Viel Spaß beim Lesen und euch allen frohe Weihnachten ...
Der Junge öffnete die Augen. Kälte wehte ihm übers Gesicht und
seine roten Wangen, bildeten ein starken Kontrast zu seine grauen
eisigen Augen. Er blickte sich um. In der riesigen Halle aus Eis,
erhob sich in der Mitte ein gigantischer Tannenbaum. Das satte Grün
der Nadeln strahlte über das gesamte Eisparkett und verlieh dem Raum
eine gewisse Wärme, die dem Jungen für kurze Zeit die Angst vor dem
Erfrieren nahm. Sein dampfender Atem verriet aber weiterhin die
frostigen Temperaturen in diesem Eispalast. Während von der Decke
herab winzige Schneeflocken ihren Weg nach unten suchten, schritt der
Junge langsam durch die Halle und sah sich nach etwas Bestimmten um.
Ihm selbst schien nicht wirklich klar, nach welcher Art von
Überraschung er Ausschau hielt.
Allein sein Gefühl trieb ihn über den frostigen Boden und brachte
ihm dem königlich anmutenden Baum immer näher. Seine Größe nahm
sämtlichen Platz in Anspruch und verhindert einen freien Blick auf
die gegenüberliegende Seite des Raumes. Wände aus purem Eis,
Schneeflocken, die von der Decke fielen und ein mit schneebedeckter
Boden, wirbelten um den Jungen herum. Alles erstrahlte in den
hellsten Weiß- und Blautönen. Ein Meer aus tausend Farben und im
Grunde doch nur eine war, zeigte ihm die Vielfalt im Detail. Desto
länger er sich umsah, desto mehr gewannen die Farben an Intensität,
fast blendend tanzten Schnee und Eis in seinem Auge und es schien als
ob der Winter selbst ihn verschlungen hatte. Inmitten des Eiswalzers
streckte sich die Tanne weiterhin Richtung Decke und keine der
hunderten von Nadeln rührte sich, kein Windhauch schien zu wehen und
alles schien zu warten. Selbst der mächtige Baum erstarrte vor der
Macht des Eises, als wäre jegliche Gegenwehr, gegen die Übermacht
an Kälte zwecklos.
Erstarrt und doch so erhaben, fast majestätisch bildete die Tanne
den Mittelpunkt dieses Raumes und trennte sie gleichzeitig in zwei
Teile. Der Junge legte seine flache Hand auf den Baumstamm, blickte
ein letztes Mal empor und schritt durch das Gestrüpp aus Ästen und
Nadeln. Die Dichte der Äste ließ keinen Blick auf die andere Seite
zu und so kämpfte er sich durch stechende und kratzende Nadeln, die
nur darauf zu warten schienen zuzuschlagen. Mit Händen und Füßen
wehrte er sich gegen die peitschenden Äste und Nadeln, während ein
Anflug von Panik sich in ihm ausbreitete und er gegen die innerliche
Unruhe immer fester gegen die Äste schlug. Er sendete ein Stoßgebet
gen Himmel und hoffte, vom Baum nicht verschlungen zu werden. Denn
hier in diesem seltsamen Raum, von dessen Decke Schnee rieselt,
schien selbst dies keine Überraschung zu sein. Mit aller Kraft
versuchte er diesen Dschungel aus Ästen und Nadeln zu durchforsten
und natürlich heil auf der anderen Seite anzukommen. Er schlug nun
kräftiger gegen die Äste um so schneller voranzukommen und
tatsächlich, lugten schon die ersten Schneeflecken von der
gegenüberliegenden Seite durch das, nicht mehr ganz so dichte,
Astgewirr.
Die letzten paar Schritte gingen wie von Kinderhand und er erblickte
die nächste Eiswelt, welche genauso prachtvoll, in allen Weißtönen
erstrahlte und kaum einen Unterschied zur Gegenseite aufwies. Einzig
ein riesige, massive Tür aus Ebenholz stemmte sich gegen die Wand am
hinteren Ende des Raumes. Die dunkle Tür wirkte seltsam deplatziert
und kaum passend, in einem Raum der sich in den hellsten Tönen gab.
Aber wenn diese Farben auf einem Klavier Hand in Hand gingen, dann
wird es auch hier seine Richtigkeit besitzen, dachte der Junge. Statt
Ebony and Ivory reichten sich hier eben Ebony and Snow die Hand. Noch
ehe er überlegen konnte, ob ihn die Türe aus dieser Halle führen
könnte, lenkte etwas Anderes seine gänzliche Aufmerksamkeit in eine
andere Richtung.
Ein Schneemann stand in der Halle. Ganz unscheinbar, ohne dass man
ihm eine besondere Bedeutung geben musste, stand er da. Als ob er
schon immer hier stand und nie irgendwo anders. Trotzdem konnte der
Junge seinen Blick nicht abwenden, all die Neugier ließ ihn nicht
los und in seinen Augen ging von Schneemann sehr wohl etwas
Besonderes aus. Eine vertrautes Gefühl, dass er nicht zu ordnen
konnte. Seinem Gefühl folgend bewegte er sich mit langsamen
Schritten auf den Schneemann zu. Noch immer umgab Ratlosigkeit
schwirrte in seinem Kopf umher und die Erklärungen für all das
hier, vermutete er bei der kugelrunden Schneegestalt mit dem
Zylinder. Wie ein innerer Drang stieß in sein Innerstes bis vor die
Beine, die eigentlich keine waren, des Schneemannes. Tausende
Gedanken, die keine Ordnung fanden und deren Bedeutung im Verborgenen
blieb, schossen ihm durch den Kopf als der in die Knopfaugen des
Schneemannes blickte. Er musterte ihn von oben bis unten, seine zwei
großen aufeinander gestapelten Kugeln mit der dritten Kugel als
Kopf, die verschnörkelten Äste, welche als Arme aus der Kugel
ragten, die traditionelle Karotte als Nase und die gebogene
Baumrinde, die ein Lächeln auf das Gesicht des Schneemanns zauberte.
