Ich bin persönlich ein begeisterter Verfolger des Fanfictionbereiches, auch wenn ich bisher selbst noch nicht schriftstellerisch tätig war. Jetzt habe ich allerdings gerade Zeit und Motivation, mich selbst an einer Fanfiction zu versuchen. Da diese allerdings einerseits recht umfangreich sein dürfte und andererseits noch nicht fertig geplant ist, werde ich hier erstmal eine andere Idee von mir verwirklichen. Dabei handelt es sich um einen eigenständigen Charakter, der im gleichen OP-Universum existiert, wie in welchem meine eigentliche Story spielen würde/wird.
Dabei gibt es hier keine richtige Story, sondern mehr kleine Episoden aus dem Leben des (selbsternannten) Meisterdiebes Gordan. Zumindest eine dieser Episoden mit einem Umfang von 3-4 Kapiteln habe ich schon fertig geplant und hoffe, sie hier doch recht zügig veröffentlichen zu können.
Ich bin als absoluter Anfänger natürlich offen für jede Kritik und Feedback bezüglich Schreibstil und Inhalt. Meine Hoffnung ist ja, dass ich hier lerne und so meine Schreibfähigkeiten verbessern kann.
Jetzt ohne weiteres Gerede zur ersten Episode "Hochmut kommt vor dem Fall".
Kapitel 1 - Die Wette
Porto de Riqueza, Escopia
Die Schenke „Schatten“, ein heruntergekommener Ort mit niedriger Decke und verrauchten Holzbalken überall, war jetzt kurz vor der Dämmerung ziemlich gut besucht. Im „Schatten“, dessen Besitzer darauf schwor, dass die Taverne nach einem Vorfahren benannt war, gab es auch mehrere private Räume. In einem dieser Rückzugsorte befand sich eine lärmende Gesellschaft.
Auch dieser Raum war düster und ohne Fenster. Für Helligkeit sorgten ein paar Fackeln an den Wänden, deren flackerndes Licht bald mehr verhüllte denn preisgab.
Am einzigen Tisch des Raumes befanden sich vier Personen, drei, deren Leben noch vor ihnen lag, an der Schwelle des Erwachsenwerdens, und eine ältere.
Die Gesichter der Anwesenden hinterließen keinen bleibenden Eindruck. Einer von mittlerer Größe, mit schulterlangem schwarzen Haar und leuchtenden blauen Augen war noch am Auffälligsten. Was sich alle Anwesenden teilten waren ihre langen, feinen Finger.
Schon gut angeheitert durch den Alkohol, wurden die neusten Ereignisse auf der Grandline diskutiert.
„Welch ein Glück, dass die Marine seit dem Beginn der Piratenära, ihre Aufmerksamkeit nur noch auf das Meer und den Hafen richtet“ tönte der Jüngste der Runde.
„So schlecht, wie du stiehlst, hast du das auch nötig“ schrie darauf lachend der Älteste der drei Jüngeren Anwesenden.
„Nur weil du gerade das Ende deiner Lehrzeit als Dieb erreicht hast, solltest du dich nicht über ihn lustig machen“ wies ihn der Älteste der Runde zurecht.
„Aber es stimmt doch, ich bin besser als er“ beschwerte sich der Zurechtgewiesene.
Darauf mischte sich der Dieb mit den blauen Augen ein und verkündete mit prahlerischem Stolz:
„Ich bin der Meisterdieb hier, es gibt nichts, was ich nicht stehlen könnte!“
Einen Moment herrschte Stille, doch dann brach Gelächter aus. Dann ergriff der Älteste, der Mentor und Lehrmeister der Jüngeren, das Wort:
„Gordan, so einen Schwachsinn habe ich ja noch nie gehört. Nimm dir zum Beispiel das Haus von Warren, dem Händler. Der hat eine eigene Wachmannschaft, bestehend aus kampferprobten Veteranen der Grandline. Das ist eine Hausnummer zu groß für dich, selbst ich würde mich da nicht rantrauen. Deine Arroganz wird dir eines Tages noch zum Verderben werden.“
„Ihr seid doch alle ein Haufen Feiglinge“ entrüstete sich Gordan.
„Onkel, ich fordere dich zu einer Wette heraus. Morgen Abend wenn wir uns wiedertreffen, werde ich den Inhalt von Warrens Safe dabei haben!“
Die Gemeinschaft der Diebe tauschte ein paar Blicke aus, dann meldete sich der Gordans Onkel zu Wort:
„Gut, angenommen. Zwar kann ich das eigentlich nicht verantworten, aber ich habe das Gefühl, du hast eine Lektion in Demut dringend nötig. Der Verlierer muss für die Gegenseite in der nächsten Woche die Rechnungen hier im Schatten zahlen.“
Zur allgemeinen Überraschung stimmte Gordan dem Vorschlag ohne zu zögern zu.
„Gordan ist der wahre Erbe des Langfingerstamms, doch ein Dieb muss auch seine Grenzen kennen. Ich bezweifele, dass er es wirklich versuchen wird“ dachte der Lehrer.
Dann verabschiedete sich der siegesgewisse selbsternannte Meisterdieb, um sich die notwendige Ruhe zu verschaffen. Noch beim Verlassen des Raumes hörte er, wie jemand sagte:
„Der wird doch mit Sicherheit den Schwanz einziehen.“
Mit einem Lächeln auf den Lippen schloss Gordan die Tür, denn im Gegensatz zu seinen Freunden wusste er, dass er einen Trumpf besaß, der ihm den Zugang zur Beute verschaffen würde.
Unterdessen auf einem Schiff
In das Rauschen des Meeres und das Flattern der Segel mischte sich das Geräusch einer klingelnden Teleschnecke. Ein mittelgroßer Mann in einem Kapuzenmantel, der den Blick in sein Gesicht verwehrte, verließ seinen Aussichtsplatz an der Reling und ging zu einem Unterstand in der Nähe des Hecks. Er nahm das Gespräch an:
„Hallo?“
Vorsicht war hier unangebracht, denn diese Nummer kannten nur vertrauenswürdige Kontaktpartner.
„Hier ist die Basis. Anweisung von Ruin persönlich. Der Ort des gesuchten Objekts wurde lokalisiert. Es befindet sich im Besitz eines Händlers. Der Mann heißt Warren und lebt auf der Insel Escopia. Weitere Informationen über den Ort und die Bewachung werden folgen.“
Wäre der Angerufene nicht einer der Bekenner, so wäre er wohl in Jubel ausgebrochen, doch so antwortete er nur:
„Alles klar, wir sind auf dem Weg!“
Porto de Riqueza, am nächsten Mittag
Gordan hatte sich inzwischen auf seine Mission vorbereitet. Er trug lockere, grau-schwarz gefleckte Kleidung, die sich gut eignete, um sich im Schatten zu verbergen. Er bezweifelte, dass ihm dies um diese Zeit wirklich helfen würde, aber es war nun mal seine Arbeitsbekleidung.
Inzwischen ärgerte er sich maßlos, dass er den Zeitpunkt für das Ende der Wette auf diesen Abend gelegt hatte. So musste er den Einbruch am Tage durchführen, da er letzte Nacht viel zu viel getrunken hatte.
Bevor er seine schlichte Wohnung, ein großes Wort für ein einziges Zimmer, verließ, überprüfte er noch einmal, ob seine Ausrüstung auch funktionsfähig war. Am Rücken trug er unter seinemMantel eine an Riemen befestigte größere Flasche, von der ein Schlauch ausging. Er setzte das Schlauchende an den Mund und atmete ein. Zufrieden mit dem Ergebnis verstaute er den Schlauch an seinem Gürtel und griff nach seiner Maske. Auch diese verschwand unter dem Mantel, genauso wie ein kleiner Sack für seine Beute.
Fröhlich pfeifend, um seine innere Besorgnis angesichts des Wagnisses zu überspielen, machte sich Gordan auf den Weg.
Kapitel 2 - Der Einbruch
Unter dem Licht der Mittagssonne bewegte sich Gordan durch das Drittel der Stadt, welches von den ärmeren und den kriminellen Bewohnern von Porto de Riqueza bewohnt wurde. Hier waren die Häuser klein, oft heruntergekommen. In den Straßen sammelte sich der Dreck und über allem lag ein Gestank von Ausdünstungen, Exkrementen und der Hoffnungslosigkeit.
Porto de Riqueza war eine Stadt des Handels, doch der Reichtum daraus verteilte sich sehr ungleich. Geteilt durch einen Fluss gab es zwei unterschiedliche Hälften. Im Norden und etwas höher gelegen, lag das Gebiet der Oberschicht. Dort lebten die Händler und Vermögenden, die sich vor dem im Süden befindlichen Slum durch eine den Fluss umgebende Schicht von Handwerkern und Mittelschichtlern schützten.
Gordan wusste, dass er bis zum Fluss sicher war, denn hierher kamen üblicherweise keine Patrouillen der Stadtwache. Diese sorgten sich nur darum, den Fluss zu kontrollieren und sicher zu stellen, dass die Reichen in Sicherheit leben konnten.
Als sich Gordan dem Fluss näherte, machte er sich auf die Suche nach einem potentiellen Opfer. Den Fluss zu überqueren war im Prinzip zwar nicht verboten, aber wenn man kein Bestechungsgeld bezahlte, so war der Übergang für jemanden wie ihn unmöglich.
Zum Glück war auch auf dieser Seite des Flusses eine Menge los, denn viele der nur mittelmäßig Begüterten zogen die billigeren Geschäfte der Südseite dem teureren Norden vor.
Gordan ergriff die erstbeste Gelegenheit beim Schopf. Ein Ehepaar war gerade am Streiten und so zog er dem abgelenkten Mann im Vorbeigehen die sträflich ungesicherte Börse aus der Tasche. Da er nicht nur arrogant war, sondern tatsächlich geschickte und schnelle Finger besaß, gelang ihm sein Diebstahl fast unbemerkt.
In der Menge gab es auch einige Waisenkinder, die sich auf der Straße durchschlugen und deren eine Form des Gelderwerbs darin bestand, Schweigegeld von Dieben zu erpressen. Eines dieser verwahrlost aussehenden Kinder hatte ihn schon seit längerem belauert und so sah sich Gordan zu seinem Missfallen gezwungen, den Inhalt der Börse zu teilen.
Da die meisten der Menschen die Gefahr durch Diebe bereits erkannt hatten, war nur wenig durch solche Eroberungen zu holen, denn entweder hatten sie ihr Geld am Körper verteilt oder gar nicht erst viel dabei.
So sah sich Gordan gezwungen, den Betrag des Beutels durch eigene Zuzahlung groß genug für die Brückenüberquerung zu machen. Sein Ärger schwand aber schnell, da er im Geiste bereits den Reichtum von Warrens Safe vor sich sah.
Eine halbe Stunde später und um einen Geldbeutel ärmer, hatte Gordan den Punkt im oberen Handwerkerviertel erreicht, an welchem ihm der Rausschmiss durch die Stadtwachen drohte.
Da dies aber nicht sein erster Ausflug in diese höheren Gebiete war, wusste er um eine wenig besuchte Gasse. Dies lag im Wesentlichen daran, dass es sich um eine Sackgasse handelte, in welcher zudem noch keine Geschäfte lagen.
Gordan erreichte die Mauer, die die Straße beendete und warf einen schnellen Blick um sich. Zufrieden, dass niemand zu sehen war, setzte er seine Maske auf. Mit einem letzten Blick durch die Gucklöcher der schwarzen Maske zurück und einem Lächeln unter dem zu einem roten Grinsen verzogenen Mund der Maske, nahm er den Schlauch von seinem Gürtel und steckte das Mundstück über eine Öffnung im Kinnbereich der Maske zwischen die Zähne. Dann öffnete er das Ventil am Schlauch, wandte er sich der Wand zu und verschwand im Gestein.
Wie immer erfasste ihn ein Rausch der Euphorie, als sich die Welt abdunkelte und die Geräusche eine andere Färbung annahmen.
Sein Geheimnis, die Frucht, welche er gegessen hatte. Mit dieser Fähigkeit wurde er zu einem perfekten Dieb. Rasch verdrängte Gordan aufkeimende Schuldgefühle, da er ja im Prinzip bei seiner Wette betrog. Er sog die Luft aus der Flasche auf seinem Rücken ein und machte sich auf den Weg durch die Welt, die niemand von außen sehen konnte.
Auf seinem Weg durch Steinwände und falls nötig auch durch den Boden, sah er, wie sich das Erscheinungsbild der Stadt änderte. Der Schmutz verschwand, die Menschenmassen verdünnten sich immer weiter und die Häuser wurden prächtiger. Die Menschen, die er jetzt sah, trugen Kleidung, von deren Wert er im Slum bestimmt einen Monat leben könnte. Diese Ungerechtigkeit war es, die Gordan wirklich zu einem Dieb gemacht hatte. Okay, das war nicht die ganze Wahrheit gestand sich Gordan ein. Es hatte auch mit dem Rausch der Gefahr zu tun und mit seinem Unwillen zu arbeiten.
So oft er konnte verließ Gordan die Welt aus festem Material, um die Luftvorräte die er besaß zu schonen. Zwar patrouillierte hier die Stadtwache, doch deren Schritte waren weithin zu hören, weswegen es einfach war, rechtzeitig im Stein zu verschwinden. Den Weg zu Warrens Haus zu finden war einfach, denn dieses war weit und breit das höchste Bauwerk.
Nach einiger Zeit erreichte Gordan sein Ziel. Überwältigt von dem Anblick verharrte Gordan in der Wand auf der gegenüber liegenden Seite der Straße, nur die vordere Gesichtshälfte sichtbar.
Das Anwesen von Warren war gigantisch. Allein nur die Länge der Fassade war größer als ein Wohnungsblock im Armenviertel. Die Wände waren aus weißem Marmor, in welchen Dutzende von Fenstern eingelassen waren. Die Villa umfasste mehrere Stockwerke und protze mit unzähligen Verzierungen, Säulen und architektonischen Spielereien. Umgeben war das Gebäude von einer übermannshohen Mauer, was die Größe des Anwesens noch weiter unterstrich.
Allerdings hatte sich Warren bei der Sicherung seiner Villa nicht nur auf Mauern mit Spitzen und vergitterte Tore verlassen, sondern auch Wachen angeheuert. Als eine dieser in Gordans Gesichtsfeld kam, zog er sich in die Wand hinter ihm zurück.
Gordan machte sich keinen Kopf um die Wachen, denn diese konnten ihn ja gar nicht sehen.
Was ihm allerdings nicht bewusst war, war die Herkunft der Wachen. Es wurde unter den Händlern gemunkelt, es handele sich um ehemalige Cipher-Pol Agenten, welche Haki und die Formel 6 beherrschen sollten. Niemand wusste, was davon wirklich stimmte, aber tatsächlich war das Einzige, was Gordan vor der Entdeckung bewahrte, sein Aufenthalt im Stein. Hier konnten ihn die Wachen nicht spüren, ein Vorteil, der ihm es ermöglichte ungesehen und unbemerkt in Warrens Anwesen einzudringen.
Auch wenn unser Meisterdieb fast geblendet von all der Pracht war, die alles, was er in anderen Häusern reicher Bewohner gesehen hatte, in den Schatten stellte, so behielt er doch seinen wachen Geist. Er erkannte, dass sich sein Ziel in einem höheren Stockwerk befinden musste. So schwamm er durch die Wände des Hauses durch Räume, deren Funktion ihm oftmals nicht klar war, durch endlose Flure und überwand schließlich die ersten Stockwerke. Im vierten Stock schien es ihm, als ob die Räume eine Art Arbeits- und Wohnfunktion erfüllen wurde. Es gab Tische mit Sitzgelegenheiten, Arbeitsräume, Lagerräume und tatsächlich auch ein Schlafzimmer. Dort hielt Warren, der Händler, gerade seinen Mittagsschlaf. Da er kein Freund von Wachen war, die durch seine Korridore patrouillierten, war das Gebäude völlig ausgestorben. Gordan hielt einen Moment inne, um den Händler zu betrachten. Wenn auch halb von seiner Decke verborgen, so war doch genug von seinem Körper zu sehen, um zu erkennen, dass Warren ein Mann des Geistes und nicht des Körpers war. Er setzte bereits Fett an. Solche Leute waren Gordan bereits aus Prinzip zuwider. Leute, die nicht körperlich tätig waren, erzeugten immer ein Gefühl von Unbehagen in ihm. Er wandte sich ab und überließ den Händler seinem Schlaf.
Schließlich fand Gordan den Raum, der offensichtlich erst vor kurzem benutzt wurde. Auf dem Schreibtisch lagen verschiedene Zettel, vollgeschrieben mit Zahlen und Listen von Personen, Waren und Preisen. Dies war allerdings nicht, was für den jungen Dieb von Interesse war, sondern der eigentlich versteckte Tresor hinter dem Schreibtisch. Nichts Böses ahnend hatte Warren das Bild, welches üblicherweise vor dem Tresor hing, nicht wieder zurück gehängt, denn er erwartete heute keine Besucher und gedachte einen im Verlaufe des Abends eintreffenden Gegenstand dort zu lagern.
