Willkommen, liebe Community!
Wer sich hierher verirrt hat, der wird vielleicht mit meinem Namen nichts anfangen können. Aber ich schaue mich schon seit geraumer Zeit in diesem Forum um, besonders gerne im Bereich der Theorien & Vermutungen. Nun haben mich einige dieser Ideen meine sporadisch vorhandene Kreativität angeregt, sodass ich euch heute den Beginn einer kleinen Fanfiction präsentieren möchte.
Viel Spaß mit:
Prolog
„Schlaf', mein Kind, schlaf'“, sprach die Mutter zu dem Säugling, welcher unruhig in ihren Armen lag. Mit aller Macht versuchte der kleine Junge, auf dessen Haupt eine leichte, rotfarbende Locke zitterte, sich aus dem Körbchen seiner Beschützerin zu befreien, doch die samten Tücher waren zu stark für ihn.
Die Folge daraus war ein unbändiges Geschrei, welches allerdings vom Lärm verschluckt wurde.
Der Vater, ein kräftiger Mann mit buschigem Haar, dessen Farbe der Sohn geerbt hatte, warf einen Küchenschrank zu Boden. Porzellanteller klirrten auf dem Boden, zerbrachen und hinterließen Scherben. Es waren die Utensilien seiner Schwiegermutter, ein wahrer Drache in seinen Augen.
Der Nachbar, ein hagerer Alter, dessen Oberarme nicht viel kräftiger waren, als die des Babys, legte Hand an den Schrank und schob ihn gemeinsam mit dem Familienvater zur Haustüre hinüber.
Die Vorhänge der Fenster waren zugezogen. Tische und Stühle versperrten den Zugang. Wind wehte durch das zersplitterte Glas.
„Daigo, sie kommen!“, fluchte der alte Nachbar, der einen Blick durch die Lücken ihrer Blockade riskierte.
In dem chaotischen Wohnzimmer des Hauses suchten sechs ihrer Nachbarn, darunter vier Frauen Schutz. Daigo, ihr Mann, war von den Männern der Stärkste, doch er alleine würde es nicht mit ihnen aufnehmen können.
Die Tür erzitterte aufgrund eines Eindringversuches. Hohles Gelächter, lauter als das Schreien der sterbenden Menschen vor ihrer Tür, drang in das Haus ein.
„Ihr habt keine Chance!“, gröhlte das Monster von außen hinein.
Daigo wandte sich seiner Frau zu, um ihr letzte Instruktionen zu geben, doch ihm blieb keine Zeit mehr zu sprechen.
Die Wand in seinem Rücken explodierte in einem Feuerball, zerstörte Holz und Beton, tötete den alten Nachbarn und gab den Weg für den Eindringling frei.
Es war ein wahrer Gigant, schmutzig und verdorben bis ins Mark. Sein Kiefer hatte die Ausmaße einer Bulldogge, sein Kopf war kahl und seine Brauen drohten die Augen zu überdecken.
Mit einer Hand trug er ein Kanonenrohr bei sich, welche ihn zum Einfallen befähigt hatte. Auf seinem nackten Oberkörper war ein Totenschädel tötowiert, gekreuzt von zwei Äxten.
„Dreckige Piraten!“, fluchte Daigo, der sich schützend vor die Frauen stellte.
Der andere Mann, auch ein guter Freund der Familie, hatte sich ein Küchenmesser geschnappt und wollte sich auf das Ungetüm stürzen. Dieser allerdings schleuderte die schwere Kanone nach ihm, die ihn zu Boden und in die Ohnmacht riss.
„Wir sind Barbaren! Das ist ein Unterschied!“, grunzte das Monster in seinen eigenen, unverständlichen Lauten.
„Ich bin Marineoffizier Daigo – !“, versuchte der Familienvater sich Gehör zu verschaffen, doch der Bulle schlug mit einer solch gewaltigen Kraft auf ihn ein, dass es ihm seinen Kiefer auseinanderriss.
„Ihr glaubt wirklich, dass ihr durch Gold Rogers Tod gewonnen habt, oder?“, spottete der Barbar und spuckte auf Daigo. „Schade, dass sein Todestag auch eurer wird! Die Ära der Piraten hat begonnen!“
Gnadenlos zog er einen Säbel aus seinem Gürtel, verschmiert von getrocknetem Blut und Staub. Kanako, Daigos Frau, konnte das Unglück nicht mehr verhindern und drehte ihren Sohn von dem sich bietenden Anblick ab.
Wie sollte sie bloß ihren Sohn schützen? Ohne Daigo war ihr Schicksal besiegelt.
„Bringt die Frauen zum Captain!“, befahl das Ungeheuer weiteren Piraten, die in den Raum einfielen.
Die Frauen schrieen, eine versuchte sich mit Kratzen und Beißen zu wehren. Sie erlitt einen grausamen Tod durch das Blei der Piraten.
„Verschwindet!“, brüllte Kanako verzweifelt, als sich ihr ein knochiger Pirat näherte. Seine gelben Zähne blitzen bei seinem schadenfrohen Lachen auf.
„Grog, was sollen wir mit dem Baby machen?“, rief der Schmächtige seinem Befehlshaber zu. Er packte Kanakos Arm, die sich daraufhin mit einem Fußtritt verteidigte.
„Ich liebe widerspenstige Frauen. Wir werden noch viel Spaß miteinander haben“, prophezeite der missgelaunte Pirat daraufhin und klatschte ihr die flache Hand ins Gesicht. Mitsamt des Babys fiel sie zu Boden.
