Eine Nacht im Ohrensessel (Leonardho)

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    • Eine Nacht im Ohrensessel (Leonardho)

      Das wesentliche steht alles im Prolog. Ich habe vor, endlich mal aktiv an meinen Schreibfähigkeiten hinsichtlich Unterhaltungsliteratur zu arbeiten und das geht am besten mit einem Publikum ^^ Seid gerne in jeglicher Hinsicht ehrlich und auch hart, wenn es notwendig sein sollte. Ich will hier einiges lernen und an meiner Leserschaft wachsen (hoffentlich liest das jemand ^^). Wie ich die Texte in Zukunft formatiere, sodass sie schön aussehen und gut zu lesen sind, weiß ich noch nicht. Das Forumsformat ist da sicherlich nicht optimal. Vielleicht hat da ja auch jemand einen Tipp. Wie gesagt, Feedback wirklich gerne in jeglicher Hinsicht und ich bin auch nicht aus Zucker!
      Ich werde regelmäßig neue Kapitel rausbringen, unabhängig davon, ob ich Feedback bekomme oder nicht. Wie regelmäßig, wird sich wahrscheinlich erst nach ein paar Wochen zeigen. Wenn ihr den Prolog gelesen habt, werdet ihr auch sehen, dass dieses Unterfangen quasi Open End ist. Ich werde aber zumindest sicherstellen, dass hier keine Geschichte offen bleiben wird. Das wäre ja sonst nicht so optimal :D

      Prolog

      Schwere Regentropfen prasselten gegen das Fenster, während ein flimmerndes Kaminfeuer lange Schatten gegen die Zimmerwände warf, welche umherzuwandern schienen. Der Raum war vollgestellt mit massiven Regalen, welche mit schweren Büchern überladen waren, zwischendenen einzelne, lose Blätter hervorragten, auf denen wahrscheinlich allerhand Notizen niedergeschrieben waren. Am Kamin stand ein dunkelroter, lederner Ohrensessel, auf dem es sich ein Junge gemütlich gemacht hatte.

      Frederik wusste, dass er eigentlich nicht in das Arbeitszimmer seines Vaters durfte. Vom entfachen des Kaminfeuers ganz zu schweigen. Aber das war ihm egal. Sein Vater war ja eh fast nie zuhause und wer sollte es ihm schon verraten? Feierliche Ereignisse bedürfen nun einmal feierliche Umstände und den Fund, den Frederik an diesem Morgen auf dem Dachboden des großen Herrenhauses gemacht hatte, war wahrlich ein feierliches Ereignis gewesen.

      Auf dem Dachboden hatte er ein unglaublich vollgestaubtes und unfassbar großes Buch gefunden. Viel mehr einen wahren Wälzer. So groß, wie er es noch nie zuvor gesehen hatte. So groß, dass es ihm schwer fiel, es alleine aus dem Dachboden in das Arbeitszimmer zu tragen, aber der Titel des Buches erweckte direkt die Neugier in dem Jungen. Von echten Helden und ihren Abenteuern. Der Titel war simpel, aber vielleicht war es gerade das, was Frederik so neugierig machte. Deshalb hatte der Kleine es sich im Arbeitszimmer seines Vaters gemütlich gemacht. Einen warmen Kakao griffbereit neben sich schlug er das massive Buch auf seinem Schoß auf. Der dadurch aufgewirbelte Staub brachte den Jungen zum Husten. Als der Staub sich verzog, offenbarte sich ihm eine förmliche Wand aus Wörtern. Die ersten Zeilen, die er zu lesen bekam, wählte er zufällig aus der Mitte der aufgeschlagenen Seite:

      Sie konnte es immer noch nicht fassen! Was mussten sie denn noch tun, damit er endlich zu Boden ging? Sylvie gelang es nur unter Anstrengung ihrer letzten Kräfte, ihren Revolver nachzuladen und auf den Mann zu richten, der all das Böse verkörperte, für das diese Organisation stand. Er blickte ihr direkt in die Augen und sein Hohn ihr gegenüber war deutlich zu sehen. Der Sieg war ihm nicht mehr zu nehmen, da war er sich sicher…