Mit dem schwarzen Zylinder und einem roten Schal, der sich elegant um
den Hals des Schneemannes schlang, sah er aus wie ein klassischer
Schneemann. Ein Bild wie man es als Kind vor Augen sieht, wenn man
Weihnachten und den Winter denkt. Ein normaler Schneemann könnte man
meinen.
Doch etwas an ihm irritierte den Jungen und als er vor dem Schneemann
stehen blieb, rollte dieser abfällig mit seinen Knopfaugen.
Erschreckt sprang der Junge zurück und traute seinen Augen nicht. Da
nochmal, erneut zogen die Knöpfe einen kleinen Bogen im Gesicht des
Schneemanns. Es wirkte seltsam ungewohnt und doch irgendwie passend.
Eine Kleine Prise Skurrilität, die sich in das Gesamtbild einfügte,
ohne dass es den Jungen weiter störte. Natürlich verwunderte es
ihn, doch was erwartete man schon von so einem wunderlichen Ort wie
diesem? Während er sich die Frage selbst stellte, ertönte eine
kratzige Stimme aus dem innersten der Schneefigur. Jetzt konnte man
sagen es wurde merkwürdig. „Na dauert's nochn bisschen, bist du
weißt was hier los ist oder geht dir schön langsam ein Licht auf?“
tönte es aus dem Schneemann, während der Mund aus Baumrinde sich
hin und her bewegte und ein seltsames Bild eines lebendigen
Schneemannes formte. Der ironische Unterton in der Stimme blieb dem
Jungen nicht verborgen.
Im Gegensatz zum Sinn hinter dieser ganzen Geschichte und die
Verrücktheiten, welche sich stetig aneinanderreihten und ihn ein ums
andere Mal den Kopf verdrehten. „Keine Ahnung was? Jedes Jahr die
gleiche Tour!“ stöhnte er. „Na, welcher Tag ist wohl heute?“
stellte er dem Jungen die Frage. Doch ohne auf eine passende Antwort
zu warten, brachte er die Lösung selbst hervor. „Richtig, der 24.
Dezember, sagt dir was oder? Jedes Jahr kreuzt du hier später auf
aber Hauptsache immer gleich verwirrt stehst du vor mir und verlangst
weise Antworten! Alles Humbug, wenn DIE wüssten, wie sehr du auf
mich angewiesen bist, hätte diese Farce endlich einmal ein Ende. Als
ob sich die Welt langsam zu schnell für dich dreht. Scheint als ob
du dem Tempo nicht mehr nachkommst was?“ grinste er nach seine
Rede. Der Junge versuchte die Worte im Kopf zu behalten und bekam
Kopfschmerzen von all den seltsamen Fragen und Antworten. Noch immer
verstand er nur Bahnhof.
„Ich habe keinen blassen Schimmer was hier eigentlich los ist“
bracht er aufgebracht hervor. Wut breitete sich in dem Jungen aus und
wiederum blieben ihm Antworten verwehrt. Was sollte das ganze hier
eigentlich? Verloren in einem Raum voller Eis und Schnee, halb
erfroren, stand er vor einem Schneemann, der sich lieber über ihn
lustig machte, als ihm sinnvolle Antworten zu geben. Zudem schien dem
Schneemann unheimliche Freude zu bereiten, ihn auf die Folter zu
spannen. Der Drang, den er zuvor verspürte, war verblasst und die
Unwissenheit wurde ihm schlagartig bewusst. Sie plagte ihn und ließ
ihn entwaffnet und einsam in der fast leeren Eishalle stehen. „Wo
bin ich hier eigentlich?“ fragte er in die Richtung des
Schneemannes. Dabei klapperten seine Zähne so laut, dass er im
ersten Moment dachte, der Schneemann hätte nicht ein einziges Wort
verstanden.
Doch kaum war der Gedanke ausgedacht kamen erneut Laute aus dem
Schneemann. „Die falsche Frage Junge, dich quälen immer nur die
falschen Fragen. Richtig wäre: Wer bin ich und wo muss ich hin? Das
du hier bist spielt keine Rolle und besitzt keinen Sinn, solange du
ihm keinen Sinn gibst. Wir stehen noch Tage hier, wenn du deine
Eingebungen ignorierst!“ seufzte er mit seiner Stimme, die klang
wie tausend Töne, welche zugleich gespielt wurden. Eine Mischung aus
Mann und Frau, trotzdem wie eine Melodie. Seltsam verformt und doch
vertraut und zugänglich,als wäre der Schneemann mit einem Mal vor
einem und dann ganz plötzlich wieder weit entfernt.
„Kannst du mir denn nicht weiterhelfen. Ich weißt mehr wo hinten
und vorne ist. Alles hier wirkt so bizarr und ich besitze nicht den
Funken einer Ahnung, was hier eigentlich gespielt wird!“ bibberte
der Junge. Endlich schien er Erbarmen zu finden. Ein breites Grinsen
zog sich über die schneeweiße Kugel und die Knopfaugen drehten
erneut eine Runde „Was wärst du nur ohne mich alter Kumpel. Wenn
ich nicht wäre, naja, sei froh, dass wir letztendlich immer noch
Freunde sind. Auch wenn du noch nicht verstehst, dass wird schon
glaub es mir!“ Spätestens jetzt, konnte der Junge nicht mehr
glauben, dass er nicht träumte. Niemals, er konnte nicht wach sein,
das Alles hier würde sich letztendlich als Traum entpuppen.
Fehlanzeige, stellte er fest, nachdem er sich mehrmals in dem Arm
zwickte und enttäuscht feststellte, dass er nicht schlief, sondern
hellwach hier stand und es immer noch keine Antworten gab. Welcher
Mensch konnte schon glauben, dass solche Geschehnisse nicht der
eigenen Fantasie entsprangen? Dies war kein Traum, er lag nicht in
seinem Bett, sondern hier in der klirrenden Kälte und stand vor
einem Schneemann der sprechen konnte, skurril aber real, so viel
stand fest, redete er auf sich selbst ein.
