Puh, ist ne Weile her, seit ich das letzte Mal hier in dem Bereich unterwegs war. Aufgrund der aktuellen Situation bzgl. Corona hab ich mir zuletzt jedenfalls etwas Zeit und Motivation frei geschaufelt, um an einem neuen Projekt zu arbeiten. Eins meiner früheren Probleme war sicherlich, dass ich viel zu groß gedacht hatte. The Prophecy war und wäre ein so langlebiges Projekt gewesen, dass es mich irgendwann überfordert hat. Das soll nun anders werden.
Auch in Feuertaufe wird es natürlich wieder viele eigene Charaktere, Fraktionen und Orte geben. Aber auch Überschneidungen mit dem Manga sind denkbar, teils schon geplant und teils auch schon umgesetzt (so bereits im Prolog geschehen). Aktuell sind einzelne Arcs allerdings nicht geplant, somit auch keine eigenen Sagen. Es wird alles eine, zusammenhängende Geschichte sein, die ich erzählen möchte. Je nach Entwicklung könnte eine Strukturierung in einzelne Handlungsabschnitte vielleicht noch folgen. Geplant ist das bislang aber nicht.
Ich weiß derzeit auch noch nicht, wie langwierig dieses Projekt sein wird, geschweige denn in welchem Rhythmus es Nachschub geben wird. Ich will mich da auch nicht mehr unnötig unter Druck setzen, was den Umfang der Geschichte betrifft. Ich kann aber ziemlich sicher behaupten, dass es weder 300+, noch "nur" etwa 20 Kapitel werden dürften. Irgendwas zwischen 50 - 100 Kapitel erscheint mir derzeit am Realistischsten zu sein. Aber wie gesagt, no pressure. In diesem Zuge ist übrigens auch die durchschnittliche Kapitellänge noch unklar, dürfte aber dann doch etwas / deutlich umfassender ausfallen, als es früher bei mir der Fall war.
Als Rhythmus peile ich indes erstmal alle zwei Wochen an. Das kann hier und da aber auch variieren, je nach dem ob ich bspw. etwas Vorarbeiten konnte oder eben dem Zeitplan - aufgrund äußerer Umstände - hinterher hinke. Konkret drauf festlegen möchte ich mich aber auch hier nicht.
Abschließend dazu sei nur noch gesagt, dass die Story bereits komplett durch konzipiert ist. Einige Charaktere und Orte müssen zwar noch genauer ausgearbeitet werden, das Grundgerüst steht jedoch. Der Prolog liegt hier jetzt auch schon eine Weile auf meiner Festplatte herum, den ich euch deswegen auch nicht länger vorenthalten möchte.
Wünsche jedenfalls viel Spaß beim Lesen. Konstruktives Feedback ist gern gesehen!
Prolog
Kapitel 1: Entfesselter Zorn
Kapitel 2: Plagende Gewissensbisse
Er schloss seine Augen, seinen Blick zur Sonne gerichtet. Er kostete jeden dieser wärmenden Strahlen, die der flammende Himmelskörper absonderte, aus, als wäre es sein Letzter. Gleichzeitig wehte ihm eine weitere, kühle Windbrise durch sein langes, ungezähmtes Haar. Viel zu selten hielt er inne. Viel zu selten ruhte er, um einfach nur den Moment zu genießen. Um den Tag zu nutzen. Um sich am Leben zu erfreuen. Viel zu lange schon hatte er den Wert unterschätzt, der Momenten der Stille und Ruhe innewohnte.
So saß er nun da, kostete jede dieser wertvollen, idyllischen Sekunden aus, während sein alter Vertrauter nur schweigend daneben saß und ihn beobachtete. Die Verwunderung über die Gelassenheit, die Hayate mittlerweile ausstrahlte, stand ihm förmlich ins Gesicht geschrieben. So kannte er ihn gar nicht. Er schien mit sich selbst so im Reinen zu sein, wirkte ausgeglichener denn je. Er hatte sich verändert, hatte sich weiterentwickelt. Eine neue Facette, die er vom Schwertkämpfer noch nicht kannte. Doch plötzlich veränderte sich etwas. Hayate öffnete seine himmelblauen Augen, senkte seinen Kopf und verzog dabei eine Miene der Sorgen. Ein Blick der Unruhe. Seine Augen ruhten dabei auf den Gräbern, die vor ihnen in den Himmel ragten.
„Tut mir leid“, brach er schlussendlich das Schweigen, was Marco einen kurzen Augenblick stutzig machte.
„Was tut dir leid?“ fragte Marco ihn, verblüfft über die entschuldigenden Worte, die sein Gegenüber zu formulieren begonnen hatte.
„Viel zu viel“, setzte Hayate wieder an. Dieses Mal unterließ Marco es jedoch ihm ins Wort zu fallen. Stattdessen öffnete er die Sakeflasche, die zu seiner Linken stand, und befüllte damit die zwei Schalen, die rechts von ihm auf der Wiese ruhten.
„Ich bedauere, dass ich vor zwei Jahren nicht schon hier war. Dass ich die Beerdigung verpasst habe. Auch wenn wir einst verfeindet waren, so hatte ich doch nichts als Respekt für Whitebeard über. Er war ein großer Mann. Ein gütiger Mann“, fuhr er schließlich fort, ehe eine weitere Brise seinen langen Vollbart aufwirbelte. Ein Satz, der Marco ein herzhaftes Lächeln abrang. Und ihn in Erinnerungen schwelgen ließ.
„Ja, das war er.“
Zeitgleich griffen die beiden Männer zu ihren Sakeschalen, leerten sie mit nur einem Schluck.
„Und glaube mir, wenn ich dir sage, dass dieses Gefühl auf Gegenseitigkeit beruhte. Pops hat sich das so gut wie nie anmerken lassen, aber auch er respektierte dich. Genauso wie er deinen Kapitän respektiert und geschätzt hat. Apropos, hast du in den letzten Jahren mal wieder was vom Rothaar gehört?“ versuchte Marco nunmehr das Gespräch, so subtil wie es ihm in diesem Augenblick möglich war, in eine andere Richtung zu lenken. Was ihm auch gelang. So konnte Hayate nicht anders, als zu lächeln, als er an seine Zeit auf der Red Force zurückdachte.
„Bisher nicht. Das hat sich in den letzten zwei Jahren noch nicht ergeben. Ich wollte zuallererst den beiden Verstorbenen meinen Respekt erweisen. Im Anschluss daran habe ich mir ein Treffen mit dem Kapitän allerdings fest vorgenommen“, erwiderte der Schwertkämpfer ihm schlussendlich.
„Wo du es bereits ansprichst … Wie ist es dir eigentlich in den letzten Jahren ergangen? Man hat Geschichten und Gerüchte über das gehört, was im Impel Down, vor allem aber im Level 6, geschehen ist. Aber handfeste Berichte haben bis zum Schluss gefehlt“, begann die ehemalige, rechte Hand des einstigen stärksten Mannes der Welt auszuführen. Nun war es Hayate, der ihm ins Wort fiel.
„Das überrascht mich nicht. Wenn es eines gibt, worauf man sich bei der Weltregierung verlassen kann, dann ist das ihr Hang zur Verleumdung und zur Lügenpresse. Alles nur, um das Gesicht zu wahren und zu verhindern, dass das eigene Ansehen in der Öffentlichkeit beschädigt wird. Wahrscheinlich hat man die Vorfälle vom Impel Down vertuscht und diejenigen, die darüber Informationen besaßen, zur Verschwiegenheit verpflichtet.“
Plötzlich bemerkte Marco, wie sein Gegenüber seine Hände zu Fäusten ballte. Wie er das Gesicht verzog und, wenn auch ungewollt, die Zähne fletschte. Der Gedanke an diese korrupte Organisation, die über die Geschicke der Welt entschied, widerte ihn an. Es machte ihn regelrecht krank.
„Einigen der Level 6 Insassen soll die Flucht gelungen sein. Schon als diese Gerüchte das erste Mal die Runde machten, hegte ich den leisen Verdacht, dass auch du zu denjenigen gehört haben musst, die dieser Hölle entfliehen konnten. Und offenbar täuschte mich mein Gefühl nicht. Doch was geschah dann?“ versuchte Marco, fast schon verzweifelt, das Gespräch wieder in die richtige Bahn zu manövrieren. Und es schien zu gelingen. Hayate’s Körperhaltung entkrampfte sich, ein leises Aufatmen entwich seinen Lippen. Fast schon beiläufig zeigte er mit dem Zeigefinger auf die Sakeschalen, woraufhin Marco nicht lange zögerte, sondern sofort nachschenkte. Nur einen Augenblick später bahnte sich der Alkohol auch schon seinen Weg durch Mund und Hals des Schwertkämpfers.
„Ehrlich gesagt gibt es da gar nicht so viel zu erzählen. Kyra, Faol und ich kaperten ein Kriegsschiff der Marine und brachten zunächst so viel Abstand wie möglich zwischen uns und dem Unterwassergefängnis. Schon kurz darauf erreichte uns dann die Nachricht, dass Whitebeard beim Großen Ereignis gestorben sei. Wie es weiterging, weißt du wahrscheinlich besser als jeder andere … Die Welt war in Aufruhr, das Gleichgewicht der Mächte geriet ins Wanken. Chaos brach in der Neuen Welt aus. Nirgends war man mehr sicher. Schnell wurde uns bewusst, dass es am Sichersten für uns alle wäre, wenn wir uns trennen würden. Wenn wir untertauchen würden, uns ruhig verhalten würden. Und das taten wir auch. Um unser aller Sicherheit zu gewährleisten, gaben wir uns das Versprechen, dass wir keinen Kontakt zueinander aufnehmen würden. Nur im äußersten Notfall dürften wir einander kontaktieren. Nur wenn es sonst keine andere Möglichkeit mehr gebe“, erklärte Hayate, krempelte dann seinen rechten Ärmel hoch und offenbarte eine mobile Teleschnecke, die er an seinem Handgelenk trug.
„Ich habe schon seit fast zwei Jahren nichts mehr von meinen Freunden gehört. Eine gewisse Grundangst ist immer da, doch jedes Mal, wenn sie droht mich zu übermannen, erinnere ich mich an unser Versprechen. Das allein gibt mir die Gewissheit, dass es ihnen gut geht. Dass ich mir keine Sorgen um sie machen muss. Wäre dem nicht so, hätte es längst geklingelt“, beendete er schlussendlich seine Ausführungen. Kurze Stille trat ein, die die beiden Männer erneut dafür nutzten, um sich eine weitere Schale des köstlichen Sake zu genehmigen, den Marco mitgebracht hatte. Doch plötzlich kippte die Stimmung. Hayate, dessen Blick unaufhörlich auf die Denkmäler von Edward Newgate und Portgas D. Ace gerichtet war, fasste sich schlagartig ins Gesicht, verdeckte mit beiden Handflächen seinen Mund. Marco war sich zwar nicht sicher, glaubte aber zu vernehmen, dass sein Gegenüber sich bemühte ein lautes Schluchzen zu unterdrücken. Der Schwertkämpfer schien mit sich selbst zu ringen. Er war sichtbar bemüht, sich seiner Tränen, seiner Trauer, zu erwehren.
„Ich … Ich kann gar nicht oft genug betonen, wie leid es mir tut!“
Marco verstand noch immer nicht, wofür er glaubte sich entschuldigen zu müssen. Nun wollte er dieses Rätsel endlich lösen. Die Frage danach, was Hayate so sehr umtrieb, begann den eigentlich so ruhigen, gelassenen Mann regelrecht zu quälen. Doch bevor er seine anfängliche Frage erneuern konnte, begannen die Lippen des Schwertkämpfers sich wieder zu bewegen.
„Im Impel Down stand ich ihm gegenüber. Von Angesicht zu Angesicht … Teach. Ich wurde Zeuge seiner Kaltblütigkeit, seiner Skrupellosigkeit, seiner Kalkül. Ich sah, zu was er fähig war. Ich sah, zu was er werden könnte, wenn ihn niemand aufhalten würde. Ich hatte sie. Die Chance, all das zu verhindern. Ihn aufzuhalten. An Ort und Stelle. Doch ich nutzte sie nicht. Diese einmalige Möglichkeit, die sich mir offenbarte … Ich ließ sie verstreichen.“
Er hielt kurz inne, sein Schmerz drohte ihn zu überwältigen.
„Doch ich wusste es nicht. Ich wusste damals nicht, wen genau ich eigentlich vor mir hatte. Ich wusste damals nicht, was er plante. Wonach er strebte. Und was er, schon kurz darauf, tun würde. Dass er dafür verantwortlich war, dass Ace im Impel Down saß und hingerichtet werden sollte. Dass er derjenige war, der den Krieg zwischen der Marine und euch, den Whitebeardpiraten, provoziert hatte. Und dass er letztlich derjenige sein sollte, der Whitebeard tötet. Und nicht nur das, der euch alle sogar noch verdrängen und sich alles, was der alte Mann einst besessen hat, gewaltsam nehmen sollte. Ich wusste es nicht. Rückblickend betrachtet frage ich mich allerdings, ob ich es nicht irgendwie hätte erahnen müssen. Ich frage mich, ob es falsch war, dass ich zuallererst an die Sicherheit meiner Freunde, wie auch meine Eigene, gedacht habe. Die Frage danach, ob ich all das hätte verhindern können, wenn ich mich im Level 6 gegen ihn gewandt hätte, ihn bekämpft und getötet hätte, raubt mir den Schlaf. Wer weiß, vielleicht wäre dann alles anders gekommen“, übte sich Hayate in Reue und Gewissenskonflikten. Nun verstand Marco endlich, was seinen alten Freund quälte. Es waren die Selbstvorwürfe, die Gewissensbisse, die ihn umtrieben und plagten. Er gab sich selbst die Schuld für Ereignisse, auf die er keinerlei Einfluss hatte. Auf die er keinen Einfluss haben konnte. Wie auch? Und auch wenn er sich postwendend fragte, ob diese Reaktion angemessen erschien, so konnte er einfach nicht anders, als zu lachen. Und das aus voller Kehle. Hayate, sichtbar irritiert über das anhaltende Gelächter des blonden Mannes, wirkte verzweifelt. Unbeholfen. Er kannte Marco gut genug um zu wissen, dass dieser mitfühlend war. Dass er ihn niemals, für die Offenbarung seines Innersten, seiner größten Empfindungen und schwerwiegendsten Ängste, hämisch belächeln würde.
„Das klingt doch wieder ganz nach dir. Du hast dich wirklich kein bisschen verändert, Hayate“, stimmte Marco an.
„Du hattest schon immer einen Hang dazu die Probleme der ganzen Welt zu schultern. Dir jede beträchtliche Last aufzuerlegen und dich stets damit zu plagen, was du hättest besser oder anders machen können. Wie hättest du all das denn erahnen sollen? Du saßt im sichersten Gefängnis der Welt, vollkommen isoliert und abgeschnitten von der restlichen Welt. Woher hättest du wissen sollen, was vor sich ging? Und vor allem, woher hättest du wissen sollen, was noch passieren würde? Du bist, wie so oft, zu streng zu dir selbst. Deswegen glaub mir bitte, wenn ich dir sage, dass dich keine Schuld trifft“, fährt der Blonde fort, ehe er den letzten Rest der Sakeflasche gerecht auf die beiden Trinkschalen verteilte und den Schwertkämpfer fast schon aufforderte, seine Schale zu leeren.
„Ja, vielleicht wäre dann alles anders gekommen. Doch vielleicht wäre es auch noch schlimmer geworden, als ohnehin schon. Vielleicht hätten wir, neben Ace und Pops, den Tod eines weiteren Freundes zu beklagen gehabt. Teach hat das alles von langer Hand geplant. Er hat, und das 20 Jahre lang, stets gewusst, wie er seine größten Stärken, seine Skrupellosigkeit, seine Durchtriebenheit und seine Raffinesse, am effizientesten einzusetzen hat, um zu bekommen, was er will. Unser größter Fehler war es Teach zu unterschätzen. Das wissen wir nun. Und ich würde nur ungern in dem Wissen leben, dass dich derselbe Fehler dein Leben gekostet hätte. Es gibt für dich nichts zu bedauern.“
Hayate jedoch konnte nicht anders, haderte weiter mit sich selbst. Er konnte nicht aus seiner Haut heraus, behielt sich seine Zweifel darüber, ob er all das vielleicht doch hätte verhindern können. Und trotzdem erkannte er die Wahrheit, die in den Worten seines Freundes lag. Er wusste, dass er recht hatte. Er wusste, dass ihn keine Schuld traf. Das wusste er eigentlich auch schon, bevor Marco ihm dies zu erklären versuchte. Doch hinderte ihn seine, seiner Auffassung nach, größte Charakterschwäche daran, diesen Worten auch Glauben zu schenken. Zu akzeptieren, dass es Dinge gab, die einfach geschehen würden. Die unausweichlich waren. Auf die er keinen Einfluss haben konnte. Die er nicht vereiteln könnte. So sehr er es sich auch wünschen würde.
„Bist du in letzter Zeit eigentlich mal wieder Mihawk über den Weg gelaufen?“ riss Marco ihn letztlich aus seiner verworrenen Gedankenwelt. Und nun war er es, der sein Gelächter nicht zügeln konnte.
„Nein. Und da bin ich auch ganz froh drüber. Unsere erste, und bisher letzte, Begegnung vor etwas mehr als 15 Jahren hat mir gereicht“, erwiderte er, während er sich instinktiv unter seinen Kimono griff und die Stelle auf seiner Brust ertastete, an der sich eine von zwei tiefen Schnittnarben befand, die seinen Oberkörper zierten. Die andere, deutlich größere Narbe tuschierte er dabei ungewollt. Sie begann zu jucken, zu schmerzen.
Viele Meilen lagen nunmehr zwischen ihm und der brennenden Hauptstadt, doch den aufsteigenden Rauch konnte er noch immer deutlich am Horizont erspähen. Der Geruch von verbranntem Menschfleisch saß ihm immer noch in der Nase, war er doch an seinem verdreckten, mit Blutspritzen übersätem, Jackett haften geblieben. Sein Ziel hatte er jedoch so gut wie erreicht. Das kleine, nahezu unscheinbare Lager, dass sie in den kahlen Bergen des Landes bezogen hatten, war nun greifbar nahe. Ein paar einfache, dunkelgrüne Zelte. Mehr hatten sie nicht. Mehr brauchten sie auch nicht. Einige der Männer und Frauen, die dort stationiert waren, hatten ihn unlängst bemerkt. Sie grüßten ihn freundlich, während er sie passierte und schnurstracks auf das größte Zelt des Lagers zulief. Die Kommandozentrale seiner Einheit. Sein Kommandant wartete bereits auf ihn, wartete auf seinen Bericht. Wenngleich er, seit dem Zwischenfall, noch nicht mit ihm gesprochen hatte, so kannte er seinen befehlshabenden Offizier doch mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass es nichts gab, was ihm entgehen würde. Wahrscheinlich wusste er längst, was vorgefallen war. Was er getan hatte.
Das Mädchen in seinen Armen war noch immer bewusstlos. Allzu bald würde sie vermutlich auch nicht erwachen. Er übergab sie aber nicht einfach an einen seiner Kameraden, sondern betrat, gemeinsam mit ihr, das Zelt seines Kommandanten. Ohne zu zögern, ohne um Einlass zu bitten. Dort stand er. Über seinen Arbeitstisch gebeugt, auf der eine Landkarte ausgebreitet war. Auf dieser ruhten einige, kleinere Figuren, die unterschiedliche Farbmuster aufwiesen. Einige von ihnen waren rot, die anderen waren blau. Eine dritte, grüne Partei war deutlich unscheinbarer, weil sie zahlenmäßig weniger präsent war. Auffällig an seinem Befehlshaber war vor allem sein schwarzer Federmantel, sowie sein metallischer Schnabel, der seine komplette, untere Gesichtshälfte verdeckte. Fast schon beiläufig bemerkte Faol einen Raben auf der Schulter des Mannes, der sich mit dessen Körper zu verschmelzen schien. Der Kommandant, der ihm noch immer den Rücken zugewendet hatte, richtete einige Worte an den Wolfsmenschen. Worte, die er jedoch nicht verstehen konnte. Ein leises Nuscheln, das war alles, was er vernahm. Ein nahezu unaufhörliches Geflüster.
„Wie war das?“ fragte er den glatzköpfigen Mann fast schon argwöhnisch. Blitzartig wandte sich der Kommandant ihm zu. Dicke Venen traten an seiner Stirn hervor, sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich. Faol ließ sich davon jedoch nicht beirren und schritt zu dem einzigen Bett, das sich in dem Zelt befand. Es war nichts Außergewöhnliches oder Luxuriöses, aber vermutlich trotzdem das beste Lagerstatt, in dem das Mädchen jemals ruhen würde. Fast schon liebevoll legte er ihren kleinen, zerbrechlichen Körper auf die Matratze, ehe er sie zudeckte. Ihren Teddybären platzierte er direkt neben ihr. Ein vertrautes Gesicht würde ihr helfen, sich in dieser neuen Umgebung zurecht finden zu können. Die winzige Flamme einer Kerze, die auf dem kleinen Nachttisch neben der Bettkante brannte, löschte er, indem er sie mit seinem rechten Daumen und Zeigefinger erstickte. Sein Kommandant murmelte indes weiter vor sich hin. Faol verstand noch immer nichts von dem, was er in seine Maske hineinredete.
„Wie wär’s, wenn du deinen Lautsprecher einschalten würdest, Karasu? Vielleicht versteh ich dein Gemurmel dann auch“, fuhr der Wolfsmensch seinem Kommandanten ins unverständliche Wort, dessen fast schon boshafte Miene sich postwendend legte.
„Hab’s vergessen“, entgegnete dieser ihm nur trocken, nachdem er die Sprachfunktion seiner Maske aktiviert hatte.
„Wer ist das Mädchen?“ setzte er sofort nach.
„Keine Ahnung. Ich bin ihr heute zum ersten Mal begegnet. Sie war schon bewusstlos, als ich sie aufgelesen habe.“
„Willst du mir sagen, was passiert ist?“ hakte Karasu wissbegierig nach.
„Du weißt doch bereits, was vorgefallen ist“, entgegnete Faol ihm mit einer unterschwelligen Mischung aus Hohn und Ulk.
„Tue ich, aber ich möchte es gerne von dir hören“, erwiderte der Kommandant ihm wortkarg, ohne dessen Spott nähere Beachtung zu schenken. Schließlich war er von seinem besten Mann gar nichts anderes gewohnt.
So groß die Versuchung für diesen auch war, so schluckte er seinen Zynismus doch herunter und besann sich stattdessen darauf seinem Befehlshaber, so ausführlich wie möglich, zu schildern, was vorgefallen war. Er erzählte ihm, wie er die königliche Einheit durch die sterbende Hauptstadt begleitete. Wie sie eine kleine Gruppe von inhaftierten Rebellen vorfanden. Wie die Soldaten sie kaltblütig, an Ort und Stelle, hinrichten wollten. Ohne ihnen einen fairen Prozess zu zugestehen. Wie er versuchte sie daran zu hindern, mit seinen Worten jedoch auf taube Ohren stieß. Wie sie das Urteil infolgedessen vollstreckten. Und schlussendlich, wie das kleine Mädchen, das er seitdem behütete, die Soldaten um nichts weiter, als ein paar Brotkrumen gebeten hatte. Doch anstatt ihr in ihrer Notsituation zu helfen, reagierten sie mit Gewalt. Er erzählte Karasu, und das so detailliert wie er nur konnte, wie er die Soldaten daraufhin meuchelte. Wie er sie, einen nach dem anderen, kaltblütig abgeschlachtet hatte. Wie er sie regelrecht zerfetzt hatte. Er würde lügen, würde er behaupten er hätte das nicht genossen. Denn das hat er.
„Was soll jetzt aus ihr werden?“ fragte der Mann im schwarzen Mantel. Sichtbar besorgt um die Zukunft des kleinen, unschuldigen Mädchens.
„Was weiß denn ich? Hauptsache sie kommt alsbald raus aus diesem Drecksloch“, erwiderte der Wolfsmensch nur hörbar genervt. Doch auch wenn er es nicht zugab, sein Verhalten sprach für sich. Er sorgte sich um das Kind, wusste jedoch auch, dass ihr Leben von dem Moment an ein Besseres sein würde, in dem er ihren hilflosen Körper zugedeckt hatte. Die Revolutionsarmee würde sich von nun an um sie kümmern. Sie behüten, sie beschützen und, wenn sie es denn wollen würde, sie auch ausbilden.
„Und die Mission?“ hakte Karasu wissbegierig nach.
„Soweit bin ich nicht gekommen. Bevor sie mich zum Waffenlager führen konnten, hab ich sie wie die Tiere, die sie nun mal waren, ausgeräuchert“, entgegnete Faol, sich der Ironie seiner Worte bewusst, seinem Kommandanten, der nun Inbegriff war sich von ihm abzuwenden und sich wieder seinen strategischen Überlegungen zu widmen, die zuvor, durch das Eintreten des Minks, unterbrochen worden waren.
„Allerdings“, vernahm der Mann mit dem Stahlschnabel, was ihn ein letztes Mal aufhorchen ließ.
„Ich konnte Beweise sicherstellen, die Aufschluss über die bestehende Lieferkette geben“, fuhr er fort, während er seine Pfote in seine linke Hosentasche gleiten ließ. Er kramte ein winziges Stück Pergament hervor, faltete es auf und legte es auf den Arbeitstisch seines Kommandanten.
„Unser Verdacht hat sich bestätigt. Nicht nur die Rebellen werden vom Joker beliefert, auch die königliche Garde bezieht ihre Waffen von ihm. Unsere schlimmsten Befürchtungen haben sich damit bestätigt … Er strebt offenbar nach nichts Anderem, als nach Chaos. Anarchie und Verwüstung, das will er.“
Der wortkarge und sogleich gesprächige Karasu schwieg, während er eine Teleschnecke hervorholte.
„Einsatzbericht“, ertönte die bestimmte, doch zugleich frohsinnende Stimme ihres Vorgesetzten. Ein blonder Mann, dessen auffälligsten Merkmale die Narbe an seinem linken Auge, sowie das Rohr, das er mit sich führte, waren. Faol klärte ihn umfassend über seine gesammelten Erkenntnisse und Informationen auf. Spuren, die allesamt in eine einzige Richtung führten. Nach Dress Rosa. Dem Ort, von dem aus die Waffen in die verschiedenen Kriegsgebiete geliefert wurden.
„Das ist nun schon die vierte Insel innerhalb weniger Wochen, von der uns derartige Berichte erreichen. Damit sollte nun jeder Zweifel ausgeräumt sein, wir müssen die Lieferkette des Jokers dauerhaft unterbrechen. Direkt nach unserem Gespräch werde ich mich mit Dragon austauschen und ihn um eine Einsatzfreigabe bitten. Karasu, sorg dafür, dass sich die Lage auf Providence beruhigt. Ich betrachte dieses Problem als gelöst. Und Faol? Gute Arbeit. Ich erwarte dich zeitnah zurück auf Baltigo Island. Wenn ich nach Dress Rosa aufbreche, um die Waffenlieferungen von Don Quichotte de Flamingo endgültig zu stoppen und seine kriegstreiberischen Machenschaften zu beenden, möchte ich, dass du mich begleitest.“
Die eisige Kalte umarmte ihn. Gefangen in einem wilden Sturm, der ihm die Tränen in die Augen rieb, stiefelte er durch den tiefen Schnee, der ihm bis zu den Knien reichte. Immer weiter. Er blickte nicht zurück, nur nach vorne. In seinen Armen ein kleines, kreischendes Neugeborenes haltend, um das er eine dicke Wolldecke gewickelt hatte, damit es den niedrigen, unbarmherzigen Temperaturen nicht erliegen würde. Schon seit Monaten war er nun auf sich allein gestellt. Er wusste nicht, wo seine Kameraden hin entschwanden waren. Er wusste nicht, ob er sie jemals wiedersehen würde. Er wusste nicht, ob es überhaupt noch Grund zur Hoffnung gab. Verzweifelt klammerte er sich an die letzten Worte und Wünsche seiner Prinzessin. Die Frau, die ihm einst wieder einen Lebenssinn gegeben hatte. Die Frau, die ihm das Leben gerettet hatte. Die Frau, der er mehr schuldete, als er jemals zurückzahlen könnte.
Seine Beine zitterten, seine Gliedmaßen drohten zu erstarren. Und er spürte es. Er spürte, dass die Kälte ihn alsbald überwältigen würde. Lange würde er ihr nicht mehr standhalten können. Das wusste er. Doch er hielt durch. Er hielt solange durch, wie er nur konnte. Nicht mehr weit. Er kannte das Land nur allzu gut. Er wusste, dass sein Ziel greifbar nah war. Plötzlich breitete sich ein gewaltiger Schatten über ihm aus, verdeckte die letzten, winzigen Löcher in der ansonsten so dichten Wolkendecke. Kein einziger Sonnenstrahl erreichte ihn mehr, der letzte Funken der wohlwollenden Wärme war erloschen. Der eisige Frost wurde allgegenwärtig, drohte ihn zu verschlingen. Mit letzter Kraft blickte er zum Ursprung des geworfenen Schattens. Zu diesem gewaltigen und pompösen Fundament, deren Turmspitzen bis in die Wolkendecke ragten. Seine Sicht war beeinträchtigt, doch glaubte er ein gigantisches Steintor auszumachen, das in greifbarer Nähe erschien. So nah und doch so fern, denn ein tiefer Burggraben verhinderte sein weiteres Voranschreiten. Doch wusste er, dass er sein Ziel endlich erreicht hatte. Nach all den Monaten der Angst und der Verzweiflung. Monate des Kämpfens und des Davonlaufens. Endlich war er da, hatte die letzte Zuflucht, die ihm noch verblieb, nunmehr erreicht. Und er lächelte. Er lächelte, während es um ihn herum dunkel wurde. Immer dunkler. Seine Augenlieder schlossen sich, seine letzten Kräfte verließen ihn. Die Finsternis der Ungewissheit umgab ihn.
„Hilfe“, murmelte er leise vor sich her, bis er schließlich zusammenbrach. Instinktiv ließ er sich auf seinen Rücken fallen. Das Neugeborene ragte auf seiner muskulösen Brust, während er nur da lag. Bewusstlos. Der Schneefall wurde stärker. Würde niemand kommen, so würden sie beide unter einer dicken Schneedecke begraben werden. Und das Kind schrie. Aus voller Kehle. Unaufhörlich. Plötzlich ertönte ein leises Kettenrascheln. Die Tore der Burg öffneten sich. Eine Zugbrücke wurde heruntergelassen, wodurch der Burggraben passiert werden konnte. Einige Männer mit dicken Pelzmänteln stürmten aus der Burg heraus, um die Reisenden aufzulesen. Eine Frau führte die kleine Truppe an. Ihre Haut war so weiß wie der herabfallende Schnee, ihr schulterlanges Haar so stechend rot wie ein funkelnder Rubin. Die ominöse Frau trug eine auffällige Rüstung, die aus bläulichen Edelsteinen geschmiedet wurde. Eine eher ungewöhnliche Handwerksarbeit.
„Bringt sie ins Innere der Burg. Sorgt dafür, dass sie sich aufwärmen und zu Kräften kommen können. Sie sind die Zukunft unseres Landes.“
Kapitel 3: Einholende Vergangenheit
Er rannte. Rannte immer wieder. Mit jedem Schritt spritzten ihm vereinzelte Tropfen des Schlamms auf seine elegante, weiße Bekleidung. Doch das kümmerte ihn nicht. Er hatte eine Mission. Eine Mission, die nicht scheitern durfte. Er wollte gar nicht erst daran denken, was ihm blühen würde, würde er versagen. So glaubte er, dass er die Tage der Angst und der Beklemmung längst hinter sich gelassen hatte. Doch nun drohte ihn diese Zeit einmal mehr einzuholen. Panisch sah er sich um, versuchte ihre Spur in den engen, verwinkelten Gassen der Slums wiederzufinden. Doch erfolglos. Ihre Fährte hatte er längst verloren. Doch stehen blieb er nicht, er eilte weiter. Hoffnungslos. Hilflos. Seine Verzweiflung war das Einzige, was ihn noch auf den Beinen hielt und verhinderte, dass er zusammenbrach. Als er um eine weitere Häuserecke lugte und auch dieses Mal feststellen musste, dass von der Gesuchten jedwede Spur fehlte, erhielt er einen Anruf über seine Armbandteleschnecke, die sich an seinem linken Handgelenk befand.
„Ich höre“, sprach er mit zittriger Stimme in seinen Kommunikator.
„Sie sollten sofort zum Hafen kommen“, entgegnete ihm der Mann am anderen Ende der Leitung. Ohne zu zögern beendete er das Gespräch, verließ die verdreckten Seitenstraßen postwendend und eilte die einzige, größere Straße entlang, die dieser kleine Ort besaß. Schon aus der Ferne konnte er die stürmische See erblicken. Düstere Wolken verdeckten den klaren Himmel. Je näher er dem Meer kam, desto stärker peitschte ihm der Wind ins Gesicht. Schnell bemerkte er zwei weiße Gestalten, die am Hafen standen. Auf ihn wartend. Den Blick gen Norden gerichtet. Sowie er sie erreichte, tat er es ihnen gleich und bemerkte ein einzelnes Schiff auf offener See, das sich in die stürmische Nacht hinauswagte. Einer der Männer in weiß reichte ihm ein Fernglas. Er lugte hindurch und musste dabei erkennen, dass die Frau, nach der sie gefahndet hatten, sich an Bord des Schiffes befand. Das Ruder fest in der Hand befehligte sie eine Truppe von Tunichtguten, um dem erbarmungslosen Unwetter nicht augenblicklich zu erliegen.
„Scheiße“, murmelte der Truppenführer vor sich her.
„Was machen wir jetzt?“ warf nun jener Mann in die Runde, der ihm zuvor das Fernglas gereicht hatte.
„Wir haben wohl keine andere Wahl. Macht Meldung bei den 5 Weisen. Sagt ihnen, dass wir versagt haben. Kyra ist entkommen!“
Vereinzelte Blüten wirbelten durch die Lüfte, eine dichte Wolkendecke verdeckte den wärmenden Flammenkörper. Das Raunen des Donners, Blitze sausten in weiter Ferne vom Himmel herab. Ein Sturm zog auf. Doch dies hinderte die beiden Piraten, die sich einst bekämpft hatten, nicht daran weiterhin die Gesellschaft des jeweils Anderen in vollen Zügen zu genießen. Denn noch war das Unwetter meilenweit entfernt. Nichts, worüber sie sich Sorgen machen müssten.
Mittlerweile hatten sie bereits die zweite Sakeflasche geleert. Sichtbar angetrunken saßen sie eng umschlungen vor den Gräbern zweier großer Persönlichkeiten der Piraterie, stimmten ein Lied nach dem anderen an. Sie erzählten einander Geschichten aus früheren Tagen und lachten dabei aus voller Kehle. Doch die Zeit der heiteren Zweisamkeit sollte ein jähes Ende finden, als sie die Fußtritte dreier Personen vernahmen, die sich langsamen Schrittes auf sie zubewegten. Ihre eleganten, weißen Mäntel, die auf ihren Schultern thronten, wehten im Wind. Besonders auffällig an ihrer Uniformierung waren die goldenen Schulterplatten, sowie die große Aufschrift des Wortes Gerechtigkeit, das sich über ihren Rücken erstreckte.
Ein flüchtiger Schulterblick genügte dem beschwingten Schwertkämpfer, um zu realisieren, dass die Marine ihn schlussendlich gefunden hatte. Nach zwei Jahren, in denen er sich möglichst unauffällig verhalten und alles nur Erdenkliche unternommen hatte, um seine Spuren nach besten Kräften zu verwischen, hatten sie ihn nun doch ausfindig gemacht. Zu seiner Verwunderung konnte er zwei von ihnen jedoch identifizieren, teilte er mit ihnen doch einen wichtigen und einschneidenden Abschnitt in seinem Leben.
„Gweneth. Stellan. Ist ne Weile her. Wie kommt’s, dass ihr jetzt bei der Marine dient?“ fragte er den Mann, der über seine rechte Schulter ein Scharfschützengewehr trug, sowie die Frau im Bunde, die einen großen Vorschlaghammer mit sich führte. Eine Antwort erhielt er jedoch von keinem von ihnen. Stattdessen erhob sich Marco nunmehr von der Wiese, was Hayate einen Hauch von Verwunderung ins Gesicht trieb.
„Ich lass euch dann mal allein. Sieht so aus, als hättet ihr einiges zu besprechen“, ließ er seinen Bekannten aus alten Tagen unmissverständlich wissen, dass er offenbar schon länger gewusst hatte, dass die Marine vor Ort war. Mehr noch, dass sie dort war, weil sie nach Hayate gesucht hatte. Bei dem Gedanken daran, dass die rechte Hand des einstigen, stärksten Piraten der Welt ihm dies vorenthalten hatte, ihn womöglich sogar eine Falle gestellt hatte, konnte er sich ein flüchtiges Schmunzeln nicht verkneifen. Und einmal mehr keimten Erinnerungen aus besseren Zeiten in ihm auf. Zeiten, in denen sie sich gegenseitig bekriegten. Zeiten, in denen sie einander jedoch auch zu achten und zu schätzen gelernt hatten. Eine respektvolle Rivalität war es, die sie zueinander pflegten. Schnell wurde ihm klar, dass er sich um die Marine keine Sorgen machen musste. Dass hinter alledem mehr stecken würde, als es zunächst noch schien. Und dass er unweit davon entfernt war, den Anlass für ihr Treffen zu ergründen.
Flüchtig wanderte sein Blick zum blonden Mann, der angetrunken davon torkelte. Seine Sicht wurde ihm jedoch von dem einzigen der drei Offiziere unlängst verdeckt, dessen Gesicht und Name ihm unbekannt war. Auffällig war die große Schnittnarbe, die über seine gesamte, linke Gesichtshälfte verlief.
„Und wer bist du?“
„Mein Name ist Brios. So wie Stellan und Gweneth stamme auch ich von Midgard. Und ich kann dir gar nicht sagen wie froh ich bin dich endlich gefunden zu haben, Hayate“, entgegnete sein Gegenüber ihm, während der Schwertkämpfer nur verdutzt auf den Grund der leeren Sakeflasche blickte, die neben ihm auf der grünen Wiese stand.
„So’n Mist, der Sake ist leer“, waren die einzigen Worte, die nach ewigerscheinenden Sekunden über seine Lippen kamen. Fast schon verzweifelt sah er sich um. In der stillen Hoffnung, dass Marco eine dritte Flasche für ihn dagelassen hätte. Doch dem war nicht so. Als sein Blick zu jener Stelle wanderte, an der zuvor noch der ehemalige Pirat gesessen hatte, erspähte er dort nun eben jenen Marineoffizier, der schon beinahe hilflos bemüht war ihn in ein Gespräch zu verwickeln.
„Ich bitte dich, hör mich an!“ sprach er nun mit bestimmter Stimme. Und es zeigte Wirkung. Hayate’s Augen wichen nicht mehr von ihm ab. Sein Ausdruck war so intensiv, so konzentriert, dass Brios ein leichtes Unbehagen in seiner Magengegend verspürte.
„Also, seid ihr hier, um das Kopfgeld zu kassieren, das auf meinen Kopf ausgesetzt ist? Denn das wird nicht leicht werden. Für keinen von uns“, erwiderte Hayate ihm nun mit ähnlich prägnanter Tonlage, die auch der Offizier zuvor gewählt hatte.
„Nein, deshalb sind wir nicht hier.“
„Was wollt ihr dann von mir?“
Brios atmete einmal tief ein und aus. Er musste sich sammeln, denn er wusste, dass von dem Gespräch, das er nun führen sollte, mehr abhing, als ihm lieb war. Er hatte nur diese eine Chance, um den Mann, nach dem sie so viele Jahre gesucht hatten, von ihrem Vorhaben zu überzeugen.
„Wir haben wirklich sehr lange nach dir gesucht. Zu lange. 16 Jahre. Und immer wenn wir glaubten, dir endlich auf der Spur zu sein, warst du wieder verschwunden. Wie ein Geist“, begann er zu erzählen, wurde jedoch postwendend von seinem Gegenüber unterbrochen.
„Liegt an der Ausbildung. Solche Marotten legt man nur schwer ab.“
„Vor zwei Jahren ereilte uns dann die Nachricht, dass man dich geschnappt und ins Impel Down gesperrt hätte. Dich und zwei deiner Komplizen“, fuhr Brios, unwissend darüber, worauf der bärtige Pirat zuvor angespielt hatte, unbehelligt fort, als der Schwertkämpfer ihm jedoch ein weiteres Mal ins Wort fiel.
„Da ist euch Aokiji wohl zuvorgekommen. Oder bevorzugt er mittlerweile wieder Kuzan? Die Notwendigkeit der Admiralitätsnamen hat mich schon immer zutiefst irritiert.“
„Wir standen kurz davor jede Hoffnung zu verlieren, da erreichte uns die Mitteilung, dass es einen Massenausbruch im Impel Down gegeben hat. Zunächst hatte ich nur die leise, unausgesprochene Vermutung, dass auch du zu jenen gezählt hast, die entkommen konnten. Ein paar Tage später bestätigte mir eine meiner gut platzierten Quellen diesen Verdacht jedoch. Wir schöpften neue Hoffnung“, setzte Brios seine ausschweifenden Ausführungen fort, wohingegen die Geduld seines Gegenübers mittlerweile wie ein dünner Faden zu reißen begann.
„Komm endlich auf den Punkt. Wie habt ihr mich gefunden? Wieso habt ihr nach mir gesucht? Und was verflucht wollt ihr von mir?“ fuhr er den Marineoffizier beinahe schon aggressiv an. Gefrustet darüber, dass er sich überhaupt mit einem der Männer in weiß und blau unterhielt, aber ebenso verdrießt darüber, dass er schon seit fast zehn Minuten keinen Schluck des köstlichen Sake mehr genossen hatte.
Brios, dem die Entnervung und Anspannung derweil praktisch ins Gesicht geschrieben stand, wich ein kurzer Seufzer über die Lippen, der dem Schwertkämpfer mehr als nur eindeutig zu verstehen gab, wie anstrengend das bisherige Gespräch für ihn doch gewesen war. Er hatte sich lange darauf vorbereitet, hatte sich vorab mehrfach überlegt, was er ihm sagen wollen würde, wenn er ihn dann endlich gefunden hätte, doch musste er nunmehr erkennen, dass Hayate nicht im Mindesten der war, für den er ihn nach all dem, was man erzählt hatte, hielt.
