihrer Lieblingshöhle, die zum Leiden der Erwachsenen nur über die Mauer der Marinebasis erreichbar war und sich in Richtung des Meeres wandte. Die Beiden setzten sich an der angehenden Klippe zum Eingang und ließen die Beine baumeln, während sich ihre Atmung langsam wieder beruhigte.

    „Musstest du unbedingt noch eins draufsetzen, Knollenkopf?“, tadelte Mako ihren Freund mit einem Lächeln.

    Raks leicht unförmiger Schädel wandte sich ihr zu und er blies die Backen auf. „Das einzige wo man noch etwas draufsetzen könnte wäre sein sowieso schon fetter Hintern.“

    Mako lehnte sich zurück und schüttelte lachend den Kopf. Wie hätte sie bei diesem Gemüsehirn auch eine produktive Antwort erwarten können. Seit sich die beiden Waisenkinder in der Küche der Marinebasis im North Blue als kleine Zwerge kennengelernt hatten war aus Raks Mund kaum mal etwas Anständiges herausgekommen.

    Die Sonne ging langsam unter und tauchte das ruhige Meer in ein wunderschönes Rot. Mako lauschte dem Rauschen der Wellen, dem leichten Brausen des Windes, dem hellen Pfeifton aus der Ferne, der näher kam...


    Beklemmende und schwere Dunkelheit umgab sie...ein Tosen in den Ohren...Wirbelsturm im Kopf. Mit einem verzweifelten Schrei zerriss sie den Schleier, der sie umfasste und kehrte zurück in die Helligkeit. Geröll türmte sich auf ihr. Entferntes Dröhnen, gefolgt von leichten Beben.

    Mako sah sich um, erkannte Raks neben ihr. „Knolle! Wach auf!“

    Sie versuchte ihn zu erreichen, doch ihr Unterkörper steckte fest. Sie stieß ihn gerade so mit ihrer Hand an, während sie nach ihm rief. Er erwachte mit plötzlichen Husten und Blut im Gesicht. Ohne Pause rappelte er sich auf, erblickte Mako und ihre Situation und versuchte sofort die Felsbrocken von ihr zu schieben. Ohne Erfolg rackerte er sich ab, brüllte vor Anstrengung. Und ohne Vorwarnung verdeckte eine hünenhafte Figur die letzten Sonnenstrahlen am Eingang.

    „Was haben wir denn hier?“, grollte eine tiefe Stimme durch die Reste der Höhle.

    „Bitte hilf uns! Sie steckt fest“, krächzte Raks. Stumm schritt der Fremde auf sie zu beugte sich über sie und wischte die schweren Felsbrocken mit einem Schlag beiseite, schulterte die beiden Kinder und trat hinaus.

    Eine kurze scharfe Brise schnitt durch das Gesicht der Beiden und schon befanden sie sich zurück auf der Mauer. Doch der Begriff Mauer war nur noch ein Echo. Trümmer von Holz und Stein, dunkle Rauchschwaden, der scharfe Geruch von Verbranntem. Mako hob den Kopf. Es war beängstigend still, nur leichtes Knacken und vielleicht Ächzen, wo sie nicht wusste ob sie es sich einbildete. Ihr Kopf war noch immer benebelt von der Explosion in der Höhle, doch als ihre Sinne klarer wurden, hörte sie Stimmen. Gröhlen und Schreie näher und entfernt hallten über die frische Ruine der Marinebasis.

    Dazu kamen Bewegungen zwischen den Überresten, doch nicht etwa das Schneeweiß und Blau der Marine war zu erkennen, dunkle Schemen huschten umher. Es war Mako zunächst unmöglich einen klaren Gedanken zu fassen, doch schließlich konnte sie ein Wort in ihrem Kopf greifen und sich daran festkrallen. Piraten! Und er hämmerte sich fest.


    Sie verließen auffallend schnell den Ort, den sie ihre Heimat genannt hatten, beinahe solange sie denken konnten. Der Hafen lag vor ihnen und mit ihm ein gigantisches schwarzes Schiff mit roten Segeln und einem Bisonkopf als Galionsfigur, dass durch untere Kufen vom Wasser getrennt war. Der Mann betrat das Schiff und die Kinder wurden unsanft auf das Deck geworfen. Nun erblickten sie endlich sein zerfurchtes Gesicht gekrönt von wuchernden, hellen Haaren und einem schmutzigen Bart. „Willkommen auf der Orphan’s Turf, ihr frischen Rekruten. Eine neue Heimat für alle ohne Heimat.“ Er blickte über die Schulter auf den rauchenden Schutt. „Also auch für euch. Und ich bin der Kapitän: Willensräuber Borkas.“

    Ein zehrendes Gefühl erfasste Mako wie eine Welle, weder ausgelöst durch die Worte oder der furchterregenden Erscheinung des Piraten.

