"A bottomless curse, a bottomless sea... Accepting of all that there is... And can be..."
So sehr mich die Vorfreude packt, dass mein Themenwunsch derart regen Anklang fand, so dringend muss doch zunächst der dröge Organisationskram geklärt werden. Ihr habt wieder zwei Stimmen, wobei die eine Stimme an die altbekannte Handwerkskategorie geht. Die andere Stimme ist speziell dieser Phase zueigen und stellt euch die Frage, welche Geschichte für euch das gestellte Thema am besten eingefangen hat. Um euch dahingehend eine Gedankenstütze zu geben, zitiere ich mich an dieser Stelle noch einmal selbst:
-Bo- schrieb:
Die Welt von One Piece quillt über vor kuriosen Gestalten, Tieren und Monstren. Manche errichteten Zivilisationen an Küsten und Ufern, andere meißelten kolossale Paläste in riesige Korallen am Grunde des Meeres oder leben nomadenhaft auf wasserwandelnden Festungen. Gemein haben sie den Ozean, der sie trennt und zugleich verbindet -- und die Mysterien, die in dessen finsteren Tiefen wogen.
Sagen und Legenden bilden einen reichen Geschichtenkomplex innerhalb der Geschichte und versehen Odas Manga mit zusätzlicher Lore. Ob in Büchern und Schriften überliefert oder mündlich von Generation zu Generation weitergegeben, der Facettenreichtum schaurig-schönen Aberglaubens und nautischer Romantik, versunkener Geheimnisse und absurder Lügengeschichten bietet dem geneigten Autor ein Füllhorn an Inspiration. Schreibt eine Geschichte, in denen eine oder mehrere Legenden der One Piece-Welt im Mittelpunkt der Handlung stehen. Ob ihr dabei in das Reich des Übernatürlichen und Unfassbaren abdriftet oder im Uralten und Geheimnisvollen verortet bleibt, ob ihr eure Mysterien am Ende auflöst oder sie im Nebel des Ungewissen belasst -- liegt ganz bei euch. Liefert mir einfach eine Geschichte, die mich packt und fesselt, mir die Haare zu Berge stehen oder mich nach Antworten bangen lässt, die vielleicht niemals gegeben werden können...oder sollten. Kurzum: Spinnt mir spannendes Seemannsgarn!
Die Runde endet am 31.12.2021 um 23 Uhr! Votet und kommentiert, was das Zeug hält. Haltet das Turnier am Leben, sonst ereilt euch mit Sicherheit irgendein bizarrer Fluch. Ich würde das Risiko nicht eingehen.
»[…]Es ist der dreiundvierzigste Tag seit dem Aufziehen des Nebels. Die Auswirkungen sind kaum noch zu leugnen. Das Getreide auf den Feldern ist am Verwelken und die Ersten spüren den Entzug der wärmenden Sonne bereits in den Knochen. Doch etwas anderes bereitet mir Sorge, seit ich vor wenigen Wochen an den Ufern dieser unbedeutenden Insel angekommen bin. Wer weiß schon so recht, welche Schäden die Absenz des Lichts mit dem Geiste anstellt? Die Bewohner des kleinen Fischerdörfchens begegnen mir mit Argwohn und Feindseligkeit. Meistens verstehe ich ihren schweren Dialekt kaum. Er klingt dumpf, als sprächen sie unter einer dicken Taucherglocke zu mir. Aber wem mache ich etwas vor? War es nicht abzusehen? [....] Noch immer habe ich mich nicht in die Gemäuer der Burg getraut. Ich weiß, dass es feige ist, doch ich fürchte mich. Fürchte mich davor, was ich entdecken könnte. Doch sie werden ungeduldig und man sollte sie lieber nicht enttäuschen. Was konnte schlimmer sein als ihr Zorn, sollte ich versagen?[…]«
Mit zusammengekniffenen Augen streckte die junge Frau das in vergilbtes Leder eingebundene Büchlein von sich weg, sodass sie die flüchtigen Zeichnungen mit der Landschaft vergleichen konnte. Doch es bestand kein Zweifel. Die hastigen, aber gekonnten Linien zeigten eindeutig die scharfen Klippen. Etliche Meter überragten sie die raue See, die ihre weiße Gischt wie giftige Galle gegen den weißen Kalkstein spie. Gefährlich nah an der scharfbrüchigen Kante erhoben sich steinerne Mauern. Seviche stieß einen Seufzer aus. Sie hatte sich die Burg größer vorgestellt, auch wenn sie ihre wahren Ausmaße nur aus den Skizzen erahnen konnte. Denn die drei Türme der Burg verloren sich in dem dichten Nebel, der wie eine erdrückende Decke über der gesamten Insel, ja dem ganzen verdammten Ozean lag. Sie ließ ihren Blick über die steilen Hänge hinab zu der Kette an verwitterten und wurmstichigen Häusern wandern. Die ehemals weiße Farbe schälte sich wie eitriger Schorf von den faulenden Holzplanken. Vereinzelt flatterten noch bunt gemusterte Wimpel in der salzigen Meeresbrise. Letzte Zeugen eines einst florierenden Fischerstädtchens. Doch heute waren die Fenster mit schiefen Holzbrettern verbarrikadiert. Die junge Frau war sich sicher, dass dieser Küstenabschnitt der Insel verlassen war. Ein Schicksal, das so viele Inseln ereilt hatte, seit der Nebel sich ausbreitete. Erst verschwand die Sonne, dann folgten ihr die Menschen. Plötzlich riss sie eine unheimliche Regung inmitten der schlammgrauen Dünen aus ihren Gedanken. Jemand…oder gar etwas?