Grog, das Ungeheuer und der Mörder ihres Mannes, wuchtete seinen Körper hinter sie und fing den Säugling auf.
„Der Captain soll über das Kind entscheiden. Vielleicht will er ihn ja fressen!“, polterte er zum Leid der Mutter. Sie bekam einen weiteren Schlag auf die Schläfe, woraufhin ihre Sicht schlechter wurde, bis sie in ein schwarzes Nichts fiel.
Conan nannten sie ihn. Er war der Kapitän der blutrünstigen Barbaren-Bande, die schon seit einigen Jahren die Weltmeere unsicher machte. Sein dunkles, langes Haar wehte im Nachtwind, während sein Gesicht von den tosenden Flammen der Insel Ryoshi erwärmt wurde.
Er war ein kräftiger Mann, dessen gestählerter Oberkörper zahlreiche Narben aufwies. Einige von ihnen stammten von Gold Roger persönlich, der noch am selben Tag in Loguetown hingerichtet worden war. Zur Feier dieses Ereignisses hatte er mitsamt seiner Kameraden schon die dritte Insel überfallen, um Zerstörung und Chaos zu verursachen.
Schließlich starb nicht jeden Tag ein Piratenkönig.
Sein eigenes Dorf war vor Jahren von Piraten zerstört worden, weswegen er sich geschworen hatte, allen Menschen der Welt sein Leid mitzuteilen. Sie alle sollten das fühlen, was er gefühlt hatte.
Ryoshi lag im East Blue und die Bevölkerung bestand aus einem Haufen von einfachen Fischern, die sie mit Leichtigkeit besiegen konnten. Conan machte keinen Unterschied zwischen starken und schwachen Gegnern. Sie sollten alle sterben.
Für gewöhnlich ließ er nur Kinder und Frauen zurück, damit sie sein Leid spüren konnten. Doch bei Ryoshi wollte er eine Ausnahme machen. Seine Männer und er hatten schon lange keine Frauen mehr an Bord gehabt.
„Captain Conan!“, kündete Grog sein Kommen an.
Der Pirat wandte sich von dem Bild der brennenden Stadt ab. Er erkannte in den Armen seines Matrosen zwei Säuglinge, die er von der Insel mitgebracht hatte.
„Was willst du denn damit? Hatte ich nicht befohlen, wir nehmen nur die Frauen mit?“
„Captain, es wird sie vielleicht freuen zu hören, dass ihre Eltern mit Herz und Leib gegen uns angekämpft haben“, gluckste Grog belustigt von dem Gedanken an Daigo.
„Wirf sie ins Meer, du verdammter Hund!“, bellte Conan, als plötzlich etwas unerwartetes geschah.
„Captain! Ein Marineschiff auf Nord-nordost! Es kam wie aus dem Nichts hinter einem Riff hervor! Es ist in Gefechtsstellung!“, brüllte ein Offizier des Schiffes.
Es dauerte keine Sekunde länger, als schwere Kanonenkugeln in die Barbaros IV eindrangen und glühendes Feuer im Inneren verursachten.
„Setzt das Schiff augenblicklich auf Konfrontationskurs!“, befahl Conan seinen Mannen, die diese Aufforderung bereits kannten. Gleichzeitig mit dem Kurswechsel wurden die Beiboote herabgelassen, um sich in Sicherheit zu bringen, während das Marineschiff beschäftigt war.
Grog starrte auf die kleinen Säuglinge in seinen Armen hinab. Mitgefühl war ein Fremdwort in seinem Kopf. Vielmehr erfreute er sich an dem Gedanken, dass die kleinen wehrlosen Babys in die Luft gesprengt wurden, bevor sie jemals wussten, was mit ihnen geschehen war. Er legte sie also auf dem Deck ab und flüchtete zusammen mit Conan in eines der Boote.
„Captain Momonga, das Piratenschiff verteidigt sich nicht mehr!“, meldete ein Marinesoldat seinem Vorgesetzten, einem Mann mit langem, offenen Haar und einer starren Gesichtsausdruck.
„Versenkt es auf mein Kommando!“, forderte Momonga seine Gefolgsleute auf.
„Warten Sie Kapitän!", schrie plötzlich ein Offizier aus dem Krähennest. Es war ein großer Soldat mit fahler Haut, dessen Nase kaum aus dem Gesicht heraustrat. „Dort ist niemand an Deck zu sehen. Vielleicht haben sie sich versteckt oder Gefangene zurückgelassen!“
Momonga seufzte entnervt. Leutnant T-Bone war ein herzensguter Mensch, dem es schwer fiel, die Hoffnung für Überlebende aufzugeben.
Das Marineschiff näherte sich dem Piratenschiff, welches unaufhaltsam auf sie zusteuerte.
„Bereitmachen zum Entern!“, rief der Captain, woraufhin er mit seiner Hand das Zeichen gab.
Die Marineoffiziere, darunter T-Bone, seilten sich auf das Piratenschiff ab, zogen die Waffen und suchten nach Feinden.
Der Leutnant suchte nach Überlebenden, als ihm das Geschrei zweier Säuglinge in die Ohren drang. Er suchte den Ursprung der Schreie und fand tatsächlich wenige Sekunden später die Findlinge.
„Was macht ihr denn auf so einem bösen Schiff, meine Kleinen. T-Bone ist jetzt für euch da“, versuchte er die Kinder zu beruhigen.
Eines von beiden war ein Junge mit leichtem, roten Haar. Das andere ein Mädchen, dessen blonde Haaren bereits in einer guten Entwicklung waren.
