Ich gebe Personen auf Anfrage ja gerne die ein oder andere exquisite Leseempfehlung aus dem nicht ganz kleinen Fundus an brillanten Serien, die ich so über die Jahre gelesen habe. Die Anfrage dieses Mal stammte von Icedragoon, der gerne etwas vom Schlage Oyasumi Punpun lesen wollte. Aus diesem Grund habe ich mich für den nachfolgend vorgestellten Titel entschieden, der in Grundtendenzen eine schöne Anzahl an Parallelen aufweist: wie auch Asano Inio versteht es der Autor hier ein unverschöntes Abbild der japanischen Gesellschaft, ihrer Probleme und Eigenarten einzufangen. Und wie auch in Punpun spielen tiefschürfende Gefühle wie beispielsweise verschiedenste Ängste (u.a. Soziophobie), ganz besonders jedoch die Einsamkeit in diesem Werk eine tragende Rolle.
Hintergründe der Geschichte
Der Manga basiert auf einem gleichnamigen Roman (Kōko no Hito) aus den späten 60er Jahren, der zunächst episodenhaft in den monatlichen Ausgaben des Outdoor/Climbing-Magazins Yama to Keikoku erschien. Beide Werke beschreiben das Leben des berühmten japanischen Bergsteigers Katō Buntarō, der Anfang des 20. Jahrhunderts (1905-1936) lebte. Katō war zweifellos einer der bekanntesten Bergsteiger Japans – wenn nicht der bekannteste überhaupt! Dies hat zweierlei Gründe:
Über den Autor
Der Mann hinter der Geschichte ist Sakamoto Shinichi (1972 in Ōsaka geboren), der vor seiner Karriere bei Egawa Tatsuya (u.a. bekannt für Manga wie GOLDEN BOY) als Assistent tätig war und hier sein Handwerk erlernte. Im Jahr 1990 gewann Sakamoto mit seiner Kurzgeschichte Ki~ss!! beim 70. Hop ☆ Step Award, den ja u.a. auch Oda seiner Zeit einheimste. Es folgten zunächst eine Vielzahl kürzerer Geschichten (Oneshots sowie Kurzgeschichten von 2-7 Bänden), ehe er schließlich 2007 mit den Arbeiten für Kokō no Hito – The Climber begann. Hierfür holte er sich tatkräftige Unterstützung durch einen Autoren, Nabeda Yoshirō. Nabeda wurde ab Band 2 von Nitta Jirō abgelöst. Seit Band 4 der Serie schreibt Sakamoto den Manga jedoch komplett alleine.
Im Jahr 2010 wurde sein Kokō no Hito als herausragender Beitrag bei den Media Arts Awards geehrt.
Allgemeine Informationen:
Story
Mori Buntarō ist ein in sich gekehrter, apathischer und leicht merkwürdiger Junge, der einfach nur alleine gelassen werden will. Nach einem tragischen und traumatisierenden Zwischenfall an seiner alten Schule wechselt er in die Hochschule Yokosuka Nord. Natürlich kommt es aufgrund seiner Art bereits an seinem ersten Schultag zu Problemen mit dem Rowdy Miyamoto, was schließlich damit endet, dass Mori das Schulgebäude hochklettern soll, wenn er nicht als Miyamotos Mobbingopfer enden möchte. Ungeachtet der Gefahr dieses Unternehmens stellt sich Mori der Herausforderung und wagt den Aufstieg. Jeder Fehler könnte schwere Verletzungen, wenn nicht sogar den Tod zur Folge haben. Kurz bevor er sein Ziel erreicht und seine Kräfte drohen zur Neige zu gehen, muss er einen äußerst riskanten Griff anbringen, um das Dach zu erklimmen. Dieser Griff, ein Moment der vollkommenen Freiheit und ein Drahtseilakt auf dem Grat zwischen Leben und Tod, in dem jeder Augenblick zählt, erfüllen Mori mit einem Gefühl, das er bis zu jenem Zeitpunkt nicht kannte: er fühlte sich lebendig! Aber auch zufrieden und vielleicht sogar glücklich.