Erfreut wollte Gordan durch den Tresor greifen, als er zu seinem grenzenlosen Erstaunen feststellte, dass er dazu nicht in der Lage war. Lautlos fluchte er vor sich hin, die Welt nicht mehr verstehend. Er befürchtete schon, seine Fähigkeit verloren zu haben, doch die Wand neben dem Tresor war mühelos zu durchdringen.
Da er anscheinend seine Fähigkeiten nicht auf den Tresor anwenden konnte, besann sich Gordan auf den Schlüssel, den er um Warrens Hals hatte hängen sehen. Mit einem Blick auf das Schloss am Safe kombinierte er, dass sich mit diesem an den ersehnten Inhalt gelangen ließe.
Also beeilte er sich, zurück zum Hausherren zu gelangen, bevor dieser noch von seinem Schlaf erwachte. Dort angekommen, stand er vor dem Problem, an den Schlüssel zu gelangen, ohne den Besitzer aufmerksam zu machen.
„Wenn ich die Kette durch das Bett öffne, müsste es machbar sein“ dachte sich Gordan. Gesagt getan, öffnete er den Verschluss der Kette. Doch dann regte sich Warren im Schlafe, was den Dieb dermaßen erschreckte, dass er überhastet an der Kette zog. Die Reibung weckte den Schlafenden auf, der mit ansehen musste, wie seine Kette einem Phantom zum Opfer gefallen war. Der Raum war leer, die Tür, wie eine Überprüfung zeigte, immer noch abgeschlossen, Fenster gab es nicht und alle Wände waren auch intakt. Wutentbrannt traf Warren die Entscheidung, seine Wachen zur Rechenschaft zu ziehen.
In der Zwischenzeit hatte sich Gordan im Höchsttempo zum Safe begeben. Wie erwartet, passte der Schlüssel. Im Inneren des Safes befand sich nur ein mittelgroßes, schlichtes Kästchen, zu groß für eine Hand, aber klein genug, um ohne Probleme in seinem Sack zu verschwinden.
In der Zwischenzeit
Am Hafen von Porto de Riqueza lief ein Schiff ein. An sich war das kein bedeutsames oder überraschendes Ereignis, aber üblicherweise erreichten nur Handelsschiffe oder Marineschiffe den Hafen. Dieses Schiff hingegen war ein gewaltiges Kriegsschiff.
Der Hafenmeister beging den tapferen, aber dummen Versuch die Ankömmlinge zur Rede zu stellen. Die Reihe vermummter Kapuzenträger, die vom Schiff herabstiegen, waren aber leider nicht in friedlicher Mission gekommen und so wurde der arme Mann als störendes Hindernis im Meer versenkt. Durch diese Geste erfolgreich den Hafen leerend, nahm die Gruppe ihren Weg zu einem ganz bestimmten Haus auf.
Kapitel 3 - Ungebetene Besucher
Warrens Anwesen, vierter Stock
Mit rasendem Herzen hastete Warren den Flur entlang. Ein Eindringling in seinem Haus!
„Was sind diese Wachen eigentlich wert?“ fragte sich Warren innerlich.
„Sie wurden doch so angepriesen. Verdammt, warum habe ich mich bloß auf diese Angelegenheit eingelassen, sonst hätte ich sie noch nicht einmal gebraucht.“ Normalerweise war Warren ein eiskalt berechnender Mann, was im Wesentlichen der Grund für seinen Erfolg war, doch der Eindringling hatte ihn aus seiner Ruhe gebracht.
Keuchend erreichte er, sein kurzes braunes Haar bereits schweißnass von der ungewohnten Anstrengung, ein Zimmer mit Fenster auf seinen Garten hinaus.
Nach einem kurzen und erfolgreichen Kampf mit dem Öffnungsmechanismus des Fensters, steckte er seinen Kopf nach draußen.
Wütend schrie er nach seiner Wache. Kurz wurde er aus dem Konzept gebracht von einem krachenden Geräusch ein paar Häuserzüge weiter in Richtung Hafen, wobeiein Haus in Flammen aufging.
„Nicht mein Problem“, dachte Warren und lenkte seine Aufmerksamkeit auf einen in sein Blickfeld gelangenden Mann.
„Du Tölpel von einer Wache!“ schrie Warren los.
„Ich bezahle euch einen Wucherpreis ohnegleichen und dann kommt ein Eindringling in mein Zimmer und stiehlt mir meinen- “. Warren unterbrach sich, als ihm die Konsequenz des Satzes klar wurde. Panische Angst durchflutete ihn, als ihm die Folgen eines erfolgreichen Diebstahles bewusst wurden.
„Jemand ist dabei mich auszurauben, Vegard!“ brüllte er mit angsterfüllter Stimme herunter.
Die Wache, ein narbenübersätes Muskelpaket, glaubte anfangs noch an einen Albtraum seines Arbeitgebers, doch dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf das Haus.
„Ich werd verrückt, da ist doch tatsächlich jemand im Arbeitszimmer“ murmelte Vegard fassungslos.
Rasch holte er eine kleine Teleschnecke aus dem Ärmel. Mit dieser konnte er sein Team erreichen. Er nahm den Hörer ab:
„Vegard hier. Es sollte zwar völlig unmöglich sein, aber wir haben einen Eindringling im Haus. Wehe einer von euch hat Pause während der Arbeit gemacht!
Wir umstellen das Haus, ich werde zusammen mit jeweils einer der beiden Torwachen reingehen.“
Doch bevor das Team dazu kam, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen, hörte man Kampfgeräusche aus der Nähe. Dann schrillte in Vegards Mantel die Teleschnecke, mit welcher sämtlichen unabhängigen Wachen der Stadt ausgestattet waren. So sollte eine Zusammenarbeit zwischen Stadtwache und anderen militarisierten Einheiten in einem Notfall ermöglicht werden.
Da es sich dabei um eine einseitige Übertragung handelte, sprach einen gehetzt wirkende Stimme los, noch bevor Vegard die Schnecke ans Tageslicht befördert hatte:
„Hier ist ein Notruf! Wir werden angegriffen. Bei den Angreifern handelt es sich um eine bisher nicht identifizierte Gruppe Kapuzenträger.“
Plötzlich wurde die Ansage durch ein Schreien unterbrochen, gefolgt vom Geräusch eines Feuers.
„Es handelt sich um Mitglieder der Bruderschaft“, erscholl es panikerfüllt aus dem Mund der Schnecke.
„Sie haben mindestens zwei Bekenner bei sich, einer davon ist Drago-“
„Flieht, nei-„
„Aaahhhhhhh-„
Die Übertragung brach ab.
In den Augen des Anführers machte sich eine Art Schicksalsergebenheit breit. Mit einem Seufzen nahm er die kleine Teleschnecke in die Hand.
„Mission abbrechen, ich wiederhole, Mission abbrechen!“
Warren, der aus dem vierten Stock nicht mitbekommen hatte, was passiert war, konnte keinerlei Verständnis für den Abbruch aufbringen:
„Ihr sollt mich und mein Eigentum beschützen, also tut endlich was!“
Der Angesprochene blickte hoch und unterbrach seine Ansprache, um den Händler zu informieren:
„Genau das werden wir auch tun. Die Angreifer sind höchstwahrscheinlich auf einem Weg direkt hierher. Ich gehe davon aus, dass sie etwas von dir wollen, denn warum sonst solltest du eine Wache wie uns anheuern, wenn nicht um etwas besonders Wertvolles zu sichern?“
Einen Moment herrschte Schweigen, dann setzte die Wache noch hinzu:
„Ach ja, an deiner Stelle würde ich mich jetzt ganz schnell aus dem Haus entfernen, denn ich bezweifele, dass wir die Bruderschaft lange aufhalten können.“
Vegard war sich der drohenden Gefahr bewusst, doch genauso wusste er, dass eine Flucht nicht für ihn und auch nicht für seine Männer in Frage kommen würde. Sie besaßen nicht mehr viel, aber sie hatten noch ihre Ehre und so würden sie auch auf Kosten ihres Lebens versuchen, ihren Auftrag zu erfüllen.
Er griff wieder zu der kleinen Teleschnecke, um seine Mannschaft zu informieren.
Warrens Anwesen, höchster Turm
Gordan hatte sich entschieden, das Kästchen ungeöffnet zu lassen. Im Moment war die Gefahr der Entdeckung zu groß, schließlich hatte er Warren aufgeweckt. Im Bewusstsein, dass dieser ihn nicht gesehen haben konnte und wenn, dann nur seine Maske, fühlte sich Gordan sicher.
Was ihn hier auf den höchsten Turm getrieben hatte, war der sogar von innerhalb der Villa wahrzunehmende Lärm.
Jetzt, wo er hier oben stand, hatte Gordan einen überragenden Ausblick. Die Aussicht ließ ihn sich ganz klein fühlen.
Allein schon der Rest des Gebäudes war so unübersichtlich groß, dass es ihm ein Rätsel war, wofür man eine solche Villa brauchen sollte. Die unterschiedliche Färbung der Stadtteile, braun im Süden und weiß-grau im Norden führte ihm noch einmal die Teilung der Stadt vor Augen.
Mehr Rechtfertigung als das brauchte er nicht, um jeglichen Zweifel, sollte er jemals aufkommen, zu vertreiben. Völlig unmöglich, dass so etwas gerecht war. Dann brauchten sich diese Reichen auch nicht beklagen, wenn die Armen auch nicht fair spielten.
Doch in der Zwischenzeit hatte sich zum Farbspektrum der Oberstadt auch noch Rot hinzugesellt. Die brennenden Häuser erweckten Gordans Aufmerksamkeit, insbesondere da das Feuer ziemlich in der Nähe ausgebrochen war.
Ihm wurde bewusst, dass er die Zeit vergessen hatte. So machte er sich schnellen Schrittes auf, die Villa zu verlassen. Als er sich dem Vordereingang näherte, vernahm er Stimmen. Sich ob seiner Unachtsamkeit zurechtweisend, verschwand Gordan wieder in der Wand. Auch wenn ihm vage bewusst war, dass er sich eigentlich schleunigst zurück begeben sollte, erwies sich seine Neugier als übermächtig.
Durch die Marmorfassade beobachtete er, wie sich die Wachen versammelten.
Dumpf vernahm er die Stimme des bedrohlich wirkenden Narbigen:
„Wir werden erstmal hier den Angriff erwarten. Sollte sich ein Teil der Angreifer abspalten, werden je nach deren Menge die ursprünglich den Garten bewachenden ihnen folgen. Was Drago angeht, so werde ich immer dort sein, wo er angreift.
Es mag vielleicht der Moment kommen, wo ihr aufgeben und fliehen wollt, doch denkt immer daran, dass wir noch unsere Ehre haben! Wir sind noch nie geflohen und wir werden auch jetzt nicht fliehen!“
Die Wachen antworteten ihrem Anführer mit einem Kampfgeschrei, was Gordan vor Schreck in die Höhe gehen ließ.
Nun war der Augenblick zu verschwinden verstrichen, denn auf der Straße tauchten die Angreifer auf und Gordan stellte zu seinem Entsetzen fest, dass seine Sauerstoffflasche leer war. Kurz bevor ihm schwarz vor den Augen wurde, verließ er die Wand und holte tief Luft.
Drago, der Anführer der Gruppe der Angreifer, näherte sich dem Ziel. Die Versuche der Stadtwache sie aufzuhalten waren nutzlos, hatten aber etwas mehr Zeit und Gewalt benötigt, als ihm lieb gewesen wäre.
Deswegen besserte sich seine Laune nicht, als er die Wachmannschaft erblickte. Er spürte sofort, dass dies nicht einfach werden würde. Nun, er musste sich halt einfach ein bisschen mehr beeilen, bevor noch die Marine aufkreuzte. Immerhin befand sich mit Ashtshak noch ein weiterer Bekenner bei ihm.
Ein Befehl an einen Teil der niederen Gefolgsleute, den Novizen, unter der Führung eines der drei Brüder, sorgte dafür, dass sich ein Drittel der Streitmacht absetzte, um das Anwesen von einer anderen Richtung anzugreifen.
Laut rief er dann:
„Tötet die Wachen, aber lasst den Händler am Leben, ihn will ich noch persönlich sprechen.“
Und dann unterwarf sich Drago der Notwendigkeit und griff an.
Kapitel 4 - Kämpfe wider Willen
Gordan tauchte auf der linken Seite von Warrens Villa aus der Wand auf. Noch konnte er sein Herz hämmern hören, als wolle es die Grenzen die ihm durch Rippen und Muskeln gesetzt waren, sprengen. Er atmete erheblich schneller als sonst. Die gerade vergangene Situation musste erstmal verkraftet werden. Langsam beruhigte sich sein Atem wieder und der Dieb fing an, die Geräusche vom Vordereingang nicht mehr nur als gedämpft im Hintergrund wahr zu nehmen.
Jetzt wieder mit normalisiertem Pulsschlag verließ Gordan das Anwesen durch die Mauer. Einen kurzen Moment war der neugierige Dieb versucht, das Spektakel auch mit den Augen zu verfolgen. Mit einem kurzen Kopfschütteln befreite sich Gordan von diesem verrückten Gedanken. Hatte er nicht schon genug Probleme gehabt?
Innerlich aufatmend, drehte sich Gordan nach links, nur um sich einer kapuzierten Gestalt gegenüber zu sehen, die sich unbemerkt an ihn herangeschlichen hatte. Für einen kurzen Moment kam ihm die Wirklichkeit merkwürdig verlangsamt vor, doch leider bewegte sich die herannahende Faust immer noch ebenso schnell, wie sein verzweifelter Sprung nach hinten ihn versuchte, aus der Gefahrenzone zu befördern.
Der Augenblick war jedoch schnell vorüber und wurde von einer unangenehmen Realität abgelöst. Mit einem Knacken hob es Gordan von den Füßen.
Sein Flug wurde abrupt gestoppt durch die Mauer, an welcher Gordan der Ohnmacht nahe herunterrutschte.
Mit pumpenden Herzen versuchte Gordan die Schleier vor seinen Augen zu vertreiben. Ihm schwindelte und seine Ohren klingelten. Ein pochender Schmerz kam von seinen Hüften. Dumpf hörte er eine Stimme fragen:
„Der hier sieht nicht gerade wie eine Wache aus. Was sollen wir mit ihm tun, Bruder William?“
In seinem verschwommenen Blickfeld näherte sich ein brauner Schemen und gesellte sich zu dem grünen Schemen. Von dem Fleck, kam mit ruhiger Stimme:
„Er wirkt verdächtig und ist uns im Weg, beseitigt ihn.“
Diese Ankündigung brachte Gordan zurück ins Leben. Gerade noch rechtzeitig ließ er sich rückwärts durch die Mauer in den Boden fallen. Wo sich sein Kopf befand, sah er eine Klinge gegen den Marmor prallen.
Nach ein paar Sekunden klärte sich sein Blick. Er tauchte hinter der Mauer wieder auf, um Luft zu holen. Ihm kam es vor, als ob alles noch in Ordnung war mit seinem Körper, auch wenn er sich ziemlich mies fühlte. Erleichtert, noch davon gekommen zu sein, stand er auf. Mit einem hohlen Klacken traf ein Stück Holz auf dem Boden auf. Ein rascher Griff an seinen Rücken bestätigte seine Befürchtung. Seine Sauerstoffflasche war bei dem Angriff zerstört worden. Nicht im Geringsten dankbar dafür, dass dies einen guten Teil des Aufpralls an die Wand aufgehalten hatte, fing er an zu fluchen. Unterbrochen wurde er von dem Krachen zersplitternden Marmors. Zu seinem Unglauben und Entsetzen, tauchte mitten aus der Wand eine Hand auf. Risse zogen sich durch die Mauer, dann flogen ihm Marmorsplitter entgegen. Im entstandenen Loch sah er einen Kapuzenträger stehen.
Es handelte sich, da er einen braunen Mantel trug, um den als Bruder William angesprochenen Angreifer, schlussfolgerte Gordan.
Einen Moment schwankte Gordan zwischen angsterfüllter Flucht und wutgeprägtem Angriff, dann entschied ein weiteres herabfallendes Stück Holz seine Zukunft.
„Wisst ihr eigentlich, was ihr da zerstört habt?“, rief Gordan mit zorniger Stimme.
„Das war eine sündhaft teure Spezialanfertigung!“
Bruder William starrte den sich ereifernden Dieb ungläubig an. Hatte der den Verstand verloren?
In Warrens Villa
Warren hastete den Flur wieder zurück. Er brauchte Gewissheit. Wenig überrascht sah er dann in seinem Arbeitszimmer den offenstehenden Safe.
Was hatte er sich nur dabei gedacht, einen solchen Deal zu machen? Mit solchen Leuten kam niemals etwas Gutes bei raus. Bei dem Blick auf ein im Safe verbliebenes Schriftstück sank ihm das Herz in die Hose. Das darauf befindliche Zeichen versprach ihm den Tod, versagte doch niemand im Dienste dieser Abscheulichkeit zweimal. Seine Gier hatte ihn verleitet, denn in verborgenen Kreisen war die Zahlkraft dieses Monsters in Menschengestalt legendär.