Der kleine Rotschopf trug sogar ein Armband mit seinem Namen bei sich, was T-Bone die Tränen in die Augen trieb. Er wollte gar nicht an die Eltern denken, doch ihm blieb keine andere Wahl.
„Keine Sorge, kleiner Taichi. Jetzt bist du in Sicherheit.“
Kapitel 1
Ein Schwerthieb. Blitzschnell ausgeführt, nicht zu hastig und eine tödliche Präzision. Der Gegner verlor den Halt, sackte ein, offenbarte seine schutzlose Seite.
Befände sie sich in einem richtigen Kampf mit echten Waffen, könnte sie ihren Kontrahenten mit einem letzten Streich enthaupten.
„Rumi Porter, was fällt dir ein?“, ermahnte die strenge Frau mit den schneeweißen Haaren ihre Schülerin.
Rumi, ein für ihr Alter recht großes Mädchen mit einem frechen Kurzhaarschnitt, ließ die Hände und damit gleichzeitig das Shinai sinken, eine Trainingswaffe aus ihrem Kendo-Unterricht.
Ihre stechenden, kristallblauen Augen blickten herabwürdigend auf den jungen Rotschopf hinab, der kein Mittel gegen ihre Schwertkunst fand.
Taichi, das war der Name ihres Bruders, konnte sich als zweitbester Schüler der Kendoschule auszeichnen, doch gegen seine ältere Schwester hatte er bisher keine Chance gehabt.
Langsam nervte es Rumi, dass ihr stümperhafter Gegner nicht versuchte, sich weiterzuentwickeln, sondern immer mit den gleichen Tricks gewinnen wollte. Im Allgemeinen galt Taichi stets als besonnen und rechtschaffen, doch seine größte Schwäche war die Überzeugung seiner eigenen Person. Er gestand Fehler nur dann ein, wenn bis ins kleinste Detail das Gegenteil bewiesen worden war.
Deshalb versuchte er schon seit Wochen, Rumi davon zu überzeugen, dass seine Kampftechnik einwandfrei zum Sieg führen würde. Bloß das Ergebnis in der Praxis stimmte bisher nicht.
„Entschuldigung“, ging sie endlich auf den Einwand der Lehrerin ein und reichte ihrem Bruder die Hand.
Rumi kannte die Meinungen der anderen Kinder über sich. Unter den Mädchen hatte sie überhaupt keine Freunde, weil sie schlichtweg nicht in deren Konzept passte. Sie war aufbrausend, ehrgeizig und äußerst talentiert in der Schwertkunst.
Manchmal konnte sie kaum glauben, dass Taichi und sie Geschwister sein sollten. Allerdings fühlte sie sich mit ihrer restlichen Familie ebenso wenig verbunden, was sie für die Außenwelt gefühlskalt erscheinen ließ.
Man konnte kaum glauben, dass sie erst zwölf Jahre alt sein sollte.
Onkel T-Bone hatte ihm immer einprägen wollen, dass es nicht schlimm sei, einen Kampf zu verlieren. Solange man das Leben von geliebten Menschen beschützen konnte, sollte man niemals vor einer Herausforderung davonrennen. Auch wenn ein Sieg aussichtlos erschien.
Sein meist gruselig wirkender Onkel war ein Offizier der Marine im Rang des Kapitänleutnants. Er war schon immer Taichis Vorbild gewesen, nicht, weil er ein starker Kämpfer war, sondern aufgrund seine ehrlichen und ehrenhafter Lebenseinstellung.
Früher, als er klein gewesen war, hatte er sie öfters auf Budoshu Island besucht, ihrer Heimat im West Blue.
Budoshu Island war den Legenden der Ältesten zufolge vor Jahrhunderten aus dem Meer emporgestiegen, um die Welt mit reichem und fruchtbaren Land zu versorgen. Landwirte und Bauern waren zu dieser Insel gepilgert, die aus einem einzigen Berg bestand, um ihr Gut vielversprechend anzubauen.
Am stärksten hatte sich der Weinanbau durchgesetzt, sodass der Ältestenrat sich lange Zeit vor ihrer Geburt auf diesen spezialisiert hatten. Gleichzeitig jedoch legte man viel wert darauf, dass der Nachwuchs des gleichnamigen Dorfes Budoshu nicht nur gute Weinbauer waren, sondern auch gute Schwertkämpfer.
Deshalb wurde die Kendoschule vor zehn Jahren eröffnet, die Taichi zusammen mit seiner Schwester seit ihrem fünften Lebensjahr besuchten.
„Ich weiß nicht, wie wir Rumis Gefühlsausbrüche umsetzen können. Sie ist ein sehr aggressives Kind“, hörte Taichi die Lehrerin, die sich im Gespräch mit ihrer Mutter befand.
Dass Rumi und er nur wenige Meter entfernt saßen und jedes Wort hören konnten, schien sie dabei nicht zu stören. Taichi kannte die Art seiner Schwester. Er kannte die Abneigung der anderen Menschen.
Rumi konnte es vielleicht nicht sehen, aber ihr Bruder sorgte sich sehr um ihr Wohl. Ihm war bewusst, dass sie eine hervorragende Schwertkämpferin war und er niemals eine direkte Konfrontation gewinnen könnte. Diese Tatsache würde ihn zwar bis ans Ende seiner Tage ärgern, jedoch gönnte er seiner Schwester den Erfolg.
Trotzdem fuchsten ihn die Niederlagen.
„Mein Mann und ich bemühen uns wirklich sehr um Rumi. Wir wissen, sie ist eigentlich ein liebes Mädchen“, nahm Reese Porter ihr Kind in Schutz.
