One Piece - Golden Age (Reupload)

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    • One Piece - Golden Age (Reupload)

      Reupload der überarbeiteten und fortgeschrittenen Fanfiction. Die Geschichte erscheint ebenfalls auf Wattpad (SKLovejoy).
      Ich lade erstmal Prolog + 10 Kapitel hoch.

      Damit ihr wisst, was euch erwartet, eine kurze Beschreibung:

      Fanfiction basierend auf dem Original, aber ganz neues Setting. Vom Stil her "erwachsener" und "ernster" als das Original.

      Liken, kommentieren, Kritik, Fragen stellen usw. erwünscht! Viel Spaß und liebe Grüße!

      Prolog:

      Wir schreiben das Jahr 1720 nach Joyboy. Lodea, auf der Insel Grand Storm in Olympia, im North Blue.
      Der Wind fegt über die steilen Klippen nahe des Haupthafens Lodeas, der größten Hafenstadt des North Blue. Es herrschen zwar sommerliche Temperaturen, aber auf Grand Storm ist es immer windig bis stürmisch und es gibt wohl nirgendwo öfter Gewitter als hier.
      Ben sitzt hinter Steinen geschützt vor Wind und Regen, um sich eine Zigarette anzünden zu können, doch eine Windböe verteilt den Tabak auf dem Boden und auf seinem Schoß. Er ist ein kräftiger junger Mann, keine 20 Jahre alt, mit schwarzen fest zum Zopf gebundenen Haaren. Neben ihm sitzt der blonde Lockenkopf Yasopp und erläutert Ben einige Ideen zur gesellschaftlichen Haltung in Olympia. Lou, ein Bär von einem Mann, steift durch einen Trampelpfad auf die Gruppe zu, grüßt und beschwert sich über das Wetter. Nur einer sitzt auf den Klippen mit herunterhängenden Füßen und starrt aufs Meer. Ein junger Mann, ebenfalls keine 20, mit roten Haaren, mit Shorts und Hemd bekleidet und ohne Schuhe.
      "Der Sturm wird stärker", ruft er den anderen zu, als sei dies eine Information, die an den Klippen Grand Storms etwas Besonderes ist. "Wie gesagt, ich denke, der Kapitalismus in Olympia ist ein Problem...", ruft Yasopp den Zeigefinger schwingend gegen den heulenden Wind an.
      Schlagartig wird nun einige Minuten später der Sturm und das Gewitter heftiger. Es donnert, Blitze und der Sturm peitschen. "Ein Schiff", ruft der Junge auf den Klippen, "in Seenot!" Alle anderen blicken auf. "Es ist ein Handelsschiff, wie es aussieht aus dem Norden!" Er steht nun auf der Klippe und kneift die Augen zusammen, um besser sehen zu können, was vor sich geht. "Die Marine kümmert sich", ruft Ben ihm zu und winkt ab. "Niemals, die kümmern sich einen Dreck um Händel aus dem Norden. Bei dem Sturm fahren die niemals raus!" Ben richtet sich auf, es war wirklich heftiger geworden als gedacht. Über dem Meer, nur einige Kilometer von der Küste entfernt, sind bereits riesige Wellen zu sehen und der Himmel ist durchzogen von Blitzen. Der Donner wird nun auch lauter und kam schneller, als drehe man eine Stereoanlage auf. "Es ist getroffen", ruft der Rothaarige. In seinem Blick ist eine angsteinflößende Mischung aus Entsetzen und Enthusiasmus zu sehen. "Ich kann das nicht zulassen", ruft er. "Kommt, sie werden sonst an den Klippen zerschellen!" Lou hustet, als hätte er sich an einer Nuss verschluckt, die er knackt und sich zu Mengen in den Mund stopft, aber er schien sich nur verhört zu haben. "Was willst du dagegen...", ruft Ben noch, aber da springt Rothaar bereits beherzt von der Klippe. Ben traut für den Bruchteil einer Sekunde seinen Augen nicht, aber dann reagiert er. "Ich spring da nicht runter", schreit Lou auf. "Meinen Berechnungen nach sollte man das überleben", ruft Yasopp, als sei diese Information gerade ausschlaggebend für die Entscheidung dem Freund zu helfen, ein Schiff in Seenot vor den Klippen in einem sich auftürmenden Sturm zu retten. "Dennoch ist springen wahrscheinlich jetzt ziemlicher Selbstmord", führte er weiter aus, "da sich das Schiff wahrscheinlich erst in einigen Sekunden, wenn nicht Minuten, nah den gefährlichen Bereichen an den Klippen befindet", führt er aus. Doch zu spät für kluge Ratschlage, Ben ist seinem besten Freund bereits hinterhergesprungen.
      Das Wasser peitscht, Rothaar bekommt ein Seil des Schiffes zu fassen, nachdem er vergeblich versucht hatte, gegen die Wellen anzuschwimmen. Er ergreift das Seil und wird gegen die Planken des Schiffes gerissen. Er zieht seinen Körper zusammen, den Aufschlag spürt er kaum. Er ist bereit und greift nach dem Schiff. Seine Finger brennen, aber er hat ein Geländer des Schiffes erwischt. Er wirft sich über die Reling an Bord und versucht Halt zu finden. Nur Sekunden vergehen und er rennt auf einen Zugang unter Deck zu. Dort reißt er von der Wand eine zur Verzierung gedachte lange Klinge von der Wand. Er läuft hinaus auf das Deck. Ein Mann, den es zu Boden geworfen hat, schaut ihn entgeistert an. Ein weiterer Mann liegt regungslos einige Meter entfernt. In diesem Moment schaukelt das Schiff erneut so stark, dass der Regungslose von Bord geschleudert wird und der andere Mann versucht, sich an irgendetwas festzuhalten. Mit der scharfen Waffe bestückt rennt der Rothaarige nun los und versucht das Wanken des Schiffes so gut wie möglich auszugleichen. Die gespannten Segel sorgen dafür, dass das Schiff nahezu auf der Meeresoberfläche liegt. Mit einem wuchtigen Sprung und dem Schwung der Klinge kappt er den Tau, der das Segel hält. Das Segel wird sofort mit dem Wind davon gerissen. Nun rast das Schiff aber dennoch weiter, vom Wind mit den weiteren Segeln geschoben auf die Klippenküste vor Lodea zu. In diesem Moment sieht der junge Held seinen Kumpanen Ben, der sich das Schiffsrad packt. "So fest du kannst steuerbord!", brüllt er ihm gegen den Sturm und die Wellen zu. "Die Segel!", schreit Ben aus Leibeskräften zurück.
      Im Wasser schwimmen Crewmitglieder, Teile der Ladung und abgerissene Teile des Handelsschiffes. Auf dem Geländer sitzt ein blonder Mann und schießt eine Art Enterhaken ab, um damit einen im Wasser Treibenden an Deck zu ziehen. Als eine weitere nunmehr Riesenwelle über Deck bricht, packte ein Bär von einem Mann den an Deck Zurückgebliebenen und hat eine junge Frau unter den anderen Arm geklemmt. Die Welle reißt ihn um, aber alle drei bleiben unverletzt.
      Das zweite Segel wird abgeschnitten und Ben kann versuchen, das Schiff seitwärts gegen die Klippen zu lenken. Der Rote hat nun, trotz schaukelndem und peitschendem Sturm, den ersten Mast erklommen. Er versucht, das Segel abzuschneiden, um den Aufprall auf die Klippen zu verzögern oder zu verhindern. Als es ihm gelungen ist, springt er mehrere Meter und durchschlägt das Tau, das das hintere Segel hält, sodass das Schiff nun nicht weiter beschleunigen kann. Mit dem letzten Segel fällt er Richtung Meer. Ein Stück des herabfallenden Mastes trifft ihn an der rechten Kopfseite.

      Yasopp hat mehrere Menschen aus dem Wasser gezogen. Er wird von Deck geschleift und auf den sicheren Grund des Stegs gelegt. Er weint wie ein Schlosshund. Lou wird von zwei Matrosen, die am Land das Schiff in Empfang genommen hatten, bis an Land gestützt. Er kotzt sich die Seele aus dem Leib. Vom Steuerrad auf den Steg springt Ben herunter und seufzt: "Geschafft, haben wir es geschafft." Von Sanitätern wird der Kaufmann, dem das Schiff gehört, und seine Frau versorgt. Sie sind nur leicht verletzt. Zwei weitere Hilfskräfte tragen einen regungslosen, blutverschmierten Körper herbei. Sein Gesicht ist zertrümmert und kaum zu erkennen, weil die Kopfwunden so stark bluten.
      "Ich verdanke euch mein Leben!", ruft der Händler, als er auf einer Liege davon getragen wird. "Ihr seid die beste Crew, die man bekommen kann! Begleitet mich in die Neue Welt, in 5 Tagen legen wir ab aus Lodea!"
      "Der arme Junge", sagt eine Frau. "Er ist ein Held", sagt ein Mann. "Solchen Mut muss man erstmal haben", ruft ein alter pensionierter Seemann. Sekunden später wird die Bucht vom Lachen des Shanks übertönt. Sein Oberkörper bäumt sich auf vor Lachen. "Wir haben es überlebt!", schreit er und lacht aus voller Kehle.

      Kapitel 1: Ein Tag wie jeder andere

      Sieben Jahre zuvor, Sommer 1713, Lodea...

      Ein Aufruhr tobte auf einer der Hauptstraßen von Lodea. Wachen eilten herbei, Frauen kreischten und ein reicher Mann in feiner Kleidung schrie: "Dieb! Haltet ihn!" Ein Junge mit rotem Haar und einem hellblauen Hemd rannte die Straße entlang, mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Im Laufen schaute er in den geraubten Beutel. Darin waren eine Geldbörse sowie etwas Proviant. Er griff hinein und stopfte sich etwas davon in den Mund, um seinem rumorenden Bauch zu füllen. Der Marktplatz war um diese Zeit eigentlich so überlaufen, dass er jederzeit in die Menge eintauchen und verschwinden könnte. Auf dem Markt waren viele fremde Händler und ihre Helfer und Matrosen von Übersee vertreten, sodass dort nicht auffiel, wenn dort einer mehr oder weniger herumirrte. Heute allerdings schienen dort Wachleute bereits die Stände und anliegenden Straßen zu überwachen. Als das Geschrei der Leute nun bis zum Marktplatz vordrang, waren die Wachen dort ebenfalls alarmiert.
      "Ey", rief eine Stimme, "hier entlang!" Der hungrige Dieb schaute sich mit vollen Backen um und sah in der Gasse neben sich einen schwarzhaarigen Jungen mit einem Tuch um den Kopf gebunden. Er winkte und gestikulierte. Der Gejagte überlegte nicht lange, grinste nur und bog in die Gasse ein. Sie führte leicht abschössig von der Hauptverkehrsstraße in die Wohnviertel und tiefergelegenen Straßen, näher dem Hafen und dem Strand vor Lodea.
      Der Helfer rief: "Ey, kannst du sprechen?", doch es kamen nur stammelnde Schmatzgeräusche hervor. Der Junge winkte ab:"Hier! Ich hoffe, du schaffst das!" Er sprang über einen kleinen Abhang, der nach unten Richtung Kanalisation führte und packte beherzt die Steinwand, die sich dahinter auftürmte. "Das ist die alte Stadtmauer. Sie werden hier niemals suchen", rief er dem anderen zu. Nach einem groben Schlucken und Fallenlassen des restlichen Tascheninhalts sprang er ebenfalls und packte mit jeweils einer Hand verschiedene Felsvorsprünge. Seine Finger brannten und seine Hüfte war an die Wand angeschlagen. Der Schwarzhaarige saß bereits in einem Vorsprung mit Kanalisationsausgang und reichte ihm die Hand. Ein weiterer Sprung und die beiden erreichten sich. Durch die Öffnung und einige Meter Kletterpartie, dann erreichten die beiden das Dach eines Wohnviertels, das etwas oberhalb des Marktplatzes gelegen war. Der Fremde zog ihn in ein Fenster in eine Dachniesche hinein und atmete schwer. "Haben wir's geschafft...", sagte er. "Wem gehört dieses Zimmer?", keuchte der Gerette. "Es ist meins. Der Hausbesitzer handelt illegal mit Sumpfkraut und Selbstgebranntem. Ich arbeite für ihn. Er gibt mir das Zimmer und den Schutz, indem er mich nicht kennt und nie gesehen hat, verstehst du?"
      Das Zimmer hatte ein Bett, einen Schrank und einen Tisch mit Stuhl. "Wow, sogar ein Federbett", sagte Rothaar und lutschte sich das Blut von den Fingern. Der andere Packte seine Hand und goss etwas Flüssigkeit darüber. "Auuh!", rief der Verletzte auf, aber hielt sich schnell wieder zurück, um nicht laut zu schreien. Der Aushilfsdoktor wickelte ihm ein Tuch darum, ein längeres Stück Leinen. Dann nahm er einen Schluck aus der Flasche, mit der er eben die Wunde desinfiziert hatte. Sekunden später keuchte er, musste niesen und ihm tränten die Augen. Beide lachten sofort los. Sie tranken nun von dem bitteren Gebräu, das der Hausbesitzer seinen Kunden andrehte, die sich die Hafenarbeit mit Branntwein erträglicher machten.
      "Jedenfalls bin ich dann losgerannt", erläuterte der Rote mit schon etwas lallender Stimme. "Und da sah ich diese Leute, das waren Reisende. Das sieht man sofort..." "Moment", unterbrauch der andere, der nun hustend an einer Zigarre zug. Er gab den kostbaren Glimmstengel weiter, woraufhin der andere ebenfalls hustete. "Also, du bist weggerannt und hast dann diese Leute beklaut?" "Weil ich so einen Hunger hatte und die jagten mich eh schon." "Das ist die Frage. Warum zur Hölle jagen dich die Wachen an einem Markttag durch die Straßen?" "Ich hatte vor einigen Tagen dort unten am Markt ordentlich abgeräumt und sie müssen mich heute wiedererkannt haben. Pech, würde ich sagen", lachte er. Der Schwarzhaarige fasste sich an die Stirn und schüttelte den Kopf: "Mit Glück oder Pech hat das wenig zu tun, mehr damit, dass du ein Vollidiot bist! Du bist nicht maskiert, deine Haare sind so rot, die leuchten im Dunkeln, und du hast Klamotten an, als würdest du auf eine Strandparty wollen! Kein Wunder, dass sie dich erkennen." Nachdenklich nickte der sichtlich betrunkene junge Rothaar. "Hier", der andere stand auf, nahm ein Messer und schnitt etwas von den langen roten Haaren ab. Er nahm ein schwarzes Tuch und band es seinem neuen Freund um den Kopf. "Siehst du - und hol dir ein paar unauffällige Klamotten, du Amateur", grinste er. "Ich klau morgen gleich welche", erwiderte der willige Lehrling nickend. Wieder fasste sich der Schwarzhaarige an die Stirn. "Ey", sagte er und ließ sich nach hinten fallen: "wie heißt du eigentlich?" "Robert", sprach der Rote und warf sich ebenfalls nach hinten. "Ich bin Benjamin." "Okay, Ben, sag mir das nachher nochmal, ich werd mich wahrschenlich an unser Gespräch nicht mehr erinnern können."

      Kapitel 3: Das tägliche Brot

      "Mein Schädel", stöhnte der auf dem Holzboden Kauernde. Er erhob sich ein Stück: "Mein Rücken." Du hast Federbetten und ich schlafe auf dem Fußboden?" Ein leises Lachen kam von der anderen Zimmerseite. Ben saß am Tisch mit einer Gaslampe und hielt die Nase in ein Buch. "Wasser", sagte Robert und streckte demonstrativ die Zunge aus dem Hals. "Neben dir. Die große Flasche. In der Kleinen ist Brandwein." "Ich brauch was zu essen. Ich weiß, wo man sehr gut Fleisch klauen kann." "Nein nein", sagte Ben, "wir holen später was. Ich will dir eh noch was zeigen. Was machen deine Finger?" "Geht." "Meinst du, du kannst klettern?" "Bestimmt." Draußen war es bereits Nacht geworden: Benjamin suchte in seinem Schrank zwei Capes heraus, eins für ihn und eins für seinen neuen Kumpanen: "Hier, es regnet wie Sau. Und mach dein Tuch wieder um dem Kopf."
      Er selbst warf sich den anderen Regenmantel über und nahm seine Laterne, sowie einen Beutel mit Zubehör.
      Unten auf der Straße angekommen ging Ben in eine Hintertür des Hauses, an dessen Ecke sich die Kneipe "Alte Seewöve" befand. "Warte kurz", sagte er, war aber eine Minute später bereits wieder da. "Hier, nimm die Tasche", sagte er und übergab sie seinem Begleiter.
      "Was machen wir?", fragte der Rote. "Wir liefen ein wenig Zeug aus und sehen uns was an", erwiderte Ben. "Toll."
      Die Straße entlang befanden sich die beiden noch oben im Gebiet Whiteground, unterhalb der Alten Stadtmauer und dem alten Abflusssystem, das hier besonders gut von der alten Burg Lodea aus der Zeit der alten Weltregierung erhalten geblieben war.
      Die Straßen waren eng und man sah zu dieser späten Stunde, dass die Bars und Spiellokale gut besucht waren. Ein Betrunkender taumelte auf die beiden Jungen zu, sodass sie ausweichen mussten. Der Geruch von Sumpfkraut lag in der Luft. An einem Bäckerladen mit Backstube machten die beiden Halt. Benjamin klopfte leise und kratze an einer Fensterladen. Wenige Sekunden danach wurde diese geöffnet. Ein Mädchen mit Sommersprossen, dunkelblonden Haaren und großen blauen Augen öffnete. "Benji?", zischte sie leise in die dunkle Straße und verschwand vom Fenster, ohne eine Antwort abzuwarten. Benjamin warf sich über die Fensterbank in das Zimmer und signalisierte Robert, ihm zu folgen. "Oh, wer ist dein Kollege?", fragte das Mädchen. Das Zimmer war ein Lagerraum. Daneben im Zimmer waren Kinderspielsachen zu sehen. Ein kleiner Junge mit hellblonden Haaren spielte. "Hallo", sagte der Rote, wurde aber von Ben ermahnt, leise zu sein. Der Rote stellte sich vor, das Mädchen hieße Mai. Der Junge war ihr kleiner Bruder. Beide wohnten hier und der vordere Betrieb gehörte ihren Eltern. "Hier, dein Proviant, ich hole schnell noch etwas mehr, wenn ihr zu zweit seid." Sie brachte noch weitere Backwaren. Es waren Reste, unverkäufliche Waren, oder Dinge, die nicht auffielen, wenn sie fehlten. "Du isst hier jetzt nicht. Du krümelst hier noch alles voll", sagte Mai und zeigte auf den Roten. "Ein Pizzabrötchen!" warf er begeistert ein und hielt es dabei hoch. "Zeig mir mal deine Hand. Oh und die andere am besten auch, ich binde sie dir. So kannst du die Finger noch benutzen, aber es kommt kein Dreck in die Wunden. Ihr wollte doch bestimmt auf der Stadtmauer langturnen!" Mai kannte sich wohl aus und wusste, was Ben so trieb. "Toll", sagte Robert, "wieso kannst du das so gut?" "Wenn man in einer Backstube arbeitet, schneidet man sich oder verbrennt sich schonmal die Finger. Schau!", sie hob ihren Arm und hatte ebenfalls Verbände. "Außerdem mein Bruder Taru, der fällt manchmal hin oder fasst ein heißes Backblech an. Dann muss ich ihn auch verbinden." Sie lächelte breit, der Rote lächelte zurück. Er nahm sich das Tuch ab und band es sich neu. "Jetzt erkenne ich dich", zischte Mai etwas zu laut für heimlichen, nächtlichen Besuch. "Du bist der Rothaarige. Deine Haare sehen aus, als hätten sie Feuer gefangen", kicherte sie. "Den habe ich ja noch nie gehört", zischte Rothaar ironisch. Beide lachten und hielten sich sobald den Mund zu. "Nun aber raus hier", sagte Mai. Sie hatte bereits einen Lappen zur Hand, um den Dreck der Stiefel wegzuwischen, den die beiden hereingetragen hatten. Beide Jungs verabschiedeten sich und hüpften aus dem Fenster in die Gasse zurück.
      "Du magst sie, richtig?", fragte Ben grinsend. "Sag ich nicht", murmelte der andere ebenfalls grinsend. Die Straße endete. Ben zeigte auf ein zugewachsenes Stück der alten Stadtmauer hinter einem Garten. Ben kletterte auf den Zaun eines Wohnhauses, eine dünner Steinmauer, und sprang dann in den Garten. "Komm, hierlang", flüsterte er. Durch die Sträucher in dem Garten kamen sie zum richtigen Teil der Stadtmauer und durch weiteres Gestrüpp in einen alten Wasserablauf. "Pass auf, dieser Teil wird noch genutzt. Geh dort an der Seite oder du trittst in Abwasser." Es stank dementsprechend. Ben hatte seine Gaslampe mit einer passenden Befestigung dabei, um in dem Rohrsystem ausreichend sehen zu können. Die ehemalige Stadtmauer der Burg Lodea umfasste in den 1700ern nur noch den Stadtkern der Stadt Lodea. Darin befanden sich einige alte Gebäude, die aber heute zumeist einen anderen Nutzen hatten als früher. Vom Haupttor, dem Südtor, ging es die Hauptverkehrstraße herunter zum Marktplatz und davor direkt lag der Haupthafen Lodeas.
      Die beiden waren nun durch das Rohrsystem vom außerhalb liegenden Whiteground im Zentrumsviertel angekommen. "Hier ist bereits Central", sagte Ben. Ein paar Ratten stritten sich im Licht der Laterne, um etwas zu fressen. Der Rote warf ihnen ein Stück von seinem Brot hin. "Ey, du hast den Proviant gleich alle, du Trottel. Spar ihn ein", feigste Ben. "Hier", er zeigte nach oben. Dort verlief an der Kanalisation oben eine Seitenstraße. Die beiden kletterten eine rostige Leiter hoch. Ben hielt sich oben an einer Seite fest und Robert neben ihm an der anderen und sie spähten über die Kante, sodass sie die Straße, einen Hof und Gebäude erkennen konnten. "Das ist der Kaserenenplatz", sagte der Rote. "Genau hier ist das direkte Regierungsviertel. Siehst du das Gebäude dort?" Es befand sich direkt am Kasernenvorplatz. Man hörte Leute die Straße entlang kommen. Die beiden duckten sich herunten und hingen an der Leiter an die Wand gepresst, um nicht gesehen zu werden, bis die Luft wieder rein war. "Sieht machbar aus. Wir müssen uns das Ganze nochmal im Hellen ansehen." Sie liefen nun unterhalb der Leiter weiter. "Wir verstehen uns", kicherte Ben. "Was gibt es dort zu holen?", fragte Robert ihn. "Das ist ein Munitions- und Waffenlager."
      "Ey Roter", fragte Benjamin, während die beiden eine Steinsenke hochkrabbelten, "wünschst du dir irgendwas besonders? Ich meine eine Sache, die du dir nicht leisten kannst?" Der Rote überlegte. Die beiden waren nun auf der normales Straße angekommen. "Ich würde gern immer satt werden."
      An einem weiteren Rohreingang trafen die beiden zwei alte Kerle. Ben nahm ein kleines Päckchen aus der Tasche, die Robert trug, übergab es und nahm eine Handvoll Münzen an sich. Ebenso gab er dem einen eine Flasche. Nun ging es weiter.
      Die Jungs befanden sich nun auf der Höhe der Stadtmauer, die hier bereits so gut wie gar nicht mehr vorhanden war. Unterhalb des Central-Viertels lag hier direkt nördlich von Whiteground Crossed, ein etwas besseres Wohnviertel. Die beiden schlenderten eine Straße entlang und klopften an einem schönen Haus, wo Ben dann durch ein Fenster Geld in empfang nahm und eine weiteres Päckchen reinreichte.
      Als sie am Fluss Times River, der durch Lodea führte, ankamen, setzten sie sich in einen Unterstand und aßen von ihrem Lunchpaket.
      Der Weg führte zur großen Brücke über den Times River in Crossed. Auf der anderen Seite des Flussen befand sich Reddinplus. Wie auch Whiteground waren die Stadtviertel fächerförming und den Stadtkern herum verteilt. Deshalb konnte man am inneren Rand der Stadtmauer viel schneller die einzelnen Gebiete erreichen, die an der Stadtmitte begannen. Nur im Westen war das etwas anders, dort waren die besseren Wohnviertel Bluescorner und Flagging. Dorthin verschlug es weniger Straßenkinder. Crossed war bekannt für Industrie und Gewerbe. In Reddinplus wurde es, je weiter man sich von der Stadtmitte entfernte, ländlicher und viele Farmen waren dort zu finden.
      Die beiden Jungs verschlug es allerdings weiter den Times River entlang bis zu einer weiteren Brücke. Ben sprang über ein Metallgitter über das Wasser auf eine Strebe und von da aus auf einen Betonsockel unterhalb des Brückenverlaufs. Er leuchtete Robert den Weg. Dieser sprang etwas wackliger, aber kam dort ebenfalls an. Zwei in Decken eingehüllte Gestalten saßen dort und eine weitere auf dem nächsten Steinsockel. Dieser war von der anderen Seite der Brücke einmal über die Straße ganz einfach per Treppe zu erreichen.
      "Junge", sagte eine männliche Stimme, "wieviel für dies?", und streckte eine Handvoll Münzen aus. Ben zählte und übergab aus dem Beutel ein paar Pakete. "Guter Preis, danke Junge", sagte der andere. Sein Gesicht im Licht der Laterne sah schmutzig und alt aus. "Kinder", sagte eine Frauenstimme. Sie kam von der Gestalt, die sich an den alten Herrn kuschelte. "Ihr haltet euch doch fern von Whiteout?", fragte sie. "Das machen sie doch", beruhigte sie der Mann. "Machen wir, Oma", wiederholte Ben. "Dort ist es gefährlich, so viele sind dort gestorben, schon seit Jahren, dort sterben die Menschen!", keuchte sie. "Beruhige dich wieder", sagte der Mann und nahm sie wieder in den Arm. "Danke für die Lieferung, passt auf euch auf Kinder." Die beiden Jungs verabschiedeten sich, sprangen über den kleinen Abhang auf den nächsten Stein und liefen zur Treppe. "Du auch?", fragte Ben den anderen Mann, der nur mit einer Kappe und Shorts bekleidet auf der Kante des Steins saß. "Verpiss dich mit diesem Dreck!", keifte er und machte eine abwertende Handbewegung. "Branntwein, hochprozentig", fügte Ben hinzu. "Vergiften wollt ihr mich, ihr Drecksblagen, euch mach ich Beine!" Bevor der Mann aufstehen konnte, waren die Jungs bereits oben auf der Brücke angekommen. "Schnell, die Bahn", rief Ben, rannte los und der Rote folge ihm. Sie liefen zur Mitte der Straße, wo eine Eisenbahn zum Indistriegelände weiter durch Whiteground und bis zum Haupthafen fuhr. Die beiden Jungs sprangen auf eine Gabel zwischen zwei Wagons auf und wurden für lau zurück nach Whiteground gegondelt.
      Einige Minuten später rief Ben: "Hier!" und beide sprangen ab. Nachdem Benjamin noch ein Päckchen an einen Hafenarbeiter verkauft hatte, liefen sie nun direkt zum Strand von Whiteground. Dieser Teil wurde Whiteout genannt. Hier war das Ende vieler Existenzen anzutreffen. Drogensüchtige, Obdachlose und Prostituierte, sowie Straßenkinder und Kombinationen daraus prägten hier das Stadtbild.
      "Was wollen wir hier?", fragte der Rote, "ist Sumpfkraut stark genug für die Menschen hier?"