Ein Schlüsselmoment in Moris Leben und der Beginn seiner Leidenschaft für das Klettern. Dem Himmel entgegen strebend wagt er sich immer höheren und immer extremeren Herausforderungen…
Artwork – 10/10 Punkte:
Okay, ich denke, hier muss ich differenzieren und ein wenig ausholen. Zu Beginn der Serie ist das Artwork zwar durchaus nett anzusehen, aber es weist noch deutliche Schwächen auf. Sakamoto wird oft für seinen fotorealistischen Stil, der insbesondere in der Darstellung von Muskeln und Bewegungsabläufen deutlich wird, gelobt. Selbstverständlich ist dies nur durch einen großen Einsatz von virtuellen Medien zu erreichen, was ich – wer mich kennt, der weiß das – eigentlich nicht sehr gerne mag. Ich vertrete hier den ganz einfachen Grundsatz: *wenn* jemand viel mit virtuellen Hilfsmitteln arbeitet, dann muss das Ergebnis herausragend sein, auf gleichbleibend hohem Niveau und um Gottes willen einen harmonischen Gesamteindruck erzeugen. (Ich hasse es, wenn die Computer-generierten und die von Hand gezeichneten Elemente wie eine billige Fotomontage zusammengewürfelt aussehen wie das leider Gottes oft in Mahwa oder bei Druckerzeugnissen wie GANTZ der Fall ist.) Aus diesem Grund würde ich dem Manga in den frühen Bänden beileibe keine solch herausragende Bewertung zugestehen. (Vielleicht 7,5/10)
Jedoch kommt es irgendwann zur Hälfte der Geschichte (ich meine um den Dreh: Band 6) zu einer deutlichen Verbesserung und Sakamoto steigert sich fortan konstant, sodass ich gegen Ende eigentlich gar nicht mehr anders konnte, als hier die vollen 10 Punkte zu vergeben. Brillante Doppel-Spreads, faszinierende Landschaftszeichnungen, tolles Spiel mit Dramatik und Dynamik, akkurate Darstellung von kleinsten Details wie dem Equipment und, und, und… es kommt einfach eine Menge zusammen und wirkt in seiner Gänze genial.
Was ich alter Indi-Manga-Freund natürlich vermisse, ist so ein wenig das experimentelle Element, aber auch hier gibt es dann in den späteren Bänden zum Glück doch noch ein wenig Futter, allerhand Symbolismus und Träume sowie eine gute Prise Wahn und Halluzinationen. Wie immer lasse ich an dieser Stelle einfach mal die Bilder für sich sprechen und auf euch wirken:
Plot – 9/10 Punkte:
Der Plot ist über die meiste Zeit angenehm geradlinig erzählt, mit nur wenigen Zäsuren (immer mal wieder kleinere Flashforwards sowie – ich meine, es waren zwei – Zeitsprünge), wirkt dabei trotz allem nie langweilig oder fad. Im Gegenteil, der Leser kann der Geschichte folgen und erlebt die stete Entwicklung des Hauptcharakters quasi in Echtzeit mit. Dreh- und Angelpunkt der Serie ist unser Hauptcharakter. Moris Lebensgeschichte und Werdegang stehen im Zentrum des Manga und stecken somit seinen ungefähren Rahmen ab. Wir haben ein klares Ziel, auf welches sich die Geschichte hinbewegt. Interessanter sind hierbei also vielleicht die einzelnen Zwischenstationen, die kleinen Etappen, die unser Titelheld überwinden muss.
Ich persönlich mag gut erzählte Biographien sehr gerne, darum sagt mir die Erzählform des Manga ungemein zu. Die perfekte Bewertung blieb letzten Endes doch aus, weil mir ein gewisses repetitives Moment negativ auffiel, worauf ich aber im nächsten Abschnitt genauer eingehen will.
Charaktere – 9/10 Punkte:
Diese Kategorie ist nicht ganz einfach, das muss ich zunächst wirklich anfügen. Im Zentrum der Geschichte steht Mori, ein Vorzeigemodell einer Deus Angst Machina.
Jetzt mag manch einer vielleicht fragen: Moment mal, was ist das? Darum will ich es markant auf den Punkt bringen: die Welt ist grausam und hässlich und wird ALLES dafür tun, das Leben eines Charakters so schrecklich und miserabel wie nur irgend möglich zu machen, was dann in einer Art endlosen Teufelskreises aus Grausamkeit von Außen und persönlicher Misere im Inneren gipfelt. (Ausführliche Definition für diesen Typ von Figur – lustigerweise wird dort sogar Mori als Beispiel erwähnt – kann man → hier ← nachlesen.)