      Frederik hörte schnell auf zu lesen, da er die Geschichte von Beginn an lesen wollte. Daher blätterte er weiter zurück. Es gelang ihm aber nicht, alle Seiten mit einem Handgriff zu erwischen, dafür war das Buch einfach viel zu dick. Unweigerlich fokussierten seine Augen erneut eine Satzstelle mitten in einer Geschichte:

      gehört mir!“ Aber Michael lachte nur. Ihm machte es spaß, seinen kleinen Bruder zu ärgern und Punio machte es ihm auch nicht besonders schwer. Zwischen Zeigefinger und Daumen hielt er die Lieblingsmurmel seines Bruders fest am ausgestreckten Arm. „Hol sie dir doch, wenn du es schaffst“, sagte Michael in einem lachenden Tonfall. Punio war deutlich kleiner als sein großer Bruder und so versuchte er springend, an die Murmel zu kommen, die er vor ein paar Monaten von einer fremden Frau geschenkt bekommen hatte. Allerdings ohne Erfolg…

      Auch dieses Mal fiel es Frederik schwer, nicht einfach weiterzulesen. Aber es gelang ihm dann doch, seine Augen abzuwenden und weiterzublättern. Dieses Mal hatte er es zum Vorwort geschafft und sogleich begann er, dieses zu lesen:

      Willkommen, neugieriger Gast! In diesem Buch liegen die gesammelten Abenteuer vieler Menschen vor. Nur darauf wartend, von dir entdeckt und von deiner Fantasie zum Leben erweckt zu werden! Aber bedenke, nicht jedes Abenteuer hat die Rettung der Welt zur Folge. Für manch einen mag schon das heraustreten aus den eigenen vier Wänden ein Abenteuer sein, das Konfrontieren alter Feinde oder der Umgang mit neuen Situationen und Gegebenheiten. Nicht alle Abenteuer füllen ganze Bücher. Aber dieses Buch füllen viele Abenteuer. Manche sind schnell erzählt, deswegen aber nicht weniger wert, gelesen zu werden. In diesem Buch findet der Leser das komplette Spektrum an Abenteuergeschichten. Lange und kurze, lokal angesiedelte und welche, die das Schicksal der gesamten Welt verändert haben. Tragische Geschichten, die zeigen, dass nicht jeder Mensch freiwillig zu dem geworden ist, zu dem er wurde. Aber natürlich auch heitere Geschichten, die das Gute im Menschen zeigen und die dem Leser ein Lächeln auf die Lippen zaubern sollen. All diese Geschichten sind zusammengetragen aus aller Welt und es ist dem Leser überlassen, in welcher Reihenfolge er sie liest. Die einzelnen Abenteuer sind in sich abgeschlossen und bedürfen keinerlei Vorwissen. Ich hoffe, dass der Leser Freude an der einen oder anderen Geschichte finden wird. Ich hatte eine Menge Spaß daran, die Abenteuer zusammenzutragen und in diesem Buch niederzuschreiben.
      - Leonardho

      Jetzt wusste Frederik also, womit er es hier zu tun hatte. Gespannt blätterte er eine Seite weiter und fand dort das Inhaltsverzeichnis vor. Vollkommen erschlagen von der Vielzahl an Kapiteln schloss er die Augen und glitt mit seinem Zeigefinger immer wieder von oben nach unten und zurück, während er einen Reim aufsagte. Als der Reim beendet war, drückte er seinen Finger gegen das dicke Papier und öffnete die Augen. Das sollte also das erste Kapitel sein, na gut. Mit spürbarer Vorfreude blätterte er auf die Seite, welche neben den Kapitelnamen angegeben war und als er die richtige Seite aufgeschlagen hatte, nahm er einen kräftigen Schluck des warmen Kakaos und begann mit dem lesen.