Die schneeweiße Lehrerin runzelte die Stirn und blickte gegen die Decke, als stünden dort Tipps für den Umgang mit ihren Mitmenschen.
„Ich bin mir nicht sicher, ob Roast der richtige Umgang für ein Mädchen wie Rumi ist“, deutete sie die Probleme mit dem Vater der Familie an.
Rumi hatte genug gehört. Erzürnt sprang sie auf und verließ den Raum, verfolgt von den besorgten Blicken ihrer Mutter. Taichi wusste, was er zu tun hatte.
Die Kendomeisterin war noch lange nicht fertig mit ihrer Belehrung, weswegen es nun die Sache des Bruders war, sich um seine Schwester zu kümmern.
Roast Porter war ein korpulenter Weinbauer und Spieler, der sich vor einigen Jahren beim Pokern verzockt hatte. Seine besten Felder waren in den Besitz der Dolos übergegangen, weswegen seine Familie jede Saison um ihre Existenz bangen musste.
Bis heute schwor Roast darauf, dass das Pokerspiel seinerzeit nicht mit rechten Mitteln abgelaufen war, doch er hatte es nie beweisen können.
Die Ernte stand kurz bevor und dieses Mal waren ihre Aussichten düsterer als je zuvor. Aus diesem Grund musste Roast einen anderen Weg finden, um über die Runden zu kommen – auch wenn dieser ihn in dunkle Gefilde lockte.
Wenn sein Bruder von diesen Machenschaften Kenntnis gewinnen würde, wäre er verloren, schließlich war T-Bone auf einem guten Weg, ein hohes Tier bei der Marine zu werden. Ein schwarzes Schaf in der Familie würde sein Ansehen vielleicht gefährden.
Dabei war T-Bone nicht unschuldig an ihrer misslichen Lage, schließlich hatte er ihnen vor zwölf Jahren diese Kinder gebracht.
Taichi war ein sehr vernünftiger Junger, verständnisvoll und bedacht. Aber Rumi war eine Katastrophe, zu ungeeignet für Frauenarbeit und zu unverlässlich für Männerarbeit. Ohne die Kosten für Rumi könnten sie wahrscheinlich um einiges besser leben.
Eine in schwarz gehüllte Gestalt wanderte durch seine trockenen Felder. Ledermantel, freier Oberkörper, breiter Hut mit Feder. Ein Totenkopf mit zwei gekreuzten Äxten prangerte auf seiner Brust, vermutlich eine Art Erkennungszeichen.
„Sind Sie der Spezialist? Oder sind Sie ein Pirat?“, fragte Roast mit leicht zitternder Stimme.
Der fremde Mann blickte auf und starrte ihn mit nur einem Auge an, denn an der Stelle des zweiten klaffte ein dunkles Loch.
„Wieso sollte das eine das andere ausschließen?“, gab er mit rauchiger Stimme zurück.
Roast lief ein kalter Schauer den Rücken hinab. Innerlich spürte er den Widerstand seines Verstandes, sich mit diesem Harlunken einzulassen, aber was hatte für eine andere Wahl?
„Können Sie mir helfen, meine Felder zurückzugewinnen?“
Das noch vorhandene Auge des Spezialisten rollte unruhig in seiner Höhle umher. Hatte er etwas falsches gesagt? Der Fremdling bewegte sich keinen Millimeter mehr.
„Willst du mich beleidigen, du Bauer?“, zischte der Spezialist langsam, bevor er explodierte. „Ich habe tagelang Kriege auf dem Meer geführt, bis unsere Kraftreserven aufgebraucht waren. Wäre mein Captain noch am Leben, so würde dir augenblicklich die Zunge herausschneiden!“
Roast wich verängstigt zurück. Worauf hatte er sich bloß eingelassen? Diesem Typen fehlte mehr im Kopf, als bloß sein Auge.
„Nenn' mir die Namen!“, fauchte der Spezialist plötzlich. „Ich werde mich um das Problem kümmern...“
Rumi saß am Hafenbecken, die Beine über dem Meer baumelnd. Als Taichi sie fand, blickte sie trostlos auf die schäumende Wasseroberfläche, versunken in ihren Gedanken.
Dennoch ahnte sie seine Ankunft.
„Fühlst du dich nicht auch manchmal fremd in deiner Haut?“
„Wie meinst du das?“
Taichi hatte noch nie darüber nachgedacht. Warum hätte er es machen sollen? Solange er sich erinnern konnte, waren ihre Eltern schon immer für sie da gewesen.
„Ich habe das Gefühl, dass die Leute mich immer so seltsam anschauen“, erzählte Rumi ihm ohne ein Zeichen der Emotion. „Zuerst dachte ich, es liegt an meiner Art, wofür sie mich nicht leiden können.“
„Zuerst?“, hakte Taichi ungewiss nach. Was hätte er sonst fragen sollen? Er wusste nicht, worauf seine Schwester das Gespräch lenken wollte.
„Taichi, ist es dir noch nie aufgefallen? Sie betrachten dich mit demselben, verachtenden Blick. Sie hassen uns!“
Das Mädchen sprang auf. In ihrem Blick war nichts mehr von der Trostlosigkeit zu sehen, es hatte sich verändert. Ihr Gesicht strahlte pure Entschlossenheit aus.
„Lass' uns von hier verschwinden! Du bist zwar nicht so gut wie ich, aber wir sind beide starke Schwertkämpfer. Wir können ein neues Leben beginnen, unser eigenes! Bist du dabei?“
Fortsetzung folgt...