Und genau hier greift auch meine größte Kritik an der Serie: einerseits mag ich Misere und äußere Einflüsse als Katalysator für (Charakter-)Entwicklung sehr gerne, aber es ist in manchen Fällen einfach zuviel. Prinzipiell denke ich tatsächlich, dass in diesem Manga ein akkurates Gesellschaftsbild Japans gegeben wird. Ich bezweifle nicht, dass man vielen Figuren des Werks so auch im echten Leben begegnen kann. Und gerade ein Charakter wie Mori zieht diese wie die Fliegen an. Trotz allem wirkt die Fülle, in der diese Figuren hier auftreten, einfach unglaubwürdig. Im gesamten Manga gibt es vielleicht eine Hand voll Charaktere, die in Mori kein Opfer sehen, das sie für ihren persönlichen Vorteil benutzen wollen oder den sie aufgrund seiner Art verachten. Selbst frühere Gefährten von ihm werden sich früher oder später gegen ihn wenden.
Umso schrecklicher ist der oben erwähnte Teufelskreis: Mori erfährt negative Impulse, WEIL er soziophob und in sich gekehrt ist. Die negativen Impulse/Erfahrungen türmen sich auf, was wieder rum dazu führt, dass Moris Angst und daraus resultierende, freiwillige Isolation weiter gesteigert werden, womit der Kreis geschlossen wäre und das Spiel von neuem beginnt.
Trotz allem sind die Figuren für sich genommen wahnsinnig gut skizziert. Alle wichtigeren Personen haben einen ausgearbeiteten Charakter, mit ganz eigenen Wesenszügen und Marotten. Und auch unsere Deus Angst Machina wird im späteren Verlauf eine Person treffen, die sein Leben prägen und verändern wird, soviel sei verraten!
Themen und Motive – 10/10 Punkte:
Endlich mal wieder ein Manga, den ich hier im PB vorstelle, bei dem es mir nicht schwer fällt das Hauptthema eindeutig zu benennen. Es handelt sich hier nicht primär um einen Sport-Manga, der sich mit Klettern und Bergsteigen befasst. Das wäre am Ziel vorbei geschossen. Ich persönlich würde an dieser Stelle ganz einfach die zwei Begriffe aus der Linguistik borgen, die meines Erachtens die Konzeption recht trefflich beschreiben:
Für mich ist das Hauptthema die gute, alte conditio humana, also das Ergründen der Natur des Menschen im Zusammenspiel mit sozialen, kulturellen und persönlichen Erfahrungen. Dies ist für mich das Hauptthema, also der Tenor. Das Bergsteigen dient lediglich als Ausdrucksform, wenn man so will, und lässt sich daher als Vehikel bezeichnen. Das ist jetzt noch reichlich abstrakt ausgedrückt, aber lässt sich ohne weiteres spezifizieren. Nehmen wir doch einfach mal Mori als Beispiel: Was bedeutet für ihn Bergsteigen?
Zunächst einmal natürlich sein persönliches Befinden, wie weiter oben bereits erwähnt. Leidenschaft und Liebe zum Sport, dann die Herausforderung und das damit verbundene Gefühl der Zufriedenheit und zuletzt auch das Adrenalin, das Leben.
Das wäre jetzt eine Facette, die relativ augenfällig erscheint. Hier spielt aber auch noch die psychologische Komponente mit rein, in der der Berg für ihn ein Ort der gewählten Isolation ist. Das Leben auf dem Berg ist ein Leben abseits von Zivilisation, Gesellschaft und all den anderen (Stör-)Faktoren, die er negativ empfunden hat. Auf dem Berg muss er sich nicht mit diesen Dingen befassen, er lebt auf sich allein gestellt. Wir haben also nicht nur eine räumliche, sondern auch soziale Isolation. Eine Frage, die sich aus dieser Situation nun aber zwangläufig ergibt, lautet: Wie glücklich kann solch ein Leben machen? Eine Frage, die auf interessante Weise erörtert und nicht einfach im schwarz/weißen Betrachtungsschema abgehandelt wird.