„Wenn du deinen geistigen Kampf mit dir selbst für beendet
erklärst, könnten wir loslegen. Ich könnte dir jetzt alles
erklären, aber das würde viel zu viel Zeit beanspruchen und macht
mir ehrlich gesagt, auch nicht wirklich Spaß!“ In diesem Moment
wollte er nichts anderes, als dem Schneemann an die Gurgel springen.
Seine Hilflosigkeit zog er ins Lächerliche und spielte sein Spiel,
aus purer Langeweile einfach noch ein bisschen weiter. Nicht zu
fassen! Der Schneemann zog seinen Zylinder mit den Ästen elegant vom
Kopf und deutete elegant eine Verbeugung an. Seiner frostiger Kopf
neigte sich leicht nach unten. Die Wahrheit schien zum Greifen nah,
langsam aber sicher rückte der Schneemann mit der Sprache raus und
dies konnte nur im Sinne des Jungen sein. Doch allzu lange sollte es
nicht mehr dauern, denn schön langsam breitete sich die Kälte immer
härte um ihn herum aus. Während winzig Schneeflocken wie
Staubkörner um ihn herum glitten, kroch die Kälte an den Beinen des
Jungen empor und biss sich eisig in der Haut fest. Im selben Moment
rumorte es und der Junge blickte in das Gesicht des Schneemanns, der
lächelte und den Kopf Richtung Decke streckte. Dann schoss er empor,
er wuchs und die Kugeln wurden größer und größer und trieben den
Schneemann immer mehr in die Höhe.
Während er wuchs und wuchs, blickte der Junge nur in das Gesicht des
Schneemanns. Als ob es nichts normaleres auf der Welt gäbe,
schmunzelte er nach unten. Als der Junge den Blick abwandte sah er,
wie sich die unterste Kugel in die Breite zog und ein Loch in der
Mitte der Schneekugel wuchs und letztendlich die Form eines Torbogens
an nahm. Nun stand er da und schrie von oben herab „Da soll noch
einer sagen Schneemänner hätten keine Beine! Na, wie gefall ich dir
als stehender Schneeriese? Nenn mich das Winterwunder oder den Herr
über Frost und Eis!“ Diese Selbstbeweihräucherung kann er nicht
ernst meinen, dachte der Junge im Stillen. Er gluckste, ihm gefiel
der Humor des Schneemanns langsam aber sicher, auch wenn er selten
ein Wesen erblickt hatte, dass sich beim Sprechen selbst so gern
zuhört. „Besitzt der Herr über Frost und Eis eigentlich auch
einen richtigen Namen“ brüllte der Junge nach oben und vollzog
gleichzeitig die selbe übertriebene Verbeugung wie der Schneemann
einige Minuten zuvor. Sichtlich erfreut, dass der Junge seinen Spiel
mitspielte, tönte es von oben herab. „Einen Namen? Natürlich
jeder hat einen Namen. Ich bin Sid, Sid der Schneemann, wie man
unschwer erkennen kann. Verrätst du mir eigentlich deinen Namen auch
oder muss ich das übernehmen!“ gluckste er.
Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Sein Kopf hatte
sich in seinen Gedanken bereits mehrmals überschlagen seit er in
diesem Raum zum ersten Mal die Augen geöffnet hatte. Seine Kopf
überschlug sich in vor lauter Verwirrung bereits seit Stunden und er
konnte die Zahnräder förmlich rattern hören. Bei all den Wundern
um ihn herum, bemerkte er erst jetzt, wie es um ihn selbst bestellt
war. Sich selbst übersah er bei all dem Chaos und er fühlte sich
gefangen in einem Brunnenschacht, tief unten und die rettende Leiter
entwischte ihm jedes Mal um Millimeter. Er spürte förmlich die
Antworten vor seiner Nase tanzen, während er in der Ferne nach
Lösungen gesucht hatte.
Nicht eine Sekunde, seit er hier angekommen war, dachte er über sich
selbst, seinen Namen oder seine Herkunft nach, alles schien wie
weggewischt, als hätte es immer nur diesen Raum aus Eis gegeben. „Du
kopfst dich selbst zu viel Junge, lass Taten sprechen und zeig dem
Alten Sid, aus welchem Holz du geschnitzt bist!“ Er sah nach oben
und betrachte den Schnee, der langsam nach unten sank. Und als eine
Schneeflocke auf seiner Nase landete, spürte er nichts. Nicht der
leisesten Hauch von Kälte und auch der beißende Schmerz der
klirrenden Kälte, der sich zuvor in seinen Knochen fest gebissen
hatte, war wie weggeblasen. Seine Finger glitten nach vorne und
berührten mit dem Fingernagel eine der Säulen von Sid. Erneut wehte
ihm kein Gefühl von Kälte entgegen. Fasziniert zog er seine Hand
zurück. Und als der durch den Torbogen aus Schnee und Eis schritt,
hallte die Stimme des Schneemannes durch die gesamte Halle. Erfüllte
jede Schneeflocke mit einem Klang und das Echo drang von allen Seiten
mehrmals ins Ohr des Jungen.
Tausend Klaviertasten, die nur einen Ton spielt um der Stimme von Sid
einen Laut zu geben.„Endlich machst du das Richtige! Langsam
wird’s. Und nun ab durch den Torbogen mein Freund!“ Die letzten
Worte vernahm er nicht mehr, da er bereits seine ersten Schritte in
das Portal setzte. Seltsam lang zog er sich und bildete einen Tunnel,
in dem das Licht keinen Einlass fand und Schnee , das einzige Element
um ihn herum bildete. Ein lautes Surren hallte durch seine Gehörgänge
und ließ ihn taub werden. Nicht einen Ton vernahm er mehr, selbst
seine eigene Stimme, verschluckte das Surren. Zusätzlich raubte ihm
die Finsternis die Sicht und sein einziger Sinn, den er noch wahr
nahm, legte ihm einzig und allein den Geruch von Schnee in die Nase.
Seit wann roch Schnee?
