Hey hey hey, my long boys & girls, gurls & twurls!
Die Umfrage läuft bis Mittwoch, den 27.19., um 21:30 Uhr.
06:15
Ring Ring … Ring Ring… Klack.
06:20
Ring Ring … Ring Ring… Klack.
„STEH AUF DU FAULES STÜCK!“
6:21? Was brüllt die Alte so früh hier rum? Vielleicht sollte ich schnell aufstehen. Vielleicht erwischt sie heute einen guten Tag. Wo ist mein Pulli? Da ist er. Oh ne doch nicht. Ein Schal.
„KARLOTTA WO IST MEIN ARBEITSPULLI?“ Just in dem Moment, in dem er seine Frau fragte, erspähte er das gesuchte Objekt in der Ecke des Schlafzimmers. Er bereute es, sie gefragt zu haben.
„Schon gut, habe ihn gefunden.“
„Wenn du ihn Abends dahin legen würdest wo er hingehört, würdest du mich nicht jeden Morgen mit dieser Frage nerven! Schau wie zerknittert er ist. Die schönen langen Ärmel. Wunder dich nicht, wenn sie dich in der Fabrik rausschmeißen. Eins verspreche ich dir, dann bin ich aber weg!“
„Okay wenn du meinst“ murmelte er in sich hinein. Schnell einen Kaffee und dann nichts wie los. Bevor sie mit ihren langen Armen wieder ausholt. Oh sie kommt mir hinterher? Will sie mir etwa noch einen guten Tag wünschen?
„Und geh nach deiner Schicht nicht wieder in die Kneipe sonst gibt’s Ärger! Ich rieche das!“
Kann die mal jemand abstellen?
In der Fabrik
Presse lösen. Magazin entnehmen. Rein in den Karton. Fließband läuft weiter. Presse anziehen. Presse lösen. Magazin entnehmen. Rein in den Karton. 7:31? Erst 31 Minuten hier? Uff. Fließband läuft weiter. Presse anziehen. Presse lösen. Magazin entnehmen. Rein in den Karton. 7:32? Erst 32 Minuten hier? Uff. Was macht Timo da? Er hampelt doch schon wieder rum. Wenn er nicht aufpasst, verliert er auch noch seine zweite Hand.
„Timo, hampel da nicht so rum! Bei Arbeitsunfällen kriegen wir alle einen drauf!“ Warum müssen wir überhaupt diese Dinger herstellen? Wofür braucht die Marine so viel Munition? Sie haben doch eh längst die Kontrolle über die Lage auf den Meeren verloren. Solche Vögel.
„ARBEITEN NICHT TAGTRÄUMEN“ Der Peitschenhieb traf ihn schockartig mittig auf der unteren Rückenpartie.
Fließband läuft weiter. Presse anziehen. Presse lösen. Magazin entnehmen. Rein in den Karton. 7:35?...
______________________
Auftrags-Nr. 1451:
Herstellung von Munitionsrohlingen für Operation Süßer Falke. Vergleich der Angebote lässt uns den Produktionsstandort Kenzan favorisieren. Durch den Einsatz von Langarmmenschen lässt sich der Produktionsprozess um 23% beschleunigen.
Risiken: Herausfordernde See macht den Einsatz erfahrener Seefahrer notwendig. Trotz negativem Kosteneffekt ist der Standort weiterhin die profitabelste Alternative.
Entscheidung: Produktion in Kenzan
Gez.
Marineoffizier Joris Delacroix
______________________
17:00
Ring Ring … Feierabend! Endlich. Her mit der Lohntüte. Bis Morgen ist Gauner.
Breit grinsend verließ er das Werksgelänge. Seine zwei Armgelenke schmerzten von der Arbeit aber der Gedanke an das zeitnah vor ihm stehende kühle Bier ließ ihn den Schmerz ignorieren.
Beim Eintritt in die „Schänke unter der großen Buche“ saßen seine drei Freunde bereits an ihrem Tisch. Es waren seine einzigen Freunde. Seit sie die Schule verließen trafen sie sich hier einmal die Woche und tranken Bier. Immer am Donnerstag. Der drahtige Karl mit der Nickelbrille, der bei der lokalen Zeitung arbeitet. Der mittlerweile glatzköpfige Frank, der als Lehrer in ihrer alten Schule tätig ist. Und Frederik der Gärtner, dessen Bauch von Woche zu Woche fülliger wird.
Frank: „Guten Tag Ulla, wie war es in der Fabrik?“
Ulla? Sein Ernst?
Karl: „Lass dich nicht ärgern Ulrich.“
Ulrich: „Wie immer. Habt ihr mir noch kein Bier bestellt?“
Karl: „Doch da kommt es“
Sehr schön, das trinke ich in einem Zug leer.
Frank: „Die Kinder, ihr glaubt es nicht. Die werden echt jedes Jahr dümmer.“
Frederik: „Deswegen hat der Ulrich seinen Sohn auch Ideo genannt. Wie Idiot. Nur mit Rechtschreibfehler“
Ulrich: „Bist ein richtiger Witzbold Frederik, geh mal lieber an deinen Büschen schnibbeln. Ideo wird mal ein ganz großer. Wir haben ihn jetzt in der Kampfsportschule angemeldet.“
Frederik: „Es ist alles akkurat gestutzt. Die Marine setzt mich jetzt als Reinigungskraft ein. Super ne?"
Frank: „Jaja, mit der Marine wird alles besser haben sie gesagt. Arbeitsplätze, florierende Wirtschaft. Und jetzt? Gute Leute werden als Putze eingesetzt oder riskieren in Fabriken ihre Gliedmaßen. Und die Kinder lernen gar nicht mehr. Alle wollen nur noch kämpfen üben, um der Marine beizutreten. Zum kotzen. Heute sagt mir so ein Balg doch tatsächlich er braucht kein Kopfrechnen, er würde eh zur Marine gehen und da hätten sie Apparate zum Rechnen. Hat ihm sein Vater gesagt. Der hat erstmal eine Schelle bekommen.“
Karl: „Du sollst die Kinder nicht schlagen. Das macht man nicht mehr. Kriegst noch ärger.“
Frank: „Und weiter? Hat es uns damals geschadet?“
Karl: „Naja, es gibt Berichte, dass Kinder, die geschlagen werden, selber gewalttätig werden.“ Seine Worte drangen nicht mehr zu den anderen durch.
Frederik: „Was haben wir denn heute in der Zeitung?“
______________________
6% weniger Arbeitslose als letzten Monat. Jobwunder von Kenzan!
Munitionsfabrik will Betriebsrat gründen. Sozialismus?
Marineschiff vor Kenzans Küste untergegangen. Wie gefährlich ist die Handelsroute?