Das war jetzt nur ein Beispiel von vielen weiteren möglichen, aber ich belasse es einfach einmal hierbei. Wer auf einen dynamischen Sportmanga hofft, der ist hier wohl zweifelsohne nicht ganz an der richtigen Adresse. Der Sport spielt nur die zweite Geige, jedoch ist auch diese wichtig und kann äußerst wohlklingende Melodie hervorbringen. Im Vordergrund der Geschichte steht jedoch eindeutig das Drama. Interessant finde ich hierbei im Übrigen auch die Gewichtung des Ganzen. In den frühen Bänden stand der Sport noch mehr im Vordergrund und der Ton des Manga war vergleichsweise heiter. Natürlich Mori war unser „Life sucks“-Emolein, aber solche Teenager kennt man ja und um ihn herum spielte das fröhliche, normale Highschool-Leben, das ihn aufnahm und ein bisschen formen und auflockern konnte. Jedoch ändert sich dies relativ schlagartig und spätestens ab dem Zeitpunkt als Mori zum Profi wurde, nimmt der Sport die Rolle ein, die ich hier eingangs beschrieben habe.
Ich denke, das reicht als kurze Einführung zu diesem Manga, der sich vor Taniguchis Gipfel der Götter keineswegs zu verstecken braucht. Ob und wenn ja, welches der beiden Werke euch besser gefällt, sei jedem selbst überlassen und ich werde auf diese Frage an dieser Stelle auch überhaupt nicht eingehen. Fakt ist, dass für Freunde von Manga mit dramatischem und psychologischem Ton hier eine Menge geboten wird und das in einem faszinierend schönen Artwork, das den Titel auch für Freunde von gutem AW ansprechend macht! Also, worauf wartet ihr noch: der Berg ruft!
Hintergründe der Geschichte
Der Manga basiert auf einem gleichnamigen Roman (Kōko no Hito) aus den späten 60er Jahren, der zunächst episodenhaft in den monatlichen Ausgaben des Outdoor/Climbing-Magazins Yama to Keikoku erschien. Beide Werke beschreiben das Leben des berühmten japanischen Bergsteigers Katō Buntarō, der Anfang des 20. Jahrhunderts (1905-1936) lebte. Katō war zweifellos einer der bekanntesten Bergsteiger Japans – wenn nicht der bekannteste überhaupt! Dies hat zweierlei Gründe:
- Zum einen selbstredend die Zeit, in der Katō lebte. In diesem Zeitrahmen erreichte der Sport Bergsteigen Japan überhaupt erst und erlangte in kürzester Zeit große Popularität. Dies bedeutet im Umkehrschluss: es gab eine Vielzahl von Bergen, Gipfeln und Routen, die zuvor von noch niemandem beschritten wurden. Ein jeder Bergsteiger träumte vom schnellen Ruhm durch das Erklimmen von schwierigen und unbekannten Massiven. So gelang es Katō seine Spuren zu hinterlassen und diversen Routen seinen Stempel aufzudrücken.
- Noch viel wichtiger war aber wohl zweifellos Katōs Stil und Art, die ihn zur Legende des japanischen Klettersports machten. So unternahm er vorwiegend Soloexpeditionen und nahm auch die schwierigsten Routen alleine in Angriff.
Über den Autor
Der Mann hinter der Geschichte ist Sakamoto Shinichi (1972 in Ōsaka geboren), der vor seiner Karriere bei Egawa Tatsuya (u.a. bekannt für Manga wie GOLDEN BOY) als Assistent tätig war und hier sein Handwerk erlernte. Im Jahr 1990 gewann Sakamoto mit seiner Kurzgeschichte Ki~ss!! beim 70. Hop ☆ Step Award, den ja u.a. auch Oda seiner Zeit einheimste. Es folgten zunächst eine Vielzahl kürzerer Geschichten (Oneshots sowie Kurzgeschichten von 2-7 Bänden), ehe er schließlich 2007 mit den Arbeiten für Kokō no Hito – The Climber begann. Hierfür holte er sich tatkräftige Unterstützung durch einen Autoren, Nabeda Yoshirō. Nabeda wurde ab Band 2 von Nitta Jirō abgelöst. Seit Band 4 der Serie schreibt Sakamoto den Manga jedoch komplett alleine.