    Es war der Ort, das Schiff unter ihr, welches sie in Schrecken versetzte und sie spürte durch Raks Zittern, dass dieselbe Empfindung durch ihn pulsierte. Instinktiv sprangen beide auf, um diesem Schiff zu entkommen. Mako‘s Verletzungen brannten auf, doch sie schafften es auf den Steg...wo sie beide urplötzlich nach Luft röchelnd zusammenbrachen. Nur kurz wanden sie sich am Boden und konnten sich nicht lange fragen welche Kraft sie dort erfasst hatte, da wurden sie bereits aufs Deck zurückgezerrt. Borkas schüttelte sie und fletschte belustigt die Zähne. „Immer dasselbe. Es gibt keinen Ausweg. Ihr seid nun gebunden, so wie alle anderen.“
    An Bord der Orphan‘s Turf: Blutrausch

    Die Welt brannte. Dumpfes Grollen durchschnitt die prasselnden Flammen. Bleiche Hände umklammerten das blutgetränkte Messer, Leichen verteilt auf knorrigen Brettern, dahingerafft von ihr, ohne es zu merken. Grelle Schreie von Kindern und animalisches Brüllen...Mako riss sich schweißgebadet aus dem Traum heraus und blickte sich hektisch keuchend um. Sie war immer noch in ihrer Koje. Stripes, der junge Tigermink, lag unruhig schlafend neben ihr. Langsam erhob sie sich von ihrem Schlafplatz und trat heraus an das Deck. Die See war ruhig und leichte Wellen schaukelten die Orphan’s Turf vor sich hin. Was für ein grausam ironischer Name für ein Schiff, das sich als Heimat für Waisen ausgab, diese aber nur gefangen hielt und noch schlimmer in manchen Fällen erst zu Waisen machte.

    Mako’s Hände klammerten sich an die Reling, als sie auf das finstere Meer hinaus starrte. Seit mehr als nun vier Jahren schlief sie beinahe jede Nacht unruhig. Von Anfang hatte man sie ohne Rücksicht in das Piratenleben hineingeworfen und die ersten Schritte zum Rauben und Vernichten waren schnell getan. Die darauf folgenden Albträume und körperlichen Schmerzen dieser Tortur jedoch waren ganz und gar nicht leicht abzuschütteln. Doch was für eine Wahl hatten sie?

    Sie warf einen schnellen Blick zu Borkas, der wie immer am Steuerrad stand. Nie war er unter Deck, um zu ruhen, sondern hing allzeit wie ein wachender Schatten über ihnen mit seiner Präsens. Eine fortwährende Warnung für ihr Schicksal. Die Kräfte seiner Bindungsfrucht machten es jedem unmöglich ohne sein Einverständnis das Schiff zu verlassen, wenn man es einmal betreten hatte. Doch Borkas war nicht dumm und überließ der etwa fünfzig Kopf starken Crew immer wieder Landgang. Ob es nun ein Funken Menschlichkeit war, oder doch nur ein Mittel zum Zweck, um die Verzweiflung unter den Waisen nicht überhand nehmen zu lassen und eine Meuterei zu riskieren, war unmöglich zu sagen.

    Doch das bedeutete nicht, dass es nicht trotzdem regelmäßig zu Fluchtversuchen kam, die jedoch allesamt kläglich scheiterten, da die drohende Erstickung jeden erfasste, der versuchte zu fliehen, oder den Willensräuber über die Klinge springen zu lassen. Mako hat es nach kurzer Zeit aufgegeben und konzentrierte sich darauf den Neuankömmlingen einzubläuen, es ihr gleich zu tun, mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg.

    „Kannst du wieder mal nicht schlafen?“ Raks trat neben sie. Mako schüttelte als Antwort nur stumm den Kopf. „Wir kommen näher. Bald ist es wieder soweit.“

    Mako musterte ihren Freund mit traurigen Blick. Das Flackern in Raks Augen, dass sie immer so sehr gemocht hatte und ihr auch in schweren Zeiten Hoffnung gegeben hatte, war verschwunden. Zurück war nur Leere geblieben. Dabei war es er gewesen der zu Anfangs unerbittlich versucht hatte zu fliehen, aller Konsequenzen trotzend. Er hatte sich auch von Anschlägen auf Borkas nicht abhalten lassen, dieser hatte sie jedoch jedes Mal lachend beiseite gewischt, wie eine lästige Fliege. Und nun war Raks seinem Willen für Freiheit beraubt und er fokussierte sich auf das Einzige was es noch gab. Der Morgen graute.

    „Mach dich bereit, da sind sie.“ Raks Körper spannte sich und er wirkte geladen wie eine Pistole, die nur auf das Abfeuern wartete. Borkas befehlende Stimme grollte über das Deck, welches sich mit der Crew füllte, die ein erzitterndes Kriegsgeheul anstimmte. Das Schiff der Hadespiraten erschien neben ihnen. Die Kanonen donnerten. Wieder begann es.

    Mako stand wie angewurzelt da. Ein Fels in der Brandung des Getümmels. Ein riesiger Pirat stürmte seinen Dreizack schwingend auf sie zu. Ein kurzer Block, die Klinge surrte an ihr vorbei und sie hämmerte dem Gegner blitzartig den Fuß gegen das Kinn. Ein unheilvolles Knirschen und er sackte lautlos zusammen. Stripes jagte an ihr vorbei. Wieder entfaltete sich das Potenzial der Waisen im Kampf, so wie beim ersten Mal. Der feindliche Kapitän plusterte sich auf, verwandelte sich in einen Zerberus und schleuderte Stripes quer über das Schiff der Hadespiraten. Raks markerschütterndes Brüllen übertönte den Lärm. Das schwarze Fell aufgesträubt stürzte er sich von hinten auf den Zerberus und drosch mit scharfen Klauen auf seine Schädel ein. Für Mako war dieser Anblick faszinierend und doch furchterregend, als sich Raks unkontrolliert seinen Instinkten ergab. Der dreiköpfige Hund verbiss sich in die Schulter des jungen Mannes, dieser schlug unbeirrt auf den Kapitän ein, bis dessen zerfetzte Köpfe erschlafften. Der Feind verlor den Mut.