______________________
Karl: „Das übliche. Ich wollte einen kritischen Bericht zur Marinestation schreiben. Sie haben mir gedroht ich werde meinen Job verlieren, wenn ich es veröffentliche. Der Chef hier, der Reichelt, der soll ja massenweise Frauen schlecht behandeln. Die ganze Recherche war aber wohl um sonst. Sein Einfluss ist einfach zu groß.“
Ulrich: „Habt ihr euch so euer Leben vorgestellt? Das kann doch nicht wahr sein!“ Ulrich trank sein zweites Bier ebenfalls in einem Zug leer. Den leeren Krug stellte er mit einem Rumms auf dem Tisch ab. Karl, Frank und Frederik schauten ihn leicht verwundert an. So emotional kannten sie ihren alten Freund nicht. Seit Jahren hatten sie das Gefühl, jede Gefühlsregung hatte seinen Körper verlassen. Heute musste wohl alles raus.
Ulrich: „Wisst ihr noch damals? Wir wollten raus auf See. Was ist in unseren Leben nur falsch gelaufen. Wir sind doch Schisser. Den sicheren Weg gegangen. Anstatt Abenteuer. Jetzt sitzen wir hier fest, mit Frauen, die uns nicht mehr lieben und Kindern, die uns nicht respektieren!“
Karl: „Also meine Frau liebt mich eigentlich noch. Denke ich“ Wie so oft wurde er überhört.
Ulrich: „Warum schufte ich jeden Tag für die? Leute ich sag euch eins, wir können die Uhr zurückdrehen. Ein Abenteuer beginnen. Ich habe etwas Geld gespart. Wenn wir alle zusammenwerfen können wir bestimmt ein Schiff anmieten. Und dann raus auf die See! Wir werden mit Schätzen wieder kommen und alle werden voller Neid auf und herauf schauen.“
Frank: „Wer hat dir denn ins Bier gepisst?“
Ulrich: „Jaja aber habe ich nicht recht?“
Frank: „Ja komm, organisier ein Schiff und ich bin dabei.“
Frederik: „Und dann? Willst du Pirat werden, oder wie? Kannst doch gar nicht kämpfen?“
Ulrich: „Und wie ich kämpfen kann, sieh her!“
Sie fingen an wild zu raufen und wurden aus der Kneipe geschmissen.
Zufrieden torkelte Ulrich spät am Abend nach Hause. Gleich Morgen würde er die Stelle in der Fabrik kündigen und sich um ein Schiff kümmern. Wir werden die legendäre Piratencrew der Langarmmenschen? Gibt es sowas wohl schon? Ich denke nicht. Wir segeln raus, essen Teufelsfrüchte. Wer weiß, wohin es uns noch treibt. Wo habe ich nur meinen Schlüssel? Ach, da ist er ja. Leise Ulrich, nicht das der Drachen erwacht. Weg mit dem Pulli. Ach verdammt, was sind die Arme so lang. Ups, das war eine Vase. Die ist wohl kaputt.
Er pfefferte seinen Pulli in eine Ecke des Raumes, legte sich in sein Bett und schlief binnen Sekunden laut schnarchend ein.
Ring Ring … Ring Ring… Klack.
06:20
Ring Ring … Ring Ring… Klack.
„STEH AUF DU FAULES STÜCK!“
6:21? Was brüllt die Alte so früh hier rum? Vielleicht sollte ich schnell aufstehen. Vielleicht erwischt sie heute einen guten Tag. Wo ist mein Pulli? Da ist er. Oh ne doch nicht. Ein Schal.
„KARLOTTA WO IST MEIN ARBEITSPULLI?“ Just in dem Moment, in dem er seine Frau fragte, erspähte er das gesuchte Objekt in der Ecke des Schlafzimmers. Er bereute es, sie gefragt zu haben.
„Schon gut, habe ihn gefunden.“
„Wenn du ihn Abends dahin legen würdest wo er hingehört, würdest du mich nicht jeden Morgen mit dieser Frage nerven! Schau wie zerknittert er ist. Die schönen langen Ärmel. Wunder dich nicht, wenn sie dich in der Fabrik rausschmeißen. Eins verspreche ich dir, dann bin ich aber weg!“
„Okay wenn du meinst“ murmelte er in sich hinein. Schnell einen Kaffee und dann nichts wie los. Bevor sie mit ihren langen Armen wieder ausholt. Oh sie kommt mir hinterher? Will sie mir etwa noch einen guten Tag wünschen?
„Und geh nach deiner Schicht nicht wieder in die Kneipe sonst gibt’s Ärger! Ich rieche das!“
Kann die mal jemand abstellen?
In der Fabrik
Presse lösen. Magazin entnehmen. Rein in den Karton. Fließband läuft weiter. Presse anziehen. Presse lösen. Magazin entnehmen. Rein in den Karton. 7:31? Erst 31 Minuten hier? Uff. Fließband läuft weiter. Presse anziehen. Presse lösen. Magazin entnehmen. Rein in den Karton. 7:32? Erst 32 Minuten hier? Uff. Was macht Timo da? Er hampelt doch schon wieder rum. Wenn er nicht aufpasst, verliert er auch noch seine zweite Hand.
„Timo, hampel da nicht so rum! Bei Arbeitsunfällen kriegen wir alle einen drauf!“ Warum müssen wir überhaupt diese Dinger herstellen? Wofür braucht die Marine so viel Munition? Sie haben doch eh längst die Kontrolle über die Lage auf den Meeren verloren. Solche Vögel.
„ARBEITEN NICHT TAGTRÄUMEN“ Der Peitschenhieb traf ihn schockartig mittig auf der unteren Rückenpartie.
Fließband läuft weiter. Presse anziehen. Presse lösen. Magazin entnehmen. Rein in den Karton. 7:35?...
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Auftrags-Nr. 1451:
Herstellung von Munitionsrohlingen für Operation Süßer Falke. Vergleich der Angebote lässt uns den Produktionsstandort Kenzan favorisieren. Durch den Einsatz von Langarmmenschen lässt sich der Produktionsprozess um 23% beschleunigen.
Risiken: Herausfordernde See macht den Einsatz erfahrener Seefahrer notwendig. Trotz negativem Kosteneffekt ist der Standort weiterhin die profitabelste Alternative.
Entscheidung: Produktion in Kenzan
Gez.
Marineoffizier Joris Delacroix
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17:00
Ring Ring … Feierabend! Endlich. Her mit der Lohntüte. Bis Morgen ist Gauner.
Breit grinsend verließ er das Werksgelänge. Seine zwei Armgelenke schmerzten von der Arbeit aber der Gedanke an das zeitnah vor ihm stehende kühle Bier ließ ihn den Schmerz ignorieren.
Beim Eintritt in die „Schänke unter der großen Buche“ saßen seine drei Freunde bereits an ihrem Tisch. Es waren seine einzigen Freunde. Seit sie die Schule verließen trafen sie sich hier einmal die Woche und tranken Bier. Immer am Donnerstag. Der drahtige Karl mit der Nickelbrille, der bei der lokalen Zeitung arbeitet. Der mittlerweile glatzköpfige Frank, der als Lehrer in ihrer alten Schule tätig ist. Und Frederik der Gärtner, dessen Bauch von Woche zu Woche fülliger wird.