Wer sich hierher verirrt hat, der wird vielleicht mit meinem Namen nichts anfangen können. Aber ich schaue mich schon seit geraumer Zeit in diesem Forum um, besonders gerne im Bereich der Theorien & Vermutungen. Nun haben mich einige dieser Ideen meine sporadisch vorhandene Kreativität angeregt, sodass ich euch heute den Beginn einer kleinen Fanfiction präsentieren möchte.
Viel Spaß mit:
Hisst die Flaggen
Prolog
„Schlaf', mein Kind, schlaf'“, sprach die Mutter zu dem Säugling, welcher unruhig in ihren Armen lag. Mit aller Macht versuchte der kleine Junge, auf dessen Haupt eine leichte, rotfarbende Locke zitterte, sich aus dem Körbchen seiner Beschützerin zu befreien, doch die samten Tücher waren zu stark für ihn.
Die Folge daraus war ein unbändiges Geschrei, welches allerdings vom Lärm verschluckt wurde.
Der Vater, ein kräftiger Mann mit buschigem Haar, dessen Farbe der Sohn geerbt hatte, warf einen Küchenschrank zu Boden. Porzellanteller klirrten auf dem Boden, zerbrachen und hinterließen Scherben. Es waren die Utensilien seiner Schwiegermutter, ein wahrer Drache in seinen Augen.
Der Nachbar, ein hagerer Alter, dessen Oberarme nicht viel kräftiger waren, als die des Babys, legte Hand an den Schrank und schob ihn gemeinsam mit dem Familienvater zur Haustüre hinüber.
Die Vorhänge der Fenster waren zugezogen. Tische und Stühle versperrten den Zugang. Wind wehte durch das zersplitterte Glas.
„Daigo, sie kommen!“, fluchte der alte Nachbar, der einen Blick durch die Lücken ihrer Blockade riskierte.
In dem chaotischen Wohnzimmer des Hauses suchten sechs ihrer Nachbarn, darunter vier Frauen Schutz. Daigo, ihr Mann, war von den Männern der Stärkste, doch er alleine würde es nicht mit ihnen aufnehmen können.
Die Tür erzitterte aufgrund eines Eindringversuches. Hohles Gelächter, lauter als das Schreien der sterbenden Menschen vor ihrer Tür, drang in das Haus ein.
„Ihr habt keine Chance!“, gröhlte das Monster von außen hinein.
Daigo wandte sich seiner Frau zu, um ihr letzte Instruktionen zu geben, doch ihm blieb keine Zeit mehr zu sprechen.
Die Wand in seinem Rücken explodierte in einem Feuerball, zerstörte Holz und Beton, tötete den alten Nachbarn und gab den Weg für den Eindringling frei.
Es war ein wahrer Gigant, schmutzig und verdorben bis ins Mark. Sein Kiefer hatte die Ausmaße einer Bulldogge, sein Kopf war kahl und seine Brauen drohten die Augen zu überdecken.
Mit einer Hand trug er ein Kanonenrohr bei sich, welche ihn zum Einfallen befähigt hatte. Auf seinem nackten Oberkörper war ein Totenschädel tötowiert, gekreuzt von zwei Äxten.
„Dreckige Piraten!“, fluchte Daigo, der sich schützend vor die Frauen stellte.
Der andere Mann, auch ein guter Freund der Familie, hatte sich ein Küchenmesser geschnappt und wollte sich auf das Ungetüm stürzen. Dieser allerdings schleuderte die schwere Kanone nach ihm, die ihn zu Boden und in die Ohnmacht riss.
„Wir sind Barbaren! Das ist ein Unterschied!“, grunzte das Monster in seinen eigenen, unverständlichen Lauten.
„Ich bin Marineoffizier Daigo – !“, versuchte der Familienvater sich Gehör zu verschaffen, doch der Bulle schlug mit einer solch gewaltigen Kraft auf ihn ein, dass es ihm seinen Kiefer auseinanderriss.
„Ihr glaubt wirklich, dass ihr durch Gold Rogers Tod gewonnen habt, oder?“, spottete der Barbar und spuckte auf Daigo. „Schade, dass sein Todestag auch eurer wird! Die Ära der Piraten hat begonnen!“
Gnadenlos zog er einen Säbel aus seinem Gürtel, verschmiert von getrocknetem Blut und Staub. Kanako, Daigos Frau, konnte das Unglück nicht mehr verhindern und drehte ihren Sohn von dem sich bietenden Anblick ab.
Wie sollte sie bloß ihren Sohn schützen? Ohne Daigo war ihr Schicksal besiegelt.
„Bringt die Frauen zum Captain!“, befahl das Ungeheuer weiteren Piraten, die in den Raum einfielen.
Die Frauen schrieen, eine versuchte sich mit Kratzen und Beißen zu wehren. Sie erlitt einen grausamen Tod durch das Blei der Piraten.
„Verschwindet!“, brüllte Kanako verzweifelt, als sich ihr ein knochiger Pirat näherte. Seine gelben Zähne blitzen bei seinem schadenfrohen Lachen auf.
„Grog, was sollen wir mit dem Baby machen?“, rief der Schmächtige seinem Befehlshaber zu. Er packte Kanakos Arm, die sich daraufhin mit einem Fußtritt verteidigte.
„Ich liebe widerspenstige Frauen. Wir werden noch viel Spaß miteinander haben“, prophezeite der missgelaunte Pirat daraufhin und klatschte ihr die flache Hand ins Gesicht. Mitsamt des Babys fiel sie zu Boden.