„Wir wissen, dass du vor einigen Jahren beim heutigen Piratenkaiser Rothaar Shanks angeheuert hattest. Wir haben alle gesehen, was er vor zwei Jahren beim Krieg zwischen der Marine und den Whitebeardpiraten getan hat. Wir wissen um die Beziehung, die er zu Marco pflegt. Wir hatten damit also berechtigten Grund zur Annahme, dass dich dein Weg, früher oder später, hierher verschlagen würde, um den beiden Verstorbenen ebenso deinen Respekt zu erweisen.“
„Gut kombiniert.“
„Einer meiner Informanten setzte mich letztlich darüber in Kenntnis, dass du hierher unterwegs seist. So kamen auch wir bereits vor drei Tagen hier an“, beendete Brios seine Erklärungen, was Hayate doch ein leichtes Räuspern abverlangte.
„Versteh ich dich da richtig, Marco hat euch erlaubt auf dem letzten Erbe seines verstorbenen Kapitäns zu verweilen, bis ich hier aufkreuze? Er wusste davon?“
Er kannte die Antwort auf diese Frage bereits, war aber dennoch gespannt auf die Reaktion, die man ihm erwidern würde. Doch statt ihm mit Worten zu antworten, nickte der Marineoffizier mit dem vernarbten Gesicht ihm nur zustimmend zu. Ein flüchtiger Blick zu den anderen beiden offenbarte ihm, dass sie ihm dieselbe Geste entgegenbrachten.
„Dieser Mistkerl“, murmelte der Schwertkämpfer leise vor sich her, als er plötzlich die Sakeflasche erblickte, die Brios ihm zu reichen versuchte. Sie war voll. Ein flüchtiges Grinsen wich ihm über seine Lippen, so wusste er sofort, dass die Flasche von Marco war, denn er muss geahnt haben, dass der bärtige Pirat erbost auf diese Erkenntnis reagieren würde. So wusste er jedoch auch, wie man ihn beschwichtigen konnte. Eine der vielen Sprachen, die er verstand, war die des Alkoholismus.
„Jetzt interessiert mich aber doch, wie ihr ihn dazu gebracht habt euch den Aufenthalt hier zu gewähren“, setzte Hayate nach, nachdem er sich einen großen Schluck direkt aus der Flasche genehmigt hatte.
„Wir haben ihm die Situation erklärt. Wir sind nicht im Auftrag der Marine hier. Offiziell machen wir zwar Jagd auf dich, doch inoffiziell verfolgen wir ein ganz anderes Ziel. Eines, das unweigerlich dazu führen wird, dass man uns unseren Titel aberkennen wird. Solltest du in unser Vorhaben einwilligen, würdest nicht mehr nur du gesucht werden. Auch unsere Gesichter würden auf der Fahndungsliste landen. Wir würden kriminell werden“, erklärte der vernarbte Mann, während der Schwertkämpfer die Flasche erneut angesetzt hatte. Zwei Schlücke später musste er erschreckend feststellen, dass er den Sake bereits zur Hälfte geleert hatte. Und allmählich begann der Alkohol seine volle Wirkung zu entfalten. Seine Wangen färbten sich rötlich, er begann zu hicksen.
„Muss ich’s echt schon wieder sagen? Komm auf den Punkt!“
„Flaith schickt uns“, sprudelte es plötzlich aus Gweneth heraus, die sich aus dem Anwerbungsversuch bislang doch vollständig herausgehalten hatte. Die Heiterkeit, die Unbekümmertheit, die Sorgenlosigkeit. Alles verblasste. Der Klang ihres Namens allein reichte, um den Schwertkämpfer von seiner Trunkenheit zu befreien. Es genügte, um seine Sinne zu schärfen. Es war ein Name, den er schon seit etlichen Jahren nicht mehr gehört hatte. Doch er blieb unvergessen. Die Gefühle, die er mit ihrem Namen verband, lösten wechselhafte Emotionen in ihm aus. Glückseligkeit, Trauer, Wut, Zuneigung. Er assoziierte so viel damit, dass er sogleich nüchtern wurde.
„Flaith … Wie lange ist das jetzt schon her? 16 Jahre?“
„17 Jahre“, korrigierte Stellan ihn nur mit derselben, wortkargen Art, die Hayate von ihm kannte.
„Und wie geht es ihr?“
Raunende Stille kehrte ein. Bedrückt blickte ein jeder der Marineoffiziere hinab auf das wuchernde Gras. Eine Antwort blieben sie ihm schuldig, doch die brauchte es auch nicht. Er wusste es bereits. Ihre Reaktionen ließen keinen Raum für andersartige Rückschlüsse offen. Ohne es selbst zu bemerken, zersplitterte die Sakeflasche in seiner Hand. Vereinzelte Scherben bohrten sich in seinen Unterarm. Schmerzen verspürte er keine, als das austretende Blut die grüne Wiese in einen schimmernden Rotton erstrahlen ließ. Er war wie betäubt.
„Wie ist sie gestorben?“ hakte er schlussendlich nach.
„Sie gebar ein Kind. Ein Mädchen. Sie erlag einem hohen Blutverlust. Sie starb einen natürlichen Tod. Ohne Bedauern, doch mit einem letzten Wunsch, den wir ihr versprachen zu erfüllen. Egal wie lange es auch dauern würde“, erklärte Gweneth dem Schwertkämpfer, der nun endlich realisierte, dass er eine Wunde am Handgelenk hatte, die er dringend behandeln lassen müsste. Fürs Erste genügte es ihm die Verletzung mit seiner anderen Hand abzudrücken. Für alles Weitere würde er später Marco konsultieren.
„Ihr letzter Wunsch?“ brach es unwillkürlich aus Hayate heraus.
„Du warst ihr letzter Wunsch. Ihr letzter Wunsch war es, dass du zurückkehren müsstest. Zurück nach Midgard. Sie war davon überzeugt, dass das Land dich mehr denn je brauchen würde“, weihte Brios ihn schlussendlich in die letzten Worte ein, die je über die Lippen ihrer geliebten Prinzessin kommen sollten. Hayate verschlug es die Sprache. In jedem anderen Fall hätte er sofort mit einem weiteren sarkastischen oder zynischen Spruch versucht die Stimmung aufzulockern, doch nicht dieses Mal. Dafür ging ihm die Botschaft, die die drei Offiziere an ihn richteten, viel zu nahe. Er mag nicht viel Zeit auf Midgard verbracht haben, und hatte noch weniger Momente in der Gesellschaft der gutherzigen Flaith genießen können, und doch traf ihn diese Nachricht wie ein Blitzschlag. Vollkommen unvorbereitet. Vollkommen unvermittelt. Fast noch schlimmer als die Erkenntnis, dass der Tod sie unlängst heimgesucht hatte, war jedoch das Wissen darüber, dass dies schon beinahe zwei Jahrzehnte zurücklag. Und er es nicht wusste. Wenngleich er letzthin erkennen musste, dass schlimme Dinge manchmal einfach passieren würden und er nichts dagegen tun konnte, so quälte es ihn dennoch. Doch es war weniger der Gedanke daran, dass er solange nichts davon gewusst hatte, der ihn beschäftigte. Es war vielmehr der Umstand, dass er es nicht einmal geahnt hatte. Dass er sich nie bemüht hatte mit ihr in Kontakt zu treten, nachdem sich ihre Wege einst getrennt hatten. Dass er mit diesem Abschnitt seines Lebens rigoros abgeschlossen hatte. Ohne auch nur ein einziges Mal zurückzublicken.
„Ich verstehe nicht. Ich … ich bin nicht von Midgard. Ich war damals auch nur knapp sechs Monate dort. Wieso also ich?“ kam es ungläubig und sintflutartig aus ihm heraus.
„Weil sie dir vertraut hat“, setzte Brios schlagartig an. Hayate horchte auf, ihre Blicke trafen sich, wodurch der Marineoffizier überdeutlich die innere Zerrissenheit erspähen konnte, die seinen Gegenüber plagte und zu zermartern drohte.
„Es geht nicht um die Dauer, die du dort verweilt hast. Es geht um den Einfluss, den du in dieser Zeit auf das Land und die Menschen gehabt hast. Und der war immens. Ich kann das zwar nicht selbst beurteilen, da ich damals bereits bei der Marine diente, doch in den wenigen Tagen, die ich mit unserer Prinzessin noch verbringen durfte, wurde sie nie müde das zu betonen. Sie hielt große Stücke auf dich. Auf dich und dein Urteilsvermögen. Das reichte mir persönlich vollkommen, um ein Drittel meines Lebens mit der Suche nach dir zu verbringen. Weil wir ihr alles zu verdanken haben, was wir heute sind“, gab der vernarbte Mann ihm unmissverständlich zu erklären.
„Und ihr glaubt wirklich, dass ich euch jetzt noch bei dem helfen kann, was euch umtreibt? Nach all den Jahren, die seitdem vergangen sind?“ tat Hayate seine Zweifel kund.
„Ich weiß über den Disput zwischen Midgard und der Weltregierung Bescheid. Ich weiß, dass dieser Konflikt nie vollends geschlichtet werden konnte. Geht es darum? Versucht die Weltregierung noch immer euch eure Ländereien und Ressourcen streitig zu machen?“
Eine Frage, die ihm der hochrangige Marineoffizier jedoch nur mit einem Kopfschütteln verneinte.
„Die Weltregierung hält sich nun schon seit vielen Jahren zurück. Darum geht es nicht. Das Problem liegt woanders. Es ist von deutlich persönlicherem Interesse. Es geht um das Kind. Wir wissen zwar aus zuverlässiger Quelle, dass das Mädchen wohlauf ist, doch die Gefahr für sie ist allgegenwärtig. Hätte sich die Lage unlängst verschlimmert, dann wüssten wir davon. Dann wären wir jetzt nicht hier, sondern bereits wieder in Midgard“, entgegnete Brios ihm, als er sich erhob und seinen Blick gen Himmel schwanken ließ. Vereinzelte Regentropfen entflohen nunmehr der dichten und düsteren Wolkendecke. Der Sturm kam näher. Er schloss die Augen und genoss das Gefühl der prasselnden Tropfen auf seiner Haut.
„Es ist unsere Pflicht ihre Tochter zu beschützen und ihr den Weg zu ebnen. Es liegt nun an uns sie auf das Leben als Königin vorzubereiten. Doch wenn wir das erreichen wollen, dann brauchen wir deine Hilfe.“
Missgünstig blickte er auf den Schwertkämpfer hinab, dessen Kleidung und Haar inzwischen vom Regen durchnässt war. Er, der sein Leben im Exil in vollen Zügen zu genießen gewusst hatte und nie damit gerechnet hätte, dass ihn seine Vergangenheit jemals wieder einholen würde. Der seinen Frieden mit der Welt, und unlängst auch mit sich selbst, geschlossen hatte. Er hatte keinerlei Interesse daran sich einmal mehr in die Probleme anderer Leute verwickeln zu lassen. Er hatte kein Interesse daran sich mit ermüdender Politik und archaischen Gebräuchen zu befassen. Doch so sehr er sich auch sträubte, so sehr er auch mit sich selbst haderte, so sehr wusste er doch auch, dass er das Gesuch dieser Gruppe nicht ablehnen würde. Dass er es nicht ablehnen konnte. Er schuldete weder ihnen, noch Flaith, noch Midgard auch nur irgendetwas. Ihn traf keinerlei Verantwortung, keinerlei Verpflichtung. Der Impuls zu handeln und für jene einzustehen, denen er sich verbunden fühlte, war jedoch ein Empfinden, das ihn noch immer vorantrieb. Dass ihn ausmachte. Dass er nicht so einfach ablegen konnte. So erhob er sich und reichte dem vernarbten Mann seine Hand. Dieser blickte zunächst verwundert hinab auf die blutverschmierte Handfläche, hatte er doch erwartet noch deutlich mehr Überzeugungsarbeit leisten zu müssen. Doch als er erkannte, dass dem nicht so war, huschte ihm ein unfreiwilliges und kurzweiliges Lächeln über die Lippen, ehe er den Handschlag erwiderte.
„Unter einer Bedingung“, lauteten die erklingenden Worte, die Brios unverhofft aus seiner Gedankenwelt rissen. Worte, deren kraftvolle Wirkung durch die physische Stärke des Schwertkämpfers untermauert wurden, der den Handschlag unlängst genutzt hatte, um den Offizier näher zu sich heranzuziehen. Eine beinahe unscheinbare Geste, die beim Marinesoldaten jedoch nachträglichen Eindruck hinterließ.
„Mein Team wird uns begleiten!“
Kapitel 4: Spektakuläre Neuigkeiten
Er salutierte. Den linken Arm eng an den Oberkörper angelehnt, die rechte Hand an seine Stirn haltend, während er seinen Rücken gerade durchstreckte. Die Maske hatte er abgelegt, die war bei einer Audienz mit der höchsten Autorität nicht nötig. Die Wände des Raumes erstrahlten in einem ähnlichen, schimmernden Weißton, wie seine Kleidung. Die großen Fenster erinnerten ihn an die Kirche. Sie erinnerten ihn an eine Zeit, in der er jene Gemäuer regelmäßig besucht hatte. Er war nicht gläubig, er war nicht religiös. Was er einst ersucht hatte, war Vergebung. Absolution. Ein Geschenk, das ihm jedoch stets verwehrt blieb. Selbst nachdem die Priester ihn von seinen Sünden freigesprochen hatten, verharrte das Gefühl der Ungläubigkeit. Das Gefühl, als hätte er kein Anrecht auf einen Freispruch seiner Verfehlungen.
Nun stand er hier, im Raum der Autoritäten, und stand den fünf mächtigsten Männern der Welt gegenüber. Menschen waren es keine, es waren Götter. Weltaristokraten. Himmelsdrachen, die jedoch noch weit über den anderen Mitgliedern dieses Adelsgeschlecht standen. Sie leiteten die Geschicke der Welt, sie waren die höchste Instanz der Welt. Die Ehrfurcht, die er diesen Männern entgegenbrachte, durchströmte ihn. So sehr, dass seine Beine leicht zu zittern begannen, als er bemerkte, wie sie ihn mit ihren strafenden Blicken regelrecht durchbohrten. Sein Katana folgte ihm in seiner unkontrollierten Bewegung. Das Rasseln der schlotternden, rotfarbigen Schwertscheide hallte in dem hellhörigen Raum wider.
„Einsatzbericht“, forderte ihn der Jüngste der Fünf Weisen nunmehr auf. Der Atem stockte ihm, sein Hals trocknete aus. Vereinzelte Schweißperlen liefen ihm über seine Stirn.
„Prinzessin Kyra ist uns entkommen. Sie hat uns getäuscht. Sie hat einen Moment der Unachtsamkeit ausgenutzt, um zu flüchten“, erklärte der Mann in weiß schließlich. Seine stramme Haltung behielt er dabei stets bei.
„Du wurdest trainiert, um keine Unachtsamkeiten zu zulassen“, erwiderte ihm der Aristokrat, der ein Katana mit sich führte, mit ruhiger, aber zugleich bestimmter Stimme. Demütig blickte der Agent zu Boden. Die Anspannung seiner Gliedmaßen löste sich. Er fiel auf die Knie, den Kopf noch immer gesenkt.
„Vergebt mir.“
„Du weißt, welche Bestrafung auf Versagen steht, Junichiro. Dir soll vergeben werden, sowie du sie empfangen hast“, entgegnete ihm daraufhin der Politiker, dessen auffälligstes Merkmal das markante Feuermal war, das seine Stirn zierte. Seine Augen weiteten sich. Die Furcht vor dem, was folgen sollte, plagte ihn. Quälende Erinnerungen wurden wachgerüttelt. Düstere Bilder füllten seine Gedankenwelt. Ein kurzes Aufblitzen, mehr war es nicht. Doch es genügte, um ihn in eine kurzweilige Schockstarre zu versetzen. In den vergangenen fünfzehn Jahren war seine Bilanz absolut makellos gewesen. Nie hatte er versagt. So verfiel er in dem Irrglauben, dass er das düsterste Kapitel seines Lebens einst endgültig geschlossen hatte. Doch war dies der Moment, der ihn erkennen ließ, dass die Vergangenheit einen immer einholen konnte. Er erkannte, dass sich jede kleine Unaufmerksamkeit rächen könnte. So sehr er sich auch windete, so war er doch bereit die Strafe zu empfangen, die die mächtigsten Männer der Welt für ihn bestimmen sollten. Schließlich war es der Schmerz, der ihn zu dem Mann gemacht hatte, der nunmehr vor ihnen kniete. Zu einer Waffe, die willens und fähig war jedwedes Urteil der Götter zu vollstrecken. Die Pein, die er sogleich erfahren sollte, würde ihn nur noch besser machen. Noch stärker. Makellos, das wollte er sein. An dieser Hoffnung klammerte er sich fest. Dieser Lichtblick war es, der seine Gedankenwelt erhellte und ihn durchhalten ließ. Das war es, was ihm Halt gab und verhinderte, dass der sich anbahnende Schock ihn übermannen und überwältigen konnte.
„Begib dich umgehend in den Roten Raum“, wies ihn der Aristokrat an, der einen Wurzelstock mit sich führte. Aus seinen Gedanken gerissen, erhob sich der Agent postwendend, nahm Haltung an und verbeugte sich vor der höchsten Instanz der Welt. Dann kehrte er ihnen den Rücken und verließ ihre Räumlichkeiten wieder.
Den Flur entlanglaufend kreisten seine Gedanken weiterhin nur um die Strafe, die er sogleich zu spüren bekommen sollte. Viel Zeit zum Grübeln blieb ihm jedoch nicht, da sich das Zimmer, in dem er sich einfinden sollte, nur zwei Türen weiter zum Raum der Autoritäten befand. Mit zittriger Hand griff er zur Türklinke und drückte sie, nach kurzem Zögern, schließlich hinunter. Er betrat das unscheinbare Zimmer. Auch dieses erstrahlte in einem glänzenden Weißton, Fenster gab es jedoch keine. Die einzige Lichtquelle waren vereinzelte, im Raum verteilte Kerzen, deren kleine Flammen vor sich hin flackerten. Er atmete einmal kurz durch, als er die zwei Pfähle erspäht hatte, die inmitten des Zimmers montiert waren. Ein Moment der Ruhe, der absoluten Stille. Ein Moment, der ihm dazu verhalf seine Angst, hervorgerufen durch seine plagenden Erinnerungen, für kurze Zeit zu verdrängen und das Unausweichliche zu empfangen. Der Mann lockerte seine Krawatte, legte seinen weißen Mantel ab und hing diesen knitterfrei am Kleiderständer auf, der sich rechts neben dem Eingang befand. Dem folgten augenblicklich Hemd und Binder. Langsamen Schrittes bewegte er sich auf die Eisenstangen zu. Sowie er sie erreicht hatte, kniete er vor ihnen nieder. Der Agent legte seine Handgelenke an das jeweils äußere Geländer an. Die Kälte des Eisens sorgte bei ihm für eine kurzweilige Gänsehaut, als sich die Tür des Raums ein zweites Mal öffnete. Mit dem Rücken zum Eingang gerichtet konnte er denjenigen zwar nicht erblicken, doch sein schwerer Gang, sowie die lauten Schritte, die seinen Weg begleiteten, ließen ihn an einen grimmigen, muskulösen Mann denken, dessen einziger Lebensinhalt die Tortur anderer Menschen war. Gedanklich abschweifend bemerkte er zunächst nicht, wie jene Gestalt seine Handgelenke inzwischen mit Seesteinhandschellen an die Eisenstangen festgekettet hatte. Dann vernahm er ein eigenartiges Schlackern. Das Patschen eines Folterinstruments, das ihm nur allzu sehr vertraut war. Der Schmerz, der ihn nur einen Augenblick später ereilen sollte, bestätigte seinen Verdacht. Mit einer gewaltigen Kraft regnete die Peitsche auf seinen entblößten, vernarbten Rücken nieder. Einzelne Bluttropfen flogen durch die Luft, abgeriebene Haut löste sich und fiel auf den kalten Fließboden hinab. Er biss die Zähne zusammen, bereitete sich innerlich auf die nächsten Hiebe vor, die sogleich folgen sollten. Ein zweites Mal. Ein drittes Mal. Ein viertes Mal. Wieder und wieder schlug der Folterknecht auf ihn ein. Wieder und wieder prasselte die Peitsche auf ihn nieder, zerfetzte seinen hinteren Oberkörper. Der Schmerz war unerträglich. Junichiro biss sich auf die Lippen, bis auch sie zu bluten begannen. Verzweifelt versuchte er den Schmerz auszuhalten, ihn zu unterdrücken. Der siebte Hieb jedoch sorgte für ein unkontrolliertes Ausbrechen seiner Stimme. Ein leidvoller Schrei verließ seine Lippen und bahnte sich seinen Weg durch das gesamte Stockwerk des Schlosses Pangaea. In sämtlichen Fluren und Zimmern hallte seine Stimme wider. So auch im Raum der Autoritäten, in dem die Fünf Weisen noch immer verweilten. Sie hörten seine Qualen. Sie spürten sie. Doch sie verzogen keine Miene. Weder Scham, noch Mitgefühl war ihnen anzusehen. Gleichgültigkeit war es, die sie verspürten.
Das unaufhörliche Klingeln von mehreren Dutzend Teleschnecken. Das flinke Tippen auf den Tasten der unzähligen Schreibmaschinen. Ein offenes Büro, in dem etwa zwanzig Reporter und Journalisten ihrer Arbeit nachgingen. Ein unablässiger Informationsfluss, der postwendend zu Papier gebracht wurde. Ein hektischer Tag, der die vielen Mitarbeiter allerdings kaum belastete, da es für sie zu ihrem Alltag gehörte. Sie kannten es nicht anders. Als sie sich für ihren Beruf entschieden hatten, wussten sie, was sie erwartete. Denn die Welt stand nicht still. In jener Zeit noch weniger denn je. Sie drehte sich fortwährend weiter. Und das schneller denn je. Die Nachrichten überschlugen sich. So hatte man erst vor wenigen Tagen die Information erhalten, dass Strohhut Ruffy zurückgekehrt sei. Ein Auszug des Artikels verzierte eine der Wände der Räumlichkeiten.
Vor dem eingerahmten Artikel stand ein Mann in Vogelgestalt. Weißes Gefieder, große Flügel, die er wie Hände zu nutzen wusste. In seiner rechten Hand hielt er eine Tasse Kaffee, während er die Arbeit seiner Mitarbeiter überblickte. Es schien ein Tag wie jeder andere zu sein, als plötzlich die Bürotür aus den Angeln gehoben wurde. Mit enormer Wucht wurde sie in den Raum geschleudert, wo sie letztlich zum Erliegen kam. Mit einem blutenden Mann im feinen Zwirn, der auf dem zersplitterten Holz lag. Seine Atmung fiel schwer, er war kurz davor sein Bewusstsein zu verlieren. Mit einem Mal wurde es ruhig, das Abtippen von Buchstaben stoppte. Sämtliche Reporter hielten inne, blickten mit einer Mischung aus Sorge und Neugier zum aufgesprengten Eingang. Das Einzige, was noch zu hören war, war das Klingeln der vielen Teleschnecken. Anrufe, die alsbald jedoch niemand entgegennehmen sollte.
„Was hat das zu bedeuten?“ polterte nunmehr der Präsident der Weltwirtschaftszeitung drauf los, als er langsame und gemächliche Schritte vernahm. Zwei Personen betraten schließlich den Raum. Einer von ihnen war komplett in weiß gekleidet. Er hatte überdurchschnittlich lange Beine. Dadurch war er gezwungen seinen Oberkörper permanent nach vorne zu beugen, da er schlichtweg zu groß war, um das Büro andersartig zu betreten. Sein Gesicht wurde durch eine obskure, blaue Maske verdeckt. Die zweite Person dagegen hielt nichts von Geheimniskrämerei. Eine Maske trug sie nicht, ihr Gesicht war klar zu erkennen. Sie hatte himmelblaue Augen und trug ihr prachtvolles, blondes Haar hinten hochgesteckt, während es vorne geflochten war. Sie trug eine schwarze Lederrüstung und einen weißen Pelzmantel, der auf ihren Schultern thronte. Über ihrem Rücken hatte sie einen grünen Schild mit auffälligen Verzierungen gebunden, während sich an ihrer Taille eine Streitaxt befand. Auf ihrer rechten Schulter saß indes eine kleine, weiße Eule.
„Ich hab schon viel von dir gehört. CP0-Agentin Lagertha“, beantwortete sich Morgans seine zuvor gestellte Frage nunmehr selbst, nachdem der Langbeinmensch den niedergeschlagenen Reporter am Kragen gepackt hatte und quer durch den Raum schliff. Bis er nah genug war, um dem Präsidenten seinen blutverschmierten Körper vor die Füße zu werfen.
„Erzähl’s ihm“, wies die blonde Frau den Journalisten an. In ihren Händen hielt sie derweil ein angebrochenes Brot, aus dem sie ein weiteres Stück herausbrach, um damit die Eule, die still auf ihrer Schulter thronte, zu füttern. Mit letzter Kraft richtete sich der angegriffene Reporter auf und blickte so seinem Chef direkt in die Augen.
„Eine unserer Quellen hat Ihre Theorie endlich bestätigt, Präsident. Vor zwei Jahren sind offenbar mehr Gefangene aus dem Level 6 des Impel Downs entkommen, als bisher offiziell bekannt gegeben wurde. Einer unserer Informanten berichtete mir, dass der Ex-Rothaarpirat Hayate sich vor wenigen Tagen mit Marco, dem Phoenix, getroffen hat. Mehr noch, anscheinend hat kurz darauf ein Treffen zwischen ihm und drei hochrangigen Mitgliedern der Marine stattgefunden. Wie es scheint haben sie ihn jedoch nicht verhaftet, sondern haben sie ihn rekrutiert. Offenbar planen sie mit ihm gemeinsam zu praktizieren. Wieso wusste mein Informant allerdings nicht“, führte der schwerverletzte Journalist aus, ehe er den rechten Fuß des Langbeinmenschen auf den Hinterkopf gedrückt bekam, welcher genügend Kraft aufbrachte, um das Gesicht des Reporters gewaltsam auf den kalten Fließboden zu dreschen. Er fiel sofort in Ohnmacht. Morgans jedoch scherte das nicht. Von seiner Sorte hatte er schließlich mehr als genug. Stattdessen funkelten seine Augen lichterloh.
„Kuwahahaha, das sind ja spektakuläre Neuigkeiten! Ein Ex-Mitglied der Rothaarpiraten korrespondiert mit dem ehemaligen Kommandanten der ersten Division der Whitebeardpiraten? Eine machtvolle Verbindung, die das Gleichgewicht der Dreimacht ins Wanken bringen könnte!“
Indes wanderte die Hand der Schildmaid zum Griff ihrer Streitaxt. Weiteres Blutvergießen wollte sie zwar vermeiden, doch wenn sie dazu gezwungen werden würde, würde sie nicht zögern sogar den Präsidenten der Weltwirtschaftszeitung niederzustrecken. Dieser bemerkte ihr missgünstiges Verhalten, was ihn umgehend aus seinem Tagtraum der sich anbahnenden Schlagzeile herausriss.
„Es steht Ihnen frei zu über die Verbindung zwischen Hayate und der Marine zu berichten. Wir möchten Sie sogar explizit darum bitten, diese Informationen mit der Welt zu teilen. Doch das Treffen zwischen ihm und Marco muss geheim gehalten werden. Die Welt darf nicht erfahren, dass vor zwei Jahren noch weit mehr Insassen aus dem Level 6 entkommen konnten, als es bisher kommuniziert worden ist. Dies ist ein Befehl, der direkt von der höchsten Instanz der Weltregierung stammt. Uns ist natürlich bewusst, dass Autoritäten für Sie nicht von Bedeutung sind. Deswegen schlagen wir Ihnen auch einen Handel vor. Halten Sie sich an den Sachverhalt, den wir Ihnen vorgeben, erklären wir uns bereit andere, brisante Informationen mit Ihnen zu teilen“, fuhr die CP0 Agentin aus, die sofort wusste, dass sie damit das Interesse des Journalisten wecken könnte. Und so kam es auch. Das Funkeln in seinen Augen wurde stärker, er lechzte nahezu nach dem Wissen, das die Weltregierung offenbar bereit war mit ihm zu teilen. Doch wich die Euphorie postwendend der Skepsis. Skepsis darüber, ob er der Regierung vertrauen konnte. Und Skepsis darüber, welche Neuigkeiten größer sein könnten, als die Schlagzeile, die er schon vor seinem inneren Auge erblickt hatte.
„Über was für Informationen reden wir hier?“ setzte Morgans wissbegierig nach. Lagertha lächelte, wusste sie doch, dass sie ihn längst wie einen zappelnden Fisch am Haken hatte.
„Wenn Sie einwilligen, erklären wir uns dazu bereit Ihnen bislang verschlossene Informationen über Midgard anzuvertrauen, über die es Ihnen dann natürlich auch freisteht zu berichten.“
Mit einem Mal verblassten seine Bedenken. Sein Misstrauen war wie weggeblasen. War die Euphorie zuvor noch den Zweifeln gewichen, wichen die Zweifel nun der Euphorie. Ein Wechselbad der Gefühle.
„Das sagenumwobene Midgard. Das Land der Kristalle. Eine der letzten Nationen in der Neuen Welt, die sich noch immer ihre Unabhängigkeit von der Weltregierung erhalten konnte. Und nicht nur das, auch die Vier Kaiser konnten die Nation bislang nicht erobern. Eine Nation, die inzwischen aber nicht mehr nur unabhängig ist, sondern vor mehr als fünfzehn Jahren auch noch sämtliche Handelsketten abgebrochen hat. Ein Land, das dem Beispiel der Samurai von Wa No Kuni gefolgt ist, und seine Grenzen seitdem ebenso vollständig geschlossen hält. Ein Land, über das bis heute kaum Näheres bekannt ist, was militärische Stärke und Infrastruktur betrifft. Ich sehe die Schlagzeilen schon vor mir. Das könnten wahrlich spektakuläre Neuigkeiten sein!“ monologisierte Morgans.
„Dann haben wir also eine Abmachung?“ hakte die Schildmaid nach, streckte ihren rechten Arm aus, um den Präsidenten der Weltwirtschaftszeitung so zu einem besiegelnden Handschlag zu ermutigen. Dieser zögerte keine Sekunde, als er ihre Geste erkannte, sondern schlug direkt ein.
„Wir haben eine Abmachung!“
Ein leichtes Flimmern der drei Monitore, die an der kahlen Wand montiert waren, war die einzige Lichtquelle, die den kleinen, abgedunkelten Raum erhellen konnte. Fenster befanden sich keine im Mauerwerk, Kerzen oder Fackeln gab es auch keine. Inmitten dieses leerstehenden Zimmers stand lediglich ein Stuhl, der frontal zu den Bildschirmen ausgerichtet war. Auf eben jenem saß ein Mann, dessen rechte Gesichtshälfte mit einer einzigen, gewaltigen Brandnarbe übersäht war. Ein Mann, der die Dunkelheit zu schätzen wusste. Er genoss die Umarmung der Finsternis, fühlte sich in ihr heimisch. In seiner rechten Hand hielt er einen angeknabberten Apfel, in den er nunmehr ein weiteres Mal hineinbiss, während er gespannt dem Geschehen folgte, das sich auf den Monitoren abspielte. Schreckliche Bilder waren es, die er da erblicken musste. Eine gewaltige Giftgaswolke, die über ein verschneites Gebiet herzog und jeden, der mit dem Gas in Berührung kam, postwendend versteinerte. Bilder, die einen emphatischen Menschen verstört und verschreckt hätten. Doch nicht ihn. Statt Empörung verspürte er Heiterkeit. Ein Grinsen zeichnete sich auf seinen Lippen ab, ehe er in lautstarkes Gelächter verfiel.
„Lohahahaha, du hast dich einmal mehr übertroffen, Caesar!“
Plötzlich klopfte es an seiner Tür. Er gewährte demjenigen Einlass, was dieser auch augenblicklich tat. Mit einem einzigen, gewaltigen Ruck, die die Brisanz seiner Nachricht sofort deutlich machte, betrat der Bote das Zimmer. Besonders auffällig war die Maske, die er trug. Die rechte Seite war komplett in schwarz getaucht, die linke Seite dagegen erstrahlte in einem hellen Weißton.
„Was gibt es?“
Der Mann kniete indes vor seinem Gebieter, wobei dieser dies nicht realisierte, da er noch immer wie gebannt auf die Monitore starrte.
„Ich bitte die Störung vielmals zu entschuldigen, Loki. Aber es geht um sie. Sie ist weg. Und wir wissen nicht, wohin. Doch wir setzen alle Hebel in Bewegung, um es herauszufinden“, erstattete der Bote ihm Meldung. Worte, mit denen es ihm gelungen war, die Aufmerksamkeit des Zuschauers zu erlangen. Er warf einen flüchtigen Blick über seine rechte Schulter und nickte seinem Untergebenen nur als dankende Geste zu. Dieser verstand sofort. Er erhob sich, verbeugte sich und verließ dann die Räumlichkeiten wieder.
Loki’s Blick wanderte wieder zu den Monitoren, wo er einige weitere Marinesoldaten erspähte, die zu Stein geworden waren. Er versuchte sich seine Gelassenheit zu bewahren, doch die Emotionen kochten über. Unkontrollierbar. Ein kurzes Aufblitzen seiner Wut genügte, damit der Apfel in seiner Hand wie ein Luftballon zerplatzte.
„Scheiße“, flüsterte er leise in sich hinein.
Kapitel 5: Poison Yuna
Kapitel 6: Amaterasu
Die See war ruhig, die Möwen zogen hoch oben ihre Kreise. Ein einzelnes Kriegsschiff der Marine durchquerte den Ozean, ritt auf dem sanften Wellengang.
„Sind wir noch auf Kurs, Nathan?“ fragte Gweneth ihren Navigator, der postwendend einen Blick auf den Eternal-Port warf, den er in der linken Tasche seines weißen Marineumhangs aufbewahrte.
„Sind wir“, entgegnete dieser ihr trocken, ehe er den Kompass wieder sorgsam verstaute.
Gweneth stand aufrecht neben ihm, das Steuerrad fest im Griff, während sein Blick gen Horizont gerichtet war. Ein flüchtiger Blick verriet der Vizeadmirälin, dass ihn etwas umtrieb. Und ohne ihn fragen zu müssen, wusste sie was es war. Schließlich war er ihr Schüler. Acht Jahre hatten sie nunmehr zusammen verbracht. Acht Jahre, in denen der junge Marineoffizier ihr nie von der Seite gewichen war, stets zu ihr aufschaute und versuchte so zu handeln, wie sie es für richtig erachtete. Doch nun wusste er, dass seine Zeit als Mündel einer hochdekorierten Vizeadmirälin alsbald enden würde. Monatelang hatte sie ihn darauf vorbereitet. Immerhin würde er ihr nachfolgen. Er sollte es sein, der in ihre Fußstapfen tritt. Als Oberbefehlshaber dieses Schiffes, der Cyanid. Sie hatte ihm alles beigebracht, was sie wusste. Als neuberufener Kapitän des Marinehauptquartiers stand ihm das Kommando eines eigenen Schiffes ohnehin längst zu. Und Gweneth wollte seitjeher, dass er das Ihre übernehmen würde, sowie sich ihre Zeit bei der Marine ihrem unausweichlichen Ende zu neigen würde. Dieser Tag war nun nahe. Es war ihr Wunsch und Nathan war willens und bereit diesem auch nachzukommen.
„Sag mal, wo steckt eigentlich Drake?“ bricht die Vizeadmirälin schließlich das Schweigen zwischen ihnen. Ein gewagter Versuch ihren Schüler von seiner inneren Zerrissenheit und Anspannung zu befreien. Doch es gelang ihr. Irritiert sah er sich um, konnte seinen treuen Freund allerdings nirgends ausfindig machen.
„Gute Frage“, gab dieser verdutzt von sich, immer noch dabei einen flüchtigen Blick auf seinen pelzigen Gefährten zu erhaschen. Doch ohne Erfolg.
Eine kühle Brise durchstreifte sein langes Haar. Das Plätschern des Wassers half ihm dabei innere Ruhe zu finden. Eine beruhigende Geräuschkulisse. Er saß auf seinen Knien, die Hände auf seine Oberschenkel gestützt, während sein Breitschwert vor ihm an der Rehling lehnte. Die Augen geschlossen haltend, versuchte er seine Mitte zu finden. Doch gelang es ihm nicht, denn ein starkes Hecheln, sowie ein leicht fauliger Atem, der ihm in die Nasenhöhle kroch, verhinderte das. Noch bevor er sich die Frage stellen konnte, was es wohl war, das seine Meditation störte, strich ihm eine nasse Zunge über sein Gesicht. Er öffnete sein rechtes Auge und erblickte einen pelzigen Vierbeiner, der mit ausgestreckter Zunge vor ihm stand. Ein Beagle, der ihn neugierig musterte und beschnupperte.
„Na mein Kleiner, wo kommst du denn her?“ fragte Hayate den Hund, wohlwissend, dass dieser ihm nicht antworten würde. So hob er seinen rechten Arm und fing an den interessierten Vierbeiner hinter seinem Ohr zu kratzen. Plötzlich wedelte er mit dem Schwanz, was dem Schwertkämpfer ein Lächeln abrang.
„Drake“, ertönte eine laute, ihm unbekannte Stimme, die dafür sorgte, dass der Hund sofort losstürmte und davoneilte.
„Hat mich auch gefreut“, murmelte Hayate vor sich her, ehe er seine Augen erneut schloss und seine vorherige Pose annahm. In der Hoffnung nun die Stille zu finden, nach der er sich so verzweifelt sehnte. Ein Versuch, der von Erfolg gekrönt war. Um ihn herum wurde alles ruhig. Kein Getuschel von den Soldaten, das er zuvor noch in der Ferne vernommen hatte. Kein Wehen der Flagge mehr. Nicht einmal mehr den zarten Hauch des Windes vermochte er noch wahrzunehmen. Alles um ihn herum schien zu verblassen. Fast so, als würde die Zeit stillstehen. Er sinnierte.
„Reise steht bevor
Schwarze Rüstung, mit Blut befleckt
Reinigt mich vom Schmerz“
Er öffnete seine Augen, zückte aus dem Inneren seines Kimonos ein kleines Taschenbuch, an dem ein Schreibstift klemmte. Er klappte es auf und verfasste die Verse, die er soeben erdacht und gesprochen hatte, auf einer noch freistehenden Seite. Unwissend darüber, dass Brios ihn die ganze Zeit über beobachtet hatte.
„Was war das?“ zeigte dieser spürbares und ehrliches Interesse an dem, was sich gerade vor ihm zugetragen hatte. Denn für so grüblerisch und reflektierend hätte er den Schwertkämpfer, nach ihren ersten Gesprächen, gar nicht gehalten.
„Das war ein Haiku“, entgegnete dieser ihm knapp, während er das letzte Wort seines Textes beendete und sein Notizbuch, ebenso wie den dazugehörigen Stift, wieder sicher verstaute.
„Ein was?“ hakte der Vizeadmiral wissbegierig nach.
„Eine traditionelle Gedichtform meiner Heimat, meines Volkes.“
„Du sprichst von den Samurai aus Wano Kuni, nicht wahr?“
Worte, mit denen es ihm sogleich gelingen sollte die Aufmerksamkeit des Schwertkämpfers vollumfänglich zu erregen.
„Interessant … Das hat mich schon lange niemand mehr gefragt“, begann dieser, hielt kurz inne, erhob sich und setzte sich auf die Rehling. Direkt neben seinem Schwert.
„Aber nein, ich stamme nicht von Wano Kuni. Meine Eltern kamen von dort, doch ich selbst habe das Land nie gesehen. Ich verbinde damit nichts, es hat für mich keinerlei Bedeutung. Ich lebe lediglich nach den Lehren, die mir meine Familie, mein Clan, einst beigebracht hat.“
So wie es Brios zuvor gelungen war, Hayate’s Neugier zu wecken, so war diesem nun dasselbe geglückt.
„Moment mal“, fing er an, bevor er sich ebenfalls auf die Rehling setzte. Allerdings mit einigen Metern Abstand zum Schwertkämpfer, wie auch dessen Waffe.
„Soweit ich weiß herrschten in Wano Kuni schon immer ähnliche, außenpolitische Zustände, wie auf Midgard. Das Land ist abgeriegelt, lebt in Isolation. Völlig abgeschnitten von der Außenwelt. Es gibt nur sehr wenige Samurai, von denen man weiß, dass sie das Land jemals verlassen konnten. Und aus der jüngeren Vergangenheit gibt es nur einen, von dem man auch heute noch spricht. Zumindest in Kreisen der Marine … Kozuki Oden.“
Hayate’s Augen weiteten sich. Der Vizeadmiral erkannte sogleich, dass dieser Name auch seinem Gegenüber ein Begriff war. Selbst wenn es stimmte, dass er keinen Bezug zu Wano Kuni hatte, dieser Name erweckte etwas in ihm. Nur wusste Brios nicht, was es war.
„Nun ja, Oden’s Taten trugen ja schließlich dazu bei, dass die Welt heute so ist, wie sie es ist. Jemanden, der nicht nur eine befehlshaberische Funktion unter dem Banner von Whitebeard innehatte, sondern ebenso an Bord des einstigen Piratenkönigs – Gol D. Roger – segelte, dürfte wohl jeder kennen“, entgegnete Hayate schlussendlich dem Mann im weißen Marineumhang, bemüht sich verhalten und bedeckt zu halten. So sprach er bloß das an, was ohnehin die ganze Welt wusste. Er wusste ganz genau, welch große Rolle Oden einst bei Rogers letzter Reise gespielt hat, durch die jener zum Piratenkönig erklärt wurde. Und er wusste um die Bedeutung dessen Clans für Wano Kuni und dessen Geschicke. Doch war dies etwas, was er niemanden anvertrauen würde, den er erst seit wenigen Stunden kannte. Der Versuch, ihm mit diesem Namen mehr Informationen über seine Person, seinen Clan und seine Heimat zu entlocken, missglückte.