      Kapitel 12

      Durchbrochene Stille

      Einsamkeit. Für Alice war das nicht nur ein Wort, sondern ein selbstgewählter Lebensweg. Vor über zehn Jahren hatte sie sich von ihrer Gemeinschaft abgewandt und das Leben abseits der Gesellschaft gesucht. War sie deshalb unzivilisiert und ungebildet? Mitnichten. In ihrer kleinen Berghütte, am Rande des Waldes hatte die braunhaarige Frau im Laufe der Jahre ein kleines Regal mit Büchern ansammeln können. Darauf war sie ziemlich stolz. In ihrer Sammlung befanden sich sowohl Fachbücher zu den verschiedensten Themen, Lehrbücher über die Geschichte ihres eigenen Landes und der Welt, aber auch Unterhaltungsliteratur und wenn sie die Einsamkeit dann doch mal packte, verlor sie sich am liebsten in der Welt von Noland dem Lügner. Natürlich kannte sie all die Geschichten, die sich in diesem Buch sammelten, bereits komplett auswendig.
      Alice wusste nicht, wie oft sie jede einzelne Geschichte bereits gelesen haben musste, aber im Laufe der Jahre wurde die junge Frau immer seltener vom erdrückenden Gefühl der Einsamkeit übermannt und immer seltener verlangte es ihr nach Gesellschaft. Zu Beginn passierte es häufig, dass sie sich nachts in den Schlaf weinte. Gerade in der Dunkelheit war die Einsamkeit am deutlichsten zu spüren. Dann, wenn man sich nicht vor den Gedanken wehren konnte, die man am Tage so leicht verdrängte. Wie oft Alice am liebsten wieder in ihr Heimatdorf zurückgegangen wäre! Aber das durfte sie nicht, das wollte sie eigentlich auch nicht mehr. Nicht nach dem Tag, der ihr ganzes Leben auf den Kopf gestellt hatte. Aber dennoch war der Lebensumstieg nicht leicht gewesen. Das Beschaffen von Nahrungsmitteln war zu Beginn eine große Hürde. Feuer machen war schwieriger, als es aussah. Gerissene Kleidung musste genäht werden. Zum Überleben in der Wildnis gehört mehr, als man zuerst vielleicht glaubt und Alice wurde dem Überlebenskampf ohne jegliches Vorwissen ausgesetzt. Sie war damals nicht älter als 15 Jahre.

      Ihre kleine Hütte ähnelte im Laufe der Jahre immer mehr einem wahren Haus. Zu Beginn lebte sie auf einem Haufen aus gesammelten Blättern und Mos, aber mittlerweile hatte sie sich selbst ein Bettgestell zusammengebaut und vor Jahren hatte sie auf einem Markt eine Matratze erworben. Natürlich war Alice gerade zu Beginn ihres Exils weiterhin von den Vorzügen der Gesellschaft abhängig. Aber auch diese Abhängigkeit nahm von Jahr zu Jahr ab und Alice wusste gar nicht mehr genau, wann sie das letzte Mal einen anderen Menschen gesehen hatte. Über ein Jahr war es sicherlich her gewesen. Neben dem Bett und dem selbstgebauten Regal gab es in der Hütte noch eine kleine Feuerstelle mitten im Raum und ein Schreibtisch mitsamt einem ungemütlich aussehenden Stuhl. Die Feuerstelle bestand eigentlich nur aus einem Loch im Holzboden, der mit größeren Steinen ausgelegt war, um den Übergang der Flammen auf das Holz zu verhindern. Über der Feuerstelle war eine kleine Konstruktion aufgebaut, an welcher ein kleiner Kessel befestigt werden konnte, der es Alice ermöglichte, Wasser oder Suppe zu erhitzen. Am Schreibtisch hatte sie in den ersten Jahren regelmäßig in ihr Tagebuch geschrieben. Aber auch damit hatte sie bereits schon vor einiger Zeit aufgehört. Heutzutage schrieb sie nur ab und an Dinge nieder. Hauptsächlich, um das Schreiben nicht zu verlernen. Die Hütte selbst hatte die junge Frau fast zu Beginn ihres Exils leer vorgefunden. Es stand vielleicht einen halben Tagesmarsch von ihrem Heimatdorf entfernt am anderen Ende des Waldes und am Fuße eines großen Berges. Es war pures Glück gewesen, dass Alice damals darüber stolperte und in all den Jahren kam nie der eigentliche Besitzer der Hütte vorbei. Wahrscheinlich war dieser bereits seit langem verstorben. Die Holzhütte war nicht besonders groß und beherbergte genau einen Raum. Die Eingangstür befand sich an einer der beiden längeren Seiten und war auf den Wald gerichtet. Auf der anderen Seite stieg der Berg plötzlich steil an, sodass man dort nicht ohne weiteres hinaufklettern konnte. Auf allen vier Seiten gab es kleine Fenster, sodass immer ausreichend Sonne in den Raum schien. Alice pflegte das Haus so gut es ihr möglich war und selbst nach etwas über zehn Jahren machte es noch einen guten Eindruck.
      Viel besaß die junge Frau zwar nicht, aber das, was sie besaß, reichte ihr vollkommen aus.