Frank: „Guten Tag Ulla, wie war es in der Fabrik?“
Ulla? Sein Ernst?
Karl: „Lass dich nicht ärgern Ulrich.“
Ulrich: „Wie immer. Habt ihr mir noch kein Bier bestellt?“
Karl: „Doch da kommt es“
Sehr schön, das trinke ich in einem Zug leer.
Frank: „Die Kinder, ihr glaubt es nicht. Die werden echt jedes Jahr dümmer.“
Frederik: „Deswegen hat der Ulrich seinen Sohn auch Ideo genannt. Wie Idiot. Nur mit Rechtschreibfehler“
Ulrich: „Bist ein richtiger Witzbold Frederik, geh mal lieber an deinen Büschen schnibbeln. Ideo wird mal ein ganz großer. Wir haben ihn jetzt in der Kampfsportschule angemeldet.“
Frederik: „Es ist alles akkurat gestutzt. Die Marine setzt mich jetzt als Reinigungskraft ein. Super ne?"
Frank: „Jaja, mit der Marine wird alles besser haben sie gesagt. Arbeitsplätze, florierende Wirtschaft. Und jetzt? Gute Leute werden als Putze eingesetzt oder riskieren in Fabriken ihre Gliedmaßen. Und die Kinder lernen gar nicht mehr. Alle wollen nur noch kämpfen üben, um der Marine beizutreten. Zum kotzen. Heute sagt mir so ein Balg doch tatsächlich er braucht kein Kopfrechnen, er würde eh zur Marine gehen und da hätten sie Apparate zum Rechnen. Hat ihm sein Vater gesagt. Der hat erstmal eine Schelle bekommen.“
Karl: „Du sollst die Kinder nicht schlagen. Das macht man nicht mehr. Kriegst noch ärger.“
Frank: „Und weiter? Hat es uns damals geschadet?“
Karl: „Naja, es gibt Berichte, dass Kinder, die geschlagen werden, selber gewalttätig werden.“ Seine Worte drangen nicht mehr zu den anderen durch.
Frederik: „Was haben wir denn heute in der Zeitung?“
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6% weniger Arbeitslose als letzten Monat. Jobwunder von Kenzan!
Munitionsfabrik will Betriebsrat gründen. Sozialismus?
Marineschiff vor Kenzans Küste untergegangen. Wie gefährlich ist die Handelsroute?
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Karl: „Das übliche. Ich wollte einen kritischen Bericht zur Marinestation schreiben. Sie haben mir gedroht ich werde meinen Job verlieren, wenn ich es veröffentliche. Der Chef hier, der Reichelt, der soll ja massenweise Frauen schlecht behandeln. Die ganze Recherche war aber wohl um sonst. Sein Einfluss ist einfach zu groß.“
Ulrich: „Habt ihr euch so euer Leben vorgestellt? Das kann doch nicht wahr sein!“ Ulrich trank sein zweites Bier ebenfalls in einem Zug leer. Den leeren Krug stellte er mit einem Rumms auf dem Tisch ab. Karl, Frank und Frederik schauten ihn leicht verwundert an. So emotional kannten sie ihren alten Freund nicht. Seit Jahren hatten sie das Gefühl, jede Gefühlsregung hatte seinen Körper verlassen. Heute musste wohl alles raus.
Ulrich: „Wisst ihr noch damals? Wir wollten raus auf See. Was ist in unseren Leben nur falsch gelaufen. Wir sind doch Schisser. Den sicheren Weg gegangen. Anstatt Abenteuer. Jetzt sitzen wir hier fest, mit Frauen, die uns nicht mehr lieben und Kindern, die uns nicht respektieren!“
Karl: „Also meine Frau liebt mich eigentlich noch. Denke ich“ Wie so oft wurde er überhört.
Ulrich: „Warum schufte ich jeden Tag für die? Leute ich sag euch eins, wir können die Uhr zurückdrehen. Ein Abenteuer beginnen. Ich habe etwas Geld gespart. Wenn wir alle zusammenwerfen können wir bestimmt ein Schiff anmieten. Und dann raus auf die See! Wir werden mit Schätzen wieder kommen und alle werden voller Neid auf und herauf schauen.“
Frank: „Wer hat dir denn ins Bier gepisst?“
Ulrich: „Jaja aber habe ich nicht recht?“
Frank: „Ja komm, organisier ein Schiff und ich bin dabei.“
Frederik: „Und dann? Willst du Pirat werden, oder wie? Kannst doch gar nicht kämpfen?“
Ulrich: „Und wie ich kämpfen kann, sieh her!“
Sie fingen an wild zu raufen und wurden aus der Kneipe geschmissen.
Zufrieden torkelte Ulrich spät am Abend nach Hause. Gleich Morgen würde er die Stelle in der Fabrik kündigen und sich um ein Schiff kümmern. Wir werden die legendäre Piratencrew der Langarmmenschen? Gibt es sowas wohl schon? Ich denke nicht. Wir segeln raus, essen Teufelsfrüchte. Wer weiß, wohin es uns noch treibt. Wo habe ich nur meinen Schlüssel? Ach, da ist er ja. Leise Ulrich, nicht das der Drachen erwacht. Weg mit dem Pulli. Ach verdammt, was sind die Arme so lang. Ups, das war eine Vase. Die ist wohl kaputt.
Er pfefferte seinen Pulli in eine Ecke des Raumes, legte sich in sein Bett und schlief binnen Sekunden laut schnarchend ein.
Zuckende Finger zerwühlten den feuchten, rauen Sand. Kälte und Nässe ließen die Beine des Jungen zittern, jetzt da seine Bewusstlosigkeit gewichen war. Als sich der schützende Nebel der Ohnmacht verflüchtigte, stöhnte er wegen des Drecks, den die Bewegung in seine zerschrammten Hände rieb. Mühselig stemmte er sich in eine sitzende Haltung. Was war passiert? Sein Kopf schmerzte. Der Junge blickte sich um. Nur der Mond beschien den Strand, der sich, abgesehen von angeschwemmten Tang und Holz, verlassen vor ihm erstreckte. Er strich sich das salzverkrustete blonde Haar aus dem Gesicht und mühte sich auf die Beine. Sterne blitzten vor seinen Augen, doch abgesehen von einem kurzen Taumeln blieb er aufrecht stehen. Ein Sturm, zwei Schiffe. Wir sind gesunken. Wo sind die anderen?Als er einen zweiten Blick auf den leeren Strand warf, wurde ihm seine Einsamkeit bewusst. Er leckte sich über die ausgetrockneten Lippen und ein quälender Durst machte sich bemerkbar.