Grog, das Ungeheuer und der Mörder ihres Mannes, wuchtete seinen Körper hinter sie und fing den Säugling auf.
„Der Captain soll über das Kind entscheiden. Vielleicht will er ihn ja fressen!“, polterte er zum Leid der Mutter. Sie bekam einen weiteren Schlag auf die Schläfe, woraufhin ihre Sicht schlechter wurde, bis sie in ein schwarzes Nichts fiel.
Conan nannten sie ihn. Er war der Kapitän der blutrünstigen Barbaren-Bande, die schon seit einigen Jahren die Weltmeere unsicher machte. Sein dunkles, langes Haar wehte im Nachtwind, während sein Gesicht von den tosenden Flammen der Insel Ryoshi erwärmt wurde.
Er war ein kräftiger Mann, dessen gestählerter Oberkörper zahlreiche Narben aufwies. Einige von ihnen stammten von Gold Roger persönlich, der noch am selben Tag in Loguetown hingerichtet worden war. Zur Feier dieses Ereignisses hatte er mitsamt seiner Kameraden schon die dritte Insel überfallen, um Zerstörung und Chaos zu verursachen.
Schließlich starb nicht jeden Tag ein Piratenkönig.
Sein eigenes Dorf war vor Jahren von Piraten zerstört worden, weswegen er sich geschworen hatte, allen Menschen der Welt sein Leid mitzuteilen. Sie alle sollten das fühlen, was er gefühlt hatte.
Ryoshi lag im East Blue und die Bevölkerung bestand aus einem Haufen von einfachen Fischern, die sie mit Leichtigkeit besiegen konnten. Conan machte keinen Unterschied zwischen starken und schwachen Gegnern. Sie sollten alle sterben.
Für gewöhnlich ließ er nur Kinder und Frauen zurück, damit sie sein Leid spüren konnten. Doch bei Ryoshi wollte er eine Ausnahme machen. Seine Männer und er hatten schon lange keine Frauen mehr an Bord gehabt.
„Captain Conan!“, kündete Grog sein Kommen an.
Der Pirat wandte sich von dem Bild der brennenden Stadt ab. Er erkannte in den Armen seines Matrosen zwei Säuglinge, die er von der Insel mitgebracht hatte.
„Was willst du denn damit? Hatte ich nicht befohlen, wir nehmen nur die Frauen mit?“
„Captain, es wird sie vielleicht freuen zu hören, dass ihre Eltern mit Herz und Leib gegen uns angekämpft haben“, gluckste Grog belustigt von dem Gedanken an Daigo.
„Wirf sie ins Meer, du verdammter Hund!“, bellte Conan, als plötzlich etwas unerwartetes geschah.
„Captain! Ein Marineschiff auf Nord-nordost! Es kam wie aus dem Nichts hinter einem Riff hervor! Es ist in Gefechtsstellung!“, brüllte ein Offizier des Schiffes.
Es dauerte keine Sekunde länger, als schwere Kanonenkugeln in die Barbaros IV eindrangen und glühendes Feuer im Inneren verursachten.
„Setzt das Schiff augenblicklich auf Konfrontationskurs!“, befahl Conan seinen Mannen, die diese Aufforderung bereits kannten. Gleichzeitig mit dem Kurswechsel wurden die Beiboote herabgelassen, um sich in Sicherheit zu bringen, während das Marineschiff beschäftigt war.
Grog starrte auf die kleinen Säuglinge in seinen Armen hinab. Mitgefühl war ein Fremdwort in seinem Kopf. Vielmehr erfreute er sich an dem Gedanken, dass die kleinen wehrlosen Babys in die Luft gesprengt wurden, bevor sie jemals wussten, was mit ihnen geschehen war. Er legte sie also auf dem Deck ab und flüchtete zusammen mit Conan in eines der Boote.
„Captain Momonga, das Piratenschiff verteidigt sich nicht mehr!“, meldete ein Marinesoldat seinem Vorgesetzten, einem Mann mit langem, offenen Haar und einer starren Gesichtsausdruck.
„Versenkt es auf mein Kommando!“, forderte Momonga seine Gefolgsleute auf.
„Warten Sie Kapitän!", schrie plötzlich ein Offizier aus dem Krähennest. Es war ein großer Soldat mit fahler Haut, dessen Nase kaum aus dem Gesicht heraustrat. „Dort ist niemand an Deck zu sehen. Vielleicht haben sie sich versteckt oder Gefangene zurückgelassen!“
Momonga seufzte entnervt. Leutnant T-Bone war ein herzensguter Mensch, dem es schwer fiel, die Hoffnung für Überlebende aufzugeben.
Das Marineschiff näherte sich dem Piratenschiff, welches unaufhaltsam auf sie zusteuerte.
„Bereitmachen zum Entern!“, rief der Captain, woraufhin er mit seiner Hand das Zeichen gab.
Die Marineoffiziere, darunter T-Bone, seilten sich auf das Piratenschiff ab, zogen die Waffen und suchten nach Feinden.
Der Leutnant suchte nach Überlebenden, als ihm das Geschrei zweier Säuglinge in die Ohren drang. Er suchte den Ursprung der Schreie und fand tatsächlich wenige Sekunden später die Findlinge.
„Was macht ihr denn auf so einem bösen Schiff, meine Kleinen. T-Bone ist jetzt für euch da“, versuchte er die Kinder zu beruhigen.
Eines von beiden war ein Junge mit leichtem, roten Haar. Das andere ein Mädchen, dessen blonde Haaren bereits in einer guten Entwicklung waren.