Warren war sich bewusst, dass er das Kästchen wieder in seinen Besitz bekommen musste. Noch war nicht alles verloren. Sich den Angstschweiß abwischend, rannte er wieder zurück zu seinem Fenster.
Vor Warrens Villa, linke Seite
Gordan tauchte schwungvoll aus dem Boden auf und versenkte seine Faust in den empfindlichsten Teilen desjenigen Angreifers, von dem er glaubte, er wäre der lautlose Anschleicher. Da das Dutzend der grün gekleideten Männer kaum zu unterscheiden war, konnte er sich darüber allerdings nicht sicher sein. Noch bevor der unglückliche Novize stöhnend den Boden erreicht hatte, war Gordan bereits wieder im selbigen verschwunden.
Gordan begann die Sache Spaß zu machen. Rache war süß und so setzte er seine Angriffe fort. Der weißglühende Zorn über die zerbrochene Sauerstoffflasche und den Schmerz des erlittenen Schlages, ließen Gordan jegliche Gedanken an die Flucht vergessen.
Die Grünkapuzierten verfielen in Panik, doch aus Angst vor ihrem Vorgesetzten wagten sie es nicht, davon zu laufen. Stattdessen bewegte sich das Geschehen nur langsam mehr in Richtung des Haupteinganges.
Ein unwissender Beobachter würde sich über die kleine Gruppe von Männer wundern, die ständig hin und her sprangen, während von Zeit zu Zeit, kaum wahrnehmbar, Arme aus dem Boden kamen, um einen weiteren Kapuzenträger auf den Boden zu befördern. Doch es gab nur einen Beobachter und das war Bruder William.
Dieser hatte sich vorsorglich auf höheren Grund begeben. Sich an einer Spitze auf der Mauer klammernd, beobachtete er das Geschehen unter ihm. Er glaubte fest an die analytische Herangehensweise als Weg zum Erfolg im Kampf. Es hatte auch nicht lange gedauert, bis er durchschaut zu haben glaubte, was vorging.
„Aufhören mit dem kopflosen Herumgespringe, ihr Angsthasen“, schrie er in befehlsgewohntem Ton hinunter. Seine Stimme hatte eine beeindruckende Wirkung, denn sofort stand das verbliebene halbe Dutzend Novizen still, bis auf einen, der stattdessen unfreiwillig den Boden vorzog.
„Wir haben es nur mit einem Gegner zu tun“, verkündete William mir beruhigender Stimme.
Gordan, der so langsam eine Ruhepause benötigte, hörte dem Bruder gespannt zu. Was konnte ihm auch schon passieren? In den Boden konnten diese komischen Leute schließlich nicht.
„Dazu kommt, dass dieser keinerlei Waffen besitzt und uns keinen wirklichen Schaden zufügen kann“, führte William aus. Sich den Gefallenen zuwendend, donnerte es plötzlich aus ihm heraus:
„Aufstehen ihr feigen Schwächlinge! Ihr könnt vielleicht unseren verborgenen Angreifer täuschen, aber nicht mich. Wer in Zukunft länger als drei Sekunden auf dem Boden liegt, kann für den nächsten Monat die Latrinen putzen!“
Erschreckt durch den Befehl, dauerte es keine drei Sekunden, dann standen wieder alle Novizen. Ein paar hatten zwar eine gebrochene Nase, und einer hielt sich mit schmerzverkrümmten Gesicht den Unterleib, aber wirklich, viel Schaden hatte Gordan tatsächlich nicht angerichtet.
Gordan fühlte sich plötzlich in seinem Stolz verletzt. Sollte er wirklich so schwach sein? In ihm reifte der Entschluss, diesen selbstsicheren Typen zu demütigen. Diese Ansprache hatte dafür gesorgt, dass die Kampfeslust wieder in ihm erwacht war. Er holte tief Luft und verschwand wieder.
„Ich habe den Angreifer beobachtet. Er kann nicht unbegrenzt im Boden bleiben, also muss er über kurz oder lang auftauchen.Schätzt ab, wie lange er zu euch braucht und dann macht es wie ich!“
William war nicht umsonst ein Bruder geworden. Aus dem Augenwinkel hatte er den Luft holenden Gordan erspäht und so im Inneren gezählt. Als er glaubte, der unbekannte Maskierte hätte ihn jetzt erreicht, stieß er sich ab, was dafür sorgte, dass Gordan nur in die Luft griff. So aus dem Gleichgewicht gebracht, landete Gordan auf dem Boden.
Vor Warrens Villa, Haupteingang
Drago parierte den von rechts auf ihn zukommenden Schlag mit einem schuppigen Arm. Fast gleichzeitig fühlte er einen von links auf ihn zufliegenden Angriff und duckte sich. Eine blaue Schnittwelle rauschte über seinen Kopf hinweg und teilte die Mauer rechts von ihm glatt in zwei.
Einen Moment überlegte er, ob er sich verwandeln sollte, doch da er nicht wusste, wo sich sein Zielobjekt befand, wollte er lieber keine Zerstörung riskieren.
Genervt von der ungewünschten Verzögerung, schlug er mit seiner krallenbesetzten Hand nach seinem narbigen Widersacher. Dieser hob seinen Arm, um den Angriff abzuwehren. Kurz vor dem Aufprall färbten sich die Klauen schwarz und so wurde sein Widersacher mit einer blutigen Krallenspur quer über seinen Arm zurückgeworfen. Mit einem schnellen Satz war Drago in der Luft über einem abgelenkten Verteidiger. Er öffnete den Mund und eine lodernde Stichflamme hüllte den in Schreie ausbrechenden Gegner ein. Der Wächter, den Drago als Anführer identifiziert hatte, nutzte die Gelegenheit, den in der Luft befindlichen Gegner mit einer Fingerpistole zu attackieren.
„Alles sinnlos“, dachte Drago, während unter seinem schwarzen Mantel ein geschuppter Schwanz hervorbarst und sich im Boden versenkte. Blitzschnell zog er sich mit diesem aus dem Angriff.
Einen Moment lenkte ihn ein Tumult auf der linken Seite der Villa ab, wo seine Umgehungstruppe anscheinend auf Widerstand getroffen war. Achselzuckend konzentrierte er sich wieder auf seinen Widersacher.
„Ihr kämpft gut, aber ihr habt keine Chance. Lasst uns durch und ihr könnt gehen“, versuchte Drago diesen sinnlosen Kampf abzukürzen.
Doch sein Kontrahent schüttelte nur den Kopf. Dann färbte sich seine Faust schwarz und der Kampf begann von neuem.
Automatisch parierte Drago Angriff um Angriff, während er das Kampfgeschehen um sich herum aufnahm.
Die Novizen stellten keinerlei Gefahr für die Verteidiger dar und so hatten sie sich, so noch nicht geschlagen auf dem Boden liegend, zurückgezogen. Die beiden braun gekleideten Brüder schlugen sich ganz gut, doch der Grund, warum den Wächtern ihre zahlenmäßige Überlegenheit nichts nutze, lag in seinem Partner.
Ashtshak wirbelte hin und her, seine langen schwarzen Haare wild umherfliegend, befreit von der Last der schwarzen Kapuze. In dem abgemagerten, fast einem Totenschädel gleichenden Gesicht, funkelten fanatische blaue Augen.
Drago beneidete seinen Partner, der immer noch nicht von Zweifeln geplagt wurde. Allerdings überraschte es ihn auch nicht sonderlich, denn Ashtshak hatte schon immer nur einen Lebensinhalt gehabt – den Kampf gegen das Böse.
Das innerliche Betrachten des Bekenners wurde schließlich unterbrochen durch den herüberschallenden Ton von Bruder Williams Stimme.
Abgelenkt durch diese, seine Gedankengänge durchbrechenden, Schallwellen, kassierte Drago einen direkten Treffer in seine Körpermitte. Während er durch die Luft flog, bemerkte er einen fetten Kopf, der aus einem Fenster weit über ihnen gesteckt wurde.
In einem Ton, der verriet, dass der Sprecher befehlsgewohnt war, jetzt aber die Fassung verloren hatte, schallte es von oben herab:
„Hört mit diesem sinnlosen Kampf auf, sucht mir den Dieb, der hier vorhin eingedrungen ist! Er hat ein Kästchen erbeutet, beschafft es mir wieder.“
Warren hatte gefolgert, dass der Inhalt des Kästchens das Ziel der Angreifer war, jedoch keine Möglichkeit gesehen, den Angriff zu stoppen, ohne auch seine Gegner zu informieren. Die Richtigkeit seiner Kombination wurde durch den abrupten Abbruch des Kampfes gegeben.
Zur gleichen Zeit hatten Bruderschaft und Wachen die gleiche Idee. Und so kam es, dass sich Gordan nach seiner Landung auf einmal beobachtet fühlte. Er drehte sich in Richtung Haupteingang, wo der Kampfeslärm verstummt war.
Als er die auf sich gerichteten Augen entdeckte, brach ihm der Angstschweiß aus.
„Scheiße“, flüsterte Gordan.
Kapitel 5 - Lauf um dein Leben
Vor Warrens Villa
Einen Moment schien die Zeit still zu stehen, doch dann stürzten alle in Richtung des die Flucht ergreifenden Gordan. Gerade noch rechtzeitig rettete sich der Dieb in den Boden. Dort wo sich gerade noch sein Körper befand, strich Dragos Hand durch die nun leere Luft.
Kurz blieben die Verfolger verwirrt stehen. Gerade noch war der Dieb zu spüren gewesen, jetzt war er einfach verschwunden.
Im Sinne des gemeinsamen Zieles waren alle Feindschaften beigelegt worden. Doch sowohl Drago, als auch Vegard, waren sich vollkommen bewusst, dass in dem Moment, wo das Kästchen einem in die Hände fiel, ein gnadenloser Kampf ausbrechen würde.
Gordan bekam es nach diesem Nahtoderlebnis mit der Panik zu tun.
„Was war das denn für ein Monster? Wie kann er sich so schnell bewegen?“
Instinkte übernahmen seinen Körper, und so raste er schnurgerade in Richtung seiner Heimat. Leider wurde ihm schnell bewusst, dass er ja keinen Sauerstoff mehr besaß.
Er hielt den Atem an, solange es ging, doch dank seiner Erschöpfung aus dem Kampf, dauerte es nicht mal eine halbe Minute, bis er wieder Luft holen musste. Einen Straßenzug weiter, durch eine Reihe von Häusern von dem Schauplatz seiner Flucht abgegrenzt, schob sich sein Kopf nach Luft schnappend aus dem Gehweg. Keuchend versuchte Gordan wieder zu Atem zu kommen. In ihm machte sich ein Gefühl der Erleichterung breit, denn wie sollten ihn seine Verfolger hier aufstöbern?
Eine Sekunde später fand er sich im Boden wieder, aufgeschreckt durch das in sich zusammenfallende Haus hinter ihm und jeglicher Illusionen seine Flucht betreffend beraubt.
Wie konnten ihn diese Kapuzenträger finden? Wieder bewegte er sich so schnell es ging zu einer neuen Position. Diesmal beruhigte sich Gordan nach ein paar Metern weit genug, um sich eine neue Taktik zu überlegen. Er stoppte seine gradlinige Flucht und wandte sich nach links. Diesmal würde er nicht unüberlegt in eine Richtung fliehen! Um wirklich sicher zu gehen, wandte sich Gordan dann noch wieder in die Richtung, in der Warrens Villa stand. Wenn er in einem Haus auftauchte, dann sollte es doch nicht möglich sein, ihn zu verfolgen, war er sich sicher.
Was hatte er nur getan, um solch ein Pech verdient zu haben? Drago fühlte, dass er wieder dabei war, in düstere Gedanken zu verfallen.
Wieso musste ausgerechnet jetzt ein Dieb kommen und warum musste er auch noch Erfolg haben? Um alles noch schlimmer zu machen, handelte es sich auch noch um einen Teufelskraftnutzer.
Wie immer öfter in letzter Zeit, verfluchte Drago den Tag, an dem sie mit dem Contractor einen Vertrag geschlossen hatten. Nun, damals waren sie noch idealistisch gewesen. Manche Opfer sind einfach zu groß, wurde ihm bewusst.
Der Sumpf seiner negativen Gedanken und Gefühle drohten ihn zu verschlingen, doch er hatte eine Aufgabe. Ein bitteres Grinsen zeichnete sich unter der Kapuze ab. Ja, der Contractor hatte Wort gehalten. Für ihn gab es kein Entkommen. Es war für ihn unmöglich, wirklich zu versinken, denn sein Bekenntnis band ihn.
So zurück in die Realität geholt, wartete Drago auf ein Auftauchen des Diebes. Beim ersten Abtauchen des Diebes, hatte ihn Bruder William informiert, dass dieser nicht unbegrenzt lange verschwinden konnte. Tatsächlich war der maskierte Unbekannte nicht weit gekommen. Leider war er zwar schnell, aber so schnell nun auch wieder nicht. Bald würde der Flüchtende bestimmt aus Erschöpfung weniger weit kommen.
Sein Observationshaki reichte weit genug, dass er sich sicher war, den Dieb nie zu verlieren. Drago machte sich bereit. Würde er diese Mission erfolgreich abschließen, rückte eine Erlösung für ihn in greifbare Nähe.
Seine letzte Luft verbrauchend, erreichte Gordan das Hausinnere. Langgestreckt ließ er sich auf den Boden fallen. Für die Einrichtung des Hauses besaß er kein Auge, er hatte nur noch sichergestellt, dass niemand im Raum war. Heftig pumpend lag er da.
Er konnte nur hoffen, dass der Inhalt des Kästchens die ganze Aufregung wert war.
Seine Ruhe wurde gestört durch die, über seinen Kopf hinwegfliegende, Tür.
War Gordan bislang noch halbwegs selbstsicher gewesen, so war jetzt jegliche Sicherheit dahin. Er bekam Todesangst. Wie sollte er jemandem entkommen, der ihn überall fand und der auch noch so schnell war? Nicht mal solide Hausmauern konnten seinen Verfolger aufhalten.
Nichtsdestotrotz rannte Gordan, durch einen Adrenalinschub wieder voller Energie, unter der Erde weg. Was tun? Die Angst benebelte seinen Kopf und er konnte keinen klaren Gedanken fassen. Das einzige, was er dachte, war:
„Ich will nicht sterben, ich will nicht sterben.“
Zweimal Auftauchen später hatte auch der Adrenalinschub nachgelassen. Gordan taumelte, am Ende seiner Kräfte, durch eine Wand. Stolpernd stieß er gegen irgendetwas. Die Welt verschwamm vor seinen Augen und er fiel in Richtung Boden. Entkräftet, aktivierte Gordan nicht mal seine Kräfte. Schmerzhaft stieß er sich beim Aufkommen die Hüfte. Der Schmerz klärte plötzlich seinen Geist.
Ihm tauchte das Bild eines Kästchens vor den Augen auf. Genau, das hatte er ja aus dem Safe geholt. Daran hatte er sich verletzt. Er zog einen Schluss. Irgendetwas in diesem Kästchen musste wichtig sein, dass diese Unbekannten hinter ihm her waren.
In ihm keimte Hoffnung auf. Nun, falls seine Idee nicht klappte, war es sowieso vorbei, denn einen weiteren Atemzug würde er nicht mehr schaffen, war ihm klar.
Während er sich mit letzten Kräften weiter durch den Boden schleppte, holte Gordan das Kästchen aus dem Sack. Bedauernd, dass er nicht herausfinden würde, was er da gefunden hatte und sein Diebeszug ein totaler Misserfolg war, holte er aus.
Kaum aus dem gepflasterten Weg gekommen, schmiss Gordan mit sämtlicher Kraft den Behälter nach links und rannte dann nach rechts. Einen Blick über die Schulter wollte er nicht werfen und so musste er mit der Ungewissheit leben, ob seine Verfolger auch jetzt noch hinter ihm waren.
Inzwischen war sich Drago sicher, bald Erfolg zu haben. Er spürte Menschen in ihren Häusern und eine Gruppe sich nähernder Menschen. Bald würde sich ein weiterer Lebensfunke dazu gesellen. Und wirklich, kaum gedacht, fühlte er ein neues Leben, nahe der Gruppe. Drago stieß sich kraftvoll vom Boden ab. Sein Schwung trug ihn über die Häuserzeile, die ihn von seinem Ziel trennte. Der Gegenwind strich über sein Gesicht und erinnerte ihn, dass er auch schöne Dinge im Leben gab.
Seine Landung sandte eine Erschütterung in den Boden und beschädigte die Steine, mit denen die Straße erbaut war. Rasch erfasste sein Blick die in Schwarz gehüllte Gestalt des Diebes, der sich auf der Oberfläche fortbewegte. Schon wollte er sich auf den Weg machen, als er links von sich ein Geräusch wahrnahm. Das Geräusch, von Holz auf Stein. Ein rascher Blick bestätigte die Vermutung. Es handelte sich um das Kästchen, welches sich durch den Aufprall gegen eine Hauswand geöffnet hatte.