      Kapitel 3: Der Fluch von Whiteout

      Ben und Robert näherten sich der Strandpromenade. Direkt daran lagen Bars und andere Vergnügungslokale. "Eyy", brüllte ihnen ein taumelnder Mann zu: "Lance, bist du das?", fragte ein Mann und kam auf Robert zu. "Nein, hau ab!" Er stank und nun fing er an zu wimmern: "Wo ist denn Lance?" Nun schrie er: "Lance ist Gott." Der Rote und Ben sprangen von der befestigten Promenade in den Sand des Strandes. Die Musik und das Geschrei von der Promenade wurden etwas leiser. Direkt vor ihnen im Sandstrand brannte ein großes Lagerfeuer. Leute tanzten und jemand hielt ein großes Stück Fleisch in die Flammen. Es fing Feuer. Ben führte Robert abseits davon zum Beginn der Vegetation und den felsigen Anhöhen. Hier begannen bereits die Klippen östlich des Hafens von Lodea. Das war ein Grund, warum Whiteout diesen Namen trug. Unterhalb dieser Klippen, die direkt ins stürminsche Meer vor Grand Storm abfielen, wurde jede Menge Treibgut angespühlt. Aufgrund des Windes und der Ströhmungsverhältnisse prallte unten an die Klippen alles, was man sich vorstellen konnte, von Treibholz bis hin zu ganzen Schiffen. Vieles landete am Strand oder wurde, bevor es unter den Klippen ankam oder weiter an der Insel vorbeigespühlt wurde, von Sammlern aus dem Meer gefischt. Es herrschte ein reger Betrieb, sogar eine Konkurrenz von Sammlern, die es auf Schätze, Baumaterial oder Zeug zum Verkaufen abgesehen hatten. Ben winkte mit seiner Laterne. Von einem Stein etwas höher sah man ein Flackern. Es war bereits morgen geworden und die Sonne würde bald aufgehen. Robert rutschte ein paar Mal weg, so glatt waren die Steine , aber wenn man es richtig anstellte und den Weg etwas ausleuchtete, konnte man hier einen guten Aufstieg finden. Auf einem Vorsprung saß, mit einer Lampe ausgestattet, ein junger blond gelockter Mann. Er trug ebenfalls einen Regenanzug, dicke Stiefel und Handschuhen und hatte jede Menge Zeug im Gepäck. Auf einem kleinen Gaskocher erwärmte er Wasser für Kaffee. "Ein Seil?", fragte er und warf ein Tau um einen Stahlhaken in der Felswand. Ben packte es und warf sich daran rüber. "Gehts?", fragte der andere Junge. Der Rothaar konnte die wenigen Meter damit leicht überwinden und warf sich auf den Vorsprung. "Das ist Yasopp"", sagte Ben, "er arbeitet hier." "Yasopp, das ist Robert." Die beiden reichten sich kurz die Hände. "Was machst du hier auf dem Felsen und warum so früh?", wollte Rothaar wissen. "Morgens, sobald ich genug Sicht habe, sondiere ich das Meer. Aufgrund der Briese und den Ströhmungsverhältnissen kann ich sagen, an welchen Tagen besonders viel Zeug angespült wird. Darauf warte ich dann hier und schaue mit dem Fernrohr." "Was machst du so?", fragte Yasopp, "bist du auch ein Drogenkurier?" "Nein nein, ich bin heute das erste Mal mit Ben unterwegs. Ich bin ein Dieb." "Ah, okay, verstehe." "Nach was hältst du denn Ausschau?", fragte Robert interessiert und versuchte, durch das Fernrohr von Yasopp bereits etwas auf dem Meer oder am Strand zu erkennen. "Spar dir die Mühe, es ist noch etwas zu dunkel, aber bald geht es los", berichtete er, "ich suche Dinge, die sich gut verkaufen lassen, zum Beispiel Baumaterial wie Plankenholz von Schiffen, das noch nicht zu lange im Wasser trieb. Außerdem ist der Preis für Metallteile von Schiffsteilen recht hoch in Grand Storm. Das liegt an der Industrialisierung", erläuterte er. "Das muss man nicht gut finden. Ich denke, die Industrie bietet sowohl Chancen, als auch neue gesellschaftliche Probleme", führte er aus. "Aha", sagte Robert und versuchte weiter auf das Meer zu spähen, "aber wie kommst du an die Gegenstände ran, wenn sie im Wasser treiben?" "Dafür habe ich eine Apparatur gebaut, wirst schon sehen." "Unterhalb der Klippen liegt jede Menge Zeug, an das man nicht rankommt", warf Ben ein. "Das stimmt. Das zu bergen ist gefährlich und schwierig", ergänzte Yasopp.
      "Kann man nicht mit einem Boot ranfahren?", fragte Robert. "Viel zu riskant. Die Strömung ist, wie gesagt, dafür bekannt alles in die Klippen zu schleudern. Einen Schwimmer oder sogar ein Boot würde es dort unten relativ wahrscheinlich zerfetzen." "Man könnte jemanden abseilen", sagte Robert nach einigen Minuten grinsend. "Gar nicht so blöd oder nicht, Yasopp?" Yasopp schlürfte seinen Kaffee und gab Robert einen Schluck zum Probieren. "Hmmm", Yasopp fingerte sich an den Lippen herum und drehte seine Haare um die Finger. "Je nachdem, ob der Wind es zulässt, wäre man, wenn man ins Meer gar nicht eintaucht, vor der Stömung geschützt. Man müsste entsprechend koordiniert am Seil ziehen, um nicht in den Wellen zu landen", überlegte er. "Man bräuchte nur jemanden, der bekloppt genug ist, sich dort abseilen zu lassen...", warf Ben ein und sah den Roten an. "Ich mach's!", rief Robert. "Vielleicht liegt dort unten eine Kiste mit Gold." Ben lachte: "Siehst du, ich hab ein gutes Händchen. Genau für sowas hab ich dich vor den Stadtwachen gerettet." "Ich wär auch so davon gekommen, nur war's so leichter", erwiderte der Rote ebenfalls laut lachend. "Haltet mal einen Moment die Fresse!", sagte Yasopp. "Ich überlege gerade meine Apparatur mit einem Flaschenzug auszustatten, sodass man leichter jemanden abseilen kann."
      "Überleg du mal, wir machen uns nützlich", rief Ben und erhob sich. "Wollen wir schauen, obs schon Goldmünzen, Edelsteinen und Perlen angespült hat?", rief Robert und folgte ihm ohne eine Antwort abzuwarten.
      Die Sonne begann nun am Horizont hervorzukriechen. An der Strandpromenade war Musik zu hören und immer noch brannten Lichter. Im Whiteout wurde immer getanzt, gesoffen und Zeit spielte für viele hier keine Rolle mehr. Der Strand war teilweise sehr verschmutzt, Leute schliefen einfach unter freiem Himmel am Boden, manche hatten Matten, Wolldecken oder gar Zeitungen über sich gepackt. Die Reste eines Lagerfeuers brannten noch, Möwen und Raben machten sich bereits über die Reste an einem Grillrost her. Ein Mann taumelte den beiden durch das Licht der Laterne und das aufgehende Sonnenlicht entgegen. Er nahm sich eine Flasche vom Boden und hielt sich die Öffnung über den Mund, um sich ein paar letzte Tropfen Schnaps daraus in den Hals tropfen zu lassen. "Ich will noch nicht nach Hause!", hörte man eine heiser krächzende Frauenstimme rufen. "Süße, ich bin müde, komm jetzt!", rief ein Mann. "Du alter Dreckskerl...", hörte man die Frauenstimme. Zur Enttäuschung Roberts fanden die beiden nicht sofort einen Schatz. Aber zu erwarten war das wohl eh nicht. Doch mehr als Dreck, Müll und moderiges Holz waren nicht zu sehen. Als sie zurück kamen, war Yasopp auch auf einen unteren Felsen geklettert und warf eine Art Angel mit einem Haken aus. Es erinnerte an das, was Bergsteiger benutzten. Es zog Zeug aus dem Wasser. "Was gefunden?", rief er den beiden zu. "Ne, Müll und Dreck", rief ihm Robert zu. Die beiden machten sich einen Kaffee auf dem Felsen, den Yasopp als sein Lager zurecht gebaut hatte. "Kommst du die Tage wieder mit? Wir gehen was ausräumen oder hier auf eine Strandfeier oder oben zur Stadtmauer", fragte Ben. "Klar", sagte Robert gähnend. "Das Zeug ist bitter und man wird nichtmal betrunken davon", warf Robert ein. "Macht wach und fit", sagte Ben. Robert döste ein wenig. "Ey", brüllte Yasopp, "Jungs!" Es klang ernst. Die beiden erkannten dies sofort und sprangen auf. Beim Rennen schlug sich Robert noch den Fuß an dem rutschigen Felsen an, aber der Schmerz war schnell verflogen. An dem Tau mit der Winde hing eine Leiche. Ben und Robert halfen den Körper auf die unteren Steine zu ziehen. Es war bereits ein wenig hell geworden. Die drei Jungs schauten den Mann an, den sie dort aus dem Wasser gezogen hatten. "Er lang nicht lange im Wasser, denke ich", sagte Ben. "Ich glaube, ich kennen den Mann", sagte Yasopp und wandte sich ab. Er wischte sich die Augen. "Das Gesicht war mehr oder weniger noch zu erkennen, der Mann hatte lange, zottelige, weiße Haare, trug keine Schuhe und seine Jacke und Hose sahen lumpig und zerschlissen aus, sodass sie bereits vor seinem Tod sehr mitgenommen gewesen sein mussten. Zwei weitere Sucher kamen auf die Gruppe zu. Der eine murmelte, als er die Leiche sah, sogleich ein Gebet. "Das ist doch...", der anderen kam auf den Mann zu und beugte sich herunter. "Das ist doch der Barns", sagte er. Er wischte ihm über das Gesicht. "Ja, das isser." Der andere kam auch und beugte sich ebenfalls runter. Er begann dem Toten in die Taschen zu fassen. "Ey", rief Robert und schubste den Mann nach hinten um, von der Leiche weg. "Ihr kanntet ihn, ward seine Freunde?" "Er war immer hier", sagte der eine Sammler. "Barns hieß er, hat immer getrunken. Der war schon hier, als ich hier her kam. Das Ende, Ende und Aus im Whiteout, sacht man doch auch." "War er immer hier am Strand?", fragte Robert. Der andere hatte sich wieder aufgerappelt: "immer hier", seine Stimme war krächtzig und er hustete, "immer hier, hatter gesammelt, oder er saß, wenn's kalt, war oben irgendwo." "Schnaps hat'n warm gehalten, nech Paule?", sagte der andere. "Wir müssen ihn beerdigen", rief der Rote. Andere waren nun auch hergekommen. "Der Alte?", "Ja, der, der immer oben saß am Eck." "Warum ist er so zugerichtet?" "Die Klippen hier sind tückisch, haben schon so manchen Seefahrer angespült!", rief ein alter Sammler mit einem Handkarren heiser. "Das sind Schnittwunden", sagte Yasopp. "Was meinst du?", fragte einer. "Willst du sagen...?" "Der Fluch!", sagte ein alter obdachloser Mann. "Was soll der Quatsch?", fragte Ben. "Jemand hat den armen Kerl aufgeschlitzt." "Hat jemand noch Kraut?", rief einer der Sammler dazwischen. "Ey, ihr Idioten", schnauzte Robert, "sucht euch gefälligst Stöcker! Macht hinten ein möglichst tiefes Grab und wir beerdigen ihn hier am Stand, hinten bei den Bäumen. Er war immer an diesem Strand, vielleicht mochte er ihn besonders. Also los!" Die Menschen, die sich angesammelt hatten, begannen nun ein Loch zu graben. Einer benutzte einen langen Ast, einer seinen Schuh, ein gut ausgerüsteter Sammler hatte sogar Werkzeug dabei. "Du!", sprach Robert den einen an, der eben versuchte, die Leiche zu plündern, "Schau, ob er noch irgendwas bei sich hat, irgendeinen Gegenstand der ihm gehörte oder sowas!" Der Sammler schaute etwas verschüchtert. "Los!", raunte der Rote. Er kam herüber und schaute in Jacke, Strickpulli und Hose. "Er macht das echt gut", sagte Yasopp zu Ben, als die beiden das Loch aushoben. "Hätte ich ihm kaum zugetraut auf den ersten Blick", ergänzte er. "Ja, ziemlicher Chaot", sagte Ben und lächelte leicht, obwohl sie gerade ein Grab aushoben und dies sogar für einen Straßengauner wie Benjamin etwas unpassend wirkte.
      "Er hat nichts dabei." Der Mann schaute Robert fragend an. Auch sein Freund, mit dem er unterwegs war, trat wieder heran. "Armer Kerl, er hat nichts, nur seine Kleidung am Leib. Ich kenne nichtmal seinen Namen. Ich weiß nur, dass man ihn Barns nannte.." "Gar nichts?", fragte Robert. "Nein, rein gar nichts", wiederholte der Sammler. "Ey, hört mal!", rief Robert, "Kennt jemand seinen Namen? Hey, weiß irgendwer etwas über ihn?" "Barney oder so", sagte einer. "Oder Barns", rief ein anderer. "Stimmt", bestätigte der andere, "kann auch sein." Andere schüttelten nur den Kopf und sagten nichts. "Niemand?", fragte der Rote erneut. Es half nichts, sie zogen die Leiche des Alten in das Grab und begannen es zuzuschütten. "Ich trink auf den, den der Fluch von uns genommen hat. Sprechen wir ein Gebet", sagte einer. "Schluss jetzt mit dieser Fluchscheiße!", rief jemand anderes. Robert hatte Yasopp um ein Stück Seil gebeten, mit dem er zwei Äste zu einem Kreuz zusammen band. Er steckte es in den Sand, drehte sich um und ging. Ben folgte ihm und rief Yasopp noch einen schnellen Gruß zu. "Robert, alles in Ordnung?", fragte Ben, der hinter seinem Freund herlief. "Alles in Ordnung", erwiderte dieser. "Ich fand's stark, wie du das gemacht hast eben." Robert nickte. "Sieht man dir nicht an." Wenige Minuten später sagte Robert zu Ben: "Keiner kennt ihn, keiner sprach anscheinend mit ihm. Keinem wird auffallen, wenn er weg ist." "Das ist der Fluch", erwiderte Ben gedankenlos. "Was für ein verdammter Fluch...", patzte Robert nun. Die beiden liefen bereits wieder die Straßen vom Whiteout weg hoch ins Whiteground. Die Menschen dort begannen mit ihrem Treiben, trugen Waren umher, liefen gehetzt durch die Straßen. Eine große randvoll beladene Lieferkutsche bahnte sich den Weg durch die holprige Straße. "Du kennst das echt nicht?", fragte Ben. "Was kennen?" "Na, die Geschichten übers Whiteout." "Ich weiß, dass die Leute hier stranden. Sie verlieren ihre Arbeit oder was auch immer, saufen und landen hier. Und das Zeug wird dort in Massen angespült", sagte Robert. "Hattest du nie Angst vor dem Whiteout?", fragte Ben. "Nein", sagte der Rothaarige, "ich weiß nur, dass man hier an den falschen Stellen schnell eine aufs Maul bekommt." "Das meine ich nicht", sagte Ben etwas zögerlich. "... ist so eine Kindergeschichte, die kennt jeder. Hier verschwinden angeblich Menschen. Manche werden nie gefunden, andere findet man aufgeschlitzt oder wie man das nennen soll. Das ist der Fluch, der immer wieder in Whiteout seine Opfer findet." Fast wie ein Zitat betete Benjamin die Geschichte runter. "Komisch, dass du es nie gehört..." "Ich komm nicht von hier", unterbrach ihn Robert, "Ich bin in Swanlake aufgewachsen." "Ich verstehe", sagte Ben.