…schleppte sich durch das feuchte Marschland. Ihr Herz machte einen Hüpfer. Sie war sich selbst nicht sicher, ob es Aufregung oder Anspannung war. Obwohl es sich auf einen Stock stützte und in einen gelben Regenmantel gehüllt hatte, misstraute Seviche der Menschlichkeit des Wesens hinter der tiefen Kapuze. Zu laut und eindringlich echoten die Warnungen des Händlers in ihren Ohren. Auf Jaya, wo sie ihm das ledergebundene Tagebuch für viel zu viel Berry abgeluchst hatte, hatte sie seine Worte mit der Paranoia eines alten Mannes abgetan. Sie war schon den Ruf zu vieler Schätze in die hintersten Winkel der Welt gefolgt, als dass sie sich jetzt von einem humpelnden Seemann vor den Verheißungen der mysteriösen Burg im Nebel fürchten würde. Dennoch übermannte sie beim Anblick dieses grotesken Zwitterwesens im Nebel ein gewisser Zweifel. Nervös biss sie sich auf die Lippen und näherte sich der Gestalt.
»Entschuldigen Sie, mein Name ist Seviche«, rief sie der Person, deren Bewegungen aus der Nähe nur noch befremdlicher und unnatürlich anmuteten. Den Kopf gesenkt und die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, murmelte sie vor sich her. In einer Sprache und einem Dialekt, den Seviche nicht verstehen mochte. Wie unter einer Taucherglocke, erinnerte sie sich an die Worte aus dem Tagebuch, die sie zuvor noch einmal überflogen hatte. Irritiert blickte sie der Kapuzengestalt nach, die sie wortlos passiert hatte. Eine unangenehme Ahnung, gleich einem kühlen Luftzug, dessen Ursprung nicht zu fassen war, bemächtigte sich ihrer. Jedoch versuchte Seviche sie buchstäblich abzuschütteln. Sie war zu weit gekommen und hatte zu viel auf ihrem Weg geopfert. Festentschlossen machte sie sich auf den Weg zur Burgruine.
»[…]Was ist hier nur passiert? Ich vermag mir die Grauen, die in diesen Gemäuern stattgefunden haben, nicht auszumalen. Die wenigen Aufzeichnungen über die Experimente, die hier stattgefunden haben, habe ich im Kamin des Turmzimmers vernichtet. Ich habe nicht gewagt, auch nur einen Blick hineinzuwerfen. Was hat MADS hier nur getrieben? Der Ausschlag wird im Übrigen schlimmer. Der verdammte Nebel bleibt weiter beharrlich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jener natürlichen Ursprungs sein kann. Ich hoffe, dass ich bald zurückreisen darf, ohne den Keller erkunden zu müssen […].«
Die Fackel warf flackerndes Licht auf die überwucherten Gemäuer. Moos, Algen und andere Nachtschattengewächse hatten sich die Ruine schon längst zurückerobert, seit hier das letzte Mal Menschen gehaust hatten. Auf ihrem Weg durch die Gänge passiert sie einen blindfleckigen Spiegel, ehe sie noch einmal in ihrem Büchlein nachschlug. Das diffuse Licht macht es fast unmöglich die Worte zu entziffern, zumal die Buchstaben mit jeder Seite schmaler und verschnörkelter wurden und bald keiner Schrift mehr gleichen würden, die Seviche sprach oder lesen konnte. Doch sie wusste ohnehin, wohin ihr Weg sie führen würde. Der namenlose Schatz, den sie ersehnte, konnte sich nur hinter den ächzenden Toren befinden, deren Schloss sie soeben mühelos geknackt hatte. Das metallbeschlagene Emblem der Weltregierung glitt auseinander und offenbarten den Blick auf einen Treppengang. Die grob in das Mark der Klippen geschlagenen Treppenstufen schimmerten feucht. Muscheln und korallenähnliche Gebilde zogen sich in exotischen Mustern über die Wände. Ein unerträglicher Geruch schlug ihr entgegen. Muffig. Modrig. Abgestanden. Dieser Ort hatte seit Jahren keine frische Luft mehr geatmet. Die Stufen wanden sich in einer immer enger werdenden Spirale in die Tiefe, als führten sie durch das Gehäuse einer urzeitlichen Meeresschnecke.