Mit jedem Schritt gewann er an Sicherheit, fühlte sich wohler und
wohler. Dieser wunderbare Geruch des Winters wehte um ihn herum,
erfüllte ihn mit Freude und spülte Glück durch seine Adern. Die
Taubheit und alles verschlingende Dunkelheit erschienen ihm kein
Hindernis mehr und mit leichten Schritten zog er weiter durch die
Höhle. Erneut wunderte er sich über das fehlende Gefühl von Kälte
und doch drängte in sein Innerstes weiter nach vorne. Er spürte den
Schnee um sich herum, wie er wilder und ungestümer wehte, ihm stark
in sich Gesicht blies und immer heftiger werdender Sturm durch die
Höhle dröhnte.
Letztlich nahm ihn der Sturm gänzlich in ihm auf, schluckte ihn und
riss immer wilder und ungestümer an ihm. Eis zerrte an ihm,
versuchte in zu ertasten und nach ihm zu schlagen. Der Atem stockte,
ein Gefühl der Ruhe, alles erfassender Stille, trotz des Gestöbers
um ihn, vernahm er nicht einen Laut, blieb ganz in sich
zurückgezogen. Das Surren verschwand, dann tat er den nächsten
Atemzug und die Schneeflocken ließen sich von ihm ein- und ausatmen
ohne zu verdunsten. Er atmete Schnee, spürte Vertrautheit und trat
die letzten Schritte der Erkenntnis hin zum Ende des Bogens.
So abrupt wie er vom Tunnel verschluckt worden war, so schnell
spuckte er ihn wieder aus. Die Augen begannen sich nur schwer an die
starke Helligkeit des Schnees zu gewöhnen und während er bemerkte,
dass er gerade einmal einen halben Schritt entfernt vom Eingang des
Torbogens stand, erkannte er den Sinn hinter seinem Weg und seine
Gedankengänge überfluteten sich mit Bildern und Erinnerungen. Die
Ungewissheit wich und der Damm brach. Er erkannte sein Ziel, seinen
Weg und seinen Freund. Der langsam schrumpfte und ihm als
gewöhnlicher Schneemann wieder in die Augen sah. Während sich die
grau-blauen Augen des Jungen mit den Knöpfen von Sid trafen, zauber
sich ein Ausdruck von Erleichterung auf das Gesicht des Schneemannes
und der Junge spürte die Verbundenheit wie all die Jahre zuvor.
„Herr über Frost und Eis? Sid du kannst es nicht lassen oder?
Grinste der Junge über beide Ohren und freute sich über seinen
wiedergewonnen Freund, dem er zum ersten Mal seit einem Jahr entgegen
blicken durfte. Die Knopfaugen gewannen an Glanz und das Strahlen des
Schneemannes konnte man förmlich spüren. „Deine Unwissenheit ist
jedes Mal ein Spaß. Ich hab es mir einfach nicht verkneifen können!
Aber ich bin froh, dass du wieder hier bist, wenn auch nicht sehr
lange!“ sprudelte es aus ihm heraus. „Du hast Recht, ich sollte
mich beeilen bis ich unten angekommen bin, werden wieder einige
Stunden vergehen. Ach ja was ich fast vergessen hätte...“ und
dabei grinste er “... nicht ich komme jedes Jahr später, sondern
meine lieben Kollegen gehen immer später“
Es tat ihm sichtlich gut wieder der Alte zu sein. Das Gesicht
strahlte fröhlicher, jetzt nachdem die Sorgenfalten aus seinem
Gesicht gewichen waren. „Hohohoho, bin froh dass du wieder hier
bist!“ lachte Sid. „Also dann!“ hob der Junge wehmütig die
Hand, drehte sich um und ging auf die riesige Tür aus Ebenholz zu.
„Wir sehen uns unten, dann bin ich im Vorteil“ blickte er noch
einmal zurück und lächelte zum Abschied. Sid hob noch einmal seinen
Zylinder und dann wandte der Junge seinen Blick ab und blickte auf
die massive Tür, vor der er nun stand, er sah auf seinen seltsam
bleichen Hände. Noch einmal betrachte er sich ausführlich, denn es
würde erneut ein Jahr dauern, bis er sich wieder selbst so stark und
kräftig erblicken darf. Noch einmal atmete er tief ein und ließ
beim Ausatmen Schneeflocken aus seinem Mund tanzen.
Mit beiden Händen stemmte er sich gegen die gigantische Tür.
Langsam gab sie nach und ließ durch einen Spalt, bereits erahnen was
ihn erwartete. Unfassbare Schönheit erblickte er. Als die Tür sich
öffnete und einen Blick auf tausende von Sterne gab, die nun vor ihm
lagen. Dieser Eingang hatte sich seinen Namen sichtlich verdient,
dachte er in aller Ruhe.
Die Tür zu Welt, so hieß sie und das war sie. Er lehnte sich über
den Türstock und blickte hinab auf die Erde. Die Welt erstreckte
sich in all seiner Schönheit vor ihm. Wahrlich ein traumhafter
Anblick! Sterne funkelten hell in die unendliche Dunkelheit des
Weltalls, dass auch durch die Türe drang. So weit unter ihm, lag der
blaue Planet, friedlich im Bett der Dunkelheit. Eine Ästhetik, die
ihm Jahr für Jahr den Atem raubte. Von hier ob sah er aus, wie ein
Riese, den das Universum im Schlaf an Sternen vorbei führte, während
über ihm der Raum aus Eis, in alle Ruhe begleitete. Doch nun genug
der Träumerei, riss er sich selbst aus den Gedanken.
Er sprang in das Meer aus Sternen. Hinab in die luftleere Atmosphäre,
ohne dass es ihn zu stören schien. Fast anmutig sauste er hinab.
Eine schneeweißer Junge, mit einem Lächeln auf dem Gesicht, flog
langsam auf die Erde zu. Er schwebte hinab und zerfiel mit einem Mal
in tausende von Eiskristallen. Nichts konnte ihn und seine Teilchen
von seiner Reise abhalten und auf die Erde herab zu rieseln. Nicht
heute und auch nicht die Jahre zuvor. So spannte er sich über die
Welt und bracht den Menschen den Schnee. Denn es war Winter.