    Mako fiel erschöpft auf die Knie und betastete vorsichtig eine Wunde am Kopf. Ein weiteres Mal überlebt. Jedes Mal verloren sie ihre Kräfte, wenn der Rausch vorbei war. Das zerstörte Schiff ächzte. Langsam rappelte sie sich auf. Es blieb nicht viel Zeit bis ihnen die Luft abgeschnürt wurde. Sie schleppte sich zu Raks, der reglos am Boden lag, noch immer verwandelt. Doch plötzlich erwachte der Kriegszustand wieder. Ein Kugelhagel prasselte auf die Waisen ein, einige fielen ihm zum Opfer, der Rest floh zurück auf die Orphan’s Turf. Gewehrläufe blitzten im Rauch auf, auf sie gerichtet. Mako‘s Augen weiteten sich, sie fing noch Raks Blick auf. „Knolle, ich...“ Gleißendes Licht, ein tiefer schwarzer Schlund.
    „Wir haben sie, Konteradmiral Dankig.“ Für Raks schallte es aus unendlicher Ferne. Der rote Vorhang fiel. Er bäumte sich als monströse Gestalt auf, weitere Kugeln surrten doch er sah sie voraus, entkam ihnen. Spaltete Schädel, zerriss Leiber, bestrafte die Mörder. Eine fischhafte Gestalt vor ihm. „Erstick daran, Ranzig!“ Blut spritzte auf. Sein Blutrausch versiegte.

    Plötzliche Klarheit. Schon rang er nach Luft, aber er wurde zurück in die befreiende Gefangenschaft geschleift. Borkas beugte sich über ihn. „Willkommen Zuhause, Waise.“

    Raks Blick haftete auf ihm. Du wirst niemanden mehr berauben. Die Planken des schwarzen Schiffes knarrten unheilvoll.
    An Bord der Orphan’s Turf: Auf Schnurstrakse Art und Waise

    Knolle, ich brauche dich! Knolle, ich weiß nicht was hier passiert! Knolle, ich liebe dich! Was hatte sie ihm sagen wollen? Nie würde er es erfahren...Diese Erkenntnis trug Raks wie einen brodelnden Knoten in seiner Brust. Er hatte sich in seinem Blutrausch eingesperrt, sich von Mako abgeschottet und jeder dumme Fluchtversuch hatte ihn nur noch weiter in seine Gier zum Kampf getrieben. Das war das Resultat seiner blinden Wut. Sie war weg, für immer, wegen ihm. Sein letzter Anker.

    „Also nur ein Paar? Darf ich fragen wofür du das benötigst?“ Die Worte des Händlers, rissen ihn aus seinem Gedankenstrudel.

    Raks starrte weiterhin auf den Boden. Seine Fingernägel gruben sich in seine Handinnenfläche. „Ich will einfach, dass es endet“, murmelte er. „Zuviele sind gestorben.“ Der Händler lehnte sich zurück und kaute nachdenklich auf einem Grasbüschel herum. „Was auch immer damit gemeint ist.“

    Sein Blick fixierte Raks. Der Drang ihn zu zerfetzen pulsierte durch seinen Körper. Er biss die Zähne zusammen und unterdrückte mit Mühe den Instinkt, der ihn Borkas Einfluss eingebracht hatte.

    „Gut, dann wäre das hier abgeschlossen.“ Der Schwarzmarkthändler warf eine Seesteinhandschelle auf den Tisch zwischen ihnen. „Viel Spaß damit.“

    Wie im Traum bahnte sich Raks seinen Weg durch die Stadt zurück zur Orphan’s Turf. Wochenlang hatte er in der neuen Welt bei jedem Landgang nach einem Kontakt zum Schwarzmarkt gesucht und ihn nun endlich gefunden. Tagelang hatte er gebraucht Mako’s Tod zu realisieren durch den dichten Nebel aus Hass, der ihn stets umwaberte. Stundenlang würde er nun warten bis er diesem Schrecken endlich ein Ende setzen konnte. Ende? Stumme Tränen liefen ihm über die Wangen. Der nun lodernde Knoten pumpte Lava durch seinen Leib. Nichts war dann zu Ende für ihn. Er hatte Mako im Stich gelassen, als sie ihn am Meisten brauchte. Diese Schuld fand kein Ende!

    Die Orphan’s Turf lief wieder aus. Nun galt es abzuwarten, Die Stunden zogen sich wie zäher Gummi, doch tatsächlich am Abend war es soweit und zwei Marineschiffe erschienen. Ein Angriff stand definitiv bevor, jedes Schiff war ein Ziel, ohne Plan, ohne Ausnahme, ohne höheres Ziel. Die Schiffe kamen näher. Seine Klauen wuchsen. Das tiefschwarze Fell türmte sich auf. Seine unbekannte Teufelsfrucht entfesselte ihn. Das Deck war leer und dort war er.