      Kapitel 4: In den Straßen

      Die beiden neuen Freunde hatten sich für eine spätere Zeit wieder verabredet, um ein Ding zu drehen. Der junge Rothaar kehrte nach Hause zurück, zumindest den Ort, den er derzeit sein Zuhause nannte. Er lebte etwas entfernt an den Klippen österlich des Hafenviertels im Wald, in einem selbstgebauten Zelt aus Segelstoff und einigen Behilfsgütern, die er zusammen geklaut hatte. Er schaute nach einem längeren erholsamen Schlaf aus seinem Schlafsack hervor. "Ich hab nichts für euch", sagte er müde zu einer Katze, einigen Raben und anderen Vögeln, sowie einem Eichhörnchen, welche sich dort herumtrieben. Er kroch aus dem Schlafsack und streichelte die Katze. Sie schnurrte und sah ihn mit großen Augen an. "Ich hol was zu futtern, versprochen", sagte er den Tieren. Ein Rabe keifte, als sei es ihm zu spät. Zwei Singvögel zwitscherten eine Melodie, die klang, als gäbe es ein Fest. Robert der Rote ging ein paar Schritte zu einem Haufen Blätter und Äste, wo er in dem dicht bewachsenen Bereich so gut wie gar nicht auffiel und schob alles an die Seite, um eine Holzplanke von einem Loch zu entfernen. Dort hatte der Junge seine Schatzkammer eingerichtet. Er kramte in jeder Menge Zeug umher, das er auf diversen Raubzügen erbeutet hatte.
      Robert lief durch den Wald, an den hohen Klippen vorbei, er konnte von hier aus den Hafen überblicken. Er hatte sich ein geklautes Fernrohr eingesteckt und schaute, was im Hafen bereits vor sich ging. Ein Schiff aus dem Süden war gerade dabei, Waren zu verladen. Ebenso war ein sichtlich beschädigtes Schiff mit einer unbekannten Flagge dabei, den Hafen anzusteuern.
      Er kam am Waldrand an, wo einige saftige Beeren zu hoch für ein paar Rehe hingen, die sofort mehrere Meter zurück wichen. Robert sprang an den Stamm und von da aus an einen großen Ast, der sofort zu Boden sank. Die Tiere hüpften sofort herbei und verzehrten die Blätter und Beeren des großen Strauches. Ein paar Beeren schob sich unser junger Held rein, bevor er am Hafengelände ankam.
      Am Marktplatze kaufte er ein Sandwich mit frischem Fisch und lief weiter. In einem Uhrengeschäft am Marktplatz machte er Halt. In der Nähe vom Marktplatz gab es Unmengen an Fachgeschäften. Ebenfalls gab es im Hafengebiet oft ausländische Händler, die Zeug aus aller Welt anboten.
      Bei einem Laden hielt der Rote an und ging hinein. Viele Uhren aus verschiedenen Materialien zierten die Verkaufsräume. "Hallo, meine Uhr ist stehen geblieben", sagte der Rote. Der Mann am Tresen war ein dünner, modisch gekleideter Herr. Er schaute sich die Uhr an.
      "Hmmm, diese Uhr...", er zögerte. "Können Sie sie reparieren?", fragte Robert. Der Mann musterte ihn, er trug schmutzige Kleidung und auch seinem Körper sah man die Straße an. "Woher hast du denn diese Uhr?", fragte er und schwang sie umher. Der Rote packte die Uhr und verließ den Laden. "Nicht so wichtig", rief er.
      Das Hafenvieretel war erfüllt vom Treiben der Leute, ebenso vom Duft geräuchterter Fische. Ein Marktschreier bewarb Fisch aus dem All-Blue.
      Der Rote beschloss, den Personenbeförderungszug zu nehmen. Er lief auf die Bahn zu und als sie vom Einstieg am Marktplatz beschleunigte, sprang Robert auf. Ein Mann griff nach seinem Arm: "Was machst du da Junge? Das ist gefährlich!", rief er. Seine Frau packte Roberts Arm ebenfalls und hievten ihn hinein. "Danke Leute", sagte er und bemerkte, dass das gesamte Abteil ihn ansah.
      Einige Stationen weiter war er in Whiteground angekomme. Er klopfte an dem bekannten Fensterladen. Wenige Sekunden später öffnete er sich. "Hallo", flüsterte er. "Hallo. Du bist es, mach das nicht, ich weiß nicht, wo die Arbeiter.." "Psst", wurde Mai unterbrochen, "die sind in der Backstube", sagte er grinsend. "Hast du etwa durch die Fenster geglotzt?", fragte Mai. "Genau", sprach Robert grinsend.
      "Was willst du?", kicherte Mai. "Kommst du mit? Wir machen was mit den Jungs." "Ne", sagte Mai, "heute nicht. Ich kann nicht weg, aber hol mich übermorgen um 18 Uhr ab, okay?" "Meine Uhr ist kaputt", flüsterte der Rote. "Lass sie von Yasopp reparieren", flüsterte Mai. "Tschüss", flüsterte Robert und sprang in die Gasse zurück. "Ich lüfte und wische durch", rief Mai innen.
      Als Robert zur Kneipe "Alte Seemöve" kam, stand Ben bereits an der Ecke: "Ey, kannst du keine Uhr lesen oder was?", fragte er. "Meine Uhr ist Schrott", sagte der Rote grinsend. "Lass uns gehen", rief Ben. Beide eilten los in Richtung der alten Stadtmauer. "Können wir zu Yasopp gehen?", fragte Robert. "Hast du Zeug dabei?", kam die Gegenfrage. Die beiden nahmen einen Personenbeförderungswagen nach Crossed. In einem industriell geprägten Viertel stiegen die beiden aus. Es roch nach Rauch und Abgasen. "Hier", sagte Ben. An einer alten Stahltür klopfte Benjamin: "Carry?" Beide gingen um das Gebäude herum zu einer stählernen Absperrung. "Hey, Carrington!", rief Ben. "Hallo Kinder", sagte eine Stimme in der Gasse. Es war ein alter Fischmensch, seine Haut war blau-gräulich und er hatte weißes Haar. "Kommt doch rein", sagte er. Beide traten vorn in die Tür ein, an der sie bereits geklopft hatten. "Carry ist eingeschlafen, aber gleich gibt es Tee", sagte er. "Hey Winny", sagte Ben. Die drei durchschritten einen vollgepackten Vorraum. Auf den ersten Blick konnte Robert Gemälde, Waffen und Möbel erkennen. "Carrington hat alles und du kannst hier loswerden, was du erwirtschaftet hast, egal woher es kommt", sagte Ben grinsend. In einer Stube mit Büchern und anderem Zeug vollgestellt saß ein Mann mit grauen, struppigen Haaren. "Chef, zwei Jungs sind hier", sagte der Fischmensch laut. "Hmmm", grunzte der alte Herr. Er griff auf den Tisch neben seinem Sessel, setzte seine Brille auf, sowie seinen Hut. "Ey Junge", sagte er. "Hey Carry", sagte Ben und die beiden schüttelten sich die Hände. "Das ist mein Kollege, Robert", stellte Ben vor. Beide schüttelten die Hände. "Was wollt ihr denn?", fragte der Alte. Der Fischmensch brachte nun Tee und ein paar Kekse. "Schau mal, Carry", sagte Ben. Er drehte sich zu Robert um und zwinkerte. "Oh Mensch, sind die aus der Neuen Welt? Das sind doch keine von hier", sagte Carrington freudig. Ben hatte ihm Zigarren mitgebracht. "Weiß nicht, Hauptsache sie stinken", sagte Ben. "Die aus der Neuen Welt sind besser, der Tabak ist besser und sie sind von Hand gerollt!", sprach Carrington mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht. "Oh, schwarzer Tee, danke Winny", rief der Alte und klopfte dem alten Fischmenschen auf die Schulter. Ben gab ihm ein paar Sachen, die er sich ansehen sollte, doch der Alte paffte erstmal eine der Zigarren. "ich bekomm eh Husten davon", sagte Ben. Der Alte lachte.Er schaute sich die Sachen an und beriet sich mit Ben. "Hast du was zu verkaufen?", fragte Ben. Der Rote gab ein paar Stücke aus seinem Schatz her und sah sich im Raum um. Hier lagerten alte Waffen und Bücher, die so alt waren, dass sie bereits zerfielen. Es stank im ganzen Raum bereits nach der Zigarre. "Ich weiß, was ihr Jungs vorhabt", lachte der alte Herr, "kommt mal mit in den Hof." Beide folgten ihm. "Schaut mal, diese Pistole benutzten die Marinesoldaten. Auch wurden die im letzten Feldzug in der Neuen Welt benutzt." Er gab Ben eine Handfeuerwaffe. "Schau, Junge, dort hinten, ziel auf die Felgen." Eine Alte Kutsche, von der bereits Teile demontiert waren, stand im Hof. Hinter dem Hof ragte die Mauer einer Fabrik hervor. Es war bereits ohrenbetäubend laut im Hinterhof. Ben nahm die Waffe und feuerte, lud nach und feuerte erneut. "Nicht schlecht, nicht schlecht", sagte der alte Willy. "Ausbaufähig", lachte Carrington. "Jetzt du!", rief er und gab Robert die Waffe. Robert versuchte die Räder der Kutsche zu treffen. Er schaffte es aber nur, zwei mal das Rad zu treffen. Der alte Herr amüsierte sich prächtig. "Schon mal geschossen?", fragte er. "Ben zeig ihm mal deine Haltung, die ist besser." Beide versuchten es erneut. "Macht Spaß, he?", rief der Alte und lachte. Winny hatte bereits eine Flinte gebracht. "Schaut mal, Jungs", sagte er, "Geladen, Willy?" Ohne eine Antwort abzuwarten, zielte er und schoss. Geladen war die Flinte tatsächlich, denn das Holz an dem Gestell der Kutsche zersplitterte nur so. "Nun der andere Pfosten!", rief der Alte. "Klasse, Chef", klatschte Winny. Die Jungs schauten beeindruckt zu. Der Alte zerfetzte die Holzteile der Kutsche nur so.
      Ben nahm das Geld für die Waren im Empfang und beide verließen den alten Carrington wieder.
      Wenig später kamen sie in einem Wohnviertel an. Sie klopften an die Tür eines Hauses. Eine halbe Minute später öffnete ein junger Mann die Tür:"Ey Leute, kommt rein." Er trug nur Unterwäsche und hatte nasse Haare. Im Haus saß eine Frau. "Hallo Frau La Playa", sagte Ben freundlich. "Hallo", sagte Robert ebenfalls. "Sagt nicht, ihr wollt wieder Schrott im Whiteout sammeln", sagte die Frau mit fragendem Blick. "Genau", erwiderte Robert. "Mutter!", rief der Junge tadelnd von oben. "Ich weiß doch, dass deine Freunde da Sachen sammeln, Louis", rief sie. "Ich verurteile das nicht", sagte sie, "es ist nicht verboten dort Sachen zu suchen und jeder hat sein Auskommen, nicht wahr?" "Das stimmt", sagte Ben. Ihm war es sichtlich unangenehm. "Junge", sagte Frau La Playa, "du hast ja nur ein Hemd unter deinem Regencape." "Ach, ich friere nie", lachte Robert. "Die Dame ging in den Nebenraum und kam nach wenige Sekunden wieder: "Lass mich sehen, ja, das passt dir. Louis ist das zu klein." "Mutter...", sagte Louis erneut als er die Treppe herunter kam. Sie hielt die Kleidung an Roberts Körper und schaute. "Müsste passen." "Meine Güte", sagte Louis zu Ben, die beiden waren bereits vor die Tür gegangen. "Musst du hier jemanden anschleppen, der meine Mutter herausfordert?", seufzte er. Ben lachte. Beide hatten gerade eine Zigarette angezündet, da kam der Rote wieder raus. "Deine Mama ist echt nett", sagte er. "Auch peinlich", sagte Louis und streckte die Hand aus. "Ich bin Lou." "Hallo, Robert", erwiderte der Rothaarige. "Was für ein Scheißtag", sagte Lou, "bis eben hab ich gearbeitet und gleich wird's dunkel. Ich bin jetzt schon müde."
      Die drei gingen in Crossed Richtung Whiteground. "Was arbeitest du?", fragte Robert. "Ich koche in einem Restaurant mit Pension", sagte Lou. Die drei öffneten sich ein Bier, das Lou mitgebracht hatte, und liefen durch Whiteground.
      "Ernsthaft?", lachte Lou, "du hast was geklaut und eine Stadtwache umgerannt, als du abgehauen bist? Sowas dämliches hab ich ja noch nie gehört!" Die drei kamen an einem Hof vorbei. Dort wurde Musik gespielt und ein paar Leute saßen an einem Feuer. "Eeeyy, Lou", hörte man einen Schrei. Ein Partygast hatte ihn sofort an seiner Statur erkannt. Er war besonders breit gebaut und hatte einen runden Schädel mit braunem, festgebundenen Zopf. "Ey, Leute", rief Lou zurück.
      Auf der Feier waren einige Kinder von Bewohnern aus Whiteground, aber ebenfalls Straßenkinder. Bier, Branntwein und auch Sumpfkraut machten die Runde. Zu späterer Stunde wurde ein Schwertkampf durchgeführt. Holznachbildungen wurden an die Teilnehmer ausgegeben. Ein schmächtiger Junge nahm das Schwert und begab sich ins Duell. Doch nur für wenige Sekunden, dann musste er sich übergeben und fiel um. "Wir haben einen Sieger!", rief Ben. "Ich will!", rief Robert und nahm sich das Holzschwert. Er bückte sich zum Jungen herunter, der sich übergeben musste, und stützte ihn zu einer Häuserecke. "Ey", rief er, "einer schaut nach ihm." Nun begab sich Robert ins Duell. Er und der andere Junge parierten gegenseitig ihre Angriffe. "Nicht schlecht", rief der Junge, "hast du schonmal gefochten?" "Eigentlich nicht", lachte Robert.
      Der Abend verflog wie im Winde von Grand Storm. Yasopp tauchte ebenfalls auf der Feier auf. Es stellte sich heraus, dass Lou der beste Freund von Yasopp war. "Deswegen dachte deine Mutter, wir sind Müllsammler im Whiteout", sagte Robert. "Müllsammler?", fragte Yasopp. "Hast du mich nicht eben noch gefragt, ob ich deine Uhr repariere?", grinste er. "Entschuldige, Schatzsucher", sagte der Rote. Es war bereits nach Mitternacht, als Ben und Robert bei der Wohnung über der "Alten Seemöve" ankamen. Beide legten sich hin. "Ey, Ben, was ist das für ein Buch?", fragte Robert. Ben hatte es im Schein seiner Laterne aufgeschlagen. "Es handelt von Piraten", antwortete Ben. "Piraten?" fragte Robert. "Sind das die Bösen?" "Ich weiß nicht, so weit hab ich noch nicht gelesen, aber ich glaube, sie sind nicht böse. Sie wollen Freiheit. Sie fahren dort hin, wo niemand ihnen etwas vorschreiben kann."

      Kapitel 5: Die Inschrift

      Beim verabredeten Treffen mit Mai war Robert bereits überpünktlich. Endlich kam Mai aus einer Seitentür gelaufen. "Die waren von dir, oder?", sagte sie und zeigte auf die Ohrringe, die sie trug. "Die lagen komischerweise auf meinem Fensterbrett", kicherte sie. "Ich weiß, dass du sie geklaut hast." Sie hob den Finger. "Was machen wir?", fragte Robert. "Du hast neue Klamotten angezogen, extra weil wir ausgehen?", fragte Mai. Beide schlenderten los und nahmen die Personenbeförderung von Whiteground durchs Hafenviertel nach Cornerblue. "Warst du echt noch nie am Logsley-Monument?", fragte Mai. "Schaust du dir nicht gern alte Bauwerke an?" "Früher in Swanlake hatten wir eine Menge davon, überall Steinkreise und so Zeug." "Das klingt aber schön, ist es schön in Swanlake?", fragte sie. "Klar, ist ganz schön, aber nicht so groß wie Lodea. Eher wie ein Stadtteil in Lodea." "Das ist klar. Willst du denn irgendwann wieder hin?"
      Cornerblue war ein wirklich schönes Viertel. Hier gab es schöne Häuser, eine große Kirche, ein Kloster und das Logsley-Monument zu besichtigen. Die beiden liefen durch den Logsley-Park. Robert kaufte geröstete Kartoffelscheiben und Saftschorle.
      Am Monument angekommen, schaute sich Robert die Gravuren halbherzig an. "Du kennst echt nicht die Geschichte?", fragte sie. "Doch, ich kenne sie." "Naja, Grand Storm und die anderen Nationen aus Olympia haben begonnen, die Neue Welt zu erkunden. Grand Storm, Rooster und Pallas Palma haben ein großes Rennen veranstaltet, bei dem man mit Segelschiffen über den All-Blue schippert." Mai bewegte die Arme, als würde sie sich im Wind wiegen. Robert hörte gebannt zu, obwohl er diese Geschichten bereits kannte.
      "Was bedeuten denn die Steinkreise in Swanlake?", fragte Mai. "Ich weiß nicht, keiner weiß es", sagte Robert. "Keiner, auch keine Forscher?" Der Rote lachte: "Forscher wären ja ihren Job los, wenn sie alles schon wissen würden!" "Auch wahr", kicherte Mai. "Wer hat denn die Steine dort aufgestellt?" "Auch unbekannt." "Und seit wann stehen sie da?" "Unbekannt." "Und welchen Zweck sie hatten weiß man auch nicht...", stellte Mai fast enttäuscht wirkend fest. "Sind die denn groß?", fragte sie. ""Gibt solche und solche, es gibt welche, da sind die Steine hoch wie Häuser", erklärte Robert. "Wahnsinn", sagte Mai. Als Robert erneut mit den Augen über die Inschrift des Monumentes ging, blieben sie an einem Namen hängen. Mai erzählte noch etwas, aber der Rote hörte sie kaum noch. Mit seinem Zeige- und Mittelfinger fuhr er über den Namen. "Robert?", fragte Mai und er reagierte wieder. "Hast du was gesagt, Mai?", sagte er und drehte den Kopf zu ihr. Mai nahm die Finger von Roberts Hand und drückte sie leicht vom Geschriebenen weg. "Wessen Name ist denn das?", fragte sie. "Meiner..", sagte Robert. "Im Ernst?", fragte Mai und sah aber, dass Robert keinen Spaß machte. "Naja, der meiner Familie", ergänzte er. "James Berhath...", las Mai vor, "ist das dein Vater?" "Mein Großvater. James Habith ist mein Vater". Dann bist du der dritte James, James Robert?", fragte Mai kichernd. "Ja, James der Dritte", antwortet Robert und sah traurig aus. "Wo sind die beiden denn?", fragte Mai, aber sah, dass Robert diese Fragen traurig stimmten. "Tot", antwortete er. "Ist aber schon länger her, ist okay." "Dann Schluss jetzt davon. Lass uns noch im Logsley-Park weiter laufen. Unten gibt es einen großen Teich, dort gibt es Enten, Schwäne und sogar Pfauen!", sie klang schon wieder ziemlich begeistert. Sie machte Bewegungen, deutete einen aufgebreiteten Pfauenschweif an und lief. "Ein Pfauenschweif, so wunderschön", sagte sie. "Du läufst wie ein Huhn", lachte Robert.

      Kapitel 6: Faustrecht

      "La Playa Leighte", meldete sich Lou an der Schnecke. Ben stand an der anderen Seite im Schneckenhaus der "Alten Möve". "Lou, weißt du, wo der Rote sich rumtreibt? Könnte ihn brauchen." "Benji, was'n los?", fragte Lou. "Diese Bande, Whitesharks, sie haben Fayez' Geschäft auf dem Schirm und somit mich. Fünf von denen haben mich letzte Nacht abgefangen." "Scheiße, die Hurensöhne", schimpfte Lou. "Der Rote ist später bei Yasopp, ich ruf dort durch und sag Bescheid. Die beiden werden eine große Hilfe sein." "Yasopp?", fragte Ben. "Klar", sagte Lou, "Yasopp ist zwar etwas weich, aber ein Kämpfer, dem macht so schnell keiner was vor", sagte Lou. "Meld' mich später."
      Robert testete diesen Nachmittag die neue Konstruktion von Yasopp, um jemanden an den Klippen westlich vom Whiteout abzuseilen.
      "Yasper", rief eine Stimme hoch, "Benjamin ist in der Scheckenbox." Yasopp lief runter zu seinen Eltern und nahm den Anruf in Empfang. Als Robert die Neuigkeiten hörte, war er von Wut und Enthusiasmus gepackt: "Die holen wir uns", sagte er. "Wer ist wir?", fragte Yasopp. "Na du, Ben, Lou und ich", sagte der Rothaarige.
      Als der Abend des nächsten Tages kam, waren die Verabredeten an der Stadtmauer vollzählig. Ben hatte eine Wunde im Gesicht, aber nicht schlimm, wie es aussah. Robert verspeiste ein belegtes Brötchen, das er an der Bäckerei geholt hatte. "Ihr müsst nicht alle mitkommen", sagte Ben. "Diese Scheißer holen wir uns", sagte Lou. "Ich bin ihr Konkurent", sagte Ben, "sie wären schön blöd Fayez und seine Leute den Handel kontrollieren zu lassen." "Fayez ist mir scheißegal", sagte Robert grinsend, "dich anzufassen, verlangt nach Prügel."
      "Das ist unser Mann", lachte Lou. Er zündete eine Sumpfkrautzigarette an, aber Robert nahm sie ihm aus dem Mund und drückte sie aus. "Ey, wir brauchen dich bei Bewusstsein, du bist stark." Lou war ein wenig perplex, aber nickte dann nur. "Heute ist deine Route bekannt, Benny?", fragte der Rote. "Ja, heute ist eine Ladung angekommen. Die wissen, dass ich das Zeug nach Crossed verteilen werde." "Die haben ihren Stoff ebenfalls bekommen? Nur eine Frage der Zeit, bis wir sie treffen", sagte Yasopp und zündete sich eine Zigarette an.
      Die Nacht verlief relativ friedlich, Ben verkaufte ein paar Päckchen im Fabrikviertel in Crossed. Yasopp und die anderen unterhielten sich über alles Mögliche. "Lou, du kochst?", fragte der Rote. "Ja, ich bin Koch. Manchmal muss ich servieren, aber ich mache meist Mittagstisch und Abendbuffet." "Genial", grinste Robert. "Ne, ist stressig", sagte Lou. "Was kochst du so?", fragte er. "Letzte Woche hatten wir Garnelen in Soße. Ich hätte das am liebsten alles selber verputzt", sagte er. Die Jungs tranken ein paar Bier, die Lou mitgebracht hatte. "Ey, aber das vernebelt nicht die Sinne?", rief Ben. "Ihr wollt doch nicht etwa ins Whiteout, Kinder?", rief die alte Frau von letztem Mal. "Machen Sie sich bitte keine Sorgen", sagte Robert und beugte sich zu ihr herunter. "Du warst letztes mal auch hier, Kleiner", sagte sie. "Genau", antwortete der Rote, "ich passe auf Ben auf." "Und auch auf die anderen Kinder?", fragte die Frau, ihre Augen waren voller Angst. "Beruhige dich, Grete", beschwichtigte ihr Mann neben ihr. Robert nahm ihre Hand: "Klar, diese Jungs sind meine Freunde, ihnen und mir selber passiert nichts." Die Frau wurde sofort ruhig. Der Mann schaute Robert an. Er stank nach Branntwein: "Meine Frau hat damals ihr Kind verloren", flüsterte er. "Uns passiert nichts, solange ich hier bin, Herr!", sagte Robert und schüttelte dem alten Mann die Hand.
      Crossed verlief unproblematisch, aber als die Truppe in Whiteground zurück war, schien ihnen bereits jemand zu folgen. An einem Hinterhof klopfte Ben an die Tür. "Ey", rief jemand. Aber derjenige war bereits ertappt. "Ebenfalls", sagte Lou. Der Junge schaute sich um. Die lachenden Gesichter der anderen tauchten aus dem Dunkel auf. Der Kunde schaute aus der Haustür: "Ey, ihr kleinen Arschkriecher", lallte er, "verpisst euch aus meiner Straße, wenn ihr euch kloppen wollt. Ich kann die Bullenschweine hier nicht meine Bude hochgehen lassen..." Er trat aus der Tür nach Ben und einem der Whitesharks. Es blieb aber bei einem kläglichen Versuch aufgrund von sicherlich zu vielen verbotenen Substanzen. "Whiteground gehört uns!", sagte ein Weiterer der Sharks. "Wem gehört denn ein Stadtteil?", fragte Yasopp. "Die Straßenpflaster oder die Bepflanzung am Straßenrand?" "Mach mal nicht den Klugscheißer", er kam auf die beiden zu. Robert ging auf auf ihn zu: "Verpisst euch besser." Nach einen Schlagabtausch hatten beide eine verpasst bekommen. Ben hatte den anderen Jungen bereits zu Boden geworfen. Lou packte sich einen weiteren und ein vierter rangelte mit Yasopp. Als ein fünfter bereits auf Yasopp zulief, schlug Lou seinen Kontrahenten nieder und packte den Angreifer ebenfalls. "Leute", rief Ben auf einmal und wenig später nochmal. Zwei bewaffnete Erwachsene, offensichtlich vollkommen vollgedröhnt, kamen aus dem Haus. "Weg hier", rief nun ebenfalls der Anführer der Whites. Robert, Ben und die anderen Jungs nahmen die Beine in die Hand. "Verpisst euch, Dreckgören..!" "Bei dem Geschrei kommt die Streife erst Recht", lachte Robert. Einer der Whitesharks lachte ebenfalls: "Dieser fette Trottel, hätte der keine Flinte, hätte ich den ebenfalls Hopps genommen", plusterte er sich auf. "So wie... eigentlich keinen von uns?", fragte Yasopp. Die Banden trennten sich nun nach wenigen Straßenkreuzungen und die Jungs stromerten weiter in die Nacht.