Ende
Der Junge öffnete die Augen. Kälte wehte ihm übers Gesicht und
seine roten Wangen, bildeten ein starken Kontrast zu seine grauen
eisigen Augen. Er blickte sich um. In der riesigen Halle aus Eis,
erhob sich in der Mitte ein gigantischer Tannenbaum. Das satte Grün
der Nadeln strahlte über das gesamte Eisparkett und verlieh dem Raum
eine gewisse Wärme, die dem Jungen für kurze Zeit die Angst vor dem
Erfrieren nahm. Sein dampfender Atem verriet aber weiterhin die
frostigen Temperaturen in diesem Eispalast. Während von der Decke
herab winzige Schneeflocken ihren Weg nach unten suchten, schritt der
Junge langsam durch die Halle und sah sich nach etwas Bestimmten um.
Ihm selbst schien nicht wirklich klar, nach welcher Art von
Überraschung er Ausschau hielt.
Allein sein Gefühl trieb ihn über den frostigen Boden und brachte
ihm dem königlich anmutenden Baum immer näher. Seine Größe nahm
sämtlichen Platz in Anspruch und verhindert einen freien Blick auf
die gegenüberliegende Seite des Raumes. Wände aus purem Eis,
Schneeflocken, die von der Decke fielen und ein mit schneebedeckter
Boden, wirbelten um den Jungen herum. Alles erstrahlte in den
hellsten Weiß- und Blautönen. Ein Meer aus tausend Farben und im
Grunde doch nur eine war, zeigte ihm die Vielfalt im Detail. Desto
länger er sich umsah, desto mehr gewannen die Farben an Intensität,
fast blendend tanzten Schnee und Eis in seinem Auge und es schien als
ob der Winter selbst ihn verschlungen hatte. Inmitten des Eiswalzers
streckte sich die Tanne weiterhin Richtung Decke und keine der
hunderten von Nadeln rührte sich, kein Windhauch schien zu wehen und
alles schien zu warten. Selbst der mächtige Baum erstarrte vor der
Macht des Eises, als wäre jegliche Gegenwehr, gegen die Übermacht
an Kälte zwecklos.
Erstarrt und doch so erhaben, fast majestätisch bildete die Tanne
den Mittelpunkt dieses Raumes und trennte sie gleichzeitig in zwei
Teile. Der Junge legte seine flache Hand auf den Baumstamm, blickte
ein letztes Mal empor und schritt durch das Gestrüpp aus Ästen und
Nadeln. Die Dichte der Äste ließ keinen Blick auf die andere Seite
zu und so kämpfte er sich durch stechende und kratzende Nadeln, die
nur darauf zu warten schienen zuzuschlagen. Mit Händen und Füßen
wehrte er sich gegen die peitschenden Äste und Nadeln, während ein
Anflug von Panik sich in ihm ausbreitete und er gegen die innerliche
Unruhe immer fester gegen die Äste schlug. Er sendete ein Stoßgebet
gen Himmel und hoffte, vom Baum nicht verschlungen zu werden. Denn
hier in diesem seltsamen Raum, von dessen Decke Schnee rieselt,
schien selbst dies keine Überraschung zu sein. Mit aller Kraft
versuchte er diesen Dschungel aus Ästen und Nadeln zu durchforsten
und natürlich heil auf der anderen Seite anzukommen. Er schlug nun
kräftiger gegen die Äste um so schneller voranzukommen und
tatsächlich, lugten schon die ersten Schneeflecken von der
gegenüberliegenden Seite durch das, nicht mehr ganz so dichte,
Astgewirr.
Die letzten paar Schritte gingen wie von Kinderhand und er erblickte
die nächste Eiswelt, welche genauso prachtvoll, in allen Weißtönen
erstrahlte und kaum einen Unterschied zur Gegenseite aufwies. Einzig
ein riesige, massive Tür aus Ebenholz stemmte sich gegen die Wand am
hinteren Ende des Raumes. Die dunkle Tür wirkte seltsam deplatziert
und kaum passend, in einem Raum der sich in den hellsten Tönen gab.
Aber wenn diese Farben auf einem Klavier Hand in Hand gingen, dann
wird es auch hier seine Richtigkeit besitzen, dachte der Junge. Statt
Ebony and Ivory reichten sich hier eben Ebony and Snow die Hand. Noch
ehe er überlegen konnte, ob ihn die Türe aus dieser Halle führen
könnte, lenkte etwas Anderes seine gänzliche Aufmerksamkeit in eine
andere Richtung.
Ein Schneemann stand in der Halle. Ganz unscheinbar, ohne dass man
ihm eine besondere Bedeutung geben musste, stand er da. Als ob er
schon immer hier stand und nie irgendwo anders. Trotzdem konnte der
Junge seinen Blick nicht abwenden, all die Neugier ließ ihn nicht
los und in seinen Augen ging von Schneemann sehr wohl etwas
Besonderes aus. Eine vertrautes Gefühl, dass er nicht zu ordnen
konnte. Seinem Gefühl folgend bewegte er sich mit langsamen
Schritten auf den Schneemann zu. Noch immer umgab Ratlosigkeit
schwirrte in seinem Kopf umher und die Erklärungen für all das
hier, vermutete er bei der kugelrunden Schneegestalt mit dem
Zylinder. Wie ein innerer Drang stieß in sein Innerstes bis vor die
Beine, die eigentlich keine waren, des Schneemannes. Tausende
Gedanken, die keine Ordnung fanden und deren Bedeutung im Verborgenen
blieb, schossen ihm durch den Kopf als der in die Knopfaugen des
Schneemannes blickte. Er musterte ihn von oben bis unten, seine zwei
großen aufeinander gestapelten Kugeln mit der dritten Kugel als
Kopf, die verschnörkelten Äste, welche als Arme aus der Kugel
ragten, die traditionelle Karotte als Nase und die gebogene
Baumrinde, die ein Lächeln auf das Gesicht des Schneemanns zauberte.
Mit dem schwarzen Zylinder und einem roten Schal, der sich elegant um
den Hals des Schneemannes schlang, sah er aus wie ein klassischer
Schneemann. Ein Bild wie man es als Kind vor Augen sieht, wenn man
Weihnachten und den Winter denkt. Ein normaler Schneemann könnte man
meinen.