    Raks kalte Augen fixierten ihr Ziel. Borkas sah ihn kommen und lachte wieder nur abfällig. „Du lernst wohl nie dazu. Also gut, es ist lange her und du brauchst wohl eine besondere Lektion. Keine Tricks diesmal.“

    Das hier war kein Plan. Es war ein Himmelfahrtskommando. Ein letztes verzweifeltes Aufbäumen eines eingesperrten Tieres. Raks sprengte die letzten Ketten, die ihn zurückhielten und das schwarze Ungeheuer stürmte los, nach Blut geifernd verlangte es Tod. Doch all der aufgestaute Hass nützte ihm nichts, im Gegenteil, sie waren zu Borkas nutzen. Seine Klauen berührten ihn kaum, schon schmetterte dieser ihn mit gewaltigen Faustschlägen zu Boden. Sein Kopf dröhnte, die Sinne schwanden. Nur mit Mühe hing er an einem Faden seines Bewusstseins.

    Die Seesteinhandschellen klickten und er schrumpfte. Willensräuber Borkas ragte über ihn wie ein unbezwingbarer Berg, begutachtete ihn kurz und wandte sich geringschätzig ab.

    Doch mit den kalten Fesseln schmolz auch sein Hass dahin. Eine Mauer in seinem Kopf wurde durchbrochen. Die Marinebasis...die Höhle...der Sonnenuntergang...ein hell lachendes Gesicht...Mako...sein altes Ich. Die Gefühle seiner Kindheit durchfluteten ihn. Er richtete sich langsam auf. Seine Augen flackerten. Kein Monster, nur ein Junge.

    „Hey, Bazillenschleuder Torfarsch!“ Er sprang Borkas von hinten an, schlang die Handschellen um dessen Kehle und drückte mit aller Kraft zu. „Du hast uns unsere Freiheit geraubt!“ Borkas Arme wirbelten verzweifelt umher. „Du hast uns unseren Atem geraubt!“ Borkas rang nach Luft. „Und du hast mir Mako geraubt!“ Borkas ging in die Knie. Raks entriss den Schlüssel aus seiner Hand. Borkas taumelte. „Nein, ich bin gebunden,“ ächzte er noch, fiel über die Reling ins Wasser und trieb dort reglos in den Wellen.

    Es war vorbei. Raks entledigte sich der Fesseln, sprang hinüber auf das Marineschiff. Der Kampf dort war vorüber. Er keuchte schwer, das Blut im Gesicht blendete ihn. Er wollte einen tiefen Atemzug nehmen, doch ein bebendes Grollen hallte über das Meer.

    Seile umschlangen die Waisen wie Tentakel eines Krakens zerrten an ihnen. Der Atem wurde ihnen abgeschnürt. Raks fuhr herum. Die Orphan’s Turf bäumte sich auf, ein erneutes Grollen, die Takelage zum Leben erwacht. Die Kufen des lebendiges Schifes richteten sich Die Augen des Bisonskopf leuchteten rot.

    Natürlich! Borkas war nicht untergegangen. Er war nur eine weitere Marionette, eine Manifestation des Willens des Schiffes, durch die Bindungsfrucht zum Leben erwacht. Raks röchelte. Das konnte nicht so zu Ende gehen! Er kämpfte sich zu einer Kanone und riss sie aus der Verankerung, lud sie mit den Handschellen. Ihm wurde fast schwarz vor Augen, doch er richtete sie auf das schwarze Schiff und feuerte. Der Seestein durchschlug das Gewand des Schiffes. Der Atem kam zurück. Ein ungestümes Lachen entsprang Raks Kehle. Er sprang auf den Mast des Marinesschiffes und wirbelte zur Orphan’s Turf herum. „Alte Orphan’s Turf, du bist lang genug auf dem Ozean gesurft.“ Weißes Fell umhüllte ihn und er sprang auf die Kufen und riss sie lachend in Stücke. Wieder brüllte das Schiff, ein letzter verzweifelter Schrei. Das Meerwasser umgab sie und das pechschwarze Schiff wurde in die Tiefe gezogen und verschwand.

    Er durchschritt die Ruine. Sprang in das Gebüsch, arbeitete sich durch. Stand vor der verschütteten Höhle. Raks setzte sich und ließ die Beine baumeln, während er den Sonnenuntergang beobachtete. Er würde hier kurz bleiben, bis es auf die Suche nach einer neuen Heimat ging. Tränen der Freude strömten über sein Gesicht. Danke, Mako! Er konnte wieder frei atmen.
    Saga: Unerwartete Kuma-Saga (Unerwartet - Unerwartet einsam - Unerwartet einsamer Körper)
    Unerwartet

    Hätte mir jemand gesagt, dass ich im Leben über 29 Inseln bereise, dass das alles Teil eines großes Plans sein würde. Damals hätte ich nicht einmal reagiert. Weil ich nichts war. Doch gehen wir ein paar Tage zurück.