Im Jahr 2010 wurde sein Kokō no Hito als herausragender Beitrag bei den Media Arts Awards geehrt.
Allgemeine Informationen:
- Serie: Kokō no Hito – The Climber (kokō no hito bedeutet übersetzt "Person von stolzer Einsamkeit")
- Zeichner: Sakamoto Shinichi
- Autor: Nabeda Yoshirō (bis Band 2); Nitta Jirō (ab Band 2, bis Band 4)
- Genre: Drama, Psychologie, Tragödie, Sport
- Magazin: Weekly Young JUMP
- Status: nicht beendet (14 Bände erschienen; Scanlations bis Kapitel 121 [Band 12])
Story
Mori Buntarō ist ein in sich gekehrter, apathischer und leicht merkwürdiger Junge, der einfach nur alleine gelassen werden will. Nach einem tragischen und traumatisierenden Zwischenfall an seiner alten Schule wechselt er in die Hochschule Yokosuka Nord. Natürlich kommt es aufgrund seiner Art bereits an seinem ersten Schultag zu Problemen mit dem Rowdy Miyamoto, was schließlich damit endet, dass Mori das Schulgebäude hochklettern soll, wenn er nicht als Miyamotos Mobbingopfer enden möchte. Ungeachtet der Gefahr dieses Unternehmens stellt sich Mori der Herausforderung und wagt den Aufstieg. Jeder Fehler könnte schwere Verletzungen, wenn nicht sogar den Tod zur Folge haben. Kurz bevor er sein Ziel erreicht und seine Kräfte drohen zur Neige zu gehen, muss er einen äußerst riskanten Griff anbringen, um das Dach zu erklimmen. Dieser Griff, ein Moment der vollkommenen Freiheit und ein Drahtseilakt auf dem Grat zwischen Leben und Tod, in dem jeder Augenblick zählt, erfüllen Mori mit einem Gefühl, das er bis zu jenem Zeitpunkt nicht kannte: er fühlte sich lebendig! Aber auch zufrieden und vielleicht sogar glücklich.
Ein Schlüsselmoment in Moris Leben und der Beginn seiner Leidenschaft für das Klettern. Dem Himmel entgegen strebend wagt er sich immer höheren und immer extremeren Herausforderungen…
Artwork – 10/10 Punkte:
Okay, ich denke, hier muss ich differenzieren und ein wenig ausholen. Zu Beginn der Serie ist das Artwork zwar durchaus nett anzusehen, aber es weist noch deutliche Schwächen auf. Sakamoto wird oft für seinen fotorealistischen Stil, der insbesondere in der Darstellung von Muskeln und Bewegungsabläufen deutlich wird, gelobt. Selbstverständlich ist dies nur durch einen großen Einsatz von virtuellen Medien zu erreichen, was ich – wer mich kennt, der weiß das – eigentlich nicht sehr gerne mag. Ich vertrete hier den ganz einfachen Grundsatz: *wenn* jemand viel mit virtuellen Hilfsmitteln arbeitet, dann muss das Ergebnis herausragend sein, auf gleichbleibend hohem Niveau und um Gottes willen einen harmonischen Gesamteindruck erzeugen. (Ich hasse es, wenn die Computer-generierten und die von Hand gezeichneten Elemente wie eine billige Fotomontage zusammengewürfelt aussehen wie das leider Gottes oft in Mahwa oder bei Druckerzeugnissen wie GANTZ der Fall ist.) Aus diesem Grund würde ich dem Manga in den frühen Bänden beileibe keine solch herausragende Bewertung zugestehen. (Vielleicht 7,5/10)
Jedoch kommt es irgendwann zur Hälfte der Geschichte (ich meine um den Dreh: Band 6) zu einer deutlichen Verbesserung und Sakamoto steigert sich fortan konstant, sodass ich gegen Ende eigentlich gar nicht mehr anders konnte, als hier die vollen 10 Punkte zu vergeben. Brillante Doppel-Spreads, faszinierende Landschaftszeichnungen, tolles Spiel mit Dramatik und Dynamik, akkurate Darstellung von kleinsten Details wie dem Equipment und, und, und… es kommt einfach eine Menge zusammen und wirkt in seiner Gänze genial.