Schließlich gab der Samurai seinen Sitzplatz auf, setzte sich wieder auf die nassen Holzdielen des Decks und fing an seine Klinge mithilfe von Werkzeug zu wetzen, das er bislang in seinem Reisebeutel aufbewahrt hatte.
„Das erklärt aber nicht, wieso es mit dir einen weiteren Samurai gibt, der sich einen großen Namen als Pirat machen konnte. Und das sogar, ohne dass es jemals bekannt gemacht wurde, dass auch du vom Land der Samurai abstammst“, hakte Brios nach, dessen Neugier geweckt und nunmehr unstillbar erschien.
„Ich habe es dir doch gesagt, ich stamme nicht von Wano Kuni ab. Meine Eltern stammten von dort. Was wohl auch der Grund dafür sein dürfte, dass man mich nie konkret mit dem Land in Verbindung gebracht hat. Für die Welt, für die Marine, war ich bloß ein weiterer Pirat, der besonders begabt mit dem Schwert war. Oder hält man Mihawk Dulacre etwa auch für einen Samurai?“ klärte Hayate den Vizeadmiral auf. Dieser begann indes zu verstehen, wieso nicht nur Gweneth und Stellan, sondern auch Flaith so fasziniert von diesem Mann war. Er hatte noch nicht viele Worte mit ihm gewechselt, hatte bislang noch weniger über ihn als Menschen in Erfahrung bringen können, und doch war er selten einer Person begegnet, deren Lebenslauf ihn derartig reizte.
„Bedeutet das, dass es noch mehr von euch gibt? Noch mehr Samurai, die, für die Weltregierung, die Marine und die Presse unbekannt, außerhalb des isolierten Landes leben? Vielleicht sogar eine aktive Laufbahn als Pirat oder gar als Marinesoldat verfolgen, ohne dass der Allgemeinheit etwas von ihrer Herkunft bekannt ist?“ setzte Brios ein weiteres Mal nach, musste nun jedoch verzweifelt auf eine Antwort warten, die er nicht bekam. Keine einzige Silbe verließ die Lippen von Hayate.
So neugierig er auch war, so wusste er nunmehr, dass weitere Worte vergeblich wären. Es war offensichtlich, dass dies für den Samurai nichts war, worüber er gedachte zu reden. Er hüllte sich in Schweigen. Und Brios verstand. Wenn auch widerwillig, so respektierte er den gefassten Entschluss seines Gegenübers.
„Eine wunderschöne Klinge, die du da mit dir führst“, versuchte er nunmehr das Thema zu wechseln. Mit Erfolg.
„Danke für die Blumen“, entgegnete Hayate ihm nur mit spöttischem Unterton. Eine Missetat, die der Marineoffizier sich entschloss zu ignorieren.
„Welcher Klasse gehört es an? Meisterschwert? Königsschwert? Oder ist es gar ein Drachenschwert?“ versuchte der Vizeadmiral das Gespräch am Laufen zu halten.
„Es ist eines der 21 Königsschwerter.“
„Hat es einen Namen?“
Worte, die dem Samurai ein müdes Lächeln aufs Gesicht zauberten.
„Amaterasu. Schien mir ein angemessener Name für diese erhabene Waffe zu sein“, drohte sich Hayate nunmehr in seiner eigenen Gedankenwelt zu verlieren. Der Wissensdurst des Vizeadmirals schien indes nahezu unstillbar zu sein.
„Willst du damit sagen, dass du dem Schwert seinen Namen gegeben hast?“ setzte dieser sogleich nach.
„In der Tat. Die richtige Klinge verdient den richtigen Namen. Denn der Name ist es, der ein Schwert erst vollkommen macht.“
Brios Interesse schlug in Verwirrung um. Die Worte des Samurai wirkten zunehmend fahrig und verloren. Fast schon desorientiert.
„Für wen wurde sie geschmiedet? Für dich?“
Plötzlich erschrak er. Beim Anblick dieser, für ihn, heiligen Waffe und den Worten des Vizeadmirals, die nunmehr in seinem Kopf widerhallten. Worte, die Hayate bis ins Mark erschütterten. Tiefgehende, schmerzhafte Erinnerungen, die er seit Jahren verdrängt hatte, keimten in ihm auf. Eine einzelne Träne verließ sein linkes Auge, rannte über seine Wange. Ohne dass er es selbst wahrnahm. Brios blieb dies jedoch nicht verborgen. Er erkannte sofort den Schmerz, den seine andauernde Wissbegier beim Samurai heraufbeschworen hatte.
„Nein, nicht für mich. Ich habe diese Klinge vor mehr als 20 Jahren geschmiedet. Sie war ein Geschenk“, entgegnete Hayate seinem neuen Weggefährten, dessen Drang damit neu auflebte.
„Sie ist eine von drei Klingen, die ich geschaffen habe. Vereint sollten sie die Dreieinigkeit der Kami versinnbildlichen“, fügte er hinzu, drohte dabei einmal mehr gedanklich in längst vergangene Tage abzudriften.
„Stammt dein Wissen der Schwertschmiedekunst auch von deinem Volk?“ reagierte Brios blitzartig, um eben dies zu verhindern. Nicht nur, weil er sich danach sehnte mehr über Hayate, und dessen Begabungen, zu erfahren, sondern instinktiv auch, weil er nicht noch mehr Schmerz bei ihm heraufbeschwören wollte, als er es augenscheinlich ohnehin bereits getan hatte.
„Von meiner Familie, ja. Dieses Wissen der Handwerkskunst wurde von Generation zu Generation weitergereicht. Wir waren zuallererst Schmiede. Und erst danach Krieger.“
„Und welcher Familie gehörst du an? Etwa ebenfalls dem Kozuki Clan, so wie Oden?“ versuchte Brios wiederholt seinem Gegenüber nähere Informationen über dessen Abstammung zu entlocken. Worte, die den Samurai schließlich dazu veranlassten die Instandhaltung seiner Klinge abzubrechen. Er steckte die Waffe zurück in ihre Scheide, schnallte sie sich über den Rücken und erhob sich von den klapprigen Holzdielen. Er musterte den Marineoffizier kurzartig, wendete sich dann von ihm ab und schritt davon.
„Ich habe Hunger“, kam es über seine Lippen. Worte, die den Vizeadmiral gleichwohl hungrig zurückließen.
„Hm? Ahhh, ich habe verschlafen“, redete ein Mann mit schwarzen, gelockten Haaren vor sich hin, während er in seinen Händen eine tagesaktuelle Zeitung hielt. Der ominöse Mann trug ein Kopftuch über seine Haare, eine Sonnenbrille thronte auf seiner Nase. Sein lässiges Erscheinungsbild wurde von einem langen, grünlichen Mantel, einem weißen T-Shirt, hohen, schwarzen Stiefeln und einem Rucksack, den er über seine rechte Schulter trug, abgerundet. Er befand sich allein auf offener See. Allerdings auf keinem Schiff, sondern auf dem Kopf eines Riesenpinguins.
„Ararara, was hat die Marine bloß vor? Eine Kooperation mit der blauen Sturmböe? Wer hätte das für möglich gehalten?“
Er kramte in seinem Rucksack herum, bis er einen kleinen Snack herausholte, den er seinem tierischen Gefährten postwendend in den offenstehenden Schnabel warf. Dieser ächzte zufrieden, setzte ihre gemeinsame Reise dann fort. Der Mann griff erneut zum Blatt, um den Artikel auf der Titelseite genauer studieren zu können.
„Hätte ich mir eigentlich denken können, dass auch Hayate beim Massenausbruch vor zwei Jahren die Flucht aus dem Impel Down gelungen ist. Trotz allem, was geschehen ist, würde ich ihn nur zu gerne wiedersehen ... Ob es wohl ein Fehler war, ihm sein Schwert in die Zelle zu bringen?“
Mit diesen Worten faltete er die Zeitung zusammen und legte sie beiseite. Mit einer seltsamen Mischung aus Verlegenheit und Verwirrung kratzte er sich fragend am Hinterkopf.
„In welcher Richtung lag Punk Hazard gleich wieder?“
„Bwahahahaha! Brios, du Teufelskerl! Was hat dich denn da geritten?“, lachte ein älterer, jedoch noch immer äußerst kräftig aussehender Marineoffizier in seinem schlicht gehaltenen Büro lauthals vor sich her, während er nebenbei einen Reiscracker nach dem anderen verschlang. Dabei saß er genüsslich auf dem Sofa, das sich direkt neben seinem Schreibtisch befand. Neben ihm saß ein Mann mit langem, geflochtenen Bart, der ebenso weißfarbig war, wie sein Afro war. Eben jener Mann war jedoch deutlich informeller gekleidet, als sein Kamerad. Während dieser einen weißen Anzug, bestehend aus einem Doppelreiher und einer dazu passenden Anzughose trug, vermittelte der Buddha, mit der Wahl seiner Kleidung, einen deutlich lockereren Eindruck. So hatte er ein dunkelblaues Hemd an, das mit einem grünrotem Zickzack-Muster verziert war, sowie er eine orange Krawatte, weiße Shorts, welche das Logo der Marine zierten, als auch braune Schuhe trug. Zart kraulte er seiner Ziege den Hals, die vor ihm auf dem Boden saß, bevor er sich seinem alten Gefährten zuwandte.
„Sag schon Garp, was ist dein Geheimnis?“ fragte er ihn, griff dann wieder zu seinen Miso-Ramen, die er zuvor neben sich auf der freien Sitzfläche abgestellt hatte, um diese so lange genießen zu können, wie sie noch heiß war.
„Ich weiß nicht was du meinst, Sengoku!“ entgegnete der ehemalige Vizeadmiral seinem Freund, bevor er erneut in lautes Gelächter verfiel.
„Ach nein? Dann drücke ich mich mal deutlicher aus … Wie schaffst du es bloß immer wieder starke Individuen so zu verderben? Erst deine Familie und jetzt auch noch deine Lehrlinge“, setzte der Buddha nach. Jedoch mitnichten so griesgrämig, wie Garp es viele Jahre von ihm gewohnt war. Zu jener Zeit, als er noch das höchste Amt der Marine bekleidet hatte. Als die ganze Last dieser Institution, insbesondere vor allem ihre Reputation, noch auf seinen Schultern lastete.
„Bwahahahaha, ich bin wirklich gespannt darauf zu sehen, was Brios nun vorhat. Was ihn wohl dazu bewegt hat sich mit einem Mann wie Hayate zusammenzutun? Wie gerne ich jetzt Sakazuki’s Gesicht sehen würde! Bwahahahaha!“
Ein Satz, bei dem es zunächst so schien, als würde sich auf der Stirn des Buddhas eine Sorgenfalte bilden. Diese verschwand jedoch so schnell wieder, wie sie sich aufgetan hatte. Von der Last, die er gewohnt war zu tragen, war er unlängst befreit worden. Doch auch wenn sein Rücktritt als Großadmiral nun schon zwei Jahre zurücklag, so war dies dennoch ein Umstand, an den er sich noch nicht vollends gewöhnt hatte. Mehr und mehr löste er sich von seiner vergangenen Ernsthaftigkeit. Von dem Druck, den er all die Jahre über verspürt hatte. Das erkannte auch Garp, als er ein flüchtiges Lächeln auf den Lippen seines Freundes bemerkte.
„Wohl wahr. Begeistert dürfte Sakazuki darüber gewiss nicht sein, dass so etwas unter seiner Führung geschieht. Gleich drei Vizeadmiräle, die sich von der Marine lossagen und sich stattdessen mit einem Piraten verbünden? Sakazuki wird rasend vor Wut sein.“
Worte, die das Gelächter von Garp weiter anzutreiben wussten. Seit den Ereignissen vor zwei Jahren war dies das erste Mal, dass Sengoku’s alter Freund derartig befreit wirkte. Dass er wieder er selbst zu sein schien. Dass es ausgerechnet Sakazuki war, der sich nunmehr mit solch undankbarer Öffentlichkeitsarbeit befassen musste, amüsierte ihn zutiefst. Er genoss es regelrecht, dass ausgerechnet sein einstiger Schüler verantwortlich dafür war, dass der neue Großadmiral derweil wahrscheinlich nur so vor Wut schäumte. Wie das wilde, animalische Tier, das er war.
Es kam selten vor, dass die Gorosei ihre Treffen in so kurzen Abständen abhielten, doch die Nachricht, dass sich drei Vizeadmiräle mit einem ehemaligen Mitglied der Rothaarpiraten zusammengetan hatten, schlug hohe Welle. Es waren außergewöhnliche Umstände, denen sich die höchste, politische Instanz der Weltregierung nunmehr ausgesetzt sah. Das wussten sie. Besser, als der Rest der Welt es tat.
„Was unternehmen wir jetzt wegen Hayate? Es bereitet mir große Sorgen, dass er wieder auf der Bildfläche erschienen ist. Dass er sich nunmehr mit drei unserer besten Vizeadmiräle verbündet hat, wäre normalerweise ja schon schlimm genug. Doch bedenkt man, woher sie stammen, könnte die Problematik womöglich weit tiefer gehen, als es auf den ersten Blick wirken mag“, erklärte der Weise, dessen auffälligstes Merkmal das große Feuermal in seinem Gesicht war, den anderen Politikern im Raum.
„In der Tat. Sie alle wurden auf Midgard geboren und haben dort auch viele Jahre gelebt. Stellan und Gweneth lebten dort allerdings deutlich länger, als Brios es tat. Als er vor fast 30 Jahren von Garp angeworben wurde, als dieser aus diplomatischen Gründen auf Midgard verweilte, hielt man große Stücke auf ihn. Sein Potenzial war bemerkenswert. Was sich in seiner bisherigen Laufbahn widerspiegelt. Mit 21 Jahren bereits das Amt des Vizeadmirals zu bekleiden, ist bisher noch nicht vielen Offizieren gelungen. Hätten Garp’s Prinzipien nicht so stark auf ihn abgefärbt, hätte auch er längst Admiral sein können. Seine Aufsässigkeit wiegt damit besonders schwer“, entgegnete ihm der glatzköpfige Weltaristokrat, der auch diese Besprechung nicht ohne sein Katana bestritt.
„Letztlich können wir noch froh darüber sein, dass Lagertha solch gute Arbeit geleistet hat, in dem sie Morgans eine Geschichte hat abdrucken lassen, die das Image der Weltregierung nicht ansatzweise so negativ beeinflussen wird, wie es die Wahrheit getan hätte. Der Präsident der Weltwirtschaftszeitung lässt sich bekanntermaßen nur ungern vordiktierten, welche Neuigkeiten er der Welt mitteilen soll. Kaum auszudenken, wie die Menschen reagiert hätten, wenn herausgekommen wäre, dass vor zwei Jahren, beim Massenausbruch aus dem Impel Down, noch mehr Schwerverbrecher aus dem sechsten Level entkommen konnten“, warf der Jüngste der Weisen mürrisch ein.
„Bei alledem sollten wir nicht vergessen, dass ein Großteil von Hayate’s Vergangenheit für die Öffentlichkeit auch weiterhin unbekannt ist. Und wir müssen dafür sorgen, dass das auch so bleibt. Die Menschen wissen lediglich, dass er einst bei den Rothaarpiraten anheuerte und sich ein paar Jahre später als Pirat selbstständig machte. Offiziell um sich einen eigenen Namen zu machen. Zusammen mit einem Mink namens Faol und allen voran mit Kyra, wie wir nun wissen“, brachte sich der ältere Mann, der einen Wurzelstock mit sich führte, nun in die Konversation ein.
„Kaum zu glauben, dass er sie über zehn Jahre vor uns versteckt halten konnte. Wer hätte schon gedacht, dass es sich bei Poison Yuna ausgerechnet um sie handeln würde? Ob Hayate’s Verbindung zu Midgard der Grund dafür ist, dass Brios, Gweneth und Stellan sich dafür entschieden haben ihre Pflichten als Marineoffiziere zu verletzen?“ sprang der Weltaristokrat mit langem, spitz zulaufendem Schnauzbart von einem brisanten Gedanken zum Nächsten.
„Wenn dem so sein sollte, stünden die Chancen gut, dass wir auch Kyra dort finden könnten. Dadurch hätten wir die einmalige Möglichkeit mehrere Ziele gleichzeitig zu finalisieren“, versuchte sich der Jüngste unter ihnen an einer Antwort auf eine der vorangegangenen Fragen. Eben jene Frage, die ihn offenkundig weit stärker umtrieb, als der augenscheinliche Verrat dreier Vizeadmiräle des Marinehauptquartiers.
„Wir sollten Vorsicht walten lassen und nicht leichtfertig handeln. Wir dürfen die Situation auf keinen Fall unterschätzen. Sollte dies die Verbindung, könnte das unsere Pläne, die wir für Midgard haben, dauerhaft beeinträchtigen. Es ist zwingend erforderlich, dass wir nicht noch weiter in Verzug geraten. Deshalb müssen wir schleunigst entscheiden, wie wir weiter vorgehen wollen. Wir müssen entscheiden, wen wir mit dieser hochbrisanten und bedeutsamen Aufgabe betrauen wollen“, gab der Mann mit dem Feuermal den anderen zu verstehen.
Die politische Versammlung an Weltaristokraten hüllte sich einige Momente in Schweigen. Sie alle überdachten die Situation, überlegten, was der richtige Umgang mit der derzeitigen Situation sein könnte. Nahezu zeitgleich schienen sie sich festgelegt zu haben. Die Idee, die ihnen vorschwebte, hatte sich in jeder ihrer fünf Köpfe manifestiert. Noch bevor sie ihre Gedanken in Worte fassen konnten.
„Junichiro sollte diese Aufgabe übernehmen. Er muss umgehend nach Midgard reisen, um die Lage dort zu begutachten“, beschloss der Mann mit dem Katana, der damit das aussprach, was sie alle dachten.
Kapitel 7: Waffenbrüder
Dichter Nebel verdeckte die Sicht. In einem üppigen Dickicht aus Ästen, Blätter und Blüten suchten unheimliche, bewaffnete Gestalten Zuflucht in den Schatten der Nacht. Ein altes, schauriges Schloss, das inmitten der Ruinen dieser verlassenen Insel lag. Das Land war zerstört, der Boden kaum noch fruchtbar. Ein einsamer Mann durchstreifte die dystopischen Ländereien, bis er schließlich den heruntergekommenen Palast betrat. Ein aufmüpfiges und launisches Mädchen mit pinkem Haar schwebte auf ihn zu. Worte verließen ihre Lippen, das konnte er deutlich erkennen. Doch hören konnte er sie nicht. Er war wie in Trance. Er konnte an nichts Anderes mehr denken. Nur noch an das, was in der Zeitung geschrieben stand, die er sich unter seinen rechten Arm geklemmt hatte.
Schlussendlich erreichte er einen pompösen Raum. Doch auch diesem wohnte das Gefühl bei, als hätte er seine besten Tage längst hinter sich gelassen. Die Fliesen an Boden und Wänden waren marode, die roten, opulenten Stühle abgenutzt. Mittels einer einfachen Geste bat er die junge Dame ihm etwas Rotwein nachzuschenken. Was sie widerwillig und begleitet von wild gestikulierender Widerrede auch tat. Der großgewachsene Mann entledigte sich derweil seines schwarzen Schwertes, das er über seinen Rücken trug. Er legte Hut und Jacke ab, ehe er sich auf einen der fürstlichen Stühle setzte, zu seinem Glas griff und einmal mehr an die geschriebenen Worte denken musste, die er zuvor gelesen hatte. Genüsslich nippte er an dem Wein, schloss seine Augen und musste unweigerlich an jenen Tag zurückdenken, an dem er ihm zum ersten Mal begegnet war.
Vor 14 Jahren
Eine kühle Windbrise streifte seine Wangen, während die Möwen mit ihren lieblichen Klängen ein Lied anstimmten. Das Yoru fest umschlungen, war er bereit und willens sich einmal mehr zu beweisen. Denn dafür lebte er. Für diese Momente. Für diese Kämpfe. Für diese Rivalität. Fokussiert und mit scharfem Blick musterte er eben jenen Mann, der ihm gegenüberstand und mit dem er schon so oft die Klingen gekreuzt hatte. Sein tiefrotes Haar war unverkennbar. Auch er hatte seine rechte Hand fest um den Griff seines Schwertes gelegt. Sie kannten sich schon seit vielen Jahren, hatten unlängst Gefallen daran gefunden sich miteinander zu messen. Sie waren sich in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich, doch der wohl größte Unterschied zwischen ihnen waren jene Menschen, die hinter dem Mann mit rotem Haar standen. Denn anders als er selbst, war sein Rivale niemals allein unterwegs gewesen. Während er die Stille der Unabhängigkeit immer besonders genoss, bevorzugte sein Gegenüber viel eher die Gesellschaft mit Gleichgesinnten. So genoss er zwar jene Momente, in denen sie einander gegenüberstanden, doch wusste er auch, dass sein Weg limitiert war. Der seines Kontrahenten nicht.
Doch all das spielte keine Rolle, sobald sie ihre Klingen kreuzten. Dann gab es nur noch sie zwei. Und ihre lang andauernde, mittlerweile auch schon freundschaftliche, Rivalität. Sein schwarzes Schwert fest im Griff, bemerkte er, dass auch sein Gegenüber inzwischen seine Waffe gezückt hatte. Das Gryphon gezogen, richtete der rothaarige Mann die Spitze seiner Klinge auf seinen ewigen Rivalen. Dieser erwiderte die Geste, bemerkte dann plötzlich ein breites Lächeln, das seinem Kontrahenten über die Lippen wich.
„Nun denn, Falkenauge, wollen wir anfangen?“
„Wenn du eine weitere Niederlage verkraften kannst“, entgegnete der Mann mit der schwarzen Klinge, doch, noch bevor er zum Erstschlag ausholen konnte, bemerkte er etwas. Seine scharfen Augen registrierten nahezu unscheinbare Bewegungen in der Ferne. Sie kamen aus der kleinen Menschenmenge, die sich hinter seinem Rivalen tummelte. Ein einzelner Mann, der einfache Holzsandalen und einen blauen Kimono trug, trat aus der Menge hervor und lief geradewegs auf ihn, wie auch seinen Kontrahenten, zu. Auch dem Rothaarigen war nicht entgangen, dass sich einer seiner Kameraden zu ihm gesellen wollte. So hielt auch er zunächst inne. Willens zu erfahren, was den Mann mit den langen, braunen Haaren antrieb. Doch schritt dieser wortlos an ihm vorbei, ehe er sich, fast schon schützend, vor ihm aufbaute und mit einer Hand den Griff seines Schwertes umgriff, das er auf dem Rücken trug.
„Kapitän“, begann er, sein Blick demütig auf den staubtrockenen Sand unter seinen Sandalen gerichtet.
„Erlaube mir bitte dich in diesem Kampf zu vertreten“, führte er, nach einer kurzen Pause, sein Anliegen fort. Den Kopf noch immer gesenkt, wenngleich er nunmehr leicht über seine linke Schulter sah. Sein Kapitän musterte ihn, ehe sein Blick flüchtig zu seinem Rivalen wich. Dieser schien ähnlich interessiert an seiner sich anbahnenden Entscheidung zu sein, wie es sein Kamerad war. Dann steckte er seine Klinge zurück in die Schwertscheide, drehte den beiden Männern den Rücken zu und begab sich zum Rest seiner Mannschaft.
„Soll mir recht sein, ich habe von gestern immer noch einen sitzen“, gab dieser den Schwertkämpfern unmissverständlich zu verstehen, dass er der Bitte seines Kameraden gedachte nachzukommen. Gleichzeitig suggerierte er zudem, dass Falkenauge sich an eben jenem Tag ausnahmsweise mal nicht mit ihm, sondern stattdessen mit einem seiner Freunde messen würde. Dieser wusste zunächst nicht, was er davon halten sollte. Immerhin gehörten diese Kämpfe schon seitjeher nur ihnen beiden. Die Entscheidung vom rothaarigen Piraten irritierte ihn damit in vielerlei Hinsicht. Doch wusste er auch, dass Shanks nichts ohne triftigen Grund tat. So wich seine Verwirrung unweigerlich der Neugier. Was machte diesen Mann so besonders, dass er ihm zutraute ihn würdig zu vertreten? Das war die Frage, auf die er nun eine Antwort finden wollte.
„Wie ist dein Name?“ fragte er seinen Gegenüber, der nunmehr Inbegriff war sein Schwert zu zücken. Eine Waffe, die fast genauso groß war, wie das legendäre Yoru, das er führte.
„Mein Name ist Hayate. Und ich freue mich darauf herausfinden zu können, wie weit entfernt der beste Schwertkämpfer der Welt für mich wohl sein mag“, entgegnete dieser ihm, zog sein Breitschwert mit einer ruckvollen Bewegung aus ihrer Schwertscheide heraus und strich mit ihr blitzschnell durch die Luft. So schnell, dass es so schien, als würde er den Wind zerschneiden. Eine kurze, aber kraftvolle Windböe entstand, die auch dem Mann mit dem scharfen Blick nicht entging. Sie sauste an ihm vorbei, wirbelte sein Hemd und die Feder auf seinem Hut auf, doch ins Wanken geriet er nicht. Unverändert blieb er stehen, rührte sich keinen Millimeter. Stattdessen lächelte er voller Zufriedenheit. Auch wenn er bezweifelte, dass dieser Mann so stark wie sein Rivale war, so war er nunmehr doch überzeugt davon, dass er eine würdige Vertretung sein würde.
„Den Namen merke ich mir. Doch solltest du deine Neugier zügeln. Denn verliert man erstmal die Kontrolle über sie, ist es nicht mehr weit bis zur Leichtsinnigkeit. Und die hat schon so manchen, großen Schwertkämpfer das Leben gekostet.“
Dies waren die vorerst letzten Worte, die sie miteinander teilen sollten. Blitzschnell eilten sie aufeinander zu, führten nahezu zeitgleich einen schweren Schwerthieb aus. Ihre Klingen prallten aneinander. Vereinzelte Schweißperlen rannten über Stirn und Wangen des Samurais. Erste Anzeichen der Erschöpfung, die beim besten Schwertkämpfer der Welt jedoch ausblieben. Eine gewaltige Druckwelle entstand, die sogar die versammelte Mannschaft am Ufer erreichte. Ins Wanken gerieten jedoch die Wenigsten von ihnen. Und der Kapitän lächelte.
14 Jahre später
Er hielt sich weder für nostalgisch, noch für trübselig. Umso absonderlicher empfand er es, dass er beim Gedanken an den Samurai, mit dem er einst das Schwert gekreuzt hatte, unfreiwillig schmunzeln musste.
„Schon eigenartig, dass jemand wie Hayate sich offenbar mit der Marine verbündet hat … Was Rothaar wohl davon halten mag?“
Ein weiteres Mal nippte er an seinem Glas Rotwein, stellte es dann wieder an exakt derselben Stelle ab, an der es zuvor gestanden hatte.
„Wobei, eigentlich kann ich mir seine Reaktion schon bildhaft vorstellen.“
Eilig stürmte er durch das dichte Gebüsch. Immer wieder blieb er mit seinen auffälligen, roten Haaren, die er wie Zacken geformt hatte und die in alle Richtungen abstanden, an vereinzelten Ästen hängen, doch stoppen konnte ihn all das nicht. Die Zeitung eng umschlungen und nicht willens sie loszulassen. Denn diese Nachricht war zu bedeutsam, als dass ihn irgendetwas aufhalten könnte. Er musste davon erfahren. Sein Kapitän musste es wissen. Denn es könnte alles verändern. Die Furcht davor, dass sich für sie nun alles ändern könnte, übermannte ihn. Die Furcht vor der Gefahr, die sie nunmehr erwartete, trieb ihn voran.
Plötzlich bemerkte er ein helles Licht, das durch das Dickicht des Waldes schien und die letzten Meter seines Weges erhellte. Die Lichtung war greifbar nahe. Somit auch eben jener Ort, zu dem er, so schnell wie möglich, gelangen musste. Doch eine Wurzel, die aus der Erde ragte, verhinderte dies. Sein Fuß verhakte sich. Er geriet ins Stolpern, dann stürzte er auf den kalten, harten Boden. Dabei glitt ihm die Zeitung aus den Händen. Willens sich augenblicklich wieder aufzuraffen, entdeckte er plötzlich ein einfaches Paar an roten Schuhen. Sein Blick folgte den Beinen hinauf zu dem rundlichen Gesicht eines Mannes, der eine getönte Brille und ein grünweißgestreiftes Kopftuch trug. In seiner linken Hand hielt er eine Fleischkeule, in die er augenscheinlich schon mehrfach gebissen hatte.
„Wozu denn die Eile, Frischling?“ gab der dickliche Mann spöttisch und mit breitem Lächeln von sich, während er sich einen weiteren Bissen des saftigen Fleisches genehmigte. Blitzartig griff der Mann mit den gezackten, roten Haaren zu der am Boden liegenden Zeitung, hob sie auf und umklammerte sie erneut.
„Hast du die Nachrichten noch nicht gelesen, Lucky Lou?“ entgegnete er dem Unteroffizier rhetorisch. Wohlwissend, dass er es noch nicht getan hatte, da es schließlich seine Aufgabe war die aktuelle Zeitung zu besorgen und zu den Offizieren, wie auch zum Kapitän, zu bringen, damit die Bande so immer wusste, was auf der Welt vor sich ging.
„Was hat Ruffy jetzt schon wieder angestellt?“ ertönte plötzlich eine weitere, ihm wohlvertraute Stimme. Ein großgewachsener Mann, der ein schwarzes Shirt und darüber einen blauverzierten Umhang trug, trat aus einem der nahegelegenen Büsche hervor, in dem er sich zuvor erleichtert hatte. In seinem Mund steckte ein angezündeter Zigarillo.
„Es geht nicht um den Strohhut, Vize-Kapitän Ben Beckman. Sehen Sie sich das an“, erwiderte Rockstar, ehe er das Zeitungsblatt aufschlug und das Titelblatt enthüllte. Das Bild zog augenblicklich die Aufmerksamkeit von Ben Beckman, wie auch von Lucky Lou auf sich. Ebenso wie der Titel, der sie jedoch nicht annähernd so fassungslos stimmte, wie ihren jungen Kameraden.
„Die Blaue Sturmböe – Ex-Mitglied der Rothaarpiraten: Hayate ist zurück!“ verlas der Stellvertreter, ehe er sich dem darunter folgenden Fließtext widmete.
„Der Kapitän muss davon erfahren“, warf Rockstar lautstark ein, doch eine verbale Reaktion blieb aus. Der Vize-Kapitän blieb konzentriert, fokussierte sich ganz auf die verfassten Zeilen. So dauerte es auch nicht lange, bis er sie ausgiebig studiert hatte. Zur großen Verwunderung des Frischlings verzog dieser jedoch keine einzige Miene, die ihm Aufschluss über dessen Gefühlszustand gewährt hätte. Stattdessen behielt er die Fassung, ließ sich nichts von jener Angst anmerken, die ihn selbst nun schon seit einigen Minuten, die sich für ihn wie Stunden anfühlten, durchströmte.
„Du hast recht, der Kapitän muss davon erfahren“, erwiderte er schlussendlich, ehe er den letzten Rest seines Glimmstängels auf seiner Handfläche ausdrückte, ihn entsorgte und sich kurzerhand den nächsten Zigarillo anzündete.
Gemeinsam betraten sie die Lichtung. Einzelne Zelte waren inmitten der Wildnis errichtet, überall standen leere, sowie auch volle Fässer herum. Aus manchen von ihnen zapften sich einige Männer ein frisches Bier, andere wiederum dienten ihnen als halbwegs bequeme Sitzplätze, während sie ihre Krüge, ein ums andere Mal, leerten. Auf einem dieser Fässer saß ein Mann mit tiefrotem Haar, dessen linke Schulter von seinem schwarzen Mantel verdeckt wurde. Vor ihm loderte ein Lagerfeuer, das sie unlängst entzündet hatten, als sie bemerkten, dass die Sonne allmählich unterging. Einer seiner Gefährten saß vor den Flammen. In seinen Händen eine Gitarre haltend, mit der er eines von vielen Liedern anstimmte, die in dieser, wie auch in unzähligen weiteren Nächten, die da kommen würden, ertönen sollten. Die Faszination stand dem Kapitän förmlich ins Gesicht geschrieben, als er beobachtete wie geschickt sein Kamerad im Umgang mit den Seiten des Musikinstruments umgehen konnte. Und auch wenn er es sich nicht anmerken ließ, so war ihm der Tumult, den Rockstar zuvor veranstaltet hatte, keineswegs entgangen. Ebenso wenig entging ihm, dass sich jener, junger Pirat unweigerlich auf ihn zubewegte. Gemeinsam mit Ben Beckman und Lucky Lou, zwei seiner ältesten und treuesten Weggefährten.
„Was hat die Aufregung zu bedeuten?“ kam es schließlich mit nüchterner Stimme über die Lippen des Mannes, dessen linkes Auge eine markante Narbe zierte. Ohne ein Wort zu sagen breitete Rockstar das Titelblatt der aktuellen Zeitung vor den Füßen seines Kapitäns aus. Dieser warf einen kurzen Blick auf das Papier, als er plötzlich erschrak. Seine Augen weiteten sich vor Verwunderung. Zum Lesen kam er nicht, sein Blick richtete sich voll und ganz auf das Bild, das über den geschriebenen Zeilen thronte.
„Das … Das glaub ich ja nicht“, kam es über seine Lippen. Worte, die den nervösen, wie verunsicherten Rockstar einmal mehr dazu bewegten hervorzutreten und seine Bedenken nun direkt an seinen Kapitän zu richten.
„Was sollen wir jetzt tun? Wenn es wirklich stimmt, was der Artikel sagt, dann könnten wir uns schon bald in unmittelbarer Gefahr befinden“, sprach er frei heraus, was er dachte. Doch auf eine direkte Reaktion des Rothaarigen musste er vergeblich warten. Stattdessen vernahm er nur ein leises Seufzen, das seinem Vize-Kapitän über dessen Lippen wich. Dann erhob sich sein Kapitän. Schweigend distanzierte sich dieser vom Lagerfeuer. Seinen Kameraden blieb dies nicht verborgen, ihre Blicke ruhten nunmehr auf ihn. Die Musik verstummte, das Getuschel der Männer tat es ihr gleich. Der Rothaarige senkte den Kopf gen Boden, sein Körper begann zu beben. Rockstar wollte einen Schritt auf ihn zu gehen, in dem Wissen lebend, dass ihn diese Neuigkeiten offenkundig aufgebracht hatten. Die Hand von Ben Beckman, die auf seiner Schulter ruhte, hinderte ihn jedoch daran. Verwundert sah er zu ihm herüber, ließ seinen Blick dann wieder zu seinem Kapitän schweifen. Dieser hatte sich inzwischen gefangen. So glaubte er zumindest. Widererwarten schien er jedoch nicht geschockt, geschweige denn besorgt zu sein. Ganz im Gegenteil. Lautstarkes Gelächter begann die Nacht zu erhellen. Umgehend griff der rothaarige Mann sich einen der leeren Krüge, befüllte ihn bis zum Rand mit Starkbier und kippte sich das ganze Getränk mit nur einem Schluck in den Rachen, ehe er sich nachschenkte. Und seine Bande stimmte in seine Freude ein. Zur großen Verwunderung von Rockstar, der mit vielem gerechnet hatte, aber nicht damit. So verstand er nicht, wieso sich der Kapitän so über einen besorgniserregenden Bericht wie diesen zu freuen schien. Denn sollte es stimmen, was dort geschrieben stand, dann würde dies bedeuten, dass die Marine schon bald aktiv nach ihnen suchen und jagen würde. Woher rührte also diese Hochstimmung?
„Du bist noch nicht lange dabei. Deswegen hast du Hayate auch nie kennengelernt. Denn wenn du es hättest, dann wüsstest du, dass an diesem Bericht nichts dran ist“, wandte sich plötzlich ein Mann mit braunem Haar an ihn, der stets ein Gewehr mit sich führte.
„Yasopp“, begann er, wurde jedoch augenblicklich von eben jenem unterbrochen.
„Wenn man lange genug dabei ist, dann lernt man eine echte Nachricht von einer Falschen zu unterscheiden. Vor allem dann, wenn die verbreiteten Informationen über Dinge handeln, die einen selbst direkt oder indirekt betreffen. In diesem Fall scheint die Weltregierung einmal mehr Druck auf die Medien ausgeübt zu haben, um freierfundene Lügen zu verbreiten, damit das eigene Image gewahrt werden kann.“
„Aber wie könnt ihr euch da so sicher sein?“
„Von Hayate haben wir nichts zu befürchten. Er mag zwar nur sechs Jahre bei uns gewesen sein, doch gibt es kaum einen Mann, dem unser Kapitän mehr zugetan war, als ihm“, schaltete sich nun auch Ben Beckman ein weiteres Mal in die Diskussion ein. Fragend musterte Rockstar seinen Vize-Kapitän, unfähig die einzelnen Puzzlestücke, die die erfahrenen Piraten vor ihm ausbreiteten, zu einem großen Ganzen zusammenzufügen.
„Hayate war zwar nicht so lange Teil unserer Mannschaft, wie es die meisten anderen sind. Doch in diesen Jahren entstand zwischen ihnen ein Band, das nicht mehr durchbrochen werden kann. Sie respektierten einander, schauten zueinander auf. Fast so, als wären sie Brüder.“
Noch immer tat sich der Jungspund schwer damit zu begreifen, wieso er offenbar der Einzige war, der die Situation ernst nahm. Doch bevor er weitere Gedanken an das sich scheinbar anbahnende Desaster verlieren konnte, ertönte die erheiternde Stimme seines Kapitäns.
„Ich wusste immer, dass ihn das Impel Down nicht halten könnte. Wenn es jemandem gelingen würde dieser Hölle zu entkommen, dann ihm!“
Die ganze Bande war in Hochstimmung. Eng umschlungen feierten sie ausgiebig die Rückkehr eines Mannes, mit dem sie einst Seite an Seite gekämpft hatten. Für gewöhnlich brauchten sie keinen Grund zum Feiern. Wenn sie jedoch einen hatten, dann wurde jede Nacht zum Tage. Zum Schlafen würde an jenem Tag niemand von ihnen kommen. Rockstar jedoch konnte die Sorglosigkeit der Mannschaft noch immer kaum begreifen. Und dass obwohl er nun auch schon seit einigen Jahren mit ihnen reiste. Doch so etwas hatte er noch nicht erlebt.
„Wie könnt ihr euch da so sicher sein? Seht euch das Bild an. Es zeigt doch ganz eindeutig, dass er mit der Marine gemeinsame Sache macht. Vielleicht sind die genauen Details erfunden, doch dieses Foto beweist doch, dass da irgendetwas dran sein muss!“ versuchte Rockstar erneut an die Vernunft seiner Kameraden zu appellieren. Doch hätte er es besser wissen müssen. Denn auch dieses Mal erntete seine Missgunst nichts weiter, als ein verneinendes Kopfschütteln.
„Glaub mir, Hayate weiß besser als die meisten anderen, was die Marine, was die Weltregierung, wirklich ist. Er wird seine Gründe haben, wenn er sich mit einer Gruppe von Marinesoldaten zusammenschließt. Doch werden seine Beweggründe nichts mit uns zu tun haben. Dessen kannst du dir sicher sein. Jedoch …“, geriet der Vize-Kapitän kurz ins Stocken, zog dabei einmal mehr kräftig an seinem Glimmstängel. Eine dramatische Pause, mit der er Rockstar am Haken hatte. Das wusste er. Umso mehr genoss er den kurzen, aber umso kräftigeren Zug, ehe er den eingeatmeten Rauch auspustete.
„Gut möglich, dass er es uns eines Tages selbst detailliert erzählen wird. So wie ich ihn kenne, wird er sich das nicht nehmen lassen wollen.“
„Kommt schon, ihr drei Miesepeter dahinten! Trinken wir auf unseren Waffenbruder!“ rief Shanks seinem Vize-Kapitän, wie auch seinem Meisterschützen und Boten zu. Ben Beckman und Yasopp schmunzelten kurz, ehe sie sich ihren Kameraden anschlossen und, gemeinsam mit ihnen, ein erheiterndes Lied anstimmten. Rockstar blieb zunächst fassungslos, schloss sich dann allerdings ebenfalls der Feier an. Zögerlich, widerwillig und geplagt von Restzweifeln.
„Was wird er wohl als Nächstes tun, Kapitän?“
„Wer weiß das schon, Lucky Lou? Aber ich würde ihn nur zu gerne mal wiedersehen!“
Zärtlich strich der Samurai dem kleinen Beagle über sein weiches Fell. Seiner zaghaften Geste folgte ein kräftiges Schwanzwedeln des Vierbeiners.
„Eigenartig“, wandte sich Nathan dem Mann zu, wegen dem seine Ausbilderin Inbegriff war ihren Dienst bei der Marine zu quittieren, wodurch er eine unterbewusste Abneigung dem Schwertkämpfer gegenüber aufbrachte.
„Normalerweise ist er Unbekannten nicht besonders zutraulich“, fügte er an, ehe Hayate sich von den frisch gewischten Holzplanken erhob und sich der Frau am Steuer, sowie ihrem Navigator widmete.
„Was soll ich sagen? Aus irgendeinem Grund konnte ich schon immer ganz gut mit Tieren. Weiß auch nicht wieso.“
Der missbilligende Blick des Kapitäns war ihm nicht entgegen, viel Beachtung schenkte er diesem jedoch nicht. Viel eher hätte es ihn gewundert, wenn dem nicht so wäre. Immerhin war er ein Fremder für sie. Jemand, der steckbrieflich gesucht wurde. Dass loyale Soldaten und Offiziere ihm da mit Missgunst begegneten, war für ihn nur folgerichtig.
„Ich bin jetzt also euer Spitzel, ja?“ richtete er das Wort letztlich an die Frau mit feuerrotem Haar.
„Überrascht dich das etwa? Mich jedenfalls nicht. Lediglich der Zeitpunkt irritiert mich etwas. Wir hätten nicht damit gerechnet, dass diese Information bereits so früh durchsickert. Eigentlich wollten wir unsere Posten erst offiziell niederlegen, sobald wir Midgard erreicht haben. Das hätte die Dinge einfacher gemacht.“
„Weil die Marine das Land nicht betreten kann, ohne einen zwischenpolitischen Konflikt heraufzubeschwören?“
„Exakt. Bevor die Weltregierung von unseren Absichten etwas erfahren hätte, wären wir auch schon außer Reichweite gewesen“, erläuterte Gweneth zähneknirschend. Der Frust darüber, dass der geschmiedete Plan fehlgeschlagen war, nagte offenbar noch immer an ihr.