      Kapitel 7: Sparring

      Robert lief hinter Mai her, voll bepackt. "Hierher, etwas schneller." "Gib es zu, du hast dich nur mit mir verabreden wollen, damit ich dein Zeug schleppe", lachte er. "Das, und weil, wenn ich dich nicht offiziell sehen kann, gebe ich dich einfach als meinen Packesel aus. Ich meine natürlich meinen Angestellten." "Die kleine Mai", rief ein Herr und kam mit seiner Frau auf die beiden zu. "Machst du Einkäufe?", fragte die Frau. "Ja, genau, Hafenviertel und noch ein wenig nach schönen Sachen stöbern. James, komm bitte, nicht so langsam." Die Leute verabschiedeten sich. "Siehst du, perfekte Tarnung", sagte sie und erhob den Finger. "Was habt ihr denn später noch vor?", fragte Mai. Robert erzählte von der Seilaktion, die in Planung war, der Idee, ein Boot seetüchtig zu machen, und dem geplanten Einbruch in das Lager. "Was willst du eigentlich später mal machen, Robert?", fragte Mai ihn, als die beiden eine Pause machten. Mai sah sich Kleider und schöne Stoffe an. "Später, wenn ich erwachsen bin?" "Genau." "Vielleicht klau ich dann größere Sachen." "Nein, im Ernst, wenn du alles machen könntest, wirklich alles." "Alles?", fragte Robert, "ich weiß es auch nicht." "Du bist echt ein seltsamer Kerl", bedachte Mai. "Danke", sagte Robert. "Jetzt hab ichs, ich wäre gern dein Bediensteter und würde gern deine Sachen schleppen!" "Das trifft sich gut, ich kenne hier einen tollen Umweg", strahlte ihn Mai an. "Noch länger schlepp-", sie fasste nach seinem Mund: "Mehr Zeit mit mir, meinte ich!"
      Robert kam entsprechend spät nachmittags bei der "Seemöwe" an. "Ey, wir können durchs Haus gehen, du musst nicht aufs Dach klettern." "Langweilig", sagte Robert. In Bens Zimmer planten sie an ihrem Raubzug. Später trafen sie Lou an der Stadtmauer, nahe dem Stadtkern. Er hatte ein paar Sachen aus dem Restaurant dabei. Die Jungs klauten, auf Lous Tipp hin, noch etwas bei einer unbewachten Warenlieferung eines edlen Restaurants. "Haben wa uns echt bedienen können", freute sich Ben. Benjamin und Robert gingen abends auf eine Party ins Whiteout, rösteten Fleisch auf dem offenen Feuer und gaben Bier und Obst aus. Am Waldrand wurden Schießübungen mit einer scharfen Waffe gemacht. Das war die "Whiteout-Art", sich dafür zu bedanken, etwas ausgegeben zu haben. Ben hatte zwar Bier getrunken, konnte aber dennoch die Ziele treffen. Der andere war komplett betrunken und selbst er traf die meisten Ziele. "Auf'n Schiff musste auch so zieln, da schaukelt's auch auf un ab. Habta schonma gefochten?" "Mit Übungsschwertern", sagte Robert. Die drei gingen zu einem Typen, der in einem verwahrlosten Garten saß. Ein Junge, vielleicht etwas älter als die beiden, saß dort ebenfalls. Der Junge zeigte ihnen echte Säbel, wie sie Seefahrer nutzten. Robert und der Junge machten ein paar Schwungübungen. "Gar nicht mal mies", sagte der Vater des Jungen. Er nahm den Säbel an sich und ließ Robert ein paar Mal parieren. Er konnte aufgrund einer Verletzung der rechten Hand nur die Linke benutzen. "Mach ma, na los, Junge, greif an", rief er. Der Rote zögerte. Immerhin waren das echte Waffen mit tödlich scharfen Klingen und der Kerl war verkrüppelt und betrunken. Der andere Junge nahm die Klinge an sich: "Schau", rief er, fuhr herum und setzte einen Schlag in Höhe des Oberkörpers. Der ältere blockte mühelos ab, ohne sich groß zu bewegen. Robert versuchte es nun ebenfalls. Er setzte Stiche und Schläge. Der Mann tänzelte und konnte die Angriffe einfach abwehren. "Genug Jungs, hat Spaß gemacht. Ich glaube, Schwertkampf ist dein Ding." Robert zuckte die Schultern.

      Kapitel 8: Schatzsucher und Diebe

      Robert und Yasper liefen bepackt runter zum Strand des Whiteout. Versteckt oben im Gebüsch stand eine weitere Konstruktion, die nun modifiziert werden würde. "Wenn wir was schweres unten an den Flaschenzug bekommen, können wir dich mitsamt dem Schatz hochziehen." Robert nickte. Er schaute zu, wie geschickt Yasopp solche Sachen baute und technische Sachen umsetzen konnte. "Der alte Carry hat lauter so Zeug rumliegen. Vieles ist Schrott, aber hierfür ist es ideal, Einzelteile zu verwenden", erklärt Yasopp. "Aus anderen Maschinen?", fragte Robert. "Genau, Industriemaschinen, Fahrzeuge und so ein Zeug. Wenn wir sowas unten finden, ist es auch was Wert. Alles aus Metall, alles was an Holz noch nicht völlig vom Meer zersetzt wurde oder an den Klippen zu Kleinholz verarbeitet wurde. Und frische Fracht sowieso, zum Beispiel verlorenen Ladung, die noch verschlossen ist, man weiß ja nie. Vielleicht ist was Wertvolles dabei." Der Regen wurde stärker, die beiden warteten eine Zeit bevor sie weiter arbeiten konnten. Nun war auch Lou angekommen. Er hatte einen Beutel mit Mittagessen dabei. "Wenn es nicht zu schwer wird, können wir dich mit Hilfe der Konstruktion auch mit was sehr schwerem zu zweit wieder hochbekommen." "Ansonsten gehste zu Fuß, wenn wir nur das Gold herbekommen", feigste Lou. "Kistenweise Goldbarren", bestätigte Yasopp. "Stimmt denn das Wetter?", fragte Lou. "Müsste gehen, es regnet zwar, aber es geht nur darum, ob der Rote vom Wind in die Klippen geschleudert wird oder die Wellen ihn erwischen. Das dürfte alles im machbaren Bereich sein. Ich hoffe nicht, dass sich Leute zu weit an die Klippen verirren und stören." "Interessiert doch eh keine Sau, was die Leute im Whiteout treiben", erwiderte Lou. "Kommt drauf an, was wir aus dem Wasser ziehen", warf Robert ein.
      Am Abend kletterte der Rote die Stadtmauer entlang, sprang aufs Dach der "Seemöve" und klopfte ans Fenster. Das Fenster öffnete sich. "Ey Benj." "Hey, Roter." "Wie sieht's aus?", fragte Robert. "Der Plan für den Bruch in das Lager steht. Alles, was wir brauchen, holen wir bei Carrington", erklärte Benjamin zufrieden. "Ich hoffe, das wirft genug ab, um Carry sein Zeug zu bezahlen", ergänzte er. "Wenn der ganze Mist dort drin unbrauchbar ist, wird's ein Verlustgeschäft." "Carry braucht doch altes Zeug", erwiderte Robert, "außerdem, wir haben noch ein Eisen im Feuer mit Yasopps Maschine." "Stimmt, klappt das Ding?", fragte Benj. "Klar, Tests liefen gut. Wir holen die Tage die ersten Sachen raus." "Hab nichts anderes von Yasopp erwartet", lachte Ben, "is 'n Genie, der Typ." Robert grinste. "Ey Roter, ich hab dir doch von den Seeräubern aus dem Buch erzählt?" "Genau", sagte Robert. "Das sind Geschichten von früher. Die ich gerade lese, handelt von einem großen Piraten. Er war so stark, er konnte ein Erdbeben auslösen, wenn er zuschlug." Benj machte eine Schlagbewegung, als er lebhaft erzählte. "So ein Blödsinn", lachte Robert. "Jedenfalls, wir sollten uns auch ein Schiff holen." "Und eine Bande gründen?", fragte der Rote. "Klar, wir sind ja schon eine Bande mit Yasopp und Loui", sagte Ben. "Machen wir, wenn wir ordentlich Kohle zusammen haben, von unseren Aktionen", sagte Robert, "ich hab mich eh schon gefragt, was wir mit der ganzen Kohle machen, von den Goldbarren aus dem alten Lager und von unter den Klippen." Ben lachte: "Klar, Gold. Wahrscheinlich findest du im Lager einen Haufen Staub und unter den Klippen wieder ne Leiche."
      An den Klippen nordwestlich des Whiteout hatte Yasopp einen guten Tag ausgemacht, der Wind hielt sich in Grenzen, sodass eine Bergungsaktion angesetzt war. "Drecksregen", schimpfte Lou und zog seine Kapuze enger. "Wo bleibt der verdammte Rote? Hast du seine Uhr nicht neu aufgezogen? Was ist nun die Ausrede?" "Er ist ein Trottel, ist die Ausrede", lachte Yasopp. Als Ben und Robert eintrafen, war sogar der Regen zu einem sanften Niesel geworden. Robert wurde in die Maschine eingespannt, was bedeutete, er wurde mit einer Seilkonstruktion an der Hüfte herabgelassen. Um unten etwas aufsammeln und an der Konstruktion befestigen zu können, musste er mit dem Gesicht nach unten abgeseilt werden. Oben über den Klippen zu hängen, mit dem Gesicht nach unten und in das tödliche, tosende Meer zu schauen, hätte wohl einigen starken Seeleuten Angst gemacht. "Wooooohh", rief der Rote aus, als es abwärts ging. "Keine Sorge, die Konstruktion sichert ein Abstürzen ab. Es stockt, wenn es zu schnell abwärts geht oder man sogar das Seil loslässt. Unangenehm wäre es aber allemal für Robert, da er einige Meter fallen würde und dann vom Seil abgebremst werden würde." Einige Meter ging es in die Tiefe, Robert versuchte etwas zu erkennen. Ben schaute über die Klippen, auf dem Bauch liegend: "ein paar Meter noch!" Es klappte. Robert hatte die Möglichkeit, etwas zu greifen, doch ihn erwischte sofort eine Welle. Er wurde Richtung Felswand geworfen. Er pendelte sich wieder ein. "Er wurde erwischt!", rief Ben. "Weg kann er nicht!", rief Yasper. "Er hat was erwischt, zieht rauf", rief Ben den beiden anderen zu. Lou riss das Seil über die Winde und der Rote wurde mitsamt der Beute nach oben gezogen. Beim nächsten Abstieg wurde Robert mit Säcken und weiteren Haken zum Befestigen von Treibgut versehen. Es klappte. "Was ist das für ein Zeug?", fragte Robert, als sie ihn wieder an Land geholt hatten. "Wird einem nicht kotzübel von dem Geschaukel?", fragte Lou. "Geht, einem wird nur langsam kalt, wenn man die Wellen in die Fresse bekommt und dazu den Wind." Die Jungs hatten einiges an Metallschrott, Holz und Lebensmittel, die wohl ein Frachtschiff verloren hatte. Die Jungs verteilten noch genießbare Sachen und Feuerholz an einige Leute am Strand von Whiteout.


      Kapitel 9: Der Coup

      Die Jungs hatten sich bei Carry eingefunden. Es wurden die Vorbereitungen für den Einbruch in die Lager im Regierungsviertel getroffen. Carrington würde den Kindern einen guten Preis für alte Waffen, Munition oder Maschinenteile zahlen. "Die Scheiße wird doch von vor dem Großen Krieg der Weltregierung sein, ist das überhaupt was wert?", fragte Ben. "Na klar, Junge", erklärte Carry, "viele Leute sammeln sowas, außerdem kann man die Waffen restaurieren und sogar noch vorzüglich zum Kampf benutzen."
      Ausgestattet mit Lampen, Einbruchswerkzeug und falschen Schlössern, mit denen man vorgaukeln würde, die Tore wären intakt, machte man sich am Nachmittag auf. Die Aktion musste bei Tageslicht stattfinden, da man in den ohnehin spärlich beleuchteten Gemäuern sonst kaum etwas zu sehen wäre. Aber vor allem, weil man bei Nacht niemals die Bewegung der Menschen drumherum überwachen könnte. Gleichzeitig würde Licht von Lampen in den unbenutzten Gebäuden sofort auffallen. Im Hafenviertel und Teilen von Whiteground war Hafenfest, sodass nur das geringst nötige Wachpersonal zu erwarten war. Winny, der Fischmensch, in seiner Arbeitskleidung, würde Waren zum Versteck schleppen, die er von Lou annehmen würde. In Tücher gewickelt würde man nicht erkennen, um was für Waren es sich handelt, und man würde wahrscheinlich Nahrungsgüter erahnen. Außerdem gab es viele Fischmenschen, auch viele Gastarbeiter, die bei den Feierlichkeiten arbeiteten. Yasopp nahm auf der Stadtmauer Position ein. Von dort aus konnte er überblicken, ob sich Wachen oder Passanten näherten, und gegebenenfalls die Aktion abblasen. Dafür hatte er eine Vorrichtung in Position. Eine Leuchtrakete würde anzeigen, dass die Aktion sofort beendet werden musste. Diese Rakete würde so vor dem Lager einschlagen, dass Robert und Benjamin im Inneren des Lagers, Lou unten in der Straße und auch Winny, mit Waren in einem Handwagen, es bemerken würden. Je nach Situation könnten die Beteiligten unauffällig verschwinden und sich nichts anmerken lassen oder die Beine in die Hand nehmen.
      Über eine Gasse, die direkt zur alten Stadtmauer führte, machte sich die Bande von Carringtons Werkstatt aus auf den Weg. Winny hatte sich schon eher aufgemacht zum Lager. Er würde im Regierungsviertel warten. Die Jungs rauchten eine Zigarette, bevor sie sich einschworen und begannen, ihre Positionen einzunehmen. "Im Hafen müsste es nun bald richtig losgehen", stellte Lou fest. "Das ist unser Trumpf", grinste der Rote. "Auf gehts", sagte Yasopp und begann sich auf die Position auf der Stadtmauer hoch zu hangeln. Die Stadtmauer war bekanntermaßen, aufgrund ihrer Bauweise, sehr einfach zu besteigen, sowie auch sicher, was Abbruchkanten und lose Steine angeht. Dennoch sollte man auf der Hut sein und gerade bei nicht oft benutzten Kletterrouten aufpassen. Ein falscher Schritt oder Griff, ein loser Stein, kann einen möglicherweise tödlichen Sturz zur Folge haben. Gerade wenn es höher ging, war es weniger sicher, weil dort so gut wie nie jemand rumkraxelte. Yasopp ließ sich Zeit. Einmal segelte er trotzdem fast herunter. Es wäre zwar nur ein Sturz auf eine tiefere Ebene gewesen, aber auch dabei hätte man sich wahrscheinlich verletzt und hätte die Aktion abblasen können.
      Die anderen drei Jungs gingen zu den Rohren. "Dieses hier", zeigte Ben an. "Dreckszeug", motzte Lou, der zuerst reinging und sein Gesicht nun voller Efeu und Spinnenweben hatte. Er kroch voran. "Ich war mir sicher, dass wir abbrechen müssen, weil du zu fett bist, Lou", rief Ben von hinten. "Fresse halten, da hinten", rief Lou. Ben kroch hinter Lou her, dann kam Robert. "Ich steck fest, ich steck fest", hörte man Lou mit gequälter Stimme rufen. Die drei hatten ihren Spaß. Natürlich steckte Lou nicht fest. Sie kamen unter der Straße an und kletterten die Leiter hinauf. Ben schaute, ob die Luft rein war. Die drei flitzten über die Straße, direkt zum ersten Lager. Robert schaute sich um, alles in Ordnung. Er sah Yasopp oben auf Position. Man konnte ihn schwer erkennen. Wenn man nicht wusste, dass er genau da sitzen würde, würde man ihn wohl kaum bemerken, was gut war. "Offen", sagte Lou. Ben und Robert schlüpften durch die Tür hinein. Lou versah die Tür mit dem falschen Schloss und nahm das geknackte, alte Schloss an sich. Er stellte sich in die Tür und zog von Innen zu. So sah die Tür von außen intakt aus. Die drei kramten. "Hier, Munition, wie erwartet", flüsterte Ben. "Ist das wirklich sicher?", fragte Lou. "Carrington sagte es so", erwiderte Ben. "Dann wirds wohl stimmen", feigste Lou, allerdings vertraute er schon auf Carrys Expertise. "Risiko gehört dazu", hörte er Robert sagen. "Halt die Klappe", antwortete Lou und schaute, ob die Luft rein war. Er flutschte nach draußen durch die Tür und brachte die erste Fuhre zu Winny, der in Arbeitermontur mit seinem Handwagen wartete. Lous Aufgabe war es nun, an der Tür die Waren anzunehmen und zu Winny weiter zu leiten, der sie ins Lager stapelte. Dieses war in der Nähe. Carrington hatte seine Kontakte und konnte so ein passendes Objekt ausfindig machen, das als Zwischenlager für Hehlerware diente und nicht auf ihn zurück zu führen sein sollte. Zwar hatten die Jungs Instruktionen erhalten, was sie suchen sollten, allerdings waren Robert und Ben nicht die Experten auf diesem Feld. Außerdem dauerte es echt länger als erwartet. "Puhh", hörten sie Lou ächtzen. "Schweres Zeug?", fragte Ben. "Das isses nicht, mich haben da Leute gesehen, sah aus wie Personal vom Regierungsviertel. Sie haben aber nicht gesehen, wo ich hin bin." "Stimmt das Schloss außen?", fragte Ben. "Müsste." "Haltet trotzdem jetzt die Fresse, nicht kramen, Roter." Sie warteten eine Zeit. Draußen waren Stimmen zu hören. Aber es schien eine ganz normale Unterhaltung zu sein, Menschen gingen vorbei. Keiner beachtete die alten Lagerhallen aus Kriegszeiten. "Jo, weiter", sagte Lou, "müsste gehen".
      Die erste Aktion ging sehr von Statten. "Lief alles glatt, Winny?", fragte Carrington, als sein Kollege wieder bei ihm eintraf. "Was Gutes dabei gewesen?" "Klar Chef, sieht gut aus." "Und, gehen die Jungs morgen nochmal rein?" Carrington erhoffte sich natürlich noch alte Kriegswaffen, für die eigene Sammlung. "Morgen, wenn das Hafenfest auf dem Höhepunkt ist", antwortete Winny.
      Die Jungs machten sich am nächsten Tag direkt wieder auf, das Lager neben dem vom Vortag aufzubrechen. Zwar war das erste natürlich alles andere als leergeräumt, allerdings könnte in einem weiteren natürlich etwas Wertvolleres sein. So würde es sich lohnen, ein neues Lager zu öffnen, um die begrenzte Zeit optimal zu nutzen.
      "Was ist das für ein Schrott?", flüsterte Ben. "Ist schön, oder?", sagte Robert und hielt ein altes Schwert hoch, sodass etwas mehr Licht darauf fiel. "Sieht aus, als wär's wirklich alt", meinte Ben. "Wie von einem Piraten!", stellte Robert fest. "Weiß nicht, eher eines Ritters vielleicht." "Was kennst du denn für Ritter?", kicherte der Rote. Das Schwert hatte eine doppelseitig geschärfte Klinge, die zum Griff hin halbkreisförming enger wurde. Die Klinge war nämlich ziemlich breit und massiv. Das Stück, das Klinge und Griff trennte, war rostfarben und der Griff grau. Ebenfalls gefärbt wie das Oberteil war das Stück, was unten den Griff abschloss. Es war leicht tropfenförming. Robert starrte es fasziniert an und schwang es herum. "Ey, Roter", fauchte Benjamin, "mach ma weiter hier, wir sind hier nicht zum Rumalbern." Draußen waren auf einmal Stimmen zu hören, kein normales Sprechen, was nicht auffällig wäre, dass jemand zufällig vorbei läuft, sondern aus der Ferne. Und da kam auch das Lichtsignal von Yasopp, dass sie aufgeflogen waren. "Verdammt", zischte Ben und lief los. Robert folgte ihm. Vor dem Lager sahen sie Stadtwachen herbeieilen. Einer war bereits sehr dicht dran und winkte seine Leute her. Benjamin bremste ab. Robert flitzte an ihm vorbei um die Ecke des Lagers und sah nun ebenfalls was los war. "Andere Richtung!", rief Ben und raste an Robert vorbei, der sich umdrehte und folgte. "Schmeiß dass Ding weg!", rief er dem Roten zu, der immer noch fest umklammert das alte Schmuckstück hielt. Es knallte. Ein Schuss fiel. Dann sofort noch einer. Ben sprang in Richtung Kanalisation. Er rollte ein Stück über die Straße, schnellte die Leiter herunter und sprang mit einem Satz in die offene Kanalisation. Er hörte es weiter knallen. Dieses Mal richtig. Es war ohrenbetäubend. Er wetzte auf allen Vieren durch das Kanalsystem. Sobald er draußen war, rannte er orientierungslos weiter. Er drehte sich um, aber sah Robert nirgendwo. Da er auf der anderen Seite der Mauer rausgekommen war, konnte er durch die Stadtmauer nicht erkennen, was drüben vor sich ging. Allerdings sah er ein Leuchten am Himmel. Und Rauch. "Verdammt man, wo ist Robert? Haben sie ihn erwischt?", dachte Ben. "Oder schlimmer, hat ihn eine Kugel erwischt?" Sein Herz pochte. "Ben!", brüllte auf einmal jemand. Es war definitiv Roberts Stimme. Ben war zwar erleichtert, aber auch etwas angefressen, dass nun sein Name durch die Straßen gebrüllt wurde, während im Hintergrund die Lagerhallen abfackelten. "Roter!", rief er. Sie trafen sich in einer Gasse. Wider Erwarten hatte Robert sogar noch seine Verkleidung aufbehalten. Er hielt das verdammte Schwert noch immer. "Komm jetzt, weg hier!" "Was ist mit Yasopp, Ben und Winnipeh?" "Die waren über alle Berge, denke ich", grinste Robert.
      Die beide saßen in einem Versteck, dass Straßenkinder nutzten. "Das ist ein Glücksschwert, Benj!", strahlte der Rothaarige. Ben wollte gerade schon etwas sagen, doch hörte sich die Geschichte an "Der Typ, der so dicht dran war, hat direkt auf mich gefeuert, kein Warnschuss. Das hätte mich zu Rattenfutter verarbeitet. Aber die Kugel ist an der Klinge abgeprallt." "So ein Blödsinn", sagte Ben und lachte. "Nein, echt."