Kapitel 6 - Die Ruhe nach dem Sturm
Ein kurzer Moment, in dem er einen Kampf mit der angefangenen Bewegung führte, dann wechselte Drago die Richtung.
Aus dem sich in etwa Mannshöhe geöffnetem Holzbehälter ergoss sich ein Strom von Holz und Papier, durcheinandergewirbelt dank des Aufpralls. Zuviel für zwei Hände eines einzelnen Menschen.
In der einen Hand ein Haufen Holz haltend, in der anderen eines der Blätter, konnte er nicht mehr verhindern, dass einige der wertvollen Dokumente den Boden erreichten. Sein Blick wurde geradezu magisch angezogen, von den Worten, die auf dem Blatt in seiner Hand standen.
„Inhalt ist zerbrechlich, unbedingt vor Erschütterung bewahren!“ las Drago mit ungläubigem Blick. Seine Hand krallte sich zusammen, diese vermaledeite Notiz zerknüllend. Leider hatten sich die Novizen unter Führung der Brüder bereits wieder zum Schiff begeben. Nicht, dass sie rechtzeitig dagewesen wären und nicht, dass er sowas hätte ahnen können. Strategisch war es ebenso wichtig gewesen, dass Ashtshak den Händler untersuchte, um sicher zu stellen, dass ihre Vermutungen korrekt waren. Im Nachhinein war man immer schlauer und so löste sich Drago von seiner frustrierten Betrachtung vergangener Dinge, indem er das Papierknäuel in seiner Hand zu Boden warf.
Er ließ sich auf die Straße nieder, um den Schaden zu begutachten. In seiner Handfläche befanden sich sieben hölzerne Gebilde. Kunstvoll geschnitzt und mit einer Art Runen bedeckt, wobei sich deren Sinn Drago nicht erschloss. Zudem hatte er die Vermutung, dass die sieben Holzstücke ein Rätsel darstellten. Leider sah er leichte Schäden, wie kleine Brüche, die nahelegten, dass die Lösung wohl nicht mehr möglich sein würde. Zu fein waren sie ausgearbeitet, als dass ein Schaden nicht irreversible Folgen haben würden, insbesondere, was die Schriftzeichen anging.
Sein Blick richtete sich zu den Blättern auf dem Boden. Auch hier sah er wieder diese Runen, allerdings auch normale Schriftzeichen. Sicherlich handelte es sich dabei um Hinweise und die Möglichkeit, die Verschlüsselung zu knacken. Doch der Fall war dem Papier nicht gut bekommen, verdreckt, teilweise feucht und vom Kästchen leicht zerstört breitete sich eine ernüchternde Sicht vor Drago aus.
Die ganze Mühe, die Hinweise auf die antike Waffe zu beschaffen, jetzt vermutlich völlig umsonst. Was für ein Glück, dass er nicht zu Wutausbrüchen neigte. Was für ein Pech, dass er anfällig für Depressionen war.
Er registrierte die Ankunft des Wachenanführers. Hartnäckiger Bursche, aber hoffentlich würde der jetzt ein Einsehen haben.
„Die Jagd ist zu Ende“, begrüßte er den Ankommenden. Der war vielleicht nicht übermäßig geistig veranlagt, doch die sich seinem Auge darbietende Szene war auch für ihn leicht zu entschlüsseln. Vegard, froh, den Kampf nicht mehr ausfechten zu müssen, ließ sich neben seinen Ex-Feind sinken.
Herzklopfen, Ziehen in den Muskeln und stechender Schmerz in der Brust. Gordan war am Ende seiner Kräfte, doch jetzt musste er auch nicht mehr laufen. Seit dem er das Kästchen losgeworden war, hatte er noch ein paar Minuten Strecke gut gemacht. Doch jetzt, fast wieder in belebteren Bereichen angekommen, war es ihm zur Gewissheit geworden. Er wurde nicht mehr gejagt!
Der junge Dieb hing in einer Ecke, an eine Mauer oder Wand hinter ihm, er wusste es nicht, gelehnt. Schon begann ihm sein Erlebnis wie aus weiter Ferne zu erscheinen. Gordan, wie es bei jungen Menschen gerne der Fall ist, fing bereits an, den Schrecken verblassen zu lassen. So fing er an, sich zu fragen, wieso er nicht den Inhalt des Kästchens behalten hatte. Nun, die Situation musste Entschuldigung genug sein. Und wer weiß, vielleicht war es nur das Zurücklassen des Inhaltes, der überhaupt für ein Ende der Verfolgung gesorgt hatte? Zu erledigt für weitere Gedanken, fielen ihm die Augen zu.
„Was ist das eigentlich?“, fragte Vegard seinen kapuzierten Gegenüber.
„Immerhin habe ich dafür mein Leben riskiert“, fügte er im plötzlichen Bewusstsein, dass die Frage eventuell unangebracht sei, noch rasch hinzu.
Drago hob den Kopf und ermöglichte Vegard so einen ersten Blick in sein Gesicht. Ausdrucksstark, kam ihm in den Sinn. Markante Gesichtszüge, die, wie Vegard auf einmal bemerkte, kontrastierend zu den seltsam leblosen Augen standen. Das waren keine Augen, wie sie ein Mensch besitzt, der ein zufriedenes Leben führt. Tatsächlich kamen sie ihm überhaupt nicht vor, wie Augen eines emotionsbefähigten Wesens. Er fühlte sich an eine Maschine erinnert, kalt und unpersönlich blickten ihn diese Augen an. Was hatte diesen so gefürchteten Mann geprägt?
„Pläne. Zerstörte Pläne. Wissen, welches nicht in die falschen Hände gelangen sollte“, kam es von Drago. Warum redete er mit diesem Fremden? Plötzlich lachte er auf. Es war ein bitteres Lachen. Ja, er brauchte jemanden zum Zuhören, jemanden, dem er von sich erzählen konnte. Jemanden Unvoreingenommenen und Unwissenden. Würde es ihm helfen? Er hoffte es. Immerhin klammerte er sich ja offensichtlich schon an jeden Strohhalm.
Seine Hände sammelten unbewusst die Blätter auf. Entgegen jeder Vernunft musste man gucken, ob vielleicht immer noch etwas damit anzufangen war.
Ihm wurde bewusst, dass er schon seit längerem schwieg, während ihn sein Gesprächspartner erwartungsvoll ansah.
Er holte Luft und wollte bereits ansetzen zu sprechen, da klingelte seine Teleschnecke. Mit einem bedauernden Achselzucken fischte er das Tier aus seinem Mantel. Ashtshak, wie erwartet, sagte ihm das hagere Design der Schnecke.
„Überprüfung abgeschlossen, das Kästchen ist unser Zielgegenstand“, tönte es in der Grabesstimme des Bekenners aus der Teleschnecke.
„Verstanden. Mission ist hiermit beendet. Rückzug zum Schiff und bereitmachen zur Abfahrt mit der nächsten Flut. Ich werde dannzu euch stoßen.“
Einen Moment musste Drago pausieren. Er sammelte sich, um die folgenden Worte aussprechen zu können.
„Das Zielobjekt wurde beschädigt. Höchstwahrscheinlich ist eine Verwendung dadurch unmöglich. Bringe die Objekte mit.“
Drago legte auf.
„Wir haben noch ein bisschen Zeit. Lass mich etwas erzählen“, wandte sich der Bekenner an Vegard.
Warren beobachtete den Abgang der Bruderschaft. Er konnte kaum glauben, dass er unbeschädigt aus der Begegnung mit diesem unheimlichen Freak hervorgegangen war. Höflich war er, aber dieser Totenschädel hätte ihn mit Sicherheit genauso leicht umgebracht, wie er ihn begrüßt hatte.
Doch was seine Freude über sein Überleben drastisch minderte, war diese Stimme aus der Teleschnecke, die verkündet hatte, die Ware sei beschädigt. Die Wiederbeschaffung war also nicht nur extrem unwahrscheinlich, sondern jetzt auch noch nutzlos geworden.
Er zitterte am ganzen Körper, abwechselnd vor Wut und vor Angst. Schließlich kanalisierte er seine Emotionen auf den einen Schuldigen. Dieser maskierte Dieb war schuld an seinem Untergang!
Warren fasste einen Entschluss. Er eilte in sein Arbeitszimmer und wählte die Nummer der Stadtwache. Ein Steckbrief musste verfasst werden!
Friedlich schlafend lag Gordan an der Wand, doch seine Ruhe sollte nicht mehr lange währen. Im Gleichschritt näherte sich eine Wachpatrouille. Sie blieb an der Kreuzung stehen, um einen Routineblick in die Abzweigung zu werfen.
„Abteilung halt und links herum!“, ertönte es als Reaktion auf die Entdeckung des unpassenden Subjekts, was sich erdreistete in den Straßen von Porto de Riquezas Oberstadt zu schlafen!
Kapitel 7 - Das Leben ist nicht fair
Mit zackigen Schritten bewegten sich die Wachen auf Gordan zu. Das sah definitiv nach einer Aufgabe aus, denen sie gewachsen sein sollten, ganz im Gegenteil zu den Angreifern, denen sie zum Glück nicht begegnet waren. Der Patrouillenführer beugte sich zu dem Schlafenden herunter und packte ihn am Oberteil. Unsanft geweckt, musste der junge Dieb feststellen, dass eine weitere Wache ihm rasch Handschellen angelegt hatte.
„So, dann wollen wir mal sehen, wer sich da unter der Maske verbirgt.“, kam es von dem Patrouillenführer.
Dies passte Gordan verständlicherweise überhaupt nicht, aber solange ihn eine Wache am Arm gepackt hatte, war es mit einer Flucht nicht weit her. Die Grenzen seiner Fähigkeiten lagen bei unbelebtem Material und so verlegte sich Gordan aufs Tricksen. Sich aufplusternd versuchte er seiner Stimme den Klang eines selbstbewussten Mächtigen zu geben:
„Wagt es ja nicht! Ich kann tun und lassen, was ich will. Stört mich noch weiter hin und ihr werdet es noch bereuen. Ich kann euch mühelos rauswerfen lassen!“
Leider war er kein Mächtiger und zudem noch sehr schläfrig, dementsprechend bewirkte er wenig Eindruck.
Sein Gegenüber begann zu grinsen. Auf sowas fällt ja nun wirklich niemand rein!
„Hier besitzt niemand Sonderrechte, also komm lieber gar nicht erst auf dumme Ideen!“
Im vollsten Bewusstsein, genau dafür unterwegs zu sein, griff die Wache nach der Maske. In seiner Verzweiflung griff Gordan zum letzten Trick, der ihm einfiel:
„Hinter dir ist ein Drache!“
Der im Brustton der Überzeugung vorgetragenen Behauptung, schenkte die Wache nur ein schallendes Lachen.
„Glaubst du wirklich, jemand fällt auf so einen Schwachsi-“
Ein störendes Zupfen an seinem Ärmel unterbrach ihn. Genervt sah er seinen Untergebenen an, dem der Schrecken ins Gesicht geschrieben stand. Mit zitterndem Arm deutete er hinter den Hauptmann. Mit einem unguten Gefühl drehte er sich um die eigene Achse. Im nächsten Moment fiel ihm die Kinnlade herunter. Über den Dächern erhob sich tatsächlich ein Drache!
Das Ungetüm hatte beängstigend große Ausmaße. Die ledrigen Flügel spannten sich häuserbreit auf und begannen in zunehmend schnellerem Tempo auf und ab zu schlagen. Sie hielten einen gestreckten Körper in der Luft, dessen onyxfarbenen Schuppen in der Sonne schimmerten. Krallenbewehrte Extremitäten mit dem Durchmesser von Baumstämmen gingen vom Rumpf ab, während ein stachelgespickter Schweif sich unter Sichthöhe verlor. Zu ihrem Glück war der Drache weit genug entfernt und drehte dem Trupp den Rücken zu.
Gordan war zwar mindestens genauso überrascht wie der Wachtrupp, doch er verlor keine Zeit mit Gaffen. Mit einem Tritt in Kombination mit einem Ellbogenstoß löste er den gelockerten Griff der Wache, die ihn festhielt. Dann zog er seine Hände aus den Handschellen und nahm die Beine in die Hand.
Der Schmerzensschrei der getroffenen Wache alarmierte zwar den Trupp, doch sie konnten nichts anderes tun, als ohnmächtig mit anzusehen, wie ihr Gefangener sich durch die nächste Wand vom Acker machte, während ihre Handschelle auf den Boden klirrte.
Ihre Laune besserte sich auch nicht durch einen Anruf, der ihnen mitteilte, dass ein Kopfgeld auf „Das Phantom“ ausgesetzt worden war, einer maskierten, schwarz gekleideten Gestalt.
Drago hatte inzwischen, da war er sich ziemlich sicher, herausgefunden, warum es ihm so wichtig war, etwas von sich und der Bruderschaft zu erzählen. Diese Wache da war auch ein Kämpfer. Das war noch besser als ein Unvoreingenommener, denn so jemand wusste, was es bedeutete, Probleme gewaltsam zu lösen. Einen Moment fragte er sich, ob er tatsächlich gerade Hoffnung verspürt hatte. Hoffnung auf Verständnis. Auch wenn der Fluch, wie Drago es in seinem Kopf, und nur in seinem Kopf, bezeichnete, sowas eigentlich gar nicht erlauben sollte. Mit einem Kopfschütteln vertrieb der Bekenner diese Gedanken.
„Weißt du, warum wir uns Bekenner nennen?“
Vegard wollte schon den Kopf schütteln, doch Drago fuhr bereits nach dieser rhetorisch gedachten Frage fort:
„Nein, natürlich nicht. Es ist ein Geheimnis. Wissen, welches dem Vergessen anheimgefallen ist. Nur noch wir selbst wissen, was geschehen ist.“
Drago pausierte kurz und sah Vegard in die Augen. Ja, da hatte jemand gesehen. Er konnte nicht genau sagen wieso, doch er wusste, die Wache war vertrauenswürdig. Also setze er beruhigten Gewissens seine Rede fort:
„Wir sind eine kleine Gruppe von Menschen, die ein Ideal, ein Ziel vereint. Die Welt ist verdorben und steuert einer Zukunft entgegen, die jegliche Werte weiter zersetzt, in der nur der Starke herrscht und wo Gewalt an der Tagesordnung ist. Unsere Reaktion bestand in der Gründung der Bruderschaft. Das Übel war erkannt und musste beseitigt werden. Jegliche Form von Macht in Händen der Starken musste zertrümmert werden. Jeder, der auf dieser Welt Schrecken verbreitet, Marine und Weltregierung nicht ausgenommen, musste verschwinden.“
Drago registrierte erstaunt, dass er sich gerade in Rage geredet hatte. Das war nicht sein Plan gewesen, doch ihm wurde klar, dass er keine Objektivität beibehalten konnte. Sich der nachdenklichen Betrachtung Vegards bewusst seiend, machte Drago weiter:
„Utopisch, nicht wahr? Doch wir bekannten uns zu unserem Ziel.“
Er hielt inne. Es ging nicht. Er konnte nichts über den Contractor erzählen. Nichts über den Vertrag, nichts über die gebrachten Opfer. Nein, ihm war nichts gestattet.
Mit bitterer Stimme endete Drago:
„Wir sind gebunden an unser Bekenntnis. Ein Leben, ohne richtig zu leben.“
Vegard war ein einfacher Mann. Solche Gedanken hatte er nie gehabt. Doch ihm war klar, dass sein Gegenüber etwas geopfert hatte. Kein Wunder, dass er so leblose Augen hatte. Mit einem Schaudern kam ihm die Erkenntnis, dass er Glück hatte, nicht gegen den Bekenner kämpfen zu müssen. Egal, wie bemitleidenswert er auch erschien, er hätte keine Gnade gezeigt.
Einen Moment später erhob sich Drago vom Boden, das Kästchen mit Inhalt im Mantel verstauend. Mit wehendem Mantel sprang er in die Luft, wo er sich in einen Drachen verwandelte und davonflog.
Schließlich machte sich Gordan notgedrungen auf den Weg zum „Schatten“. Zu seinem Glück wusste niemand von seiner achtlos eingegangenen Wette, auch wenn sich doch so einige Einwohner über den grimmigen Gesichtsausdruck des jungen Burschen wunderten.
Vor der Taverne angekommen, zögerte Gordan noch einen Moment. Das Eingestehen der Niederlage fiel ihm schwer. Aus Mangel an sinnvollen Alternativen begab er sich schließlich ins Innere. Kleinlaut kam er in ihrem privaten Raum an.
Dort sah er schon seinen Mentor, der sich zu seinem Schrecken bereits ausgiebig mit Essen und Trinken versorgt hatte.
Schweren Herzens schloss er die Tür. Einen Moment war er versucht, seinen Freunden die ganze Geschichte zu erzählen, doch sie erschien sogar ihm dermaßen unglaubwürdig, dass er stattdessen nur sagte:
„Du hast gewonnen.“
Sein Onkel grinste ihn an:
„Da sieht man wieder, Hochmut kommt vor dem Fall.“
Damit ist diese Episode auch beschloßen. Vorerst ist dieses Projekt also beendet.