„Wenn du dich da mal nicht irrst“, murmelte der Samurai leise in sich hinein. So leise, dass weder Gweneth, noch Nathan seine Worte vernehmen konnten.
„Sag mal“, begann die Vizeadmirälin dann, willens ihr Gespräch in andere Bahnen zu lenken.
„Was hat es denn nun eigentlich mit dem Steckbrief von Kyra auf sich? Ich meine, wer ist sie? Und wieso will die Regierung sie ausschließlich lebendig haben?“
Worte, die den Samurai ins Grübeln brachten. Denn anders als Brios, kannte er die Frau, die neben ihm stand, nur zu gut. Auch wenn sie sich 16 Jahre nicht gesehen hatten, so waren die Erinnerungen, die er an ihre gemeinsame Zeit hatte, doch durchweg geprägt von gegenseitigem Vertrauen und Respekt. Sich ihr anzuvertrauen war daher ein Schritt, den er ernsthaft in Erwägung zog. Und dennoch zögerte er, denn das, was er zu sagen hätte, wäre von besonderer Brisanz. Es war ein sehr persönliches Thema, für dessen Aufarbeitung man sowohl den richtigen Ort, als auch Zeitpunkt abpassen musste. Und er sah weder das Eine, noch das Andere als gegeben an.
„Kyra und ich haben viel zusammen erlebt. Acht Jahre haben wir gemeinsam verbracht, eines davon im Impel Down. Den Tag, an dem ihre wahre Identität ans Tageslicht kommt, habe ich immer gefürchtet. Ich wusste, dass es irgendwann soweit kommen würde, doch hatte ich immer gehofft, dass ich bei ihr wäre, sowie die Zeit gekommen ist. Auch deswegen ist es von besonderer Bedeutung für mich, dass sie ebenfalls nach Midgard reist. Jetzt, wo die Weltregierung um ihre Existenz weiß, wird sie alles daran setzen, sie zu finden. Und durch die auferlegte Isolation des Landes, kann es momentan für sie kaum einen sichereren Ort geben. Wobei Sicherheit in diesen Tagen überaus selten geworden ist“, begann Hayate zu erläutern, ohne jedoch wirklich konkret zu werden. Denn das wollte er auch gar nicht. Trotz des Vertrauensverhältnisses zwischen ihm und Gweneth, war dies eine Problematik, über die er sich noch nicht zu viele Gedanken machen wollte.
„Wie dem auch sei, das ist nichts, womit du dich derzeit aufhalten musst. Mach dir also bitte keine Sorgen. Ich kümmere mich um darum. Nur wohl etwas früher, als ich es ursprünglich geplant hatte. Aber das ist ja etwas, womit du dich ja inzwischen auch auskennen dürftest“, führte Hayate schlussendlich aus, nachdem er bemerkt hatte, wie er sich, einmal mehr, drohte in seiner eigenen, verworrenen Gedankenwelt zu verlieren.
„Sind wir noch auf Kurs?“ lenkte er sogleich ab, was ihm ein kurzes Nicken der Vizeadmirälin einbrachte, die zwar wenig begeistert zu sein schien, es zähneknirschend jedoch hinnahm, dass der Samurai sich in Schweigen und kryptischen Andeutungen hüllte. Denn sie wusste, dass sie nichts aus ihm herausbekommen würde. Es sei denn er wäre bereit zu reden. Doch das war er nicht.
„Ich finde immer noch, dass wir Brios davon erzählen sollten. Es wird ihm gar nicht gefallen, dass wir das über seinen Kopf hinweg entschieden haben“, gab die Frau mit feuerrotem Haar zu bedenken, was Hayate ein kurzes, verächtliches Schnaufen abrang.
„Nun, er und ich haben uns zuletzt zwar etwas angenähert, aber ich habe momentan weder die Zeit, noch die Lust mich auf eine weitere, sinnfreie Debatte mit ihm einzulassen. Nichts für ungut, aber der Kerl redet eindeutig zu viel.“
„Nichts für ungut, aber du redest nicht genug“, brachte Gweneth ihren Unmut darüber, dass der Samurai offenbar nicht nur Brios, den er kaum kannte, sondern auch sie über solch offenkundig bedeutsame Dinge, wie die besondere Stellung und Bedeutung von Kyra, im Unklaren lassen wollte.
„Selbst wenn ich’s ihm sagen wollen würde, ich glaube, dass Brios gerade ganz andere Dinge hat, die ihn beschäftigen. Ich will mir gar nicht ausmalen, wie der neue Großadmiral auf die Nachricht reagiert hat, dass drei seiner besten Vizeadmiräle sich mit einem ehemaligen Mitglied der Rothaarpiraten verbündet haben“, entgegnete Hayate ihr. Ohne eine Miene zu verziehen, schluckte er die anmaßende Bemerkung seiner Vertrauten runter. Wenigstens für den Augenblick.
„Was zum Teufel hast du dir dabei gedacht, Brios?!“ hallte eine tiefe, raue Stimme durch die kleine Teleschnecke, die auf dem maroden Tisch des Vizeadmirals stand. Inmitten seiner Kajüte, in der sich sonst nichts weiter befand, als eine einzelne Hängematte. Eine äußerst bescheidende Unterkunft für einen hochdekorierten Offizier des Marinehauptquartiers.
„Gweneth, Stellan und du werdet euch unverzüglich im Hauptquartier für eine Befragung einfinden. Die Weltregierung mag eure Intentionen verschleiert haben, doch eure Schuld bleibt bestehen!“
„Ich lehne ab.“
Die Wut, die in dem Mann am anderen Ende der Leitung brodelte, kochte bei diesen trockenen und nüchternen Worten geradezu über. Wie ein Vulkan, der ausbrach. Die impulsiven Emotionen des Zornes waren nicht mehr nur in seiner Stimme, sondern auch in der Mimik der Teleschnecke deutlich erkennbar, die der Vizeadmiral vor sich sah.
„Das war keine Bitte! Verweigert ihr den Befehl, so werde ich nicht zögern euch offiziell auf die Fahndungsliste zu setzen. Hast du das verstanden?!“ fauchte der Großadmiral seinen Untergebenen an, den die Worte, wie auch die Aggressivität seines Vorgesetzten, vollkommen kalt ließen.
„Du scheinst es noch nicht so ganz begriffen zu haben, Sakazuki … Wir sind fertig mit der Marine. Wir sind fertig mit der Regierung. Das hier hat weder etwas mit euch, noch mit den Piraten zu tun. Aber das scheint ihr nicht begreifen zu wollen. Es geht nicht um euch. Es geht um etwas vollkommen Anderes. Etwas, was sich deinem eingeschränkten Horizont entzieht“, erwiderte Brios ihm mit ruhiger, gelassener Stimme in dem Glauben, dass sein Vorgesetzter noch wütender ohnehin nicht mehr werden konnte. Doch diese Annahme sollte sich alsbald als Irrtum entpuppen. Mit einem Mal fuhr dieser ihn so lautstark an, sodass der Vizeadmiral kurz befürchtete, das gesamte Oberdeck könnte womöglich den Worten des Großadmirals folgen.
„Mäßige dich, Brios! Das ist die letzte Chance. Für dich, wie auch für deine Mitverschwörer. Andernfalls werde ich euch sofort eures Amtes entheben und alle verfügbaren Einheiten mobilisieren, um euch dingfest zu machen. Und sei versichert, dass es mir vollkommen egal ist, ob man mir eure Körper lebendig oder tot aushändigt!“
„Tu, was du nicht lassen kannst. Wir haben erreicht, was wir erreichen wollten. Unsere Titel haben ihren Wert verloren. Wir sind auf unseren Rang, auf unsere Reputation und auf unsere Privilegien nicht länger angewiesen. Betrachte dieses Gespräch daher als unser aller Kündigung.“
Dies waren die letzten Worte, die Brios mit seinem Vorgesetzten auszutauschen gedachte. Er spürte, wie der Zorn des Großadmirals drohte sich in puren Hass zu wandeln. Eine weitere Schimpftirade stand kurz bevor, doch das kümmerte ihn nicht weiter. Er hatte gesagt, was er zu sagen hatte. So legte er auf, ließ sich für einen kurzen Moment in die Lehne seines Schreibtischstuhls zurückfallen, ehe ihm ein lauter Seufzer über die Lippen wich. Er schloss die Augen, willens das hitzige Telefonat innerlich zu verarbeiten, doch diese Zeit gewährte man ihm nicht.
„Land in Sicht!“ ertönte plötzlich die Stimme von Stellan, was ihn aufhorchen ließ. Ohne zu zögern erhob er sich von seinem Stuhl und eilte aus seiner Kajüte heraus. Die Vorfreude darauf endlich wieder seine Heimat zu sehen, übermannte ihn. Er konnte es kaum mehr erwarten, obwohl er wusste, dass ihre Heimkehr kaum Grund zur Freude war.
„Dieser Mistkerl!“ fluchte Sakazuki in seinem pompösen Büro, während er zu der Stelle blickte, an der sich zuvor noch sein Schreibtisch befunden hatte. Dieser war in sich zusammengebrochen. Unter der Kraft seines Magmaarms zerbarstete das Holz, ehe die Hitze es in Kohl und Asche verwandelte.
„Informiert sofort alle verfügbaren Einheiten, die in unmittelbarer Nähe von Midgard patrouillieren. Lasst auf keinen Fall zu, dass sich die Cyanid der Insel nähert. Brios, Stellan und Gweneth dürfen das Land unter keinen Umständen betreten. Ist das klar?!“ fuhr der Großadmiral den Marinesoldaten an, der vor ihm aufrecht stand und salutierte, wenngleich die Angst ihm förmlich ins Gesicht geschrieben stand. Dicke Schweißperlen am ganzen Körper, sowie das Beben sämtlicher Gliedmaßen verrieten seine Furcht vor einem Tobanfall des jähzornigen Großadmirals, der ihm das Leben kosten würde, sollte er seine Aggressionen nicht länger auf tote Gegenstände, sondern stattdessen auf ihn entladen. Zu seinem Glück kam es dazu jedoch nicht. So verließ er kurzerhand das Büro des Oberbefehlshabers und tat sogleich, wie man ihm aufgetragen hatte.
Kapitel 8: Schwurbruch
Dichter Rauch stieg zum Himmel auf. Kanonenkugeln schlugen unaufhörlich in die heruntergekommenen Häuser ein, brachten sie zum Einsturz. Die verzweifelten Schreie derer, die in den Trümmern begraben, von den Flammen erdrückt oder durch den Qualm erstickt wurden, hallten unaufhörlich in ihren Gedanken wider. Es quälte sie, dass sie diesen Menschen nicht helfen konnte. Doch sie wusste, dass sie sich von diesem Schmerz nicht beirren lassen durfte. Sie wusste, dass sie nicht alle retten konnte. Dies zu glauben war utopisch und realitätsfremd. Das wusste sie besser, als es wohl die meisten anderen taten. Und so schritt sie selbstbewusst voran, ihr Ziel immer klar vor Augen. Ein pompöser Palast, fernab der Verwüstung, des Chaos und des Schreckens.
Um sie herum scharrten sich immer mehr Bewohner des Landes. Die Mistgabeln und Fackeln gen Himmel reckend, während neben ihr eine Frau marschierte, deren Haar ebenso violettfarbend war, wie ihr Eigenes. Die junge Frau, die neben ihr marschierte, hielt indes eine auffällige, rötliche Fahne in ihrer rechten Hand, auf der das Wappen der Revolutionsarmee aufgedruckt war.
„Wehrt euch gefälligst auch selbst, wertloser Abschaum“, sprach die Revolutionärin, in deren Mundwinkel eine Zigarette qualmte zu den Einwohnern, die sich weiter um die beiden Frauen scharten. Und so handelten sie, wie von ihnen gefordert. Die wenigen Soldaten, die noch den Mut und die Kraft zum Kämpfen aufbringen konnten, wurden sogleich vom wütenden Mob niedergerungen. Deren Angriffslust erlosch jedoch sogleich wieder, als sie, wie auch die beiden Revolutionärinnen, bemerkten, wie sich hunderte von einheimischen Soldaten auf sie zubewegten. Ihre Waffen gezückt, schien ihr Auftrag eindeutig zu sein. Der von den beiden Frauen angezettelte Aufstand sollte zerschlagen werden. Notfalls auch mit noch mehr ausgeübter Gewalt gegen die Zivilbevölkerung, als es die heimische Armee ohnehin schon seit Jahren praktizierte.
„Gut, ich fürchte das könnte zu viel für sie sein … Also, worauf wartest du noch, Saga?“ fragte Belo Betty ihre Gefährtin, während sie dieser nur einen fragenden Blick entgegenwarf. Diese rhetorische Frage ihrer Kommandantin war alles, was sie hören musste. Was sie hören wollte. Die Frau mittleren Alters, deren Kleidung ebenso violett wie ihr Haar war, hielt plötzlich inne. Ihre Befehlshaberin, wie auch die rebellierenden Zivilisten, taten es ihr gleich. Doch die Soldaten schritten weiter voran, kamen mit jeder Sekunde, die verstrich, den Rebellen und Revolutionären bedrohlich näher. Beirren ließ sie sich davon jedoch nicht. Sie schloss ihre Augen. Ein lilafarbener Schleier umhüllte ihre Fäuste, ehe sich diese Aura über ihren gesamten Körper ausbreitete. Kleine Steinbrocken, wie auch größere Trümmer, die sich in ihrer unmittelbaren Umgebung befanden, begannen plötzlich zu schweben. Mit einem Mal riss sie ihre Augen wieder auf, ihre Iris funkelte ebenso violett, wie es ihr Körper nunmehr tat. Blitzartig rasten die umhertreibenden Steine auf die marschierenden Soldaten zu. Unfähig dem etwas entgegenzusetzen, wurden vereinzelte Männer von der immensen Wucht dieses Angriffs erfasst und niederschmetternd zu Boden gerissen. Wieder andere von ihnen, die von größeren und massiveren Trümmern erfasst wurden, wurden gar vollständig unter ihnen begraben und zerquetscht. So wie jener Schutt auch so viele, unschuldige Bürger des Landes verlocht hatte. Jene, die von ihrem Angriff verschont geblieben waren, reagierten zunächst geschockt auf ihre Kräfte, ließen sich davon jedoch nicht allzu lange beirren. Stattdessen stürmten sie lauthals auf sie zu. Die rebellischen Bürger machten sich kampfbereit, wurden von Belo Betty jedoch zurückgehalten.
„Ihr Versager habt bereits genug getan, dieser Kampf gehört ihr“, gab sie den Menschen zu verstehen. Bevor jene reagieren konnten, stürmte Saga auf die heraneilenden Soldaten zu. Dies geschah so schnell, dass keiner der Anwesenden überhaupt wahrnehmen konnte, was vor sich ging. Sie konnten es lediglich anhand erzeugter, nebelähnlicher Formen erahnen, die ihre Bewegungen wie eine Spur hinterlassen hatten. Es wirkte fast so, als würde sie ihren eigenen Körper in Richtung der Soldaten schleudern. Und so traf ihre geballte, schwarzverfärbte Faust einen der vordersten Kämpfer des Königs mit aller Kraft, noch bevor dieser überhaupt wusste, wie ihm geschah. Eine gewaltige Druckwelle entstand, die die umliegenden Soldaten von den Beinen riss. Ihre violette Aura hatte sich indes noch immer nicht gelegt, breitete sich erneut über ihre Umgebung aus und erfasste nunmehr nicht mehr den Schutt, sondern stattdessen jene Männer, die von ihrem zuvor verursachten Druck zu Boden gerissen worden waren. Ziellos trieben sie in der Luft umher, unfähig sich aus der Schwerelosigkeit zu befreien. Ruckartig riss Saga ihre Arme gen Himmel. Die umhertreibenden Soldaten taten es ihrer Bewegung unwillentlich gleich. Blitzschnell wurden ihre Körper in die Höhe geschossen.
All jene, die von ihren Angriffen bislang verschont geblieben waren, waren wie gelähmt. Sie waren völlig starr vor Angst. Ihre Münder standen weit offen, dicke Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Haut. Sie wussten nicht, wie ihnen geschah. Sie wussten nicht, wie sie jemandem wie ihr gewachsen sein sollten. Es dauerte einige Augenblicke, bis einer von ihnen schließlich seinen letzten Mut zusammenfasste. So richtete er den Lauf seines Gewehrs auf sie aus, zielte auf ihren Kopf und drückte nach kurzzeitigem Zögern den Abzug. Die Kugel sauste auf sie zu, kam jedoch zum Erliegen, noch bevor sie ihren Körper erreichen konnte. Der violette Schleier, der sie umgab, umhüllte nunmehr auch die Kugel, die sogleich vor ihren Augen ziellos in der Luft umhertrieb. Dann legte sich jene Aura, woraufhin die Patrone zu Boden fiel. Ein flüchtiges, verschmitztes Grinsen wich ihr über ihre Lippen, als sie ihre Arme mit einer ähnlich ruckartigen Bewegung nach unten riss, wie sie sie zuvor noch nach oben bewegt hatte.
Leise Schreie waren zu vernehmen. Schreie, die immer lauter und intensiver zu werden schienen. Irritiert sahen die königlichen Truppen sich um, bis sie schließlich realisierten, woher die Rufe kamen. So richteten sie ihre Blicke gen Himmel, wo sie unzählige, kleine Punkte zu erkennen glaubten, die von Augenblick zu Augenblick größer zu werden schienen. Solange, bis sich Umrisse und Formen zu erkennen gaben. Solange, bis sie begriffen, dass es ihre Kameraden waren, die wie Kanonenkugeln auf sie herabgeschossen wurden. Verzweifelt versuchten sie die Flucht zu ergreifen. Ein Unterfangen, das die Revolutionärin jedoch zu unterbinden wusste. So nutzte sie ihre telekinetischen Fähigkeiten, um eine Mauer aus Schutt und Trümmern zu erschaffen, die ihnen jedweden Fluchtweg abschnitt. Machtlos und wohlwissend, dass dieser letzte, hoffnungslose Versuch ihre Gegnerin zu töten, von keinem Erfolg gekrönt sein würde, griffen sie zu ihren Gewehren und waren Inbegriff eine Salbe an Kugeln auf sie abzufeuern, doch bevor sie den Abzug tätigen konnten, wurden auch schon die ersten von ihnen von den herabsausenden Körpern ihrer Gefährten erfasst. Das Bersten ihrer Knochen war wie Musik in den Ohren der Frau, die nicht gedachte auch nur einen dieser skrupellosen und barbarischen Männer entkommen zu lassen. Die Leichen fingen an sich zu stapeln, der Boden war blutrot getränkt und die nach Hilfe rufenden Schreie verstummten. Einer nach dem anderen. Bis es still wurde. Totenstill.
„Gute Arbeit, Saga“, wusste die Kommandantin der Ostarmee die unbehagliche Stille zu beenden.
„Wir sind noch nicht fertig“, entgegnete ihre Gefährtin ihr, den Blick noch immer zielstrebig auf den pompösen Palast gerichtet, der auf der Anhöhe vor ihnen thronte. Sie strich sich mit dem rechten Daumen über ihre Lippen, wischte sich vereinzelte Bluttropfen ihrer Feinde von den Mundwinkeln, und schritt dann voran. Ohne eine Miene zu verziehen, ohne auch nur einen Hauch von Reue zu verspüren, stolzierte sie über die lauwarmen Kadaver der gemeuchelten Soldaten. Revolutionäre, wie auch rebellierende Bürger folgten ihr.
„Eure Hoheit, soeben ist der Kontakt zu unserem Bataillon abgerissen“, erstattete ein Mann in schimmernder Rüstung dem jungen Regenten, auf dessen Kopf eine goldene Krone ruhte, während er einen eleganten Pelzmantel trug, Bericht.
„Unmöglich. Versucht es noch einmal, wir müssen …“.
Seine panische Ansprache wurde plötzlich von einem lauten Geräusch unterbunden, das vor seinen Toren ertönt war. Ein gewaltiger Knall, fast wie ein Donnerschlag, der gegen die massiven Mauern seines Palastes geprallt war. Dieses Scheppern wiederholte sich einige Male. Und mit jedem weiteren Schlag konnten der König, wie auch seine ihm noch verbliebenen Untergebenen, deutlich erkennen, wie die Tore des Schlosses sich immer weiter zu verbiegen schienen. So als würde jemand versuchen es mit Gewalt aufzustemmen. Ein unheilvoller Verdacht, der sich sogleich bestätigen sollte. Denn ein letzter Schlag zertrümmerte die massiven Tore und beförderte sie ins Innere des Palastes, wo ihre bröckligen Trümmer zu Boden krachten.
Ein kleiner Trupp an Soldaten sammelte sich sogleich vor dem Thron. Die letzte Verteidigungslinie. Ein letzter, verzweifelter Versuch ihren König zu beschützen. Ihre Pflicht zu erfüllen. Ihre Angst jedoch war unverkennbar. Auch ihre, durch ihre Ritterhelme verdeckten, Gesichter vermochten ihre Furcht nicht zu verbergen. Ihre Körper bebten, ihre Schwerter und Speerspitzen rasselten aneinander. Sie wussten um die Ausweglosigkeit ihrer Situation.
Herein traten nunmehr zwei attraktive Frauen mit violettem Haar, die sich im pompösen Thronsaal nur neugierig umsahen. Bis sie die goldene Krone erspähten, die hinter dem kleinen Trupp zu funkeln schien.
„Überlegt euch eure nächsten Schritte jetzt ganz genau. Mehr als eine Chance bekommt ihr nämlich nicht von uns“, gab Saga den zitternden Soldaten unmissverständlich zu verstehen, während ihr Körper in ihrem unheilvollen, lilafarbenen Schleier gehüllt wurde. Nervös blickten sie einander an, ehe sie ihre Entscheidung bedeutend schneller trafen, als es die beiden Revolutionären vermutet hätten. So ließen sie ihre Waffen sogleich fallen, ehe sie vor den beiden Frauen auf die Knie fielen und um Gnade flehten.
„Verräter!“ brüllte der amtierende König wutentbrannt, bis ihn ein kleiner Steinbrocken, mit erstaunlicher Rasanz, im Gesicht traf und in die dunkle Umarmung der Ohnmacht beförderte.
„Was soll das werden? Wisst ihr überhaupt wer ich bin?“ fauchte der gestürzte König die beiden Revolutionären an, die derweil eine Bilanz über verlorene Soldaten, wie auch gewonnene Ressourcen aufstellten, die sie in ihrem Kampf mit der Weltregierung fortan unterstützen könnten.
„Ihr seid König Agenor III. Ihr habt Euch vor vier Jahren zum König von Delos ausgerufen, nachdem Ihr Euren eigenen Vater hintergangen habt. Nachdem er nicht länger bereit war das wahre Gesicht der Weltregierung zu erdulden, war er willens sich unserer Sache anzuschließen. Denn er wollte, dass sein Volk nicht länger, durch das von den Weltaristokraten verhängte Himmelsgeld, ausgebeutet wird. Er wollte seinen Bürgern helfen. Ihr jedoch nicht. Euch ist das Allgemeinwohl völlig egal. Ihr habt darin einfach nur eine Möglichkeit gesehen, um selbst die Macht zu ergreifen, in dem Ihr Euch direkt an die Weltregierung gewandt habt. Ihr habt damit den Anlass dafür gegeben, dass die Weltaristokraten der Cipherpol den Auftrag erteilten, Euren Vater zu meucheln, wodurch Ihr Euch den Thron sichern konntet. Also ja, wir wissen ganz genau, wer Ihr seid“, entgegnete Saga ihm nur mit ruhiger Stimme, während sie das Geld zählte, das sie aus seinen Schatzkammern bergen konnten und gedachten dem gebeutelten Volk zurückzugeben.
„Dann wisst ihr jawohl auch, was euch blüht, wenn ihr mich nicht sofort losmacht und aus meinem Land verschwindet!“ klammerte sich Agenor an den letzten Funken Hoffnung, den er noch in seinem ausgelaugten Körper trug, während seine Glieder, die x-förmig an die Wand seines Thronsaals gekettet waren, immer schwerfälliger wurden.
„Falls Ihr es noch nicht bemerkt haben solltet, wir fürchten den Konflikt mit der Weltregierung nicht. Ganz im Gegenteil sogar, wir begrüßen ihn“, erwiderte Saga ihm, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen. Der Funke, er erlosch sogleich.
„Wo du’s gerade ansprichst“, wandte sich Belo Betty nunmehr ihrer Kameradin zu.
„Ich habe soeben einen Anruf von Karasu erhalten. Offenbar sollen sich alle Kommandanten und Offiziere zeitnah auf Momoiro Island einfinden. Die diesjährige Reverie steht kurz bevor.“
Ein breites, freudiges Grinsen wich Saga über ihre vollen Lippen.
„Wurde auch Zeit. Ich kann’s kaum erwarten Faol endlich wiederzusehen!“
Worte, die ihre Kommandantin aufhorchen ließen.
„Hast du’s noch gar nicht gehört?“
„Was denn?“ hakte Saga irritiert nach.
„Faol hat vor wenigen Wochen um seine Freistellung gebeten. Konkretes über seine Beweggründe hat er uns verschwiegen. Wir wissen nur, dass es persönliche Gründe hat und er sich auf den Weg nach Midgard gemacht hat. Eine Nation, die sich außerhalb jedweder Zuständigkeit befindet.“
Ein flüchtiger Schauder überkam die Offizierin. Gänsehaut überkam sie, ihre Augen weiteten sich.
„Sagtest du gerade Midgard?“
In heller Erwartung sein Heimatland zu erblicken, eilte Brios enthusiastisch an Deck der Cyanid. Seine Überschwänglichkeit schlug jedoch sogleich in Ernüchterung um, als seine Augen seine Hoffnungen untergruben. So erspähte er nicht seine Heimat, sondern stattdessen eine kleine, unscheinbare und offenbar verlassene Insel, die sich mitten im Nirgendwo zu befinden schien. Keine Flora, keine Fauna. Auch keine Zivilisation. Auf diesem kleinen Fleckchen Land befand sich nichts. Absolut gar nichts. Kein einziges Lebenszeichen war zu erkennen. Ein paar vereinzelte Häuser, deren Gemäuer von Moos befallen worden waren, erspähte er zwar. Auch vereinzelte, verbrannte Fundamente, die zumindest erahnen ließen, dass es einst zivilisiertes Leben auf dieser Insel gab, waren erkennbar. Doch Lebenszeichen schien es keines zu geben.
„Was hat das zu bedeuten, Gweneth? Wo sind wir? Und vor allem, warum sind wir hier?“ wandte sich der schlanke Mann seiner Freundin zu, deren Hände das Steuerrad des Schiffes fest umschlangen.
„Ich hatte um eine kurzfristige Kursänderung gebeten. Es ist allerdings auch nur ein Umweg von wenigen Stunden, mach dir also keine unnötigen Gedanken darüber“, funkte Hayate seiner neugewonnenen Weggefährtin dazwischen.
„Sag du mir nicht, worüber ich mir Gedanken machen soll und worüber nicht. Und überhaupt, bist du nicht auf die Idee gekommen, dass ich über so etwas auch gerne frühzeitig in Kenntnis gesetzt werden würde?“ entgegnete Brios ihm mit missbilligendem, fast schon aggressiven, Unterton.
„Nun, du wirktest so, als wärst du in deiner Kajüte ausreichend beschäftigt gewesen. Da wollte ich dich nicht stören. Wie geht’s Sakazuki denn so?“, erwiderte der Samurai dem schlanken Mann mit ruhiger, nüchterner Stimme, in der Brios jedoch auch eine Spur des Spottes zu vernehmen glaubte. Dabei wirkte der Schwertkämpfer vollkommen unbeeindruckt von dem Missmut, der ihm einmal mehr vom Vizeadmiral entgegengebracht wurde. Dann grinste er verschmitzt, ehe er als Erster von Bord ging.
„Was fand Flaith bloß an diesem Kerl?” murmelte er argwöhnisch vor sich her. Laut genug jedoch, sodass Gweneth jedes Wort vernehmen konnte.
„Dir ist es noch nicht aufgefallen?“
„Was soll mir noch nicht aufgefallen sein?“ hakte er wissbegierig nach.
„Ihr seid euch ähnlich.“
Ein kurzes Schmunzeln wich der rothaarigen Frau über ihre Lippen. Freundschaftlich klopfte sie ihrem alten Kameraden auf die Schulter, ehe auch sie das Schiff verließ und das triste Land betrat. Brios blieb zunächst verdutzt zurück, folgte ihr jedoch alsbald. Mit einem solch unscheinbaren und unterbewussten Grinsen im Gesicht, dass nicht einmal er selbst das Verziehen seiner Mundwinkel wahrnahm.
An Land bestätigte sich sein Ersteindruck, den er bereits aus der Ferne gewinnen konnte, sogleich. Keine Menschen, keine Tiere. Nicht einmal Pflanzen schienen auf dieser Insel noch zu existieren. Die meisten Gebäude waren eingerissen, die Erde war verkohlt und ausgetrocknet. Das Land war unfruchtbar. Selbst wenn es noch Leben geben würde, würde es in dieser Einöde nicht lange überleben können.
In seiner langen Laufbahn bei der Marine hatte er zwar schon viel gesehen, doch eine fruchtlose Insel wie diese hatte selbst er noch nie zuvor erblicken müssen. Ein Anblick, der ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Würde dieses Land am nächsten Tag im Meer versinken, würde es niemanden scheren. Niemand würde es auch nur bemerken.
Gweneth lief einige Meter weiter vor ihm, binnen eines Wimpernschlags flanierte er plötzlich neben ihr. Sie wusste um sein immenses Tempo, hatte es schon oft genug erlebt, weshalb es sie auch längst nicht mehr zu überraschen wusste, wenn er blitzartig neben ihr erschien.
„Hast du eine Ahnung, warum wir hier sind?“ fragte Brios sie schließlich, woraufhin sie jedoch nur verneinend mit dem Kopf schüttelte.
„Stellan und ich wissen auch nichts Genaueres. Hayate sagte nur, dass der Besuch dieser Insel für ihn von entscheidender Bedeutung ist.“
„Und ihr habt trotzdem eingewilligt?“
„Natürlich. Wir kennen und vertrauen ihm. Wenn er sagt, dass er vorher hierhin muss, dann wird er schon seine Gründe haben. Irgendwann wirst auch du das verstehen können.“
„Wenn du das sagst.“
Nach einiger Zeit des stillschweigenden Fußmarsches, dem Durchqueren der abgebrannten Ortschaft und der aschebedeckten Felder, fanden sie sich schlussendlich auf einem kleinen Hügel wieder. Ein unscheinbarer Ort, an dem nicht mehr, als ein einzelner Baum wuchs. In den Schatten der Baumkrone jedoch ragten einige Steine hervor. Drei feingeschliffene Steine. Steine, die mit individuellen Gravuren verziert waren. Da realisierten sie, wo sie waren. Auf einem Friedhof.
Hayate ging auf die Knie, schloss seine Augen und erspürte die zarte Brise des lauwarmen Windes, die sein lockiges, braunes Haar aufwirbelte. Die Blätter tanzten im Wind, Brios und Gweneth verschränkten die Arme vor ihren Körpern. Sie wussten zwar nicht, wer dort begraben lag, doch zollten sie ihnen den gleichen Respekt, den sie an jedem anderen Grab ebenso erbringen würden. Sie schlossen ihre Augen, öffneten sie jedoch sogleich wieder, als Hayate das Schweigen letztendlich brach.
„Es tut mir leid“, begann er mit zittriger Stimme.
„Vor 16 Jahren habe ich nicht nur mir selbst, sondern auch dir geschworen, dass ich nie wieder nach Midgard zurückkehren würde. Doch …“.
Erneut geriet er ins Stocken. Er rang mit sich selbst. Mit seinen Emotionen. Mit seiner Trauer. Gweneth machte einen Schritt nach vorne, wollte ihm tröstend zur Seite stehen, wurde jedoch von Brios gestoppt. Auch wenn er wusste, dass seine Kameradin aus guten Absichten heraus handeln wollte, so erkannte er jedoch etwas, was sie kurzzeitig vergessen hatte. Er realisierte, dass Hayate unsagbare Schmerzen hatte. Schmerzen, die ihn seit beinahe zwei Jahrzehnten zu quälen schienen. Und er realisierte, dass er in diesem Moment keine Unterstützung brauchte. Geschweige denn wollte. Alles was er brauchte, war dieser Moment. Dieser stille Moment. Dieser einsame Moment. Auch wenn Gweneth es nicht begreifen konnte, er tat es. Er wusste, dass Augenblicke wie diese nötig waren, um wahrhaft heilen zu können.
„Einen einmal abgelegten Schwur zu brechen, ist eine Schande für einen Samurai. Ein unverzeihliches Vergehen. Das weiß ich. Doch ich gab ihm ein Versprechen. Es ist eine unerträgliche Wahl, vor die mich das Leben gerade stellt. Und auch wenn ich es vorziehen würde gar nicht zu wählen, auch wenn ich all das am liebsten einfach hinter mir lassen würde, so hab ich ihm doch mein Wort gegeben. Dieses Versprechen, dieses eine Versprechen, kann ich nicht brechen. Ich kann es nicht. Selbst wenn das bedeutet, dass ich meinen Schwur dir gegenüber brechen muss.“
Er geriet ins Stocken, seine Worte blieben ihm im Hals stecken. Er musste sich sammeln, seine Emotionen drohten ihn zu übermannen.
„Ich weiß, dass ich keine Vergebung verdient habe. Doch ich hoffe … Ich hoffe, dass du es eines Tages verstehen wirst. Ich hoffe, dass du mir Gnade erweisen kannst, wenn wir uns im nächsten Leben wiedersehen werden“, beendete Hayate seinen Monolog schlussendlich. Mit aller Kraft, die er noch aufbringen konnte. Dann griff er in das Innere seines Kimonos, holte drei Kerzen hervor, von denen er jeweils eine auf eines der Gräber stellte, bevor er sie anzündete. Dann hielt er inne, atmete einmal durch und erhob sich wieder von der vertrockneten Erde unter seinen Knien.
Stillschweigend wandte er sich von den Grabsteinen ab, ging auf die beiden Marineoffiziere zu und passierte sie. Ohne eine Miene zu verziehen. Ohne auch nur ein Wort von sich zu geben. Gweneth wollte es ihm gleichtun, wurde jedoch ein weiteres Mal von Brios aufgehalten.
„Kannst du mir vielleicht mal erklären, wovon ich gerade Zeuge geworden bin?“ fragte er seine alte Freundin, die zunächst noch einen flüchtigen Blick zu Hayate warf, um sich zu vergewissern, dass er sich außer Hörweite befand.
„Vor 16 Jahren wurde Hayate‘s Bruder ermordet“, antwortete sie ihm schlussendlich, was die Neugier in Brios jedoch nicht stillte, sondern lediglich weiter entflammte.
„Und was genau …“, begann er, wurde jedoch augenblicklich von Gweneth unterbrochen.
„Hayate ist derjenige, der seinen Bruder getötet hat.“
Geschockt blieb der Vizeadmiral an der Grabstätte zurück. Allein, denn seine Kameradin hatte nun ebenfalls den Marsch zur Cyanid angetreten. Bemüht die brisante Information, die sie ihm soeben anvertraut hatte, zu verarbeiten, ließ er seinen Blick noch einmal flüchtig zu den Grabsteinen wandern. Viel konnte er aus der Ferne nicht erkennen, doch ein Wort tauchte auf jedem dieser drei Steine auf.
„Fugetsu …“
Inmitten eines ausgetrockneten Ödlandes blickte ein Mann, der eine silberne Rüstung trug, durch ein Fernglas. Am Horizont erspähte er ein kleines, unscheinbares Schiff, das eine rotfarbene Flagge gehisst hatte. Auf dieser befand sich ein abstraktes Abbild, sowie jeweils ein aufgedrucktes R und A. Der Soldat bemerkte sogleich, dass das Schiff offenbar direkt auf ihr Land zusteuerte.
Hektisch, beinahe panisch, eilte er in eine nahegelegene, stillgelegte Werft, in der sich einige Überreste von Langbooten befanden, die auseinandergenommen und demontiert worden waren. Inmitten dieser Ruine saß eine große Gestalt, deren Gesicht von den Schatten des Inneren der Werfts bedeckt wurde, auf einem prahlerischen, hölzernen Stuhl, der aus den Trümmern der Boote geformt worden war.
„Mein Jarl, ein Schiff nähert sich unserem Hafen!“ erstattete sein unterwürfiger Bote ihm Bericht, der sogleich vor seinen Füßen auf die Knie gegangen war.
„Ein Schiff also, hmm?“ erwiderte dieser mit einer Mischung aus Argwohn und Belustigung in seiner Stimme. Dann griff er in eine kleine Schale, die zu seiner Rechten auf einem großen Holztisch ruhte. Dieser entnahm er eine rohe und ungekochte Schweinsleber, in die er sogleich hineinbiss. Blut rannte ihm über seine nach oben gezogenen Mundwinkel, während er das zähe Fleisch zerkaute.
„Wie lange ist es nun schon her, seitdem es das letzte Mal jemand gewagt hat unser Land anzusteuern? Fünf Jahre? Sechs Jahre?“ fügte er rhetorisch an, nachdem er erneut in das rohe Stück Fleisch in seiner Hand gebissen hatte.
„Worauf wartet ihr noch? Greift zu den Waffen. Bereiten wir unserem Besuch einen herzlichen Empfang!“
Ein breites Grinsen, das seine spitzen Fangzähne entblößte, die blutrot getränkt waren, machte sich auf seinen Lippen breit.
Auch in Feuertaufe wird es natürlich wieder viele eigene Charaktere, Fraktionen und Orte geben. Aber auch Überschneidungen mit dem Manga sind denkbar, teils schon geplant und teils auch schon umgesetzt (so bereits im Prolog geschehen). Aktuell sind einzelne Arcs allerdings nicht geplant, somit auch keine eigenen Sagen. Es wird alles eine, zusammenhängende Geschichte sein, die ich erzählen möchte. Je nach Entwicklung könnte eine Strukturierung in einzelne Handlungsabschnitte vielleicht noch folgen. Geplant ist das bislang aber nicht.
Ich weiß derzeit auch noch nicht, wie langwierig dieses Projekt sein wird, geschweige denn in welchem Rhythmus es Nachschub geben wird. Ich will mich da auch nicht mehr unnötig unter Druck setzen, was den Umfang der Geschichte betrifft. Ich kann aber ziemlich sicher behaupten, dass es weder 300+, noch "nur" etwa 20 Kapitel werden dürften. Irgendwas zwischen 50 - 100 Kapitel erscheint mir derzeit am Realistischsten zu sein. Aber wie gesagt, no pressure. In diesem Zuge ist übrigens auch die durchschnittliche Kapitellänge noch unklar, dürfte aber dann doch etwas / deutlich umfassender ausfallen, als es früher bei mir der Fall war.
Als Rhythmus peile ich indes erstmal alle zwei Wochen an. Das kann hier und da aber auch variieren, je nach dem ob ich bspw. etwas Vorarbeiten konnte oder eben dem Zeitplan - aufgrund äußerer Umstände - hinterher hinke. Konkret drauf festlegen möchte ich mich aber auch hier nicht.
Abschließend dazu sei nur noch gesagt, dass die Story bereits komplett durch konzipiert ist. Einige Charaktere und Orte müssen zwar noch genauer ausgearbeitet werden, das Grundgerüst steht jedoch. Der Prolog liegt hier jetzt auch schon eine Weile auf meiner Festplatte herum, den ich euch deswegen auch nicht länger vorenthalten möchte.
Wünsche jedenfalls viel Spaß beim Lesen. Konstruktives Feedback ist gern gesehen!
„Zehahahaha, ihr Gefangenen seit dazu verdammt auf ewig hier eingesperrt zu sein“, hallte die Stimme des Mannes wieder, der zuvor in das größte und sicherste Gefängnis der Welt eingedrungen war.
„Euch erwartet nur noch der Tod! Doch was haltet ihr davon … Wieso kämpft ihr nicht gegeneinander? Diejenigen von euch, die überleben, werden frei sein. Als Teil meiner Crew!“
Lauter Tumult entstand. Die Insassen gerieten in Aufruhr. Rasselnde Ketten, animalisches Schnauben, berstende Knochen. Männer und Frauen begannen übereinander herzufallen. Der süße Duft nach Freiheit lag in der Luft. Und keiner von ihnen wollte sich diese einmalige Gelegenheit entgehen lassen. Die Gelegenheit endlich wieder das Tageslicht zu erblicken. Die kühle Brise des Windes im Nacken zu spüren.
Die Zellen wurden, eine nach der anderen, von einem der Eindringlinge geöffnet. Von eben jenem Mann, den einige der Gefangenen noch aus früheren Tagen kannten. Aus Tagen, in denen er sich an dem Leid der Insassen ergötzte. Aus Tagen, in denen er sie einst gefoltert hatte. Andere hatten weniger Glück, versüßte er sich einst doch die Zeit damit über die Häftlinge herzufallen. Sie zu meucheln. Sie abzuschlachten. Und das aus purem Vergnügen.
Chaos entstand. Mit jeder Zelle, die er aufschloss, breiteten sich die Kämpfe weiter aus. Bis sie sich schließlich über das gesamte Level 6 des Impel Downs erstreckten. Schmerzerfüllte Schreie erfüllten den Raum, Wände und Böden wurden in Blut getränkt.
Nur die Insassen der hintersten Zelle des Levels hatten sich noch immer nicht gerührt. Obwohl auch ihre Zelle längst offenstand. Doch taten sie nichts, außer das Geschehen aus der Dunkelheit heraus zu beobachten. Still. Unbemerkt. Bis ein verächtliches Schnauben aus den Schatten ertönte. Vereinzelte Konturen regten sich. Einer von ihnen näherte sich der Wand ihrer Zelle und nahm ein gewaltiges Langschwert auf, das dort platziert war.