      Sie lag gerade bäuchlings auf ihrem Bett und las erneut ihre Lieblingsgeschichte, in der Noland das Land der Zwerge besuchte. Da ihr die glatten, in etwa schulterlangen Haare immer wieder ins Gesicht fielen, obwohl Alice immer wieder versuchte, sie hinter ihre Ohren zu streifen, nahm sie kurzerhand ein Haarband, um sich die Haare am Hinterkopf zusammenzubinden. Es war ein schöner Tag. Die Sonne strahlte auf den Wald und die Hütte nieder, Vögel zwitscherten und Heuschrecken zirpten. Durch das offene Fenster gelang eine angenehme Brise in den Raum und alles war einfach nur friedlich. In solchen Momenten vermisste sie die Gesellschaft anderer Menschen am allerwenigsten.
      Ein plötzlicher Knall, begleitet von einer kurzen Erschütterung riss Alice aus ihrem idyllischen Mittag! Unmittelbar neben ihrer Hütte ist etwas mit gewaltiger Wucht auf dem Boden aufgeschlagen. Sie erschrak dermaßen, dass sie für einen Moment die Kontrolle verlor und ihr Lieblingsbuch stark beschädigte. Nach wenigen Augenblicken hatte sie sich wieder beruhigt und bemerkte, was sie angerichtet hatte. Einige Seiten waren zur Hälfte durchtrennt und der stark abgegriffene Einband hatte mehrere tiefe Schnitte. In diesem Moment war es Alice vollkommen egal, was dort vor ihrer Hütte vonstattenging. Sie war unglaublich traurig und wütend zugleich. Zuerst auf sich, weil sie ihren kostbarsten Besitz so zugerichtet hatte, dann aber auf wer oder was auch immer für den Knall verantwortlich war. Sie dachte gar nicht daran, dass es vor der Hütte gefährlich sein konnte und rannte förmlich aus der Tür ins Freie. „Wer ist für diesen Lärm verantwortlich?!“ Alice blickte sich um, auf der Suche nach dem Unruhestifter. Aber niemand meldete sich. Es herrschte wieder stille. Der Adrenalinpegel sengte sich rapide und Alice wurde sich bewusst, dass der Knall wahrscheinlich Gefahr signalisierte. Deshalb blieb sie seit ihrem forschen heraustritt in der Türangel stehen und blickte mit steigender Furcht in den dunklen Wald hinein. Die Stille machte es nicht besser.