Aus Mangel an Alternativen stolperte er in Richtung des Waldes, der sich dunkel drohend vor ihm aufbaute. Sein Blick wanderte die nur undeutlich zu erkennenden Bäume entlang. Als er die mächtigen Baumstämme erblickte fühlte er sich klein und überwältigt, bis er eine Öffnung inmitten des Unterholzes entdeckte. Hastig taumelte er die Steigung des Strandes hinauf, den Blick fixiert auf die vom Mond beschienene Treppe aus bearbeiteten Steinen, die er jetzt dank der nahenden Dämmerung deutlicher sehen konnte. Keuchend erreichte er den Aufstieg, als ihm mit Schrecken auffiel, dass die Proportionen der Stufen nicht stimmen konnten. Als ihm die Bedeutung dieser Beobachtung klar wurde, fiel er von aller Kraft verlassen auf die Knie. Langbeine. Deswegen sind wir gekommen. Aber ich bin alleine und unbewaffnet. Und ein Mensch. Ich bin erledigt.
Verzweiflung übermannte den Jungen, doch sein Durst erwies sich als stärker und verdrängte schnell jeden Gedanken an eine Aufgabe. Auf Händen und Füßen kletterte er die Stufen empor und schon bald erreichte er die Spitze der Treppe, wo das Fließen von Wasser, welches an seine Ohren drang, seine Lebensgeister wieder weckte. Ohne jeden Gedanken schlug er sich in das Unterholz, immer auf die Quelle des Geräusches zu. Ein Schluchzen entrang sich seiner Kehle, als vor ihm schwach glitzerndes Wasser auftauchte. Er stürzte sich kopfüber in den Bach und nahm ein paar große Schlucke des kühlen Wassers. Oh, wie gut sich das Wasser anfühlte.
Als er ein leichtes Knacken hinter sich hörte, wurde ihm bewusst, dass er zu unvorsichtig gewesen war. Aus den Augenwinkeln machte er einen großen Schatten aus. Glücklicherweise bot der Bach ihm ein gutes Versteck, aus dem nur sein Kopf herausragte, denn die Schatten enthüllten einen gewaltigen Bären. Der Junge unterdrückte sein Zähneklappern und betete, dass der Bär verschwinden möge. Gebannt starrte er die Reißzähne im Maul des Raubtiers an, da schob sich ein neuer Schatten über den bulligen Kopf des trinkenden Tieres. Alarmiert hob der Bär den Schädel. Mit unwiderstehlicher Gewalt traf ein fest verschnürter Stiefel den Kopf der Kreatur und zerschmetterte ihn zu einem Regen aus Blut und Knochensplittern. Der Anblick versetzte ihn in Grauen, bevor ihn eine tiefe Stimme vor Entsetzen erstarren ließ:
„Schlau, sich im Wasser zu verstecken, aber ihr Langhälse solltet es inzwischen besser wissen, als hier Kräuter zu sammeln.“
„Daa-anke, ich werde es mir merken“, brachte er mit zitternder Stimme heraus. Ungläubig sah er, wie eine Gestalt mit mächtigen Beinen, so lang wie er groß war, aus der Dunkelheit mit einem Arm, der eindeutig ein Gelenk zu viel besaß, den Bären ergriff und diesen einfach auf seine Schulter hob. Lautlos verschwand dieses Monster aus seinem Blickfeld und ihm fiel wieder ein, was sie auf seinem Schiff erzählt hatten. Lange Hälse, vor ihnen kannst du dich nicht verbergen, lange Beine, ihnen kannst du nicht davonlaufen, lange Arme, ihnen kannst du nicht entkommen. Doch wenn du ihnen eine Kugel in Kopf jagst, fallen sie um wie alle anderen. Leider hatte er kein Gewehr. Nicht länger unterdrückte er sein Zähneklappern. Wenn sie herausfinden, dass ich keiner von ihnen bin, werden sie mich umbringen. Er war doch nur ein Schiffsjunge. Er wollte weg, weg von dieser Insel, weg von diesen Monstern. Doch wie? Wo sollte er hier ein Boot finden? Die naheliegende Antwort gefiel dem Jungen gar nicht, aber die Notwendigkeit zwang ihn, seinen Marsch wieder aufzunehmen.
Die Sonne war aufgegangen und tauchte den Wald in ein Wechselspiel aus Licht und Schatten. Obwohl er über die Wärme froh war, die ihn endlich getrocknet hatte, so sorgte er sich doch über den damit einhergehenden Mangel an Deckung durch die Dunkelheit. Sein Magen trieb ihn dennoch weiter voran, denn er hatte keine Ahnung, wie er in der Wildnis überleben sollte. Stundenlang war er in der Nähe des Weges entlang gegangen, hatte lieber Zeit und Kraft damit verloren, sich im Schutze des Gehölzes fortzubewegen, anstatt die Bequemlichkeit des Pfades auszunutzen. Jetzt sah er voraus einen Fluss, dessen schnelle Strömung ihm keine Hoffnung auf eine schwimmende Überquerung machte. Aus gebührender Entfernung traute er aber auch nicht der Steinbrücke, die gebogen das Wasser überquerte, war sie doch viel zu offen einsehbar und nicht weit entfernt konnte er bereits Häuser ausmachen.
Nach einigen Minuten, in denen er aufmerksam die Umgebung beobachtete, musste er sich eingestehen, dass ihm die entfernten Silhouetten von Menschen mit zu langen Armen, Beinen oder Hälsen jeden Mut zur Überquerung der Brücke geraubt hatten. Er versuchte sich einzureden, dass es noch anderswo eine Furt geben müsse und machte sich auf den Weg, immer parallel zum Fluss. Lieber etwas tun, als sich einem Tag bangen Wartens auszusetzen.
Nach einer Weile drang ein neues Geräusch an die Ohren, welches die Klänge der Natur übertönte, eines welches er nicht erwartet hätte: Kinderlachen, fröhliche Stimmen und plätscherndes Wasser. Verwirrt und neugierig näherte der Schiffsjunge sich der Lichtung um den Fluss, wo sich das Spiel befinden musste. Er traute dem Frieden nicht und blieb daher versteckt im Wald hinter einem Busch liegen. Vor ihm befand sich eine Wiese, die etwa kreisförmig auf beiden Seiten des hier recht schmalen und ruhigen Flusses den Wald durchbrach. Seine Augen wurden angezogen von mindestens einem Dutzend Kindern, die im Fluss spielten. Von mehreren Seilen, die über den Fluss gespannt waren, hingen verschiedene Holzgriffe, an denen sich Kinder mit langen Armen über das Wasser hangelten. Daneben verliefen Pfade aus Steinen, die gerade weit genug auseinander lagen, dass langbeinige Kinder sie johlend entlang laufen konnten, wobei die Freude offenbar besonders groß war, wenn eines abrutschte und mit lautem Klatschen Wasser auf alle verspritzte. Der stille Beobachter fühlte sich bei dem Anblick seltsam unzulänglich, obwohl es ihm half, als er zwei einsame Kinder im Wasser sah, deren langen Hälse offenbar keinen Vorteil boten.