Was ich alter Indi-Manga-Freund natürlich vermisse, ist so ein wenig das experimentelle Element, aber auch hier gibt es dann in den späteren Bänden zum Glück doch noch ein wenig Futter, allerhand Symbolismus und Träume sowie eine gute Prise Wahn und Halluzinationen. Wie immer lasse ich an dieser Stelle einfach mal die Bilder für sich sprechen und auf euch wirken:
Plot – 9/10 Punkte:
Der Plot ist über die meiste Zeit angenehm geradlinig erzählt, mit nur wenigen Zäsuren (immer mal wieder kleinere Flashforwards sowie – ich meine, es waren zwei – Zeitsprünge), wirkt dabei trotz allem nie langweilig oder fad. Im Gegenteil, der Leser kann der Geschichte folgen und erlebt die stete Entwicklung des Hauptcharakters quasi in Echtzeit mit. Dreh- und Angelpunkt der Serie ist unser Hauptcharakter. Moris Lebensgeschichte und Werdegang stehen im Zentrum des Manga und stecken somit seinen ungefähren Rahmen ab. Wir haben ein klares Ziel, auf welches sich die Geschichte hinbewegt. Interessanter sind hierbei also vielleicht die einzelnen Zwischenstationen, die kleinen Etappen, die unser Titelheld überwinden muss.
Ich persönlich mag gut erzählte Biographien sehr gerne, darum sagt mir die Erzählform des Manga ungemein zu. Die perfekte Bewertung blieb letzten Endes doch aus, weil mir ein gewisses repetitives Moment negativ auffiel, worauf ich aber im nächsten Abschnitt genauer eingehen will.
Charaktere – 9/10 Punkte:
Diese Kategorie ist nicht ganz einfach, das muss ich zunächst wirklich anfügen. Im Zentrum der Geschichte steht Mori, ein Vorzeigemodell einer Deus Angst Machina.
Jetzt mag manch einer vielleicht fragen: Moment mal, was ist das? Darum will ich es markant auf den Punkt bringen: die Welt ist grausam und hässlich und wird ALLES dafür tun, das Leben eines Charakters so schrecklich und miserabel wie nur irgend möglich zu machen, was dann in einer Art endlosen Teufelskreises aus Grausamkeit von Außen und persönlicher Misere im Inneren gipfelt. (Ausführliche Definition für diesen Typ von Figur – lustigerweise wird dort sogar Mori als Beispiel erwähnt – kann man → hier ← nachlesen.)
Und genau hier greift auch meine größte Kritik an der Serie: einerseits mag ich Misere und äußere Einflüsse als Katalysator für (Charakter-)Entwicklung sehr gerne, aber es ist in manchen Fällen einfach zuviel. Prinzipiell denke ich tatsächlich, dass in diesem Manga ein akkurates Gesellschaftsbild Japans gegeben wird. Ich bezweifle nicht, dass man vielen Figuren des Werks so auch im echten Leben begegnen kann. Und gerade ein Charakter wie Mori zieht diese wie die Fliegen an. Trotz allem wirkt die Fülle, in der diese Figuren hier auftreten, einfach unglaubwürdig. Im gesamten Manga gibt es vielleicht eine Hand voll Charaktere, die in Mori kein Opfer sehen, das sie für ihren persönlichen Vorteil benutzen wollen oder den sie aufgrund seiner Art verachten. Selbst frühere Gefährten von ihm werden sich früher oder später gegen ihn wenden.
Umso schrecklicher ist der oben erwähnte Teufelskreis: Mori erfährt negative Impulse, WEIL er soziophob und in sich gekehrt ist. Die negativen Impulse/Erfahrungen türmen sich auf, was wieder rum dazu führt, dass Moris Angst und daraus resultierende, freiwillige Isolation weiter gesteigert werden, womit der Kreis geschlossen wäre und das Spiel von neuem beginnt.
Trotz allem sind die Figuren für sich genommen wahnsinnig gut skizziert. Alle wichtigeren Personen haben einen ausgearbeiteten Charakter, mit ganz eigenen Wesenszügen und Marotten. Und auch unsere Deus Angst Machina wird im späteren Verlauf eine Person treffen, die sein Leben prägen und verändern wird, soviel sei verraten!