      Selbst nach ein paar Minuten passierte nichts Auffälliges. Mittlerweile hatten die Vögel wieder angefangen zu zwitschern und es gab keine Anzeichen mehr dafür, dass es vor kurzem einen unglaublichen Knall gegeben hatte. Irgendetwas musste den Knall jedoch verursacht haben, ganz zu schweigen von der dazu gehörigen Erschütterung. Was auch immer solch einen Knall verursachen konnte, musste gefährlich sein. Alice ging langsam zurück ins Innere, um durch das Fenster die andere Seite des Hauses sehen zu können. Von da schien der Knall auch gekommen zu sein.
      Vorsichtig näherte sie sich dem Fenster und als sie hinausblicken konnte, offenbarte sich ihr ein höchst seltsamer Anblick. Direkt neben dem Fenster befand sich ein Krater im Boden. Ein Krater in der Form einer Bärentatze. Und war das nicht schon abstrus genug, lag genau in dessen Mitte ein Mensch. Alice erschrak bei diesem Anblick und befürchtete, dass die Person tot war. Immerhin lag sie dort ja schon seit ein paar Minuten. Sofort huschte die junge Frau aus der Hütte und zu der am Boden liegenden Person. Dabei verschwendete sie keinen Gedanken daran, dass es draußen gefährlich sein könnte.
      Als Alice bei der Bärentatze ankam, konnte sie die Person auch etwas besser erkennen. Es handelte sich um ein junges Mädchen. Vielleicht so alt, wie Alice damals war, als sie ins Exil ging. Genau erkennen konnte sie es aber nicht, da das Mädchen Kleidung trug, die man in dieser Gegend nicht kannte. Aus ihren Geschichtsbüchern wusste sie, dass es sich dabei um eine typische Wüstenbekleidung handeln musste. Wie konnte das sein? Es gab weit und breit keine Wüste und Alice war sich sicher, selbst, wenn man solch eine Kleidung tragen wollen würde, würde man sie hier nirgends kaufen können. Wie dem auch sei, die Kleidung machte es Alice unmöglich, das Mädchen genauer zu erkennen. Wenn sie ehrlich war, war sie sich nicht einmal sicher, dass es sich wirklich um ein Mädchen handelte.
      Klar war, dass die Person noch am Leben war. Überraschenderweise wirkte sie nicht einmal besonders verletzt. Zumindest, soweit Alice beurteilen konnte. Vor allem, wenn man bedenkt, welche Wucht der Aufprall auf dem Boden gehabt hatte. Das Mädchen war zwar ganz klar am Leben, aber dennoch befand es sich in Ohnmacht. Alice schaffte es nicht, sie wachzurütteln, also beschloss sie, das Mädchen in die Hütte zu tragen und dort zu pflegen. Da das Kind sehr leicht war, gelang es Alice ohne Probleme, es in die Hütte und auf das Bett zu hieven. Dort angekommen befreite die junge Frau das Kind von der obersten Schicht seiner hellblauen Wüstenbekleidung und konnte somit zum ersten Mal das Gesicht ihres unfreiwilligen Gastes sehen. Es war tatsächlich ein Mädchen und zwar ein sehr dünnes, fast schon unterernährt. Es hatte sehr kurze, schwarze Haare und eine dunkle Haut. Unter der hellblauen Wüstenkleidung trug es ein dunkles langärmliges Oberteil und eine lange Hose. Obwohl Alice wusste, wie Wüstenkleidung aussah, war sie dennoch darüber überrascht, wieviel man in der Wüste scheinbar trug. Sie selber trug eine lockere Bluse und eine helle Jeans.
      Alice war es nicht mehr gewohnt, andere Menschen zu sehen und sie wusste auch nicht, was sie davon halten sollte, dass sich jemand anderes als sie in ihrer Hütte aufhielt. Aber darüber konnte sie sich noch genauer Gedanken machen, sobald das Mädchen wieder bei Bewusstsein war. Schließlich hatte Alice unglaublich viele Fragen. Sobald diese geklärt waren, konnte sie sich ja immer noch überlegen, ihren unangekündigten Gast rauszuschmeißen. Außerdem war Alice auch kein Unmensch. Wenn jemand offensichtlich Hilfe brauchte, dann würde sie dieser Person auch helfen.