Der Junge konnte gar nicht aufhören das Spiel zu betrachten, während die Zeit verstrich und seine Sorgen mit sich nahm. Doch allzu bald senkte sich die Sonne bereits wieder herab und das Auftauchen einer Handvoll Erwachsener brachte sie im Zusammenspiel mit seinem knurrenden Magen wieder in sein Gedächtnis. Wehmütig verfolgte er den chaotischen Abmarsch der Kindergruppe. Es sind Kinder. Sie wirken so freundlich und harmlos. Doch wenn sie erstmal erwachsen sind, werden sie genauso gefährlich wie ihre Eltern. Ich darf mich keinen falschen Vorstellungen hingeben.
Dann herrschte wieder Stille und der Weg war frei. Der Junge begab sich erneut auf den Marsch in Richtung der Siedlung.
Ein altes Sprichtwort sagt: Die Mutigen gehen in den Tod, die Feiglinge gehen ins Hákuna. Wer an diesem Ort landet, hat nichts mehr zu verlieren. Wer hierhin kommt, hat sein Leben verwirkt. Aber was ist mit denen, die hier geboren werden?
Unsere Insel befindet sich so tief in der Neuen Welt, dass die Weltregierung sich einen Scheißdreck für uns interessiert. Zu weit und unbeschwerlich ist der Weg durch die vielen Strömungen, zu groß der Einfluss der Piraten und Untergrundbosse, die das Hákuna unter sich aufteilen. Aber vor allem gibt es einfach zu wenig zu holen. Denn außer Schmuggelware und Alkohol gibt es auf dieser Insel nichts, womit man Geld machen könnte. Und Gerechtigkeit muss sich eben lohnen.
Ohne den Schutz der Weltregierung oder den Einfluss anderer Königreiche entwickelte sich das Hákuna über die Jahrzehnte zu einem Nest für Ausgestoßene. Nur, wer sonst nirgendwo hin kann, würde es wagen hier zu leben. Sofern man das Dasein in diesem Drecksloch denn als Leben bezeichnen kann. Niemanden in der Außenwelt interessiert, was hier vor sich geht und somit zieht dieser Ort all jene an, die sich vor dem Rest der Welt verstecken müssen – oder wollen. Piraten, Schmuggler, Waffendealer, Überläufer, Regierungsflüchtige. Menschen und Fischmenschen. Riesen und Zwerge. Und eben uns: die Langvölker.
Wenn man den Geschichten alkoholkranker, seniler Männer Glauben schenken will, zogen vor vielen Jahrzehnten zwei Schiffe aus der Grandline in Richtung der Neuen Welt. Auf einem die Repräsentanten meiner Leute, der Langarm-Menschen. Auf dem anderen die Gesandten des stolzen Langbeinvolkes. Gemeinsam wollten sie die Streitigkeiten der Vergangenheit hinter sich lassen und eine neue Heimat finden. Eine Heimat ohne Unterdrückung, Verfolgung und Rassenhass. Um ein Leben zu leben, das nicht von der ständigen Angst vor Menschenhändlern erfüllt war und den Fängen der Tenryuubito zu entkommen.
Ich halte solche Geschichten für Schwachsinn. Im Hákuna ist kein Platz für Hoffnung. Sie ist der Feind. Hoffnung lässt dich weich werden. Unachtsam. Und irgendwann zerbrichst du daran. Auch Freunde habe ich hier keine. Hier gibt es nur Leidensgenossen. Zweckgemeinschaften. So wie die Zahlreichen Gangs und Klans, die im Hákuna verteilt sind. Die Schnapsbrennerei im Süden wird von einer Piratenbande kontrolliert. Im Norden steht eine Waffenfabrik unter dem Schutz der Mafiosi. Der kleine Anleger im Westen mit zahlreichen Fischerbooten gehört uns Langarm-Menschen. Doch den größten Einfluss haben die arroganten Langbeiner. Denn sie kontrollieren den Güterhafen im Westen. Keine Schmuggelware verlässt den Hafen, ohne dass sie davon Wind bekommen. Und diese Vormachtstellung nutzen sie gnadenlos aus, um die anderen Gruppen zu schikanieren.
In der Nacht kann ich wieder mal nicht schlafen. Ist es die Wut über mein Schiksal oder die Angst vor der Schutzlosigkeit, die mich wach hält? Ruhe ist ein Luxus, den sich im Hákuna nur die wenigsten leisten können. Und so bleibe ich immer in Bewegung.
Rastlos laufe ich durch die Straßen, an den Kneipen vorbei, in denen verlorene Seelen ihr Elend zu betäuben versuchen. Als ich in eine dunkle Seitengasse biege, stolpere ich fast. Auf dem Boden liegt ein regungsloser Körper. An meinen Schuhen klebt rotes Blut. Ist er tot? Regungslos ist auch mein Inneres. Ungerührt gehe ich weiter, nur froh nicht selbst im Dreck gelandet zu sein. Während ich durch die Nacht laufe, achte ich stets darauf, das Viertel der Langbeiner zu meiden. Leute wie ich sind da nicht gerne gesehen.
An der nächsten Straßenecke höre ich die Stimmen dreier Männer. Sie unterhalten sich aufgeregt, fast schon manisch miteinander. Ich bleibe im Schatten der Nacht versteckt und warte. Keine Lust auf Ärger. Drei Langbeiner treten ins flackernde Licht einer Petroleumlampe, lachen.
„Wie er dich angefleht hat! Hast du sein Gesicht gesehen? Hat geheult wie ein kleines Mädchen.“
„Und eingepisst hat er sich auch, als er dein Messer gesehen hat. Das war der Hammer.“
Übelkeit steigt in mir auf, doch da ist noch etwas anderes. Etwas, das meine Vorsicht in den Hintergrund drängt und mir den Verstand vernebelt. Wie ein Schatten folge ich den dreien, meine Anwesenheit verbergend. Darin bin ich gut, denn das tue ich schon mein ganzes Leben.
Ich warte auf eine geeignete Gelegenheit. Als die drei sich trennen, folge ich dem Größten. Ich kann das Messer an seinem Hosenbund erkennen. Das Blut an der Schneide ist noch nicht ganz getrocknet. Er macht Halt vor einer heruntergekommenen Hütte und fummelt den Schlüssel aus seiner Hosentasche. Ich mache mich bereit. Leise hebe ich einen Stein vom Boden auf. Als er die Tür aufstößt, schlage ich zu. Er ist ein gutes Stück größer als ich, doch dank meiner langen Arme treffe ich ihn problemlos am Hinterkopf. Mit einem dumpfen Geräusch schlägt er auf dem Boden auf. Ich schaue mich um und vergewissere mich, dass wir alleine sind. Es gibt einen Keller. Ich schleife ihn die Treppenstufen hinunter und fessle seine Arme und Beine so, dass er alle viere ausgestreckt auf dem Rücken liegt.