Die ersten beiden Male hielt sie es für Einbildung; für das Echo ihrer Schritte oder das Pulsieren ihres Herzschlags. Doch dann war es ganz deutlich. Ein plätscherndes Flüstern in der Dunkelheit, das ihren Namen wiederholte. Mit jedem Schritt gesellten sich weitere dumpfen Stimmen hinzu, bis es zu einem Kanon anschwoll, der ihr in den Ohren dröhnte. Ihr Puls raste. Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie musste hier weg. Sofort! Doch plötzlich berührte etwas ihren Knöchel und sie fiel. Fiel gefühlt tausend Stufen in die verschlingende Dunkelheit. Sie schrie. Schrie ihren Namen im Chor der gesichtslosen Monster. Schrie nach Göttern, an die sie nicht glaubte, in Sprachen, die sie nicht sprach. Schrie, bis sie ein letztes Mal aufschlug. Eisiges Salzwasser umschloss sie. Sturzbäche rauschten in ihre Lungen. Unter erstickten Schreien suchte sie orientierungslos und strampelnd nach der Oberfläche. Denn sie war nicht allein im Becken. Dutzende, wenn nicht hunderte Körper trieben um sie herum. Ihre Gliedmaßen kalt, unmenschlich. Ihre Haut schuppenhaft und glatt. Der kakophonische Kanon der Verdammten dröhnte selbst unter Wasser in ihren Ohren.
Ihr Kampf mochte Stunden gedauert haben. Oder Tage? Seviche war sich selbst nicht sicher, wie sie dem Becken entkommen war. Wie durch ein Wunder flackerte ihre Fackel noch einsam auf den unebenen Stufen. Sie warf keinen Blick zurück, als sie in blanker Panik schluchzend die spiralförmige Treppe hinaufstolperte. Seviche passierte den blindfleckigen Spiegel – und hielt starr inne. Blutunterlaufene Augen auf aschfahler Haut glotzten ihr entgegen. Mattschimmernde Schuppen pflasterten die Hälfte ihres Gesichts. Spitze Zähne bleckten unter glasigen Lippen. Der treibende Drang, die Kreatur im Spiegel zu zerschlagen, wich plötzlich einer müden, unnatürlichen Resignation. Plötzlich fand Seviche Ruhe im Angesicht dieses namenlosen Grauens. Ihr Herzschlag verebbte sacht, und mit ihm der widerwärtige Kanon aus den Tiefen der See.
»Es ist der vierundvierzigste Tag seit dem Aufziehen des Nebels. Zumindest glaube ich das. Die Schuppen ziehen sich mittlerweile über den ganzen Körper. Ich werde die Insel nun verlassen. Sollen die Fünf mich holen. Es gibt keine schlimmere Hölle als diesen Ort!«
Nachdem sie die Feder zur Seite gelegt hatte, griff sie sich den zitronengelben Regenmantel und verließ die Ruine. Am Eingang lehnte ein Stock, den sie nutzen wollte, um sich einen Weg durch die Dünen zu kämpfen Das trübe Licht des Nebels blendete sie derart heftig, dass sie sich tief in die Kapuze flüchtete. Hinkend und schlurfend pflügte sie sich durch das feuchtnasse Marschland. Sie blickte erst auf, als sie die Silhouette einer schlanken Frau entdeckte, die mit einem alten Büchlein hantierte. Das Déjà-Vu der vertrauten Bewegungen löste einen unstillbaren Juckreiz in ihren verblassenden Erinnerungen aus, den sie sich am liebsten blutig gekratzt hätte. Wirre Worte der Warnung brummend, passierte sie die junge Frau und verschwand im Nebel des Florian Triangle. Seviche konnte ihr nicht helfen, denn die drei Türme der Burg folgten ihr mit funkelnden Blicken.