      Kapitel 10: Konsequenzen

      Im Regierungsviertel waren Löscharbeiten und Ermittlungen im Gange. Die Jungs hatten geschlafen, besser oder schlechter. Robert jedenfalls war erschöpft, aber ohne große Sorge. "Wollen wir zur Bäckerei?", fragte Ben. "Lass uns was Gutes kaufen, auf was hast du Bock?" "Willst du den großen Coup vielleicht feiern?" "Na", erwiderte der Rote, "so recht feierlich ist es nicht, dass wir wenig Beute machen konnten." An der Tür zum Dachzimmer klopfte es. "Nein, oder?", fragte Robert. Ben schaute auch etwas erschrocken, schüttelte aber den Kopf. Er wusste, dass niemals die Möglichkeit bestand, eine Polizeirazzia ohne Getöse auf der Straße und unten an der "Seemöwe"durchzuführen. Es war einer von Fayez' Leuten. Er lugte durch die Tür. "Ben, ich weiß nicht, ob ihr damit zu tun habt, aber haltet den Ball flach. Fayez will den Ärger nicht in Whiteground haben." "Ist okay", sagte Ben. Die beiden schlichen direkt die Gassen entlang. Es sah nicht so aus, als würde jemand Whitegrounds Straßen nach Verdächtigen für den Brand im Regierungsviertel filzen. Die Jungs kaufen sich eine Mahlzeit an einem Straßenverkauf. An einem zugewachsenen Versteck an der Stadtmauer kam ein Straßenkind zu Robert und Ben. "Du bist der Rote, oder? Ich kenn dich vom Sehen." "Klar, ich bin Robert", erwiderte dieser. "Mai lässt ausrichten, dass sie sich Sorgen um euch macht." Robert schaute ernst. "Scheiße", sagte Ben. "Scheiße", stimmte Robert zu, "Sie wusste, was abgehen wird. Oder konnte sich's zumindest denken." "Ich geh nachher an der Backstube vorbei." Das Mädchen kam erneut rüber zu den Jungs. Zwei weitere Straßenkinder standen etwas abseits. "Mai ist gerade in Whiteground unterwegs, eine meiner Freundinnen kennt sie vom Kirchenunterricht." Ein hübsches, junges Mädchen winkte den beiden zu. "Klasse", sagte Robert. "Soll ich euch hinbringen?", fragte das Mädchen, wahrscheinlich ein bis zwei Jahre älter als die beiden. "Los geht's." Ben warf seine Kippe weg. "Megahübsch", flüsterte Ben Robert zu. "Zu groß", flüsterte Robert zurück. "Ich hab schon von euch gehört", sagte das Mädchen. "Was sonst?", fragte Ben reißerisch. "Was hast du gehört?", fragte Robert. "Naja, du sollst ein Idiot sein." "Sie kennt Mai wirklich, die sagt das auch immer", feigste Ben. Robert lachte. "Und du Benjamin, sollst ein schäbiger Dealer sein." Ben blieb augenblicklich stehen. "Was sagst du da?" "Ey, komm schon, ist doch nur 'n Witz von ihr", sagte der Rote, der merkte, dass sein Freund sichtlich getroffen war. "Nein nein, Roter", sagte Ben, "das ist es nicht..." Robert schaute das Mädchen an. Es grinste höhnisch. "Das hier ist Whitesharksgebiet", sagte Ben leise. Und seine Vorahnung sollte sich bewahrheiten. "Erwischt, ihr seid wirklich dümmer als die Kakerlaken im Whiteout", höhnte das Mädchen. Mehrere Whitesharks-Jungs näherten sich den beiden. Unvermittelt griffen sie Ben an. Robert fuhr herum, einer der Sharks küsste das Mädchen und schien sich für den Hinterhalt zu bedanken. "Ihr feigen Bastarde!", rief Robert und ging auf die Angreifer los. Ben prügelte einen der beiden nieder, aber der andere konnte ihn zu Boden bringen. Bevor Tritte ihn verletzen konnten, fiel der erste Whiteshark um, Blut spritzte aus seinem Kopf. Robert hatte ihn mit einem Rohrstück nieder geschlagen. Der zweite war getroffen. Ben rang sich hoch und griff sich den Typen, der ihn zu Boden gebracht hatte. Dieser zog ein Messer. Ein langes Kampfmesser. Ben wich zurück. "Robert, er hat ein Messer!", Robert rannte zu Ben rüber. Der Typ mit dem Messer schien ersthaft darauf aus zu sein, Ben abzustechen. Robert stellte sich vor seinen Freund. Das Messer sauste auf ihn zu, das Blut tropfte auf den Asphalt. Von Geschrei in der Gasse, waren bereits Anwohner und andere Passanten angelockt worden. Ben schaute Robert an. Dieser grinste. Das Messer steckte in seinem Unterarm, glatt durch. Der Whiteshark ließ das Messer los und schaute selbst verdutzt. Robert schmetterte ihm eine Kopfnuss ins Gesicht. Dann zog er sich das Messer aus dem Arm und warf es auf den Boden. Die anderen Whitesharks schauten entsetzt. "Weg hier, Ben", rief Robert. Als sei das der Befehl für alle gewesen, rannten die beiden sowie auch die angeschlagenen Sharksmitglieder los, um sich vom Ort des Getümmels zu entfernen. Der Messerangreifer blieb blutend und benommen in der Gasse liegen. Im Rennen band Robert sein Kopftuch um seinen Arm. Durch das Adrenalin und die Anstrengnung pochte der Schmerz nun in seiner Wunde und das Blut sickerte durch das Kopftuch und tropfe. "Das sieht furchtbar aus, Alter", rief Ben ihm zu. "Komm." Die beiden rannten in eine Gasse zu einem Versteck der Gang von Fayez. "Schickt ihn zum Arzt!", befahl ein älterer Drogen-Fabrikant. "Fayez ist an der Schnecke, er zahlt die Arztrechnung, nur bringt diesen blutenden Typen hier weg!"
      Robert lag bei einem Arzt in Whiteground auf der Pritsche. Er hatte einiges an Blut verloren. "Der wird wieder", sagte der Arzt. Ben saß mit im Zimmer. Fayez kam herein. Ein großer dunkelhaariger, gut gekleideteter Mann mit zurückgekämmten Haaren. Er war mittleren Alters und anhand seines Aussehens erkannte man, dass er wohl aus dem Eastblue stammte. Seine Haare und sein Bart waren schwarz mit grauen Akzenten und seine Haut war dunkler als die der meisten Menschen in Grand Storm. "Fayez", sagt Ben, "es tut mir Leid, es war meine Schuld. Die Schweine haben mich in die Falle gelockt, ich hätte das besser wissen müssen." Fayez schwieg und schaute sich den schlafenden Robert an. "Ist schon okay, Benjamin", sagte Fayez. "Ich trage auch Schuld, ich setze dich dem Risiko aus." Ben wusste zwar, dass Fayez kein Unmensch war, wie man es vielleicht von einem Drogenhändler und zwielichtigen Geschäftsmann erwarten würde, aber so nett hatte er ihn trotzdem noch nie erlebt. "Fayez, ich...", sagte Ben. "Die holen wir uns", hört man auf einmal eine Stimme hinter Fayez. Ben hielt inne und lief zu seinem Freund: "Alter, wie geht's dir, was macht der Arm?", fragte er freudig. Aber Fayez schob ihn zur Seite. "Das werdet ihr nicht tun", sagte er zu Robert. Der Rote grinste: "Was willst du hier, wer bist du überhaupt?" Ben wollte gerade eingreifen, aber Fayez gab ihm das Zeichen, sich zurück zu halten. "Ich bin Fayez Has Vagaran, Ben arbeitet für mich." Robert schluckte einmal. "Ich wollte schauen, wie es euch geht und dir danken, dass du auf Benjamin aufgepasst hast. Ich werde mich um diese Angelegenheiten kümmern, Robert." Robert gab sogar, untypisch für ihn, nach und nickte nur. "Nächstes Mal geht es vielleicht schlimmer aus. Ich möchte dich deswegen und wegen dem Tumult im Regierungsviertel bitten, dass du erstmal aus dem Whitegruond verschwindest." Robert bäumte sich auf und auch Ben wollte gerade protestieren. Fazey hielt seine Hand hoch und gestikulierte, dass er noch nicht fertig mit der Ansprache war. Er nahm seine goldgeränderte Brille ab und putzte sie. "Deswegen möchte ich dir einen Job anbieten, Robert." Ben und der Rote schauten sich an. Ben zuckte mit den Schultern. "Warst du bereits in Cornerblue und was weißt du darüber?" "Ich penne öfter an den Klippen im Wald auf der anderen Seite des Hafenviertels. Dort runter geht's nach Cornerblue. So wirklich dort war ich nicht. Ich weiß, dass das so 'n Bonzenviertel ist." "Es ist ein reicheres Viertel, ja", sagte Fayez. "Aber es gibt vor allem viele bürgerliche Leute und auch Höfe mit Landwirtschaft. Mach dich, sobald du hier raus bist, mit dem Viertel dort vertraut. Halt dich vor allem bedeckt mit Straftaten. Ich weiß bereits, Robert Kenway, dass deine Art, sich von Ärger fernzuhalten, etwas schwierig, wenn nicht gar absolute Scheiße ist. Es ist aberbwichtig, dass du unter dem Radar bleibst." "Wie kommst du darauf, dass ich das will?", fragte Robert. Fayez schien wirklich froh zu sein, dass nichts Schlimmeres passiert war, so ruhig wie er blieb. Ein Mann wie er war es wohl nicht gerade gewohnt, so respektlos angeredet zu werden. "Ich komme darauf, weil es garantiert, dass du weiter Geld machen kannst, indem du dort für mich auslieferst, ohne offensichtliche Straftaten zu begehen, oder dass man dich mit der Messerstecherei oder dem Fiasko im Regierungsviertel in Verbindung bringen wird. Sowohl seitens des Gesetzes, als auch der Whitesharksgang." Robert und Fayez schüttelten sich die Hände - die linke Hand, die rechte war durchbohrt und in Verband gehüllt. Fayez verabschiedete sich auch bei Ben. "Die Arztrechnung geht auf mich, unter einer Bedingung..." Robert schaute ihn an, er drehte sich nochmal um: "Du gehst die Tage nach Crossed ins Hospital und lässt die Wunde prüfen und fachmännisch nachbehandeln. Ist bereits bezahlt." Der Rote grinste und machte eine bestätigende Geste mit der noch heilen Hand.

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      Kapitel 11: Neue Ecken

      Der Rote saß am Waldrand, in seinem alten Versteck. Er fütterte ein paar Vögel und Eichhörnchen. Er kramte ein paar Dinge hervor und tarnte das Versteck im Wald erneut mit Erde und Laub. Die Sonne glitzerte durch die Zweige und den Regen, der aufs Blätterdach prasselte. Er lief den Waldrand entlang und der Regen verschwand. Nun blieb nur die schöne Sonne übrig, die den Hafen und sein reges Treiben ausleuchtete. "Hey Leute", rief Robert und winkte Ben und Mai zu, die dort aus der entgegensetzen Richtung aus Whiteground kamen. Robert umarmte beide in einer Dreierumarmung. "Kein Küsschen?", fragte Ben. "Doch klar", rief Robert und spitze seine Lippen auf übertriebene Weise und kam auf Bens angewidertes Gesicht zu. Er duckte sich weg und lief eine Kurve um Robert und Mai herum. "Welche List habt ihr euch denn ausgedacht, um einen Nachmittag in den Hafen zu können?", fragte er Mai. "Eine gute, aber lass uns trotzdem etwas weiter von der Hauptstraße abhauen. Mich erkennen die Leute." Die drei schlenderten und kauften sich Garnelenspieße. "Trägst du eigentlich jemals saubere Klamotten, Robert?", fragte Mai. "Niemals", warf Ben ein, "aber sieh mal, wie heile die sind, er scheint bei Fayez gut zu verdienen." "Heil und sauber, viel zu oft trag ich die", stöhnte der Rotehaarige, "in der Neuen Ecke darf ich nicht wie ein Penner aus dem Whiteout rumrennen, damit ich nicht auffalle." "Neue Ecke", kicherte Mai. "Ah", sagte Ben, "das Ding heißt Cornerblue und du bist da neu, also New Corner, Neue Ecke. Sehr spitzfindig von dir Roter." "Danke, aus deinem Mund bedeutet's mir viel, du Sack", antwortete Robert auf die ironische Art seines besten Freundes. "Wie ist New Corner denn nun?", fragte Mai. "So wie Whiteground, nur in sauber, schön und langweilig", erwiderte Robert. Mai musste als Teil ihrer Hafenvierteltour einige Waren in der Stadt bestellen und einige reparierte Dinge abholen oder etwas zur Reperatur bringen. "Was ist mit deinem Fuß, Mai?", fragte Robert sie, weil er merkte, dass sie leicht humpelte. "Das? Teil der Ausrede", sagte sie und zwinkerte: "Was glaubst du, wie langsam ich heute bin? Meine Tour wird echt länger dauern. Aber das Wetter ist so schön, da geh ich trotzdem." Sie verstellte extra ihre Stimme, um besonders lieb zu klingen und vorzuführen, wie sie eine Ausrede präsentierte. "Klasse", sagte Ben anerkennend.
      Als Mai in einem Laden für Damenkleidung war, sprachen die beiden Jungs draußen und rauchten eine Zigarette. "Wie isses bei dir?", fragte Robert. "Alles cool. Läuft", antwortete Ben. "Und die Sharks?", fragte Rothaar. "Ruhig soweit." "Ist der Job in Ordnung in Corner?" "Klar, easy." "Hast du Lou und Yasopp zuletzt gesehen?", fragte Ben. "Klar man, ich hab die Tage mit Lou ein Bier getrunken. Ich war unterwegs, die Logsleystreet..." "Ah, dort bei Reddingplus, wo er arbeitet, praktisch", warf Ben ein. "Yasopp hab ich neulich getroffen, er hat meine Uhr repariert und mir sein Boot gezeigt." "Den Schrotthaufen?", fragte Ben. "Den Schrotthaufen", bestätigte der Rote. "Hat rumgejault, er kommt zu nichts, er hat zu wenig Geld, dies das und überhaupt." "Klar", lachte Ben. "Hast du ihn gesehen?" "Klar", sagte Ben, ist aber ein paar Donnerstage her, da hat er mir Bücher gebracht. Über die Überseegebiete." Robert nickte. Sein Blick fiel auf Mai, die ihr Kleid gewechselt hatte. "Frisch überarbeitet von meiner Schneiderin", strahlte sie und drehte sich. Robert starrte sie an. "Ich muss nochma rüber zum Tabakhändler", sagte Ben die Situation erkennend und stieß Robert an die Schulter. Er ging auf Mai zu. "Gefällt's dir?" "Total schön", sagte er. "Wow, danke", sagte Mai, die die Ehrlichkeit des Roten bemerkte. Die beiden gingen nebeneinander her. Er nahm ihre Tasche als Alibi, falls jemand Mai erkannte und weil Mai ein wirklich böse geschwollenes Bein hatte, wie er durch das kürzere Kleid gut sehen konnte. Wieder zu dritt gingen sie eine Gasse entlang, die direkt in die schlimmeren Teile des Hafenviertels führte und die Mai unter normalen Umständen natürlich nicht zurück ins Whiteground nehmen würde. Ben würde natürlich aufpassen. Er verabschiedete sich vom Roten. "Rothaarigenfreie Zone", sagte er und beide schüttelten sich die Hände und ging einige Schritte vor. Mai umarmte Robert, nahm seine Hand, hielt sie beim Umdrehen und weggehen, bis sie aus seiner rutschte. Robert lief wieder ins Hafengebiet zurück. "Wieso ist meine scheiß Uhr schon wieder stehen geblieben?"

      Kapitel 12: Zwei Streithähne

      Robert lief eine Straße Cornerblues entlang. Es war ein strahlender Nachmittag. Für seine Verhältnisse war Waren ausliefern, ab und an die Jungs in Reddingplus oder im Hafenviertel treffen und Spazierengehen eine erstaunliche lange Zeit ruhig und ohne Komplikationen verlaufen. Obwohl es nur einige Wochen und Monate waren. Er kletterte auf eine Mauer am landwirtschaftlich genutzten Stadtrand von Cornerblue. Von der Mauer aus fingerte er nach einer saftigen Frucht am Baum im Garten eines großen Anwesens. "Nicht reif!", brüllte auf einmal eine Stimme. Roberts Blick senkte sich in den Garten und dort stand einige Meter entfernt vor dem Haus ein alter, grauhaariger Mann mit einer Arbeitshose und richtete eine große Flinte auf ihn. "Nicht reif und nicht für dich! Der letzte, der hier geklaut hat, liegt hinten im Rosenbeet!", grollte der Alte. "Goldy, du verdammtes Schwein!", hörte Robert hinter sich eine weitere Stimme. Er hob die Hände, so typisch man es kannte, wenn jemand eine Waffe auf einen richtet, und drehte sich herum. Auf der anderen Straßenseite stand ein anderer alter Mann. Er war hagerer als der andere, seine Haare waren länger, aber auch er trug eine Flinte und Arbeitskleidung. "Halt du dich da raus, du alter Bastard!", rief der erste alte Herr. "Du bedrohst ein Kind?", schnauzte der Zweite und hob ebenfalls seine Flinte. "Du glaubst, ich würde kein Kind erschießen, Silverstin?", brüllte der nun ebenfalls bedrohte und richtete seine Flinte auf den anderen Mann, statt weiterhin auf den Rothaarigen, der immer noch auf der Mauer stand. "Du kannst niemanden erschießen, Goldrance", erwiderte der auf der gegenüberliegenden Straßenseite, "du bist viel zu blind!" "Du kannst selber niemanden erschießen, du hast schon früher kein Scheunentor getroffen!", erwiderte der andere. In dem Moment kam eine alte dicke Frau aus dem Haus mit dem Garten, griff nach der Flinte und begann selbst mit dem alten Mann zu schimpfen. "Von drei Metern kein Scheunentor!", hörte er ihn beim ins Haus gehen immer noch motzen. Auch bei dem Beschützer des Roten war eine Frau dazu gestoßen, aber eine weitaus jüngere. Sie trug ein Kopftuch und eine Schürze. "Komm du auch wieder runter, Papa, das muss doch wirklich nicht schon wieder sein." Robert stand immer noch auf der Mauer zwischen dem Geschehen und musste zwangsläufig laut lachen. Ansonsten schien sich in der Straße weit und breit niemand für diesen Vorfall interessiert zu haben. "Entschuldige bitte", rief die junge Frau ihm zu. "Wie ich sehe, geht es dir gut. Komm lieber trotzdem vom Haus der Goldlances weg. Der da drüber ist leider immer so drauf." Robert sprang herunter. Er wickelte sein Tuch vom Kopf, schüttelte seine Haare und bedankte sich. "Die Waffen waren wahrscheinlich eh nicht mal geladen..." redete sie mit sich selbst. "Komm doch rein und trink einen mit mir", hörte der Rothaarige den Mann von eben rufen. Er saß nun auf der Veranda. "Vater, er ist noch zu jung für Schnaps", sie drehte sich wieder zu Robert, "mein Vater ist etwas unsensibel. Wie gesagt, tut mir Leid." "Achwas Lore, in dem Alter kann man das schon ab, komm, bring ihn rein und hol noch ein Glas und ein paar Stullen." "Gern", rief Robert dem Alten zu und schaute die Frau fragend an. "Natürlich, das ist das mindeste nach dem Stress hier, komm Junge, setz dich." Robert ging zu dem Mann hin und gab im die Hand. "Alte Kriegsverletzung, was?", fragte der alte Mann beim Händeschütteln, als er Roberts frisch verheilten Arm sah. Robert dachte sich schon, dass der Mann Dinge nicht so ganz auf die Reihe bekommt. "Richtig", bestätigte er dem Alten, "Robert Kenway!", "Ah ja. Sevras Silverstin." Die Frau kam wieder und brachte Robert ein Glas. "Hier, kein Schnaps, dafür Milch von unseren Kühen und etwas Brot mit unserer hauseigenen Butter." Robert bedankte sich. Als er ausgetrunken hatte, schenkte Silverstin ihm dennoch Schnaps ein. Seine Tochter schüttelte den Kopf, sagte aber nichts. "Zum Wohl, Shanks", prostete er dem Roten zu, dieser trank und schüttelte sich. "Er hat doch gesagt, er heißt Robert, Papa", sagte sie "Weiß ich doch, Lore, weiß ich, Kind." "Das ist der Alkohol und das Alter", bestätigte Lore nochmal.
      Der alte Silverstin erzählte lebhaft von früher. Robert nahm es als gelungene Abwechslung, außerdem mochte der den alten Kauz. Die beiden lachten gemeinsam laut. Lorette, Silverstins Tochter, und ihr Mann Graham kannten die Geschichten natürlich schon zur Genüge. Aber Lore freute sich sehr, dass ihr sonst eher motziger und unzufrieden wirkender Vater so klar und fröhlich war. "Wir könnten eh Hilfe auf der Farm gebrauchen...", sagte sie zu ihrem Mann. "Das stimmt, mein Schatz, soll ich ihm einen Job anbieten?" "Wir wissen ja eigentlich gar nicht, wer er ist..." Ich frage Vater und bitte den Jungen, die Tage wieder zu kommen." "Eine gute Idee."