Langsam kommt er wieder zu sich. Die Angst steht ihm ins Gesicht geschrieben. Doch als sein Blick auf meine Arme fällt, blitzt noch etwas anderes in seinen Augen auf: Hass.
„Was willst du von mir, du Missgeburt? Mach mich los!“
Eine Stimme meldet sich in meinem Hinterkopf. Mein Gewissen? Doch dann blitzt der Anblick des zusammengekrümmten Mannes vor meinem inneren Auge auf, der regungslos in einer Lache aus seinem eigenen Blut und Urin liegt und ich kann das Gelächter seiner drei Angreifer hören. Heiße Wut schießt durch meine Adern. Ich habe das Gefühl, nicht mehr Herr meines eigenen Körpers zu sein, bin nur noch Zuschauer eines grausigen Schauspiels.
Der Langbeiner windet sich, versucht sich zu befreien, während er mir immer wieder Beleidigungen an den Kopf wirft.
„Deine Rasse widert mich an! Ihr Langarmbestien seid Freaks! Man sollte euch alle an die Tenryuubito verkaufen und wie Tiere im Zoo ausstellen!“
Eine andere Stimme meldet sich. Wie viele meiner Leute mussten sterben? Wie viele meiner Leute wurden ausgebeutet, versklavt und zur Belustigung anderer schikaniert, nur weil sie ein Gelenk zu viel im Arm hatten? Die Stimme meines Gewissens ist nun ganz verstummt. Auch die Wut ist plötzlich wie weggeblasen. Stattdessen ist da ein anderes Gefühl. Etwas unbekanntes. Ein Gefühl der Lust. Eine sadistische Vorfreude. Ein abscheulicher Hunger, der gestillt werden muss.
Meine Hände umklammern den Stein fester, als ich mich neben das Bein das Mannes hocke. Wie von selbst hebt sich mein Arm. Der erste Schlag ist noch vorsichtig. Der Mann schreit auf vor Schmerz. Doch der Hunger wird nur noch größer. Ich brauche mehr. Erneut hebe ich die Hand, dieses Mal energischer. Als mein Opfer erkennt, was ich vor habe, fleht er plötzlich um Gnade. Doch seine Stimme erreicht meinen Verstand nicht mehr. Zu dicht ist der Nebel, der ihn umgibt. Der Stein saust ein zweites Mal herab, fester, trifft mittig das Schienbein. Blut spritzt. Mein Herz pocht. Das Langbein schreit gequält. Doch mein Hunger verlangt mehr. Erneut hebe ich den Stein, strecke dieses Mal alle meine Gelenke aus und nutze die volle Länge meiner Arme. Wie eine Geschoss trifft der Stein den Knochen. Ich spüre ihn bersten. Der Mann schreit gequält auf, windet sich vor Schmerz, ehe er das Bewusstsein verliert.
Befriedigt stehe ich auf und betrachte mein Werk. Der linke Unterschenkel steht unnatürlich ab, fast in einem rechten Winkel – fast, als hätte sein Bein ein Gelenk mehr
Unsere Insel befindet sich so tief in der Neuen Welt, dass die Weltregierung sich einen Scheißdreck für uns interessiert. Zu weit und unbeschwerlich ist der Weg durch die vielen Strömungen, zu groß der Einfluss der Piraten und Untergrundbosse, die das Hákuna unter sich aufteilen. Aber vor allem gibt es einfach zu wenig zu holen. Denn außer Schmuggelware und Alkohol gibt es auf dieser Insel nichts, womit man Geld machen könnte. Und Gerechtigkeit muss sich eben lohnen.
Ohne den Schutz der Weltregierung oder den Einfluss anderer Königreiche entwickelte sich das Hákuna über die Jahrzehnte zu einem Nest für Ausgestoßene. Nur, wer sonst nirgendwo hin kann, würde es wagen hier zu leben. Sofern man das Dasein in diesem Drecksloch denn als Leben bezeichnen kann. Niemanden in der Außenwelt interessiert, was hier vor sich geht und somit zieht dieser Ort all jene an, die sich vor dem Rest der Welt verstecken müssen – oder wollen. Piraten, Schmuggler, Waffendealer, Überläufer, Regierungsflüchtige. Menschen und Fischmenschen. Riesen und Zwerge. Und eben uns: die Langvölker.
Wenn man den Geschichten alkoholkranker, seniler Männer Glauben schenken will, zogen vor vielen Jahrzehnten zwei Schiffe aus der Grandline in Richtung der Neuen Welt. Auf einem die Repräsentanten meiner Leute, der Langarm-Menschen. Auf dem anderen die Gesandten des stolzen Langbeinvolkes. Gemeinsam wollten sie die Streitigkeiten der Vergangenheit hinter sich lassen und eine neue Heimat finden. Eine Heimat ohne Unterdrückung, Verfolgung und Rassenhass. Um ein Leben zu leben, das nicht von der ständigen Angst vor Menschenhändlern erfüllt war und den Fängen der Tenryuubito zu entkommen.
Ich halte solche Geschichten für Schwachsinn. Im Hákuna ist kein Platz für Hoffnung. Sie ist der Feind. Hoffnung lässt dich weich werden. Unachtsam. Und irgendwann zerbrichst du daran. Auch Freunde habe ich hier keine. Hier gibt es nur Leidensgenossen. Zweckgemeinschaften. So wie die Zahlreichen Gangs und Klans, die im Hákuna verteilt sind. Die Schnapsbrennerei im Süden wird von einer Piratenbande kontrolliert. Im Norden steht eine Waffenfabrik unter dem Schutz der Mafiosi. Der kleine Anleger im Westen mit zahlreichen Fischerbooten gehört uns Langarm-Menschen. Doch den größten Einfluss haben die arroganten Langbeiner. Denn sie kontrollieren den Güterhafen im Westen. Keine Schmuggelware verlässt den Hafen, ohne dass sie davon Wind bekommen. Und diese Vormachtstellung nutzen sie gnadenlos aus, um die anderen Gruppen zu schikanieren.
In der Nacht kann ich wieder mal nicht schlafen. Ist es die Wut über mein Schiksal oder die Angst vor der Schutzlosigkeit, die mich wach hält? Ruhe ist ein Luxus, den sich im Hákuna nur die wenigsten leisten können. Und so bleibe ich immer in Bewegung.
Rastlos laufe ich durch die Straßen, an den Kneipen vorbei, in denen verlorene Seelen ihr Elend zu betäuben versuchen. Als ich in eine dunkle Seitengasse biege, stolpere ich fast. Auf dem Boden liegt ein regungsloser Körper. An meinen Schuhen klebt rotes Blut. Ist er tot? Regungslos ist auch mein Inneres. Ungerührt gehe ich weiter, nur froh nicht selbst im Dreck gelandet zu sein. Während ich durch die Nacht laufe, achte ich stets darauf, das Viertel der Langbeiner zu meiden. Leute wie ich sind da nicht gerne gesehen.