Einst segelte auf den Meeren ein geiz’ger Pirat,
schrak zurück vor keiner noch so grausamen Tat.
Er plünderte und raubte und nahm sich was er wollt‘,
Diamanten und Geschmeide und Truhen voller Gold.
Seine Gier zu stillen, viele zahlten mit Blut,
das Leben Unschuldiger auf seiner Seele ruht.
Sein Gewissen jedoch immer unbefleckt und rein,
keine Reue verspürte er im goldenen Schein.
Von dem Frevler erzürnt, haben selbst der Wind,
und auch die See nach Vergeltung gesinnt.
Die Wellen sich öffneten zu einem reißenden Sog,
das Gewicht seiner Seele ihn auf den Meeresgrund zog.
An Sünder ohne Reue dieses Schicksal ergeht,
Und aus den Tiefen der Meere erklingt nun sein Gebet:
Oh donnernde Wellen, oh salzige See,
für immer gefangen, für immer gebannt.
Oh donnernde Wellen, oh salzige See,
nach Gold es mich auf ewig verlangt.
So wandert der Sünder als Geist nun umher,
in den ewigen Tiefen durchstreift er das Meer,
ohne Rast und ohne Ruh‘, getrieben von seiner Gier,
sammelt er Seelen von denen, die so sind wie er.
Gebunden auf ewig, im tiefen, dunklen Nass,
seine Seele genährt durch unbändigen Hass.
Nur einmal im Jahrhundert ist es ihm gewährt,
dass er auf die Wasseroberfläche zurückkehrt.
Darum, junge Seeleute, seid gewarnt,
dass Habgier und Geiz euer Herz nicht umgarnt.
Auf dass keiner von euch ein sündiges Leben friste,
sonst landet ihr eines Tages in Davy Jones‘ Kiste.
Und solltet ihr euch doch dem Frevel hingeben,
sind dies die letzten Worte, die ihr hört in euerem Leben:
Oh donnernde Wellen, oh salzige See,
für immer gefangen, für immer gebannt.
Oh donnernde Wellen, oh salzige See,
nach Gold es mich auf ewig verlangt.
Als die letzte Note verklang und der alte Musiker in der Ecke des Schankraums seine Fidel zur Seite legte, durchbrach lautes Gelächter die Stille.
„Was für eine Schauergeschichte, alter Mann!“
„Ich weiß nicht, was hier gruseliger war; die Geschichte, oder die vielen falschen Töne, die du gespielt hast! Hahaha!“
„Auf Davy Jones! Einem Piraten unter Piraten!“
„Auf Davy Jones!“, die Männer und Frauen in der Hafenkneipe ‚Zum fliegenden Skyländer‘ erhoben freudig die Humpen. Bier und Met schwappte über die Ränder der Kelche und Krüge und durchzog die Luft mit süßlichem Honiggeruch. Am Tresen saßen zwei junge Männer. Der eine hochgewachsen und kräftig gebaut, der andere klein und untersetzt. Der Große hob freudig seinen Krug und stimmte in das Gelächter mit ein, während der kleinere der beiden zitternd in seinen leeren Weinkelch blickte.
„Was ist los, Beaufort? Glaubst du etwa diese Geistergeschichten? Ist doch alles nur Humbug, um einfältigen Leuten das Fürchten zu lehren. Komm, trink noch etwas!“, er gab der Dame hinter der Bar ein Zeichen, „Für meinen Freund bitte noch einen Schluck Wein“, im Flüsterton fügte er noch hinzu „aber den billigen.“ Die Frau zwinkerte ihm kurz zu und verschwand in der Vorratskammer.
„N-n-natürlich glaube ich nicht daran!“, Beaufort versuchte, sein Zittern zu unterdrücken, „I-i-ist ja alles nur e-e-erfunden“, die Bardame stellte einen frischen Kelch voll Wein vor den jungen Mann.
„Auf uns, auf das Meer und auf eine rosige Zukunft!“, Beaufort nahm einen großen Schluck von seinem Wein, als sein Kamerad sich zu ihm lehnte und flüsterte: „Und auf dass uns Davy Jones nicht erwischen möge!“ Sofort spuckte der Untersetzte seinen Wein über den ganzen Tresen. Der andere brach in lautes Gelächter aus. Plötzlich begann er kräftig zu husten und rang nach Luft.