Dabei gibt es hier keine richtige Story, sondern mehr kleine Episoden aus dem Leben des (selbsternannten) Meisterdiebes Gordan. Zumindest eine dieser Episoden mit einem Umfang von 3-4 Kapiteln habe ich schon fertig geplant und hoffe, sie hier doch recht zügig veröffentlichen zu können.
Ich bin als absoluter Anfänger natürlich offen für jede Kritik und Feedback bezüglich Schreibstil und Inhalt. Meine Hoffnung ist ja, dass ich hier lerne und so meine Schreibfähigkeiten verbessern kann.
Jetzt ohne weiteres Gerede zur ersten Episode "Hochmut kommt vor dem Fall".
Porto de Riqueza, Escopia
Die Schenke „Schatten“, ein heruntergekommener Ort mit niedriger Decke und verrauchten Holzbalken überall, war jetzt kurz vor der Dämmerung ziemlich gut besucht. Im „Schatten“, dessen Besitzer darauf schwor, dass die Taverne nach einem Vorfahren benannt war, gab es auch mehrere private Räume. In einem dieser Rückzugsorte befand sich eine lärmende Gesellschaft.
Auch dieser Raum war düster und ohne Fenster. Für Helligkeit sorgten ein paar Fackeln an den Wänden, deren flackerndes Licht bald mehr verhüllte denn preisgab.
Am einzigen Tisch des Raumes befanden sich vier Personen, drei, deren Leben noch vor ihnen lag, an der Schwelle des Erwachsenwerdens, und eine ältere.
Die Gesichter der Anwesenden hinterließen keinen bleibenden Eindruck. Einer von mittlerer Größe, mit schulterlangem schwarzen Haar und leuchtenden blauen Augen war noch am Auffälligsten. Was sich alle Anwesenden teilten waren ihre langen, feinen Finger.
Schon gut angeheitert durch den Alkohol, wurden die neusten Ereignisse auf der Grandline diskutiert.
„Welch ein Glück, dass die Marine seit dem Beginn der Piratenära, ihre Aufmerksamkeit nur noch auf das Meer und den Hafen richtet“ tönte der Jüngste der Runde.
„So schlecht, wie du stiehlst, hast du das auch nötig“ schrie darauf lachend der Älteste der drei Jüngeren Anwesenden.
„Nur weil du gerade das Ende deiner Lehrzeit als Dieb erreicht hast, solltest du dich nicht über ihn lustig machen“ wies ihn der Älteste der Runde zurecht.
„Aber es stimmt doch, ich bin besser als er“ beschwerte sich der Zurechtgewiesene.
Darauf mischte sich der Dieb mit den blauen Augen ein und verkündete mit prahlerischem Stolz:
„Ich bin der Meisterdieb hier, es gibt nichts, was ich nicht stehlen könnte!“
Einen Moment herrschte Stille, doch dann brach Gelächter aus. Dann ergriff der Älteste, der Mentor und Lehrmeister der Jüngeren, das Wort:
„Gordan, so einen Schwachsinn habe ich ja noch nie gehört. Nimm dir zum Beispiel das Haus von Warren, dem Händler. Der hat eine eigene Wachmannschaft, bestehend aus kampferprobten Veteranen der Grandline. Das ist eine Hausnummer zu groß für dich, selbst ich würde mich da nicht rantrauen. Deine Arroganz wird dir eines Tages noch zum Verderben werden.“
„Ihr seid doch alle ein Haufen Feiglinge“ entrüstete sich Gordan.
„Onkel, ich fordere dich zu einer Wette heraus. Morgen Abend wenn wir uns wiedertreffen, werde ich den Inhalt von Warrens Safe dabei haben!“
Die Gemeinschaft der Diebe tauschte ein paar Blicke aus, dann meldete sich der Gordans Onkel zu Wort:
„Gut, angenommen. Zwar kann ich das eigentlich nicht verantworten, aber ich habe das Gefühl, du hast eine Lektion in Demut dringend nötig. Der Verlierer muss für die Gegenseite in der nächsten Woche die Rechnungen hier im Schatten zahlen.“
Zur allgemeinen Überraschung stimmte Gordan dem Vorschlag ohne zu zögern zu.
„Gordan ist der wahre Erbe des Langfingerstamms, doch ein Dieb muss auch seine Grenzen kennen. Ich bezweifele, dass er es wirklich versuchen wird“ dachte der Lehrer.
Dann verabschiedete sich der siegesgewisse selbsternannte Meisterdieb, um sich die notwendige Ruhe zu verschaffen. Noch beim Verlassen des Raumes hörte er, wie jemand sagte:
„Der wird doch mit Sicherheit den Schwanz einziehen.“
Mit einem Lächeln auf den Lippen schloss Gordan die Tür, denn im Gegensatz zu seinen Freunden wusste er, dass er einen Trumpf besaß, der ihm den Zugang zur Beute verschaffen würde.
Unterdessen auf einem Schiff
In das Rauschen des Meeres und das Flattern der Segel mischte sich das Geräusch einer klingelnden Teleschnecke. Ein mittelgroßer Mann in einem Kapuzenmantel, der den Blick in sein Gesicht verwehrte, verließ seinen Aussichtsplatz an der Reling und ging zu einem Unterstand in der Nähe des Hecks. Er nahm das Gespräch an:
„Hallo?“
Vorsicht war hier unangebracht, denn diese Nummer kannten nur vertrauenswürdige Kontaktpartner.
„Hier ist die Basis. Anweisung von Ruin persönlich. Der Ort des gesuchten Objekts wurde lokalisiert. Es befindet sich im Besitz eines Händlers. Der Mann heißt Warren und lebt auf der Insel Escopia. Weitere Informationen über den Ort und die Bewachung werden folgen.“
Wäre der Angerufene nicht einer der Bekenner, so wäre er wohl in Jubel ausgebrochen, doch so antwortete er nur:
„Alles klar, wir sind auf dem Weg!“
Porto de Riqueza, am nächsten Mittag
Gordan hatte sich inzwischen auf seine Mission vorbereitet. Er trug lockere, grau-schwarz gefleckte Kleidung, die sich gut eignete, um sich im Schatten zu verbergen. Er bezweifelte, dass ihm dies um diese Zeit wirklich helfen würde, aber es war nun mal seine Arbeitsbekleidung.
Inzwischen ärgerte er sich maßlos, dass er den Zeitpunkt für das Ende der Wette auf diesen Abend gelegt hatte. So musste er den Einbruch am Tage durchführen, da er letzte Nacht viel zu viel getrunken hatte.
Bevor er seine schlichte Wohnung, ein großes Wort für ein einziges Zimmer, verließ, überprüfte er noch einmal, ob seine Ausrüstung auch funktionsfähig war. Am Rücken trug er unter seinemMantel eine an Riemen befestigte größere Flasche, von der ein Schlauch ausging. Er setzte das Schlauchende an den Mund und atmete ein. Zufrieden mit dem Ergebnis verstaute er den Schlauch an seinem Gürtel und griff nach seiner Maske. Auch diese verschwand unter dem Mantel, genauso wie ein kleiner Sack für seine Beute.
Fröhlich pfeifend, um seine innere Besorgnis angesichts des Wagnisses zu überspielen, machte sich Gordan auf den Weg.
Unter dem Licht der Mittagssonne bewegte sich Gordan durch das Drittel der Stadt, welches von den ärmeren und den kriminellen Bewohnern von Porto de Riqueza bewohnt wurde. Hier waren die Häuser klein, oft heruntergekommen. In den Straßen sammelte sich der Dreck und über allem lag ein Gestank von Ausdünstungen, Exkrementen und der Hoffnungslosigkeit.
Porto de Riqueza war eine Stadt des Handels, doch der Reichtum daraus verteilte sich sehr ungleich. Geteilt durch einen Fluss gab es zwei unterschiedliche Hälften. Im Norden und etwas höher gelegen, lag das Gebiet der Oberschicht. Dort lebten die Händler und Vermögenden, die sich vor dem im Süden befindlichen Slum durch eine den Fluss umgebende Schicht von Handwerkern und Mittelschichtlern schützten.
Gordan wusste, dass er bis zum Fluss sicher war, denn hierher kamen üblicherweise keine Patrouillen der Stadtwache. Diese sorgten sich nur darum, den Fluss zu kontrollieren und sicher zu stellen, dass die Reichen in Sicherheit leben konnten.
Als sich Gordan dem Fluss näherte, machte er sich auf die Suche nach einem potentiellen Opfer. Den Fluss zu überqueren war im Prinzip zwar nicht verboten, aber wenn man kein Bestechungsgeld bezahlte, so war der Übergang für jemanden wie ihn unmöglich.
Zum Glück war auch auf dieser Seite des Flusses eine Menge los, denn viele der nur mittelmäßig Begüterten zogen die billigeren Geschäfte der Südseite dem teureren Norden vor.
Gordan ergriff die erstbeste Gelegenheit beim Schopf. Ein Ehepaar war gerade am Streiten und so zog er dem abgelenkten Mann im Vorbeigehen die sträflich ungesicherte Börse aus der Tasche. Da er nicht nur arrogant war, sondern tatsächlich geschickte und schnelle Finger besaß, gelang ihm sein Diebstahl fast unbemerkt.
In der Menge gab es auch einige Waisenkinder, die sich auf der Straße durchschlugen und deren eine Form des Gelderwerbs darin bestand, Schweigegeld von Dieben zu erpressen. Eines dieser verwahrlost aussehenden Kinder hatte ihn schon seit längerem belauert und so sah sich Gordan zu seinem Missfallen gezwungen, den Inhalt der Börse zu teilen.
Da die meisten der Menschen die Gefahr durch Diebe bereits erkannt hatten, war nur wenig durch solche Eroberungen zu holen, denn entweder hatten sie ihr Geld am Körper verteilt oder gar nicht erst viel dabei.
So sah sich Gordan gezwungen, den Betrag des Beutels durch eigene Zuzahlung groß genug für die Brückenüberquerung zu machen. Sein Ärger schwand aber schnell, da er im Geiste bereits den Reichtum von Warrens Safe vor sich sah.
Eine halbe Stunde später und um einen Geldbeutel ärmer, hatte Gordan den Punkt im oberen Handwerkerviertel erreicht, an welchem ihm der Rausschmiss durch die Stadtwachen drohte.
Da dies aber nicht sein erster Ausflug in diese höheren Gebiete war, wusste er um eine wenig besuchte Gasse. Dies lag im Wesentlichen daran, dass es sich um eine Sackgasse handelte, in welcher zudem noch keine Geschäfte lagen.
Gordan erreichte die Mauer, die die Straße beendete und warf einen schnellen Blick um sich. Zufrieden, dass niemand zu sehen war, setzte er seine Maske auf. Mit einem letzten Blick durch die Gucklöcher der schwarzen Maske zurück und einem Lächeln unter dem zu einem roten Grinsen verzogenen Mund der Maske, nahm er den Schlauch von seinem Gürtel und steckte das Mundstück über eine Öffnung im Kinnbereich der Maske zwischen die Zähne. Dann öffnete er das Ventil am Schlauch, wandte er sich der Wand zu und verschwand im Gestein.
Wie immer erfasste ihn ein Rausch der Euphorie, als sich die Welt abdunkelte und die Geräusche eine andere Färbung annahmen.
Sein Geheimnis, die Frucht, welche er gegessen hatte. Mit dieser Fähigkeit wurde er zu einem perfekten Dieb. Rasch verdrängte Gordan aufkeimende Schuldgefühle, da er ja im Prinzip bei seiner Wette betrog. Er sog die Luft aus der Flasche auf seinem Rücken ein und machte sich auf den Weg durch die Welt, die niemand von außen sehen konnte.
Auf seinem Weg durch Steinwände und falls nötig auch durch den Boden, sah er, wie sich das Erscheinungsbild der Stadt änderte. Der Schmutz verschwand, die Menschenmassen verdünnten sich immer weiter und die Häuser wurden prächtiger. Die Menschen, die er jetzt sah, trugen Kleidung, von deren Wert er im Slum bestimmt einen Monat leben könnte. Diese Ungerechtigkeit war es, die Gordan wirklich zu einem Dieb gemacht hatte. Okay, das war nicht die ganze Wahrheit gestand sich Gordan ein. Es hatte auch mit dem Rausch der Gefahr zu tun und mit seinem Unwillen zu arbeiten.
So oft er konnte verließ Gordan die Welt aus festem Material, um die Luftvorräte die er besaß zu schonen. Zwar patrouillierte hier die Stadtwache, doch deren Schritte waren weithin zu hören, weswegen es einfach war, rechtzeitig im Stein zu verschwinden. Den Weg zu Warrens Haus zu finden war einfach, denn dieses war weit und breit das höchste Bauwerk.
Nach einiger Zeit erreichte Gordan sein Ziel. Überwältigt von dem Anblick verharrte Gordan in der Wand auf der gegenüber liegenden Seite der Straße, nur die vordere Gesichtshälfte sichtbar.
Das Anwesen von Warren war gigantisch. Allein nur die Länge der Fassade war größer als ein Wohnungsblock im Armenviertel. Die Wände waren aus weißem Marmor, in welchen Dutzende von Fenstern eingelassen waren. Die Villa umfasste mehrere Stockwerke und protze mit unzähligen Verzierungen, Säulen und architektonischen Spielereien. Umgeben war das Gebäude von einer übermannshohen Mauer, was die Größe des Anwesens noch weiter unterstrich.
Allerdings hatte sich Warren bei der Sicherung seiner Villa nicht nur auf Mauern mit Spitzen und vergitterte Tore verlassen, sondern auch Wachen angeheuert. Als eine dieser in Gordans Gesichtsfeld kam, zog er sich in die Wand hinter ihm zurück.
Gordan machte sich keinen Kopf um die Wachen, denn diese konnten ihn ja gar nicht sehen.
Was ihm allerdings nicht bewusst war, war die Herkunft der Wachen. Es wurde unter den Händlern gemunkelt, es handele sich um ehemalige Cipher-Pol Agenten, welche Haki und die Formel 6 beherrschen sollten. Niemand wusste, was davon wirklich stimmte, aber tatsächlich war das Einzige, was Gordan vor der Entdeckung bewahrte, sein Aufenthalt im Stein. Hier konnten ihn die Wachen nicht spüren, ein Vorteil, der ihm es ermöglichte ungesehen und unbemerkt in Warrens Anwesen einzudringen.
Auch wenn unser Meisterdieb fast geblendet von all der Pracht war, die alles, was er in anderen Häusern reicher Bewohner gesehen hatte, in den Schatten stellte, so behielt er doch seinen wachen Geist. Er erkannte, dass sich sein Ziel in einem höheren Stockwerk befinden musste. So schwamm er durch die Wände des Hauses durch Räume, deren Funktion ihm oftmals nicht klar war, durch endlose Flure und überwand schließlich die ersten Stockwerke. Im vierten Stock schien es ihm, als ob die Räume eine Art Arbeits- und Wohnfunktion erfüllen wurde. Es gab Tische mit Sitzgelegenheiten, Arbeitsräume, Lagerräume und tatsächlich auch ein Schlafzimmer. Dort hielt Warren, der Händler, gerade seinen Mittagsschlaf. Da er kein Freund von Wachen war, die durch seine Korridore patrouillierten, war das Gebäude völlig ausgestorben. Gordan hielt einen Moment inne, um den Händler zu betrachten. Wenn auch halb von seiner Decke verborgen, so war doch genug von seinem Körper zu sehen, um zu erkennen, dass Warren ein Mann des Geistes und nicht des Körpers war. Er setzte bereits Fett an. Solche Leute waren Gordan bereits aus Prinzip zuwider. Leute, die nicht körperlich tätig waren, erzeugten immer ein Gefühl von Unbehagen in ihm. Er wandte sich ab und überließ den Händler seinem Schlaf.
Schließlich fand Gordan den Raum, der offensichtlich erst vor kurzem benutzt wurde. Auf dem Schreibtisch lagen verschiedene Zettel, vollgeschrieben mit Zahlen und Listen von Personen, Waren und Preisen. Dies war allerdings nicht, was für den jungen Dieb von Interesse war, sondern der eigentlich versteckte Tresor hinter dem Schreibtisch. Nichts Böses ahnend hatte Warren das Bild, welches üblicherweise vor dem Tresor hing, nicht wieder zurück gehängt, denn er erwartete heute keine Besucher und gedachte einen im Verlaufe des Abends eintreffenden Gegenstand dort zu lagern.
Erfreut wollte Gordan durch den Tresor greifen, als er zu seinem grenzenlosen Erstaunen feststellte, dass er dazu nicht in der Lage war. Lautlos fluchte er vor sich hin, die Welt nicht mehr verstehend. Er befürchtete schon, seine Fähigkeit verloren zu haben, doch die Wand neben dem Tresor war mühelos zu durchdringen.
Da er anscheinend seine Fähigkeiten nicht auf den Tresor anwenden konnte, besann sich Gordan auf den Schlüssel, den er um Warrens Hals hatte hängen sehen. Mit einem Blick auf das Schloss am Safe kombinierte er, dass sich mit diesem an den ersehnten Inhalt gelangen ließe.