An der nächsten Straßenecke höre ich die Stimmen dreier Männer. Sie unterhalten sich aufgeregt, fast schon manisch miteinander. Ich bleibe im Schatten der Nacht versteckt und warte. Keine Lust auf Ärger. Drei Langbeiner treten ins flackernde Licht einer Petroleumlampe, lachen.
„Wie er dich angefleht hat! Hast du sein Gesicht gesehen? Hat geheult wie ein kleines Mädchen.“
„Und eingepisst hat er sich auch, als er dein Messer gesehen hat. Das war der Hammer.“
Übelkeit steigt in mir auf, doch da ist noch etwas anderes. Etwas, das meine Vorsicht in den Hintergrund drängt und mir den Verstand vernebelt. Wie ein Schatten folge ich den dreien, meine Anwesenheit verbergend. Darin bin ich gut, denn das tue ich schon mein ganzes Leben.
Ich warte auf eine geeignete Gelegenheit. Als die drei sich trennen, folge ich dem Größten. Ich kann das Messer an seinem Hosenbund erkennen. Das Blut an der Schneide ist noch nicht ganz getrocknet. Er macht Halt vor einer heruntergekommenen Hütte und fummelt den Schlüssel aus seiner Hosentasche. Ich mache mich bereit. Leise hebe ich einen Stein vom Boden auf. Als er die Tür aufstößt, schlage ich zu. Er ist ein gutes Stück größer als ich, doch dank meiner langen Arme treffe ich ihn problemlos am Hinterkopf. Mit einem dumpfen Geräusch schlägt er auf dem Boden auf. Ich schaue mich um und vergewissere mich, dass wir alleine sind. Es gibt einen Keller. Ich schleife ihn die Treppenstufen hinunter und fessle seine Arme und Beine so, dass er alle viere ausgestreckt auf dem Rücken liegt.
Langsam kommt er wieder zu sich. Die Angst steht ihm ins Gesicht geschrieben. Doch als sein Blick auf meine Arme fällt, blitzt noch etwas anderes in seinen Augen auf: Hass.
„Was willst du von mir, du Missgeburt? Mach mich los!“
Eine Stimme meldet sich in meinem Hinterkopf. Mein Gewissen? Doch dann blitzt der Anblick des zusammengekrümmten Mannes vor meinem inneren Auge auf, der regungslos in einer Lache aus seinem eigenen Blut und Urin liegt und ich kann das Gelächter seiner drei Angreifer hören. Heiße Wut schießt durch meine Adern. Ich habe das Gefühl, nicht mehr Herr meines eigenen Körpers zu sein, bin nur noch Zuschauer eines grausigen Schauspiels.
Der Langbeiner windet sich, versucht sich zu befreien, während er mir immer wieder Beleidigungen an den Kopf wirft.
„Deine Rasse widert mich an! Ihr Langarmbestien seid Freaks! Man sollte euch alle an die Tenryuubito verkaufen und wie Tiere im Zoo ausstellen!“
Eine andere Stimme meldet sich. Wie viele meiner Leute mussten sterben? Wie viele meiner Leute wurden ausgebeutet, versklavt und zur Belustigung anderer schikaniert, nur weil sie ein Gelenk zu viel im Arm hatten? Die Stimme meines Gewissens ist nun ganz verstummt. Auch die Wut ist plötzlich wie weggeblasen. Stattdessen ist da ein anderes Gefühl. Etwas unbekanntes. Ein Gefühl der Lust. Eine sadistische Vorfreude. Ein abscheulicher Hunger, der gestillt werden muss.
Meine Hände umklammern den Stein fester, als ich mich neben das Bein das Mannes hocke. Wie von selbst hebt sich mein Arm. Der erste Schlag ist noch vorsichtig. Der Mann schreit auf vor Schmerz. Doch der Hunger wird nur noch größer. Ich brauche mehr. Erneut hebe ich die Hand, dieses Mal energischer. Als mein Opfer erkennt, was ich vor habe, fleht er plötzlich um Gnade. Doch seine Stimme erreicht meinen Verstand nicht mehr. Zu dicht ist der Nebel, der ihn umgibt. Der Stein saust ein zweites Mal herab, fester, trifft mittig das Schienbein. Blut spritzt. Mein Herz pocht. Das Langbein schreit gequält. Doch mein Hunger verlangt mehr. Erneut hebe ich den Stein, strecke dieses Mal alle meine Gelenke aus und nutze die volle Länge meiner Arme. Wie eine Geschoss trifft der Stein den Knochen. Ich spüre ihn bersten. Der Mann schreit gequält auf, windet sich vor Schmerz, ehe er das Bewusstsein verliert.
Befriedigt stehe ich auf und betrachte mein Werk. Der linke Unterschenkel steht unnatürlich ab, fast in einem rechten Winkel – fast, als hätte sein Bein ein Gelenk mehr
Noch nicht lange war es her, dass er seine neue Reise begonnen hatte. Dieses Mal stand sie allerdings unter einem anderen Stern, da ihm eindringlich vergewissert wurde, dass ein Scheitern keine Option darstellte. Er erinnerte sich an die Worte, die er im prunkvollen Saal vernahm. Ausgesprochen von den ältesten und klügsten Männern, denen er jemals begegnet war:
„Die Regierung wird fallen, sofern wir uns nicht auf Ihre Unterstützung verlassen können.“
„Ich verstehe. Es ist dringlich“, erwiderte der Reisende im ruhigen Ton, seine Ehrerbietung schluckend.
„Sehr dringlich“, antwortete einer der Männer, dessen Worte von einem Hustenanfall begleitet wurden. Gestützt auf seinem Wurzelstock, blieb er leicht wankend im Raum stehen, weshalb ein anderer, jüngerer Mann das Wort an sich nahm.
„Sie sind ein unbestechlicher Mann, sagt man.“
„Ich glaube an das, was ich mit eigenen Augen sehe, ja“, erwiderte der Weltenbummler.
„Sie kennen die Meere und finden sich dort zurecht?“
„Wie darf ich Ihnen helfen?“, kürzte er das Gespräch ab. Es schien doch dringlich zu sein, dachte er sich und ging innerlich durch, ob er nach der Hinabfahrt heute noch in See stechen konnte.
Möchte ich die Welt entdecken, möcht’ ich mich strecken, möcht’ ich mich recken.
„Dass die Kinder schon so früh mit dem Entdeckergeist in Berührung kommen.“
Er lächelte verlegen, als er ihnen nachblickte. Wie sie am Rande der Klippe standen und ohne Gefahr über die Kante schauen konnten. Die krachenden Wellen aus einem, ihm unmöglichen, Blickwinkel heraus bestaunen durften. So erlebte man die Natur ganz anders.
„Das freut mich wirklich!“
Sein Blick wanderte zurück zum Buch, welches ihm von seinen neuen Freunden überreicht wurde. Klein und abgegriffen, beschrieb es in kurzen Reimen eine umso längere Geschichte.
