Es gibt einen Ort, noch realer als die Realität selbst. Das reinste Paradies. – Wir nennen diesen Ort Ultra Heaven!
Schon der Header und das leicht modifizierte Zitat eines Charakters aus dem Manga geben hier einen klitzekleinen Vorgeschmack auf das, was den Leser in diesem Werk erwartet. Ultra Heaven zählt – das kann ich ohne Vorbehalte sagen – definitiv zu meinen Lieblingsserien und es gibt wirklich wenig Manga, die so anspruchsvoll und brillant sind wie dieser.
Über den Autor
Der Mann hinter der Serie nennt sich Koike Keiichi, ein 1960 in Tokyo geborener Mangaka mit einer nicht uninteressanten Biographie. 1976 nahm er im Alter von 16 Jahren am 12. halbjährlich stattfindenden Tezuka-Preis für Nachwuchskünstler von Shueisha teil, bei dem sein Beitrag Urashima von der Jury mit der höchstmöglichen Auszeichnung prämiert wurde. (Damit ist Koike der jüngste Teilnehmer, dem dies je gelang!) Zwischen 1981 und 1984 verbrachte er einige Jahre in den USA und war dort als Illustrator in Werbung und Fernsehen tätig. Im Jahr 1983 veröffentlichte er einen Comic im Magazin Epic Illustrated von Marvel. 1984 kehrte Koike in seine Heimat zurück und begann seine Karriere als Mangaka. Im Jahr 1986 wurde zum ersten Mal eine seiner Serien (SPINOZA) als Taschenbuch publiziert. Seit 2002 erscheint seine Serie Ultra Heaven.
Obwohl Koike kein besonders produktiver Zeichner ist und vornehmlich Kurzgeschichten geschaffen hat, ist sein Renommee sehr weitreichend. Er besitzt eine große Zahl von treuen und begeisterten Fans und genießt insbesondere in Fachkreisen höchstes Ansehen. Seine bevorzugten Sujets sind das Bewusstsein und Bewusstseinszustände, dies reicht von Träumen und Halluzinationen [oft durch Drogenkonsum] bis hin zur Erleuchtung und anderweitigen meditativen Zuständen. Auch die transpersonale Psychologie begeistert ihn.
Sein Zeichenstil ist von den Großmeistern des frankobelgischen Comics, allen voran Jean Giraud (Möbius), beeinflusst und ähnelt diesen sehr. Seine Werke zeichnen sich durch äußerst hohes künstlerisches Handwerk aus. Koikes Strichführung erweist sich als sehr fein und genau und seine Bilder besitzen große Ausdruckskraft, die sich oft im Skurrilen und Eigenartigen (Stichwort: Traumwelten) niederschlägt. Aus diesem Grund werden Koikes Werke auch als sog. „Art Comics“ charakterisiert.
Allgemeine Informationen
Wir befinden uns in der Zukunft, in einer Zeit, in der ein Großteil von Drogen, Medikamenten und anderen Substanzen, die das Bewusstsein verändern, legalisiert und amtlich zum Konsum zugelassen wurden. Diese Substanzen, die einst verboten waren und als äußerst gefährlich galten, werden heutzutage sogar im Fernsehen in Werbespots angepriesen. Auch zum Konsum muss man sich nicht mehr in der eigenen Bude verbarrikadieren oder siffige Spelunken aufsuchen, nein, hierfür wurden spezielle Etablissements errichtet, in denen man von ausgebildeten Spezial-Barmännern bedient wird, und sich in geselliger Runde und bezauberndem Ambiente die abenteuerlichsten Drogencocktails genehmigen kann.
Was zunächst als großer Erfolg und Trittstein zur Verbesserung der Welt und des Lebens galt, sollte sich schon bald als eine gewaltige Illusion erweisen. Die Menschen sind gefangen in einer künstlichen Welt und einer Gesellschaft von Süchtigen, angeführt von und kontrolliert durch die staatlichen Hygienebehören, die sich besonders schwerer Suchtfälle „annehmen“.