      Kapitel 13: Du bedeutest Ärger

      Der Rote schlenderte nach einem Job in Reddingsplus durch das Industriegelände, kletterte wie selbstverständlich auf die Stadtmauer, die hier, hinter dem Regierungsviertel, noch sehr gut erhalten ist. Sie schließt mehr oder weniger den äußeren Teil von Reddingplus ab und dahinter beginnt bereits der gesicherte Bereich der Regierung. Allerdings lag dort nichts von Bedeutung für Robert oder andere Straßenkinder. Dort hausten aber einige Obdachlose, sowie Drogensüchtige und Aussteiger. Robert kletterte höher auf die ehemaligen Schießscharten. Sicher ist das nicht gern gesehen, aber kontrolliert wird es hier auch nicht. Man konnte das Industriegelände überblicken. Robert trat die Tür zum alten Wachturm auf, die bereits beschädigt war. Darin war keine Leiter oder Treppe mehr, aber Robert war geschickt genug, sich mit einem Brett Abhilfe zu schaffen und auf die zweite Etage im Inneren des Turmes zu kommen. Hier gab es, ganz nach oben, eine nahezu unbeschadete Leiter. Der Ausblick war wie erwartet toll. Hinter dem Roten lag das Regierungsviertel, vor ihm Reddingplus. Weiter links ging es über in Crossed. Auf der rechten Seite konnte man unterhalb der Stadtmauer liegend bereits Whiteground erkennen. Die oberen Gebiete waren von dieser Seite aus noch nicht zu vergleichen mit dem berüchtigten "Whiteout". Hier waren eher Produktion und Industrie ansässig. Robert rauchte eine Zigarre, die er von Silverstin bekommen hatte. Sie schmeckte schlechter als erwartet, nicht zu vergleichen mit Sumpfkraut, das einen speziellen süßlichen Geschmack hatte. "Aus der Neuen Welt, mein Arsch", sagte der Rote zu sich selbst und spuckte vom Turm herunter. Ein paar Züge und er warf die Zigarre hinterher. Er kletterte herunter und machte sich auf den Weg, links Richtung Whiteground. Sehnsucht nach dem Gestank von Branntwein und Sumpfkraut und dem Gesang der Leute, die bis auf ihren Rausch wenig hatten. Er stellte sich an eine Haltestelle für die Bahn nach Whiteground. Hatte er noch nie getan. Die Strecke fuhr herum, vom Hafengelände durch Cornerblue, Crossed, Reddingsplus, Whiteground und kam schließlich wieder dort an. Dementsprechend wurde sie "The Circle" genannt. Robert war verwundert, dass er sogar kontrolliert wurde, und bezahlte die Fahrt. Straßenkinder sprangen sonst maximal bei der Fahrt auf und ab, wenn es jemand merkt oder abkassieren möchte. Robert stieg an der Hauptstaße aus und lief in die ihm wohlbekannten Gassen. Er schaute durch die Fenster zur Backstube. Vorne war noch Betrieb. Er sah aufgrund seiner Beschäftigung vorher zwar etwas schmutzig aus, aber nicht so wie ein typisches Straßenkind. Ob er deswegen weniger auffiel oder sogar mehr, als er bei der Bäckerei "Bayers" rumlungerte, war nicht zu beantworten. Als die Luft rein war, machte sich Robert mit einem üblichen Klopfsignal bemerkbar. Mai erwartete sicher ein Straßenkind, das Hunger hatte. Sie öffnete einen Spalt und flüsterte: "Wir haben gerade nichts, frühesten..." "Mai", flüsterte der Rothaarige. Der Spalt ging weiter auf: "Robert", flüsterte Mai so laut, dass es kaum mehr Flüstern war, "alles in Ordnung?" "Klar, ich wollte dich besuchen." "Mich?", fragte Mai. "Nur dich", sagte Robert, "ich bin undercover." Mai kicherte. Die beiden verabredeten sich für einen späteren, sicheren Zeit- und Treffpunkt. "Wissen die Leute von Fayez nicht, dass du in Whiteground bist?" "Ne" "Wie geht es deinem Arm?" "Bestens, kann klettern und alles." "Bis dann, mach keinen Scheiß", verabschiedete sich Mai. "Niemals", sagte Robert und flitzte davon. In der Nähe der "Alten Seemöwe" hingen ein paar von Fayez Leuten herum. Robert mied diese und kletterte von den Garagen an der Rückseite des Gasthauses hoch zu Bens Wohnung. Dieser war nicht da. Beim Herunterkommen spürte der Rote, dass er bemerkt wurde. Scheinbar hatte man nach den Aktionen der Whitesharkgang die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt. "Hey Leute", rief Robert den beiden zu, "ich wollte zu Benjamin." Die beiden schienen Robert nicht als "den Roten" identifizieren können und hielten ihn vielleicht für einen anderen Freund oder einfach ein weiteres Straßenkind. "Dachte ich mir, lass sein, man. Wir wollen nicht, dass jemand hier rumklettert." Robert stieg nicht in die Diskussion um die Gangs ein, sondern fragte einfach: "Darf ich in der Möwe die Schneckenbox benutzen?" "Man", sagte der andere. Er schien schimpfen zu wollen, aber der andere beschwichtigte: "Frag halt nach, aber dann hau ab." Robert ging rein und fragte nach. Mit ein paar eingefangenen Widerworten ging er in die Schneckenbox. Yasopp war nicht zu Hause, aber Lou war zu erreichen. Er willigte ein, später ins Whiteout zu kommen und Robert das neue Versteck zu zeigen. Gegen Abend kamen Lou und Robert dort an. "Roter!", rief Yasopp, "das war ja ne Überraschung! Schau, wir haben das Boot seetüchtig. Kennste dich vielleicht mit Antrieben aus? Schau mal..." Robert hörte gar nicht wirklich zu, sondern lachte darüber, wie Lou abfällige Gesten machte, die nahelegten, diese Erläuterungen in letzter Zeit etwas zu oft gehört zu haben. "... und dass hier ist Lous fette Mutter." Auf einmal hörten beide wieder voll zu. "Was ist denn mit dir, ich hab ja zugehört!", fauchte Lou. "Brauchst du gar nicht", feigste Yasopp, "du bist zu dämlich, es zu verstehen." "Eben", sagte Lou. Wenig später ging die Tür auf und Ben kam herein. Er begrüßte Robert freundlich, aber sagte dann ernst: "Was soll das? Eigentlich sollst du nicht herkommen und vor allem nicht an der Möwe rumturnen." "Die Sehnsucht trieb mich", sagte Robert verführerisch. "Ist echt nicht so witzig man, wir kriegen eh Ärger von Fayez dafür." "Geschenkt", winkte der Rote ab. "Wie auch immer man, was macht dein Arm?" "Bestens", erwiderte Robert. Ben nickte.
      Das Boot war bereits fahrtüchtig, sodass die Jungs sich zum Angeln verabredeten. "Drecksregen", fluchte Lou, dem beim Wind die Kippe in eine Pfütze gefallen war. "An Bord ihr Landratten", krächzte Yasopp. Ben und Robert kamen angeschlendert. Das Versteck war eigentlich nur ein kleiner Schuppen an einem Dock in Whiteout, direkt am Ufer. Nicht wo die Leute sich tümmelten, sondern näher zum Hafenviertel, wo eher Seefahrerquatiere waren und Fischer ihre Boote unterstellten. Vom Verschlag aus konnte man das Boot ohne großen Aufwand zu Wasser lassen. Die Jungs saßen auf dem Boot, das noch im Verschlag stand, und warteten, dass der Regen aufhörte. Ben war etwas zerknirscht. Er und vor allem der Rothaarige hatten eine Ansage von Fayez bekommen. Robert lachte diese wie üblich weg. Ben nahm es etwas schwerer und musste sich von den Jungs aufheitern lassen. Wie es in Grand Storm so oft vorkam, klarte sich der Himmel nahezu in Sekunden auf und das Boot wurde zu Wasser gelassen. Lou stemmte eine Kiste Bier mit an Bord, Yasopp Angelzeug. Die Jungs fingen natürlich so gut wie nichts, aber die Freunde hatten eine wunderbare Zeit zusammen auf Meer. Jedenfalls nannte Robert es so, eigentlich waren sie nicht weit vom Ufer weg und hatten die Docks kaum verlassen. Die Stimmung war ausgelassen. Als der Wind stärker wurde und sich der allübliche Sturm in Grand Storm auftürmte, sicherten die Jungs das Boot. Beim Aussteigen trat Lou neben das Boot und seine Füße inklusive Schuhe waren nass. "Zum Kotzen", motzte er. Die Jungs amüsierten sich. Yasopp und Lou nahmen eine Bahn und Robert und Ben latschten durch Whiteground. "Wie vorher, siehst?!", sagte Robert. Ben schnaufte nur. Die beiden gingen von der Promenade zum Strand runter. Dort hatten die Leute Feuer gemacht. Die beiden grillten gefangene Fische. Der eine schmeckte besonders furchtbar, so gaben sie den Rest einem nahezu zahnlosen, betrunkenen Mann.
      Wenige Tage später fischten Yasopp und Robert mit ihrer Konstruktion erneut an den Klippen. Ben kam später dazu. An einem Lagerfeuer unter Klippen legten sie sich hin. Ben wurde von Schreien geweckt und jemand schüttelte ihn an der Schulter. "Die Sharks!" "Verdammt!", rief Ben und schaute sich um. Er war sofort hellwach. "Wo ist der Rote?" Robert war noch sichtlich betrunken. Er kletterte die Felsen hinauf und verhöhnte die Sharks, die wohl nur zufällig vorbei gekommen waren. Es war durchaus üblich, im Whiteout einfach bei Feiern, meist üppigen Umtrunken, dazu zu stoßen. "Dieser Vollidiot", sagte Ben zu sich selbst. Zwei der Sharks folgten Robert. Der eine hatte Probleme, die teilweise scharfkantigen Klippen empor zu klettern oder darauf zu laufen. "Roter, du bist zu besoffen für den Scheiß", rief Ben, wusste aber nicht ob Robert ihn verstand, geschweige denn auf ihn hören würde. Auf einem kleinen Vorsprung holte das Gangmitglied den Roten ein. Unten waren weitere der Whitesharks eingetroffen, sowie auch einige Schaulustige. "Du spielst dich als Held auf!", brüllte der Whiteshark auf dem Felsen, "Verteilst Zeug an die Armen? Springst in die Klinge für deine Dealerfreunde?" Er nahm einen dicken Treibholzstock und schlug nach Robert. Dieser wich aus und lachte. "Du nimmst wirklich überhaupt nichts ernst!", brüllte Benjamin von unten. Robert griff sich einen kleinen Stock und parierte den Whiteshark wie bei einem Schwertkampf. "Lasst gut sein", rief er nun. "Hol ihn dir, Boomer!", rief nun einer der Sharks. "Kommt da runter, bevor einer runterfliegt!", rief ein Mann. "Kloppt euch!", rief ein junger Mann. "Party! Party!", schrie eine abgemagerte, völlig zugedröhnte Frau, die im flachen Wasser unter den Klippen tanzte. "Ich bin eine Hure und stolz darauf", rief eine andere Frau, die nicht wirklich mitzubekommen schien, was dort vor sich ging.
      Robert schlug dem Whiteshark den Stock aus der Hand und schubste ihn um: "Ey, lassen wir das! Wir sind alle nur Kinder von Whiteout!", rief er den Leuten zu und meinte natürlich die Sharks. "Er will schlichten", dachte Ben, "so eine dämliche Solonummer..." "Der Fluch, die Armut, das sind die Probleme. Wir sollten uns nicht untereinander hassen!", rief Robert. Ben schaute seinen Freund an. Es war diese Seite an Robert, die man ihm, wenn man ihn kaum kannte, nie zutrauen würde. Der Whiteshark hinter Robert stand auf, nahm den Knüppel erneut und griff den Roten an. Dieser warf sich zur Seite. Er hatte wohl den Angriff unterschätzt oder zu spät kommen gesehen, aber der Junge verlor den Halt. Er fiel und schlug unten gegen die Felsen. Es waren nur einige Meter, aber das genügte und er klatschte ins Wasser.
      "Das wollte ich nicht...", dachte Robert. "Das wollte ich nicht", sagte er. "Das wollte ich nicht!", schrie Robert nun. Er sprang so schnell er konnte die Klippen herunter, schnitt sich dabei den Fuß auf. Ben und weitere Männer rannten ins Wasser. Zwei hatten den Körper erreicht und zogen ihn ans Land. Robert war unten angekommen und rannte auf die Gruppe zu. "Nein!", rief er. Er sah sehr entsetzt aus. "Boomer!", schrie einer der Whitesharks, ein andere weinte bitterlich, er war sicher noch einige Jahre jünger als Robert und Ben. Ben hielt Robert davon ab, hinzulaufen. "Schluss jetzt", schrie er Robert aus nächster Nähe an, "lass es gut sein." "Das wollte ich nicht, Benj", rief Robert und schubste seinen Freund zur Seite. Ben zimmerte ihm darauf hin eine. "Es reicht, Roter! Er ist tot! Du bist gerade einmal einige Tage wieder zurück, du bedeutest nur Ärger!"

      Kapitel 14: Was überwiegt

      Der Rote saß auf der Veranda von Silverstin. "Was siehste so traurig aus, Shanks?" "Damals im Krieg sind doch viele Leute gestorben oder, Opa?" Robert klang wie ein kleiner Junge. "Das ist immer schwer, ob's Freund oder Feind ist", sagte Silverstin. "Feinde auch?" "Natürlich, im Krieg gibt es nur Opfer, aber manchmal muss man Kämpfen, für etwas Besseres. Da kannste nur hoffen, auf der richtigen Seite zu sein." Robert war heute wortkarger als sonst. "Was ist passiert, Junge?", wollte der Alte wissen. Robert erzählte zögerlich die Geschichte. "Hm", sagte Silverstin, "wichtig ist, dass du da für dich eingestanden bist." Robert wollte etwas antworten, aber Silverstin ergänzte: "Das wichtigste ist, dass du etwas gelernt hast. Den Jungen macht eh nichts wieder lebendig. Dennoch möge er in Frieden ruhen." "Gelernt... ich weiß nicht, Opa", sagte der Rote fast verlegen. "Hach", sagte Silverstin, "deine Feinde wollten deinen Freund töten, haben dich in den Hinterhalt gelockt," Robert nickte. "Die haben euch in Überzahl und bewaffnet unvorbereitet angegriffen." Er gestikulierte lebhaft. "Die haben dich abgestochen!" "Ja...", bestätigte Robert, noch nicht so ganz wissend, auf was der alte Mann hinaus wollte. "Aber du, du hast Frieden angeboten, du hast Verzeihen gepredigt!" Robert nickte. Nun lächelte er. "Dabei wär die Reaktion nachvollziehbar gewesen: Auf die Fresse, jetzt erst Recht!" Dazu gestikulierte Silverstin Faustschläge, während er im Stuhl saß und ihm dabei seine dicke Wolldecke auf den Verandaboden rutschte und er in Unterhose da saß. Nun lachte Robert herzlich.
      Lorette und ihr Mann Graham waren froh, dass Robert nun auf der Farm arbeitete. Fayez hatte für Robert nicht komplett die Tür für eine Zusammenarbeit zugeschlagen und ihn auch nicht mal getadelt oder weitere Konsequenzen angedroht. Allerdings hat er über Dritte verlauten lassen, Robert solle Whiteground wieder - oder eher weiterhin - meiden und sich von seinen Geschäften fernhalten. Robert versuchte, nicht weiter Kontakt aufzunehmen. Er blieb also in Cornerblue.
      Robert richtete sich in seinem Zimmer im Haus der Familie ein. Dort lebten öfter Mägde und Tagelöhner. Robert realisierte nicht einmal, dass es sein erstes "festes Dach über dem Kopf" in Lodea war. Robert stellte sein Glücksschwert neben sein Bett und legte seine Uhr auf den Nachtschrank. Er fütterte die Kühe und lernte zu melken. Besonders Spaß hatte er daran, den Acker zu bearbeiten, indem er bis zur Erschöpfung die Hacke schwang. "Ein tolles Schwert", sagte Silverstin, als er sich Roberts Zimmer ansah, "kannst du damit umgehen?" Ab und an übte er mit Silverstin. Einmal gingen die zwei zusammen Jagen. Robert mochte kein Wildtier erschießen, machte also Zielübungen auf leblose Objekte. Silverstin war unglaublich. Er traf einen Biber von extremer Entfernung. Kaum hatte er den Schuss abgegeben, sagte er: "Keine Sorge, Junge, der kleine Racker ist sofort Geschichte, ich hab ihn am Hinterkopf erwischt." "Warst du im Krieg ein Schütze?", fragte Robert. "Genau, Scharfschütze meiner Einheit", erzähle Silverstin. Abends bereitete Lore den Biber zu. Robert fand es seltsam, aber der Alte nannte es eine Trappermahlzeit und erzählte, dass es sehr üblich sei in der Neuen Welt, Biberfleisch zu essen. Es schmeckte etwas gewöhnungsbedürftig, dachte sich Robert. "Robert", sagte Lore, die die Geschichte aus dem Whiteout auch mitbekommen hatte: "du musst mit deinem Freund reden." Robert antwortete nicht. "Papa, sag doch auch was dazu!" Der Alte kaute genüsslich. "Das wird er, Lore. Sowas müssen Männer regeln. Die müssen auch mal über Gefühle sprechen." Lore nickte. "Und dann wird einer gehoben und alles ist wieder gut, nicht wahr, Robert? Oder, Graham?" Lores Mann winkte nur ab. Robert grinste Silverstin an. "Mach ich, Opa."
      Ben und Robert saßen zusammen an der Stadtmauer. "Schau mal, das ist irgendein Weinzeug, haben die in New Corner." Ben hatte Schnaps aus dem Whiteground dabei. "Schmeckt komisch", sagte Ben, "Ich bleibe wohl Team Bier." "Oder wie Lou, Team Kopfschmerzen", sagte Robert. "Und Team Kotzen", lachte Ben. "Ey Benj, ich wollte nicht, dass das passiert..." Ben griff Robert an die Schulter: "Das weiß ich, man, weiß ich doch." "Es tut mir so Leid, dir Ärger gemacht zu haben, und vor allem für Boomer..." Ben schwieg. "War ein ätzender Kerl", eränzte Robert, "aber das hatte er nicht verdient." Er hob die Flasche, "Ruhe in Frieden!" "Prost!", ergänzte Ben und nahm die Flasche von Robert. Beide schüttelten sich vom bitteren Geschmack. "Entschuldige auch die Fressenpolitur", grinste Ben. "Achwas, das war Klasse, sehr intensiv, aber nächstes Mal gibt's eine zurück." "Gern", sagte Ben.