Doch etwas an ihm irritierte den Jungen und als er vor dem Schneemann
stehen blieb, rollte dieser abfällig mit seinen Knopfaugen.
Erschreckt sprang der Junge zurück und traute seinen Augen nicht. Da
nochmal, erneut zogen die Knöpfe einen kleinen Bogen im Gesicht des
Schneemanns. Es wirkte seltsam ungewohnt und doch irgendwie passend.
Eine Kleine Prise Skurrilität, die sich in das Gesamtbild einfügte,
ohne dass es den Jungen weiter störte. Natürlich verwunderte es
ihn, doch was erwartete man schon von so einem wunderlichen Ort wie
diesem? Während er sich die Frage selbst stellte, ertönte eine
kratzige Stimme aus dem innersten der Schneefigur. Jetzt konnte man
sagen es wurde merkwürdig. „Na dauert's nochn bisschen, bist du
weißt was hier los ist oder geht dir schön langsam ein Licht auf?“
tönte es aus dem Schneemann, während der Mund aus Baumrinde sich
hin und her bewegte und ein seltsames Bild eines lebendigen
Schneemannes formte. Der ironische Unterton in der Stimme blieb dem
Jungen nicht verborgen.
Im Gegensatz zum Sinn hinter dieser ganzen Geschichte und die
Verrücktheiten, welche sich stetig aneinanderreihten und ihn ein ums
andere Mal den Kopf verdrehten. „Keine Ahnung was? Jedes Jahr die
gleiche Tour!“ stöhnte er. „Na, welcher Tag ist wohl heute?“
stellte er dem Jungen die Frage. Doch ohne auf eine passende Antwort
zu warten, brachte er die Lösung selbst hervor. „Richtig, der 24.
Dezember, sagt dir was oder? Jedes Jahr kreuzt du hier später auf
aber Hauptsache immer gleich verwirrt stehst du vor mir und verlangst
weise Antworten! Alles Humbug, wenn DIE wüssten, wie sehr du auf
mich angewiesen bist, hätte diese Farce endlich einmal ein Ende. Als
ob sich die Welt langsam zu schnell für dich dreht. Scheint als ob
du dem Tempo nicht mehr nachkommst was?“ grinste er nach seine
Rede. Der Junge versuchte die Worte im Kopf zu behalten und bekam
Kopfschmerzen von all den seltsamen Fragen und Antworten. Noch immer
verstand er nur Bahnhof.
„Ich habe keinen blassen Schimmer was hier eigentlich los ist“
bracht er aufgebracht hervor. Wut breitete sich in dem Jungen aus und
wiederum blieben ihm Antworten verwehrt. Was sollte das ganze hier
eigentlich? Verloren in einem Raum voller Eis und Schnee, halb
erfroren, stand er vor einem Schneemann, der sich lieber über ihn
lustig machte, als ihm sinnvolle Antworten zu geben. Zudem schien dem
Schneemann unheimliche Freude zu bereiten, ihn auf die Folter zu
spannen. Der Drang, den er zuvor verspürte, war verblasst und die
Unwissenheit wurde ihm schlagartig bewusst. Sie plagte ihn und ließ
ihn entwaffnet und einsam in der fast leeren Eishalle stehen. „Wo
bin ich hier eigentlich?“ fragte er in die Richtung des
Schneemannes. Dabei klapperten seine Zähne so laut, dass er im
ersten Moment dachte, der Schneemann hätte nicht ein einziges Wort
verstanden.
Doch kaum war der Gedanke ausgedacht kamen erneut Laute aus dem
Schneemann. „Die falsche Frage Junge, dich quälen immer nur die
falschen Fragen. Richtig wäre: Wer bin ich und wo muss ich hin? Das
du hier bist spielt keine Rolle und besitzt keinen Sinn, solange du
ihm keinen Sinn gibst. Wir stehen noch Tage hier, wenn du deine
Eingebungen ignorierst!“ seufzte er mit seiner Stimme, die klang
wie tausend Töne, welche zugleich gespielt wurden. Eine Mischung aus
Mann und Frau, trotzdem wie eine Melodie. Seltsam verformt und doch
vertraut und zugänglich,als wäre der Schneemann mit einem Mal vor
einem und dann ganz plötzlich wieder weit entfernt.
„Kannst du mir denn nicht weiterhelfen. Ich weißt mehr wo hinten
und vorne ist. Alles hier wirkt so bizarr und ich besitze nicht den
Funken einer Ahnung, was hier eigentlich gespielt wird!“ bibberte
der Junge. Endlich schien er Erbarmen zu finden. Ein breites Grinsen
zog sich über die schneeweiße Kugel und die Knopfaugen drehten
erneut eine Runde „Was wärst du nur ohne mich alter Kumpel. Wenn
ich nicht wäre, naja, sei froh, dass wir letztendlich immer noch
Freunde sind. Auch wenn du noch nicht verstehst, dass wird schon
glaub es mir!“ Spätestens jetzt, konnte der Junge nicht mehr
glauben, dass er nicht träumte. Niemals, er konnte nicht wach sein,
das Alles hier würde sich letztendlich als Traum entpuppen.
Fehlanzeige, stellte er fest, nachdem er sich mehrmals in dem Arm
zwickte und enttäuscht feststellte, dass er nicht schlief, sondern
hellwach hier stand und es immer noch keine Antworten gab. Welcher
Mensch konnte schon glauben, dass solche Geschehnisse nicht der
eigenen Fantasie entsprangen? Dies war kein Traum, er lag nicht in
seinem Bett, sondern hier in der klirrenden Kälte und stand vor
einem Schneemann der sprechen konnte, skurril aber real, so viel
stand fest, redete er auf sich selbst ein.
„Wenn du deinen geistigen Kampf mit dir selbst für beendet
erklärst, könnten wir loslegen. Ich könnte dir jetzt alles
erklären, aber das würde viel zu viel Zeit beanspruchen und macht
mir ehrlich gesagt, auch nicht wirklich Spaß!“ In diesem Moment
wollte er nichts anderes, als dem Schneemann an die Gurgel springen.