Einer dieser Suchtfälle ist der Hauptcharakter Kabu, ein kleinerer Dealer für besonders harte (=verbotene) Drogen. Er lebt von einem Tripp zum nächsten und hat bereits unzählige Drogen probiert, was erst jüngst zu einer Überdosis führte, hervorgerufen durch das Mischen zweier unverträglicher Substanzen. Eines Tages trifft Kabu auf seiner Sucher nach Aufputschmitteln auf einen äußerst komischen Mann, der ihm eine brandneue Droge anbietet: Ultra Heaven!
Nach dem Konsum beginnt Kabus unglaublicher und verstörender Trip, in dem Traum und Realität verschmelzen und ein neues, gleichermaßen befriedigendes wie zerfressendes Konzept des Bewusstseins ergeben.
Zusammen mit einer Freundin wagt Kabu einige Zeit später mithilfe eines speziellen Schaltverstärker-Helms eine Reise in die Tiefen seines Bewusstseins, um die Wahrheit zu ergründen. Doch taucht er damit in einen Albtraum, den niemand - er selbst am wenigsten - erwartet hätte…
Artwork – 10/10 Punkte:
Soll ich es bei einer Kurzversion belassen oder doch mehr ins Detail gehen? Kurzum: das Artwork passt einfach perfekt zur Geschichte! Ich glaube, es gibt nur ganz wenige Zeichner, die eine ähnlich überzeugende gestalterische Aufmachung hinbekommen hätten. Ganz, ganz großes Lob an Koike für die Zeit, die er in seine Zeichnungen investiert. Man merkt es deutlich und – noch viel wichtiger – es ist den Aufwand auch wirklich wert.
Besonders hervorzuheben gilt es Koikes Geschick für Layout und Panelanordnung. Diese vermitteln die Halluzinationen und Trips dermaßen gelungen, dass man selbst als nüchterner Leser leichtes Schwindelgefühl oder ähnliches beim Lesen empfindet. Einfach nur klasse! Daneben kommt dem Ganzen natürlich der wunderbar skurrile Touch zum Guten. Koikes feingliedrige und detailverliebten Illustrationen sind echtes Eyecandy und der Leser kann in ihnen regelrecht versinken. (So gibt es phasenweise Seitenabfolgen mit wenig bis kaum Text, aber trotz allem sollte man sich für diese mehrere Minuten Zeit nehmen, um sie auf sich wirken zu lassen und sie in ihrer Gänze erfassen zu können!)
Dem geneigten Mangakenner wird in Ultra Heaven auch eine große Ähnlichkeit zur Optik von Ōtomo Katsuhiros Klassiker AKIRA auffallen. Diese ist äußerst augenfällig. Trotzallem steigert der gute Koike die zeichnerische Finesse des Großmeisters Ōtomo noch einmal. – Schwer zu glauben, ich weiß, aber die nachfolgenden Bilder dürften einen ganz guten Eindruck vermitteln…
Plot – 10/10 Punkte:
Ich war lange am überlegen, ob ich in dieser Kategorie zum gegenwärtigen Zeitpunkt schon eine Wertung vergeben sollte. Primärer Grund ist, dass Koike das große Ziel zum aktuellen Stand noch geschickt unter so manchem Schleier verbirgt. Der Leser ist noch im Unklaren, was ihn da noch genau erwartet, er weiß lediglich, DASS da etwas im Argen liegt.
Trotzdem habe ich mich dann zu einer Wertung durchgerungen, weil mir die Art, in der Koike die Geschichte auffädelt, sehr gut gefällt. – Genau so muss das in einem Manga wie diesem geschehen. Dem Leser werden die Infos fragment- und stückweise gegeben, nicht in großen Portionen oder wie ein Stück Fleisch, das einem zugeworfen wird. Man muss sich durch ein Gewirr an Handlungsebenen und Flashbacks wühlen und es ist sehr schwer den Überblick zu behalten. Zu jedem Zeitpunkt ist genug Spielraum für eigene Theorien und Überlegungen gegeben (z.B. welche verschiedenen Machtfraktionen gibt es im Manga aktuell? Wer zählt zu welcher Fraktion? Was sind die Ziele der jeweiligen Gruppierung?) und regt dabei dann auch zu solch philosophischen Fragestellungen an wie Was ist Realität?, Wo liegt die Grenze zwischen Realität und Traum?, Wer oder was zieht diese Grenze und wie lässt sie sich verschieben?, etc. etc. etc.