„Ah, ich sehe Davy Jones‘ Griff bereits um deinen Hals…“, erschrocken drehten sich die beiden Männer um. Der Musiker stand hinter ihnen und nahm neben Beaufort Platz. „Ich habe euer Gespräch gehört und glaube mir, alles aus meinem Lied ist wahr!“
„Verschone uns mit deinem Unsinn, alter Mann!“
„Sagt mir, seid ihr Piraten?“
„Keine Piraten! Peano ist mein Name und das ist mein treuer Begleiter Beaufort. Schatztaucher sind wir. Wir nehmen nicht von den Lebenden-“
„Ihr nehmt lieber von Davy Jones“, unterbrach der Alte lachend. Beaufort entkam ein stummer Schrei. „Kein Wunder, dass sich seine Hand so deutlich um deine Kehle abzeichnet.“ Der Musiker streckte seine Hand bedrohlich aus. „Einen Geist zu bestehlen, und sei er noch so ein Frevler gewesen, ist eine Sünde, glaubt mir.“
„Sünde? Dass ich nicht lache! Das Husten kommt vom vielen Tauchen, nicht von irgendeinem Geist, alter Mann“, Peano schlug die Hand des Musikers weg.
„Ihr legt euch mit dem Teufel höchstpersönlich an! Ihr solltet lieber einhalten, solange ihr noch könnt…“
Peano wurde wütend. Mit einem Zug leerte er seinen Humpen. „Erzähl diese alten Mären lieber einfältigen Kindern. Vielleicht schenken die dir ihr Gehör!“ und mit diesen Worten verließ der junge Mann erzürnt die Schänke. Nach kurzer Zeit folgte ihm sein zitternder Partner.
***
„Wenn meine Berechnungen stimmen, dann müsste sich direkt unter uns das Wrack der ‚Satine‘ befinden. Männer! Das dürfte unser größter Coup bisher werden. Los! Jeder Mann an seine Position!“, Peano stand am Bug des Schiffes. Selbstsicher blickte er in die Gesichter seiner Kameraden. Das Wetter war perfekt für eine Schatzbergung. Eine sanfte Brise ließ die Takelage hin und her wippen, die See war annähernd spiegelglatt und dünne Wolken schwächten das Sonnenlicht etwas ab. Unter diesen Bedingungen hatten sie genügend Zeit, um alle Schätze des versunkenen Schiffes an die Oberfläche zu bringen.
Die Schatztaucher jubelten laut auf, nur Beaufort stand still an der Reling. Sein angespannter Blick war auf das Meer gerichtet. Mit seiner rechten Hand fummelte er nervös in seiner Hosentasche herum.
„Willst du deinen Freund retten? Dann höre mir zu. Nimm eine Goldmünze und drehe sie zehnmal in deiner rechten Hand. Sprich dazu bei jeder Drehung das Gebet von Davy Jones aus meinem Lied.
Anschließend wirfst du die Münze über deine linke Schulter in die See. Der Obolus wird den wütenden Geist besänftigen.“
Hektisch nahm Beaufort eine Golddublone aus seiner Hosentasche, drehte sie in seiner rechten Hand und flüsterte die Worte.
„Beaufort! Dein Seil!“, Peano blickte sich nach seinem Partner um. Er hatte bereits das Geschirr um, welches dem Druck der Tiefe standhalten sollte. Er entdeckte seinen Freund an der Reling und rief ihm zu, doch Beaufort gab keine Antwort. Erzürnt ging er zu ihm und sah, wie dieser nervös mit der Golddublone hantierte und etwas vor sich hinmurmelte.
„Du abergläubischer Idiot!“, Peano schlug Beaufort die Münze aus der Hand, noch bevor er die Formel zu Ende sprechen konnte. Im hohen Bogen flog sie über die Reling und landete im Wasser.
„NEIN!“, rief Beaufort verzweifelt.
„Seit Tagen gehst du mir mit dieser Geistergeschichte auf die Nerven. Wären deine Kräfte nicht so nützlich für die Schatzbergung, hätte ich dich schon lange aus unserer Mannschaft geworfen! Jetzt reiß dich zusammen und binde mich mit deinem Seil fest!“, Peanos Worte punktierten Beauforts Herz wie ein spitzer Dolch. Er hatte ihn also nur ausgenutzt. Seine Kräfte, die er nach dem Verzehr dieser wunderlichen Frucht erhalten hatte, er war nur auf sie aus. Die Taue, die er aus seinen Armen bilden konnte, unzerstörbar und selbst gegen Meerwasser immun, Peano war nur daran interessiert.