    25 Jahre zuvor.


    Gesiegeltes Papier, weich in der Hand liegend, doch in der innewohnenden Rhetorik um so schärfer. Nervös rümpfte er die Nase, als er die Worte vernahm, die der leidvoll klingenden Bekundung eine unangemessene Note hinten anschob. Sein Blick suchte das einstige Kind, das er schon immer kannte. Stets auf Wanderschaft gewesen, um Berge und Wälder dieses Königreiches kennenzulernen, stand er nun vor ihm. Nicht wie sonst in zerlumpter, abgetragener Kleidung, die der König in aller Regelmäßigkeit zu beanstanden wusste. Nein, heute waren es andere Rollen, die jeder hier zu spielen hatte. Dieser inzwischen 22 jährige Knabe war zu einem Manne herangewachsen. Als er mit seinen von Neugierde getriebenen Reisen durch die hiesigen Ländereien begann, maß er die Größe eines Welpen. Jetzt aber warf er Schatten, die auf die Höheeines Turmgesims schließen ließen. Mindestens das war zu erwarten, war sich der königliche Berater sicher, der er in seinen üblichen Übertreibungen völlig aus den Augen verlor, dass er allein mit dem Königssohn im Saal stand.

    „Ist alles in Ordnung?“, rang sich der Hüne einen kontrolliert gesprochenen Satz ab. Da waren sie. Der treue Diener seines Vaters, seit 51 Jahren in diesem Hause tätig, und er, der Königssohn, der jetzt König werden sollte, ohne auch nur einen Tag Erfahrung gesammelt zu haben. Der alte Diener blickte ihn an, realisierte, dass der Brief in seiner Hand real war, schwer wog und sein Nervenkleid strapazierte.

    „Junger König“, begann er förmlich und eröffnete den Inhalt des Schreibens.

    „Die Weltregierung bedauert das unerwartete Ableben Ihres Vaters.“

    Der wandernde Koloss von Mann stockte.

    „Unerwartet?“, fragte er bestimmt ruhig.

    Wenn in diesem Sorbet-Königreich eines unerwartet war, dann, dass sein Vater ihn anscheinend als seinen Nachfolger anerkannte. Ihn, der er kaum einen Tag in diesen Gemäuern verbrachte. Ihn, den es nach draußen in die Wildnis, nach oben an die Spitze der hier ansässigen Berge gezogen hatte. Er war freiheitsliebend. Schon immer war er das.

    „Junger König, ich kenne Sie seit dem Tag Ihrer Geburt“, nahm sich der treue Diener den Mut, um den ausgesprochenen Zweifel des Thronerben zu greifen.

    „Bald jährt sich der Vorfall mit ihr. Wenn Sie der Bekundung der Weltregierung keinen großen Wert beimessen können, ist das verständlich“, sagte er.

    Verständlich? Sein großer Körper zitterte. Was hieß das für ihn?

    Er war jetzt König, ohne es zu wollen, für ein Reich, das er bis auf den letzten Grashalm erkundet hatte, aus einem Grund, den er nicht nachvollziehen konnte. Woher nahm die Regierung die Gewissheit, auf welche Weise sein Vater starb? Das alles, dieser Moment übermannte ihn.

    „Ich...muss kurz raus an die Luft“, probierte er seine Fassung auf irgendeine Art und Weise aufrecht zu erhalten. Ein Versuch, der kläglicher nicht sein konnte. Dessen Kläglichkeit seinem lebenslangen Weggefährten ein von Müdigkeit gezeichnetes Lächeln abrang.

    „Wieso muss es morgen vier Jahre her sein?“

    Langsam aber bestimmt suchte der trübe Blick ein Gemälde an der Wand, das, als es erfasst wurde, einen Seufzer in den allein besetzten Saal entweichen ließ.

    „Ich vermisse sie auch.“

    Stille.

    Allein stand er da in seinem schwarzen Trauergewand.

    Es blieb noch weitere Sekunden still.

    Die er alleine blieb.

    Dann riss es ihn von den Beinen, als es seinen Körper unkontrolliert im Raum zusammensackte. Nichts war möglich, kein Schrei, kein Gefühl, nichts. Das Schloss wurde von einer Erschütterung erfasst, die ihm keine Möglichkeit ließ, auf irgendeine Art und Weise zu reagieren. Doch der Alte war nicht der Einzige, den es an den Rand des Abgrunds schmetterte.

    „Was...zur...“

    Kuma hatte die Chance, einen flüchtigen Gedanken zu packen und festzuhalten. Zwei Worte.

    Sein gesamter Körper, eben noch zitternd, brach unter der Wucht, die ihn erfasste, beinahe zusammen. Vor seinen Augen spielte sich nämlich etwas Irreales ab. Keine Stimme war zu hören, bis die geballten Körpermassen zeitgleich dumpf auf dem Boden aufschlugen und ein kurzes aber lautes Klopfen auslösten. Eben standen sie noch, die königlichen Garden, Spalier, nachdem das letzte Mitglied der Königsfamilie und der höchste Bedienstete des Hofstaats eingetreten waren. Und jetzt, kurz nachdem er sie in Augenschein nahm, stand keiner mehr auf den Beinen.