Charaktere – 9/10 Punkte:
Auch zu diesem Punkt kann ich keine große Kritik äußern. Die Charaktere in Ultra Heaven sind quasi ausnahmslos äußerst gelungen. Das fängt bei Kabu, dem Protagonisten an: Ein albgehalfterter Junkie und Kleinkrimineller, der von seiner Sucht kontrolliert wird und sich selbst als Opfer der Gesellschaft sieht. Solche Charaktere sind mir 10-mal lieber als diese Saubermänner und Dumpfbacken, denen man in viel zu vielen Manga begegnet.
Aber auch viele andere Figuren wissen wirklich zu gefallen. Ganz gleich, ob man jetzt „Sally“ mit ihren zwei Gesichtern (Gelegenheits-Suchti im normalen Leben <-> Halbgöttin und Retterin in der anderen Welt), den Mob um „Image“, „Arthur“ und „Andy“ oder den Ultra-Heaven-Dealer nimmt, der im übrigen eines der abgefucktesten und krankesten aussehenden Charakterdesigns verpasst bekommen hat, die man so zu sehen kriegt.
Man merkt anhand der Figuren eigentlich nicht, dass man einen Manga liest. Es könnte sich genauso gut um Charaktere aus einem Roman halten. Also auch in diesem Punkt beweist Koike hohe literarische Fähigkeiten.
Themen und Motive – 10/10 Punkte:
Zum Abschluss heißt es noch ein paar Worte zu den Themen und Motiven zu verlieren. Das einzig schwierige ist bei Ultra Heaven eigentlich nur, welche man sich hier rauspicken möchte, ganz einfach weil es sich – wie angefügt – um ein solch unglaublich gehaltvolles Werk handelt.
Zentralster Gegenstand ist zweifelsohne das von Koike so intensiv behandelte Sujet der Traumwelt und der Bewusstseinszustände. Es handelt sich ja nicht um einen bloßen „Acid Comic“, der den Drogenabusus ins Zentrum stellt oder gar stilisiert. Jede Szene ist reich an Dramatik und den antagonistischen Gefühlsschüben, die den Junkie beim Konsum überkommen (Wohlgefühl und Glück vs. Panik und Angstzustände). Kabu verliert sich über weite Strecken der Geschichten in einem Netz aus Halluzinationen, Wahn und Illusion und weiß überhaupt nicht mehr, wo ihm der Kopf steht. Und wenn dann auch noch Sätze fallen wie „Die Droge hat für sich keine Wirkung; sie setzt lediglich frei, was sich ohnehin bereits im Kopf des Konsumenten verbarg!“ werden auch die Funktionsweisen des menschlichen Gehirns sowie die schiere Grenzenlosigkeit dieser Sphären ergründet. (Und damit fängt der Spaß dann eigentlich erst richtig an, wenn Koike sich nämlich an die transpersonale Psychologie macht und die richtig harten Geschütze auffährt! :D)
Ich bin mir sicher, dass eigentlich niemand, der das Werk halbwegs aufmerksam liest, am Ende nicht irgendetwas für sich mitgenommen oder sich in irgendeiner Weise zu Überlegungen angeregt gefühlt hat! Aus diesem Grund würde ich mich doch sehr freuen, wenn eine nicht kleine Zahl von Leuten in diese exquisite Lektüre reinschnuppert und ihre Leseerfahrungen mit der Allgemeinheit teilen würde! Genug Gesprächsstoff ist definitiv da. – Ähnlich wie beim Zitat über die Droge: es ist alles vorhanden, es muss lediglich freigesetzt werden!
Damit komme ich dann fürs Erste zum Ende. Ich hoffe doch sehr, dass ich manchem PBler diesen Titel schmackhaft machen konnte. Besonders mancher Kollege aus dem „Sinn des Lebens“-Thread dürfte hier definitiv auf seine Kosten kommen…
Zwar kein einfacher Manga und vielleicht nicht jedermanns Geschmack, aber wer die „Herausforderung“ nicht scheut, der wird hier auf seine Kosten kommen, soviel kann ich versprechen!