„Entschuldige bitte, dass es so lange gedauert hat“, flüsterte er leise vor sich her, ehe er sich das Schwert über seinen Rücken schnallte. Gemeinsam verließ nun auch die letzte Gruppe von Häftlingen ihre Zelle. Aus den Schatten trat sie heraus, diese ungleiche Truppe. Ein Mann in einem blauen Kimono, das weiß gepunktet war. Ein großgewachsener, muskelöser, weißer Wolf, der auf zwei Beinen ging und nichts weiter, als eine zerfledderte Jeans trug. Und eine junge, wunderschöne Frau mit kastanienbraunem Haar und stechend grünen Augen. Sie sahen sich um, beobachteten kurzweilig, wie das Chaos immer mehr Überhand nahm. Bis ihr Blick zu dem Mann wanderte, der für all dies verantwortlich war. Der Mann, der sich selbst Blackbeard nannte. Dann setzten sie sich in Bewegung. Schritten direkt auf ihn zu. Ihn, der zwischen ihnen und dem Ausgang ihrer Hölle stand. Wortlos. Ohne auch nur mit der Stirn zu runzeln. Während um sie herum Tod und Elend herrschte. Die kleine Piratenbande wurde indes auf sie aufmerksam. Der Mann, der zuvor noch ihre Zelle geöffnet hatte, umklammerte nun mehr den Griff seines Schwertes, während sich seine Miene verfinsterte.
„Dieser Kerl …“, murmelte Shiryuu.
„Das wird nicht nötig sein, Shiryuu des Regens“, richtete der Schwertkämpfer das Wort an ihn.
„Zehahahaha, und wer bist du?“ entgegnete Blackbeard ihm, dessen Neugier durch die Aufregung und Nervosität geweckt worden war, die Shiryuu ins Gesicht geschrieben stand. In Erwartung einer Antwort näherte sich die ungleiche Gruppe weiter den Eindringlingen, doch es kam kein Wort über ihre Lippen. Die Anspannung stieg, die Luft war wie elektrisiert. Die Kämpfe stoppten, als sie alle sahen, wie die drei unaufhaltsam auf die Piraten zuliefen. Die Häftlinge, die noch nicht bewusstlos oder tot waren, begannen zu tuscheln. Über jenen Schwertkämpfer, über dessen Gesicht der Schatten des Schweigens lag.
„Das ist doch …“
Blackbeard gab seinen Leuten ein Zeichen, sie sollten sich kampfbereit machen. Er ahnte, dass dieser Mann, diese Gruppe von Individuen, nicht plante nach den Regeln zu spielen, die er festgelegt hatte. Ein dunkler Schatten umhüllte die Fäuste des Kapitäns. Und er wartete. Wartete darauf, dass ihm der Schwertkämpfer einen Grund gab, um sich an dem Gemetzel selbst zu beteiligen. Doch dazu kam es nicht. Stattdessen würdigte man ihm, und seine Piratenbande, nicht eines Blickes. Die drei Insassen schenkten ihnen keinerlei Beachtung. Stattdessen gingen sie wortlos an ihnen vorbei. Eine Erniedrigung, die der aufstrebende Pirat nicht bereit war hinzunehmen. Eine dicke Ader trat auf seiner Stirn hervor, während er seine Zähne fletschte. Der schwarze Schatten verließ seinen Körper und zog eine unheilvolle Linie vor die Füße des Schwertkämpfers und seiner Gefährten, die sie am Weitergehen hinderte. Sie hielten inne.
„Ihr kennt die Regeln. Wenn ihr gehen wollt, müsst ihr zuerst Blut vergießen!“
Stille kehrte ein. Sekunden des Schweigens, die sich wie Stunden anfühlten. Plötzlich regte sich etwas. Der Schwertkämpfer ließ seine rechte Hand zum Griff seines Schwertes wandern. Blitzartig zückte er die gewaltige Klinge aus ihrer Schwertscheide heraus. Dabei bewegte er sich so schnell, dass Blackbeard kaum realisierte, wie der Schwertkämpfer die Klinge auf das Fundament zu seiner Rechten ausrichtete. Er bemerkte dies erst, als dessen Bewegung stoppte. Dies tat sie, noch bevor die Klinge das Gestein berührte. Der Piratenkapitän war irritiert, als sein Gegenüber die Waffe wieder in die Scheide führte. Sie rastete ein, als plötzlich ein kleiner Riss in der Mauer entstand, auf die er sein Schwert zuvor gerichtet hatte. Ein Riss, durch den kleine Mengen an Wasser ins Untergeschoss des Impel Downs flossen. Der Mann neigte seinen Kopf leicht zu seiner rechten Schulter, ohne jedoch den Blickkontakt mit Blackbeard zu suchen.
„Meine Freunde und ich werden jetzt durch diese Tür gehen“, sagte er, während er mit seinem rechten Zeigefinger auf den Ausgang des Levels zeigte.
„Stell dich uns weiter in den Weg und ich werde mit Freuden dein Blut vergießen!“
Plötzlich erschauderte Teach. Noch nie zuvor hatte er solch eine unheilvolle Aura gespürt. Dicke Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn, die sich ihren Weg über seine Wangen hinunter bahnten. Doch dann begann er plötzlich zu lachen. Verbarg seine Angst hinter seiner machtvollen Stimme. Die schwarzen Schatten, die ihnen den Weg blockiert hatten, lichteten sich schließlich. Der Weg war frei.
„Tut was ihr wollt. Jeder Mann muss für sich selbst einstehen … Denn dies ist die Ära der Träumer! Zehahahaha!“
„Prinzessin Flaith, bitte haltet durch!“ flehte ein Mann mittleren Alters sie an, die sie in ihren Gemächern lag. Die Beine weit gespreizt, ihr Gesicht in Schweiß gebadet. Ihre Haut war schon völlig erblasst, das Leben wich aus ihrem Körper.
„Wieso denn so förmlich, Skarn?“
Sie lächelte dem Mann zu, bis die Schmerzen sie erneut übermannten. Sie kniff ihre Augen zu, biss sich auf die Lippen, doch es nutzte nichts. Ein lauter Schrei der Pein brach aus ihr heraus. So laut, dass man meinen könnte, er wäre im gesamten Schloss hörbar gewesen. Dieser Schrecken jedoch weichte der Glückseligkeit, als das Geschrei eines Babys erklang. Die Hebamme erhob sich. Auf ihren Armen ein kleines, zierliches Mädchen. Die Augen der Prinzessin füllten sich mit Tränen. Tränen des Glücks, aber auch Tränen der Trauer.
„Gebt sie mir.“
Umgeben von ihren engsten Vertrauten, tat die Hebamme wie ihr geheißen, ehe sie das Zimmer verließ.
„Mein süßes, unschuldiges, kleines Kind“, stotterte sie mit zittriger Stimme.
„Es tut mir so unendlich leid, wenn ich daran denke, was du durchleiden müssen wirst. Dein Leben wird kein Einfaches werden. Dich erwartet unsagbar viel Schmerz, Leid und Tragik. Ich bedauere, dass ich dich auf diesem Weg nicht begleiten kann. Dass ich dir keine Stütze sein kann. Dass ich dir keine Mutter sein kann.“
Sie geriet ins Stocken, schluckte kurz. Ihre Atmung wurde schwerer, ihr Herzschlag langsamer. Ihr Ende war nahe. Sie konnte es fühlen. Sie spürte, wie der Tod nach ihr rief. Wie er nach ihr griff. Die Trauer drohte sie zu übermannen, Tränen flossen über ihre Wangen. Und auch ihre Freunde, die nicht von ihrer Seite wichen, konnten ihre Tränen nicht länger zurückhalten.
„Doch glaube mir, es werden auch andere Zeiten kommen. Zeiten des Glücks, Zeiten der Liebe. Auf deinem Weg, wohin er dich auch immer führen wird, wirst du niemals allein sein. Du wirst immer Menschen um dich herumhaben, die dich unterstützen. Die dich begleiten. Die dich lieben. Die dich beschützen.“
Ihr Blick wanderte zu den vier Menschen, die die letzten Stunden an ihrer Bettkante verweilt hatten. Die sie liebte, als gehörten sie zu ihrer Familie. Skarn kniete vor ihr, hatte seine Fingernägel tief in das Bett der dahin vegetierenden Prinzessin gebohrt. Eine junge Frau mit feuerrotem Haar lag in den Armen eines Mannes, der die obersten zwei Knöpfe seines blauen Leinenhemdes offen gelassen hatte, wodurch man den Ansatz einer großen Schnittnarbe erkennen konnte, die seinen Brustkorb zierte. Der Letzte von ihnen war dagegen deutlich gefasster. So stand er neben ihnen. Mit einem aufgeklappten Buch in seiner rechten Hand, das er vorgab zu lesen. Um sich keine, emotionale Blöße zu geben.
Die sterbende Mutter gab dem kleinen Mädchen einen zärtlichen Kuss auf die Stirn. Mit bebenden Lippen und zittrigen Händen.
„Eure Majestät, habt Ihr Euch mittlerweile für einen Namen entschieden?“ fragte sie der introvertierte Mann der Gruppe, der der Einzige zu sein schien, der noch einen klaren Gedanken fassen konnte. Sie lächelte, betrachtete das Mädchen in ihren Armen. Ein aller letztes Mal.
„Ragna. Ihr Name ist Ragna.“
Mit diesen Worten wischte sich Skarn seine Tränen vom Gesicht, rieb sich die Augen. Er erhob sich, während Flaiths Augen ihn begleiteten. Sie sah zu ihm auf, lächelte ihn an und drückte ihm dann das schlummernde Baby in die Arme. Er nahm sie an sich. Ohne zu zögern. Bereit sie zu schützen. Bereit dazu sein Leben für das Ihre zu geben. Mit einem Mal gab es für ihn nichts Anderes mehr, als die Sicherheit dieses wehrlosen, kleinen Mädchens.
Der Mann mit dem Buch horchte plötzlich auf, blickte über seine linke Schulter zur Tür herüber.
„Was ist los, Stellan?“ fragte der Mann, der zuvor noch die junge Frau versuchte zu trösten, seinen schweigsamen Gefährten.
„Es ist so weit.“
Sie alle wussten, was das bedeutete. Schlagartig bewegte sich Skarn auf das nahegelegene Fenster zu, durch welches sie, gemeinsam mit dem Neugeborenen, den Versuch der Flucht wagen wollten. Stellan folgte ihm. Die anderen beiden wollten es ihnen gleichtun, Flaith jedoch griff, mit letzter Kraft, an den Ärmel des weißen Mantels, den der vernarbte Mann trug.
„Brios, Gweneth, wartet.“
Blitzartig wandten sie sich ihr zu, hielten je eine ihrer Hände und knieten vor ihrem Bett.
„Ihr müsst ihn finden … Findet ihn. Findet Hayate. Er muss zurückkehren … Das Schicksal unseres Landes hängt davon ab.“
Es sollten die letzten Worte von Prinzessin Flaith, der Thronerbin des Königreiches Midgard, gewesen sein. Das Leben in ihren Augen erlosch. Doch starb sie mit reinem Gewissen. Mit einem Lächeln auf den Lippen. Weil sie wusste, dass ihr Kind überleben würde. Weil sie wusste, dass ihre Freunde alles nur Erdenkliche tun würden, um ihren letzten Wunsch zu erfüllen. Egal wie schwer es auch werden würde. Egal wie lange es auch dauern würde. Sie wusste es.
„Euch erwartet nur noch der Tod! Doch was haltet ihr davon … Wieso kämpft ihr nicht gegeneinander? Diejenigen von euch, die überleben, werden frei sein. Als Teil meiner Crew!“
Lauter Tumult entstand. Die Insassen gerieten in Aufruhr. Rasselnde Ketten, animalisches Schnauben, berstende Knochen. Männer und Frauen begannen übereinander herzufallen. Der süße Duft nach Freiheit lag in der Luft. Und keiner von ihnen wollte sich diese einmalige Gelegenheit entgehen lassen. Die Gelegenheit endlich wieder das Tageslicht zu erblicken. Die kühle Brise des Windes im Nacken zu spüren.
Die Zellen wurden, eine nach der anderen, von einem der Eindringlinge geöffnet. Von eben jenem Mann, den einige der Gefangenen noch aus früheren Tagen kannten. Aus Tagen, in denen er sich an dem Leid der Insassen ergötzte. Aus Tagen, in denen er sie einst gefoltert hatte. Andere hatten weniger Glück, versüßte er sich einst doch die Zeit damit über die Häftlinge herzufallen. Sie zu meucheln. Sie abzuschlachten. Und das aus purem Vergnügen.
Chaos entstand. Mit jeder Zelle, die er aufschloss, breiteten sich die Kämpfe weiter aus. Bis sie sich schließlich über das gesamte Level 6 des Impel Downs erstreckten. Schmerzerfüllte Schreie erfüllten den Raum, Wände und Böden wurden in Blut getränkt.
Nur die Insassen der hintersten Zelle des Levels hatten sich noch immer nicht gerührt. Obwohl auch ihre Zelle längst offenstand. Doch taten sie nichts, außer das Geschehen aus der Dunkelheit heraus zu beobachten. Still. Unbemerkt. Bis ein verächtliches Schnauben aus den Schatten ertönte. Vereinzelte Konturen regten sich. Einer von ihnen näherte sich der Wand ihrer Zelle und nahm ein gewaltiges Langschwert auf, das dort platziert war.
„Entschuldige bitte, dass es so lange gedauert hat“, flüsterte er leise vor sich her, ehe er sich das Schwert über seinen Rücken schnallte. Gemeinsam verließ nun auch die letzte Gruppe von Häftlingen ihre Zelle. Aus den Schatten trat sie heraus, diese ungleiche Truppe. Ein Mann in einem blauen Kimono, das weiß gepunktet war. Ein großgewachsener, muskelöser, weißer Wolf, der auf zwei Beinen ging und nichts weiter, als eine zerfledderte Jeans trug. Und eine junge, wunderschöne Frau mit kastanienbraunem Haar und stechend grünen Augen. Sie sahen sich um, beobachteten kurzweilig, wie das Chaos immer mehr Überhand nahm. Bis ihr Blick zu dem Mann wanderte, der für all dies verantwortlich war. Der Mann, der sich selbst Blackbeard nannte. Dann setzten sie sich in Bewegung. Schritten direkt auf ihn zu. Ihn, der zwischen ihnen und dem Ausgang ihrer Hölle stand. Wortlos. Ohne auch nur mit der Stirn zu runzeln. Während um sie herum Tod und Elend herrschte. Die kleine Piratenbande wurde indes auf sie aufmerksam. Der Mann, der zuvor noch ihre Zelle geöffnet hatte, umklammerte nun mehr den Griff seines Schwertes, während sich seine Miene verfinsterte.
„Dieser Kerl …“, murmelte Shiryuu.
„Das wird nicht nötig sein, Shiryuu des Regens“, richtete der Schwertkämpfer das Wort an ihn.
„Zehahahaha, und wer bist du?“ entgegnete Blackbeard ihm, dessen Neugier durch die Aufregung und Nervosität geweckt worden war, die Shiryuu ins Gesicht geschrieben stand. In Erwartung einer Antwort näherte sich die ungleiche Gruppe weiter den Eindringlingen, doch es kam kein Wort über ihre Lippen. Die Anspannung stieg, die Luft war wie elektrisiert. Die Kämpfe stoppten, als sie alle sahen, wie die drei unaufhaltsam auf die Piraten zuliefen. Die Häftlinge, die noch nicht bewusstlos oder tot waren, begannen zu tuscheln. Über jenen Schwertkämpfer, über dessen Gesicht der Schatten des Schweigens lag.
„Das ist doch …“
Blackbeard gab seinen Leuten ein Zeichen, sie sollten sich kampfbereit machen. Er ahnte, dass dieser Mann, diese Gruppe von Individuen, nicht plante nach den Regeln zu spielen, die er festgelegt hatte. Ein dunkler Schatten umhüllte die Fäuste des Kapitäns. Und er wartete. Wartete darauf, dass ihm der Schwertkämpfer einen Grund gab, um sich an dem Gemetzel selbst zu beteiligen. Doch dazu kam es nicht. Stattdessen würdigte man ihm, und seine Piratenbande, nicht eines Blickes. Die drei Insassen schenkten ihnen keinerlei Beachtung. Stattdessen gingen sie wortlos an ihnen vorbei. Eine Erniedrigung, die der aufstrebende Pirat nicht bereit war hinzunehmen. Eine dicke Ader trat auf seiner Stirn hervor, während er seine Zähne fletschte. Der schwarze Schatten verließ seinen Körper und zog eine unheilvolle Linie vor die Füße des Schwertkämpfers und seiner Gefährten, die sie am Weitergehen hinderte. Sie hielten inne.
„Ihr kennt die Regeln. Wenn ihr gehen wollt, müsst ihr zuerst Blut vergießen!“
Stille kehrte ein. Sekunden des Schweigens, die sich wie Stunden anfühlten. Plötzlich regte sich etwas. Der Schwertkämpfer ließ seine rechte Hand zum Griff seines Schwertes wandern. Blitzartig zückte er die gewaltige Klinge aus ihrer Schwertscheide heraus. Dabei bewegte er sich so schnell, dass Blackbeard kaum realisierte, wie der Schwertkämpfer die Klinge auf das Fundament zu seiner Rechten ausrichtete. Er bemerkte dies erst, als dessen Bewegung stoppte. Dies tat sie, noch bevor die Klinge das Gestein berührte. Der Piratenkapitän war irritiert, als sein Gegenüber die Waffe wieder in die Scheide führte. Sie rastete ein, als plötzlich ein kleiner Riss in der Mauer entstand, auf die er sein Schwert zuvor gerichtet hatte. Ein Riss, durch den kleine Mengen an Wasser ins Untergeschoss des Impel Downs flossen. Der Mann neigte seinen Kopf leicht zu seiner rechten Schulter, ohne jedoch den Blickkontakt mit Blackbeard zu suchen.
„Meine Freunde und ich werden jetzt durch diese Tür gehen“, sagte er, während er mit seinem rechten Zeigefinger auf den Ausgang des Levels zeigte.
„Stell dich uns weiter in den Weg und ich werde mit Freuden dein Blut vergießen!“
Plötzlich erschauderte Teach. Noch nie zuvor hatte er solch eine unheilvolle Aura gespürt. Dicke Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn, die sich ihren Weg über seine Wangen hinunter bahnten. Doch dann begann er plötzlich zu lachen. Verbarg seine Angst hinter seiner machtvollen Stimme. Die schwarzen Schatten, die ihnen den Weg blockiert hatten, lichteten sich schließlich. Der Weg war frei.
„Tut was ihr wollt. Jeder Mann muss für sich selbst einstehen … Denn dies ist die Ära der Träumer! Zehahahaha!“
„Prinzessin Flaith, bitte haltet durch!“ flehte ein Mann mittleren Alters sie an, die sie in ihren Gemächern lag. Die Beine weit gespreizt, ihr Gesicht in Schweiß gebadet. Ihre Haut war schon völlig erblasst, das Leben wich aus ihrem Körper.
„Wieso denn so förmlich, Skarn?“
Sie lächelte dem Mann zu, bis die Schmerzen sie erneut übermannten. Sie kniff ihre Augen zu, biss sich auf die Lippen, doch es nutzte nichts. Ein lauter Schrei der Pein brach aus ihr heraus. So laut, dass man meinen könnte, er wäre im gesamten Schloss hörbar gewesen. Dieser Schrecken jedoch weichte der Glückseligkeit, als das Geschrei eines Babys erklang. Die Hebamme erhob sich. Auf ihren Armen ein kleines, zierliches Mädchen. Die Augen der Prinzessin füllten sich mit Tränen. Tränen des Glücks, aber auch Tränen der Trauer.
„Gebt sie mir.“
Umgeben von ihren engsten Vertrauten, tat die Hebamme wie ihr geheißen, ehe sie das Zimmer verließ.
„Mein süßes, unschuldiges, kleines Kind“, stotterte sie mit zittriger Stimme.
„Es tut mir so unendlich leid, wenn ich daran denke, was du durchleiden müssen wirst. Dein Leben wird kein Einfaches werden. Dich erwartet unsagbar viel Schmerz, Leid und Tragik. Ich bedauere, dass ich dich auf diesem Weg nicht begleiten kann. Dass ich dir keine Stütze sein kann. Dass ich dir keine Mutter sein kann.“
Sie geriet ins Stocken, schluckte kurz. Ihre Atmung wurde schwerer, ihr Herzschlag langsamer. Ihr Ende war nahe. Sie konnte es fühlen. Sie spürte, wie der Tod nach ihr rief. Wie er nach ihr griff. Die Trauer drohte sie zu übermannen, Tränen flossen über ihre Wangen. Und auch ihre Freunde, die nicht von ihrer Seite wichen, konnten ihre Tränen nicht länger zurückhalten.
„Doch glaube mir, es werden auch andere Zeiten kommen. Zeiten des Glücks, Zeiten der Liebe. Auf deinem Weg, wohin er dich auch immer führen wird, wirst du niemals allein sein. Du wirst immer Menschen um dich herumhaben, die dich unterstützen. Die dich begleiten. Die dich lieben. Die dich beschützen.“
Ihr Blick wanderte zu den vier Menschen, die die letzten Stunden an ihrer Bettkante verweilt hatten. Die sie liebte, als gehörten sie zu ihrer Familie. Skarn kniete vor ihr, hatte seine Fingernägel tief in das Bett der dahin vegetierenden Prinzessin gebohrt. Eine junge Frau mit feuerrotem Haar lag in den Armen eines Mannes, der die obersten zwei Knöpfe seines blauen Leinenhemdes offen gelassen hatte, wodurch man den Ansatz einer großen Schnittnarbe erkennen konnte, die seinen Brustkorb zierte. Der Letzte von ihnen war dagegen deutlich gefasster. So stand er neben ihnen. Mit einem aufgeklappten Buch in seiner rechten Hand, das er vorgab zu lesen. Um sich keine, emotionale Blöße zu geben.
Die sterbende Mutter gab dem kleinen Mädchen einen zärtlichen Kuss auf die Stirn. Mit bebenden Lippen und zittrigen Händen.
„Eure Majestät, habt Ihr Euch mittlerweile für einen Namen entschieden?“ fragte sie der introvertierte Mann der Gruppe, der der Einzige zu sein schien, der noch einen klaren Gedanken fassen konnte. Sie lächelte, betrachtete das Mädchen in ihren Armen. Ein aller letztes Mal.
„Ragna. Ihr Name ist Ragna.“
Mit diesen Worten wischte sich Skarn seine Tränen vom Gesicht, rieb sich die Augen. Er erhob sich, während Flaiths Augen ihn begleiteten. Sie sah zu ihm auf, lächelte ihn an und drückte ihm dann das schlummernde Baby in die Arme. Er nahm sie an sich. Ohne zu zögern. Bereit sie zu schützen. Bereit dazu sein Leben für das Ihre zu geben. Mit einem Mal gab es für ihn nichts Anderes mehr, als die Sicherheit dieses wehrlosen, kleinen Mädchens.
Der Mann mit dem Buch horchte plötzlich auf, blickte über seine linke Schulter zur Tür herüber.
„Was ist los, Stellan?“ fragte der Mann, der zuvor noch die junge Frau versuchte zu trösten, seinen schweigsamen Gefährten.
„Es ist so weit.“
Sie alle wussten, was das bedeutete. Schlagartig bewegte sich Skarn auf das nahegelegene Fenster zu, durch welches sie, gemeinsam mit dem Neugeborenen, den Versuch der Flucht wagen wollten. Stellan folgte ihm. Die anderen beiden wollten es ihnen gleichtun, Flaith jedoch griff, mit letzter Kraft, an den Ärmel des weißen Mantels, den der vernarbte Mann trug.
„Brios, Gweneth, wartet.“
Blitzartig wandten sie sich ihr zu, hielten je eine ihrer Hände und knieten vor ihrem Bett.
„Ihr müsst ihn finden … Findet ihn. Findet Hayate. Er muss zurückkehren … Das Schicksal unseres Landes hängt davon ab.“
Es sollten die letzten Worte von Prinzessin Flaith, der Thronerbin des Königreiches Midgard, gewesen sein. Das Leben in ihren Augen erlosch. Doch starb sie mit reinem Gewissen. Mit einem Lächeln auf den Lippen. Weil sie wusste, dass ihr Kind überleben würde. Weil sie wusste, dass ihre Freunde alles nur Erdenkliche tun würden, um ihren letzten Wunsch zu erfüllen. Egal wie schwer es auch werden würde. Egal wie lange es auch dauern würde. Sie wusste es.
Sie rannte. Immer weiter. Ziellos. Der Regen plätscherte auf ihre Kapuze. Tiefe Fußspuren hinterließ sie in dem Schlamm und Morast der Slums. Einwohner beobachteten sie. Sahen ihre Verzweiflung, ihre Not, ihre Hilflosigkeit. Doch niemand griff ein. Niemand stand ihr bei. Niemand machte sich für sie stark. Sobald die Menschen sie bemerkten, entflohen sie der Situation. Betraten ihr Heim, verschlossen und verriegelten die Türen und Fenster. Niemand wollte darin verwickelt werden. Sie hatten schon genug eigene Sorgen, konnten kaum ihre Mieten bezahlen. Von der Hungersnot, an der sie allesamt litten, ganz zu schweigen. Die junge Frau, die die schmalen und verwinkelten Gassen entlangeilte, machte ihnen keinen Vorwurf. Wäre sie in ihrer Lage, sie würde wohl genauso handeln. Der Mensch ist sich selbst der Nächste. Das ist seine Natur. Eine wichtige Lektion, die sie schon in jungen Jahren schmerzhaft am eigenen Leib erfahren musste. Wenngleich Ausnahmen die Regel bestätigten.
Eine kräftige Windböe schlug ihr ins Gesicht, riss ihr ihre schwarze Kapuze vom Kopf und entblößte so ihr langes, geflochtenes, kastanienbraunes Haar. Sie warf einen flüchtigen Blick über ihre linke Schulter, in der Hoffnung etwas Anderes zu erspähen, als noch vor wenigen Minuten. Doch dem war nicht so. Noch immer wurde sie verfolgt. Von derselben Gruppe von Leuten, die sie zuvor auf dem belebten Marktplatz dieser kleinen, unscheinbaren Stadt abgefangen hatten. Sie, die versucht hatten sie zu ergreifen, sie zu entführen. Wieso? Das wusste sie nicht, obschon sie eine Ahnung hatte. Eine Ahnung darüber wieso diese Männer sie jagten. Und auf wessen Anordnung sie diesem Vorhaben nachgingen. Diese Männer, die man, wenn man von ihrer Existenz denn wusste, immerzu wiedererkennen würde. Ein Geheimbund, der durch sein äußeres Erscheinungsbild einen hohen Wiedererkennungswert hatte. So trug jeder von ihnen ein weißes Sakko, dazu einen weißen Umhang und eine skurrile Maske, die ihr jeweiliges Gesicht verhüllte.
„Rasur!“ hörte sie die tiefe Stimme von einem ihrer Verfolger erklingen, als dieser blitzartig direkt vor ihr erschien. Er streckte seine Hand nach ihr aus, gewillt sie zu packen und zu Fall zu bringen. Doch sie rannte unbeirrt weiter. Der Unbekannte wähnte sich in dem Glauben, Erfolg zu haben, als plötzlich eine dünne Wurzel aus dem Erdboden schoss, die sich um sein Handgelenk schnürte und seine Bewegung damit unterbrach. Weitere Wurzeln folgten ihr, umklammerten seine anderen Glieder, zwangen seinen Körper in der Luft zum Stillstand, und hielten ihn lange genug so fest, damit die junge Frau ihn passieren und ihre Flucht ungehindert fortsetzen konnte. Die Pflanzen hielten ihn jedoch nicht lange, nur wenige Augenblicke später gelang es ihm sich eigenmächtig zu befreien und die Verfolgung wieder aufzunehmen. Der Flüchtigen war es inzwischen zwar gelungen den Abstand zu den Jägern zu vergrößern, entkommen konnte sie ihnen aber noch immer nicht. Da kam ihr die nächste Häuserecke gerade recht. Sie eilte in die kleine Abzweigung zu ihrer Linken, verschwand in den Schatten der engbeieinanderliegenden Häuser. Die Männer in weiß erreichten die Ecke nur ein paar Sekunden nach ihr, der Blickkontakt zu ihr war genauso flüchtig unterbrochen worden. Doch dies reichte ihr bereits. So wurden die Männer in weiß, als sie die Abzweigung schlussendlich erreicht hatten, prompt von einer Wand aus eng miteinander verschlungenen Wurzeln aufgehalten, die ihr den Weg versperrten. Einer von ihnen trat hervor, zückte sein langes Katana aus der feuerroten Schwertscheide und führte es mit einer vertikalen Bewegung durch die Pflanzen, wodurch das Hindernis zerschnitten wurde. Die Mauer brach in sich zusammen, die Wurzeln fielen leblos zu Boden und verkümmerten. Von der jungen Frau mit den smaragdgrünen Augen fehlte nunmehr allerdings jedwede Spur. Sie war verschwunden, untergetaucht.
„Schwärmen wir aus. Wir dürfen sie nicht verlieren. Kyra’s Festnahme hat oberste Priorität für die Fünf Weisen“, wies der Mann mit dem Katana, der scheinbar der Befehlsgeber dieser kleinen Eingreiftruppe war, seine Kameraden an, ehe sie sich aufteilten. Einer von ihnen bewegte sich gen Osten, der andere gen Westen. Der Schwertkämpfer verfolgte weiterhin die Spur der Frau, stürmte die enge Gasse entlang. In der Hoffnung sie vielleicht doch noch einholen zu können. Doch unwissend darüber, dass die Flüchtige sich auch weiterhin in ihrer unmittelbaren Umgebung befand. Der Wall aus Wurzeln, er war nicht mehr, als eine Ablenkung. Sie wollte den Eindruck erwecken, als wollte sie ihre Verfolger ausbremsen, umso den Abstand zu ihnen weiter zu vergrößern. Teilweise war dem auch so, allerdings nicht, um exakt den Weg zu nehmen, der auch am Offensichtlichsten erschien. Stattdessen saß sie auf einem der umliegenden Häuserdächer, blickte gen dicht bewölkten und regnerischen Himmel und zog dabei kräftig an einer Zigarre, die sie sich zuvor zur Beruhigung angezündet hatte.
„Die CP0 … Gar nicht gut.“
Mit Speer und Schild patrouillierten sie auf den Straßen. Ihr rotes Gewandt wehte im Wind, ihr goldenes Wams wies mittlerweile denselben Farbton auf. Ihre Kleidung, wie auch ihre Waffen, waren im Blut ihrer Feinde getränkt. Überall ertönten Schüsse. Schmerzerfüllte Schreie. Rauch stieg auf, der Gestank von verbranntem Fleisch kroch ihm in die Nasehöhle, brachte ihn fast zum Erbrechen. Weiße Flocken fielen vom Himmel. Schnee war es jedoch nicht. Es war die glühende Asche, die durch die allgegenwärtigen Explosionen und aufgehenden Flammen der umliegenden Häuser entstand. Asche, die von den kräftigen Windböen gen Himmel geweht wurde, von wo aus sie auf sie herabfiel. Wie der sanfte Schneefall des Winters, den er so sehr liebte.
Eine weitere Kanonenkugel schlug in seiner unmittelbaren Umgebung ein. Dieses Mal erwischte es ein kleines, unscheinbares Einfamilienhaus, brachte es zum Einsturz. Flammen stiegen auf, während das Gebäude in sich zusammenfiel und die kleine Arbeiterfamilie, die es bis dahin beherbergt hatte, unter den herabstürzenden Trümmern begrub. Er musste nicht nachsehen, denn er spürte, dass sein Eifer vergebens wäre. Sie waren tot. Mann, Frau, Kind. Ihre Körper zertrümmert, ihre Leichen verbrannt. Das wusste er sofort. Und dennoch konnte er sich nicht erwehren, warf einen flüchtigen Blick auf die Überreste des Hauses. Mit dem unterbewussten Hoffen darauf, dass er vielleicht doch noch einen Laut von dort vernehmen würde. Dass es doch noch jemanden dort gab, dem er helfen könnte. Doch diese Hoffnung, sie war vergebens.
„Bitte, habt Gnade … Wir haben uns doch ergeben, was wollt ihr noch?“ stammelte ein Mann, der nichts weiter, als ein paar dreckige und zerrissene Lumpen am Leib trug. Worte, die er an eben jene Soldaten gerichtet hatte, die er auf ihrer Patrouille begleitete. Mit erhobenem Haupt standen sie da, blickten niederträchtig auf ihre Gefangenen hinab. Unter ihnen der Wolfsmensch mit seinem weißen, schimmernden Fell, der in diese Farce allerdings nicht miteinstimmen wollte. Den das Verhalten der Männer in Uniform anwiderte. Den das Flehen und Betteln der niedergeschlagenen Inhaftierten schlagartig aus seinen redundanten Gedanken riss.
„Ihr habt Verrat an eurem Land, an eurem König, begangen. Dies ist das schwerwiegendste Vergehen, das man begehen kann. Ein Verbrechen, das mit der Todesstrafe gesühnt wird. Ein Urteil, das ich nun vollstrecken werde!“
Der kommandierende Offizier zückte sein Breitschwert, stellte sich hinter den ersten der knienden Gefangenen und richtete seine Klinge auf dessen Hals aus. Dann holte er aus, hob seinen Arm empor. Bereit dem Mann seinen Kopf, mit einem gezielten Hieb, von den Schultern zu trennen. Doch noch bevor er seine Klinge auf die anvisierte Stelle des Halses zurasen lassen konnte, spürte er eine warme, doch bestimmte Hand, die sich um seinen Arm geschlungen hatte. Die verhinderte, dass er die Exekution verrichten konnte.
„Was fällt dir ein, Faol?“ wies der Kommandant den erfahrenen Mink zurecht, der jedoch keine Miene verzog und seinen Griff nicht lockerte, sondern nunmehr noch fester zupackte, als ohnehin schon.
„Ihr habt ihn doch gehört. Er hat sich ergeben. Genauso wie der Rest seiner Einheit. Wir sollten sie inhaftieren, damit sie einen fairen Prozess erhalten können. Das ist das Mindeste, was wir tun können. Zeigen wir, dass wir besser sind, als sie“, war er sichtbar bemüht auf die rachsüchtigen und nach Blut lechzenden Soldaten einzureden. Doch vergebens.
„Was heißt hier bitte ‚wir‘? Du bist ein Söldner. Du hast hier kein Mitspracherecht, sondern hast zu tun, wofür du bezahlt wirst. Und wir bezahlen dich, damit du uns unterstützt, nicht uns hinterfragst. Steh uns also gefälligst nicht im Weg rum!“
Seine Hand umklammerte noch immer das emporgeregte Handgelenk des kommandieren Offiziers. Ihre Blicke trafen sich, die Anspannung stieg. Die Luft elektrisierte, die Gefangenen schöpften für einen flüchtigen Moment die Hoffnung, dass sie den nächsten Sonnenaufgang womöglich doch noch erleben könnten. Faol bemerkte indes, wie die übrigen Soldaten ihre Waffen stärker umfassten und die Speerspitzen stetig mehr auf ihn ausrichteten. Bis er seinen Griff schließlich löste.
„Tut, was ihr tun müsst.“
Tränen sammelten sich in den Augen der niederknienden Männer, vereinzelte Schluchzer waren vernehmbar. Ihre Hoffnung, sie war erloschen. Mit einem Mal wussten sie, dass dies ihre letzten Augenblicke sein würden. Dass ihr Leben kurz davor stand beendet zu werden. Faol wandte sich von ihnen ab, kehrte ihnen den Rücken zu. Er hasste sich selbst. Er hasste sich dafür, dass er nicht mehr für diese Männer getan hatte. Er wusste, dass es falsch war, wie man mit ihnen umging. Er redete sich ein, dass er sein Möglichstes getan hatte, um ihnen zu helfen, doch er wusste, dass dem nicht so war. Dass er sich damit selbst etwas vormachte, sich selbst belog. Die Wahrheit, sie lag woanders. Er hatte von ihnen abgelassen, weil er nicht hier war, um fünf Männer aus einer verzweifelten Lage zu befreien. Sein Auftrag war viel größer, als das. Doch war es das wert? Wiegt das Wohl aller stärker als das Wohl eines Einzelnen?
Der Kommandant führte sein blutüberströmtes Schwert zurück in die Scheide, wandte sich ein weiteres Mal dem Wolfsmenschen zu, der so sehr in seine eigenen Gedanken vertieft war, dass er die Vollstreckung des gesprochenen Urteils kaum mitbekommen hatte.
„Fass mich noch einmal an und unsere Abmachung ist widerrufen“, fuhr der Offizier ihn an, während er an ihm vorbeischritt und seine Patrouille fortsetzte. Mit seinem Gefolge, das dicht hinter ihm blieb. Faol sah noch einmal zu den Gefangenen, erspähte dabei jedoch nur noch mehrere, leblose Torso, aus deren offenen Hälsen gewaltige Mengen an Blut flossen, die den Boden rötlich färbten, während das Sonnenlicht in den daraus entstandenen Pfützen reflektiert wurde. Er ballte seine Hände zu Fäusten, fletschte die Zähne. Doch er zügelte seinen Zorn. Seinen Hass. Seinen Hass auf sich selbst, sowie auf die abscheuliche Gräueltat, die die Soldaten soeben begangen hatten.
„Aus dem Weg, du Rotzgöre!“ erklang die Stimme von einem der Soldaten. Vor ihnen war ein kleines Mädchen, vielleicht fünf oder sechs Jahre alt. In ihren Armen hielt sie einen kleinen, zerzausten Teddybären. Ihre Kleider waren völlig zerfleddert, sie war bis auf die Knochen abgemagert. Die Gesichter der Soldaten spiegelten sich in ihren großen, feuchten Augen. Auf ihrer linken Wange hatte sie eine kleine Platzwunde. Eine ebensolche Wunde sollte nunmehr auch auf ihrer rechten Wange folgen. Einer der Soldaten hob seinen Speer und schlug das kleine, hungernde Mädchen mit der stumpfen Seite seiner Waffe zu Boden.
„Aus dem Weg hab ich gesagt!“
Der Zorn, die Wut, der Hass, den Faol bemüht war herunterzuschlucken, er übermannte ihn. Seine Mission? Interessierte ihn nicht länger. Er sah rot. Nur noch rot. Blutrot. Ein roter Vorhang der Wut war alles, wofür er noch Augen hatte. Wie ein Tunnel, fokussierte sich sein Blick nur noch auf ein Ziel. Ein lautes Wolfsheulen ertönte, das er gen Himmel richtete. Blitze entstanden um seine geballten Fäuste herum, bis er schließlich losstürmte. Direkt auf sein Ziel zu. Als Erstes packte er den Soldaten, der es zuvor gewagt hatte Hand an ein kleines, unschuldiges Kind zu legen. Er warf ihn zu Boden, drückte mit seinen vier Klauen alle Glieder des Mannes zu Boden, dem die Angst und Ehrfurcht regelrecht ins Gesicht geschrieben stand. Doch das kümmerte den Mink nicht. Abschaum wie er hatte kein Mitleid verdient. Ohne zu überlegen biss er zu. Mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, biss er dem Soldaten direkt in den Hals. Biss ihm ein großes Stück Fleisch von den Knochen, das er einem anderen der Krieger, die indes ihre Waffen erhoben hatten und auf ihn zueilten, ins Gesicht spuckte. Dieser geriet ins Straucheln, konnte nichts mehr sehen, da das Blut seines Gefährten ihm in den Augen brannte. Faol reagierte blitzschnell, warf als Nächstes nun ihn zu Boden, während sein erstes Opfer elendig und ringend um Luft verblutete. Dabei zerbrach er dessen Speer, griff zur Spitze und durchbohrte damit eines seiner Augen. Leblos blieb er liegen, zappelte noch einige Male unkontrolliert. Zwei weitere Soldaten stürmten auf ihn zu, die Speerspitzen direkt auf ihn gerichtet. Blitzartig eilte er jedoch voran, umging so die Waffen seiner Gegner und fand sich postwendend direkt hinter ihnen wieder. Angsterfüllt verspürten sie seine Präsenz, waren jedoch nicht mehr in der Lage, zu reagieren. Zu schnell, zu stark, zu erbarmungslos war ihr Gegner. So packte er sie kraftvoll am Kragen, hob ihre wehrlosen Körper empor, als sich die elektrische Energie seiner Hände, die er die ganze Zeit über angestaut hatte, schlussendlich entlud. Der Geruch von verbranntem Fleisch und verkohlten Leichen, erneut kroch er ihm in die Nase. Doch dieses Mal ekelte es ihn nicht an, das Gegenteil war der Fall. Er genoss diesen Geruch. Der süße Geruch der Genugtuung. Kein Lebenszeichen war mehr von ihnen zu vernehmen, so ließ er ihre starren Körper zu Boden fallen und wandte sich nunmehr dem einzigen Mann zu, der noch verblieben war. Dem Kommandanten dieser widerwärtigen, korrupten Einheit der königlichen Garde.
„Wa … Warte … Ist dir … überhaupt klar, was … was du da tust?“ stotterte der von Angst erfüllte Offizier, dessen Arme und Beine so unkontrollierbar am Zittern waren, dass es ihm nicht einmal mehr vergönnt war sein Schwert zu ziehen und damit wenigstens zu versuchen sich zu verteidigen.
„Allerdings. Ihr habt euch der Unmenschlichkeit schuldig gemacht. Ein Verbrechen, das mit der Todesstrafe gesühnt wird. Ein Urteil, das ich nun vollstrecken werde!“
Schockstarre erfüllte den Kommandanten nunmehr. Keinen Millimeter rührte er sich mehr. Wartete nur noch darauf, dass sein Gegenüber ihm den Gnadenstoß versetzen würde. Und das tat er auch. Mit einem Mal durchbohrte der Wolfsmensch den Brustkorb des Offiziers, riss ihm so einige seiner Gedärme aus dem Leib heraus, und beobachtete mit dem befriedigenden Gefühl der Genugtuung, wie das Leben aus seinen Augen entwich. Er zog seinen Arm aus dem Körper des Mannes, der sofort leblos in sich zusammensackte und binnen weniger Momente in seiner eigenen Blutlache zu treiben begann. Faol’s Zorn, er legte sich. Dieser Anblick erfüllte ihn mit Behagen. Mit Zufriedenheit. Aber auch mit Befangenheit und Selbstzweifeln. Es war nicht das erste Mal, dass sein Zorn seine animalischsten Züge zum Vorschein gebracht hatte. Und er war sich sicher, dass dies auch nicht das letzte Mal gewesen sein würde. Und trotzdem überraschte es ihn immer wieder aufs Neue, zu was für kaltblütigen Taten er doch fähig war.