      Kapitel 15: Wie die Zeit vergeht

      Robert arbeitete auf der Farm, als er ein Mädchen vom Stadtrand aus barfuß in Richtung des Waldes verlassen sah. Er wunderte sich, lief zum Zaun und winkte. Sie winkte zurück, als sie ihn bemerkte, lief dann weiter und verschwand im Wald. "Seltsam", dachte sich der Rote. Er erzählte von dem Vorfall. "Opa, ich hab ein Mädchen in den Wald laufen sehen." "Hmhm...", grummelte Silverstin. Der alte Kerl war heute nicht bei der Sache. "Hast du die Geister im Wald gesehen?" Robert schaute Silverstin ein wenig verwundert an, aber schob es aufs Alter. "Die Geister leben in den Steinen, kennst du sie schon?" Robert schüttelte den Kopf. "Du kommst doch aus... äh, Cliffort..." Robert sagte nichts dazu. "Nicht Cliffort...", er überlegte. "Ich war in Cliffort stationiert damals. In Cliffort ist der große Militärhafen." "Wann war das, Opa?", fragte Robert. Aber Silverstin ging nicht darauf ein. "Swansea", sagte der Rote dann, als Silverstin wieder den Faden verloren zu haben schien. "Da komm ich her." "Achja, das war es. Warst du gern am großen Schwanensee?" "Klar", sagte Robert. "Warste denn schonmal am Militärhafen in Cliffort?" "Ne, noch nie", sagte Robert. Cliffort lag ebenfalls westlich von Lodea, aber an der südlichen Küste, wie auch Lodea. Von dort aus wurde der Northblue und der Eastblue befahren. Dies machte Grand Storm zu einer Macht auf den Meeren der Welt. "Die Geister der Vergangenheit leben im Westen Grand Storms. Ich habe sie aber auch in der Neuen Welt gesehen." Robert wurde traurig und dachte an seinen eigenen Großvater, der ähnliche Dinge berichtete. Aber Robert zog nicht in Erwägung, dass etwas dran sein müsste, sondern sah die Verbindung im Alter und der fortschreitenden Verwirrtheit der beiden Männer. Sowieso verband er seinen eigenen Großvater viel mit Sevras Silverstin. Vielleicht verstanden sich die beiden deswegen so gut. "Kennst du das Mädchen, das ich gesehen habe, Opa?", fragte Robert, um nochmal darauf zu sprechen zu kommen. "Hm, das Mädchen aus dem Wald? Nein..." Er überlegte kurz. "Hatte es vielleicht grüne Haare und sah ulkig gekleidet aus?" Robert horchte auf. "Ja, genau, hast du sie auch gesehen?" "Ja, vor Jahrzehnten hab ich sie zuletzt gesehen." Der Rote dachte sich wieder seinen Teil. Dass Silverstin ein nun maximal 18 jähriges Mädchen vor Jahrzehnten durch den Wald laufen sah, war schlichtweg unmöglich. "Sie ist eine von denen, die mit den Tieren des Waldes leben. Sie sind die Wächter dieser Wälder..." "Mehrere?", zwar verstand Robert nicht so recht, aber er war sehr interressiert daran. "Wenn du mehr darüber wissen willst, such doch nach den leuchtenden Bäumen." Robert dachte sich nun, dass der alte Herr wirklich langsam verrückt wurde. "Wenn dir alles zu viel wird, Shanks, wenn du den Frieden und dich selber finden willst, such danach." Er sprach in Rätseln. Robert schaute Silverstin an, der Richtung des Waldes schaute. Er spürte eine Art kribbeln. Auf einmal hatte er nicht mehr das Gefühl, der alte Mann würde Quatsch erzählen oder gar verrückt werden. Seine Augen schienen zu leuchten. Die Luft schien zu flackern. Robert wischte sich die Augen. Er begann zu schwitzen. "Mir ist nicht so gut, Opa, ich glaube, ich muss mich nun hinlegen..." "Sauft nicht wieder so viel, ihr beiden", sagte Lorette, die gerade auf den Hof zurück gekommen war und die beiden auf der Veranda antraf. Robert lief zu seinem Zimmer und schaute zum Wald. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte er, das komische Mädchen am Waldrand gesehen zu haben. Er schaute nochmal hin. Er meinte, er sehe etwas im Augenwinkel. "Man", dachte Robert, "wasn heute los, ich hab nichtmal gesoffen oder Sumpfkraut geraucht, ich sollte mal pennen."
      Der Rote mochte die Arbeit auf dem Hof. Er mochte Tiere und er genoss es, in der Natur zu sein - mehr als dachte. Zwar suchte er früher schon den Wald zum Schutz auf, wo er sein Lager aufschlug, aber er war doch meist in Lodea unterwegs. Silverstins Hof erinnerte ihn vielleicht an seine frühe Kindheit. "Hey Opa, warum nennst du mich eigentlich manchmal Shanks?", fragte Robert. Aber Silverstin schien das nicht so Recht erklären zu können. "Du weißt doch wie es ist. Auf einem Schiff muss man vertrauen können!" "Klar", bestätigte er." "Und man weiß irgendwann, wem man vertrauen kann. Dem Shanks kannste vertrauen. Aber wem du nicht vertrauen kannst, den nimm am besten gar nicht mit!" Er kam mit dem Gesicht nach vorn, als wolle er Robert hier eine wichtige Lektion erläutern. Silverstin schien manchmal wirklich schlechtere Tage zu haben. Zwar war er meist nett zu Robert, aber er wirkte verwirrter. Lore hatte seine Unterhaltung mit ihrem Vater gehört. Als Robert im Haus stand, sagte sie: "Komm mal mit Robert, schau hier." Auf einer Kommode stand ein altes Foto in einem Rahmen. "Das ist Vaters frühere Einheit. Hier ist er, dies ist Goldrance.." "Achwas, der von drüben? Mit der Knarre?" "Genau der", antwortete Lore. "Diese beiden weiß ich gar nicht, nur dass der eine wohl auch früher noch in Lodea lebte. Der Fischmensch ist Joe. Der ist früh schon verstorben . Und der letzte, der in der Mitte, ist Shanks." Robert sah genau hin. "Ich verstehe", sagte er. "Meinst du, dass er mich manchmal mit ihm verwechselt oder sowas?" "Ja, oder dass du ihn an den Kammeraden erinnerst." "Und, schau mal", sagte Lorette und gab Robert ein Bild von Silverstin in die Hand, das nicht so alt war. "Das ist Sevras Silverstin mit mir auf dem Arm, das ist meine große Schwester Christin, das dort unsere Mutter Caroline." "Wow", sagte Robert und schaute Lore an. "Was ist denn?", fragte sie. "Opa Silverstin hatte so blaue Haare wie du, als er jung war." "Ach das", sagte Lorette lächenlnd, "ja, man hat immer sofort gesehen, dass er mein Papa ist. Und schau, Chrissi, meine große Schwester hat schwarze Haare, wie unsere Mutter." "Verrückt", sagte der Rote. "Solche Haare hab ich noch nie gesehen." "Ich auch nicht solche wie deine, das ist ja mehr als rot." Beide lachten.
      Robert fuhr gerade mit der vollbeladenen Schubkarre zu den Kühen. "Hallo, ihr Hübschen!", rief er. "Robert", rief ihn Graham, "Komm mal her!" Robert hörte eine gewisse Ernsthaftigkeit in der Stimme sofort. Er rannte herbei. "Ist was mit Opa?", fragte der Rote sofort. "Nein nein, ihm geht's gut. Es ist jemand für dich in der Schneckenbox. Er sagte, es ist wirklich wichtig.." "Oh", sagte Robert, eher erleichtert, denn er wusste, das Silverstin nicht mehr der jüngste wahr und es ihm zuletzt nicht so gut zu gehen schien. "Wer ist es?" "Yasper von Syropp?", sagte er fragend. "Klar", sagte Robert, die Schnecke in der Hand. "Ey, mein Freund, was los?", rief Robert freudig in die Schnecke. "Ey Roter. Komm so schnell du kannst ins Whiteout!" "Was?", fragte Robert verdutzt. Kein Gelaber, keine Witzelein, so kannte er seinen Freund nicht. "Ey Yasper, wasn passiert man?" "Siehst du dann, komm einfach her. Renn dich nun nicht tot, aber komm hin. Ich mach mich nun auch aufn Weg, bin noch bei meinen Eltern in Reddin." "Okay, sicher man. Graham, es tut mir Leid, kannst du weiter füttern? Ich muss los. Es ist was mit meinen Freuden..." "Okay, natürlich, Kleiner", sagte Graham verständnisvoll, der wusste, dass Robert sich nicht einfach drücken wollen würde. Lorette kam auch herbei und fragte: "Aber wo willst du denn hin, Robert?" "Whiteout", rief er und lief los. Lore wurde bleich. Graham kratze sich am Kopf. "Pass bitte auf dich auf!", rief Lore ihm hinterher. Der Rothaarige winkte, ohne sich umzudrehen.
      Robert kam im Whiteout an, es war erstaunlich ruhig. Ein Typ lief auf Robert zu und fragte ihn nach Essen. Ein weiterer übergab sich gerade an der Promenade. Am Strand war eine große Versammlung. Robert lief langsam durch die Mengen. Leute schrien und weinten. "Nicht schon wieder", rief eine junge Frau. "Gott erbarme dich uns", rief eine andere. "Ey, was ist hier los?", fragte Robert in die Runde. "Der Tod..", sagte ein völlig zugedröhnter Mann. "Der Fluch...", sagte eine alte Frau. Robert sah ein paar Straßenkinder. "Leute, ey", Robert lief auf sie zu. "Was ist hier los?" "Du weißt es nicht?" "Ey, das ist der Rote", sagte ein anderer. "Komm mit man", sagte ein Junge. Er folge dem Jungen weiter Richtung Strand. "Kennst du Ben?", fragte Robert, "Weißt du, wo er ist?" "Komm einfach." Direkt am Wasser standen die Menschen dicht an dicht. Ein Mädchen, das er vom Sehen kannte, kam auf Robert zu: "Hallo, Roter. Danke, dass du kommen konntest." Einer von Fayez Leuten legte Robert die Hand auf die Schulter. Er war schon einige Jahre älter als Robert und die Jungs. Er war ein ehemaliges Straßenkind. Er hatte Tränen in den Augen. "Herrgott, was ist denn mit euch?", fragte Robert. Die anderen ließen ihn nach vorne durch. Am Strand aufgebettet und mit verkreuzten Armen lag ein Straßenkind: ein Mädchen, wahrscheinlich keine 12 jahre alt. Ein Mädchen mit kurzen schwarzen Haaren. "Ich kenne sie...", sagte Robert. Sie war ein sehr bekanntes Straßenmädchen im Whiteground. Robert ging auf sie zu. Ihre Kehle war aufgeschnitten. Sie hatte furchtbare Wunden und war noch nicht lange tot. "Wir haben sie heute morgen gefunden. Als sie nachts nicht an der Stadtmauer war, haben wir uns gewundert...", erklärte ein weiterer Bekannter von Robert. Robert starrte auf das Mädchen. Er war wütend. Wieder kam diese Seite in ihm hervor. "Ey", rief er zwei Seeleuten zu, die auch dicht bei den versammelten Straßenkindern standen, "ihr beiden, kommt her!" Die beiden schauten nur. Es wurde stiller rundherum. "Glotzt nicht, kommt her, hebt mich hoch, ich will mit den Leuten reden!" "Tut was er sagt!", hörte man eine Stimme aus den Reihen. Es war Ben. Er schaute Robert an und nickte ihm zu. Die beiden Seebären nahmen Robert. Dieser stellte sich auf ihre Schultern. Die Leute schauten Robert an. Robert blickte auf die Menschenmasse. "Whiteout", brüllte er, "warum?" Er hielt ein paar Sekunden inne. "Warum wurde dieses Kind ermordet?" Ein paar Leute riefen etwas über den Fluch und das Schicksal. "Das ist Aberglaube!", brüllte der Rote. "Das ist kein Fluch! Habt ihr euch das Mädchen angeschaut? Das sind Schnitte, das war ein Messer. Wer benutzt Messer? Ein Mensch!" Raunen und Wortfetzten drangen durcheinander. "Es gibt hier einen Menschen, der durch Whiteout läuft und Kinder, Alte, Obdachlose aufschneidet!" "Ich hab das Mädchen noch gehört", rief eine Frau, "ich hörte sie, aber sah sie nicht." "Ich auch", rief ein Straßenkind, sie stand nur weniger Meter von mir und auf einmal war sie weg!" "Ich hab sie schreien gehört!", rief eine schluchzende Stimme. "Da war nur Nebel und dann war sie weg!" "Es muss ein Geist sein!" Robert sah, dass sich einige Stadtwachen durch die Menge begaben. "Schluss hier!", hörte man diese rufen. "Verschwindet hier!" Sie versuchten die Menge aufzulösen. "Warum lassen die Stadtwachen das zu?", schrie Robert, "Warum darf jemand Kinder töten, ohne dass eine Wache das Whiteout betritt?" "Ruhe, komm da runter", die Wache bahnte sich den Weg zu Robert. "Wieso sterben hier die Menschen? Warum leben sie im Dreck? Warum darf man sie fangen und töten?" Die Wachen zogen Robert von den Männern weg. Er rollte sich auf dem Boden ab. Beim Wegrennen rief er: "Interessiert es irgendwen, der was zu sagen hat, dass hier Menschen sterben und leiden?" "Packt ihn euch!", rief einer der Wachleute. "Er hat doch Recht!", fingen nun die Leute an zu rufen, "Wo seid ihr, wenn hier was passiert?", "Wo ist die Stadtwache, wenn hier Kinder sterben?", "Was machen die Politiker?", "Interessiert die Königin das?"
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      So, neue Woche, weiter geht's. 4 weitere Kapitel. Der Plan ist wieder nächste Woche weitere. Dann geht's zurück nach Lodea für unseren Protagonisten!

      Kapitel 16: Die Kinder der Natur

      Robert saß auf dem Dach der Scheune auf dem Silverstin-Hof. Er rauchte Zigaretten mit Tabak, der angeblich nur in der Neuen Welt angebaut wurde. Vom Gehalt vom Hof hatte er sich ein paar ausgewählte Spirituosen gekauft, die er nun einige Tage in Folge zur Verköstigung nutzte. Er schaute auf den Wald. Er schluckte noch einen Schluck Kräuterlikör mit irgendwelchen Kräutern aus dem Süden Romanikas. Schmeckte trotzdem wie Medizin, Robert spuckte das Zeug aus, trat die Kippe auf dem Dach aus und schleuderte die Pulle weg. "Scheiß drauf", sagte er zu sich selbst. Er sprang vom Dach. "Wo ist Sevras?", fragte er. "Er schläft drinnen", sagte Lore. "Robert, dir geht es nicht gut, oder?" "Ich will kurz mit Opa reden", sagte er und ging ins Zimmer. Silverstin lag in seinem Bett. Über dem Bett hing ein Säbel. Er hatte Bilder und uralt aussehende Schiffsmodelle aus Holz in seinem Schlafzimmer stehen. "Opa", sagte der Rote leise. "Shanks...", antwortete Silverstin. "Wo ist denn meine Flinte verdammt?", fragte Silverstin und richtete sich ein Stück auf. "Weiß nicht, hör mal..." "Früher hab ich damit praktisch im Arm geschlafen, kannst nie wissen..." "Opa, ich wollte mich..." "Du willst die Bäume suchen?" Robert schaute ihn an, da war es wieder, der alte Silverstin schien zu wissen, was los war, was Robert machen wollte, was passieren würde. Er hatte Robert eine Option in den Kopf gesetzt, einen Ratschlag, noch bevor Robert ihn benötigte. Er wusste nicht, wie Silverstin das machte, aber er folgte ihm. "Geh nach Westen, an der Küste entlang, Richtung Westen." Es gab noch mehr Erklärungen dazu. Aus irgendeinem Grund schien der Opa zu wissen, wo dieser Ort sein ist. Wie vor Augen hatte Robert den Teil einer Bucht, Klippen und Waldstücke. "Vielen Dank, wir sehen uns bald wieder, Opa." "Natürlich", sagte Silverstin, "aber ich denke, wenn's wieder Krieg gibt, könnten die mich brauchen, also weiß man nie, ob man nochmal raus muss..." Robert verabschiedete sich von Graham und Lorette, nahm sein Glücksschwert und einige Sachen und kletterte durch den Zaun der Kuhweide. Er herzte ein paar seiner anvertrauten Kühe und kletterte an der anderen Seite wieder hinaus Richtung Wald, südwestlich zur Küste. "Das wird sicher nicht so einfach", dachte sich Robert. Es war bereits herbstlich in Grand Storm. Es wurde gerade Nacht und damit kalt. Sturm und Regen gab es bekanntermaßen eh öfter. Irgendwie war Robert froh, aus Lodea raus zu sein.
      "Du hast es bis hier her geschafft?", fragte eine Stimme hinter Robert. Er drehte sich um und erkannte das Mädchen. "Dich hab ich an der Farm gesehen", erwiderte der Rote. Er war entkräftet, müde und sehr hungrig. "Ja, das war ich", sagte sie. Sie war ein paar Jahre älter als Robert, sie hatte helle, aber von der Sonne gebräunte Haut, war sehr schlank und circa gleich groß wie Robert. Sie trug seltsame Kleidung, die auch der Jahreszeit und Witterung entsprechend sehr dünn war. Besonders auffällig war, dass sie barfuß lief. Ebenso ihre Haare, sie waren seltsam grün. Aber nicht unansehnlich. Sie hatte ein spezielles Gesicht, eine hohe Stirn und buschige Augenbrauen. Sie war aber alles andere als hässlich. Umso mehr verwunderlich, da sie, wie Robert nun erfahren sollte, im Wald lebte und ihn so gut wie nie verließ. "Wie hast du hier her gefunden?", fragte sie. "Mein Opa, Silverstin, er hat mir vom Wald erzählt..." Die junge Frau schaute ihn kritisch an. "Ich dachte erst, er sei wohl etwas verwirrt. Manchmal trinkt er einen zu viel." Er schaute das Mädchen prüfend an. "Naja, und er erzählte mir was von Geistern und leuchtenden Bäumen. Und auch, wie ich diese finden kann..." "Ich verstehe. Komm, iss erstmal etwas, du musst hungrig sein." Robert ging neben ihr her. "Und ich dachte, ich muss raus aus der Stadt, verdammtes Whiteout." "Dann bist du hier richtig, gut gemacht." Ihre Ausdrucksweise war ebenfalls eigenwillig. "Mein Name ist übrigens Havoc", sagte sie. "Ernsthaft?", ließ Robert seinen Lippen freien Lauf. Sie schaute wieder etwas kritisch. "Cooler Name!", ergänzte der Rote, "Ich bin Robert!"
      Robert bekam in einer kleinen Lagerstätte von Havoc Vorräte zu essen. Es war seltsame Nahrung, wie er sie noch nie gegessen hatte. Aber er war zu hungrig und beschäftigt, sie reinzuschaufeln, um darüber nachzudenken. "Du lebst echt in diesem Wald?", fragte er. "Ich reise herum, durch den Süden Grand Storms." "Warum?" "Es ist meine Aufgabe, eine Pflicht." Robert schaute sie fragend an. Ich bin die Beschützein der Bäume, seit Generationen liegt diese Aufgabe in Grand Storm in der Familie." Robert verstand natürlich nicht, was sie damit sagen mochte. "Ich möchte, dass du mich begleitest. Ich werde dir zeigen, wie man im Wald überlebt." Robert nickte: "Okay, danke." Er wusste nicht so recht, was er hier eigentlich vor hatte. "Bevor ich dir mehr erzähle über die Bäume und die Geschichte dieser Wälder, muss ich dir jemanden vorstellen." "Okay, lebt hier noch jemand im Wald?" "Nein, nicht hier, wir werden dorthin reisen. Es wird ein paar Tage dauern."
      "Hier können wir rasten", sagte Havoc, "Du musst müde sein." Robert stand an einem kleinen Bach und reckte sich. Er zündete sich eine Zigaerette an, aber Havoc tadelte ihn sofort. "Lass diesen Dreck aus dem Hals. Er macht die Menschen krank. Man sollte nichts tun, was einen krank macht." Robert hörte auf sie. "Menschen betäuben ihre Sinne mit Brandwein oder Sumpfkraut." "Ist doch auch irgendwie Natur", entgegnete der Rote. "Natürlich, aber sie nutzen es falsch. Seine Sinne zu erweitern ist etwas Gutes. Seine Leistungsfähigkeit auf etwas bestimmtes zu richten, braucht Übung, kein Gift. Ein Künstler, der glaubt, Sumpfkraut zu benötigen, um zu malen, sollte es mit meiner Technik versuchen. Es funktioniert besser und macht nicht krank." "Aha", sagte Robert und dachte sich seinen Teil. Zum Abend wurde es wirklich kalt. Robert legte sich möglichst geschützt vor Wind und Regen ab. Havoc lag einfach im nassen Gras. Er war ja nicht gerade zart besaitet und kannte es, draußen zu schlafen. Aber seine Begleiterin war ein anderes Level. Er bibberte, doch Havoc schien Kälte rein gar nichts auszumachen. Sie schlüpfte unter die dünne Decke, die über Robert gelegt war. "Was machst du?", flüsterte Robert. Er konnte sie aufgrund der stockdunkeln Nacht nicht sehen, aber er roch ihre langen Haare. Ihre Haut war weich. Sein Herz klopfte. So nah war er noch nicht mal Mai gekommen. Er hatte zwar schonmal mit anderen Straßenkindern Küssen geübt, aber das war nun doch anders. Er berührte ihre Haut, rollte sich auf sie drauf und legte seine Lippen auf ihre. Aber dann ließ er es schlagartig doch wieder. "Wärm dich ruhig", sagte Havoc. "Nein", sagte Robert beschämt. "Ich weiß, warum du das nicht machen wolltest", sagte sie. "Weißt du nicht", antworte er. "Doch. Du hast ein anderes Mädchen im Kopf. Und weil du ein gutes Herz hast, kannst du mich nicht küssen." Sie hatte ihn ertappt. Havoc war nur ein wenig älter als er, aber sie war definitiv zu klug für ihn.
      Die beiden kamen an einem Dorf an, das sehr abgelegen war. Es bestand aus kleinen Höfen mit Gärten. Die Straßen waren spärlich ausgebaut und nicht gepflastert. Ein Hund kam mit wedelndem Schwanz auf sie zu. Ein weiterer am Nachbarshof kläffte nur. Es gab nur wenige Häuser, aber ein zugewachsenes, das wohl kleinste des Dorfes, gehörte Havocs Großmutter. Die alte Frau nahm Roberts Hand und schaute ihn minutenlang an. Sie kam sehr dicht heran, denn sie war schon sehr alt und kurzsichtig. "Wunderbar", sagte die Großmutter. "Hast du etwas gesehen, Großmutter?" "Mechlin, mein Kind, du hast den Richtigen zu mir gebracht." Havoc schaute ihre Großmutter an. "Du hast meinen Segen." "Alles?", fragte Havoc. "Ja, alles, Mechlin." Robert verstand natürlich nicht, was hier vor sich ging. "Mein Junge, wie ist dein Name?", fragte die alte Frau. "Robert Kenway." Sie streichelte über seine Wange, Robert war ein wenig verlegen, aber diese Waldmenschen waren wohl einfach etwas eigenwillig, dachte er sich. "Robert, ich hab deine Zukunft angeschaut. Ich werde dir nun etwas mitgeben." Robert nickte nur. "Gerechtigkeit und Gnade. Dein Einsatz für andere Menschen bringt dich in die Neue Welt." Der Rote wiederholte die Worte leise. Zweimal sagte er sie für sich auf. "Ich bin nun sehr müde", sagte die alte Frau, "Ich muss mich nun hinlegen, Kinder." Sie stand auf, ging zu ihrem Bett und legte sich ab. Sie war so alt, dass sie es wie in Zeitlupe zu tun schien. Die jungen Leuten gingen hinaus und schauten sich ein wenig im Dorf um. Dann gingen sie wieder zurück in den Wald. "Meine Großmutter ist seit Jahrzehnten für die Leute sowas wie eine Heilige. Sie kann die Zukunft von Menschen sehen und sie mit ihren Ratschlägen leiten."

      Kapitel 17: Erwecken

      "So etwas, wie sie macht und was ich gespürt habe, als sie mich berührt hat, das hatte ich vorher schon einmal...", sagte der Rote. "Achso?", fragte Havoc. "Ja, bei Silverstin. Ich dachte, er sei einfach verwirrt. Und mir war komisch. Ich hatte aber gar nicht gesoffen. Ich konnte es mir nicht erklären. Aber dann dachte ich, dass es Silverstin gewesen sein müsste..." "Da hast du sicher Recht, Robert", bestätigte Havoc. "Ach echt?" Nun war er doch überrascht, dass Havoc dies sofort bestätigte und nicht in Zweifel ziehen würde. "Es ist eine Kraft, die für viele unsichtbar ist", begann sie. Robert bekam große Augen. "Es hatte im Laufe der Geschichte unserer Welt viele Namen...", begann Havoc, "es wurde Magie genannt, Aura, Kraft der Götter oder auch Haki..." Robert war fasziniert. "Meine Großmutter sagte, ich soll dir davon berichten, also hör zu, eine Einführung." "Okay, Frau Lehrerin." "Es gibt 3 Grundformen. Observatorium, Aegis und Imperator." "Das kann ich mir nicht merken", ächzte der Rote. "Man, hör doch einfach zu! Außerdem sind Namen unwichtig: Observatiorium bedeutet, dass deine Wahrnehmung geschärft wird. Aegis bedeutet soviel wie Abhärtung. Imperator ist besonders, diese Kraft ist vielleicht mit Charisma zu übersetzen." Robert nickte und versuchte alles zu verstehen. Dennoch war klar, dass es eine Zeit dauern würde. "Du hast mich doch gesehen, als ich auf der Farm war und Silverstin ebenfalls?" "Ja, genau. Aber Silverstin meinte, es sei ewig her." "Silverstin sieht die Geister der Vergangenheit." Der Rote schaute ein wenig skeptisch. Er hatte bei Silverstin ja schon öfter auf dessen verfallenden Verstand verwiesen. "Schau Robert, alles was wir tun und was je passiert ist, ist mit der Materie um uns herum verwoben. Wenn man einen Ort mit anderen Augen sieht, sieht man auch dessen Vergangenheit. Ich werde es dir beibringen."
      "Was hast du gesehen, Robert?", fragte Havoc. "Hm, ich kann es schwer erklären." "Versuch's!". "Manchmal, als würde im Augenwinkel etwas erscheinen, aber wenn man es ansieht, ist es doch nicht da. Oder nicht mehr." Havoc nickte. "Wenn ich es sehe, dann ist es nicht, wie wenn ich ein Tier sehe." Er zeigte auf ein paar Rehe, die aufmerksam beobachteten, was die beiden menschlichen Eindringlinge taten. "Es ist, als würden Teile des Rehs, in dem Beispiel nehmen wir ein Reh..." "Hab ich schon verstanden, erzähl weiter." "Es ist, als würde ein Teil des Rehs an der Stelle bleiben, aber gleichzeitig bewegt es sich weiter." Die beiden gingen eine Lichtung entlang. "Es ist wie Licht, das aus dem Dunkeln herausscheint, nur dass es genauso im Hellen funktioniert." Dies bestätigte Havoc.
      "Aegis bedeutet nichts anderes, als dass du eine Barriere bildest. Weniger tritt ein, aber auch weniger tritt aus?" "Aus was austreten?" "Was?" "Ja, genau. Was?" "Man, Robert", nun musste Havoc aber doch lachen. "Es bedeutet, dass zum Beispiel weniger Kälte in deinen Körper eintritt, aber auch mehr Energie, in Form von Wärme oder von Kraft gehalten wird. Menschen verlieren ihre Energie einfach so. Wenn du lernst, dies zu reduzieren, benötigst du weniger Essen, weniger Wärme oder weniger Schlaf."
      Die beiden übten auf ihrer Reise durch die Wälder weiter. Sie kamen an einer Lichtung an. "Nutz das Observatorium", bat Havoc. "Robert versuchte es, sah aber erst nichts. Doch nach wenigen Minuten: "Meine Güte", sagte er, "ach du Scheiße." Havoc schaute ihn skeptisch an. Wahrscheinlich weger seiner Wortwahl. "Wie schön", sagte er nun. Das wollte sie wohl hören. "Der Baum leuchtet und er kann reden." "Nicht wahr?", strahlte Havoc. "Was ist das für ein Baum?" "Daran reift eine Teufelsfrucht." "Wie bitte?" Es war in letzter Zeit wohl etwas zu viel verwirrendes Zeug für seinen Kopf. "Teufelsfrüchte sind die vierte Kraft. Auch Incubus genannt. Sie sind die gefürchtetste Kraft. Sie gilt als unberechenbar. Wenn man eine Teufelsfrucht isst, bevor sie reif wird, kann das böse Folgen haben. Wenn man zu viel von ihnen isst ebenfalls. Dazu sind Teufelskräfte individueller als die anderen Kräfte." "Wie meinst du das?" "Naja, wenn du dein Observatorium einsetzt, siehst du, je nachdem wie gut du darin bist, genau das, was ich sehe. Wenn wir beide Aegis nutzen, frieren wir beide weniger beim Eisbaden. Aber eine Teufelskraft ist so einzigartig wie die Menschen selbst."