Seine Hilflosigkeit zog er ins Lächerliche und spielte sein Spiel,
aus purer Langeweile einfach noch ein bisschen weiter. Nicht zu
fassen! Der Schneemann zog seinen Zylinder mit den Ästen elegant vom
Kopf und deutete elegant eine Verbeugung an. Seiner frostiger Kopf
neigte sich leicht nach unten. Die Wahrheit schien zum Greifen nah,
langsam aber sicher rückte der Schneemann mit der Sprache raus und
dies konnte nur im Sinne des Jungen sein. Doch allzu lange sollte es
nicht mehr dauern, denn schön langsam breitete sich die Kälte immer
härte um ihn herum aus. Während winzig Schneeflocken wie
Staubkörner um ihn herum glitten, kroch die Kälte an den Beinen des
Jungen empor und biss sich eisig in der Haut fest. Im selben Moment
rumorte es und der Junge blickte in das Gesicht des Schneemanns, der
lächelte und den Kopf Richtung Decke streckte. Dann schoss er empor,
er wuchs und die Kugeln wurden größer und größer und trieben den
Schneemann immer mehr in die Höhe.
Während er wuchs und wuchs, blickte der Junge nur in das Gesicht des
Schneemanns. Als ob es nichts normaleres auf der Welt gäbe,
schmunzelte er nach unten. Als der Junge den Blick abwandte sah er,
wie sich die unterste Kugel in die Breite zog und ein Loch in der
Mitte der Schneekugel wuchs und letztendlich die Form eines Torbogens
an nahm. Nun stand er da und schrie von oben herab „Da soll noch
einer sagen Schneemänner hätten keine Beine! Na, wie gefall ich dir
als stehender Schneeriese? Nenn mich das Winterwunder oder den Herr
über Frost und Eis!“ Diese Selbstbeweihräucherung kann er nicht
ernst meinen, dachte der Junge im Stillen. Er gluckste, ihm gefiel
der Humor des Schneemanns langsam aber sicher, auch wenn er selten
ein Wesen erblickt hatte, dass sich beim Sprechen selbst so gern
zuhört. „Besitzt der Herr über Frost und Eis eigentlich auch
einen richtigen Namen“ brüllte der Junge nach oben und vollzog
gleichzeitig die selbe übertriebene Verbeugung wie der Schneemann
einige Minuten zuvor. Sichtlich erfreut, dass der Junge seinen Spiel
mitspielte, tönte es von oben herab. „Einen Namen? Natürlich
jeder hat einen Namen. Ich bin Sid, Sid der Schneemann, wie man
unschwer erkennen kann. Verrätst du mir eigentlich deinen Namen auch
oder muss ich das übernehmen!“ gluckste er.
Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Sein Kopf hatte
sich in seinen Gedanken bereits mehrmals überschlagen seit er in
diesem Raum zum ersten Mal die Augen geöffnet hatte. Seine Kopf
überschlug sich in vor lauter Verwirrung bereits seit Stunden und er
konnte die Zahnräder förmlich rattern hören. Bei all den Wundern
um ihn herum, bemerkte er erst jetzt, wie es um ihn selbst bestellt
war. Sich selbst übersah er bei all dem Chaos und er fühlte sich
gefangen in einem Brunnenschacht, tief unten und die rettende Leiter
entwischte ihm jedes Mal um Millimeter. Er spürte förmlich die
Antworten vor seiner Nase tanzen, während er in der Ferne nach
Lösungen gesucht hatte.
Nicht eine Sekunde, seit er hier angekommen war, dachte er über sich
selbst, seinen Namen oder seine Herkunft nach, alles schien wie
weggewischt, als hätte es immer nur diesen Raum aus Eis gegeben. „Du
kopfst dich selbst zu viel Junge, lass Taten sprechen und zeig dem
Alten Sid, aus welchem Holz du geschnitzt bist!“ Er sah nach oben
und betrachte den Schnee, der langsam nach unten sank. Und als eine
Schneeflocke auf seiner Nase landete, spürte er nichts. Nicht der
leisesten Hauch von Kälte und auch der beißende Schmerz der
klirrenden Kälte, der sich zuvor in seinen Knochen fest gebissen
hatte, war wie weggeblasen. Seine Finger glitten nach vorne und
berührten mit dem Fingernagel eine der Säulen von Sid. Erneut wehte
ihm kein Gefühl von Kälte entgegen. Fasziniert zog er seine Hand
zurück. Und als der durch den Torbogen aus Schnee und Eis schritt,
hallte die Stimme des Schneemannes durch die gesamte Halle. Erfüllte
jede Schneeflocke mit einem Klang und das Echo drang von allen Seiten
mehrmals ins Ohr des Jungen.
Tausend Klaviertasten, die nur einen Ton spielt um der Stimme von Sid
einen Laut zu geben.„Endlich machst du das Richtige! Langsam
wird’s. Und nun ab durch den Torbogen mein Freund!“ Die letzten
Worte vernahm er nicht mehr, da er bereits seine ersten Schritte in
das Portal setzte. Seltsam lang zog er sich und bildete einen Tunnel,
in dem das Licht keinen Einlass fand und Schnee , das einzige Element
um ihn herum bildete. Ein lautes Surren hallte durch seine Gehörgänge
und ließ ihn taub werden. Nicht einen Ton vernahm er mehr, selbst
seine eigene Stimme, verschluckte das Surren. Zusätzlich raubte ihm
die Finsternis die Sicht und sein einziger Sinn, den er noch wahr
nahm, legte ihm einzig und allein den Geruch von Schnee in die Nase.
Seit wann roch Schnee?
Mit jedem Schritt gewann er an Sicherheit, fühlte sich wohler und
wohler. Dieser wunderbare Geruch des Winters wehte um ihn herum,
erfüllte ihn mit Freude und spülte Glück durch seine Adern. Die
Taubheit und alles verschlingende Dunkelheit erschienen ihm kein
Hindernis mehr und mit leichten Schritten zog er weiter durch die
Höhle. Erneut wunderte er sich über das fehlende Gefühl von Kälte
und doch drängte in sein Innerstes weiter nach vorne. Er spürte den
Schnee um sich herum, wie er wilder und ungestümer wehte, ihm stark
in sich Gesicht blies und immer heftiger werdender Sturm durch die
Höhle dröhnte.