Er erschauderte. Doch nicht aufgrund seiner Hemmungen. Er erschauderte bei dem Gedanken daran, dass dieses kleine, unschuldige Mädchen, für das er überhaupt erst so weit gegangen war, soeben Zeuge eines solchen Blutbades geworden war. Ein Blutbad, das er veranstaltet hatte. Wie würde sie nun wohl auf ihn reagieren? Bestimmt nicht mit Wohlwollen. Er tat es für sie, doch ein so kleiner Wurm würde das nicht erkennen. Sie würde nur das Tier in ihm sehen, getrieben von seiner Natur und seinem unbändigen Zorn. Obschon er den Großteil seines Lebens um eine friedsame Existenz bemüht war. Ein Bestreben, das allerdings nicht immer von Erfolg gekrönt war. Er wollte doch nur helfen. Er wollte ihr helfen. Und das hatte er auch getan, doch geschah dies auf Kosten seiner Selbstbeherrschung, was ihn zu einer geradezu abscheulichen Tat verleitet hatte. Eine Tat, für die er sich selbst verachtete. Doch so sehr er sein eigenes Handeln auch infrage stellte, so wusste er auch, dass es gerechtfertigt war. Er verachtete sich vordergründig nur deshalb, weil er all dies vor den Augen eines unschuldigen Kindes verübt hatte. Und kein Kind sollte so etwas mit ansehen müssen.
Eine Weile hatte er gezögert, besorgt darüber, die das Balg wohl auf ihn reagieren würde. Wie es ihn ansehen würde. Doch schlussendlich blickte er zu dem kleinen Mädchen hinüber und stellte dabei, mit einer eigenartigen Mischung aus Erleichterung und Besorgnis, fest, dass sie ohnmächtig war. Dass sie von alledem offenbar gar nichts mitbekommen hatte. Ihre Ohnmacht, sie rührte wohl noch immer von dem kräftigen Schlag, den einer der Soldaten ihr versetzt hatte. Aus seiner hinteren Hosentasche zückte der Wolfsmensch nunmehr ein Taschentuch, tupfte sich damit das Blut von seinen Klauen und Zähnen, ehe er es entsorgte. Dann schritt er auf das Mädchen zu, nahm es in seine Arme, achtete dabei noch, dass sie ihren Teddybären nicht verlieren würde, und verließ dann den blutüberströmten Schauplatz des Verbrechens.
„So war das wahrlich nicht geplant. Karasu wird gar nicht begeistert sein.“
Eine frische Brise wirbelte sein dunkles, langes und welliges Haar auf. Sein wilder, ungezähmter Vollbart wehte im Wind, während er die wärmenden Sonnenstrahlen genoss, die den Tag erhellten und die Blumen gedeihen ließen. Es war ein herrlicher, idyllischer Tag auf diesem kleinen Fleckchen Land, auf dem er sich eingefunden hatte. Ein kleiner Hügel, nicht weit von einem so unscheinbaren, wie lebendigen Dorf entfernt. Sein Blick war auf die zwei Gräber gerichtet, die so majestätisch und prachtvoll anmuteten, wie die hier Beerdigten einst auch gelebt hatten. Besonders auffällig waren der orangefarbene Hut auf dem einen Grabstein, sowie die Naginata, an der ein weißer Kapitänsmantel haftete, die in dem anderen Denkmal steckte. Flüchtig bemerkte der Mann in dem blauen Kimono die drei Sakeschalen, die auf der Wiese lagen, sowie eine relativ aktuelle Zeitung, die an das Grab von Ace geheftet war und von der Rückkehr der Strohhutbande berichtete.
„Portgas D. Ace … Edward Newgate. Bitte, verzeiht mir“, flüsterte er leise in sich hinein, als er plötzlich die gemächlichen Schritte eines sich nähernden Mannes vernahm.
„Was hier doch zurzeit für ein Hochbetrieb herrscht. Erst der Bruder von Ace und jetzt auch noch du, Hayate“, ertönte die Stimme eines blonden Mannes, auf dessen Nase eine Brille thronte. Mit breitem Grinsen näherte er sich dem Schwertkämpfer, der sich ihm postwendend zuwandte.
„Marco …“.
Der Arzt hielt inne, musterte seinen Gegenüber flüchtig, bis er schlussendlich seine Arme ausbreitete. Der Mann mit dem wilden Bartwuchs tat es ihm gleich, sie umarmten einander herzlich.
„Schön dich wiederzusehen, Hayate.“
„Gleichfalls.“
Ihre Freude erfüllte die Umgebung, war deutlich spürbar. Auch bei eben jenem Mann, der das Geschehen die ganze Zeit, aus sicherer Entfernung, durch ein Zielfernrohr beobachtet hatte, das auf einem Scharfschützengewehr montiert war. Ausgerichtet war dies stets auf Hayate. Die Gestalt richtete sich ihre Brille und griff dann zur Teleschnecke, die direkt neben ihr positioniert war.
„Hört ihr mich? Er ist da. Er ist endlich gekommen.“
Eine kräftige Windböe schlug ihr ins Gesicht, riss ihr ihre schwarze Kapuze vom Kopf und entblößte so ihr langes, geflochtenes, kastanienbraunes Haar. Sie warf einen flüchtigen Blick über ihre linke Schulter, in der Hoffnung etwas Anderes zu erspähen, als noch vor wenigen Minuten. Doch dem war nicht so. Noch immer wurde sie verfolgt. Von derselben Gruppe von Leuten, die sie zuvor auf dem belebten Marktplatz dieser kleinen, unscheinbaren Stadt abgefangen hatten. Sie, die versucht hatten sie zu ergreifen, sie zu entführen. Wieso? Das wusste sie nicht, obschon sie eine Ahnung hatte. Eine Ahnung darüber wieso diese Männer sie jagten. Und auf wessen Anordnung sie diesem Vorhaben nachgingen. Diese Männer, die man, wenn man von ihrer Existenz denn wusste, immerzu wiedererkennen würde. Ein Geheimbund, der durch sein äußeres Erscheinungsbild einen hohen Wiedererkennungswert hatte. So trug jeder von ihnen ein weißes Sakko, dazu einen weißen Umhang und eine skurrile Maske, die ihr jeweiliges Gesicht verhüllte.
„Rasur!“ hörte sie die tiefe Stimme von einem ihrer Verfolger erklingen, als dieser blitzartig direkt vor ihr erschien. Er streckte seine Hand nach ihr aus, gewillt sie zu packen und zu Fall zu bringen. Doch sie rannte unbeirrt weiter. Der Unbekannte wähnte sich in dem Glauben, Erfolg zu haben, als plötzlich eine dünne Wurzel aus dem Erdboden schoss, die sich um sein Handgelenk schnürte und seine Bewegung damit unterbrach. Weitere Wurzeln folgten ihr, umklammerten seine anderen Glieder, zwangen seinen Körper in der Luft zum Stillstand, und hielten ihn lange genug so fest, damit die junge Frau ihn passieren und ihre Flucht ungehindert fortsetzen konnte. Die Pflanzen hielten ihn jedoch nicht lange, nur wenige Augenblicke später gelang es ihm sich eigenmächtig zu befreien und die Verfolgung wieder aufzunehmen. Der Flüchtigen war es inzwischen zwar gelungen den Abstand zu den Jägern zu vergrößern, entkommen konnte sie ihnen aber noch immer nicht. Da kam ihr die nächste Häuserecke gerade recht. Sie eilte in die kleine Abzweigung zu ihrer Linken, verschwand in den Schatten der engbeieinanderliegenden Häuser. Die Männer in weiß erreichten die Ecke nur ein paar Sekunden nach ihr, der Blickkontakt zu ihr war genauso flüchtig unterbrochen worden. Doch dies reichte ihr bereits. So wurden die Männer in weiß, als sie die Abzweigung schlussendlich erreicht hatten, prompt von einer Wand aus eng miteinander verschlungenen Wurzeln aufgehalten, die ihr den Weg versperrten. Einer von ihnen trat hervor, zückte sein langes Katana aus der feuerroten Schwertscheide und führte es mit einer vertikalen Bewegung durch die Pflanzen, wodurch das Hindernis zerschnitten wurde. Die Mauer brach in sich zusammen, die Wurzeln fielen leblos zu Boden und verkümmerten. Von der jungen Frau mit den smaragdgrünen Augen fehlte nunmehr allerdings jedwede Spur. Sie war verschwunden, untergetaucht.
„Schwärmen wir aus. Wir dürfen sie nicht verlieren. Kyra’s Festnahme hat oberste Priorität für die Fünf Weisen“, wies der Mann mit dem Katana, der scheinbar der Befehlsgeber dieser kleinen Eingreiftruppe war, seine Kameraden an, ehe sie sich aufteilten. Einer von ihnen bewegte sich gen Osten, der andere gen Westen. Der Schwertkämpfer verfolgte weiterhin die Spur der Frau, stürmte die enge Gasse entlang. In der Hoffnung sie vielleicht doch noch einholen zu können. Doch unwissend darüber, dass die Flüchtige sich auch weiterhin in ihrer unmittelbaren Umgebung befand. Der Wall aus Wurzeln, er war nicht mehr, als eine Ablenkung. Sie wollte den Eindruck erwecken, als wollte sie ihre Verfolger ausbremsen, umso den Abstand zu ihnen weiter zu vergrößern. Teilweise war dem auch so, allerdings nicht, um exakt den Weg zu nehmen, der auch am Offensichtlichsten erschien. Stattdessen saß sie auf einem der umliegenden Häuserdächer, blickte gen dicht bewölkten und regnerischen Himmel und zog dabei kräftig an einer Zigarre, die sie sich zuvor zur Beruhigung angezündet hatte.
„Die CP0 … Gar nicht gut.“
Mit Speer und Schild patrouillierten sie auf den Straßen. Ihr rotes Gewandt wehte im Wind, ihr goldenes Wams wies mittlerweile denselben Farbton auf. Ihre Kleidung, wie auch ihre Waffen, waren im Blut ihrer Feinde getränkt. Überall ertönten Schüsse. Schmerzerfüllte Schreie. Rauch stieg auf, der Gestank von verbranntem Fleisch kroch ihm in die Nasehöhle, brachte ihn fast zum Erbrechen. Weiße Flocken fielen vom Himmel. Schnee war es jedoch nicht. Es war die glühende Asche, die durch die allgegenwärtigen Explosionen und aufgehenden Flammen der umliegenden Häuser entstand. Asche, die von den kräftigen Windböen gen Himmel geweht wurde, von wo aus sie auf sie herabfiel. Wie der sanfte Schneefall des Winters, den er so sehr liebte.
Eine weitere Kanonenkugel schlug in seiner unmittelbaren Umgebung ein. Dieses Mal erwischte es ein kleines, unscheinbares Einfamilienhaus, brachte es zum Einsturz. Flammen stiegen auf, während das Gebäude in sich zusammenfiel und die kleine Arbeiterfamilie, die es bis dahin beherbergt hatte, unter den herabstürzenden Trümmern begrub. Er musste nicht nachsehen, denn er spürte, dass sein Eifer vergebens wäre. Sie waren tot. Mann, Frau, Kind. Ihre Körper zertrümmert, ihre Leichen verbrannt. Das wusste er sofort. Und dennoch konnte er sich nicht erwehren, warf einen flüchtigen Blick auf die Überreste des Hauses. Mit dem unterbewussten Hoffen darauf, dass er vielleicht doch noch einen Laut von dort vernehmen würde. Dass es doch noch jemanden dort gab, dem er helfen könnte. Doch diese Hoffnung, sie war vergebens.
„Bitte, habt Gnade … Wir haben uns doch ergeben, was wollt ihr noch?“ stammelte ein Mann, der nichts weiter, als ein paar dreckige und zerrissene Lumpen am Leib trug. Worte, die er an eben jene Soldaten gerichtet hatte, die er auf ihrer Patrouille begleitete. Mit erhobenem Haupt standen sie da, blickten niederträchtig auf ihre Gefangenen hinab. Unter ihnen der Wolfsmensch mit seinem weißen, schimmernden Fell, der in diese Farce allerdings nicht miteinstimmen wollte. Den das Verhalten der Männer in Uniform anwiderte. Den das Flehen und Betteln der niedergeschlagenen Inhaftierten schlagartig aus seinen redundanten Gedanken riss.
„Ihr habt Verrat an eurem Land, an eurem König, begangen. Dies ist das schwerwiegendste Vergehen, das man begehen kann. Ein Verbrechen, das mit der Todesstrafe gesühnt wird. Ein Urteil, das ich nun vollstrecken werde!“
Der kommandierende Offizier zückte sein Breitschwert, stellte sich hinter den ersten der knienden Gefangenen und richtete seine Klinge auf dessen Hals aus. Dann holte er aus, hob seinen Arm empor. Bereit dem Mann seinen Kopf, mit einem gezielten Hieb, von den Schultern zu trennen. Doch noch bevor er seine Klinge auf die anvisierte Stelle des Halses zurasen lassen konnte, spürte er eine warme, doch bestimmte Hand, die sich um seinen Arm geschlungen hatte. Die verhinderte, dass er die Exekution verrichten konnte.
„Was fällt dir ein, Faol?“ wies der Kommandant den erfahrenen Mink zurecht, der jedoch keine Miene verzog und seinen Griff nicht lockerte, sondern nunmehr noch fester zupackte, als ohnehin schon.
„Ihr habt ihn doch gehört. Er hat sich ergeben. Genauso wie der Rest seiner Einheit. Wir sollten sie inhaftieren, damit sie einen fairen Prozess erhalten können. Das ist das Mindeste, was wir tun können. Zeigen wir, dass wir besser sind, als sie“, war er sichtbar bemüht auf die rachsüchtigen und nach Blut lechzenden Soldaten einzureden. Doch vergebens.
„Was heißt hier bitte ‚wir‘? Du bist ein Söldner. Du hast hier kein Mitspracherecht, sondern hast zu tun, wofür du bezahlt wirst. Und wir bezahlen dich, damit du uns unterstützt, nicht uns hinterfragst. Steh uns also gefälligst nicht im Weg rum!“
Seine Hand umklammerte noch immer das emporgeregte Handgelenk des kommandieren Offiziers. Ihre Blicke trafen sich, die Anspannung stieg. Die Luft elektrisierte, die Gefangenen schöpften für einen flüchtigen Moment die Hoffnung, dass sie den nächsten Sonnenaufgang womöglich doch noch erleben könnten. Faol bemerkte indes, wie die übrigen Soldaten ihre Waffen stärker umfassten und die Speerspitzen stetig mehr auf ihn ausrichteten. Bis er seinen Griff schließlich löste.
„Tut, was ihr tun müsst.“
Tränen sammelten sich in den Augen der niederknienden Männer, vereinzelte Schluchzer waren vernehmbar. Ihre Hoffnung, sie war erloschen. Mit einem Mal wussten sie, dass dies ihre letzten Augenblicke sein würden. Dass ihr Leben kurz davor stand beendet zu werden. Faol wandte sich von ihnen ab, kehrte ihnen den Rücken zu. Er hasste sich selbst. Er hasste sich dafür, dass er nicht mehr für diese Männer getan hatte. Er wusste, dass es falsch war, wie man mit ihnen umging. Er redete sich ein, dass er sein Möglichstes getan hatte, um ihnen zu helfen, doch er wusste, dass dem nicht so war. Dass er sich damit selbst etwas vormachte, sich selbst belog. Die Wahrheit, sie lag woanders. Er hatte von ihnen abgelassen, weil er nicht hier war, um fünf Männer aus einer verzweifelten Lage zu befreien. Sein Auftrag war viel größer, als das. Doch war es das wert? Wiegt das Wohl aller stärker als das Wohl eines Einzelnen?
Der Kommandant führte sein blutüberströmtes Schwert zurück in die Scheide, wandte sich ein weiteres Mal dem Wolfsmenschen zu, der so sehr in seine eigenen Gedanken vertieft war, dass er die Vollstreckung des gesprochenen Urteils kaum mitbekommen hatte.
„Fass mich noch einmal an und unsere Abmachung ist widerrufen“, fuhr der Offizier ihn an, während er an ihm vorbeischritt und seine Patrouille fortsetzte. Mit seinem Gefolge, das dicht hinter ihm blieb. Faol sah noch einmal zu den Gefangenen, erspähte dabei jedoch nur noch mehrere, leblose Torso, aus deren offenen Hälsen gewaltige Mengen an Blut flossen, die den Boden rötlich färbten, während das Sonnenlicht in den daraus entstandenen Pfützen reflektiert wurde. Er ballte seine Hände zu Fäusten, fletschte die Zähne. Doch er zügelte seinen Zorn. Seinen Hass. Seinen Hass auf sich selbst, sowie auf die abscheuliche Gräueltat, die die Soldaten soeben begangen hatten.
„Aus dem Weg, du Rotzgöre!“ erklang die Stimme von einem der Soldaten. Vor ihnen war ein kleines Mädchen, vielleicht fünf oder sechs Jahre alt. In ihren Armen hielt sie einen kleinen, zerzausten Teddybären. Ihre Kleider waren völlig zerfleddert, sie war bis auf die Knochen abgemagert. Die Gesichter der Soldaten spiegelten sich in ihren großen, feuchten Augen. Auf ihrer linken Wange hatte sie eine kleine Platzwunde. Eine ebensolche Wunde sollte nunmehr auch auf ihrer rechten Wange folgen. Einer der Soldaten hob seinen Speer und schlug das kleine, hungernde Mädchen mit der stumpfen Seite seiner Waffe zu Boden.
„Aus dem Weg hab ich gesagt!“
Der Zorn, die Wut, der Hass, den Faol bemüht war herunterzuschlucken, er übermannte ihn. Seine Mission? Interessierte ihn nicht länger. Er sah rot. Nur noch rot. Blutrot. Ein roter Vorhang der Wut war alles, wofür er noch Augen hatte. Wie ein Tunnel, fokussierte sich sein Blick nur noch auf ein Ziel. Ein lautes Wolfsheulen ertönte, das er gen Himmel richtete. Blitze entstanden um seine geballten Fäuste herum, bis er schließlich losstürmte. Direkt auf sein Ziel zu. Als Erstes packte er den Soldaten, der es zuvor gewagt hatte Hand an ein kleines, unschuldiges Kind zu legen. Er warf ihn zu Boden, drückte mit seinen vier Klauen alle Glieder des Mannes zu Boden, dem die Angst und Ehrfurcht regelrecht ins Gesicht geschrieben stand. Doch das kümmerte den Mink nicht. Abschaum wie er hatte kein Mitleid verdient. Ohne zu überlegen biss er zu. Mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, biss er dem Soldaten direkt in den Hals. Biss ihm ein großes Stück Fleisch von den Knochen, das er einem anderen der Krieger, die indes ihre Waffen erhoben hatten und auf ihn zueilten, ins Gesicht spuckte. Dieser geriet ins Straucheln, konnte nichts mehr sehen, da das Blut seines Gefährten ihm in den Augen brannte. Faol reagierte blitzschnell, warf als Nächstes nun ihn zu Boden, während sein erstes Opfer elendig und ringend um Luft verblutete. Dabei zerbrach er dessen Speer, griff zur Spitze und durchbohrte damit eines seiner Augen. Leblos blieb er liegen, zappelte noch einige Male unkontrolliert. Zwei weitere Soldaten stürmten auf ihn zu, die Speerspitzen direkt auf ihn gerichtet. Blitzartig eilte er jedoch voran, umging so die Waffen seiner Gegner und fand sich postwendend direkt hinter ihnen wieder. Angsterfüllt verspürten sie seine Präsenz, waren jedoch nicht mehr in der Lage, zu reagieren. Zu schnell, zu stark, zu erbarmungslos war ihr Gegner. So packte er sie kraftvoll am Kragen, hob ihre wehrlosen Körper empor, als sich die elektrische Energie seiner Hände, die er die ganze Zeit über angestaut hatte, schlussendlich entlud. Der Geruch von verbranntem Fleisch und verkohlten Leichen, erneut kroch er ihm in die Nase. Doch dieses Mal ekelte es ihn nicht an, das Gegenteil war der Fall. Er genoss diesen Geruch. Der süße Geruch der Genugtuung. Kein Lebenszeichen war mehr von ihnen zu vernehmen, so ließ er ihre starren Körper zu Boden fallen und wandte sich nunmehr dem einzigen Mann zu, der noch verblieben war. Dem Kommandanten dieser widerwärtigen, korrupten Einheit der königlichen Garde.
„Wa … Warte … Ist dir … überhaupt klar, was … was du da tust?“ stotterte der von Angst erfüllte Offizier, dessen Arme und Beine so unkontrollierbar am Zittern waren, dass es ihm nicht einmal mehr vergönnt war sein Schwert zu ziehen und damit wenigstens zu versuchen sich zu verteidigen.
„Allerdings. Ihr habt euch der Unmenschlichkeit schuldig gemacht. Ein Verbrechen, das mit der Todesstrafe gesühnt wird. Ein Urteil, das ich nun vollstrecken werde!“
Schockstarre erfüllte den Kommandanten nunmehr. Keinen Millimeter rührte er sich mehr. Wartete nur noch darauf, dass sein Gegenüber ihm den Gnadenstoß versetzen würde. Und das tat er auch. Mit einem Mal durchbohrte der Wolfsmensch den Brustkorb des Offiziers, riss ihm so einige seiner Gedärme aus dem Leib heraus, und beobachtete mit dem befriedigenden Gefühl der Genugtuung, wie das Leben aus seinen Augen entwich. Er zog seinen Arm aus dem Körper des Mannes, der sofort leblos in sich zusammensackte und binnen weniger Momente in seiner eigenen Blutlache zu treiben begann. Faol’s Zorn, er legte sich. Dieser Anblick erfüllte ihn mit Behagen. Mit Zufriedenheit. Aber auch mit Befangenheit und Selbstzweifeln. Es war nicht das erste Mal, dass sein Zorn seine animalischsten Züge zum Vorschein gebracht hatte. Und er war sich sicher, dass dies auch nicht das letzte Mal gewesen sein würde. Und trotzdem überraschte es ihn immer wieder aufs Neue, zu was für kaltblütigen Taten er doch fähig war.
Er erschauderte. Doch nicht aufgrund seiner Hemmungen. Er erschauderte bei dem Gedanken daran, dass dieses kleine, unschuldige Mädchen, für das er überhaupt erst so weit gegangen war, soeben Zeuge eines solchen Blutbades geworden war. Ein Blutbad, das er veranstaltet hatte. Wie würde sie nun wohl auf ihn reagieren? Bestimmt nicht mit Wohlwollen. Er tat es für sie, doch ein so kleiner Wurm würde das nicht erkennen. Sie würde nur das Tier in ihm sehen, getrieben von seiner Natur und seinem unbändigen Zorn. Obschon er den Großteil seines Lebens um eine friedsame Existenz bemüht war. Ein Bestreben, das allerdings nicht immer von Erfolg gekrönt war. Er wollte doch nur helfen. Er wollte ihr helfen. Und das hatte er auch getan, doch geschah dies auf Kosten seiner Selbstbeherrschung, was ihn zu einer geradezu abscheulichen Tat verleitet hatte. Eine Tat, für die er sich selbst verachtete. Doch so sehr er sein eigenes Handeln auch infrage stellte, so wusste er auch, dass es gerechtfertigt war. Er verachtete sich vordergründig nur deshalb, weil er all dies vor den Augen eines unschuldigen Kindes verübt hatte. Und kein Kind sollte so etwas mit ansehen müssen.
Eine Weile hatte er gezögert, besorgt darüber, die das Balg wohl auf ihn reagieren würde. Wie es ihn ansehen würde. Doch schlussendlich blickte er zu dem kleinen Mädchen hinüber und stellte dabei, mit einer eigenartigen Mischung aus Erleichterung und Besorgnis, fest, dass sie ohnmächtig war. Dass sie von alledem offenbar gar nichts mitbekommen hatte. Ihre Ohnmacht, sie rührte wohl noch immer von dem kräftigen Schlag, den einer der Soldaten ihr versetzt hatte. Aus seiner hinteren Hosentasche zückte der Wolfsmensch nunmehr ein Taschentuch, tupfte sich damit das Blut von seinen Klauen und Zähnen, ehe er es entsorgte. Dann schritt er auf das Mädchen zu, nahm es in seine Arme, achtete dabei noch, dass sie ihren Teddybären nicht verlieren würde, und verließ dann den blutüberströmten Schauplatz des Verbrechens.
„So war das wahrlich nicht geplant. Karasu wird gar nicht begeistert sein.“
Eine frische Brise wirbelte sein dunkles, langes und welliges Haar auf. Sein wilder, ungezähmter Vollbart wehte im Wind, während er die wärmenden Sonnenstrahlen genoss, die den Tag erhellten und die Blumen gedeihen ließen. Es war ein herrlicher, idyllischer Tag auf diesem kleinen Fleckchen Land, auf dem er sich eingefunden hatte. Ein kleiner Hügel, nicht weit von einem so unscheinbaren, wie lebendigen Dorf entfernt. Sein Blick war auf die zwei Gräber gerichtet, die so majestätisch und prachtvoll anmuteten, wie die hier Beerdigten einst auch gelebt hatten. Besonders auffällig waren der orangefarbene Hut auf dem einen Grabstein, sowie die Naginata, an der ein weißer Kapitänsmantel haftete, die in dem anderen Denkmal steckte. Flüchtig bemerkte der Mann in dem blauen Kimono die drei Sakeschalen, die auf der Wiese lagen, sowie eine relativ aktuelle Zeitung, die an das Grab von Ace geheftet war und von der Rückkehr der Strohhutbande berichtete.
„Portgas D. Ace … Edward Newgate. Bitte, verzeiht mir“, flüsterte er leise in sich hinein, als er plötzlich die gemächlichen Schritte eines sich nähernden Mannes vernahm.
„Was hier doch zurzeit für ein Hochbetrieb herrscht. Erst der Bruder von Ace und jetzt auch noch du, Hayate“, ertönte die Stimme eines blonden Mannes, auf dessen Nase eine Brille thronte. Mit breitem Grinsen näherte er sich dem Schwertkämpfer, der sich ihm postwendend zuwandte.
„Marco …“.
Der Arzt hielt inne, musterte seinen Gegenüber flüchtig, bis er schlussendlich seine Arme ausbreitete. Der Mann mit dem wilden Bartwuchs tat es ihm gleich, sie umarmten einander herzlich.
„Schön dich wiederzusehen, Hayate.“
„Gleichfalls.“
Ihre Freude erfüllte die Umgebung, war deutlich spürbar. Auch bei eben jenem Mann, der das Geschehen die ganze Zeit, aus sicherer Entfernung, durch ein Zielfernrohr beobachtet hatte, das auf einem Scharfschützengewehr montiert war. Ausgerichtet war dies stets auf Hayate. Die Gestalt richtete sich ihre Brille und griff dann zur Teleschnecke, die direkt neben ihr positioniert war.
„Hört ihr mich? Er ist da. Er ist endlich gekommen.“
Er schloss seine Augen, seinen Blick zur Sonne gerichtet. Er kostete jeden dieser wärmenden Strahlen, die der flammende Himmelskörper absonderte, aus, als wäre es sein Letzter. Gleichzeitig wehte ihm eine weitere, kühle Windbrise durch sein langes, ungezähmtes Haar. Viel zu selten hielt er inne. Viel zu selten ruhte er, um einfach nur den Moment zu genießen. Um den Tag zu nutzen. Um sich am Leben zu erfreuen. Viel zu lange schon hatte er den Wert unterschätzt, der Momenten der Stille und Ruhe innewohnte.
So saß er nun da, kostete jede dieser wertvollen, idyllischen Sekunden aus, während sein alter Vertrauter nur schweigend daneben saß und ihn beobachtete. Die Verwunderung über die Gelassenheit, die Hayate mittlerweile ausstrahlte, stand ihm förmlich ins Gesicht geschrieben. So kannte er ihn gar nicht. Er schien mit sich selbst so im Reinen zu sein, wirkte ausgeglichener denn je. Er hatte sich verändert, hatte sich weiterentwickelt. Eine neue Facette, die er vom Schwertkämpfer noch nicht kannte. Doch plötzlich veränderte sich etwas. Hayate öffnete seine himmelblauen Augen, senkte seinen Kopf und verzog dabei eine Miene der Sorgen. Ein Blick der Unruhe. Seine Augen ruhten dabei auf den Gräbern, die vor ihnen in den Himmel ragten.
„Tut mir leid“, brach er schlussendlich das Schweigen, was Marco einen kurzen Augenblick stutzig machte.
„Was tut dir leid?“ fragte Marco ihn, verblüfft über die entschuldigenden Worte, die sein Gegenüber zu formulieren begonnen hatte.
„Viel zu viel“, setzte Hayate wieder an. Dieses Mal unterließ Marco es jedoch ihm ins Wort zu fallen. Stattdessen öffnete er die Sakeflasche, die zu seiner Linken stand, und befüllte damit die zwei Schalen, die rechts von ihm auf der Wiese ruhten.
„Ich bedauere, dass ich vor zwei Jahren nicht schon hier war. Dass ich die Beerdigung verpasst habe. Auch wenn wir einst verfeindet waren, so hatte ich doch nichts als Respekt für Whitebeard über. Er war ein großer Mann. Ein gütiger Mann“, fuhr er schließlich fort, ehe eine weitere Brise seinen langen Vollbart aufwirbelte. Ein Satz, der Marco ein herzhaftes Lächeln abrang. Und ihn in Erinnerungen schwelgen ließ.
„Ja, das war er.“
Zeitgleich griffen die beiden Männer zu ihren Sakeschalen, leerten sie mit nur einem Schluck.
„Und glaube mir, wenn ich dir sage, dass dieses Gefühl auf Gegenseitigkeit beruhte. Pops hat sich das so gut wie nie anmerken lassen, aber auch er respektierte dich. Genauso wie er deinen Kapitän respektiert und geschätzt hat. Apropos, hast du in den letzten Jahren mal wieder was vom Rothaar gehört?“ versuchte Marco nunmehr das Gespräch, so subtil wie es ihm in diesem Augenblick möglich war, in eine andere Richtung zu lenken. Was ihm auch gelang. So konnte Hayate nicht anders, als zu lächeln, als er an seine Zeit auf der Red Force zurückdachte.
„Bisher nicht. Das hat sich in den letzten zwei Jahren noch nicht ergeben. Ich wollte zuallererst den beiden Verstorbenen meinen Respekt erweisen. Im Anschluss daran habe ich mir ein Treffen mit dem Kapitän allerdings fest vorgenommen“, erwiderte der Schwertkämpfer ihm schlussendlich.
„Wo du es bereits ansprichst … Wie ist es dir eigentlich in den letzten Jahren ergangen? Man hat Geschichten und Gerüchte über das gehört, was im Impel Down, vor allem aber im Level 6, geschehen ist. Aber handfeste Berichte haben bis zum Schluss gefehlt“, begann die ehemalige, rechte Hand des einstigen stärksten Mannes der Welt auszuführen. Nun war es Hayate, der ihm ins Wort fiel.
„Das überrascht mich nicht. Wenn es eines gibt, worauf man sich bei der Weltregierung verlassen kann, dann ist das ihr Hang zur Verleumdung und zur Lügenpresse. Alles nur, um das Gesicht zu wahren und zu verhindern, dass das eigene Ansehen in der Öffentlichkeit beschädigt wird. Wahrscheinlich hat man die Vorfälle vom Impel Down vertuscht und diejenigen, die darüber Informationen besaßen, zur Verschwiegenheit verpflichtet.“
Plötzlich bemerkte Marco, wie sein Gegenüber seine Hände zu Fäusten ballte. Wie er das Gesicht verzog und, wenn auch ungewollt, die Zähne fletschte. Der Gedanke an diese korrupte Organisation, die über die Geschicke der Welt entschied, widerte ihn an. Es machte ihn regelrecht krank.
„Einigen der Level 6 Insassen soll die Flucht gelungen sein. Schon als diese Gerüchte das erste Mal die Runde machten, hegte ich den leisen Verdacht, dass auch du zu denjenigen gehört haben musst, die dieser Hölle entfliehen konnten. Und offenbar täuschte mich mein Gefühl nicht. Doch was geschah dann?“ versuchte Marco, fast schon verzweifelt, das Gespräch wieder in die richtige Bahn zu manövrieren. Und es schien zu gelingen. Hayate’s Körperhaltung entkrampfte sich, ein leises Aufatmen entwich seinen Lippen. Fast schon beiläufig zeigte er mit dem Zeigefinger auf die Sakeschalen, woraufhin Marco nicht lange zögerte, sondern sofort nachschenkte. Nur einen Augenblick später bahnte sich der Alkohol auch schon seinen Weg durch Mund und Hals des Schwertkämpfers.
„Ehrlich gesagt gibt es da gar nicht so viel zu erzählen. Kyra, Faol und ich kaperten ein Kriegsschiff der Marine und brachten zunächst so viel Abstand wie möglich zwischen uns und dem Unterwassergefängnis. Schon kurz darauf erreichte uns dann die Nachricht, dass Whitebeard beim Großen Ereignis gestorben sei. Wie es weiterging, weißt du wahrscheinlich besser als jeder andere … Die Welt war in Aufruhr, das Gleichgewicht der Mächte geriet ins Wanken. Chaos brach in der Neuen Welt aus. Nirgends war man mehr sicher. Schnell wurde uns bewusst, dass es am Sichersten für uns alle wäre, wenn wir uns trennen würden. Wenn wir untertauchen würden, uns ruhig verhalten würden. Und das taten wir auch. Um unser aller Sicherheit zu gewährleisten, gaben wir uns das Versprechen, dass wir keinen Kontakt zueinander aufnehmen würden. Nur im äußersten Notfall dürften wir einander kontaktieren. Nur wenn es sonst keine andere Möglichkeit mehr gebe“, erklärte Hayate, krempelte dann seinen rechten Ärmel hoch und offenbarte eine mobile Teleschnecke, die er an seinem Handgelenk trug.
„Ich habe schon seit fast zwei Jahren nichts mehr von meinen Freunden gehört. Eine gewisse Grundangst ist immer da, doch jedes Mal, wenn sie droht mich zu übermannen, erinnere ich mich an unser Versprechen. Das allein gibt mir die Gewissheit, dass es ihnen gut geht. Dass ich mir keine Sorgen um sie machen muss. Wäre dem nicht so, hätte es längst geklingelt“, beendete er schlussendlich seine Ausführungen. Kurze Stille trat ein, die die beiden Männer erneut dafür nutzten, um sich eine weitere Schale des köstlichen Sake zu genehmigen, den Marco mitgebracht hatte. Doch plötzlich kippte die Stimmung. Hayate, dessen Blick unaufhörlich auf die Denkmäler von Edward Newgate und Portgas D. Ace gerichtet war, fasste sich schlagartig ins Gesicht, verdeckte mit beiden Handflächen seinen Mund. Marco war sich zwar nicht sicher, glaubte aber zu vernehmen, dass sein Gegenüber sich bemühte ein lautes Schluchzen zu unterdrücken. Der Schwertkämpfer schien mit sich selbst zu ringen. Er war sichtbar bemüht, sich seiner Tränen, seiner Trauer, zu erwehren.
„Ich … Ich kann gar nicht oft genug betonen, wie leid es mir tut!“
Marco verstand noch immer nicht, wofür er glaubte sich entschuldigen zu müssen. Nun wollte er dieses Rätsel endlich lösen. Die Frage danach, was Hayate so sehr umtrieb, begann den eigentlich so ruhigen, gelassenen Mann regelrecht zu quälen. Doch bevor er seine anfängliche Frage erneuern konnte, begannen die Lippen des Schwertkämpfers sich wieder zu bewegen.
„Im Impel Down stand ich ihm gegenüber. Von Angesicht zu Angesicht … Teach. Ich wurde Zeuge seiner Kaltblütigkeit, seiner Skrupellosigkeit, seiner Kalkül. Ich sah, zu was er fähig war. Ich sah, zu was er werden könnte, wenn ihn niemand aufhalten würde. Ich hatte sie. Die Chance, all das zu verhindern. Ihn aufzuhalten. An Ort und Stelle. Doch ich nutzte sie nicht. Diese einmalige Möglichkeit, die sich mir offenbarte … Ich ließ sie verstreichen.“
Er hielt kurz inne, sein Schmerz drohte ihn zu überwältigen.
„Doch ich wusste es nicht. Ich wusste damals nicht, wen genau ich eigentlich vor mir hatte. Ich wusste damals nicht, was er plante. Wonach er strebte. Und was er, schon kurz darauf, tun würde. Dass er dafür verantwortlich war, dass Ace im Impel Down saß und hingerichtet werden sollte. Dass er derjenige war, der den Krieg zwischen der Marine und euch, den Whitebeardpiraten, provoziert hatte. Und dass er letztlich derjenige sein sollte, der Whitebeard tötet. Und nicht nur das, der euch alle sogar noch verdrängen und sich alles, was der alte Mann einst besessen hat, gewaltsam nehmen sollte. Ich wusste es nicht. Rückblickend betrachtet frage ich mich allerdings, ob ich es nicht irgendwie hätte erahnen müssen. Ich frage mich, ob es falsch war, dass ich zuallererst an die Sicherheit meiner Freunde, wie auch meine Eigene, gedacht habe. Die Frage danach, ob ich all das hätte verhindern können, wenn ich mich im Level 6 gegen ihn gewandt hätte, ihn bekämpft und getötet hätte, raubt mir den Schlaf. Wer weiß, vielleicht wäre dann alles anders gekommen“, übte sich Hayate in Reue und Gewissenskonflikten. Nun verstand Marco endlich, was seinen alten Freund quälte. Es waren die Selbstvorwürfe, die Gewissensbisse, die ihn umtrieben und plagten. Er gab sich selbst die Schuld für Ereignisse, auf die er keinerlei Einfluss hatte. Auf die er keinen Einfluss haben konnte. Wie auch? Und auch wenn er sich postwendend fragte, ob diese Reaktion angemessen erschien, so konnte er einfach nicht anders, als zu lachen. Und das aus voller Kehle. Hayate, sichtbar irritiert über das anhaltende Gelächter des blonden Mannes, wirkte verzweifelt. Unbeholfen. Er kannte Marco gut genug um zu wissen, dass dieser mitfühlend war. Dass er ihn niemals, für die Offenbarung seines Innersten, seiner größten Empfindungen und schwerwiegendsten Ängste, hämisch belächeln würde.
„Das klingt doch wieder ganz nach dir. Du hast dich wirklich kein bisschen verändert, Hayate“, stimmte Marco an.
„Du hattest schon immer einen Hang dazu die Probleme der ganzen Welt zu schultern. Dir jede beträchtliche Last aufzuerlegen und dich stets damit zu plagen, was du hättest besser oder anders machen können. Wie hättest du all das denn erahnen sollen? Du saßt im sichersten Gefängnis der Welt, vollkommen isoliert und abgeschnitten von der restlichen Welt. Woher hättest du wissen sollen, was vor sich ging? Und vor allem, woher hättest du wissen sollen, was noch passieren würde? Du bist, wie so oft, zu streng zu dir selbst. Deswegen glaub mir bitte, wenn ich dir sage, dass dich keine Schuld trifft“, fährt der Blonde fort, ehe er den letzten Rest der Sakeflasche gerecht auf die beiden Trinkschalen verteilte und den Schwertkämpfer fast schon aufforderte, seine Schale zu leeren.
„Ja, vielleicht wäre dann alles anders gekommen. Doch vielleicht wäre es auch noch schlimmer geworden, als ohnehin schon. Vielleicht hätten wir, neben Ace und Pops, den Tod eines weiteren Freundes zu beklagen gehabt. Teach hat das alles von langer Hand geplant. Er hat, und das 20 Jahre lang, stets gewusst, wie er seine größten Stärken, seine Skrupellosigkeit, seine Durchtriebenheit und seine Raffinesse, am effizientesten einzusetzen hat, um zu bekommen, was er will. Unser größter Fehler war es Teach zu unterschätzen. Das wissen wir nun. Und ich würde nur ungern in dem Wissen leben, dass dich derselbe Fehler dein Leben gekostet hätte. Es gibt für dich nichts zu bedauern.“
Hayate jedoch konnte nicht anders, haderte weiter mit sich selbst. Er konnte nicht aus seiner Haut heraus, behielt sich seine Zweifel darüber, ob er all das vielleicht doch hätte verhindern können. Und trotzdem erkannte er die Wahrheit, die in den Worten seines Freundes lag. Er wusste, dass er recht hatte. Er wusste, dass ihn keine Schuld traf. Das wusste er eigentlich auch schon, bevor Marco ihm dies zu erklären versuchte. Doch hinderte ihn seine, seiner Auffassung nach, größte Charakterschwäche daran, diesen Worten auch Glauben zu schenken. Zu akzeptieren, dass es Dinge gab, die einfach geschehen würden. Die unausweichlich waren. Auf die er keinen Einfluss haben konnte. Die er nicht vereiteln könnte. So sehr er es sich auch wünschen würde.
„Bist du in letzter Zeit eigentlich mal wieder Mihawk über den Weg gelaufen?“ riss Marco ihn letztlich aus seiner verworrenen Gedankenwelt. Und nun war er es, der sein Gelächter nicht zügeln konnte.
„Nein. Und da bin ich auch ganz froh drüber. Unsere erste, und bisher letzte, Begegnung vor etwas mehr als 15 Jahren hat mir gereicht“, erwiderte er, während er sich instinktiv unter seinen Kimono griff und die Stelle auf seiner Brust ertastete, an der sich eine von zwei tiefen Schnittnarben befand, die seinen Oberkörper zierten. Die andere, deutlich größere Narbe tuschierte er dabei ungewollt. Sie begann zu jucken, zu schmerzen.
Viele Meilen lagen nunmehr zwischen ihm und der brennenden Hauptstadt, doch den aufsteigenden Rauch konnte er noch immer deutlich am Horizont erspähen. Der Geruch von verbranntem Menschfleisch saß ihm immer noch in der Nase, war er doch an seinem verdreckten, mit Blutspritzen übersätem, Jackett haften geblieben. Sein Ziel hatte er jedoch so gut wie erreicht. Das kleine, nahezu unscheinbare Lager, dass sie in den kahlen Bergen des Landes bezogen hatten, war nun greifbar nahe. Ein paar einfache, dunkelgrüne Zelte. Mehr hatten sie nicht. Mehr brauchten sie auch nicht. Einige der Männer und Frauen, die dort stationiert waren, hatten ihn unlängst bemerkt. Sie grüßten ihn freundlich, während er sie passierte und schnurstracks auf das größte Zelt des Lagers zulief. Die Kommandozentrale seiner Einheit. Sein Kommandant wartete bereits auf ihn, wartete auf seinen Bericht. Wenngleich er, seit dem Zwischenfall, noch nicht mit ihm gesprochen hatte, so kannte er seinen befehlshabenden Offizier doch mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass es nichts gab, was ihm entgehen würde. Wahrscheinlich wusste er längst, was vorgefallen war. Was er getan hatte.