Über den Autor
Der Mann hinter der Serie nennt sich Koike Keiichi, ein 1960 in Tokyo geborener Mangaka mit einer nicht uninteressanten Biographie. 1976 nahm er im Alter von 16 Jahren am 12. halbjährlich stattfindenden Tezuka-Preis für Nachwuchskünstler von Shueisha teil, bei dem sein Beitrag Urashima von der Jury mit der höchstmöglichen Auszeichnung prämiert wurde. (Damit ist Koike der jüngste Teilnehmer, dem dies je gelang!) Zwischen 1981 und 1984 verbrachte er einige Jahre in den USA und war dort als Illustrator in Werbung und Fernsehen tätig. Im Jahr 1983 veröffentlichte er einen Comic im Magazin Epic Illustrated von Marvel. 1984 kehrte Koike in seine Heimat zurück und begann seine Karriere als Mangaka. Im Jahr 1986 wurde zum ersten Mal eine seiner Serien (SPINOZA) als Taschenbuch publiziert. Seit 2002 erscheint seine Serie Ultra Heaven.
Obwohl Koike kein besonders produktiver Zeichner ist und vornehmlich Kurzgeschichten geschaffen hat, ist sein Renommee sehr weitreichend. Er besitzt eine große Zahl von treuen und begeisterten Fans und genießt insbesondere in Fachkreisen höchstes Ansehen. Seine bevorzugten Sujets sind das Bewusstsein und Bewusstseinszustände, dies reicht von Träumen und Halluzinationen [oft durch Drogenkonsum] bis hin zur Erleuchtung und anderweitigen meditativen Zuständen. Auch die transpersonale Psychologie begeistert ihn.
Sein Zeichenstil ist von den Großmeistern des frankobelgischen Comics, allen voran Jean Giraud (Möbius), beeinflusst und ähnelt diesen sehr. Seine Werke zeichnen sich durch äußerst hohes künstlerisches Handwerk aus. Koikes Strichführung erweist sich als sehr fein und genau und seine Bilder besitzen große Ausdruckskraft, die sich oft im Skurrilen und Eigenartigen (Stichwort: Traumwelten) niederschlägt. Aus diesem Grund werden Koikes Werke auch als sog. „Art Comics“ charakterisiert.
Allgemeine Informationen
- Serie: Ultra Heaven
- Macher: Koike Keiichi
- Genre: Science Fiction, Psychologie, Dystopie, Mystery
- Magazin: Comic Beam (2002-jetzt)
- Status: 3 Bände in Japan erschienen; Scanlations 100%
- Anmerkung: Erscheinungsrhythmus äußerst unregelmäßig (i.d.R. alle 3-4 Jahre ein neuer Band)
Wir befinden uns in der Zukunft, in einer Zeit, in der ein Großteil von Drogen, Medikamenten und anderen Substanzen, die das Bewusstsein verändern, legalisiert und amtlich zum Konsum zugelassen wurden. Diese Substanzen, die einst verboten waren und als äußerst gefährlich galten, werden heutzutage sogar im Fernsehen in Werbespots angepriesen. Auch zum Konsum muss man sich nicht mehr in der eigenen Bude verbarrikadieren oder siffige Spelunken aufsuchen, nein, hierfür wurden spezielle Etablissements errichtet, in denen man von ausgebildeten Spezial-Barmännern bedient wird, und sich in geselliger Runde und bezauberndem Ambiente die abenteuerlichsten Drogencocktails genehmigen kann.
Was zunächst als großer Erfolg und Trittstein zur Verbesserung der Welt und des Lebens galt, sollte sich schon bald als eine gewaltige Illusion erweisen. Die Menschen sind gefangen in einer künstlichen Welt und einer Gesellschaft von Süchtigen, angeführt von und kontrolliert durch die staatlichen Hygienebehören, die sich besonders schwerer Suchtfälle „annehmen“.