    „Du stehst, Junge!“, platzte es nonchalant aus dem lachenden Gesicht heraus. Dem Verursacher von zumindest dieser Misere. Damit hatte er gar nicht gerechnet. Das war es, dass er als unerwartet ansehen musste. Kuma wusste nicht, was er sagen sollte. Vor ihm stand der Piratenkönig und grinste ihn einfach an. Einfach so.

    „Bin gerade auf Durchreise, meine Liebste besuchen oder suchen“, begann der freieste Mann der Welt ungefragt zu erzählen und stieg über die ohnmächtigen Soldaten hinweg.

    „Mir bleibt nicht viel Zeit, daher penne ich hier nur 'ne Nacht“, erläuterte Roger der Form halber, während er bereits an Kuma vorbei ins herrenlose Schloss spaziert war.

    „Das ist ein schöner Krug.“

    Dies waren die Worte, die Kuma im Hintergrund vernahm. Es zuckte um seine Mundwinkel herum. Das war Freiheit. Das, genau das wollte er. Tun, was man wollte, wann man es wollte, wo man es wollte. Dann hörte er, wie sich sein Gast plätschernd ins Familienerbstück erleichterte und schließlich in den Tiefen dieser Gemäuer verschwand.


    Friedlich, auf dem kalten Steinboden seines Schlafgemachs liegend, lauschte Kuma später dem Schnarchen des freiesten Menschen, der wie ein Stein in sein Bett geplumpst war.
    Unerwartet einsam

    Heute vor vier Jahren wurde sie mir weggenommen. Wo sie ist? Ob ihr Mut sie begleiten wird? Mitgehen oder sterben – die Wahl war einfach, die Folgen umso schwerer. Ich vermisse sie.


    Der Piratenkönig hatte wie ein kleines, betrunkenes Baby geschlafen und war eigentlich guter Dinge gewesen. Aufstehen, Schnurrbart kämmen, Hut aufsetzen. Doch ein merkwürdiges Gefühl zog ihn kurzerhand aus dem Schlafgemach. Näher gesagt war es eine grässliche Stimme, die ihn durch die verlassenen Gänge in den Thronsaal lockte. Dort lag, noch immer bewusstlos, der alte Diener, neben ihm der Ursprung des mentalen Ungemachs.

    „Dieser Brief...“, murmelte Roger. Jetzt, wo er unbeobachtet war, konnte er sich ein Gefühl der Besorgnis eingestehen. In dem Schreiben stand, dass die Weltregierung den Tod des Königs betrauerte. Das las Kuma, das las der Diener und das las nun auch der Piratenkönig. Was der Unterschied war: Gol D. Roger hörte die Stimme des Briefs, hörte die Verlogenheit, die den Worten innewohnte. Dieser Brief war alles andere als aufrichtig.

    „Das ist eine Kriegserklärung!“, raunte der Pirat, der indes weitaus schlechteren Dingen zugetan war. Die Weltregierung, er hatte bereits genug über sie erfahren. Hätte er die Zeit, das alles selbst zu einem Ende zu führen. Doch leider hatte er diese Zeit nicht mehr. Aus dem Grund nutzte der Piratenkönig die Gunst der Stunde, um einem jungen Mann einige Flausen in den Kopf zu setzen. Grinsend zerknüllte Roger den Brief, stieg über den Ohnmächtigen hinweg und war drauf und dran, dem frischen König einen mentalen wie physischen Arschtritt zu verpassen.


    Ich sollte nie erfahren, weshalb mich der Piratenkönig mit einem Stiefel weckte und weshalb er mein Bild von der Regierung dunkler zeichnete, als es das ohnehin bereits war. Doch mein Entschluss, die Welt zu bereisen, war stärker denn je. Der Abschied war an der Zeit.


    „Machen Sie es gut, junger König. Falls Sie auf Ihrer Reise meinem Bruder begegnen, grüßen Sie ihn lieb. Vor Jahren war er nämlich ebenfalls in einem Königshaus tätig.“

    „Das werde ich machen.“

    „Ich habe Ihnen ein wenig Proviant eingepackt“, ergänzte der Diener fürsorglich und verwies auf einen Rucksack, der, sollte er jemals umfallen, den alten Mann mit Sicherheit erschlagen hätte.

    „Machen Sie es gut, Breek.“

    „Ich habe auch etwas eingepackt“, murmelte Roger ungewohnt leise in seinen Bart hinein und konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.


    Keiner musste sofort wissen, dass meine Bestrebungen nicht darin lagen, mein Reich unter dem Dach der Weltregierung zu repräsentieren. Meine Gedanken kreisten hier um eine entscheidende Frage: Wie sollte ich mich von der Regierung lossagen, ohne deren Zorn auf meine Heimat zu lenken?


    Fünf Jahre später, Dezember 1504.


    November 1503, Eintrag

    Was mich an zunehmender Langeweile aus meiner Heimat trieb, hatte sich über die Zeit ins Gegenteil gewandelt. Zum Glück! Euphorie strömte durch meinen Körper, während ich mit weisen Männern hoch oben auf einer Wolke plauderte, mich an Köstlichkeiten satt aß, während uns die ungezügelte Natur verschlingen wollte und der Drang nach Wissen sich sogar aus der dichtesten Schneedecke an meinen frierenden Körper wandte. Die Welt war aufregend.