Das Mädchen in seinen Armen war noch immer bewusstlos. Allzu bald würde sie vermutlich auch nicht erwachen. Er übergab sie aber nicht einfach an einen seiner Kameraden, sondern betrat, gemeinsam mit ihr, das Zelt seines Kommandanten. Ohne zu zögern, ohne um Einlass zu bitten. Dort stand er. Über seinen Arbeitstisch gebeugt, auf der eine Landkarte ausgebreitet war. Auf dieser ruhten einige, kleinere Figuren, die unterschiedliche Farbmuster aufwiesen. Einige von ihnen waren rot, die anderen waren blau. Eine dritte, grüne Partei war deutlich unscheinbarer, weil sie zahlenmäßig weniger präsent war. Auffällig an seinem Befehlshaber war vor allem sein schwarzer Federmantel, sowie sein metallischer Schnabel, der seine komplette, untere Gesichtshälfte verdeckte. Fast schon beiläufig bemerkte Faol einen Raben auf der Schulter des Mannes, der sich mit dessen Körper zu verschmelzen schien. Der Kommandant, der ihm noch immer den Rücken zugewendet hatte, richtete einige Worte an den Wolfsmenschen. Worte, die er jedoch nicht verstehen konnte. Ein leises Nuscheln, das war alles, was er vernahm. Ein nahezu unaufhörliches Geflüster.
„Wie war das?“ fragte er den glatzköpfigen Mann fast schon argwöhnisch. Blitzartig wandte sich der Kommandant ihm zu. Dicke Venen traten an seiner Stirn hervor, sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich. Faol ließ sich davon jedoch nicht beirren und schritt zu dem einzigen Bett, das sich in dem Zelt befand. Es war nichts Außergewöhnliches oder Luxuriöses, aber vermutlich trotzdem das beste Lagerstatt, in dem das Mädchen jemals ruhen würde. Fast schon liebevoll legte er ihren kleinen, zerbrechlichen Körper auf die Matratze, ehe er sie zudeckte. Ihren Teddybären platzierte er direkt neben ihr. Ein vertrautes Gesicht würde ihr helfen, sich in dieser neuen Umgebung zurecht finden zu können. Die winzige Flamme einer Kerze, die auf dem kleinen Nachttisch neben der Bettkante brannte, löschte er, indem er sie mit seinem rechten Daumen und Zeigefinger erstickte. Sein Kommandant murmelte indes weiter vor sich hin. Faol verstand noch immer nichts von dem, was er in seine Maske hineinredete.
„Wie wär’s, wenn du deinen Lautsprecher einschalten würdest, Karasu? Vielleicht versteh ich dein Gemurmel dann auch“, fuhr der Wolfsmensch seinem Kommandanten ins unverständliche Wort, dessen fast schon boshafte Miene sich postwendend legte.
„Hab’s vergessen“, entgegnete dieser ihm nur trocken, nachdem er die Sprachfunktion seiner Maske aktiviert hatte.
„Wer ist das Mädchen?“ setzte er sofort nach.
„Keine Ahnung. Ich bin ihr heute zum ersten Mal begegnet. Sie war schon bewusstlos, als ich sie aufgelesen habe.“
„Willst du mir sagen, was passiert ist?“ hakte Karasu wissbegierig nach.
„Du weißt doch bereits, was vorgefallen ist“, entgegnete Faol ihm mit einer unterschwelligen Mischung aus Hohn und Ulk.
„Tue ich, aber ich möchte es gerne von dir hören“, erwiderte der Kommandant ihm wortkarg, ohne dessen Spott nähere Beachtung zu schenken. Schließlich war er von seinem besten Mann gar nichts anderes gewohnt.
So groß die Versuchung für diesen auch war, so schluckte er seinen Zynismus doch herunter und besann sich stattdessen darauf seinem Befehlshaber, so ausführlich wie möglich, zu schildern, was vorgefallen war. Er erzählte ihm, wie er die königliche Einheit durch die sterbende Hauptstadt begleitete. Wie sie eine kleine Gruppe von inhaftierten Rebellen vorfanden. Wie die Soldaten sie kaltblütig, an Ort und Stelle, hinrichten wollten. Ohne ihnen einen fairen Prozess zu zugestehen. Wie er versuchte sie daran zu hindern, mit seinen Worten jedoch auf taube Ohren stieß. Wie sie das Urteil infolgedessen vollstreckten. Und schlussendlich, wie das kleine Mädchen, das er seitdem behütete, die Soldaten um nichts weiter, als ein paar Brotkrumen gebeten hatte. Doch anstatt ihr in ihrer Notsituation zu helfen, reagierten sie mit Gewalt. Er erzählte Karasu, und das so detailliert wie er nur konnte, wie er die Soldaten daraufhin meuchelte. Wie er sie, einen nach dem anderen, kaltblütig abgeschlachtet hatte. Wie er sie regelrecht zerfetzt hatte. Er würde lügen, würde er behaupten er hätte das nicht genossen. Denn das hat er.
„Was soll jetzt aus ihr werden?“ fragte der Mann im schwarzen Mantel. Sichtbar besorgt um die Zukunft des kleinen, unschuldigen Mädchens.
„Was weiß denn ich? Hauptsache sie kommt alsbald raus aus diesem Drecksloch“, erwiderte der Wolfsmensch nur hörbar genervt. Doch auch wenn er es nicht zugab, sein Verhalten sprach für sich. Er sorgte sich um das Kind, wusste jedoch auch, dass ihr Leben von dem Moment an ein Besseres sein würde, in dem er ihren hilflosen Körper zugedeckt hatte. Die Revolutionsarmee würde sich von nun an um sie kümmern. Sie behüten, sie beschützen und, wenn sie es denn wollen würde, sie auch ausbilden.
„Und die Mission?“ hakte Karasu wissbegierig nach.
„Soweit bin ich nicht gekommen. Bevor sie mich zum Waffenlager führen konnten, hab ich sie wie die Tiere, die sie nun mal waren, ausgeräuchert“, entgegnete Faol, sich der Ironie seiner Worte bewusst, seinem Kommandanten, der nun Inbegriff war sich von ihm abzuwenden und sich wieder seinen strategischen Überlegungen zu widmen, die zuvor, durch das Eintreten des Minks, unterbrochen worden waren.
„Allerdings“, vernahm der Mann mit dem Stahlschnabel, was ihn ein letztes Mal aufhorchen ließ.
„Ich konnte Beweise sicherstellen, die Aufschluss über die bestehende Lieferkette geben“, fuhr er fort, während er seine Pfote in seine linke Hosentasche gleiten ließ. Er kramte ein winziges Stück Pergament hervor, faltete es auf und legte es auf den Arbeitstisch seines Kommandanten.
„Unser Verdacht hat sich bestätigt. Nicht nur die Rebellen werden vom Joker beliefert, auch die königliche Garde bezieht ihre Waffen von ihm. Unsere schlimmsten Befürchtungen haben sich damit bestätigt … Er strebt offenbar nach nichts Anderem, als nach Chaos. Anarchie und Verwüstung, das will er.“
Der wortkarge und sogleich gesprächige Karasu schwieg, während er eine Teleschnecke hervorholte.
„Einsatzbericht“, ertönte die bestimmte, doch zugleich frohsinnende Stimme ihres Vorgesetzten. Ein blonder Mann, dessen auffälligsten Merkmale die Narbe an seinem linken Auge, sowie das Rohr, das er mit sich führte, waren. Faol klärte ihn umfassend über seine gesammelten Erkenntnisse und Informationen auf. Spuren, die allesamt in eine einzige Richtung führten. Nach Dress Rosa. Dem Ort, von dem aus die Waffen in die verschiedenen Kriegsgebiete geliefert wurden.
„Das ist nun schon die vierte Insel innerhalb weniger Wochen, von der uns derartige Berichte erreichen. Damit sollte nun jeder Zweifel ausgeräumt sein, wir müssen die Lieferkette des Jokers dauerhaft unterbrechen. Direkt nach unserem Gespräch werde ich mich mit Dragon austauschen und ihn um eine Einsatzfreigabe bitten. Karasu, sorg dafür, dass sich die Lage auf Providence beruhigt. Ich betrachte dieses Problem als gelöst. Und Faol? Gute Arbeit. Ich erwarte dich zeitnah zurück auf Baltigo Island. Wenn ich nach Dress Rosa aufbreche, um die Waffenlieferungen von Don Quichotte de Flamingo endgültig zu stoppen und seine kriegstreiberischen Machenschaften zu beenden, möchte ich, dass du mich begleitest.“
Die eisige Kalte umarmte ihn. Gefangen in einem wilden Sturm, der ihm die Tränen in die Augen rieb, stiefelte er durch den tiefen Schnee, der ihm bis zu den Knien reichte. Immer weiter. Er blickte nicht zurück, nur nach vorne. In seinen Armen ein kleines, kreischendes Neugeborenes haltend, um das er eine dicke Wolldecke gewickelt hatte, damit es den niedrigen, unbarmherzigen Temperaturen nicht erliegen würde. Schon seit Monaten war er nun auf sich allein gestellt. Er wusste nicht, wo seine Kameraden hin entschwanden waren. Er wusste nicht, ob er sie jemals wiedersehen würde. Er wusste nicht, ob es überhaupt noch Grund zur Hoffnung gab. Verzweifelt klammerte er sich an die letzten Worte und Wünsche seiner Prinzessin. Die Frau, die ihm einst wieder einen Lebenssinn gegeben hatte. Die Frau, die ihm das Leben gerettet hatte. Die Frau, der er mehr schuldete, als er jemals zurückzahlen könnte.
Seine Beine zitterten, seine Gliedmaßen drohten zu erstarren. Und er spürte es. Er spürte, dass die Kälte ihn alsbald überwältigen würde. Lange würde er ihr nicht mehr standhalten können. Das wusste er. Doch er hielt durch. Er hielt solange durch, wie er nur konnte. Nicht mehr weit. Er kannte das Land nur allzu gut. Er wusste, dass sein Ziel greifbar nah war. Plötzlich breitete sich ein gewaltiger Schatten über ihm aus, verdeckte die letzten, winzigen Löcher in der ansonsten so dichten Wolkendecke. Kein einziger Sonnenstrahl erreichte ihn mehr, der letzte Funken der wohlwollenden Wärme war erloschen. Der eisige Frost wurde allgegenwärtig, drohte ihn zu verschlingen. Mit letzter Kraft blickte er zum Ursprung des geworfenen Schattens. Zu diesem gewaltigen und pompösen Fundament, deren Turmspitzen bis in die Wolkendecke ragten. Seine Sicht war beeinträchtigt, doch glaubte er ein gigantisches Steintor auszumachen, das in greifbarer Nähe erschien. So nah und doch so fern, denn ein tiefer Burggraben verhinderte sein weiteres Voranschreiten. Doch wusste er, dass er sein Ziel endlich erreicht hatte. Nach all den Monaten der Angst und der Verzweiflung. Monate des Kämpfens und des Davonlaufens. Endlich war er da, hatte die letzte Zuflucht, die ihm noch verblieb, nunmehr erreicht. Und er lächelte. Er lächelte, während es um ihn herum dunkel wurde. Immer dunkler. Seine Augenlieder schlossen sich, seine letzten Kräfte verließen ihn. Die Finsternis der Ungewissheit umgab ihn.
„Hilfe“, murmelte er leise vor sich her, bis er schließlich zusammenbrach. Instinktiv ließ er sich auf seinen Rücken fallen. Das Neugeborene ragte auf seiner muskulösen Brust, während er nur da lag. Bewusstlos. Der Schneefall wurde stärker. Würde niemand kommen, so würden sie beide unter einer dicken Schneedecke begraben werden. Und das Kind schrie. Aus voller Kehle. Unaufhörlich. Plötzlich ertönte ein leises Kettenrascheln. Die Tore der Burg öffneten sich. Eine Zugbrücke wurde heruntergelassen, wodurch der Burggraben passiert werden konnte. Einige Männer mit dicken Pelzmänteln stürmten aus der Burg heraus, um die Reisenden aufzulesen. Eine Frau führte die kleine Truppe an. Ihre Haut war so weiß wie der herabfallende Schnee, ihr schulterlanges Haar so stechend rot wie ein funkelnder Rubin. Die ominöse Frau trug eine auffällige Rüstung, die aus bläulichen Edelsteinen geschmiedet wurde. Eine eher ungewöhnliche Handwerksarbeit.
„Bringt sie ins Innere der Burg. Sorgt dafür, dass sie sich aufwärmen und zu Kräften kommen können. Sie sind die Zukunft unseres Landes.“
Er rannte. Rannte immer wieder. Mit jedem Schritt spritzten ihm vereinzelte Tropfen des Schlamms auf seine elegante, weiße Bekleidung. Doch das kümmerte ihn nicht. Er hatte eine Mission. Eine Mission, die nicht scheitern durfte. Er wollte gar nicht erst daran denken, was ihm blühen würde, würde er versagen. So glaubte er, dass er die Tage der Angst und der Beklemmung längst hinter sich gelassen hatte. Doch nun drohte ihn diese Zeit einmal mehr einzuholen. Panisch sah er sich um, versuchte ihre Spur in den engen, verwinkelten Gassen der Slums wiederzufinden. Doch erfolglos. Ihre Fährte hatte er längst verloren. Doch stehen blieb er nicht, er eilte weiter. Hoffnungslos. Hilflos. Seine Verzweiflung war das Einzige, was ihn noch auf den Beinen hielt und verhinderte, dass er zusammenbrach. Als er um eine weitere Häuserecke lugte und auch dieses Mal feststellen musste, dass von der Gesuchten jedwede Spur fehlte, erhielt er einen Anruf über seine Armbandteleschnecke, die sich an seinem linken Handgelenk befand.
„Ich höre“, sprach er mit zittriger Stimme in seinen Kommunikator.
„Sie sollten sofort zum Hafen kommen“, entgegnete ihm der Mann am anderen Ende der Leitung. Ohne zu zögern beendete er das Gespräch, verließ die verdreckten Seitenstraßen postwendend und eilte die einzige, größere Straße entlang, die dieser kleine Ort besaß. Schon aus der Ferne konnte er die stürmische See erblicken. Düstere Wolken verdeckten den klaren Himmel. Je näher er dem Meer kam, desto stärker peitschte ihm der Wind ins Gesicht. Schnell bemerkte er zwei weiße Gestalten, die am Hafen standen. Auf ihn wartend. Den Blick gen Norden gerichtet. Sowie er sie erreichte, tat er es ihnen gleich und bemerkte ein einzelnes Schiff auf offener See, das sich in die stürmische Nacht hinauswagte. Einer der Männer in weiß reichte ihm ein Fernglas. Er lugte hindurch und musste dabei erkennen, dass die Frau, nach der sie gefahndet hatten, sich an Bord des Schiffes befand. Das Ruder fest in der Hand befehligte sie eine Truppe von Tunichtguten, um dem erbarmungslosen Unwetter nicht augenblicklich zu erliegen.
„Scheiße“, murmelte der Truppenführer vor sich her.
„Was machen wir jetzt?“ warf nun jener Mann in die Runde, der ihm zuvor das Fernglas gereicht hatte.
„Wir haben wohl keine andere Wahl. Macht Meldung bei den 5 Weisen. Sagt ihnen, dass wir versagt haben. Kyra ist entkommen!“
Vereinzelte Blüten wirbelten durch die Lüfte, eine dichte Wolkendecke verdeckte den wärmenden Flammenkörper. Das Raunen des Donners, Blitze sausten in weiter Ferne vom Himmel herab. Ein Sturm zog auf. Doch dies hinderte die beiden Piraten, die sich einst bekämpft hatten, nicht daran weiterhin die Gesellschaft des jeweils Anderen in vollen Zügen zu genießen. Denn noch war das Unwetter meilenweit entfernt. Nichts, worüber sie sich Sorgen machen müssten.
Mittlerweile hatten sie bereits die zweite Sakeflasche geleert. Sichtbar angetrunken saßen sie eng umschlungen vor den Gräbern zweier großer Persönlichkeiten der Piraterie, stimmten ein Lied nach dem anderen an. Sie erzählten einander Geschichten aus früheren Tagen und lachten dabei aus voller Kehle. Doch die Zeit der heiteren Zweisamkeit sollte ein jähes Ende finden, als sie die Fußtritte dreier Personen vernahmen, die sich langsamen Schrittes auf sie zubewegten. Ihre eleganten, weißen Mäntel, die auf ihren Schultern thronten, wehten im Wind. Besonders auffällig an ihrer Uniformierung waren die goldenen Schulterplatten, sowie die große Aufschrift des Wortes Gerechtigkeit, das sich über ihren Rücken erstreckte.
Ein flüchtiger Schulterblick genügte dem beschwingten Schwertkämpfer, um zu realisieren, dass die Marine ihn schlussendlich gefunden hatte. Nach zwei Jahren, in denen er sich möglichst unauffällig verhalten und alles nur Erdenkliche unternommen hatte, um seine Spuren nach besten Kräften zu verwischen, hatten sie ihn nun doch ausfindig gemacht. Zu seiner Verwunderung konnte er zwei von ihnen jedoch identifizieren, teilte er mit ihnen doch einen wichtigen und einschneidenden Abschnitt in seinem Leben.
„Gweneth. Stellan. Ist ne Weile her. Wie kommt’s, dass ihr jetzt bei der Marine dient?“ fragte er den Mann, der über seine rechte Schulter ein Scharfschützengewehr trug, sowie die Frau im Bunde, die einen großen Vorschlaghammer mit sich führte. Eine Antwort erhielt er jedoch von keinem von ihnen. Stattdessen erhob sich Marco nunmehr von der Wiese, was Hayate einen Hauch von Verwunderung ins Gesicht trieb.
„Ich lass euch dann mal allein. Sieht so aus, als hättet ihr einiges zu besprechen“, ließ er seinen Bekannten aus alten Tagen unmissverständlich wissen, dass er offenbar schon länger gewusst hatte, dass die Marine vor Ort war. Mehr noch, dass sie dort war, weil sie nach Hayate gesucht hatte. Bei dem Gedanken daran, dass die rechte Hand des einstigen, stärksten Piraten der Welt ihm dies vorenthalten hatte, ihn womöglich sogar eine Falle gestellt hatte, konnte er sich ein flüchtiges Schmunzeln nicht verkneifen. Und einmal mehr keimten Erinnerungen aus besseren Zeiten in ihm auf. Zeiten, in denen sie sich gegenseitig bekriegten. Zeiten, in denen sie einander jedoch auch zu achten und zu schätzen gelernt hatten. Eine respektvolle Rivalität war es, die sie zueinander pflegten. Schnell wurde ihm klar, dass er sich um die Marine keine Sorgen machen musste. Dass hinter alledem mehr stecken würde, als es zunächst noch schien. Und dass er unweit davon entfernt war, den Anlass für ihr Treffen zu ergründen.
Flüchtig wanderte sein Blick zum blonden Mann, der angetrunken davon torkelte. Seine Sicht wurde ihm jedoch von dem einzigen der drei Offiziere unlängst verdeckt, dessen Gesicht und Name ihm unbekannt war. Auffällig war die große Schnittnarbe, die über seine gesamte, linke Gesichtshälfte verlief.
„Und wer bist du?“
„Mein Name ist Brios. So wie Stellan und Gweneth stamme auch ich von Midgard. Und ich kann dir gar nicht sagen wie froh ich bin dich endlich gefunden zu haben, Hayate“, entgegnete sein Gegenüber ihm, während der Schwertkämpfer nur verdutzt auf den Grund der leeren Sakeflasche blickte, die neben ihm auf der grünen Wiese stand.
„So’n Mist, der Sake ist leer“, waren die einzigen Worte, die nach ewigerscheinenden Sekunden über seine Lippen kamen. Fast schon verzweifelt sah er sich um. In der stillen Hoffnung, dass Marco eine dritte Flasche für ihn dagelassen hätte. Doch dem war nicht so. Als sein Blick zu jener Stelle wanderte, an der zuvor noch der ehemalige Pirat gesessen hatte, erspähte er dort nun eben jenen Marineoffizier, der schon beinahe hilflos bemüht war ihn in ein Gespräch zu verwickeln.
„Ich bitte dich, hör mich an!“ sprach er nun mit bestimmter Stimme. Und es zeigte Wirkung. Hayate’s Augen wichen nicht mehr von ihm ab. Sein Ausdruck war so intensiv, so konzentriert, dass Brios ein leichtes Unbehagen in seiner Magengegend verspürte.
„Also, seid ihr hier, um das Kopfgeld zu kassieren, das auf meinen Kopf ausgesetzt ist? Denn das wird nicht leicht werden. Für keinen von uns“, erwiderte Hayate ihm nun mit ähnlich prägnanter Tonlage, die auch der Offizier zuvor gewählt hatte.
„Nein, deshalb sind wir nicht hier.“
„Was wollt ihr dann von mir?“
Brios atmete einmal tief ein und aus. Er musste sich sammeln, denn er wusste, dass von dem Gespräch, das er nun führen sollte, mehr abhing, als ihm lieb war. Er hatte nur diese eine Chance, um den Mann, nach dem sie so viele Jahre gesucht hatten, von ihrem Vorhaben zu überzeugen.
„Wir haben wirklich sehr lange nach dir gesucht. Zu lange. 16 Jahre. Und immer wenn wir glaubten, dir endlich auf der Spur zu sein, warst du wieder verschwunden. Wie ein Geist“, begann er zu erzählen, wurde jedoch postwendend von seinem Gegenüber unterbrochen.
„Liegt an der Ausbildung. Solche Marotten legt man nur schwer ab.“
„Vor zwei Jahren ereilte uns dann die Nachricht, dass man dich geschnappt und ins Impel Down gesperrt hätte. Dich und zwei deiner Komplizen“, fuhr Brios, unwissend darüber, worauf der bärtige Pirat zuvor angespielt hatte, unbehelligt fort, als der Schwertkämpfer ihm jedoch ein weiteres Mal ins Wort fiel.
„Da ist euch Aokiji wohl zuvorgekommen. Oder bevorzugt er mittlerweile wieder Kuzan? Die Notwendigkeit der Admiralitätsnamen hat mich schon immer zutiefst irritiert.“
„Wir standen kurz davor jede Hoffnung zu verlieren, da erreichte uns die Mitteilung, dass es einen Massenausbruch im Impel Down gegeben hat. Zunächst hatte ich nur die leise, unausgesprochene Vermutung, dass auch du zu jenen gezählt hast, die entkommen konnten. Ein paar Tage später bestätigte mir eine meiner gut platzierten Quellen diesen Verdacht jedoch. Wir schöpften neue Hoffnung“, setzte Brios seine ausschweifenden Ausführungen fort, wohingegen die Geduld seines Gegenübers mittlerweile wie ein dünner Faden zu reißen begann.
„Komm endlich auf den Punkt. Wie habt ihr mich gefunden? Wieso habt ihr nach mir gesucht? Und was verflucht wollt ihr von mir?“ fuhr er den Marineoffizier beinahe schon aggressiv an. Gefrustet darüber, dass er sich überhaupt mit einem der Männer in weiß und blau unterhielt, aber ebenso verdrießt darüber, dass er schon seit fast zehn Minuten keinen Schluck des köstlichen Sake mehr genossen hatte.
Brios, dem die Entnervung und Anspannung derweil praktisch ins Gesicht geschrieben stand, wich ein kurzer Seufzer über die Lippen, der dem Schwertkämpfer mehr als nur eindeutig zu verstehen gab, wie anstrengend das bisherige Gespräch für ihn doch gewesen war. Er hatte sich lange darauf vorbereitet, hatte sich vorab mehrfach überlegt, was er ihm sagen wollen würde, wenn er ihn dann endlich gefunden hätte, doch musste er nunmehr erkennen, dass Hayate nicht im Mindesten der war, für den er ihn nach all dem, was man erzählt hatte, hielt.
„Wir wissen, dass du vor einigen Jahren beim heutigen Piratenkaiser Rothaar Shanks angeheuert hattest. Wir haben alle gesehen, was er vor zwei Jahren beim Krieg zwischen der Marine und den Whitebeardpiraten getan hat. Wir wissen um die Beziehung, die er zu Marco pflegt. Wir hatten damit also berechtigten Grund zur Annahme, dass dich dein Weg, früher oder später, hierher verschlagen würde, um den beiden Verstorbenen ebenso deinen Respekt zu erweisen.“
„Gut kombiniert.“
„Einer meiner Informanten setzte mich letztlich darüber in Kenntnis, dass du hierher unterwegs seist. So kamen auch wir bereits vor drei Tagen hier an“, beendete Brios seine Erklärungen, was Hayate doch ein leichtes Räuspern abverlangte.
„Versteh ich dich da richtig, Marco hat euch erlaubt auf dem letzten Erbe seines verstorbenen Kapitäns zu verweilen, bis ich hier aufkreuze? Er wusste davon?“
Er kannte die Antwort auf diese Frage bereits, war aber dennoch gespannt auf die Reaktion, die man ihm erwidern würde. Doch statt ihm mit Worten zu antworten, nickte der Marineoffizier mit dem vernarbten Gesicht ihm nur zustimmend zu. Ein flüchtiger Blick zu den anderen beiden offenbarte ihm, dass sie ihm dieselbe Geste entgegenbrachten.
„Dieser Mistkerl“, murmelte der Schwertkämpfer leise vor sich her, als er plötzlich die Sakeflasche erblickte, die Brios ihm zu reichen versuchte. Sie war voll. Ein flüchtiges Grinsen wich ihm über seine Lippen, so wusste er sofort, dass die Flasche von Marco war, denn er muss geahnt haben, dass der bärtige Pirat erbost auf diese Erkenntnis reagieren würde. So wusste er jedoch auch, wie man ihn beschwichtigen konnte. Eine der vielen Sprachen, die er verstand, war die des Alkoholismus.
„Jetzt interessiert mich aber doch, wie ihr ihn dazu gebracht habt euch den Aufenthalt hier zu gewähren“, setzte Hayate nach, nachdem er sich einen großen Schluck direkt aus der Flasche genehmigt hatte.
„Wir haben ihm die Situation erklärt. Wir sind nicht im Auftrag der Marine hier. Offiziell machen wir zwar Jagd auf dich, doch inoffiziell verfolgen wir ein ganz anderes Ziel. Eines, das unweigerlich dazu führen wird, dass man uns unseren Titel aberkennen wird. Solltest du in unser Vorhaben einwilligen, würdest nicht mehr nur du gesucht werden. Auch unsere Gesichter würden auf der Fahndungsliste landen. Wir würden kriminell werden“, erklärte der vernarbte Mann, während der Schwertkämpfer die Flasche erneut angesetzt hatte. Zwei Schlücke später musste er erschreckend feststellen, dass er den Sake bereits zur Hälfte geleert hatte. Und allmählich begann der Alkohol seine volle Wirkung zu entfalten. Seine Wangen färbten sich rötlich, er begann zu hicksen.
„Muss ich’s echt schon wieder sagen? Komm auf den Punkt!“
„Flaith schickt uns“, sprudelte es plötzlich aus Gweneth heraus, die sich aus dem Anwerbungsversuch bislang doch vollständig herausgehalten hatte. Die Heiterkeit, die Unbekümmertheit, die Sorgenlosigkeit. Alles verblasste. Der Klang ihres Namens allein reichte, um den Schwertkämpfer von seiner Trunkenheit zu befreien. Es genügte, um seine Sinne zu schärfen. Es war ein Name, den er schon seit etlichen Jahren nicht mehr gehört hatte. Doch er blieb unvergessen. Die Gefühle, die er mit ihrem Namen verband, lösten wechselhafte Emotionen in ihm aus. Glückseligkeit, Trauer, Wut, Zuneigung. Er assoziierte so viel damit, dass er sogleich nüchtern wurde.
„Flaith … Wie lange ist das jetzt schon her? 16 Jahre?“
„17 Jahre“, korrigierte Stellan ihn nur mit derselben, wortkargen Art, die Hayate von ihm kannte.
„Und wie geht es ihr?“
Raunende Stille kehrte ein. Bedrückt blickte ein jeder der Marineoffiziere hinab auf das wuchernde Gras. Eine Antwort blieben sie ihm schuldig, doch die brauchte es auch nicht. Er wusste es bereits. Ihre Reaktionen ließen keinen Raum für andersartige Rückschlüsse offen. Ohne es selbst zu bemerken, zersplitterte die Sakeflasche in seiner Hand. Vereinzelte Scherben bohrten sich in seinen Unterarm. Schmerzen verspürte er keine, als das austretende Blut die grüne Wiese in einen schimmernden Rotton erstrahlen ließ. Er war wie betäubt.
„Wie ist sie gestorben?“ hakte er schlussendlich nach.
„Sie gebar ein Kind. Ein Mädchen. Sie erlag einem hohen Blutverlust. Sie starb einen natürlichen Tod. Ohne Bedauern, doch mit einem letzten Wunsch, den wir ihr versprachen zu erfüllen. Egal wie lange es auch dauern würde“, erklärte Gweneth dem Schwertkämpfer, der nun endlich realisierte, dass er eine Wunde am Handgelenk hatte, die er dringend behandeln lassen müsste. Fürs Erste genügte es ihm die Verletzung mit seiner anderen Hand abzudrücken. Für alles Weitere würde er später Marco konsultieren.
„Ihr letzter Wunsch?“ brach es unwillkürlich aus Hayate heraus.
„Du warst ihr letzter Wunsch. Ihr letzter Wunsch war es, dass du zurückkehren müsstest. Zurück nach Midgard. Sie war davon überzeugt, dass das Land dich mehr denn je brauchen würde“, weihte Brios ihn schlussendlich in die letzten Worte ein, die je über die Lippen ihrer geliebten Prinzessin kommen sollten. Hayate verschlug es die Sprache. In jedem anderen Fall hätte er sofort mit einem weiteren sarkastischen oder zynischen Spruch versucht die Stimmung aufzulockern, doch nicht dieses Mal. Dafür ging ihm die Botschaft, die die drei Offiziere an ihn richteten, viel zu nahe. Er mag nicht viel Zeit auf Midgard verbracht haben, und hatte noch weniger Momente in der Gesellschaft der gutherzigen Flaith genießen können, und doch traf ihn diese Nachricht wie ein Blitzschlag. Vollkommen unvorbereitet. Vollkommen unvermittelt. Fast noch schlimmer als die Erkenntnis, dass der Tod sie unlängst heimgesucht hatte, war jedoch das Wissen darüber, dass dies schon beinahe zwei Jahrzehnte zurücklag. Und er es nicht wusste. Wenngleich er letzthin erkennen musste, dass schlimme Dinge manchmal einfach passieren würden und er nichts dagegen tun konnte, so quälte es ihn dennoch. Doch es war weniger der Gedanke daran, dass er solange nichts davon gewusst hatte, der ihn beschäftigte. Es war vielmehr der Umstand, dass er es nicht einmal geahnt hatte. Dass er sich nie bemüht hatte mit ihr in Kontakt zu treten, nachdem sich ihre Wege einst getrennt hatten. Dass er mit diesem Abschnitt seines Lebens rigoros abgeschlossen hatte. Ohne auch nur ein einziges Mal zurückzublicken.
„Ich verstehe nicht. Ich … ich bin nicht von Midgard. Ich war damals auch nur knapp sechs Monate dort. Wieso also ich?“ kam es ungläubig und sintflutartig aus ihm heraus.
„Weil sie dir vertraut hat“, setzte Brios schlagartig an. Hayate horchte auf, ihre Blicke trafen sich, wodurch der Marineoffizier überdeutlich die innere Zerrissenheit erspähen konnte, die seinen Gegenüber plagte und zu zermartern drohte.
„Es geht nicht um die Dauer, die du dort verweilt hast. Es geht um den Einfluss, den du in dieser Zeit auf das Land und die Menschen gehabt hast. Und der war immens. Ich kann das zwar nicht selbst beurteilen, da ich damals bereits bei der Marine diente, doch in den wenigen Tagen, die ich mit unserer Prinzessin noch verbringen durfte, wurde sie nie müde das zu betonen. Sie hielt große Stücke auf dich. Auf dich und dein Urteilsvermögen. Das reichte mir persönlich vollkommen, um ein Drittel meines Lebens mit der Suche nach dir zu verbringen. Weil wir ihr alles zu verdanken haben, was wir heute sind“, gab der vernarbte Mann ihm unmissverständlich zu erklären.
„Und ihr glaubt wirklich, dass ich euch jetzt noch bei dem helfen kann, was euch umtreibt? Nach all den Jahren, die seitdem vergangen sind?“ tat Hayate seine Zweifel kund.
„Ich weiß über den Disput zwischen Midgard und der Weltregierung Bescheid. Ich weiß, dass dieser Konflikt nie vollends geschlichtet werden konnte. Geht es darum? Versucht die Weltregierung noch immer euch eure Ländereien und Ressourcen streitig zu machen?“
Eine Frage, die ihm der hochrangige Marineoffizier jedoch nur mit einem Kopfschütteln verneinte.
„Die Weltregierung hält sich nun schon seit vielen Jahren zurück. Darum geht es nicht. Das Problem liegt woanders. Es ist von deutlich persönlicherem Interesse. Es geht um das Kind. Wir wissen zwar aus zuverlässiger Quelle, dass das Mädchen wohlauf ist, doch die Gefahr für sie ist allgegenwärtig. Hätte sich die Lage unlängst verschlimmert, dann wüssten wir davon. Dann wären wir jetzt nicht hier, sondern bereits wieder in Midgard“, entgegnete Brios ihm, als er sich erhob und seinen Blick gen Himmel schwanken ließ. Vereinzelte Regentropfen entflohen nunmehr der dichten und düsteren Wolkendecke. Der Sturm kam näher. Er schloss die Augen und genoss das Gefühl der prasselnden Tropfen auf seiner Haut.
„Es ist unsere Pflicht ihre Tochter zu beschützen und ihr den Weg zu ebnen. Es liegt nun an uns sie auf das Leben als Königin vorzubereiten. Doch wenn wir das erreichen wollen, dann brauchen wir deine Hilfe.“
Missgünstig blickte er auf den Schwertkämpfer hinab, dessen Kleidung und Haar inzwischen vom Regen durchnässt war. Er, der sein Leben im Exil in vollen Zügen zu genießen gewusst hatte und nie damit gerechnet hätte, dass ihn seine Vergangenheit jemals wieder einholen würde. Der seinen Frieden mit der Welt, und unlängst auch mit sich selbst, geschlossen hatte. Er hatte keinerlei Interesse daran sich einmal mehr in die Probleme anderer Leute verwickeln zu lassen. Er hatte kein Interesse daran sich mit ermüdender Politik und archaischen Gebräuchen zu befassen. Doch so sehr er sich auch sträubte, so sehr er auch mit sich selbst haderte, so sehr wusste er doch auch, dass er das Gesuch dieser Gruppe nicht ablehnen würde. Dass er es nicht ablehnen konnte. Er schuldete weder ihnen, noch Flaith, noch Midgard auch nur irgendetwas. Ihn traf keinerlei Verantwortung, keinerlei Verpflichtung. Der Impuls zu handeln und für jene einzustehen, denen er sich verbunden fühlte, war jedoch ein Empfinden, das ihn noch immer vorantrieb. Dass ihn ausmachte. Dass er nicht so einfach ablegen konnte. So erhob er sich und reichte dem vernarbten Mann seine Hand. Dieser blickte zunächst verwundert hinab auf die blutverschmierte Handfläche, hatte er doch erwartet noch deutlich mehr Überzeugungsarbeit leisten zu müssen. Doch als er erkannte, dass dem nicht so war, huschte ihm ein unfreiwilliges und kurzweiliges Lächeln über die Lippen, ehe er den Handschlag erwiderte.
„Unter einer Bedingung“, lauteten die erklingenden Worte, die Brios unverhofft aus seiner Gedankenwelt rissen. Worte, deren kraftvolle Wirkung durch die physische Stärke des Schwertkämpfers untermauert wurden, der den Handschlag unlängst genutzt hatte, um den Offizier näher zu sich heranzuziehen. Eine beinahe unscheinbare Geste, die beim Marinesoldaten jedoch nachträglichen Eindruck hinterließ.
„Mein Team wird uns begleiten!“
Er salutierte. Den linken Arm eng an den Oberkörper angelehnt, die rechte Hand an seine Stirn haltend, während er seinen Rücken gerade durchstreckte. Die Maske hatte er abgelegt, die war bei einer Audienz mit der höchsten Autorität nicht nötig. Die Wände des Raumes erstrahlten in einem ähnlichen, schimmernden Weißton, wie seine Kleidung. Die großen Fenster erinnerten ihn an die Kirche. Sie erinnerten ihn an eine Zeit, in der er jene Gemäuer regelmäßig besucht hatte. Er war nicht gläubig, er war nicht religiös. Was er einst ersucht hatte, war Vergebung. Absolution. Ein Geschenk, das ihm jedoch stets verwehrt blieb. Selbst nachdem die Priester ihn von seinen Sünden freigesprochen hatten, verharrte das Gefühl der Ungläubigkeit. Das Gefühl, als hätte er kein Anrecht auf einen Freispruch seiner Verfehlungen.
Nun stand er hier, im Raum der Autoritäten, und stand den fünf mächtigsten Männern der Welt gegenüber. Menschen waren es keine, es waren Götter. Weltaristokraten. Himmelsdrachen, die jedoch noch weit über den anderen Mitgliedern dieses Adelsgeschlecht standen. Sie leiteten die Geschicke der Welt, sie waren die höchste Instanz der Welt. Die Ehrfurcht, die er diesen Männern entgegenbrachte, durchströmte ihn. So sehr, dass seine Beine leicht zu zittern begannen, als er bemerkte, wie sie ihn mit ihren strafenden Blicken regelrecht durchbohrten. Sein Katana folgte ihm in seiner unkontrollierten Bewegung. Das Rasseln der schlotternden, rotfarbigen Schwertscheide hallte in dem hellhörigen Raum wider.
„Einsatzbericht“, forderte ihn der Jüngste der Fünf Weisen nunmehr auf. Der Atem stockte ihm, sein Hals trocknete aus. Vereinzelte Schweißperlen liefen ihm über seine Stirn.
„Prinzessin Kyra ist uns entkommen. Sie hat uns getäuscht. Sie hat einen Moment der Unachtsamkeit ausgenutzt, um zu flüchten“, erklärte der Mann in weiß schließlich. Seine stramme Haltung behielt er dabei stets bei.
„Du wurdest trainiert, um keine Unachtsamkeiten zu zulassen“, erwiderte ihm der Aristokrat, der ein Katana mit sich führte, mit ruhiger, aber zugleich bestimmter Stimme. Demütig blickte der Agent zu Boden. Die Anspannung seiner Gliedmaßen löste sich. Er fiel auf die Knie, den Kopf noch immer gesenkt.
„Vergebt mir.“
„Du weißt, welche Bestrafung auf Versagen steht, Junichiro. Dir soll vergeben werden, sowie du sie empfangen hast“, entgegnete ihm daraufhin der Politiker, dessen auffälligstes Merkmal das markante Feuermal war, das seine Stirn zierte. Seine Augen weiteten sich. Die Furcht vor dem, was folgen sollte, plagte ihn. Quälende Erinnerungen wurden wachgerüttelt. Düstere Bilder füllten seine Gedankenwelt. Ein kurzes Aufblitzen, mehr war es nicht. Doch es genügte, um ihn in eine kurzweilige Schockstarre zu versetzen. In den vergangenen fünfzehn Jahren war seine Bilanz absolut makellos gewesen. Nie hatte er versagt. So verfiel er in dem Irrglauben, dass er das düsterste Kapitel seines Lebens einst endgültig geschlossen hatte. Doch war dies der Moment, der ihn erkennen ließ, dass die Vergangenheit einen immer einholen konnte. Er erkannte, dass sich jede kleine Unaufmerksamkeit rächen könnte. So sehr er sich auch windete, so war er doch bereit die Strafe zu empfangen, die die mächtigsten Männer der Welt für ihn bestimmen sollten. Schließlich war es der Schmerz, der ihn zu dem Mann gemacht hatte, der nunmehr vor ihnen kniete. Zu einer Waffe, die willens und fähig war jedwedes Urteil der Götter zu vollstrecken. Die Pein, die er sogleich erfahren sollte, würde ihn nur noch besser machen. Noch stärker. Makellos, das wollte er sein. An dieser Hoffnung klammerte er sich fest. Dieser Lichtblick war es, der seine Gedankenwelt erhellte und ihn durchhalten ließ. Das war es, was ihm Halt gab und verhinderte, dass der sich anbahnende Schock ihn übermannen und überwältigen konnte.
„Begib dich umgehend in den Roten Raum“, wies ihn der Aristokrat an, der einen Wurzelstock mit sich führte. Aus seinen Gedanken gerissen, erhob sich der Agent postwendend, nahm Haltung an und verbeugte sich vor der höchsten Instanz der Welt. Dann kehrte er ihnen den Rücken und verließ ihre Räumlichkeiten wieder.