Der kleine Rotschopf trug sogar ein Armband mit seinem Namen bei sich, was T-Bone die Tränen in die Augen trieb. Er wollte gar nicht an die Eltern denken, doch ihm blieb keine andere Wahl.
„Keine Sorge, kleiner Taichi. Jetzt bist du in Sicherheit.“
Kapitel 1
Ein Schwerthieb. Blitzschnell ausgeführt, nicht zu hastig und eine tödliche Präzision. Der Gegner verlor den Halt, sackte ein, offenbarte seine schutzlose Seite.
Befände sie sich in einem richtigen Kampf mit echten Waffen, könnte sie ihren Kontrahenten mit einem letzten Streich enthaupten.
„Rumi Porter, was fällt dir ein?“, ermahnte die strenge Frau mit den schneeweißen Haaren ihre Schülerin.
Rumi, ein für ihr Alter recht großes Mädchen mit einem frechen Kurzhaarschnitt, ließ die Hände und damit gleichzeitig das Shinai sinken, eine Trainingswaffe aus ihrem Kendo-Unterricht.
Ihre stechenden, kristallblauen Augen blickten herabwürdigend auf den jungen Rotschopf hinab, der kein Mittel gegen ihre Schwertkunst fand.
Taichi, das war der Name ihres Bruders, konnte sich als zweitbester Schüler der Kendoschule auszeichnen, doch gegen seine ältere Schwester hatte er bisher keine Chance gehabt.
Langsam nervte es Rumi, dass ihr stümperhafter Gegner nicht versuchte, sich weiterzuentwickeln, sondern immer mit den gleichen Tricks gewinnen wollte. Im Allgemeinen galt Taichi stets als besonnen und rechtschaffen, doch seine größte Schwäche war die Überzeugung seiner eigenen Person. Er gestand Fehler nur dann ein, wenn bis ins kleinste Detail das Gegenteil bewiesen worden war.
Deshalb versuchte er schon seit Wochen, Rumi davon zu überzeugen, dass seine Kampftechnik einwandfrei zum Sieg führen würde. Bloß das Ergebnis in der Praxis stimmte bisher nicht.
„Entschuldigung“, ging sie endlich auf den Einwand der Lehrerin ein und reichte ihrem Bruder die Hand.
Rumi kannte die Meinungen der anderen Kinder über sich. Unter den Mädchen hatte sie überhaupt keine Freunde, weil sie schlichtweg nicht in deren Konzept passte. Sie war aufbrausend, ehrgeizig und äußerst talentiert in der Schwertkunst.
Manchmal konnte sie kaum glauben, dass Taichi und sie Geschwister sein sollten. Allerdings fühlte sie sich mit ihrer restlichen Familie ebenso wenig verbunden, was sie für die Außenwelt gefühlskalt erscheinen ließ.
Man konnte kaum glauben, dass sie erst zwölf Jahre alt sein sollte.
Onkel T-Bone hatte ihm immer einprägen wollen, dass es nicht schlimm sei, einen Kampf zu verlieren. Solange man das Leben von geliebten Menschen beschützen konnte, sollte man niemals vor einer Herausforderung davonrennen. Auch wenn ein Sieg aussichtlos erschien.
Sein meist gruselig wirkender Onkel war ein Offizier der Marine im Rang des Kapitänleutnants. Er war schon immer Taichis Vorbild gewesen, nicht, weil er ein starker Kämpfer war, sondern aufgrund seine ehrlichen und ehrenhafter Lebenseinstellung.
Früher, als er klein gewesen war, hatte er sie öfters auf Budoshu Island besucht, ihrer Heimat im West Blue.
Budoshu Island war den Legenden der Ältesten zufolge vor Jahrhunderten aus dem Meer emporgestiegen, um die Welt mit reichem und fruchtbaren Land zu versorgen. Landwirte und Bauern waren zu dieser Insel gepilgert, die aus einem einzigen Berg bestand, um ihr Gut vielversprechend anzubauen.
Am stärksten hatte sich der Weinanbau durchgesetzt, sodass der Ältestenrat sich lange Zeit vor ihrer Geburt auf diesen spezialisiert hatten. Gleichzeitig jedoch legte man viel wert darauf, dass der Nachwuchs des gleichnamigen Dorfes Budoshu nicht nur gute Weinbauer waren, sondern auch gute Schwertkämpfer.
Deshalb wurde die Kendoschule vor zehn Jahren eröffnet, die Taichi zusammen mit seiner Schwester seit ihrem fünften Lebensjahr besuchten.
„Ich weiß nicht, wie wir Rumis Gefühlsausbrüche umsetzen können. Sie ist ein sehr aggressives Kind“, hörte Taichi die Lehrerin, die sich im Gespräch mit ihrer Mutter befand.
Dass Rumi und er nur wenige Meter entfernt saßen und jedes Wort hören konnten, schien sie dabei nicht zu stören. Taichi kannte die Art seiner Schwester. Er kannte die Abneigung der anderen Menschen.
Rumi konnte es vielleicht nicht sehen, aber ihr Bruder sorgte sich sehr um ihr Wohl. Ihm war bewusst, dass sie eine hervorragende Schwertkämpferin war und er niemals eine direkte Konfrontation gewinnen könnte. Diese Tatsache würde ihn zwar bis ans Ende seiner Tage ärgern, jedoch gönnte er seiner Schwester den Erfolg.
Trotzdem fuchsten ihn die Niederlagen.
„Mein Mann und ich bemühen uns wirklich sehr um Rumi. Wir wissen, sie ist eigentlich ein liebes Mädchen“, nahm Reese Porter ihr Kind in Schutz.