    Kumas Hand zitterte, während er seine Gedanken Revue passieren ließ. Die Situation, die sich jetzt gerade abspielte, war alles andere als einfach. Er blätterte und blätterte in seine Notizen, um die passende Antwort zu finden.



    Oktober 1501, Eintrag

    Auf dich! Ein Jahr ist es her, seitdem du die Welt in einem Spektakel verlassen hast. Unsere Begegnung werde ich niemals vergessen. Danke für alles, was du mir im wahrsten Sinne mitgegeben hast. Auf dich, Roger!


    „Und...kannst du mir...kannst du uns helfen?“, ihre Geduld war hörbar strapaziert. Ihr Gesicht, von Angst verzerrt, konnte den innewohnenden Stolz trotz alledem nicht ablegen. Sie war stark. Diese Frau erinnerte ihn an sie. Doch ihr Name war ein anderer…


    September 1502, Eintrag

    Dieses Bauwerk ist abstoßend und unbegreiflich. Ein Bauwerk, das sich in dieser Länge über die Meere erstreckt, es ist unbegreiflich. Ein betrunkener Wärter sagte mir, dass man sich einen Spaß daraus macht, die müden Arbeiter ins Meer zu stoßen. Meine Reaktion schreibe ich hier bewusst nicht hinein.


    „Gibt es einen sicheren Ort für die beiden?“, fragte nun der Mann mit ruhiger Stimme. Sein Blick war von seiner Frau zu Kuma gewandert. Stoisch, felsenfest.

    „Du sagst, dass du viele Inseln bereist hast. Welche ist der sicherste Ort?“, wiederholte der Mann, der die Ruhe in seinen Worten in keiner Silbe entweichen lassen wollte. Doch seine Augen waren stechend scharf.


    Kuma wusste, dass er es sich nicht verzeihen würde, sollte er der Frau und ihrem ungeborenen Kind nicht helfen. Was brachte ihm die Vielfalt der Welt, wenn sie im Kern verdorben war?

    Der Mann wiederholte seine Frage ein drittes Mal, forderte eine Position ein.

    Kuma blätterte und blätterte. Zum ersten Mal verabscheute er seine gesammelten Erfahrungen. Es waren gerade zu viele. Zu viele, um im entscheidenden Moment eine richtige Antwort zu finden.


    August 1504, Eintrag

    Offen gegenüber dem zu sein, was mir die Welt zu bieten hatte. Das war es, was mich bisher angetrieben hatte. Je mehr ich sah und je mehr Menschen ich begegnete, umso bewusster wurde es mir: Ich war allein. Alles war schön, alles war aufregend und berauschend. Doch zugleich war es alles...flüchtig. Ein Handschlag, ein Abschied. Und ich war wieder allein.



    Es war kein Zufall, dass sie hier nun zu dritt, nein, zu viert standen. Hier sollte ihr aller Weg eine neue Wendung nehmen.
    Unerwartet einsamer Körper

    Warnung. Kapazitäten erschöpft. Warnung. Kapazitäten erschöpft.

    Was mit mir los ist, wollt ihr wissen? Nun, ich sterbe.


    Zwei Jahre zuvor.


    Er war gerade dabei, eine gehörige Schimpftirade über sich ergehen zu lassen, doch Kuma konnte den wütenden Speichelregen des Großadmirals mit stoischer Ruhe ertragen. Nach einem polternden „RAUS HIER!“ verließ er Sengokus Büro und stapfte nachdenklich durch die Gänge des Hauptquartiers. Die Gedanken waren seine. Es war sein Wille, den Jungen zu retten. Wie bereits vor 17 Jahren zögerte er keine Sekunde.

    „Du bist ein Buch mit sieben Siegeln, bwahahaha!“

    Genüsslich kauend schlenderte Garp am Hünen vorbei, der sich in dem Moment seltsam ertappt vorkam. Kuma wusste ganz genau, wer sich hinter diesem unbedarften Mann verbarg. Beinahe überkam ihn bei dem Gedanken ein Schmunzeln, da sich der Vizeadmiral nicht genötigt sehen musste, etwas zu verbergen.

    „Wenn du es für richtig hältst, ist es gut so, oder nicht?“, raunte Garp zwischen den Bissen. Er war stehen geblieben, stand mit dem Rücken zum Samurai der Meere. Obwohl Kuma es nicht sehen konnte, so glaubte er eines der breitesten Grinsen vor seinem inneren Auge zu sehen. Zwei, drei Sekunden vergingen, während die Krümel von Garps Reiscrackern zu Boden rieselten. Kaum etwas war zu hören.

    „Es ist gut so“, murmelte der freieste Marine und stapfte durch die knackenden Essensreste, die sich in seinen Sohlen festsetzten. Für ein paar Momente war der Gang mit knuspernden Geräuschen erfüllt, und Kuma? Der stand da und fühlte sich ein klein wenig verloren.


    Warnung. Kapazitäten erschöpft.

    Roger, Garp, Dragon, jeder hatte die Freiheit im Sinne. In dem, was sie taten, in dem, was sie dachten. Sei es ein Kind zu zeugen, ein Kind tun zu lassen, ein Kind in die Sicherheit zu entsenden.