Einer dieser Suchtfälle ist der Hauptcharakter Kabu, ein kleinerer Dealer für besonders harte (=verbotene) Drogen. Er lebt von einem Tripp zum nächsten und hat bereits unzählige Drogen probiert, was erst jüngst zu einer Überdosis führte, hervorgerufen durch das Mischen zweier unverträglicher Substanzen. Eines Tages trifft Kabu auf seiner Sucher nach Aufputschmitteln auf einen äußerst komischen Mann, der ihm eine brandneue Droge anbietet: Ultra Heaven!
Nach dem Konsum beginnt Kabus unglaublicher und verstörender Trip, in dem Traum und Realität verschmelzen und ein neues, gleichermaßen befriedigendes wie zerfressendes Konzept des Bewusstseins ergeben.
Zusammen mit einer Freundin wagt Kabu einige Zeit später mithilfe eines speziellen Schaltverstärker-Helms eine Reise in die Tiefen seines Bewusstseins, um die Wahrheit zu ergründen. Doch taucht er damit in einen Albtraum, den niemand - er selbst am wenigsten - erwartet hätte…
Artwork – 10/10 Punkte:
Soll ich es bei einer Kurzversion belassen oder doch mehr ins Detail gehen? Kurzum: das Artwork passt einfach perfekt zur Geschichte! Ich glaube, es gibt nur ganz wenige Zeichner, die eine ähnlich überzeugende gestalterische Aufmachung hinbekommen hätten. Ganz, ganz großes Lob an Koike für die Zeit, die er in seine Zeichnungen investiert. Man merkt es deutlich und – noch viel wichtiger – es ist den Aufwand auch wirklich wert.
Besonders hervorzuheben gilt es Koikes Geschick für Layout und Panelanordnung. Diese vermitteln die Halluzinationen und Trips dermaßen gelungen, dass man selbst als nüchterner Leser leichtes Schwindelgefühl oder ähnliches beim Lesen empfindet. Einfach nur klasse! Daneben kommt dem Ganzen natürlich der wunderbar skurrile Touch zum Guten. Koikes feingliedrige und detailverliebten Illustrationen sind echtes Eyecandy und der Leser kann in ihnen regelrecht versinken. (So gibt es phasenweise Seitenabfolgen mit wenig bis kaum Text, aber trotz allem sollte man sich für diese mehrere Minuten Zeit nehmen, um sie auf sich wirken zu lassen und sie in ihrer Gänze erfassen zu können!)
Dem geneigten Mangakenner wird in Ultra Heaven auch eine große Ähnlichkeit zur Optik von Ōtomo Katsuhiros Klassiker AKIRA auffallen. Diese ist äußerst augenfällig. Trotzallem steigert der gute Koike die zeichnerische Finesse des Großmeisters Ōtomo noch einmal. – Schwer zu glauben, ich weiß, aber die nachfolgenden Bilder dürften einen ganz guten Eindruck vermitteln…
Plot – 10/10 Punkte:
Ich war lange am überlegen, ob ich in dieser Kategorie zum gegenwärtigen Zeitpunkt schon eine Wertung vergeben sollte. Primärer Grund ist, dass Koike das große Ziel zum aktuellen Stand noch geschickt unter so manchem Schleier verbirgt. Der Leser ist noch im Unklaren, was ihn da noch genau erwartet, er weiß lediglich, DASS da etwas im Argen liegt.
Trotzdem habe ich mich dann zu einer Wertung durchgerungen, weil mir die Art, in der Koike die Geschichte auffädelt, sehr gut gefällt. – Genau so muss das in einem Manga wie diesem geschehen. Dem Leser werden die Infos fragment- und stückweise gegeben, nicht in großen Portionen oder wie ein Stück Fleisch, das einem zugeworfen wird. Man muss sich durch ein Gewirr an Handlungsebenen und Flashbacks wühlen und es ist sehr schwer den Überblick zu behalten. Zu jedem Zeitpunkt ist genug Spielraum für eigene Theorien und Überlegungen gegeben (z.B. welche verschiedenen Machtfraktionen gibt es im Manga aktuell? Wer zählt zu welcher Fraktion? Was sind die Ziele der jeweiligen Gruppierung?) und regt dabei dann auch zu solch philosophischen Fragestellungen an wie Was ist Realität?, Wo liegt die Grenze zwischen Realität und Traum?, Wer oder was zieht diese Grenze und wie lässt sie sich verschieben?, etc. etc. etc.