Die schneeweiße Lehrerin runzelte die Stirn und blickte gegen die Decke, als stünden dort Tipps für den Umgang mit ihren Mitmenschen.
„Ich bin mir nicht sicher, ob Roast der richtige Umgang für ein Mädchen wie Rumi ist“, deutete sie die Probleme mit dem Vater der Familie an.
Rumi hatte genug gehört. Erzürnt sprang sie auf und verließ den Raum, verfolgt von den besorgten Blicken ihrer Mutter. Taichi wusste, was er zu tun hatte.
Die Kendomeisterin war noch lange nicht fertig mit ihrer Belehrung, weswegen es nun die Sache des Bruders war, sich um seine Schwester zu kümmern.
Roast Porter war ein korpulenter Weinbauer und Spieler, der sich vor einigen Jahren beim Pokern verzockt hatte. Seine besten Felder waren in den Besitz der Dolos übergegangen, weswegen seine Familie jede Saison um ihre Existenz bangen musste.
Bis heute schwor Roast darauf, dass das Pokerspiel seinerzeit nicht mit rechten Mitteln abgelaufen war, doch er hatte es nie beweisen können.
Die Ernte stand kurz bevor und dieses Mal waren ihre Aussichten düsterer als je zuvor. Aus diesem Grund musste Roast einen anderen Weg finden, um über die Runden zu kommen – auch wenn dieser ihn in dunkle Gefilde lockte.
Wenn sein Bruder von diesen Machenschaften Kenntnis gewinnen würde, wäre er verloren, schließlich war T-Bone auf einem guten Weg, ein hohes Tier bei der Marine zu werden. Ein schwarzes Schaf in der Familie würde sein Ansehen vielleicht gefährden.
Dabei war T-Bone nicht unschuldig an ihrer misslichen Lage, schließlich hatte er ihnen vor zwölf Jahren diese Kinder gebracht.
Taichi war ein sehr vernünftiger Junger, verständnisvoll und bedacht. Aber Rumi war eine Katastrophe, zu ungeeignet für Frauenarbeit und zu unverlässlich für Männerarbeit. Ohne die Kosten für Rumi könnten sie wahrscheinlich um einiges besser leben.
Eine in schwarz gehüllte Gestalt wanderte durch seine trockenen Felder. Ledermantel, freier Oberkörper, breiter Hut mit Feder. Ein Totenkopf mit zwei gekreuzten Äxten prangerte auf seiner Brust, vermutlich eine Art Erkennungszeichen.
„Sind Sie der Spezialist? Oder sind Sie ein Pirat?“, fragte Roast mit leicht zitternder Stimme.
Der fremde Mann blickte auf und starrte ihn mit nur einem Auge an, denn an der Stelle des zweiten klaffte ein dunkles Loch.
„Wieso sollte das eine das andere ausschließen?“, gab er mit rauchiger Stimme zurück.
Roast lief ein kalter Schauer den Rücken hinab. Innerlich spürte er den Widerstand seines Verstandes, sich mit diesem Harlunken einzulassen, aber was hatte für eine andere Wahl?
„Können Sie mir helfen, meine Felder zurückzugewinnen?“
Das noch vorhandene Auge des Spezialisten rollte unruhig in seiner Höhle umher. Hatte er etwas falsches gesagt? Der Fremdling bewegte sich keinen Millimeter mehr.
„Willst du mich beleidigen, du Bauer?“, zischte der Spezialist langsam, bevor er explodierte. „Ich habe tagelang Kriege auf dem Meer geführt, bis unsere Kraftreserven aufgebraucht waren. Wäre mein Captain noch am Leben, so würde dir augenblicklich die Zunge herausschneiden!“
Roast wich verängstigt zurück. Worauf hatte er sich bloß eingelassen? Diesem Typen fehlte mehr im Kopf, als bloß sein Auge.
„Nenn' mir die Namen!“, fauchte der Spezialist plötzlich. „Ich werde mich um das Problem kümmern...“
Rumi saß am Hafenbecken, die Beine über dem Meer baumelnd. Als Taichi sie fand, blickte sie trostlos auf die schäumende Wasseroberfläche, versunken in ihren Gedanken.
Dennoch ahnte sie seine Ankunft.
„Fühlst du dich nicht auch manchmal fremd in deiner Haut?“
„Wie meinst du das?“
Taichi hatte noch nie darüber nachgedacht. Warum hätte er es machen sollen? Solange er sich erinnern konnte, waren ihre Eltern schon immer für sie da gewesen.
„Ich habe das Gefühl, dass die Leute mich immer so seltsam anschauen“, erzählte Rumi ihm ohne ein Zeichen der Emotion. „Zuerst dachte ich, es liegt an meiner Art, wofür sie mich nicht leiden können.“
„Zuerst?“, hakte Taichi ungewiss nach. Was hätte er sonst fragen sollen? Er wusste nicht, worauf seine Schwester das Gespräch lenken wollte.
„Taichi, ist es dir noch nie aufgefallen? Sie betrachten dich mit demselben, verachtenden Blick. Sie hassen uns!“
Das Mädchen sprang auf. In ihrem Blick war nichts mehr von der Trostlosigkeit zu sehen, es hatte sich verändert. Ihr Gesicht strahlte pure Entschlossenheit aus.
„Lass' uns von hier verschwinden! Du bist zwar nicht so gut wie ich, aber wir sind beide starke Schwertkämpfer. Wir können ein neues Leben beginnen, unser eigenes! Bist du dabei?“
Fortsetzung folgt...
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