Also beeilte er sich, zurück zum Hausherren zu gelangen, bevor dieser noch von seinem Schlaf erwachte. Dort angekommen, stand er vor dem Problem, an den Schlüssel zu gelangen, ohne den Besitzer aufmerksam zu machen.
„Wenn ich die Kette durch das Bett öffne, müsste es machbar sein“ dachte sich Gordan. Gesagt getan, öffnete er den Verschluss der Kette. Doch dann regte sich Warren im Schlafe, was den Dieb dermaßen erschreckte, dass er überhastet an der Kette zog. Die Reibung weckte den Schlafenden auf, der mit ansehen musste, wie seine Kette einem Phantom zum Opfer gefallen war. Der Raum war leer, die Tür, wie eine Überprüfung zeigte, immer noch abgeschlossen, Fenster gab es nicht und alle Wände waren auch intakt. Wutentbrannt traf Warren die Entscheidung, seine Wachen zur Rechenschaft zu ziehen.
In der Zwischenzeit hatte sich Gordan im Höchsttempo zum Safe begeben. Wie erwartet, passte der Schlüssel. Im Inneren des Safes befand sich nur ein mittelgroßes, schlichtes Kästchen, zu groß für eine Hand, aber klein genug, um ohne Probleme in seinem Sack zu verschwinden.
In der Zwischenzeit
Am Hafen von Porto de Riqueza lief ein Schiff ein. An sich war das kein bedeutsames oder überraschendes Ereignis, aber üblicherweise erreichten nur Handelsschiffe oder Marineschiffe den Hafen. Dieses Schiff hingegen war ein gewaltiges Kriegsschiff.
Der Hafenmeister beging den tapferen, aber dummen Versuch die Ankömmlinge zur Rede zu stellen. Die Reihe vermummter Kapuzenträger, die vom Schiff herabstiegen, waren aber leider nicht in friedlicher Mission gekommen und so wurde der arme Mann als störendes Hindernis im Meer versenkt. Durch diese Geste erfolgreich den Hafen leerend, nahm die Gruppe ihren Weg zu einem ganz bestimmten Haus auf.
Warrens Anwesen, vierter Stock
Mit rasendem Herzen hastete Warren den Flur entlang. Ein Eindringling in seinem Haus!
„Was sind diese Wachen eigentlich wert?“ fragte sich Warren innerlich.
„Sie wurden doch so angepriesen. Verdammt, warum habe ich mich bloß auf diese Angelegenheit eingelassen, sonst hätte ich sie noch nicht einmal gebraucht.“ Normalerweise war Warren ein eiskalt berechnender Mann, was im Wesentlichen der Grund für seinen Erfolg war, doch der Eindringling hatte ihn aus seiner Ruhe gebracht.
Keuchend erreichte er, sein kurzes braunes Haar bereits schweißnass von der ungewohnten Anstrengung, ein Zimmer mit Fenster auf seinen Garten hinaus.
Nach einem kurzen und erfolgreichen Kampf mit dem Öffnungsmechanismus des Fensters, steckte er seinen Kopf nach draußen.
Wütend schrie er nach seiner Wache. Kurz wurde er aus dem Konzept gebracht von einem krachenden Geräusch ein paar Häuserzüge weiter in Richtung Hafen, wobeiein Haus in Flammen aufging.
„Nicht mein Problem“, dachte Warren und lenkte seine Aufmerksamkeit auf einen in sein Blickfeld gelangenden Mann.
„Du Tölpel von einer Wache!“ schrie Warren los.
„Ich bezahle euch einen Wucherpreis ohnegleichen und dann kommt ein Eindringling in mein Zimmer und stiehlt mir meinen- “. Warren unterbrach sich, als ihm die Konsequenz des Satzes klar wurde. Panische Angst durchflutete ihn, als ihm die Folgen eines erfolgreichen Diebstahles bewusst wurden.
„Jemand ist dabei mich auszurauben, Vegard!“ brüllte er mit angsterfüllter Stimme herunter.
Die Wache, ein narbenübersätes Muskelpaket, glaubte anfangs noch an einen Albtraum seines Arbeitgebers, doch dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf das Haus.
„Ich werd verrückt, da ist doch tatsächlich jemand im Arbeitszimmer“ murmelte Vegard fassungslos.
Rasch holte er eine kleine Teleschnecke aus dem Ärmel. Mit dieser konnte er sein Team erreichen. Er nahm den Hörer ab:
„Vegard hier. Es sollte zwar völlig unmöglich sein, aber wir haben einen Eindringling im Haus. Wehe einer von euch hat Pause während der Arbeit gemacht!
Wir umstellen das Haus, ich werde zusammen mit jeweils einer der beiden Torwachen reingehen.“
Doch bevor das Team dazu kam, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen, hörte man Kampfgeräusche aus der Nähe. Dann schrillte in Vegards Mantel die Teleschnecke, mit welcher sämtlichen unabhängigen Wachen der Stadt ausgestattet waren. So sollte eine Zusammenarbeit zwischen Stadtwache und anderen militarisierten Einheiten in einem Notfall ermöglicht werden.
Da es sich dabei um eine einseitige Übertragung handelte, sprach einen gehetzt wirkende Stimme los, noch bevor Vegard die Schnecke ans Tageslicht befördert hatte:
„Hier ist ein Notruf! Wir werden angegriffen. Bei den Angreifern handelt es sich um eine bisher nicht identifizierte Gruppe Kapuzenträger.“
Plötzlich wurde die Ansage durch ein Schreien unterbrochen, gefolgt vom Geräusch eines Feuers.
„Es handelt sich um Mitglieder der Bruderschaft“, erscholl es panikerfüllt aus dem Mund der Schnecke.
„Sie haben mindestens zwei Bekenner bei sich, einer davon ist Drago-“
„Flieht, nei-„
„Aaahhhhhhh-„
Die Übertragung brach ab.
In den Augen des Anführers machte sich eine Art Schicksalsergebenheit breit. Mit einem Seufzen nahm er die kleine Teleschnecke in die Hand.
„Mission abbrechen, ich wiederhole, Mission abbrechen!“
Warren, der aus dem vierten Stock nicht mitbekommen hatte, was passiert war, konnte keinerlei Verständnis für den Abbruch aufbringen:
„Ihr sollt mich und mein Eigentum beschützen, also tut endlich was!“
Der Angesprochene blickte hoch und unterbrach seine Ansprache, um den Händler zu informieren:
„Genau das werden wir auch tun. Die Angreifer sind höchstwahrscheinlich auf einem Weg direkt hierher. Ich gehe davon aus, dass sie etwas von dir wollen, denn warum sonst solltest du eine Wache wie uns anheuern, wenn nicht um etwas besonders Wertvolles zu sichern?“
Einen Moment herrschte Schweigen, dann setzte die Wache noch hinzu:
„Ach ja, an deiner Stelle würde ich mich jetzt ganz schnell aus dem Haus entfernen, denn ich bezweifele, dass wir die Bruderschaft lange aufhalten können.“
Vegard war sich der drohenden Gefahr bewusst, doch genauso wusste er, dass eine Flucht nicht für ihn und auch nicht für seine Männer in Frage kommen würde. Sie besaßen nicht mehr viel, aber sie hatten noch ihre Ehre und so würden sie auch auf Kosten ihres Lebens versuchen, ihren Auftrag zu erfüllen.
Er griff wieder zu der kleinen Teleschnecke, um seine Mannschaft zu informieren.
Warrens Anwesen, höchster Turm
Gordan hatte sich entschieden, das Kästchen ungeöffnet zu lassen. Im Moment war die Gefahr der Entdeckung zu groß, schließlich hatte er Warren aufgeweckt. Im Bewusstsein, dass dieser ihn nicht gesehen haben konnte und wenn, dann nur seine Maske, fühlte sich Gordan sicher.
Was ihn hier auf den höchsten Turm getrieben hatte, war der sogar von innerhalb der Villa wahrzunehmende Lärm.
Jetzt, wo er hier oben stand, hatte Gordan einen überragenden Ausblick. Die Aussicht ließ ihn sich ganz klein fühlen.
Allein schon der Rest des Gebäudes war so unübersichtlich groß, dass es ihm ein Rätsel war, wofür man eine solche Villa brauchen sollte. Die unterschiedliche Färbung der Stadtteile, braun im Süden und weiß-grau im Norden führte ihm noch einmal die Teilung der Stadt vor Augen.
Mehr Rechtfertigung als das brauchte er nicht, um jeglichen Zweifel, sollte er jemals aufkommen, zu vertreiben. Völlig unmöglich, dass so etwas gerecht war. Dann brauchten sich diese Reichen auch nicht beklagen, wenn die Armen auch nicht fair spielten.
Doch in der Zwischenzeit hatte sich zum Farbspektrum der Oberstadt auch noch Rot hinzugesellt. Die brennenden Häuser erweckten Gordans Aufmerksamkeit, insbesondere da das Feuer ziemlich in der Nähe ausgebrochen war.
Ihm wurde bewusst, dass er die Zeit vergessen hatte. So machte er sich schnellen Schrittes auf, die Villa zu verlassen. Als er sich dem Vordereingang näherte, vernahm er Stimmen. Sich ob seiner Unachtsamkeit zurechtweisend, verschwand Gordan wieder in der Wand. Auch wenn ihm vage bewusst war, dass er sich eigentlich schleunigst zurück begeben sollte, erwies sich seine Neugier als übermächtig.
Durch die Marmorfassade beobachtete er, wie sich die Wachen versammelten.
Dumpf vernahm er die Stimme des bedrohlich wirkenden Narbigen:
„Wir werden erstmal hier den Angriff erwarten. Sollte sich ein Teil der Angreifer abspalten, werden je nach deren Menge die ursprünglich den Garten bewachenden ihnen folgen. Was Drago angeht, so werde ich immer dort sein, wo er angreift.
Es mag vielleicht der Moment kommen, wo ihr aufgeben und fliehen wollt, doch denkt immer daran, dass wir noch unsere Ehre haben! Wir sind noch nie geflohen und wir werden auch jetzt nicht fliehen!“
Die Wachen antworteten ihrem Anführer mit einem Kampfgeschrei, was Gordan vor Schreck in die Höhe gehen ließ.
Nun war der Augenblick zu verschwinden verstrichen, denn auf der Straße tauchten die Angreifer auf und Gordan stellte zu seinem Entsetzen fest, dass seine Sauerstoffflasche leer war. Kurz bevor ihm schwarz vor den Augen wurde, verließ er die Wand und holte tief Luft.
~
Drago, der Anführer der Gruppe der Angreifer, näherte sich dem Ziel. Die Versuche der Stadtwache sie aufzuhalten waren nutzlos, hatten aber etwas mehr Zeit und Gewalt benötigt, als ihm lieb gewesen wäre.
Deswegen besserte sich seine Laune nicht, als er die Wachmannschaft erblickte. Er spürte sofort, dass dies nicht einfach werden würde. Nun, er musste sich halt einfach ein bisschen mehr beeilen, bevor noch die Marine aufkreuzte. Immerhin befand sich mit Ashtshak noch ein weiterer Bekenner bei ihm.
Ein Befehl an einen Teil der niederen Gefolgsleute, den Novizen, unter der Führung eines der drei Brüder, sorgte dafür, dass sich ein Drittel der Streitmacht absetzte, um das Anwesen von einer anderen Richtung anzugreifen.
Laut rief er dann:
„Tötet die Wachen, aber lasst den Händler am Leben, ihn will ich noch persönlich sprechen.“
Und dann unterwarf sich Drago der Notwendigkeit und griff an.
Gordan tauchte auf der linken Seite von Warrens Villa aus der Wand auf. Noch konnte er sein Herz hämmern hören, als wolle es die Grenzen die ihm durch Rippen und Muskeln gesetzt waren, sprengen. Er atmete erheblich schneller als sonst. Die gerade vergangene Situation musste erstmal verkraftet werden. Langsam beruhigte sich sein Atem wieder und der Dieb fing an, die Geräusche vom Vordereingang nicht mehr nur als gedämpft im Hintergrund wahr zu nehmen.
Jetzt wieder mit normalisiertem Pulsschlag verließ Gordan das Anwesen durch die Mauer. Einen kurzen Moment war der neugierige Dieb versucht, das Spektakel auch mit den Augen zu verfolgen. Mit einem kurzen Kopfschütteln befreite sich Gordan von diesem verrückten Gedanken. Hatte er nicht schon genug Probleme gehabt?
Innerlich aufatmend, drehte sich Gordan nach links, nur um sich einer kapuzierten Gestalt gegenüber zu sehen, die sich unbemerkt an ihn herangeschlichen hatte. Für einen kurzen Moment kam ihm die Wirklichkeit merkwürdig verlangsamt vor, doch leider bewegte sich die herannahende Faust immer noch ebenso schnell, wie sein verzweifelter Sprung nach hinten ihn versuchte, aus der Gefahrenzone zu befördern.
Der Augenblick war jedoch schnell vorüber und wurde von einer unangenehmen Realität abgelöst. Mit einem Knacken hob es Gordan von den Füßen.
Sein Flug wurde abrupt gestoppt durch die Mauer, an welcher Gordan der Ohnmacht nahe herunterrutschte.
Mit pumpenden Herzen versuchte Gordan die Schleier vor seinen Augen zu vertreiben. Ihm schwindelte und seine Ohren klingelten. Ein pochender Schmerz kam von seinen Hüften. Dumpf hörte er eine Stimme fragen:
„Der hier sieht nicht gerade wie eine Wache aus. Was sollen wir mit ihm tun, Bruder William?“
In seinem verschwommenen Blickfeld näherte sich ein brauner Schemen und gesellte sich zu dem grünen Schemen. Von dem Fleck, kam mit ruhiger Stimme:
„Er wirkt verdächtig und ist uns im Weg, beseitigt ihn.“
Diese Ankündigung brachte Gordan zurück ins Leben. Gerade noch rechtzeitig ließ er sich rückwärts durch die Mauer in den Boden fallen. Wo sich sein Kopf befand, sah er eine Klinge gegen den Marmor prallen.
Nach ein paar Sekunden klärte sich sein Blick. Er tauchte hinter der Mauer wieder auf, um Luft zu holen. Ihm kam es vor, als ob alles noch in Ordnung war mit seinem Körper, auch wenn er sich ziemlich mies fühlte. Erleichtert, noch davon gekommen zu sein, stand er auf. Mit einem hohlen Klacken traf ein Stück Holz auf dem Boden auf. Ein rascher Griff an seinen Rücken bestätigte seine Befürchtung. Seine Sauerstoffflasche war bei dem Angriff zerstört worden. Nicht im Geringsten dankbar dafür, dass dies einen guten Teil des Aufpralls an die Wand aufgehalten hatte, fing er an zu fluchen. Unterbrochen wurde er von dem Krachen zersplitternden Marmors. Zu seinem Unglauben und Entsetzen, tauchte mitten aus der Wand eine Hand auf. Risse zogen sich durch die Mauer, dann flogen ihm Marmorsplitter entgegen. Im entstandenen Loch sah er einen Kapuzenträger stehen.
Es handelte sich, da er einen braunen Mantel trug, um den als Bruder William angesprochenen Angreifer, schlussfolgerte Gordan.
Einen Moment schwankte Gordan zwischen angsterfüllter Flucht und wutgeprägtem Angriff, dann entschied ein weiteres herabfallendes Stück Holz seine Zukunft.
„Wisst ihr eigentlich, was ihr da zerstört habt?“, rief Gordan mit zorniger Stimme.
„Das war eine sündhaft teure Spezialanfertigung!“
Bruder William starrte den sich ereifernden Dieb ungläubig an. Hatte der den Verstand verloren?
In Warrens Villa
Warren hastete den Flur wieder zurück. Er brauchte Gewissheit. Wenig überrascht sah er dann in seinem Arbeitszimmer den offenstehenden Safe.
Was hatte er sich nur dabei gedacht, einen solchen Deal zu machen? Mit solchen Leuten kam niemals etwas Gutes bei raus. Bei dem Blick auf ein im Safe verbliebenes Schriftstück sank ihm das Herz in die Hose. Das darauf befindliche Zeichen versprach ihm den Tod, versagte doch niemand im Dienste dieser Abscheulichkeit zweimal. Seine Gier hatte ihn verleitet, denn in verborgenen Kreisen war die Zahlkraft dieses Monsters in Menschengestalt legendär.
Warren war sich bewusst, dass er das Kästchen wieder in seinen Besitz bekommen musste. Noch war nicht alles verloren. Sich den Angstschweiß abwischend, rannte er wieder zurück zu seinem Fenster.
Vor Warrens Villa, linke Seite
Gordan tauchte schwungvoll aus dem Boden auf und versenkte seine Faust in den empfindlichsten Teilen desjenigen Angreifers, von dem er glaubte, er wäre der lautlose Anschleicher. Da das Dutzend der grün gekleideten Männer kaum zu unterscheiden war, konnte er sich darüber allerdings nicht sicher sein. Noch bevor der unglückliche Novize stöhnend den Boden erreicht hatte, war Gordan bereits wieder im selbigen verschwunden.