Themen und Motive – 10/10 Punkte:
Endlich mal wieder ein Manga, den ich hier im PB vorstelle, bei dem es mir nicht schwer fällt das Hauptthema eindeutig zu benennen. Es handelt sich hier nicht primär um einen Sport-Manga, der sich mit Klettern und Bergsteigen befasst. Das wäre am Ziel vorbei geschossen. Ich persönlich würde an dieser Stelle ganz einfach die zwei Begriffe aus der Linguistik borgen, die meines Erachtens die Konzeption recht trefflich beschreiben:
Für mich ist das Hauptthema die gute, alte conditio humana, also das Ergründen der Natur des Menschen im Zusammenspiel mit sozialen, kulturellen und persönlichen Erfahrungen. Dies ist für mich das Hauptthema, also der Tenor. Das Bergsteigen dient lediglich als Ausdrucksform, wenn man so will, und lässt sich daher als Vehikel bezeichnen. Das ist jetzt noch reichlich abstrakt ausgedrückt, aber lässt sich ohne weiteres spezifizieren. Nehmen wir doch einfach mal Mori als Beispiel: Was bedeutet für ihn Bergsteigen?
Zunächst einmal natürlich sein persönliches Befinden, wie weiter oben bereits erwähnt. Leidenschaft und Liebe zum Sport, dann die Herausforderung und das damit verbundene Gefühl der Zufriedenheit und zuletzt auch das Adrenalin, das Leben.
Das wäre jetzt eine Facette, die relativ augenfällig erscheint. Hier spielt aber auch noch die psychologische Komponente mit rein, in der der Berg für ihn ein Ort der gewählten Isolation ist. Das Leben auf dem Berg ist ein Leben abseits von Zivilisation, Gesellschaft und all den anderen (Stör-)Faktoren, die er negativ empfunden hat. Auf dem Berg muss er sich nicht mit diesen Dingen befassen, er lebt auf sich allein gestellt. Wir haben also nicht nur eine räumliche, sondern auch soziale Isolation. Eine Frage, die sich aus dieser Situation nun aber zwangläufig ergibt, lautet: Wie glücklich kann solch ein Leben machen? Eine Frage, die auf interessante Weise erörtert und nicht einfach im schwarz/weißen Betrachtungsschema abgehandelt wird.
Das war jetzt nur ein Beispiel von vielen weiteren möglichen, aber ich belasse es einfach einmal hierbei. Wer auf einen dynamischen Sportmanga hofft, der ist hier wohl zweifelsohne nicht ganz an der richtigen Adresse. Der Sport spielt nur die zweite Geige, jedoch ist auch diese wichtig und kann äußerst wohlklingende Melodie hervorbringen. Im Vordergrund der Geschichte steht jedoch eindeutig das Drama. Interessant finde ich hierbei im Übrigen auch die Gewichtung des Ganzen. In den frühen Bänden stand der Sport noch mehr im Vordergrund und der Ton des Manga war vergleichsweise heiter. Natürlich Mori war unser „Life sucks“-Emolein, aber solche Teenager kennt man ja und um ihn herum spielte das fröhliche, normale Highschool-Leben, das ihn aufnahm und ein bisschen formen und auflockern konnte. Jedoch ändert sich dies relativ schlagartig und spätestens ab dem Zeitpunkt als Mori zum Profi wurde, nimmt der Sport die Rolle ein, die ich hier eingangs beschrieben habe.
Ich denke, das reicht als kurze Einführung zu diesem Manga, der sich vor Taniguchis Gipfel der Götter keineswegs zu verstecken braucht. Ob und wenn ja, welches der beiden Werke euch besser gefällt, sei jedem selbst überlassen und ich werde auf diese Frage an dieser Stelle auch überhaupt nicht eingehen. Fakt ist, dass für Freunde von Manga mit dramatischem und psychologischem Ton hier eine Menge geboten wird und das in einem faszinierend schönen Artwork, das den Titel auch für Freunde von gutem AW ansprechend macht! Also, worauf wartet ihr noch: der Berg ruft!