    „Es ist mein Weg“, sagte Kuma endlich.

    Zu sich selbst, denn niemand hörte ihn.


    Protokoll, AT 17. Zweite Hirnhälfte.

    - Testobjekt pünktlich in Forschungseinrichtung erschienen. Schäden in Schulterpartie entdeckt. Keine tiefere Reparatur notwendig.

    - Vorbereitung des Eingriffs erforderte drei Tage. Übergang zur mechanischen Entität finalisiert.

    - Elektrische Stimuli zu einhundert Prozent kodierbar. Technische Herausforderung von Testobjekt, ehemals Testperson K, aufgenommen und erfolgreich umgesetzt. Probebefehl nach Muster umgesetzt.

    - Teufelskraft aktiv. Keine Übertragung in neues Gefäß erfolgt. Revision Theorie erforderlich.

    Forschungseinrichtung II, Neue Welt. Kürzel: Vp.


    Zwei Jahre später.


    Dass ich ihn wiedersehe. Ich wollte sie schützen, weil ich meinen Appetit wieder nicht zügeln konnte. Verdammter Mist! Was war das für eine große Scheiße.

    Da saß sie, versteckt in einem gebrechlichen Körper. Alt und freundlich, innerlich aber so fragil, wie sie äußerlich aussah. Faltig grinsend schlich sie durch das Heilige Land als wäre es das Normalste auf der ganzen Welt. Bonney wischte sich eine Träne aus den Augenwinkeln. Wie lange hatten sie sich nicht mehr gesehen? Sie hielt sich das Handgelenk. Es schmerzte.


    Vor 28 Jahren.


    „Es ist mir eine Freude, mit Ihnen Geschäfte zu machen“, säuselte der König des Sorbet-Königreiches und fuhr sich durchs schwarzgelockte Haar. Heute war es soweit, endlich würde sich Fortuna gütig zeigen und ihn entlohnen.

    „Holt das Geld“, befahl der Vertreter der Cipherpol ruhig und schob Kumas Vater einen Zettel vor die Nase.

    „Mit dieser Gabe wird Ihr Reich nie wieder einen Tribut zu zahlen haben.“

    Das Grinsen des Königs verzerrte sich ins schmerzhaft anzusehende, konnte er mit seiner Freude kaum noch hinterm Berg halten.

    „Das ist das Mindeste. Reichtum, und Reichtum, den ich behalten kann. Was gibt es schöneres?“, frohlockte der König und musterte seinen Diener, der den ganzen Handel ohne ein Wort beobachtete.

    „Breek“, bellte der Herrscher. „Hol die Teufelsfrucht!“

    „Selbstverständlich“, antwortete dieser lakonisch. Seine Gedanken nahmen, wie seine Schritte, mit denen er den Thronsaal verließ, immer weiter zu. Was es schöneres gäbe?

    „Verdammt viel“, murmelte der ergraute Diener. Was danach geschah, hätte er sich nicht im Entferntesten ausmalen können.



    In der Gegenwart.

    Der Arm, an dem sie aus ihrem Schlafgemach gerissen wurde, er schmerzte jeden Tag. Sie konnte die Zeit verändern, doch was sie nicht konnte: Sie rückgängig machen. Jetzt zu leben, ohne Rast auf der Flucht zu verweilen, das war es, was sie seit je her spürte.

    „Gebt ihn uns zurück!“

    Die Piratin erschrak, als sich die Erde auftürmte und urplötzlich brüllende Gestalten auf ihren Kuma zusprangen. Was war hier los?


    Zwei Jahre zuvor.

    Die sandigen Winde zerfurchten sein Gesicht, doch das war nichts, was ihn nach all den Jahren noch beunruhigte. Er spürte das Metall, er spürte den Fremdkörper in ihm. Überhaupt war er froh, dass er in diesem Moment keine Schmerzen mehr spürte. Es war der 13. Arbeitstag, wie es der Chefwissenschaftler nannte. Der Eingriff, der bisher am schmerzhaftesten war. Er spürte, dass sein Körper an seine Grenzen stieß.

    „Du tust es, weil du es für richtig hältst“, sagte Dragon, dessen Stimme bereits vor 17 Jahren eines vermittelte. Entschlossenheit. Unabdingbare Entschlossenheit. Selbst wenn es bedeutete, loszulassen. Das war der Lauf der Dinge, das Einzige, was selbst die Freiheit nicht beeinflussen konnte. Sie besaßen nur die Fähigkeit, damit umzugehen. Das war es, was ihm jeder dieser Leute mit auf den Weg gab.

    „Du tust es nicht, weil ich es dir befehle“, unterstrich sein Anführer. Sein Weggefährte.

    „Eines noch.“

    Kuma war nie ein Mann vieler Worte gewesen. Das war es, was selbst Dragon ein leichtes Grinsen aufs Gesicht zauberte.

    „Findet sie für mich und gebt ihr diesen Brief.“

    Dragon musterte das Papier und er brauchte es nicht lesen, um jede darin enthaltene Emotion zu spüren.

    „Du bist nicht allein.“

    Diese Emotionen, sie kamen für beide unerwartet.
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