Gordan begann die Sache Spaß zu machen. Rache war süß und so setzte er seine Angriffe fort. Der weißglühende Zorn über die zerbrochene Sauerstoffflasche und den Schmerz des erlittenen Schlages, ließen Gordan jegliche Gedanken an die Flucht vergessen.
Die Grünkapuzierten verfielen in Panik, doch aus Angst vor ihrem Vorgesetzten wagten sie es nicht, davon zu laufen. Stattdessen bewegte sich das Geschehen nur langsam mehr in Richtung des Haupteinganges.
Ein unwissender Beobachter würde sich über die kleine Gruppe von Männer wundern, die ständig hin und her sprangen, während von Zeit zu Zeit, kaum wahrnehmbar, Arme aus dem Boden kamen, um einen weiteren Kapuzenträger auf den Boden zu befördern. Doch es gab nur einen Beobachter und das war Bruder William.
Dieser hatte sich vorsorglich auf höheren Grund begeben. Sich an einer Spitze auf der Mauer klammernd, beobachtete er das Geschehen unter ihm. Er glaubte fest an die analytische Herangehensweise als Weg zum Erfolg im Kampf. Es hatte auch nicht lange gedauert, bis er durchschaut zu haben glaubte, was vorging.
„Aufhören mit dem kopflosen Herumgespringe, ihr Angsthasen“, schrie er in befehlsgewohntem Ton hinunter. Seine Stimme hatte eine beeindruckende Wirkung, denn sofort stand das verbliebene halbe Dutzend Novizen still, bis auf einen, der stattdessen unfreiwillig den Boden vorzog.
„Wir haben es nur mit einem Gegner zu tun“, verkündete William mir beruhigender Stimme.
Gordan, der so langsam eine Ruhepause benötigte, hörte dem Bruder gespannt zu. Was konnte ihm auch schon passieren? In den Boden konnten diese komischen Leute schließlich nicht.
„Dazu kommt, dass dieser keinerlei Waffen besitzt und uns keinen wirklichen Schaden zufügen kann“, führte William aus. Sich den Gefallenen zuwendend, donnerte es plötzlich aus ihm heraus:
„Aufstehen ihr feigen Schwächlinge! Ihr könnt vielleicht unseren verborgenen Angreifer täuschen, aber nicht mich. Wer in Zukunft länger als drei Sekunden auf dem Boden liegt, kann für den nächsten Monat die Latrinen putzen!“
Erschreckt durch den Befehl, dauerte es keine drei Sekunden, dann standen wieder alle Novizen. Ein paar hatten zwar eine gebrochene Nase, und einer hielt sich mit schmerzverkrümmten Gesicht den Unterleib, aber wirklich, viel Schaden hatte Gordan tatsächlich nicht angerichtet.
Gordan fühlte sich plötzlich in seinem Stolz verletzt. Sollte er wirklich so schwach sein? In ihm reifte der Entschluss, diesen selbstsicheren Typen zu demütigen. Diese Ansprache hatte dafür gesorgt, dass die Kampfeslust wieder in ihm erwacht war. Er holte tief Luft und verschwand wieder.
„Ich habe den Angreifer beobachtet. Er kann nicht unbegrenzt im Boden bleiben, also muss er über kurz oder lang auftauchen.Schätzt ab, wie lange er zu euch braucht und dann macht es wie ich!“
William war nicht umsonst ein Bruder geworden. Aus dem Augenwinkel hatte er den Luft holenden Gordan erspäht und so im Inneren gezählt. Als er glaubte, der unbekannte Maskierte hätte ihn jetzt erreicht, stieß er sich ab, was dafür sorgte, dass Gordan nur in die Luft griff. So aus dem Gleichgewicht gebracht, landete Gordan auf dem Boden.
Vor Warrens Villa, Haupteingang
Drago parierte den von rechts auf ihn zukommenden Schlag mit einem schuppigen Arm. Fast gleichzeitig fühlte er einen von links auf ihn zufliegenden Angriff und duckte sich. Eine blaue Schnittwelle rauschte über seinen Kopf hinweg und teilte die Mauer rechts von ihm glatt in zwei.
Einen Moment überlegte er, ob er sich verwandeln sollte, doch da er nicht wusste, wo sich sein Zielobjekt befand, wollte er lieber keine Zerstörung riskieren.
Genervt von der ungewünschten Verzögerung, schlug er mit seiner krallenbesetzten Hand nach seinem narbigen Widersacher. Dieser hob seinen Arm, um den Angriff abzuwehren. Kurz vor dem Aufprall färbten sich die Klauen schwarz und so wurde sein Widersacher mit einer blutigen Krallenspur quer über seinen Arm zurückgeworfen. Mit einem schnellen Satz war Drago in der Luft über einem abgelenkten Verteidiger. Er öffnete den Mund und eine lodernde Stichflamme hüllte den in Schreie ausbrechenden Gegner ein. Der Wächter, den Drago als Anführer identifiziert hatte, nutzte die Gelegenheit, den in der Luft befindlichen Gegner mit einer Fingerpistole zu attackieren.
„Alles sinnlos“, dachte Drago, während unter seinem schwarzen Mantel ein geschuppter Schwanz hervorbarst und sich im Boden versenkte. Blitzschnell zog er sich mit diesem aus dem Angriff.
Einen Moment lenkte ihn ein Tumult auf der linken Seite der Villa ab, wo seine Umgehungstruppe anscheinend auf Widerstand getroffen war. Achselzuckend konzentrierte er sich wieder auf seinen Widersacher.
„Ihr kämpft gut, aber ihr habt keine Chance. Lasst uns durch und ihr könnt gehen“, versuchte Drago diesen sinnlosen Kampf abzukürzen.
Doch sein Kontrahent schüttelte nur den Kopf. Dann färbte sich seine Faust schwarz und der Kampf begann von neuem.
Automatisch parierte Drago Angriff um Angriff, während er das Kampfgeschehen um sich herum aufnahm.
Die Novizen stellten keinerlei Gefahr für die Verteidiger dar und so hatten sie sich, so noch nicht geschlagen auf dem Boden liegend, zurückgezogen. Die beiden braun gekleideten Brüder schlugen sich ganz gut, doch der Grund, warum den Wächtern ihre zahlenmäßige Überlegenheit nichts nutze, lag in seinem Partner.
Ashtshak wirbelte hin und her, seine langen schwarzen Haare wild umherfliegend, befreit von der Last der schwarzen Kapuze. In dem abgemagerten, fast einem Totenschädel gleichenden Gesicht, funkelten fanatische blaue Augen.
Drago beneidete seinen Partner, der immer noch nicht von Zweifeln geplagt wurde. Allerdings überraschte es ihn auch nicht sonderlich, denn Ashtshak hatte schon immer nur einen Lebensinhalt gehabt – den Kampf gegen das Böse.
Das innerliche Betrachten des Bekenners wurde schließlich unterbrochen durch den herüberschallenden Ton von Bruder Williams Stimme.
Abgelenkt durch diese, seine Gedankengänge durchbrechenden, Schallwellen, kassierte Drago einen direkten Treffer in seine Körpermitte. Während er durch die Luft flog, bemerkte er einen fetten Kopf, der aus einem Fenster weit über ihnen gesteckt wurde.
In einem Ton, der verriet, dass der Sprecher befehlsgewohnt war, jetzt aber die Fassung verloren hatte, schallte es von oben herab:
„Hört mit diesem sinnlosen Kampf auf, sucht mir den Dieb, der hier vorhin eingedrungen ist! Er hat ein Kästchen erbeutet, beschafft es mir wieder.“
Warren hatte gefolgert, dass der Inhalt des Kästchens das Ziel der Angreifer war, jedoch keine Möglichkeit gesehen, den Angriff zu stoppen, ohne auch seine Gegner zu informieren. Die Richtigkeit seiner Kombination wurde durch den abrupten Abbruch des Kampfes gegeben.
Zur gleichen Zeit hatten Bruderschaft und Wachen die gleiche Idee. Und so kam es, dass sich Gordan nach seiner Landung auf einmal beobachtet fühlte. Er drehte sich in Richtung Haupteingang, wo der Kampfeslärm verstummt war.
Als er die auf sich gerichteten Augen entdeckte, brach ihm der Angstschweiß aus.
„Scheiße“, flüsterte Gordan.
Vor Warrens Villa
Einen Moment schien die Zeit still zu stehen, doch dann stürzten alle in Richtung des die Flucht ergreifenden Gordan. Gerade noch rechtzeitig rettete sich der Dieb in den Boden. Dort wo sich gerade noch sein Körper befand, strich Dragos Hand durch die nun leere Luft.
Kurz blieben die Verfolger verwirrt stehen. Gerade noch war der Dieb zu spüren gewesen, jetzt war er einfach verschwunden.
Im Sinne des gemeinsamen Zieles waren alle Feindschaften beigelegt worden. Doch sowohl Drago, als auch Vegard, waren sich vollkommen bewusst, dass in dem Moment, wo das Kästchen einem in die Hände fiel, ein gnadenloser Kampf ausbrechen würde.
Gordan bekam es nach diesem Nahtoderlebnis mit der Panik zu tun.
„Was war das denn für ein Monster? Wie kann er sich so schnell bewegen?“
Instinkte übernahmen seinen Körper, und so raste er schnurgerade in Richtung seiner Heimat. Leider wurde ihm schnell bewusst, dass er ja keinen Sauerstoff mehr besaß.
Er hielt den Atem an, solange es ging, doch dank seiner Erschöpfung aus dem Kampf, dauerte es nicht mal eine halbe Minute, bis er wieder Luft holen musste. Einen Straßenzug weiter, durch eine Reihe von Häusern von dem Schauplatz seiner Flucht abgegrenzt, schob sich sein Kopf nach Luft schnappend aus dem Gehweg. Keuchend versuchte Gordan wieder zu Atem zu kommen. In ihm machte sich ein Gefühl der Erleichterung breit, denn wie sollten ihn seine Verfolger hier aufstöbern?
Eine Sekunde später fand er sich im Boden wieder, aufgeschreckt durch das in sich zusammenfallende Haus hinter ihm und jeglicher Illusionen seine Flucht betreffend beraubt.
Wie konnten ihn diese Kapuzenträger finden? Wieder bewegte er sich so schnell es ging zu einer neuen Position. Diesmal beruhigte sich Gordan nach ein paar Metern weit genug, um sich eine neue Taktik zu überlegen. Er stoppte seine gradlinige Flucht und wandte sich nach links. Diesmal würde er nicht unüberlegt in eine Richtung fliehen! Um wirklich sicher zu gehen, wandte sich Gordan dann noch wieder in die Richtung, in der Warrens Villa stand. Wenn er in einem Haus auftauchte, dann sollte es doch nicht möglich sein, ihn zu verfolgen, war er sich sicher.
~
Was hatte er nur getan, um solch ein Pech verdient zu haben? Drago fühlte, dass er wieder dabei war, in düstere Gedanken zu verfallen.
Wieso musste ausgerechnet jetzt ein Dieb kommen und warum musste er auch noch Erfolg haben? Um alles noch schlimmer zu machen, handelte es sich auch noch um einen Teufelskraftnutzer.
Wie immer öfter in letzter Zeit, verfluchte Drago den Tag, an dem sie mit dem Contractor einen Vertrag geschlossen hatten. Nun, damals waren sie noch idealistisch gewesen. Manche Opfer sind einfach zu groß, wurde ihm bewusst.
Der Sumpf seiner negativen Gedanken und Gefühle drohten ihn zu verschlingen, doch er hatte eine Aufgabe. Ein bitteres Grinsen zeichnete sich unter der Kapuze ab. Ja, der Contractor hatte Wort gehalten. Für ihn gab es kein Entkommen. Es war für ihn unmöglich, wirklich zu versinken, denn sein Bekenntnis band ihn.
So zurück in die Realität geholt, wartete Drago auf ein Auftauchen des Diebes. Beim ersten Abtauchen des Diebes, hatte ihn Bruder William informiert, dass dieser nicht unbegrenzt lange verschwinden konnte. Tatsächlich war der maskierte Unbekannte nicht weit gekommen. Leider war er zwar schnell, aber so schnell nun auch wieder nicht. Bald würde der Flüchtende bestimmt aus Erschöpfung weniger weit kommen.
Sein Observationshaki reichte weit genug, dass er sich sicher war, den Dieb nie zu verlieren. Drago machte sich bereit. Würde er diese Mission erfolgreich abschließen, rückte eine Erlösung für ihn in greifbare Nähe.
~
Seine letzte Luft verbrauchend, erreichte Gordan das Hausinnere. Langgestreckt ließ er sich auf den Boden fallen. Für die Einrichtung des Hauses besaß er kein Auge, er hatte nur noch sichergestellt, dass niemand im Raum war. Heftig pumpend lag er da.
Er konnte nur hoffen, dass der Inhalt des Kästchens die ganze Aufregung wert war.
Seine Ruhe wurde gestört durch die, über seinen Kopf hinwegfliegende, Tür.
War Gordan bislang noch halbwegs selbstsicher gewesen, so war jetzt jegliche Sicherheit dahin. Er bekam Todesangst. Wie sollte er jemandem entkommen, der ihn überall fand und der auch noch so schnell war? Nicht mal solide Hausmauern konnten seinen Verfolger aufhalten.
Nichtsdestotrotz rannte Gordan, durch einen Adrenalinschub wieder voller Energie, unter der Erde weg. Was tun? Die Angst benebelte seinen Kopf und er konnte keinen klaren Gedanken fassen. Das einzige, was er dachte, war:
„Ich will nicht sterben, ich will nicht sterben.“
Zweimal Auftauchen später hatte auch der Adrenalinschub nachgelassen. Gordan taumelte, am Ende seiner Kräfte, durch eine Wand. Stolpernd stieß er gegen irgendetwas. Die Welt verschwamm vor seinen Augen und er fiel in Richtung Boden. Entkräftet, aktivierte Gordan nicht mal seine Kräfte. Schmerzhaft stieß er sich beim Aufkommen die Hüfte. Der Schmerz klärte plötzlich seinen Geist.
Ihm tauchte das Bild eines Kästchens vor den Augen auf. Genau, das hatte er ja aus dem Safe geholt. Daran hatte er sich verletzt. Er zog einen Schluss. Irgendetwas in diesem Kästchen musste wichtig sein, dass diese Unbekannten hinter ihm her waren.
In ihm keimte Hoffnung auf. Nun, falls seine Idee nicht klappte, war es sowieso vorbei, denn einen weiteren Atemzug würde er nicht mehr schaffen, war ihm klar.
Während er sich mit letzten Kräften weiter durch den Boden schleppte, holte Gordan das Kästchen aus dem Sack. Bedauernd, dass er nicht herausfinden würde, was er da gefunden hatte und sein Diebeszug ein totaler Misserfolg war, holte er aus.
Kaum aus dem gepflasterten Weg gekommen, schmiss Gordan mit sämtlicher Kraft den Behälter nach links und rannte dann nach rechts. Einen Blick über die Schulter wollte er nicht werfen und so musste er mit der Ungewissheit leben, ob seine Verfolger auch jetzt noch hinter ihm waren.
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Inzwischen war sich Drago sicher, bald Erfolg zu haben. Er spürte Menschen in ihren Häusern und eine Gruppe sich nähernder Menschen. Bald würde sich ein weiterer Lebensfunke dazu gesellen. Und wirklich, kaum gedacht, fühlte er ein neues Leben, nahe der Gruppe. Drago stieß sich kraftvoll vom Boden ab. Sein Schwung trug ihn über die Häuserzeile, die ihn von seinem Ziel trennte. Der Gegenwind strich über sein Gesicht und erinnerte ihn, dass er auch schöne Dinge im Leben gab.
Seine Landung sandte eine Erschütterung in den Boden und beschädigte die Steine, mit denen die Straße erbaut war. Rasch erfasste sein Blick die in Schwarz gehüllte Gestalt des Diebes, der sich auf der Oberfläche fortbewegte. Schon wollte er sich auf den Weg machen, als er links von sich ein Geräusch wahrnahm. Das Geräusch, von Holz auf Stein. Ein rascher Blick bestätigte die Vermutung. Es handelte sich um das Kästchen, welches sich durch den Aufprall gegen eine Hauswand geöffnet hatte.
Ein kurzer Moment, in dem er einen Kampf mit der angefangenen Bewegung führte, dann wechselte Drago die Richtung.
Aus dem sich in etwa Mannshöhe geöffnetem Holzbehälter ergoss sich ein Strom von Holz und Papier, durcheinandergewirbelt dank des Aufpralls. Zuviel für zwei Hände eines einzelnen Menschen.
In der einen Hand ein Haufen Holz haltend, in der anderen eines der Blätter, konnte er nicht mehr verhindern, dass einige der wertvollen Dokumente den Boden erreichten. Sein Blick wurde geradezu magisch angezogen, von den Worten, die auf dem Blatt in seiner Hand standen.