Ist mir ein Hindernis doch einst im Weg, schreit ich sogleich darüber hinweg.
Er dachte über die bisher gelesenen Passagen nach. Und es waren sehr viele. Mit einer leichten Unruhe strich er sich über sein auffällig geformtes Haar. Das Markenzeichen seiner Familie ebnete ihm den Weg, was ihn gleichermaßen amüsierte, allerdings auch nachdenklich stimmte. Seit zwei Tagen war er auf der Insel, die von verschiedensten Menschen bevölkert wurde. Die einen hatten besonders lange Arme, andere wiederum auffällig lange Hälse. So wie die Kinder, denen er gerade nachsah. Sie stellten sich ihm als Langhals-Menschen vor, nachdem sie sich keinen Reim darauf machen konnten, was er denn sei.
Ich bin ein Mensch wie ihr, und mein Name ist Noland.
In Gedanken versunken, bemerkte er nicht, dass sich ihm jemand genähert hatte. Kein Wunder, war es doch eine Hand, die sich leicht auf seine Schulter legte. Die Atmung, weit entfernt, war für ihn weder hör- noch spürbar. Erschrocken zuckte Noland auf, als sein langarmiger Freund ihn aus der Ferne ärgerte.
„Bald wirst du uns schon wieder verlassen, oder?“
„Ich denke schon“, antwortete der Gast auf Zeit.
„Dein Schiff wird bald repariert sein“, murmelte der Langarmige und dachte an die helfenden Hände, die aufgrund ihrer jeweiligen Statur brillant in ihrem Job waren.
Treibt der Hunger mich erst in die Natur, so schau ich kurz und greife zu.
„Ich danke euch sehr für die Hilfe. Was ihr alles tut...“
Noland schluckte kurz bei diesen Worten, da es die erste Reise war, die harmonisch ablief.
„Seitdem dein Schiff hier vor Anker liegt, widerfährt uns nur Gutes“, antwortete der erste, der Noland auf dieser Insel willkommen hieß.
„Anscheinend hängt an diesem kaputten Schiff eine intakte Fahne“, grübelte Noland. Alles, was er im Namen der Regierung auftreiben sollte: Diese Insel, diese Menschen, die hier lebten. Was hier geschah, das wollte nicht in seinen Kopf gehen. Seine Sinne kitzelten ihn, während sein Blick sich im Horizont verflüchtigte. Was geschah oder was nicht geschah.
„Ihr wollt nicht, dass ich gehe, oder?“
Die Stimme des Reisenden wurde fester, ernster.
Wir kannten nie das Fremde. Bis wir Fremde wurden.
„Die Regierung wird fallen, sofern wir uns nicht auf Ihre Unterstützung verlassen können.“
„Ich verstehe. Es ist dringlich“, erwiderte der Reisende im ruhigen Ton, seine Ehrerbietung schluckend.
„Sehr dringlich“, antwortete einer der Männer, dessen Worte von einem Hustenanfall begleitet wurden. Gestützt auf seinem Wurzelstock, blieb er leicht wankend im Raum stehen, weshalb ein anderer, jüngerer Mann das Wort an sich nahm.
„Sie sind ein unbestechlicher Mann, sagt man.“
„Ich glaube an das, was ich mit eigenen Augen sehe, ja“, erwiderte der Weltenbummler.
„Sie kennen die Meere und finden sich dort zurecht?“
„Wie darf ich Ihnen helfen?“, kürzte er das Gespräch ab. Es schien doch dringlich zu sein, dachte er sich und ging innerlich durch, ob er nach der Hinabfahrt heute noch in See stechen konnte.
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Möchte ich die Welt entdecken, möcht’ ich mich strecken, möcht’ ich mich recken.
„Dass die Kinder schon so früh mit dem Entdeckergeist in Berührung kommen.“
Er lächelte verlegen, als er ihnen nachblickte. Wie sie am Rande der Klippe standen und ohne Gefahr über die Kante schauen konnten. Die krachenden Wellen aus einem, ihm unmöglichen, Blickwinkel heraus bestaunen durften. So erlebte man die Natur ganz anders.
„Das freut mich wirklich!“
Sein Blick wanderte zurück zum Buch, welches ihm von seinen neuen Freunden überreicht wurde. Klein und abgegriffen, beschrieb es in kurzen Reimen eine umso längere Geschichte.
Ist mir ein Hindernis doch einst im Weg, schreit ich sogleich darüber hinweg.
Er dachte über die bisher gelesenen Passagen nach. Und es waren sehr viele. Mit einer leichten Unruhe strich er sich über sein auffällig geformtes Haar. Das Markenzeichen seiner Familie ebnete ihm den Weg, was ihn gleichermaßen amüsierte, allerdings auch nachdenklich stimmte. Seit zwei Tagen war er auf der Insel, die von verschiedensten Menschen bevölkert wurde. Die einen hatten besonders lange Arme, andere wiederum auffällig lange Hälse. So wie die Kinder, denen er gerade nachsah. Sie stellten sich ihm als Langhals-Menschen vor, nachdem sie sich keinen Reim darauf machen konnten, was er denn sei.
Ich bin ein Mensch wie ihr, und mein Name ist Noland.
In Gedanken versunken, bemerkte er nicht, dass sich ihm jemand genähert hatte. Kein Wunder, war es doch eine Hand, die sich leicht auf seine Schulter legte. Die Atmung, weit entfernt, war für ihn weder hör- noch spürbar. Erschrocken zuckte Noland auf, als sein langarmiger Freund ihn aus der Ferne ärgerte.
„Bald wirst du uns schon wieder verlassen, oder?“
„Ich denke schon“, antwortete der Gast auf Zeit.
„Dein Schiff wird bald repariert sein“, murmelte der Langarmige und dachte an die helfenden Hände, die aufgrund ihrer jeweiligen Statur brillant in ihrem Job waren.
Treibt der Hunger mich erst in die Natur, so schau ich kurz und greife zu.
„Ich danke euch sehr für die Hilfe. Was ihr alles tut...“
Noland schluckte kurz bei diesen Worten, da es die erste Reise war, die harmonisch ablief.
„Seitdem dein Schiff hier vor Anker liegt, widerfährt uns nur Gutes“, antwortete der erste, der Noland auf dieser Insel willkommen hieß.
„Anscheinend hängt an diesem kaputten Schiff eine intakte Fahne“, grübelte Noland. Alles, was er im Namen der Regierung auftreiben sollte: Diese Insel, diese Menschen, die hier lebten. Was hier geschah, das wollte nicht in seinen Kopf gehen. Seine Sinne kitzelten ihn, während sein Blick sich im Horizont verflüchtigte. Was geschah oder was nicht geschah.
„Ihr wollt nicht, dass ich gehe, oder?“
Die Stimme des Reisenden wurde fester, ernster.
Wir kannten nie das Fremde. Bis wir Fremde wurden.