Plötzlich schlug seine Verzweiflung in Wut um. Sein Arm verformte sich in ein dickes Tau und mit lautem Schnalzen umwickelte es Peanos Hals. Der Kapitän der Schatztaucher rang nach Luft. Sein Partner, blind vor Wut, zog noch fester an. Die anderen Schatztaucher blickten fassungslos auf das tragische Szenario, das sich ihnen bot. Sie versuchten, Beaufort zu beschwichtigen. Tränen rollten dem kleinen Mann über die Wangen, als er in die entsetzen Gesichter seiner Crewmitglieder blickte.
„Be…aufort. Bit…te“, Peano versuchte, nach Luft ringend, Worte zu formen. Beaufort sah Tränen in seinen Augen glitzern.
Plötzlich war seine Wut wie verraucht. Er lockerte den Griff seines Taus. Peano keuchte laut auf und noch bevor Beaufort etwas sagen konnte, stürmte sein Kapitän auf ihn zu. Mit einem kräftigen Schlag mitten ins Gesicht, beförderte Peano seinen Kameraden über die Reling. Für Beaufort fühlten sich Sekunden wie Minuten an. Er sah, wie der Meeresspiegel immer näher auf ihn zukam. Im letzten Moment vor dem Aufprall festigte er noch einmal seinen Griff um Peanos Hals und riss ihn mit in die Tiefe. Er spürte, wie die stählerne Kälte des Wassers seinen gesamten Körper umarmte. All seine Kraft verließ ihn und er versank wie ein Stein. Mit sich in die Tiefe zog er seinen einzigen Freund. In seinen Ohren hallte das Gebet von Davy Jones wider:
Oh donnernde Wellen, oh salzige See…
Am Meeresboden saß eine Gestalt auf einer Kiste. In seinen Händen hielt sie eine einzelne Golddublone. Die beiden leblosen Körper sanken vor ihren Füßen zu Boden. Sie ließ die Münze in ihre Tasche gleiten, zückte ihre Fidel und begann zu spielen.
Grandline
Das Mysteriöse Dreieck
XXX Anno Maris
Ein sanfter Wind streichelte die mitgenommenen Segel der White Stallion. Ein dutzend Möwen umkreiste den Schiffsmast in akrobatischer Grazie und setzte melodische Akzente für das geschäftige Deck. Die tiefstehende Sonne brannte Viktor in den Augen und zwang ihn zur Aufgabe. Während er sich die tränenden Augen rieb, musste er unweigerlich über die vergangenen Monate nachdenken. Sie waren mit großen Zielen und verklärten Träumen aus dem South Blue aufgebrochen und mehrmals dem Scheitern nahe gewesen. Seeschlachten, Raubzüge und Verfolgungsjagden mit der Marine hatten sie gezeichnet.
Die Strapazen der Grandline hatten sie zusammengeschweißt. Sie waren nicht mehr die Gruppe Freunde, welche einst nach einem Krug Bier zu viel beschlossen hatte in See zu stechen. Aber nicht jeder hatte es bis hierhin geschafft. Manche waren schweren Verletzungen erlegen, andere hatten sich an den Häfen der Welt verliebt und hüteten nun irgendwo einen Herd und keine erbeuteten Schätze.
Ihr Schiff war ebenfalls übersät von Narben der Erfahrung. Unzählige Kerben und Bruchstellen hatte die White Stallion zu verkraften. Sie war ein schönes Schiff, ein edles Ross. Ein solches zierte auch den Bug des Schiffes, feines weißes Holz, filigran und mit chirurgischer Präzision in einen markanten Hengst geformt.
Auf dem Deck herrschte noch reges Treiben. Oscar, der Navigator der Crew, trat breit grinsend an seinen Kapitän heran und legte ihm respektvoll die Hand auf die Schulter. Ein Finger fehlte, ein anderer war nicht mehr ganz. Jeder der Crew hatte auf der Reise Opfer bringen müssen.