„Inhalt ist zerbrechlich, unbedingt vor Erschütterung bewahren!“ las Drago mit ungläubigem Blick. Seine Hand krallte sich zusammen, diese vermaledeite Notiz zerknüllend. Leider hatten sich die Novizen unter Führung der Brüder bereits wieder zum Schiff begeben. Nicht, dass sie rechtzeitig dagewesen wären und nicht, dass er sowas hätte ahnen können. Strategisch war es ebenso wichtig gewesen, dass Ashtshak den Händler untersuchte, um sicher zu stellen, dass ihre Vermutungen korrekt waren. Im Nachhinein war man immer schlauer und so löste sich Drago von seiner frustrierten Betrachtung vergangener Dinge, indem er das Papierknäuel in seiner Hand zu Boden warf.
Er ließ sich auf die Straße nieder, um den Schaden zu begutachten. In seiner Handfläche befanden sich sieben hölzerne Gebilde. Kunstvoll geschnitzt und mit einer Art Runen bedeckt, wobei sich deren Sinn Drago nicht erschloss. Zudem hatte er die Vermutung, dass die sieben Holzstücke ein Rätsel darstellten. Leider sah er leichte Schäden, wie kleine Brüche, die nahelegten, dass die Lösung wohl nicht mehr möglich sein würde. Zu fein waren sie ausgearbeitet, als dass ein Schaden nicht irreversible Folgen haben würden, insbesondere, was die Schriftzeichen anging.
Sein Blick richtete sich zu den Blättern auf dem Boden. Auch hier sah er wieder diese Runen, allerdings auch normale Schriftzeichen. Sicherlich handelte es sich dabei um Hinweise und die Möglichkeit, die Verschlüsselung zu knacken. Doch der Fall war dem Papier nicht gut bekommen, verdreckt, teilweise feucht und vom Kästchen leicht zerstört breitete sich eine ernüchternde Sicht vor Drago aus.
Die ganze Mühe, die Hinweise auf die antike Waffe zu beschaffen, jetzt vermutlich völlig umsonst. Was für ein Glück, dass er nicht zu Wutausbrüchen neigte. Was für ein Pech, dass er anfällig für Depressionen war.
Er registrierte die Ankunft des Wachenanführers. Hartnäckiger Bursche, aber hoffentlich würde der jetzt ein Einsehen haben.
„Die Jagd ist zu Ende“, begrüßte er den Ankommenden. Der war vielleicht nicht übermäßig geistig veranlagt, doch die sich seinem Auge darbietende Szene war auch für ihn leicht zu entschlüsseln. Vegard, froh, den Kampf nicht mehr ausfechten zu müssen, ließ sich neben seinen Ex-Feind sinken.
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Herzklopfen, Ziehen in den Muskeln und stechender Schmerz in der Brust. Gordan war am Ende seiner Kräfte, doch jetzt musste er auch nicht mehr laufen. Seit dem er das Kästchen losgeworden war, hatte er noch ein paar Minuten Strecke gut gemacht. Doch jetzt, fast wieder in belebteren Bereichen angekommen, war es ihm zur Gewissheit geworden. Er wurde nicht mehr gejagt!
Der junge Dieb hing in einer Ecke, an eine Mauer oder Wand hinter ihm, er wusste es nicht, gelehnt. Schon begann ihm sein Erlebnis wie aus weiter Ferne zu erscheinen. Gordan, wie es bei jungen Menschen gerne der Fall ist, fing bereits an, den Schrecken verblassen zu lassen. So fing er an, sich zu fragen, wieso er nicht den Inhalt des Kästchens behalten hatte. Nun, die Situation musste Entschuldigung genug sein. Und wer weiß, vielleicht war es nur das Zurücklassen des Inhaltes, der überhaupt für ein Ende der Verfolgung gesorgt hatte? Zu erledigt für weitere Gedanken, fielen ihm die Augen zu.
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„Was ist das eigentlich?“, fragte Vegard seinen kapuzierten Gegenüber.
„Immerhin habe ich dafür mein Leben riskiert“, fügte er im plötzlichen Bewusstsein, dass die Frage eventuell unangebracht sei, noch rasch hinzu.
Drago hob den Kopf und ermöglichte Vegard so einen ersten Blick in sein Gesicht. Ausdrucksstark, kam ihm in den Sinn. Markante Gesichtszüge, die, wie Vegard auf einmal bemerkte, kontrastierend zu den seltsam leblosen Augen standen. Das waren keine Augen, wie sie ein Mensch besitzt, der ein zufriedenes Leben führt. Tatsächlich kamen sie ihm überhaupt nicht vor, wie Augen eines emotionsbefähigten Wesens. Er fühlte sich an eine Maschine erinnert, kalt und unpersönlich blickten ihn diese Augen an. Was hatte diesen so gefürchteten Mann geprägt?
„Pläne. Zerstörte Pläne. Wissen, welches nicht in die falschen Hände gelangen sollte“, kam es von Drago. Warum redete er mit diesem Fremden? Plötzlich lachte er auf. Es war ein bitteres Lachen. Ja, er brauchte jemanden zum Zuhören, jemanden, dem er von sich erzählen konnte. Jemanden Unvoreingenommenen und Unwissenden. Würde es ihm helfen? Er hoffte es. Immerhin klammerte er sich ja offensichtlich schon an jeden Strohhalm.
Seine Hände sammelten unbewusst die Blätter auf. Entgegen jeder Vernunft musste man gucken, ob vielleicht immer noch etwas damit anzufangen war.
Ihm wurde bewusst, dass er schon seit längerem schwieg, während ihn sein Gesprächspartner erwartungsvoll ansah.
Er holte Luft und wollte bereits ansetzen zu sprechen, da klingelte seine Teleschnecke. Mit einem bedauernden Achselzucken fischte er das Tier aus seinem Mantel. Ashtshak, wie erwartet, sagte ihm das hagere Design der Schnecke.
„Überprüfung abgeschlossen, das Kästchen ist unser Zielgegenstand“, tönte es in der Grabesstimme des Bekenners aus der Teleschnecke.
„Verstanden. Mission ist hiermit beendet. Rückzug zum Schiff und bereitmachen zur Abfahrt mit der nächsten Flut. Ich werde dannzu euch stoßen.“
Einen Moment musste Drago pausieren. Er sammelte sich, um die folgenden Worte aussprechen zu können.
„Das Zielobjekt wurde beschädigt. Höchstwahrscheinlich ist eine Verwendung dadurch unmöglich. Bringe die Objekte mit.“
Drago legte auf.
„Wir haben noch ein bisschen Zeit. Lass mich etwas erzählen“, wandte sich der Bekenner an Vegard.
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Warren beobachtete den Abgang der Bruderschaft. Er konnte kaum glauben, dass er unbeschädigt aus der Begegnung mit diesem unheimlichen Freak hervorgegangen war. Höflich war er, aber dieser Totenschädel hätte ihn mit Sicherheit genauso leicht umgebracht, wie er ihn begrüßt hatte.
Doch was seine Freude über sein Überleben drastisch minderte, war diese Stimme aus der Teleschnecke, die verkündet hatte, die Ware sei beschädigt. Die Wiederbeschaffung war also nicht nur extrem unwahrscheinlich, sondern jetzt auch noch nutzlos geworden.
Er zitterte am ganzen Körper, abwechselnd vor Wut und vor Angst. Schließlich kanalisierte er seine Emotionen auf den einen Schuldigen. Dieser maskierte Dieb war schuld an seinem Untergang!
Warren fasste einen Entschluss. Er eilte in sein Arbeitszimmer und wählte die Nummer der Stadtwache. Ein Steckbrief musste verfasst werden!
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Friedlich schlafend lag Gordan an der Wand, doch seine Ruhe sollte nicht mehr lange währen. Im Gleichschritt näherte sich eine Wachpatrouille. Sie blieb an der Kreuzung stehen, um einen Routineblick in die Abzweigung zu werfen.
„Abteilung halt und links herum!“, ertönte es als Reaktion auf die Entdeckung des unpassenden Subjekts, was sich erdreistete in den Straßen von Porto de Riquezas Oberstadt zu schlafen!
Mit zackigen Schritten bewegten sich die Wachen auf Gordan zu. Das sah definitiv nach einer Aufgabe aus, denen sie gewachsen sein sollten, ganz im Gegenteil zu den Angreifern, denen sie zum Glück nicht begegnet waren. Der Patrouillenführer beugte sich zu dem Schlafenden herunter und packte ihn am Oberteil. Unsanft geweckt, musste der junge Dieb feststellen, dass eine weitere Wache ihm rasch Handschellen angelegt hatte.
„So, dann wollen wir mal sehen, wer sich da unter der Maske verbirgt.“, kam es von dem Patrouillenführer.
Dies passte Gordan verständlicherweise überhaupt nicht, aber solange ihn eine Wache am Arm gepackt hatte, war es mit einer Flucht nicht weit her. Die Grenzen seiner Fähigkeiten lagen bei unbelebtem Material und so verlegte sich Gordan aufs Tricksen. Sich aufplusternd versuchte er seiner Stimme den Klang eines selbstbewussten Mächtigen zu geben:
„Wagt es ja nicht! Ich kann tun und lassen, was ich will. Stört mich noch weiter hin und ihr werdet es noch bereuen. Ich kann euch mühelos rauswerfen lassen!“
Leider war er kein Mächtiger und zudem noch sehr schläfrig, dementsprechend bewirkte er wenig Eindruck.
Sein Gegenüber begann zu grinsen. Auf sowas fällt ja nun wirklich niemand rein!
„Hier besitzt niemand Sonderrechte, also komm lieber gar nicht erst auf dumme Ideen!“
Im vollsten Bewusstsein, genau dafür unterwegs zu sein, griff die Wache nach der Maske. In seiner Verzweiflung griff Gordan zum letzten Trick, der ihm einfiel:
„Hinter dir ist ein Drache!“
Der im Brustton der Überzeugung vorgetragenen Behauptung, schenkte die Wache nur ein schallendes Lachen.
„Glaubst du wirklich, jemand fällt auf so einen Schwachsi-“
Ein störendes Zupfen an seinem Ärmel unterbrach ihn. Genervt sah er seinen Untergebenen an, dem der Schrecken ins Gesicht geschrieben stand. Mit zitterndem Arm deutete er hinter den Hauptmann. Mit einem unguten Gefühl drehte er sich um die eigene Achse. Im nächsten Moment fiel ihm die Kinnlade herunter. Über den Dächern erhob sich tatsächlich ein Drache!
Das Ungetüm hatte beängstigend große Ausmaße. Die ledrigen Flügel spannten sich häuserbreit auf und begannen in zunehmend schnellerem Tempo auf und ab zu schlagen. Sie hielten einen gestreckten Körper in der Luft, dessen onyxfarbenen Schuppen in der Sonne schimmerten. Krallenbewehrte Extremitäten mit dem Durchmesser von Baumstämmen gingen vom Rumpf ab, während ein stachelgespickter Schweif sich unter Sichthöhe verlor. Zu ihrem Glück war der Drache weit genug entfernt und drehte dem Trupp den Rücken zu.
Gordan war zwar mindestens genauso überrascht wie der Wachtrupp, doch er verlor keine Zeit mit Gaffen. Mit einem Tritt in Kombination mit einem Ellbogenstoß löste er den gelockerten Griff der Wache, die ihn festhielt. Dann zog er seine Hände aus den Handschellen und nahm die Beine in die Hand.
Der Schmerzensschrei der getroffenen Wache alarmierte zwar den Trupp, doch sie konnten nichts anderes tun, als ohnmächtig mit anzusehen, wie ihr Gefangener sich durch die nächste Wand vom Acker machte, während ihre Handschelle auf den Boden klirrte.
Ihre Laune besserte sich auch nicht durch einen Anruf, der ihnen mitteilte, dass ein Kopfgeld auf „Das Phantom“ ausgesetzt worden war, einer maskierten, schwarz gekleideten Gestalt.
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Etwas früher in der Oberstadt
Drago hatte inzwischen, da war er sich ziemlich sicher, herausgefunden, warum es ihm so wichtig war, etwas von sich und der Bruderschaft zu erzählen. Diese Wache da war auch ein Kämpfer. Das war noch besser als ein Unvoreingenommener, denn so jemand wusste, was es bedeutete, Probleme gewaltsam zu lösen. Einen Moment fragte er sich, ob er tatsächlich gerade Hoffnung verspürt hatte. Hoffnung auf Verständnis. Auch wenn der Fluch, wie Drago es in seinem Kopf, und nur in seinem Kopf, bezeichnete, sowas eigentlich gar nicht erlauben sollte. Mit einem Kopfschütteln vertrieb der Bekenner diese Gedanken.
„Weißt du, warum wir uns Bekenner nennen?“
Vegard wollte schon den Kopf schütteln, doch Drago fuhr bereits nach dieser rhetorisch gedachten Frage fort:
„Nein, natürlich nicht. Es ist ein Geheimnis. Wissen, welches dem Vergessen anheimgefallen ist. Nur noch wir selbst wissen, was geschehen ist.“
Drago pausierte kurz und sah Vegard in die Augen. Ja, da hatte jemand gesehen. Er konnte nicht genau sagen wieso, doch er wusste, die Wache war vertrauenswürdig. Also setze er beruhigten Gewissens seine Rede fort:
„Wir sind eine kleine Gruppe von Menschen, die ein Ideal, ein Ziel vereint. Die Welt ist verdorben und steuert einer Zukunft entgegen, die jegliche Werte weiter zersetzt, in der nur der Starke herrscht und wo Gewalt an der Tagesordnung ist. Unsere Reaktion bestand in der Gründung der Bruderschaft. Das Übel war erkannt und musste beseitigt werden. Jegliche Form von Macht in Händen der Starken musste zertrümmert werden. Jeder, der auf dieser Welt Schrecken verbreitet, Marine und Weltregierung nicht ausgenommen, musste verschwinden.“
Drago registrierte erstaunt, dass er sich gerade in Rage geredet hatte. Das war nicht sein Plan gewesen, doch ihm wurde klar, dass er keine Objektivität beibehalten konnte. Sich der nachdenklichen Betrachtung Vegards bewusst seiend, machte Drago weiter:
„Utopisch, nicht wahr? Doch wir bekannten uns zu unserem Ziel.“
Er hielt inne. Es ging nicht. Er konnte nichts über den Contractor erzählen. Nichts über den Vertrag, nichts über die gebrachten Opfer. Nein, ihm war nichts gestattet.
Mit bitterer Stimme endete Drago:
„Wir sind gebunden an unser Bekenntnis. Ein Leben, ohne richtig zu leben.“
Vegard war ein einfacher Mann. Solche Gedanken hatte er nie gehabt. Doch ihm war klar, dass sein Gegenüber etwas geopfert hatte. Kein Wunder, dass er so leblose Augen hatte. Mit einem Schaudern kam ihm die Erkenntnis, dass er Glück hatte, nicht gegen den Bekenner kämpfen zu müssen. Egal, wie bemitleidenswert er auch erschien, er hätte keine Gnade gezeigt.
Einen Moment später erhob sich Drago vom Boden, das Kästchen mit Inhalt im Mantel verstauend. Mit wehendem Mantel sprang er in die Luft, wo er sich in einen Drachen verwandelte und davonflog.
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In der Unterstadt
In dem kleinen Zimmer, in dem Gordan wohnte, lagen seine Arbeitsutensilien, achtlos in die Ecke gepfeffert. Der Bewohner schritt unterdessen wie ein gefangener Tiger immer wieder durch den Raum. Aber so sehr er auch vor sich hin fluchte, die Tatsache, dass er die Wette verloren hatte, ließ sich nicht mehr ändern. Zudem beklagte er den Verlust einiger weltlicher Güter, weswegen er sich nicht so richtig über sein gerettetes Leben freuen konnte.Schließlich machte sich Gordan notgedrungen auf den Weg zum „Schatten“. Zu seinem Glück wusste niemand von seiner achtlos eingegangenen Wette, auch wenn sich doch so einige Einwohner über den grimmigen Gesichtsausdruck des jungen Burschen wunderten.
Vor der Taverne angekommen, zögerte Gordan noch einen Moment. Das Eingestehen der Niederlage fiel ihm schwer. Aus Mangel an sinnvollen Alternativen begab er sich schließlich ins Innere. Kleinlaut kam er in ihrem privaten Raum an.
Dort sah er schon seinen Mentor, der sich zu seinem Schrecken bereits ausgiebig mit Essen und Trinken versorgt hatte.
Schweren Herzens schloss er die Tür. Einen Moment war er versucht, seinen Freunden die ganze Geschichte zu erzählen, doch sie erschien sogar ihm dermaßen unglaubwürdig, dass er stattdessen nur sagte:
„Du hast gewonnen.“
Sein Onkel grinste ihn an:
„Da sieht man wieder, Hochmut kommt vor dem Fall.“
Damit ist diese Episode auch beschloßen. Vorerst ist dieses Projekt also beendet.
"Well, let's begin"
Meine FF: Erlebnisse eines Meisterdiebes (abgeschlossen)
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Dieser Beitrag wurde bereits 13 mal editiert, zuletzt von Eldrail () aus folgendem Grund: Kapitel 7 eingefügt