Letztlich nahm ihn der Sturm gänzlich in ihm auf, schluckte ihn und
riss immer wilder und ungestümer an ihm. Eis zerrte an ihm,
versuchte in zu ertasten und nach ihm zu schlagen. Der Atem stockte,
ein Gefühl der Ruhe, alles erfassender Stille, trotz des Gestöbers
um ihn, vernahm er nicht einen Laut, blieb ganz in sich
zurückgezogen. Das Surren verschwand, dann tat er den nächsten
Atemzug und die Schneeflocken ließen sich von ihm ein- und ausatmen
ohne zu verdunsten. Er atmete Schnee, spürte Vertrautheit und trat
die letzten Schritte der Erkenntnis hin zum Ende des Bogens.
So abrupt wie er vom Tunnel verschluckt worden war, so schnell
spuckte er ihn wieder aus. Die Augen begannen sich nur schwer an die
starke Helligkeit des Schnees zu gewöhnen und während er bemerkte,
dass er gerade einmal einen halben Schritt entfernt vom Eingang des
Torbogens stand, erkannte er den Sinn hinter seinem Weg und seine
Gedankengänge überfluteten sich mit Bildern und Erinnerungen. Die
Ungewissheit wich und der Damm brach. Er erkannte sein Ziel, seinen
Weg und seinen Freund. Der langsam schrumpfte und ihm als
gewöhnlicher Schneemann wieder in die Augen sah. Während sich die
grau-blauen Augen des Jungen mit den Knöpfen von Sid trafen, zauber
sich ein Ausdruck von Erleichterung auf das Gesicht des Schneemannes
und der Junge spürte die Verbundenheit wie all die Jahre zuvor.
„Herr über Frost und Eis? Sid du kannst es nicht lassen oder?
Grinste der Junge über beide Ohren und freute sich über seinen
wiedergewonnen Freund, dem er zum ersten Mal seit einem Jahr entgegen
blicken durfte. Die Knopfaugen gewannen an Glanz und das Strahlen des
Schneemannes konnte man förmlich spüren. „Deine Unwissenheit ist
jedes Mal ein Spaß. Ich hab es mir einfach nicht verkneifen können!
Aber ich bin froh, dass du wieder hier bist, wenn auch nicht sehr
lange!“ sprudelte es aus ihm heraus. „Du hast Recht, ich sollte
mich beeilen bis ich unten angekommen bin, werden wieder einige
Stunden vergehen. Ach ja was ich fast vergessen hätte...“ und
dabei grinste er “... nicht ich komme jedes Jahr später, sondern
meine lieben Kollegen gehen immer später“
Es tat ihm sichtlich gut wieder der Alte zu sein. Das Gesicht
strahlte fröhlicher, jetzt nachdem die Sorgenfalten aus seinem
Gesicht gewichen waren. „Hohohoho, bin froh dass du wieder hier
bist!“ lachte Sid. „Also dann!“ hob der Junge wehmütig die
Hand, drehte sich um und ging auf die riesige Tür aus Ebenholz zu.
„Wir sehen uns unten, dann bin ich im Vorteil“ blickte er noch
einmal zurück und lächelte zum Abschied. Sid hob noch einmal seinen
Zylinder und dann wandte der Junge seinen Blick ab und blickte auf
die massive Tür, vor der er nun stand, er sah auf seinen seltsam
bleichen Hände. Noch einmal betrachte er sich ausführlich, denn es
würde erneut ein Jahr dauern, bis er sich wieder selbst so stark und
kräftig erblicken darf. Noch einmal atmete er tief ein und ließ
beim Ausatmen Schneeflocken aus seinem Mund tanzen.
Mit beiden Händen stemmte er sich gegen die gigantische Tür.
Langsam gab sie nach und ließ durch einen Spalt, bereits erahnen was
ihn erwartete. Unfassbare Schönheit erblickte er. Als die Tür sich
öffnete und einen Blick auf tausende von Sterne gab, die nun vor ihm
lagen. Dieser Eingang hatte sich seinen Namen sichtlich verdient,
dachte er in aller Ruhe.
Die Tür zu Welt, so hieß sie und das war sie. Er lehnte sich über
den Türstock und blickte hinab auf die Erde. Die Welt erstreckte
sich in all seiner Schönheit vor ihm. Wahrlich ein traumhafter
Anblick! Sterne funkelten hell in die unendliche Dunkelheit des
Weltalls, dass auch durch die Türe drang. So weit unter ihm, lag der
blaue Planet, friedlich im Bett der Dunkelheit. Eine Ästhetik, die
ihm Jahr für Jahr den Atem raubte. Von hier ob sah er aus, wie ein
Riese, den das Universum im Schlaf an Sternen vorbei führte, während
über ihm der Raum aus Eis, in alle Ruhe begleitete. Doch nun genug
der Träumerei, riss er sich selbst aus den Gedanken.
Er sprang in das Meer aus Sternen. Hinab in die luftleere Atmosphäre,
ohne dass es ihn zu stören schien. Fast anmutig sauste er hinab.
Eine schneeweißer Junge, mit einem Lächeln auf dem Gesicht, flog
langsam auf die Erde zu. Er schwebte hinab und zerfiel mit einem Mal
in tausende von Eiskristallen. Nichts konnte ihn und seine Teilchen
von seiner Reise abhalten und auf die Erde herab zu rieseln. Nicht
heute und auch nicht die Jahre zuvor. So spannte er sich über die
Welt und bracht den Menschen den Schnee. Denn es war Winter.
Ende
Wer es bis zu Ende gelesen hat, gratuliere und fröhliche Weihnachten!
A wise man told me not argue with fools,
cause people from a distance, don't know who is who.
cause people from a distance, don't know who is who.
-Sean Carter