„Wir haben es echt geschafft, was Vik?“
Viktor reflektierte noch einmal die letzten Abenteuer seiner Bande. Auf Alabasta waren sie beinahe um ihr gesamtes Geld betrogen worden, gutgläubig wie sie immer noch gewesen waren. Jaya hatte ihnen gezeigt, warum das Piratenleben nicht nur Seeromantik und wässriges Bier bedeutete. Dort war ihr erster Mitstreiter in einer Gasse erstochen worden. Sie hatten von der Insel fliehen müssen. Doch sie hatten nicht aufgegeben, sich noch einmal zusammengenommen und hart für den bevorstehenden Weg trainiert. Doch noch vor wenigen Tagen, auf Water 7, hatte ihre Reise beinahe wieder ihr Ende gefunden. Sie wären von der Marine mitten auf dem belebten Markt festgenommen worden, hätten sie nicht noch einen Tipp bekommen. Es lohnte sich scheinbar doch einen charmanten Frauenheld als Smutje mit an Board zu haben. Seine Eroberung vom Vorabend war ausnahmsweise mal keine verheiratete Bardame, sondern eine Konteradmirälin gewesen.
Viktos Blick fiel unweigerlich auf Silvio, seinen schweißbenetzten Koch, der gerade unter Zeitdruck ihr Abendmal zubereitete. Als sich ihre Blicke trafen zwinkerte Silvio ihm nur mit seiner charismatisch unbeschwerten Art zu, während er gerade einen Schwertfisch filierte.
„Ja Oscar, ich glaube wir haben uns die Neue Welt wirklich verdient. Niemand kann sagen, wir hätten nicht für unseren Traum gekämpft.“
Gemeinsam blickten sie hoffnungsvoll zum Horizont.
Es sollte der letzte Moment der Hoffnung für die Crew gewesen sein.
Das Kreischen der Möwen war verstummt. Viktor runzelte die Stirn, die Nacht war noch einige Stunden entfernt, normalerweise begleiteten sie die Möwen bis zum Abendessen. Irgendetwas stimmte nicht. Es war ungewöhnlich kalt geworden und ihr Schiff stand still.
„Der Wind ist verschwunden“, stellte Oscar mit einem Stirnrunzeln fest.
Ohne weitere Worte begab sich der Navigator zum Ausguck, sie waren längst ein eingespieltes Team.
Gerade als Viktor seine Crew zusammenrufen wollte, brach schlagartig die Dunkelheit über sie herein. Die soeben noch gleißende Sonne war vollends von einer Armada gewaltiger, tiefschwarzer Wolken verschlungen worden.
Nervöses Flüstern durchzog die Piratenmannschaft. Die Tätigkeiten wurden eingestellt und sie alle suchten den Blick ihres Kapitäns. Viktor wusste, dass sie in allen Lagen auf ihn zählten und verdammt wäre er, wenn er sie enttäuschen würde.
„Entzündet die Fackeln! Es sieht so aus als würden wir heute im Dunkeln speisen. Der Luxus der letzten Tage ist vorbei, die neue Welt ruft, gewöhnt euch dran!“
Halb grummelnd halb zustimmend folgte die Mannschaft seinen Worten.
Oscar stand mit wackeligen Beinen auf dem Ausguck. Die Dunkelheit war so bedrohlich und attackierend eingetroffen, dass er sich zunächst an den Mast klammern musste. Mittlerweile hatte er sich gelöst und starrte mitten in die jegliches Licht verschluckende Ferne. Eine unheimliche Anziehungskraft ließ ihn seinen Blick nicht abwenden. Etwas regte sich in der Dunkelheit. Oscar konnte nicht einmal mehr blinzeln. Er spürte wie seine Augen tränten, salziges Entsetzen rann seine Wangen herab. Es bildete sich ein Strudel, nicht auf dem Meer, sondern in der Luft direkt vor dem Navigator. Oscar fixierte den fesselnden Malstrom und der Malstrom blickte zurück.
Jahrtausende von Leid, Qual und Geisteskrankheit gruben sich durch die Netzhaut in das Hirn des treuen Crewmitglieds. Krampfadern fingen an sich einen Weg durch Oscars Gesicht zu bahnen. Seine Augäpfel traten hervor, Blutgefäße platzten wie lästige Geschwülste. Triefender Speichel schäumte die Mundwinkel des einst so unerschütterlichen Piraten herab.
Oscar fiel.
Etwas schlug auf dem Deck auf und zerplatzte. Heiße Flüssigkeit spritzte Viktor ins Gesicht. Vorsichtig strich er sich mit der Zungenspitze über den Mund. Ein metallischer Geschmack. Ein beklemmendes Gefühl ergriff den Kapitän und er richtete seinen Blick mit einer angsterfüllten Langsamkeit auf den Ausguck.