      Und so vergangen die nächsten Tage relativ ereignislos. Alice stellte sicher, dass es dem Mädchen den Umständen entsprechend gut ging und nebenbei versuchte sie, ihr Lieblingsbuch wieder so gut es ging zu reparieren. Viele Optionen blieben ihr dabei nicht, da sie das dafür notwendige Werkzeug nicht besaß. Immerhin konnte sie feststellen, dass sich der Schaden am Buch noch in Grenzen hielt und solange sie es vorsichtig behandelte, würde es die Zeit unbeschadet überstehen, bis Alice es zu einem Buchbinder bringen konnte, der es für sie reparieren sollte. Das erste Mal seit Jahren, dass sie gezielt in eine Stadt gehen würde. Aber was blieb ihr denn anderes übrig?
      Gerade, als sie das Buch etwas genervt von der Tatsache, dass sie es nicht selbst reparieren konnte, zuklappte und aufstehen wollte, um nach ihrer Patientin zu schauen, hörte sie, wie sich das Mädchen im Bett bewegte. Wenige Augenblicke später konnte Alice schon die unerwartet zierliche Stimme des jungen Mädchens hören: „Wo bin ich?“
      Vorsichtig näherte sich Alice dem Mädchen. Einerseits um sie nicht zu erschrecken, andererseits weil sie nicht wusste, ob das Mädchen gefährlich war. Zur vollkommenen Überraschung der jungen Frau, war das Mädchen sehr schnell auf den Beinen. Von der Ohnmacht war bereits keine Spur mehr zu sehen! Während das Mädchen sich orientierte, bemerkte es endlich seine Gastgeberin. „Wer bist du?“ Die zierliche Stimme stand im direkten Kontrast zur Selbstsicherheit ihrer Besitzerin und Alice gefiel diese Selbstsicherheit nicht. „Die Frage ist hier doch wohl, wer du bist!“ Da stand ein fremdes Mädchen in ihrer Hütte und fragte sie allen Ernstes, wer sie war?„Du bist hier vor zwei Tagen aus dem nichts aufgetaucht, nicht ich!“ Diese Worte bewirkten offensichtlich etwas in dem fremden Mädchen. Sie senkte ihren Kopf etwas und begann nachzudenken. Sie schien sich allmählich zu erinnern, was zuletzt mit ihr passiert war. „Achja… Kuma…“, begann sie in einem nachdenklichen Ton. Plötzlich riss sie ihren Kopf wieder hoch und wirkte ganz aufgeregt. „Jetzt weiß ich wieder!“ Sie blickte Alice direkt in die Augen und sprach sie überraschend höflich an. „Entschuldigung, aber weißt du, wo ich Bravos finden kann?“ Das alles ging Alice viel zu schnell. Gerade lag das Mädchen noch bewusstlos im Bett und im nächsten Moment stand es voller Energie im Raum und warf mit Fragen nur so um sich. Den Namen Bravos hatte sie noch nie gehört, aber das war erstmal auch egal. Da das Mädchen seinen Ton änderte, antwortete ihr auch Alice wieder etwas ruhiger. „Moment, Moment. Bevor ich dir irgendwelche Fragen beantworte, will ich erstmal wissen, was hier eigentlich los ist. Wer bist du?“ Von dem Mädchen schien keine unmittelbare Gefahr auszugehen. Da Alice das verlangen verspürte, sich zu setzen, begab sie sich wieder zu ihren Schreibtisch zurück, nahm sich den Stuhl und setzte sich auf ihn. Fragend blickte sie ihren Gast an, darauf wartend, dass sie sich vorstellte. Dabei streifte Alice immer mal wieder eine Strähne hinter ihr rechtes Ohr, die ihr erneut um erneut ins Gesicht fiel. „Oh, Entschuldigung. Ja, natürlich. Ich bin Juvia.