Charaktere – 9/10 Punkte:
Auch zu diesem Punkt kann ich keine große Kritik äußern. Die Charaktere in Ultra Heaven sind quasi ausnahmslos äußerst gelungen. Das fängt bei Kabu, dem Protagonisten an: Ein albgehalfterter Junkie und Kleinkrimineller, der von seiner Sucht kontrolliert wird und sich selbst als Opfer der Gesellschaft sieht. Solche Charaktere sind mir 10-mal lieber als diese Saubermänner und Dumpfbacken, denen man in viel zu vielen Manga begegnet.
Aber auch viele andere Figuren wissen wirklich zu gefallen. Ganz gleich, ob man jetzt „Sally“ mit ihren zwei Gesichtern (Gelegenheits-Suchti im normalen Leben <-> Halbgöttin und Retterin in der anderen Welt), den Mob um „Image“, „Arthur“ und „Andy“ oder den Ultra-Heaven-Dealer nimmt, der im übrigen eines der abgefucktesten und krankesten aussehenden Charakterdesigns verpasst bekommen hat, die man so zu sehen kriegt.
Man merkt anhand der Figuren eigentlich nicht, dass man einen Manga liest. Es könnte sich genauso gut um Charaktere aus einem Roman halten. Also auch in diesem Punkt beweist Koike hohe literarische Fähigkeiten.
Themen und Motive – 10/10 Punkte:
Zum Abschluss heißt es noch ein paar Worte zu den Themen und Motiven zu verlieren. Das einzig schwierige ist bei Ultra Heaven eigentlich nur, welche man sich hier rauspicken möchte, ganz einfach weil es sich – wie angefügt – um ein solch unglaublich gehaltvolles Werk handelt.
Zentralster Gegenstand ist zweifelsohne das von Koike so intensiv behandelte Sujet der Traumwelt und der Bewusstseinszustände. Es handelt sich ja nicht um einen bloßen „Acid Comic“, der den Drogenabusus ins Zentrum stellt oder gar stilisiert. Jede Szene ist reich an Dramatik und den antagonistischen Gefühlsschüben, die den Junkie beim Konsum überkommen (Wohlgefühl und Glück vs. Panik und Angstzustände). Kabu verliert sich über weite Strecken der Geschichten in einem Netz aus Halluzinationen, Wahn und Illusion und weiß überhaupt nicht mehr, wo ihm der Kopf steht. Und wenn dann auch noch Sätze fallen wie „Die Droge hat für sich keine Wirkung; sie setzt lediglich frei, was sich ohnehin bereits im Kopf des Konsumenten verbarg!“ werden auch die Funktionsweisen des menschlichen Gehirns sowie die schiere Grenzenlosigkeit dieser Sphären ergründet. (Und damit fängt der Spaß dann eigentlich erst richtig an, wenn Koike sich nämlich an die transpersonale Psychologie macht und die richtig harten Geschütze auffährt! :D)
Ich bin mir sicher, dass eigentlich niemand, der das Werk halbwegs aufmerksam liest, am Ende nicht irgendetwas für sich mitgenommen oder sich in irgendeiner Weise zu Überlegungen angeregt gefühlt hat! Aus diesem Grund würde ich mich doch sehr freuen, wenn eine nicht kleine Zahl von Leuten in diese exquisite Lektüre reinschnuppert und ihre Leseerfahrungen mit der Allgemeinheit teilen würde! Genug Gesprächsstoff ist definitiv da. – Ähnlich wie beim Zitat über die Droge: es ist alles vorhanden, es muss lediglich freigesetzt werden!
Damit komme ich dann fürs Erste zum Ende. Ich hoffe doch sehr, dass ich manchem PBler diesen Titel schmackhaft machen konnte. Besonders mancher Kollege aus dem „Sinn des Lebens“-Thread dürfte hier definitiv auf seine Kosten kommen…
Zwar kein einfacher Manga und vielleicht nicht jedermanns Geschmack, aber wer die „Herausforderung“ nicht scheut, der wird hier auf seine Kosten kommen, soviel kann ich versprechen!