„Oscar! Oscar, was siehst du!?“
Viktor erwartete keine Antwort. Tief in seinem Inneren wusste er bereits, dass Oscar ihm nicht mehr antworten konnte. Viktor leuchtete mit seiner eigenen Fackel auf den Punkt an dem er den Einschlag verordnete. Eine undefinierbar fleischige und eitrige Masse hatte sich neben dem Mast ausgebreitet. Ein einzelnes Auge schwamm inmitten der Körperflüssigkeiten.
Ein Auge, in welches Viktor bereits unzählige Male geblickt hatte. Ein Auge, welches ihm Selbstbewusstsein und Stärke verliehen hatte. Oscars Auge.
Panik ergriff Besitz vom Kapitän. Andere Crewmitglieder folgten seinem Blick und es dauerte nicht lange bis Schreie und Würgeanfälle die unnatürliche Stille auf See vereinnahmten.
Viktor riss sich aus seiner Schockstarre. Er musste seine Crew hier rausholen, was auch immer dieses hier war. Er machte einen ersten Schritt auf Silvio zu, um sich weitere Unterstützung von einem seiner engsten Begleiter zu sichern. Ein schrilles quieken ertönte unter seinem Stiefel. Er war auf eine Ratte getreten. Unmöglich. Sie hatten eine strenge Hygiene an Board gepflegt, ihnen allen war bewusst wie schnell Krankheit eine Crew dahinraffen konnte. Viktor traute seinen Augen nicht, als plötzlich ein Schwarm der Virenbrut über die Reling auf das Deck schwappte. So eng drängend, dass sie sich beinahe selbst zerquetschten. Die Brut kletterte an manchen Mitgliedern seiner Crew hoch, riss mit ihren scharfkantigen Zähnen kleinste Stücke Fleisch aus offenen Körperstellen. Es dauerte nur wenige Wimpernschläge, bis Viktor mit Entsetzen beobachten konnte, wie sich seine Mitstreiter selbst über Board warfen.
„Freunde, das ist nicht real! Jemand spielt uns einen Streich! Bleibt tapfer, die neue Welt liegt noch vor uns!“
Doch Niemand konnte Viktors Worte hören. Ihm selbst kam es so vor, als würden die Laute gar nicht seinen Mund verlassen sondern von einer imaginären Wand abprallen.
Er biss die Zähne zusammen und machte einen weiteren Schritt auf Silvio zu. Dieser blickte mit greifbarer Verzweiflung in die dunkle Ferne. Viktor sah, wie Silvio sein Filetiermesser vor sein Gesicht führte.
„Ich will es nicht mehr sehen! Es soll weg, es soll weg!“
Viktor schrie auf, als Silvio das Messer erst in sein linkes und dann in sein rechtes Auge rammte. Statt sich vor Schmerzen zu krümmen, fing der Koch an sich zu entspannen und zu lächeln.
„Erlösung“, hauchte der Smutje und sackte schließlich zusammen.
Inmitten des Rattenschwarms stand der Kapitän der White Stallion als einziger noch. Um ihn herum nur Zerstörung, Tod und Grauen. Seine Träume innerhalb weniger Minuten erschlagen und begraben. Bevor Viktor jedoch einen klaren Gedanken fassen konnte, erkannte er eine Bewegung in der Dunkelheit. Ein gigantischer Schatten, Ausmaße jenseits jeglicher Vorstellungskraft, erhob sich und baute sich vor dem zu weltlich erscheinenden Schiff auf.
Zwei Augen. Waren es Augen? Es hätten Planeten sein können. In ihnen erblickte Viktor die Geschichte der Welt. Eine Geschichte voller Leid, voller Qual und voller Sünde. Eine Sekunde in den Augen des kosmischen Schattens versklavte den Kapitän in eine Ewigkeit jenseits von Himmel und Hölle. Jenseits von Gut und Böse. Nur eine absolute, unbestreitbare Klarheit. Eine Klarheit, welche die Vorstellungskraft eines sterblichen Lebewesens überschritt. Viktor war von einem tiefen Verständnis über Silvios Entscheidung erfüllt und gratulierte seinem Koch nachträglich zu einem wundervollen Tod.
Viktor schämte sich für seine Existenz.
Seine Augen auszustechen war nicht genug. Ertrinken war nicht genug. Viktor verbeugte sich vor dem Schattenkoloss und legte sich schließlich auf das Deck.
„Nimm mich! Akzeptiere mich als Opfer! Mein Fleisch sei dein!“
Und so wurde der Kapitän der White Stallion, Viktor Lambrosius, Stück für Stück von der Rattenschar gefressen.
Ein Lächeln zierte das löchrige Gesicht.
Ein würdiger Tod.