“ Das war endlich mal ein ordentlicher Start, auf dem man aufbauen konnte. Alice tat es ihrem Gegenüber gleich und stellte sich auch mit ihrem Namen vor. So langsam begann sich die Situation zu normalisieren, aber natürlich wollte sie noch mehr von ihrem Gast erfahren. Unter anderem, wieso sie denn ausgerechnet hier landete. „Es war kein Zufall, dass ich hier gelandet bin“, begann Juvia. „Ich wurde hierher geschickt, um Bravos zu holen!“ Bei den letzten Worten änderte sich ihr Gesichtsausdruck erneut. Sie war sichtlich besorgt. Das war Alice aber erstmal egal. Sie wunderte sich viel mehr über die Aussage, dass Juvia hierher geschickt wurde. „Wie geschickt? Du bist hier mit enormer Wucht auf dem Boden aufgeprallt. Was ist das denn für eine Art der Transportation?“ Das Mädchen konnte die Verwirrung nachvollziehen und erzählte ihr, dass sie mithilfe der Teufelskraft eines Freundes hergeschickt wurde. Eine Teufelskraft war zu sowas in der Lage? Zugegeben, viel wusste Alice über Teufelskräfte nicht. Sie kannte bisher nur eine Person mit einer Teufelskraft, aber die war komplett anders. „Und du wurdest hergeschickt, um einen gewissen Bravos zu finden, richtig?“ Juvia nickte. „Aber das erklärt noch immer nicht, wieso du Bravos finden wolltest.“ Alice wollte mehr wissen. Offensichtlich mehr, als Juvia preisgeben wollte. Es war dem Mädchen sichtlich unangenehm, dass sie nicht ihren wahren Grund für ihr auftauchen erklären konnte, aber ihr die deutliche Anweisung gegeben, dass sie nur mit Bravos reden dürfe oder mit Leuten, denen sie eindeutig vertrauen konnte. „Und da du Bravos offensichtlich nicht kennst, kann ich dir leider nicht mehr sagen.“ Natürlich wollte Alice mehr wissen, aber sie wusste, wie es ist, Geheimnisse zu haben, die man niemanden leichtfältig erzählen wollte. Vor allem keinen Fremden. „Na gut, das kann ich verstehen“, übernahm Alice wieder das Gespräch. „Hier wirst du Bravos auf jeden Fall nicht finden.“ Sie erzählte ihrem Gast, dass sie bereits seit über 10 Jahren hier wohnte und niemals von irgendjemand besucht wurde. Es war also höchst unwahrscheinlich, dass dieser Bravos plötzlich auftauchen würde. Wobei sich Alice seit den Ereignissen der letzten drei Tage auch darüber nicht mehr wundern würde. „Am besten, du gehst in die nächste Stadt und erkundigst dich dort nach ihm.“ Juvia stimmte ihr zu, zog sich die oberste Schicht ihrer Kleidung wieder an, die sauber zusammengefaltet neben dem Bett lag, dankte Alice noch einmal von ganzem Herzen und schon war sie aus der Haustür verschwunden.
      Alice blieb etwas erstaunt darüber zurück, wie schnell sich das Mädchen auf den Weg gemacht hatte und legte sich erstmal auf ihr Bett, um über das seltsame Gespräch nachzudenken.