      Kapitel 18: Geister

      Die beiden waren an einer freien Ebene angekommen. Diese war eine der bekanntesten Stätten mit Steinmonumenten in Grand Storm. "Die verdammten Steinkreise", sagte Robert. "Mein Großvater und meine Eltern waren von den Dingern besessen. Mein Großvater war im Krieg in der Neuen Welt, dort hat er wohl Dinge gesehen oder gehört, von einem Schatz." "Was sollte das für ein Schatz sein? Hat er das erwähnt?", fragte Havoc. "Naja, er sagte, er sei wertvoller als Gold und Diamanten. Und es hatte wohl angeblich irgendwas mit diesen Steinviechern zu tun." Robert zuckte die Schultern: "Aber was der Schatz sein soll, weiß ich auch nicht. Hatter nie gesagt. Fragen können wa ihn nicht mehr. Er liegt auf dem Friedhof in Swanlake." "Vielleicht doch. Hat er sicher Spuren hinterlassen", überlegte Havoc, "sagtest du nicht, deine Mutter hat im Haus Geister gesehen?" Robert nickte. "Vielleicht hat sie das Observatorium benutzt..." "Naja, sie ist verrückt gewesen." "Das eine schließt das andere nicht aus, Robert. Vielleicht konnte sie es nicht kontrolliert nutzen oder nicht ausschalten." Robert wusste nicht so recht, ob er das glauben sollte. "Willst du diese Tür aufstoßen?", fragte sie ihn. "Okay, aber meinst du, mein Observatorium ist gut genug?" "Wir werden sehen", erwiderte sie, "wir beginnen am Anfang." "Okay", antwortete Robert, "und wo soll das sein?" "Was denkst du, wo es sein könnte?" "In der Neuen Welt?" "Nun, es wird wohl etwas schwer, dorthin zu kommen", sagte Havoc und musste ein wenig lachen. "Richtig. Dann... wo ich gewohnt habe?" "Hm", überlegte Havoc, "dort hat auch dein Großvater gewohnt?" "Und mein Eltern", antwortete der Rote. "Das Haus steht noch, soweit ich's weiß." "Ernsthaft?", fragte Havoc, "Wo ist es?" "In Swanlake, am Stadtrand." "Los geht's!", rief Havoc bestimmt.
      "Wie weit ist es bis Swanlake", fragte Robert. "Von hier weiß ich es nicht genau. Und wenn, dann kann ich es dir nur in Laufzeit nennen." "Aber du findest hin?" "Natürlich, ich bin mein ganzes Leben in diesen Wäldern hier gewesen. Keiner kennt sie so gut, wie ich und natürlich meine Familie." "Hm, du gehst echt immer zu Fuß?", feigste Robert, "du weißt schon, dass eine Eisenbahn zwischen Lodea und Swanlake fährt?" "Immer zu Fuß, ich hab noch nie eine Bahn bestiegen." Robert kicherte manchmal über Havocs eigenartige Wortwahl, die so anders war, wie die der Kinder im Whiteground, obwohl sie nur ein paar Jahre älter war als er und viele, die er kannte. "Wie groß sind die Wälder denn?", fragte Robert. Eine naive Frage. "Wie soll ich das beantworten, Robert?", fragte sie. "Naja, Lodea ist groß...", begann Robert. "Ja, eine große Stadt. Viel Fläche, aber auch teilweise dicht besiedelt. Aber die Wälder im Süden Grand Storms sind viel größer. Wahrschein wie hunderte Lodeas." "Wenn du's sagst", sagte der Rote und merkte, dass Havoc ihn ein wenig sauer anschaute, als hätte er ihr ihre Expertise abgesprochen, obwohl er das gar nicht vorgehabt hatte. "Ein paar Tage werden wir brauchen", ergänzte sie.
      Die Zeit im Wald war so anders im Gegensatz zum Trubel in Lodea. Robert dachte auch noch Monaten im Wald noch öfter an Lodea und natürlich seine Freunde dort. "Es gibt wieder einen Sturm, es wird sehr kalt, wir werden in Swanlake einen Mantel und Decken besorgen." Sie sah, dass Robert bereits sehr froh war. "Dein Aegis reicht noch nicht aus, aber es ist ein gutes Training."
      Als die beiden in Swanlake ankamen, war Robert sehr komisch zu Mute. Er war, seitdem er vor Jahren nach Lodea gekommen war, nie wieder hier gewesen. "Wie ist es?", fragte Havoc ihn. Er schaute sich nur um. "Wie geht es dir nun?" "Mir ist kalt", antwortete er. "Schon klar, ich meinte eher mit deinen Gefühlen konfrontiert zu sein", versuchte sie eine Antwort aus ihm zu locken. Sie gingen weiter, die Straßen waren schön, aus dickem Kopfstein gepflastert. Durch die Lage am großen See hatte die Stadt den Charme eines Fischerdorfes gepaart mit Stadt. Aber wenn man Lodea kannte, dann war es sicher eher einem Dorf ähnlich. Viel ruhiger. Die Bauwerke und Straßen und die Kleidung der Menschen wirkten älter. "Ist nicht schön, fühlt sich nicht gut an, Havoc", sagte Robert nun. "Erinnerungen?" "Hier lang", sagte er. Eine ruhige Straße ging in einen Weg über, der zu einem bewaldeten Garten führte. "Cubric Manor?", las Havoc vor. Das stand auf einer Tafel am Eisentor. Man sah durch das Tor einen Weg durch eine ehemalige Gartenanlage, die aber natürlich vollkommen verwildert war, einen alter Springbrunnen in einem runden Teich und schließlich den Eingang des Hauses, mit einem Balkon überdacht. Die vier Ecken des Hausen waren turmartig erhöht und standen ein wenig heraus. Das Haus war zweistöckig. Es war typisch rötlich mit einem ebenfalls rotbraunen Dach.
      "Das ist es"?", fragte Havoc. Robert nickte und schien in Erinnerungen zu sein. "Ist echt schön. Deine Eltern sind verstorben, richtig?" "Naja, mein Vater ist in der Neuen Welt verschollen... aber ja", antwortete Robert. "Wem gehört es dann heute?" "Es gehört mir", sagte er. Havoc schaute überrascht. "Du bist also das einzige Straßenkind in Lodea, das ein gigantisches Haus besitzt?" Das fand Robert zwar witzig, ihm war allerdings nicht zum Lachen zu Mute.
      Die beiden liefen durch den verwilderten Garten. Die Haupttür war verschlossen und Robert wusste nicht, wo der Schlüssel war oder ob er noch existierte. Er kletterte auf den Balkon über der Eingangstür. Die alten Eisenstreben knarrten. Er kletterte auf eine der Fensterbänke und drückte mit einigem Kraftaufwand das alte Fenster auf. "Geht es? Kommst du?", fragte er. Aber er kannte ja bereits Havocs Geschicklichkeit. Sie kletterte sehr gekonnt durch Bäume und auch dies war kein Problem für sie. Die beiden hüpften in das Zimmer hinein.
      "Los geht's, Robert. Was ist das für ein Zimmer?" Der Rote antwortete ihr nicht auf die Frage, er schaute sich einige Minuten um. "Dort", sagte er und ging aus dem Raum heraus. Havoc folgte ihm. "Was siehst du?" "Einen Geist, wie du gesagt hast." "Solche wie ihm Wald?" "Ja, genau." "Das sind Erinnerungen", erklärte Havoc, "sie sind an diesen Ort gebunden." "Der Junge will uns etwas zeigen", sagte Havoc, "Folge ihm, konzentriere dich auf den Weg, den er nimmt. Er führt uns." "Dort war mein Kinderzimmer", sagte Robert. Der geisterhafte Junge versteckte sich in seinem Kinderzimmer hinter der Tür, sodass er in den großen Flur sehen konnte, von dem die Türen im ersten Stock abgingen. "Bist du der Junge?", fragte Havoc. "Ja, aber ich erinnere mich an diese Situation nicht." "Schau, wie klein du bist..." In dem Moment kam jemand die Treppe herauf. Die geisterhafte Silhouette eines alten Mannes. Er lief auf einen Eckraum zu. Der kleine Robert schaute seinem Großvater nach. Dieser öffnete den Raum in der Ecke und verschwand darin. Das Kind lief ihm nach. Robert und Havoc folgten der Spur der Geister in den Raum. Doch dort war nur noch der Junge. Er schaute sich um und hatte Tränen in den Augen. "Was hat er?", fragte Havoc. "Schau, er sucht seinen Großvater...", sagte Robert. Er schaute sich um. Der Raum war eine Biblothek, eine Art Arbeitszimmer. "Er ist weg", stellte Havoc fest. "Hab ich auch schon gemerkt, aber ich erinnere mich daran nicht..." "Du findest ihn, folge dem Geist deines Großvaters. Robert konzentrierte sich auf sein Observatorium, schob ein Regal zur Seite und dort war eine schmale Tür mit einem alten Schloss. "Du bist ein talentierter Junge, Robert", sagte Havoc. "Ich nehme an, wir suchen nicht nach dem Schlüssel?" Der Rote trat auf die Tür ein, brach dann ein Stück heraus und schlüpfte hindurch. In dem Raum war eine schmale Leiter zum Turm. Dort oben lag ein kleiner Raum versteckt. Der Geist des Großvaters schaute hier in Dokumente. "Wir haben es gefunden. Lass uns schauen, was hier so wichtig war", sagte Havoc. In den Dokumenten des Großvaters fanden sie Symbole. Ein rautenförmiges Symbol schien für den alten Mann eine besondere Bedeutung zu haben. "Was ist das für ein Zeichen?" "Cubric.... wie Cubric Manor", antworte Robert, "Ich weiß, dass das Haus einmal anders hieß, bevor mein Opa es gekauft hatte." "Er hat es sogar nach diesem Symbol benannt?" "Meine Güte", sagte Havoc, "schau dir dies an: das One Piece ist echt. Dazu eine Zeichnung, eine Art Karte der Neuen Welt." "War mein Opa verrückt, Havoc?", fragte Robert. "Das glaube ich nicht. Ich kenne mich mit Karten nicht aus, aber das sieht mir zu gut gemacht aus für jemanden, der Wahnvorstellungen hat. Ich glaube, dein Großvater hat wirklich irgendetwas in der Neuen Welt gefunden, was ihn bis zu seinem Tode nicht losgelassen hat." "Der Schatz, One Piece, Laugh Tale, Nika, er hat viele Namen, blabla", las Robert und wieder, hier bei der Stelle mit dem Schatz, wieder das Zeichen. "Cubric", sagte Havoc.
      Zielsicher lief Robert durch die Straßen am Stadtrand Swanlakes. Havoc folgte ihm. "Wohin gehen wir?" Robert zeigte nach einer weiteren Wegbiegung auf einen verwilderten Friedhof. "Oh, willst du deine Familie besuchen?" Robert sprang auf den Zaun und dann aufs Friedhofsgelände. Havoc ging einige Meter zu einem rostigen Eisentor und öffnete es. Sie hinterfragte aber nichts und Witze konnte Robert heute wohl auch nicht gut vertragen. "Früher klemmten die immer", sagte Robert, als beide am Grab standen. "Du warst ein Kind, Robert. Vielleicht warst du einfach zu schwach, sie zu öffnen. Warst du allein bei deinen Großeltern am Grab, nachdem sie verstorben waren?" "Natürlich", antwortete Robert, "ich war immer allein, nachdem sie tot waren. Bis ich von hier abgehauen bin." "Wo war deine Mutter?" Der Rote strich etwas Bewuchs vom Grabstein: James Berhath Kenway und Marie Kathlin Kenway. "Torfmoore. Dort ist sie auch gestorben." "Was ist Torfmoore?" "Hospital für Geisteskranke." Havoc war nun wirklich bestürzt und weinte. Robert weinte nicht. Aber Havoc hatte ihn auch noch nie so ernst und still erlebt. "Sie liegt dort begraben. Anonymes Grab. Ich durfte es dort mal besuchen als Kind." "Wie hieß sie?" "Rosa", murmelte Robert, "Rosalyn Sault. Dann natürlich Rosalyn Kenway. Und jetzt lass uns gehen. Ich werd nur traurig. Tschüss, Opa und Oma."

      Kapitel 19: Relikte der Vergangenheit

      Die beiden verbrachten einige Wochen im Wald, zogen durch den Südwesten Grand Storms. "Da wären wir", sagte Havoc. "Das ist das größte und bekannteste Steinmonument in Grand Storm." Die Steinformation war eine Art Weg mit Steinen an den Seiten. Säulenartige Steine und darauf quer ebenfalls Steinbrocken, die aber eckig waren. Sie sahen aus wie Tore, die aneinander gereiht waren. Am Ende dieses Weges kam man in einen Kreis aus ähnlichen Steinkonstruktionen, in dem ein weitere kleiner Kreis genauso gebaut worden war. Ganz in der Mitte stand ein gigantischer Stein, der an einen übergroßen Tisch erinnerte. Das meiste der Steinbauten war sehr gut erhalten, noch besser als bei dem anderen Steinkreis nahe Lodea. Dies war auf die unglaublich harte, widerstandsfähige Beschaffenheit der Steine zurück zu führen. Genau wie auf ihre schiere Größe. Selbst sie zu zerstören wäre ein unglaublicher Aufwand, geschweige denn sie abzutransportieren. Warum auch immer man das vor gehabt hätte. Aufgrund der Abgeschiedenheit dieses Ortes verirrten sich verhältnismäßig selten Besucher an diesen Ort. Zwar war er den Bewohnern bekannt und galt als eine Art Wahrzeichen von Grand Storm, allerdings ist ein Besuch für die meisten Bewohner eher nicht reizvoll, aus besagten Gründen. Auf Zeichnungen und ähnlichem waren sie dennoch ein beliebtes Motiv. Auch, dass kaum jemand ihre Geschichte kannte, machte die Steine zu einem beliebten Mysterium und zu einer Quelle für Gruselgeschichten. Gleichzeitig aber sorgte es auch dafür, dass ihnen die meisten Bewohner keine Bedeutung beimessen würden.
      "Wahnsinn", sagte Robert, "die Dinger sind hier noch größer als in dem anderen Steinviech nahe bei Lodea. Und es sind zich mal mehr." "Ja, hier sind weit mehr verbaut worden und die Fläche reicht um ein vielfaches weiter." Robert ging um die Steine herum und berührte ein paar von ihnen. Sie fühlten sie ganz normal an. Eben wie ganz normale Steine. "Mach dich bereit, Robert", sprach Havoc. "Du wirst dich nun die nächsten Tage nicht aus dem Bereich der großen Steine begeben. Konzentriere dich nur auf dein Observatorium. Wenn du etwas spürst, geh dem nach." "Darf ich vorher zumindest noch was essen und mal eben in die Büsche, wenn du verste..." "Jaja, mach einfach." Havoc war heute nicht für Roberts Späße aufgelegt. Sie konzentrierte sich selbst auf ihr Observatoirum. "Robert", sagte sie, "Ich bringe dir nachher noch was zu Essen." Robert fing an, wie Havoc es ihm gesagt hatte. Das Tageslicht verschwand langsam. Havoc hatte einiges an essbaren Früchten, Wurzeln und frischem Wasser bereitgestellt. Vom Rumsitzen wurde er langsam müde. Gegen Abend waren noch zwei Wanderer vorbei gekommen. Seitdem passierte nicht viel. Ein Greifvogel zog seine Kreise über die baumkarge Lichtung. Eine ganze Menge Rehe bedienten sich auf den Wiesen zwischen den Monumenten. Robert wurde müde, ihm fielen ab und an die Augen zu. Er stand auf, reckte sich und lief ein wenig umher. Da passierte es. Er sah etwas aufblitzen. Es war dasselbe wie im Wald und in Cubric Manor. Er fixierte sich auf ein besonders leuchtendes Abbild. Er lief ihm hinterher. Es war etwas kleiner als er, mehr konnte er noch nicht erkennen. Ein weiteres, viel größeres lenkte seine Aufmerksamkeit auf sich, verblasste aber schnell wieder. "Man", sagte Robert. Er kniff die Augen zusammen und wischte sich mit den Fingern darin. Dann setze er sich hin und versuchte es erneut. Er kaute ein paar der Wurzeln und Früchte. Die schemenhafte Gestalt begann seine Reise erneut, Robert versuchte ihr zu folgen.
      Am Morgen schreckte Robert aus dem Schlaf hoch. Es war bereits taghell. Er lief zu Havoc, die einige hundert Meter von ihm entfernt im Gras der Wiese schlief. "Hey", sagte Robert. "Hat es geklappt, Robert?" Er setzte sich neben sie. "Naja, ich bin irgendwann eingepennt. Aber da war was." "Okay." Havoc sah ihn fragend an. "Einer Gestalt konnte ich folgen, erst nur kurz, dann weiter." "Das ist doch gut", sagte Havoc. "Du weißt ja, die Wege der Geister sind Teil der Vergangenheit, sie gehören zur Materie dieses Ortes und sind untrennbar mit ihm verknüpft. Du musst den Weg nur gut genug erkennen, dann nimmt es dich immer weiter mit hinein."
      Die nächsten zwei Nächte klappte es ähnlich wie zuvor, aber dann änderte sich alles. Robert folgte der Gestalt so weit bis sie eine zweite gleich große trafen. Er konnte das erste Mal erkennen, was sie waren. Sie sahen aus wie Menschen, zwei Beine, Arme. Sie trugen Kleidung, die Robert natürlich gänzlich fremdartig vorkam, was natürlich zu erwarten war, bei der entfernten Vergangenheit. Was ihn am meisten wunderte, waren ihre Gesichter. Sie waren länglicher als die der heutigen Menschen, ihre Augen waren seltsam geformt. Ihre Haare sahen aus wie Tentakeln. Eine große Gestalt nahm nun Form an. Ihre Merkmalen waren genauso, wie die der Kleineren. Ihre Haare gingen fast bis zum Boden und sie trug etwas, das an ein Kleid erinnerte. Robert war erstaunt über ihre Größe. Mehrere Meter musste sie groß sein. Der Rote schaute sie an. Nun ergab die Größe der Steine einen Sinn. Für ihn und Havoc waren die Steintore einfach riesig und hoch. Doch dieser Geist lief dort hindurch wie durch eine normale Tür. Nun verstand er: die Erscheinung, der er gefolgt war, war ein Kind der großen Kreatur. "Ein kleines Kind, das mit einem anderen spielt", dachte Robert, "was zur Hölle ist das hier?"
      Um ihn herum leuchtete alles. Die Wesen liefen die Steinreihe entlang, die zum Kreis führte. Im Kreis standen weitere Wesen und schauten nach oben. Dort waren schwebende Ringe zu sehen. Es gab weitere schwebende Steine in Form des Symbols, das Berhath Kenway in seinen Aufzeichnungen hinterlassen hatte. Der Kreis schien eine Art Treffpunkt zu sein. Robert konnte nicht erkennen, was sie dort anschauten. Nur ein Flimmern und Leuchten. Außerhalb des Steinkreises waren Silhouetten von Bauwerken zu erkennen. Sie sahen eckig aus und erinnerten an Tempel, hatten Verzierungen, Säulen und Türme. Fensterartige Öffnungen schienen zu glitzern, wie die Oberfläche eines Gewässers. "Havoc", sagte er, als er aus einem tiefen Schlaf erwachte, "dies ist eine Stadt. Eine Stadt von... einer Art Menschen." Seine Aussage klang teilweise wie eine Frage. "Ja", antwortete sie, "hier muss eine Stadt von ihnen gestanden haben." "Wer sind die?", fragte Robert. "Sie sind unsere Vorfahren. Die Vorfahren der heutigen Menschen." Robert fasste sich an die Stirn und schüttelte den Kopf. Dies waren Sachen, die er nie geglaubt hätte und vor allem hatte er sich für so etwas nie interessiert. Es kam ihm vor, als sei ihm das in die Wiege gelegt worden sein. "Das also war's, von dem mein Großvater und mein Vater so besessen waren..." "Ja, genau, ziemlich sicher hat dein Großvater in der Neuen Welt irgendetwas gefunden, gelesen oder gehört, was damit zu tun hat." "Und bei meinem Vater war's umgekehrt. Als wiederum sein Vater mit dem Zeug aus der Neuen Welt anfing, begann er hier den Scheiß zu erforschen und verpisste sich schließlich in die Neue Welt, um dort weiter zu machen oder was weiß ich." "Nehme ich auch genau so an, Robert", bestätigte Havoc. "Ob es nun One Piece, die Stätten hier oder was auch immer war, schien ebenfalls sein Interesse daran geweckt zu haben. Und dann entschloss er sich in die Neue Welt zu reisen." "Ja, aber ich könnte heute sonstwo hinsegeln, um mir Steinchen anzuschauen", sagte Robert mit ernster Stimme, "er hat dafür seine Familie verlassen." Havoc nickte nur. "Lass uns hier verschwinden, Havoc."
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