      Es vergingen keine fünf Minuten, als es plötzlich an der Tür klopfte und Juvias Stimme dumpf durch das Holz schallte. „Entschuldigung, aber ich kenne den Weg nicht.“ Gemütlich lief Alice zu der Tür und öffnete sie. „Ja, das hätte ich dir auch sagen können, dass wir mitten in der Wildnis sind und dass du den Weg alleine nicht finden wirst. Aber du warst ja direkt weg, bevor ich etwas sagen konnte.“ Juvia war peinlich berührt, dass sie einfach so losgezogen war, ohne nachzudenken, aber sie erklärte, dass sie schnellstmöglich erfahren musste, wo Bravos war. „Dazu kommt noch, dass es auf meiner Heimatinsel keine Wälder gibt. Was ist das hier eigentlich, eine Frühlings- oder eine Sommerinsel?“ Alice verstand die Frage nicht. „Was soll das heißen, eine Sommerinsel? Wir sind hier im Königreich Kamia.“ Erstaunt antwortete ihr Juvia. „Du weißt nicht, was eine Sommerinsel ist? Moment, sind wir nicht auf der Grand Line?“ Die Grand Line? Natürlich hatte Alice schon von ihr gehört, aber sie hätte niemals gedacht, jemals jemanden kennenzulernen, der wirklich mal dort war. „Du kommst von der Grand Line?“ Die Tatsache, dass das Mädchen von der Grand Line stammt, war interessanter, als alles andere. Mit einem kindlichen Leuchten in den Augen schossen Alice unzählige Fragen durch den Kopf, die sie Juvia stellen wollte. Sie konnte sich nicht vollends zurückhalten und schoss einfach drauf los. „Hast du die goldene Stadt gesehen? Wie viele Zwerge kennst du?“ Die Fragen kamen so schnell, dass Juvia gar nicht die Zeit hätte, zu antworten. Selbst, wenn sie wüsste, wovon Alice da sprach. Nach dem ersten Euphorieschub und dem sichtlich verwirrten Ausdruck auf Juvias Gesicht fiel Alice wieder ein, dass ihr Gegenüber wohl wichtigere Sorgen hatte, als diese. „Entschuldige, vergiss, was ich gefragt habe.“ Sie räusperte sich kurz, strich erneu eine Strähne hinter ihr Ohr und führte ihre Antwort fort. „Also, wir befinden uns im Königreich Kamia, welches sich im North Blue befindet. Du bist also nicht mehr auf der Grand Line, sondern im North Blue.“ Die Überraschung über diese Worte standen Juvia förmlich ins Gesicht geschrieben. Mit offenem Mund wiederholte sie beinahe Abwesend „im North Blue“. Es dauerte etwas, bis sie sich gefasst hatte, aber dann schien sie die neue Information sogar noch in ihrem Entschluss zu bestärken. „Das bedeutet nur, dass ich Bravos noch schneller finden muss! Schließlich ist die Heimreise lang und wir haben keine Zeit!“ Sie blickte kurz auf dem Boden, offensichtlich am Nachdenken und Abwägen, nickte schließlich und schaute Alice erneut tief in die Augen. „ Es tut mir wirklich leid, dass ich dich um noch mehr bitten muss, als du bereits für mich getan hast. Aber ich muss unbedingt in die nächste Stadt. Kannst du mich dorthin führen?“ Ihre Augen spiegelten eine tiefe Verzweiflung wieder, gemischt mit der festen Entschlossenheit, ihr Ziel zu erreichen.
      Normalerweise hätte Alice sofort abgelehnt. Sie hatte den Weg der Einsamkeit nicht ohne Grund gewählt. Es war schon mehr als genug, dass sie einer Fremden Person so viel geholfen hatte, wie sie es bereits getan hatte. Aber gleichzeitig wollte sie mehr über die Grand Line erfahren. Wer weiß, vielleicht kannte Juvia ja wirklich ein paar der Orte, die in Nolands Geschichten auftauchten. Außerdem musste sie ja eh in die Stadt, um ihr geliebtes Buch reparieren zu lassen. Was könnte es also schaden, Juvia zumindest bis in die nächst Stadt zu begleiten? Ein bisschen neugierig darüber, wer dieser Bravos war, war sie mittlerweile auch. Hatte er vor ihr in der Hütte gelebt? Vielleicht hat er sie sogar gebaut. Wieso hat er sie dann aber verlassen. Ohne zurückzukehren? Außerdem würde es das Mädchen wahrscheinlich niemals alleine in die nächste Stadt schaffen. Sie würde sich im Wald verirren und verhungern. Diese Gründe reichten ihr.

      „In Ordnung. Ich helfe dir.“
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