Den Flur entlanglaufend kreisten seine Gedanken weiterhin nur um die Strafe, die er sogleich zu spüren bekommen sollte. Viel Zeit zum Grübeln blieb ihm jedoch nicht, da sich das Zimmer, in dem er sich einfinden sollte, nur zwei Türen weiter zum Raum der Autoritäten befand. Mit zittriger Hand griff er zur Türklinke und drückte sie, nach kurzem Zögern, schließlich hinunter. Er betrat das unscheinbare Zimmer. Auch dieses erstrahlte in einem glänzenden Weißton, Fenster gab es jedoch keine. Die einzige Lichtquelle waren vereinzelte, im Raum verteilte Kerzen, deren kleine Flammen vor sich hin flackerten. Er atmete einmal kurz durch, als er die zwei Pfähle erspäht hatte, die inmitten des Zimmers montiert waren. Ein Moment der Ruhe, der absoluten Stille. Ein Moment, der ihm dazu verhalf seine Angst, hervorgerufen durch seine plagenden Erinnerungen, für kurze Zeit zu verdrängen und das Unausweichliche zu empfangen. Der Mann lockerte seine Krawatte, legte seinen weißen Mantel ab und hing diesen knitterfrei am Kleiderständer auf, der sich rechts neben dem Eingang befand. Dem folgten augenblicklich Hemd und Binder. Langsamen Schrittes bewegte er sich auf die Eisenstangen zu. Sowie er sie erreicht hatte, kniete er vor ihnen nieder. Der Agent legte seine Handgelenke an das jeweils äußere Geländer an. Die Kälte des Eisens sorgte bei ihm für eine kurzweilige Gänsehaut, als sich die Tür des Raums ein zweites Mal öffnete. Mit dem Rücken zum Eingang gerichtet konnte er denjenigen zwar nicht erblicken, doch sein schwerer Gang, sowie die lauten Schritte, die seinen Weg begleiteten, ließen ihn an einen grimmigen, muskulösen Mann denken, dessen einziger Lebensinhalt die Tortur anderer Menschen war. Gedanklich abschweifend bemerkte er zunächst nicht, wie jene Gestalt seine Handgelenke inzwischen mit Seesteinhandschellen an die Eisenstangen festgekettet hatte. Dann vernahm er ein eigenartiges Schlackern. Das Patschen eines Folterinstruments, das ihm nur allzu sehr vertraut war. Der Schmerz, der ihn nur einen Augenblick später ereilen sollte, bestätigte seinen Verdacht. Mit einer gewaltigen Kraft regnete die Peitsche auf seinen entblößten, vernarbten Rücken nieder. Einzelne Bluttropfen flogen durch die Luft, abgeriebene Haut löste sich und fiel auf den kalten Fließboden hinab. Er biss die Zähne zusammen, bereitete sich innerlich auf die nächsten Hiebe vor, die sogleich folgen sollten. Ein zweites Mal. Ein drittes Mal. Ein viertes Mal. Wieder und wieder schlug der Folterknecht auf ihn ein. Wieder und wieder prasselte die Peitsche auf ihn nieder, zerfetzte seinen hinteren Oberkörper. Der Schmerz war unerträglich. Junichiro biss sich auf die Lippen, bis auch sie zu bluten begannen. Verzweifelt versuchte er den Schmerz auszuhalten, ihn zu unterdrücken. Der siebte Hieb jedoch sorgte für ein unkontrolliertes Ausbrechen seiner Stimme. Ein leidvoller Schrei verließ seine Lippen und bahnte sich seinen Weg durch das gesamte Stockwerk des Schlosses Pangaea. In sämtlichen Fluren und Zimmern hallte seine Stimme wider. So auch im Raum der Autoritäten, in dem die Fünf Weisen noch immer verweilten. Sie hörten seine Qualen. Sie spürten sie. Doch sie verzogen keine Miene. Weder Scham, noch Mitgefühl war ihnen anzusehen. Gleichgültigkeit war es, die sie verspürten.
Das unaufhörliche Klingeln von mehreren Dutzend Teleschnecken. Das flinke Tippen auf den Tasten der unzähligen Schreibmaschinen. Ein offenes Büro, in dem etwa zwanzig Reporter und Journalisten ihrer Arbeit nachgingen. Ein unablässiger Informationsfluss, der postwendend zu Papier gebracht wurde. Ein hektischer Tag, der die vielen Mitarbeiter allerdings kaum belastete, da es für sie zu ihrem Alltag gehörte. Sie kannten es nicht anders. Als sie sich für ihren Beruf entschieden hatten, wussten sie, was sie erwartete. Denn die Welt stand nicht still. In jener Zeit noch weniger denn je. Sie drehte sich fortwährend weiter. Und das schneller denn je. Die Nachrichten überschlugen sich. So hatte man erst vor wenigen Tagen die Information erhalten, dass Strohhut Ruffy zurückgekehrt sei. Ein Auszug des Artikels verzierte eine der Wände der Räumlichkeiten.
Vor dem eingerahmten Artikel stand ein Mann in Vogelgestalt. Weißes Gefieder, große Flügel, die er wie Hände zu nutzen wusste. In seiner rechten Hand hielt er eine Tasse Kaffee, während er die Arbeit seiner Mitarbeiter überblickte. Es schien ein Tag wie jeder andere zu sein, als plötzlich die Bürotür aus den Angeln gehoben wurde. Mit enormer Wucht wurde sie in den Raum geschleudert, wo sie letztlich zum Erliegen kam. Mit einem blutenden Mann im feinen Zwirn, der auf dem zersplitterten Holz lag. Seine Atmung fiel schwer, er war kurz davor sein Bewusstsein zu verlieren. Mit einem Mal wurde es ruhig, das Abtippen von Buchstaben stoppte. Sämtliche Reporter hielten inne, blickten mit einer Mischung aus Sorge und Neugier zum aufgesprengten Eingang. Das Einzige, was noch zu hören war, war das Klingeln der vielen Teleschnecken. Anrufe, die alsbald jedoch niemand entgegennehmen sollte.
„Was hat das zu bedeuten?“ polterte nunmehr der Präsident der Weltwirtschaftszeitung drauf los, als er langsame und gemächliche Schritte vernahm. Zwei Personen betraten schließlich den Raum. Einer von ihnen war komplett in weiß gekleidet. Er hatte überdurchschnittlich lange Beine. Dadurch war er gezwungen seinen Oberkörper permanent nach vorne zu beugen, da er schlichtweg zu groß war, um das Büro andersartig zu betreten. Sein Gesicht wurde durch eine obskure, blaue Maske verdeckt. Die zweite Person dagegen hielt nichts von Geheimniskrämerei. Eine Maske trug sie nicht, ihr Gesicht war klar zu erkennen. Sie hatte himmelblaue Augen und trug ihr prachtvolles, blondes Haar hinten hochgesteckt, während es vorne geflochten war. Sie trug eine schwarze Lederrüstung und einen weißen Pelzmantel, der auf ihren Schultern thronte. Über ihrem Rücken hatte sie einen grünen Schild mit auffälligen Verzierungen gebunden, während sich an ihrer Taille eine Streitaxt befand. Auf ihrer rechten Schulter saß indes eine kleine, weiße Eule.
„Ich hab schon viel von dir gehört. CP0-Agentin Lagertha“, beantwortete sich Morgans seine zuvor gestellte Frage nunmehr selbst, nachdem der Langbeinmensch den niedergeschlagenen Reporter am Kragen gepackt hatte und quer durch den Raum schliff. Bis er nah genug war, um dem Präsidenten seinen blutverschmierten Körper vor die Füße zu werfen.
„Erzähl’s ihm“, wies die blonde Frau den Journalisten an. In ihren Händen hielt sie derweil ein angebrochenes Brot, aus dem sie ein weiteres Stück herausbrach, um damit die Eule, die still auf ihrer Schulter thronte, zu füttern. Mit letzter Kraft richtete sich der angegriffene Reporter auf und blickte so seinem Chef direkt in die Augen.
„Eine unserer Quellen hat Ihre Theorie endlich bestätigt, Präsident. Vor zwei Jahren sind offenbar mehr Gefangene aus dem Level 6 des Impel Downs entkommen, als bisher offiziell bekannt gegeben wurde. Einer unserer Informanten berichtete mir, dass der Ex-Rothaarpirat Hayate sich vor wenigen Tagen mit Marco, dem Phoenix, getroffen hat. Mehr noch, anscheinend hat kurz darauf ein Treffen zwischen ihm und drei hochrangigen Mitgliedern der Marine stattgefunden. Wie es scheint haben sie ihn jedoch nicht verhaftet, sondern haben sie ihn rekrutiert. Offenbar planen sie mit ihm gemeinsam zu praktizieren. Wieso wusste mein Informant allerdings nicht“, führte der schwerverletzte Journalist aus, ehe er den rechten Fuß des Langbeinmenschen auf den Hinterkopf gedrückt bekam, welcher genügend Kraft aufbrachte, um das Gesicht des Reporters gewaltsam auf den kalten Fließboden zu dreschen. Er fiel sofort in Ohnmacht. Morgans jedoch scherte das nicht. Von seiner Sorte hatte er schließlich mehr als genug. Stattdessen funkelten seine Augen lichterloh.
„Kuwahahaha, das sind ja spektakuläre Neuigkeiten! Ein Ex-Mitglied der Rothaarpiraten korrespondiert mit dem ehemaligen Kommandanten der ersten Division der Whitebeardpiraten? Eine machtvolle Verbindung, die das Gleichgewicht der Dreimacht ins Wanken bringen könnte!“
Indes wanderte die Hand der Schildmaid zum Griff ihrer Streitaxt. Weiteres Blutvergießen wollte sie zwar vermeiden, doch wenn sie dazu gezwungen werden würde, würde sie nicht zögern sogar den Präsidenten der Weltwirtschaftszeitung niederzustrecken. Dieser bemerkte ihr missgünstiges Verhalten, was ihn umgehend aus seinem Tagtraum der sich anbahnenden Schlagzeile herausriss.
„Es steht Ihnen frei zu über die Verbindung zwischen Hayate und der Marine zu berichten. Wir möchten Sie sogar explizit darum bitten, diese Informationen mit der Welt zu teilen. Doch das Treffen zwischen ihm und Marco muss geheim gehalten werden. Die Welt darf nicht erfahren, dass vor zwei Jahren noch weit mehr Insassen aus dem Level 6 entkommen konnten, als es bisher kommuniziert worden ist. Dies ist ein Befehl, der direkt von der höchsten Instanz der Weltregierung stammt. Uns ist natürlich bewusst, dass Autoritäten für Sie nicht von Bedeutung sind. Deswegen schlagen wir Ihnen auch einen Handel vor. Halten Sie sich an den Sachverhalt, den wir Ihnen vorgeben, erklären wir uns bereit andere, brisante Informationen mit Ihnen zu teilen“, fuhr die CP0 Agentin aus, die sofort wusste, dass sie damit das Interesse des Journalisten wecken könnte. Und so kam es auch. Das Funkeln in seinen Augen wurde stärker, er lechzte nahezu nach dem Wissen, das die Weltregierung offenbar bereit war mit ihm zu teilen. Doch wich die Euphorie postwendend der Skepsis. Skepsis darüber, ob er der Regierung vertrauen konnte. Und Skepsis darüber, welche Neuigkeiten größer sein könnten, als die Schlagzeile, die er schon vor seinem inneren Auge erblickt hatte.
„Über was für Informationen reden wir hier?“ setzte Morgans wissbegierig nach. Lagertha lächelte, wusste sie doch, dass sie ihn längst wie einen zappelnden Fisch am Haken hatte.
„Wenn Sie einwilligen, erklären wir uns dazu bereit Ihnen bislang verschlossene Informationen über Midgard anzuvertrauen, über die es Ihnen dann natürlich auch freisteht zu berichten.“
Mit einem Mal verblassten seine Bedenken. Sein Misstrauen war wie weggeblasen. War die Euphorie zuvor noch den Zweifeln gewichen, wichen die Zweifel nun der Euphorie. Ein Wechselbad der Gefühle.
„Das sagenumwobene Midgard. Das Land der Kristalle. Eine der letzten Nationen in der Neuen Welt, die sich noch immer ihre Unabhängigkeit von der Weltregierung erhalten konnte. Und nicht nur das, auch die Vier Kaiser konnten die Nation bislang nicht erobern. Eine Nation, die inzwischen aber nicht mehr nur unabhängig ist, sondern vor mehr als fünfzehn Jahren auch noch sämtliche Handelsketten abgebrochen hat. Ein Land, das dem Beispiel der Samurai von Wa No Kuni gefolgt ist, und seine Grenzen seitdem ebenso vollständig geschlossen hält. Ein Land, über das bis heute kaum Näheres bekannt ist, was militärische Stärke und Infrastruktur betrifft. Ich sehe die Schlagzeilen schon vor mir. Das könnten wahrlich spektakuläre Neuigkeiten sein!“ monologisierte Morgans.
„Dann haben wir also eine Abmachung?“ hakte die Schildmaid nach, streckte ihren rechten Arm aus, um den Präsidenten der Weltwirtschaftszeitung so zu einem besiegelnden Handschlag zu ermutigen. Dieser zögerte keine Sekunde, als er ihre Geste erkannte, sondern schlug direkt ein.
„Wir haben eine Abmachung!“
Ein leichtes Flimmern der drei Monitore, die an der kahlen Wand montiert waren, war die einzige Lichtquelle, die den kleinen, abgedunkelten Raum erhellen konnte. Fenster befanden sich keine im Mauerwerk, Kerzen oder Fackeln gab es auch keine. Inmitten dieses leerstehenden Zimmers stand lediglich ein Stuhl, der frontal zu den Bildschirmen ausgerichtet war. Auf eben jenem saß ein Mann, dessen rechte Gesichtshälfte mit einer einzigen, gewaltigen Brandnarbe übersäht war. Ein Mann, der die Dunkelheit zu schätzen wusste. Er genoss die Umarmung der Finsternis, fühlte sich in ihr heimisch. In seiner rechten Hand hielt er einen angeknabberten Apfel, in den er nunmehr ein weiteres Mal hineinbiss, während er gespannt dem Geschehen folgte, das sich auf den Monitoren abspielte. Schreckliche Bilder waren es, die er da erblicken musste. Eine gewaltige Giftgaswolke, die über ein verschneites Gebiet herzog und jeden, der mit dem Gas in Berührung kam, postwendend versteinerte. Bilder, die einen emphatischen Menschen verstört und verschreckt hätten. Doch nicht ihn. Statt Empörung verspürte er Heiterkeit. Ein Grinsen zeichnete sich auf seinen Lippen ab, ehe er in lautstarkes Gelächter verfiel.
„Lohahahaha, du hast dich einmal mehr übertroffen, Caesar!“
Plötzlich klopfte es an seiner Tür. Er gewährte demjenigen Einlass, was dieser auch augenblicklich tat. Mit einem einzigen, gewaltigen Ruck, die die Brisanz seiner Nachricht sofort deutlich machte, betrat der Bote das Zimmer. Besonders auffällig war die Maske, die er trug. Die rechte Seite war komplett in schwarz getaucht, die linke Seite dagegen erstrahlte in einem hellen Weißton.
„Was gibt es?“
Der Mann kniete indes vor seinem Gebieter, wobei dieser dies nicht realisierte, da er noch immer wie gebannt auf die Monitore starrte.
„Ich bitte die Störung vielmals zu entschuldigen, Loki. Aber es geht um sie. Sie ist weg. Und wir wissen nicht, wohin. Doch wir setzen alle Hebel in Bewegung, um es herauszufinden“, erstattete der Bote ihm Meldung. Worte, mit denen es ihm gelungen war, die Aufmerksamkeit des Zuschauers zu erlangen. Er warf einen flüchtigen Blick über seine rechte Schulter und nickte seinem Untergebenen nur als dankende Geste zu. Dieser verstand sofort. Er erhob sich, verbeugte sich und verließ dann die Räumlichkeiten wieder.
Loki’s Blick wanderte wieder zu den Monitoren, wo er einige weitere Marinesoldaten erspähte, die zu Stein geworden waren. Er versuchte sich seine Gelassenheit zu bewahren, doch die Emotionen kochten über. Unkontrollierbar. Ein kurzes Aufblitzen seiner Wut genügte, damit der Apfel in seiner Hand wie ein Luftballon zerplatzte.
„Scheiße“, flüsterte er leise in sich hinein.
Rasch und gierig schlang sie die Nudeln aus der kleinen Schale, die sie in ihren winzigen Händen hielt. Die Hälfte der Suppe lief ihr über die Wundwinkel, befleckte die Laken, mit denen sie ihren Unterkörper bedeckt hielt, um sich warm zu halten. Doch das scherte sie nicht. Sie war einfach nur glücklich. Glücklich darüber wieder eine richtige Mahlzeit verzehren zu können. Glücklich darüber nicht länger mit knurrendem Magen zu Bett gehen zu müssen.
Der Wolfsmensch saß neben ihr, beobachtete sie stillschweigend. Plötzlich bemerkte er, wie vereinzelte Tränen ihre Wangen hinab liefen.
„So köstlich“, schwärmte sie, ehe sie auch die letzten Nudeln aus der Schüssel geholt und heruntergeschlungen hatte.
„Von jetzt an wirst du nie wieder hungern müssen. Das verspreche ich dir“, erklärte Faol ihr, während er seine rechte Pfote behutsam auf ihr Gesicht legte und ihr die Tränen abwischte. Mit großen, weit aufgerissenen Augen saß das Mädchen nur da, starrte ihn an. In seine großen, braunen Augen. Ein breites, herzliches Grinsen auf den Lippen tragend. Ohne auch nur ein Wort von sich zugeben. Sie konnte ihr Glück kaum fassen. Und sie konnte nicht verstehen, wieso diesem ungewöhnlichen Mann offenbar so viel an ihrem Wohlergehen lag.
„Wie heißt du eigentlich?“ fragte Faol das Mädchen schlussendlich, wodurch er sie postwendend aus ihrer glücksseligen Gedankenwelt riss.
„Mein Name ist Kaitlyn.“
„Ein schöner Name“, erwiderte der Wolfsmensch ihr, als plötzlich das Klingeln einer Teleschnecke ihr idyllisches Beisammensein unterbrach. Er sah sich kurz um, das Gerät musste sich ganz in seiner Nähe befinden. Erst beim zweiten Mal realisierte er, dass die erklingenden Töne von keiner Teleschnecke der Revolutionsarmee ausgingen. Er blickte hinab auf sein rechtes Handgelenk. Auf seine Armbandteleschnecke. Sie war es, die klingelte. Unaufhörlich. Er zögerte, gemischte Gefühle umklammerten sein Inneres. Er wusste, was dieses Klingeln zu bedeuten hatte. Er wusste, dass ihn sein Weg wohl alsbald mit seinen zwei ältesten Freunden zusammenführen würde. Ein Grund, der ihn eigentlich erfreuen sollte. Doch ebenso war ihm bewusst, dass diese sehr spezielle Teleschnecke nur läutern würde, wenn die Lage ernst war. Todernst. Es mussten wahrlich außergewöhnliche Umstände vorherrschen, damit dieses Gerät ertönte.
„Willst du nicht rangehen?“ weckte ihn die sanfte Stimme Kaitlyn’s schlussendlich wieder auf. So tat er, wie von ihm erwartet. Er nahm das Gespräch entgegen.
„Faol“, ertönte eine tiefe, leicht rauchige Stimme am anderen Ende der Leitung. Der Wolfsmensch wusste sofort, dass es sich dabei nur um ihn handeln konnte.
„Hayate“, entgegnete er seinem alten Freund schließlich.
„Ich brauche deine Hilfe“, begann der Schwertkämpfer zu erzählen, ehe er damit begann seinem alten Kameraden von alledem zu berichten, was zuletzt vorgefallen war und was ihn nunmehr umtrieb. Er informierte ihn über die drei Abgesandten der Marine, die schon seit beinahe zwei Jahrzehnten nach ihm gesucht hatten. Er erzählte von seiner Verpflichtung Midgard’s gegenüber, ohne dabei jedoch konkretere Informationen weiter zu geben. Er ließ ihn zwar die wichtigsten Details wissen, mit der dringenden Bitte ihn zu unterstützen. Aus Vorsicht darüber, wer ihr Gespräch möglicherweise abhören könnte, bestand er jedoch darauf ihm erst alles zu erzählen, wenn sie einander auf Midgard treffen würden. Faol’s Verwirrung über die Erzählungen waren indes grenzenlos.
„Wieso habe ich von alledem noch nie zuvor gehört? Was genau haben die Ereignisse von Midgard denn mit dir zu tun?“ fragte der Mink seinen Gesprächspartner. Sichtbar irritiert über die Rolle, die Hayate in diesem Konstrukt offenbar innehatte.
„Darüber reden wir, sobald wir uns sehen, in Ordnung? Das ist ein Thema für eine andere Zeit an einem anderen Ort“, entgegnete der Schwertkämpfer ihm, hörbar bemüht darum sich über die Hintergründe auszuschweigen. Wenigstens für den Augenblick.
„Du weißt genau, dass ich kommen werde. Doch wenn wir uns sehen, dann haben wir zu reden. Keine Geheimnisse mehr“, erwiderte Faol ihm.
„Keine Geheimnisse mehr. Du hast mein Wort“, entgegnete Hayate ihm noch, ehe der Wolfsmensch das Gespräch beendete.
Kaityln hatte ihr Gespräch aufmerksam verfolgt und erkannte sofort, dass ihren Retter all dies nicht unberührt gelassen hatte. Dass ihn irgendetwas umtrieb, ihn beschäftigte. Doch konnte sie nicht verstehen was es war. So wusste sie nicht, was sie sagen oder tun konnte, um ihm beizustehen, weswegen sie sich kurzerhand in Schweigen hüllte.
„Was verheimlichst du uns sonst noch, Hayate?“ flüsterte Faol schlussendlich vor sich her, als ein leises Nuscheln hinter ihm ertönte, dem er sich sofort zuwandte. Vor ihm stand Karasu, der vor wenigen Augenblicken in sein Zelt zurückgekehrt war und ihn seitdem beobachtet und belauscht hatte. Mit einer einfachen Geste machte Faol ihn schließlich darauf aufmerksam, dass seine Maske nicht eingeschaltet war, wodurch der glatzköpfige Mann sofort Abhilfe schaffte.
„Jetzt verschwinde schon. Sabo wird es verstehen“, gab sein Kommandant ihm schließlich zu verstehen, sobald man ihn wieder verstehen konnte. Darum ließ er sich nicht zweimal bitten, griff postwendend zu seinem Reisebeutel und füllte ihn mit den wichtigsten Utensilien, die er für seine bevorstehende Reise brauchen würde. Aufbruchbereit stand er nun vor dem Ausgang des Zeltes, geriet dann jedoch ins Stocken. Ein letztes Mal drehte er sich um, blickte hinüber zu dem kleinen Mädchen, das sich mittlerweile aus dem Bett erhoben hatte und ihn mit feuchten Augen des Kummers musterte. Er zögerte nicht, sondern schlenderte augenblicklich auf sie zu. So wie er sie erreicht hatte, ging er vor ihr auf die Knie, um ihr direkt in ihre unschuldigen Augen blicken zu können.
„Werden wir uns wiedersehen?“ ertönte plötzlich die sanfte, zittrige Stimme Kaitlyn’s. Worte, die ihn gleichermaßen überraschten, wie erstaunten. Worte, die ihn wärmten. Er wusste, wie zugetan sie ihm bereits war, obschon sie sich erst seit Kurzem kannten. Doch sie hatte ihn, der ihn nicht nur gerettet, sondern seitdem auch behütet und versorgt hatte, schon längst in ihr winziges, unschuldiges Herz geschlossen. Ihre Worte zeugten von einer Reife und Uneigennützigkeit, die er so nicht erwartet hatte. Ein Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus, seine rechte Pfote ruhte indes behutsam auf dem Kopf des Mädchens. Die Zuneigung, die sie für ihn empfand, brachte er längst auch für sie auf.
„Sobald ich alles erledigt habe, werde ich zurückkommen. Das ist ein Versprechen“, entgegnete er Kaityln schlussendlich. Worte, die ihre Trauer in Glückseligkeit verwandelten. Blitzartig machte sie einen Schritt auf ihn zu, umschlang ihn mit ihren kleinen, zerbrechlichen Armen. Eine Geste, die er zu erwidern wusste. Seine linke Hand legte er sanft auf ihren Rücken ab, ehe sie begann die Umarmung zu lösen. Faol lächelte ihr ein letztes Mal zu, dann erhob er sich und schritt gen Ausgang.
„Bis bald“, gab er nur noch von sich, verdrückte sich nunmehr selbst eine Träne. Dann riss er seinen rechten Arm gen Himmel, winkte dem Mädchen noch einmal zu und machte sich auf den Weg.
Ihre Füße lässig auf dem Schreibtisch ruhend, auf dem eine Seekarte ausgebreitet lag, hielt die junge Frau in ihrer rechten Hand ein Glas, das bis zum Rand mit Rum gefüllt war. In ihrem rechten Mundwinkel klemmte indes eine angezündete Zigarre, an der sie zog, ohne dabei ihre Hände zu benutzen. Den eingeatmeten Rauch pustete sie schließlich über den linken, freien Mundwinkel wieder aus. Sie genoss diesen Moment. In vollen Zügen. Diesen Moment der Stille. Ein seltener Moment, den sie deshalb umso stärker auszukosten gedachte. Sie schloss ihre Augen und versuchte dabei den Wellengang zu erspüren. Sie wollte fühlen, wie das Schiff, auf dem sie sich befand, auf den Wellen ritt. Doch dieser idyllische Augenblick der Ruhe und Gelassenheit wurde nunmehr durch ein lautstarkes Klopfen an dem morschen Holz der Tür, die zu ihrer Kajüte gehörte, beendet.
„Herein“, forderte sie den wartenden Seemann auf, was dieser auch postwendend tat. Mit zittrigem Körper trat er hinein, salutierte vor der entspannten Dame, während ihm vereinzelte Schweißperlen über die Stirn liefen. Bemüht sich zu sammeln, seine Worte genau abzuwägen, hüllte er sich in Schweigen. Wenige Sekunden, die sich jedoch wie Stunden anfühlten. Dieses eigenwillige Zeitgefühl betraf nicht nur ihn, sondern ebenso die junge Frau, die sogleich ihre Geduld verlor.
„Rede oder verschwinde“, fauchte sie den nervösen Matrosen mit zornigem Unterton an, was diesen dazu veranlasste sich prompt auf seine Knie fallen zu lassen. Die Arme streckte er in ihre Richtung aus, seine Stirn tuschierte das morsche Holz der klapprigen Dielen.
„Verzeiht mir, ich wollte nur wissen, ob wir vielleicht sonst noch irgendetwas für Euch tun können, Madam?“
Kyra konnte sich kaum mehr daran erinnern, wann sie das letzte Mal so förmlich angesprochen wurde. Doch war ihr bewusst, dass es nicht Respekt war, der den Seemann auf die Knie sinken ließ, sondern dass es die Angst davor war, was sie diesen Männern antun könnte, die ihn dazu verleitet hatte. Eine so simple, wie auch kraftvolle Reaktion, die in ihr längst vergessen geglaubte Erinnerungen wachrüttelte. Erinnerungen an ein anderes Leben. Ein Leben, das sie vor vielen Jahren hinter sich gelassen hatte. Doch noch bevor sie Gefahr lief sich in dieser Retrospektive zu verlieren, schnaubte sie den Matrosen so an, wie er es von ihr erwartete. Kochend vor Wut.
„Wenn ich euch sage, dass ich ungestört sein will, dann bedeutet das, dass mich auch verdammt nochmal niemand stören soll! Oder muss ich dir und den Taugenichtsen, die du deine Kameraden schimpfst, erst demonstrieren, wieso man mich Poison Yuna nennt? Willst du wirklich erleben, wieso die Regierung ein Kopfgeld von 842 Millionen Berry auf mich ausgesetzt hat?!“
Blitzartig richtete sich der schweißgebadete Matrose wieder auf, schüttelte einige Male nur rasch mit dem Kopf und flüchtete dann angsterfüllt aus der Kajüte, als er bemerkte, wie die Frau mit kastanienbraunem Haar nach ihrem nunmehr leeren Glas griff und Inbegriff war es nach ihm zu werfen. Sowie er die Kajüte verlassen hatte, vernahm er ein lautes Klirren von zersplitterndem Glas, das hinter der von ihm zugeworfenen Tür ertönte. Er atmete einmal kurz durch, ehe er sich schnurstracks wieder an Deck des Schiffes begab. Unwissend darüber, dass die junge Frau sich für ihr eigenes Verhalten wohl mehr verachtete, als es jeder andere jemals könnte. Eigentlich sollte sie diesen Männern dankbar sein, durch die ihr die Flucht vor der CP0 gelungen war. Sie wusste zwar nicht, für wie lange sie die Agenten der Weltregierung durch ihre Überfahrt abschütteln konnte, doch wenn sie auch nur einen Tag Abstand gewinnen konnte, wäre das bereits sehr viel wert. Doch genauso wenig sie, ob sie diesen Männern trauen konnte. Denn wem sie noch trauen konnte, das wusste sie schon lange nicht mehr. Als ein einfaches, unscheinbares Klingeln ihrer Teleschnecke sie postwendend an jene Männer erinnerte, bei denen sie sich stets geborgen gefühlt hatte. Die mit ihr durch die Hölle gegangen waren und für die jederzeit bereitwillig ihr Leben geopfert hätte. So wie sie ihr Leben für das Ihre gegeben hätten. Zwei Männer, die wie Familie für sie waren.
Sie zögerte keine einzige Sekunde, nahm das Gespräch sofort entgegen. Die Stimme, die ertönte, würde sie immer und überall wiedererkennen.
„Hayate? Was ist los?“
„Wie gewohnt kommst du gleich zur Sache, Yuna“, erwiderte ihr alter Weggefährte. Ein Gefühl der Verwunderung keimte in ihr auf. Es gab nicht viele Gründe, aus denen er sie so nennen würde. Der Einzige, der ihr einfiel war, dass er nicht frei reden konnte. Dass er von Leuten umgeben war, denen er nicht vollauf vertrauen konnte. Ihre Neugier war geweckt. Noch bevor Hayate ihr erzählen konnte, was er schon Faol zuvor berichtet hatte. So klärte er auch sie über seine missliche Lage auf, ohne jedoch zu sehr ins Detail zu gehen. Das musste er ihr nicht zweimal sagen.
„Wir sehen uns in Midgard“, funkte ihm die junge Frau schlussendlich dazwischen, noch bevor er sie überhaupt um Hilfe bitten konnte.
Sobald ihr Gespräch beendet war, stürmte Kyra aus ihrer Kajüte heraus, eilte aufs Oberdeck und wies die tüchtigen Seemänner mit lauter und kraftvoller Stimme an den Kurs zu ändern.
Die See war ruhig, der Wind stetig. Perfekte Bedingungen, um aufs Meer hinauszufahren. Den Anweisungen der Vizeadmiräle Brios und Gweneth folgend, bereiteten die Marinesoldaten ihr Kriegsschiff für die Abfahrt vor. Zurückgezogen befand sich Stellan indes in dem Ausguck des Schiffes, von wo aus er mit seinem Zielfernrohr den Horizont überblickte. Eine Vorsichtsmaßnahme, um die Brios ihn gebeten hatte. Schließlich waren sie Inbegriff eine Kooperation mit einem ehemaligen Mitglied der Rothaarpiraten einzugehen. So war es nur eine Frage der Zeit, bis die Marine davon erfahren würde. Das wussten sie, darauf mussten sie vorbereitet sein.
„Brios, hast du die heutige Zeitung schon gelesen?“ fragte Gweneth ihn, zeigte ihm sofort die Titelseite des Blattes. Schnell bemerkte der Mann mit langem, nach hinten gekämmtem Haar, dass der Bericht von ihrem Treffen mit Hayate handelte. Über die Rasanz, mit der sich diese Nachricht bereits verbreitet hatte, überrascht, verwunderte ihn der Inhalt des Artikels jedoch noch mehr, als die Überschrift oder die Fotografie, die sie gemeinsam mit dem Schwertkämpfer zeigte.
„Interessant. Jetzt haben wir Hayate im Impel Down also einen Kuhhandel angeboten. Im Austausch für wichtige Informationen über Rothaar Shanks, sowie dessen Territorium, hat die Marine ihm also eine Strafminderung zugesagt. Und mit reisen soll er, damit die gegebenen Informationen auch sofort verifiziert werden können? Und wenn sie sich als Falschinformationen herausstellen, soll sich das stattdessen negativ auf sein Strafmaß auswirken?“ schwadronierte Brios vor sich her, während er den Artikel genau studierte. Noch bevor Gweneth einen weiteren Blick in das Blatt werfen konnte, zerknüllte ihr Kamerad es und warf es ins Meer.
„Selten so einen Schwachsinn gelesen.“
„Und was machen wir jetzt?“
„Wir machen weiter wie geplant. Allerdings sollten wir von jetzt an besonders vorsichtig sein. Wir sind doch schneller aufgeflogen, als ich gedacht hatte.“
Brios richtete seinen Blick nunmehr gen Ausguck, wies Stellan an den Horizont noch verschärfter im Auge zu behalten, als ohnehin bereits. Dieser verstand sofort und tat, wie von ihm erwartet.
„Du weißt besser als jeder andere, dass die Marine das nicht auf sich sitzen lassen wird. Und Sakazuki schon gar nicht“, äußerte die Vizeadmirälin, die um ihren Hals ein silbernes Amulett trug, berechtigte Bedenken an ihrer weiteren Vorgehensweise.
„Mach dir um den Großadmiral keine Sorgen. Darum kümmere ich mich schon“, entgegnete ihr Gefährte ihr, der sich kurzerhand in seine Kajüte zurückziehen wollte. Doch dazu kam es nicht, denn Gweneth richtete seine Aufmerksamkeit nunmehr auf etwas Anderes. Etwas, was sie zutiefst beunruhigte. Etwas, was auch ihm die Sorgenfalten auf die Stirn treiben sollten.
„Das solltest du dir ansehen.“
Mit diesen Worten drückte sie ihm einen einfachen Zettel in die Hand. Einen Zettel, auf dem das Abbild einer jungen Frau mit kastanienbraunem Haar aufgedruckt war. Einen Zettel, der die Aufschrift „Wanted“ zierte. Konsterniert und irritiert musterte er den Steckbrief. Seine Augen weiteten sich vor Entsetzen.
„Ist das …“
Sein Blick wanderte rüber zu Gweneth, die ihm nur zustimmend zunickte.
„Scheiße“, gab er schlussendlich von sich, während er Hayate, der noch an Land war, nur missbilligend musterte.
„Was er uns wohl sonst noch verschweigt?“
Hayate und Marco befanden sich indes am Hafen, standen einander schweigend gegenüber.
„Ich war noch nie gut bei Abschieden“, brach der Schwertkämpfer schließlich das Eis.
„Dann sieh es nicht als Abschied. Wenn du alles erledigt hast, dann bist du herzlich eingeladen für einen weiteren Besuch vorbeizukommen. Du lieferst die Geschichte, ich den Sake“, entgegnete Marco ihm, während ein breites Grinsen seine Lippen zierte. Hayate erwiderte das Lächeln, ehe sich die beiden alten Rivalen gegenseitig die Hand reichten.
„Und ich kann dich wirklich nicht überzeugen mich zu begleiten?“ hakte er nach, wohlwissend, dass die Antwort dieselbe sein wird, die er nun bestimmt schon dreimal zu hören bekommen hatte.
„Wenn ich könnte, würde ich dir helfen. Doch diese Insel ist das letzte Erbstück, das von Pops noch übrig geblieben ist. Es ist meine Pflicht es zu beschützen. Selbst wenn ich es wollte, ich kann nicht mit dir kommen.“
Hayate antwortete ihm nicht mit Worten, sondern mit Taten. Ein verständnisvolles Lächeln wich ihm über die Lippen, als sie schlussendlich den Handgriff beidseitig lösten. Marco bemerkte jedoch einen kleinen Zettel, der nunmehr in seiner Handfläche ruhte. Er blickte an sich hinunter. Als er es sah, konnte auch er sich ein flüchtiges Grinsen nicht verkneifen konnte. Eine Vivre Card.
„Nur für den Fall, dass du es dir doch noch anders überlegen solltest.“
Langsamen Schrittes betrat er das Kriegsschiff der Marine, blickte ein letztes Mal auf seinen alten Rivalen zurück. Gweneth stand ihm dabei zur Seite. Ein letzter, tiefer Atemzug.
„In Ordnung, wir können ablegen“, erklärte er. Postwendend gab sie ihren Männern den Befehl, während sie selbst das Ruder ergriff.
Der Schwertkämpfer blickte indes gen Sonne, schloss seine Augen und genoss den ersten, frischen Windhauch, der ihm durchs Gesicht wehte und seine lange Haarpracht aufwirbelte. Plötzlich wurde die Brise stärker, das Schiff setzte sich in Bewegung. Mit gelichtetem Anker und gehisstem Großsegel nahmen sie endlich Fahrt auf. Doch wurde dieser idyllische Moment der Stille und des Aufbruchs alsbald von Brios gestört, der ihn unverblümt und schon beinahe aggressiv an der Schulter packte.
„Hast du mir vielleicht was zu erzählen?“ fragte dieser ihn unverhohlen, was Hayate ein leichtes Schmunzeln abrang.
„Ich hab in meinem Leben schon sehr viel erlebt und gesehen. Insofern hätte ich dir sicher einiges zu erzählen. Da wirst du schon etwas genauer sein müssen“, antwortete er ihm nur schnippisch.
„Lass den Scheiß und erklär mir das lieber“, erwiderte der Vizeadmiral, der sichtbar genervt von dem Verhalten seines neuen Weggefährten war. Den Steckbrief hielt er dem Schwertkämpfer direkt ins Gesicht. So nah, dass dieser mehr als ein paar Farben nicht zu erkennen wusste. Er nahm ihm den Zettel ab und musterte ihn kurzerhand.
„Raus mit der Sprache“, wies Brios ihn mit befehlshaberischem Unterton an.
Es war kein gewöhnlicher Steckbrief. Das wussten sie beiden. Das Foto kannte Hayate nur zu gut. Es war das von Poison Yuna. Auch das Kopfgeld war unverändert geblieben. Doch nicht der Name. Kyra stand dort geschrieben. Doch damit noch nicht genug, so bestätigte auch die Aufschrift „Nur lebendig“ Hayate’s schlimmste Befürchtung. Er hatte immer gewusst, dass dieser Tag kommen würde. Doch ausgerechnet jetzt? Er weigerte sich zu glauben, dass das ein Zufall war.
„Was verschweigst du uns? Über dich und vor allem auch über deine Leute?“
„Du bist ein Idiot, wenn du glaubst ich hätte dir bereits alles über mich und meine Freunde erzählt. Dafür braucht man Vertrauen und das ist nun mal schwer verdient“, entgegnete Hayate dem aufgebrachten Vizeadmiral. Sichtbar verwundert über dieses hohe Maß an Naivität, das er seinem Gegenüber bislang nicht zugetraut hätte.
Brios Hände ballten sich zur Faust. Die Wut, die in ihm aufloderte, war kurz davor aus ihm herauszubrechen. Wie ein Vulkan, der zu eruptieren drohte. Viele Jahre hatte er mit der Suche nach diesem Mann verbracht und seitdem er ihn gefunden hatte, schaffte es dieser stetig ihn mehr und mehr an der Notwendigkeit dessen zweifeln zu lassen. Selbst am Urteilsvermögen von Flaith hegte er nunmehr Skepsis. Ein Gedanke, den er noch nie zuvor hatte. Und für den er sich selbst hasste, was ihn nur noch zorniger machte, als er ohnehin bereits war. Auf Hayate, auf sich selbst, auf die ganze Welt.
„Ganz sachte“, befreite ihn sein Gegenüber schlussendlich aus seinem inneren Kreislauf der Aggression.
„Das Unausweichliche scheint nur etwas früher einzutreten, als gedacht. Das ist alles. Es hat sich nichts geändert.“
„Was soll das bedeuten?“ hakte Brios nach.
Hayate nahm sein Schwert ab, lehnte dieses an die Rehling des Schiffshecks und blickte zurück auf den kleinen, kaum wahrnehmbaren Punkt am Horizont. Er war immer wieder erstaunt darüber, wie klein ein Ort aus der Ferne und wie groß er vom Nahem wirken konnte.
„Hat König Ivarr noch Kontakt zur Weltregierung?“
Der Wolfsmensch saß neben ihr, beobachtete sie stillschweigend. Plötzlich bemerkte er, wie vereinzelte Tränen ihre Wangen hinab liefen.
„So köstlich“, schwärmte sie, ehe sie auch die letzten Nudeln aus der Schüssel geholt und heruntergeschlungen hatte.
„Von jetzt an wirst du nie wieder hungern müssen. Das verspreche ich dir“, erklärte Faol ihr, während er seine rechte Pfote behutsam auf ihr Gesicht legte und ihr die Tränen abwischte. Mit großen, weit aufgerissenen Augen saß das Mädchen nur da, starrte ihn an. In seine großen, braunen Augen. Ein breites, herzliches Grinsen auf den Lippen tragend. Ohne auch nur ein Wort von sich zugeben. Sie konnte ihr Glück kaum fassen. Und sie konnte nicht verstehen, wieso diesem ungewöhnlichen Mann offenbar so viel an ihrem Wohlergehen lag.
„Wie heißt du eigentlich?“ fragte Faol das Mädchen schlussendlich, wodurch er sie postwendend aus ihrer glücksseligen Gedankenwelt riss.
„Mein Name ist Kaitlyn.“
„Ein schöner Name“, erwiderte der Wolfsmensch ihr, als plötzlich das Klingeln einer Teleschnecke ihr idyllisches Beisammensein unterbrach. Er sah sich kurz um, das Gerät musste sich ganz in seiner Nähe befinden. Erst beim zweiten Mal realisierte er, dass die erklingenden Töne von keiner Teleschnecke der Revolutionsarmee ausgingen. Er blickte hinab auf sein rechtes Handgelenk. Auf seine Armbandteleschnecke. Sie war es, die klingelte. Unaufhörlich. Er zögerte, gemischte Gefühle umklammerten sein Inneres. Er wusste, was dieses Klingeln zu bedeuten hatte. Er wusste, dass ihn sein Weg wohl alsbald mit seinen zwei ältesten Freunden zusammenführen würde. Ein Grund, der ihn eigentlich erfreuen sollte. Doch ebenso war ihm bewusst, dass diese sehr spezielle Teleschnecke nur läutern würde, wenn die Lage ernst war. Todernst. Es mussten wahrlich außergewöhnliche Umstände vorherrschen, damit dieses Gerät ertönte.
„Willst du nicht rangehen?“ weckte ihn die sanfte Stimme Kaitlyn’s schlussendlich wieder auf. So tat er, wie von ihm erwartet. Er nahm das Gespräch entgegen.
„Faol“, ertönte eine tiefe, leicht rauchige Stimme am anderen Ende der Leitung. Der Wolfsmensch wusste sofort, dass es sich dabei nur um ihn handeln konnte.
„Hayate“, entgegnete er seinem alten Freund schließlich.
„Ich brauche deine Hilfe“, begann der Schwertkämpfer zu erzählen, ehe er damit begann seinem alten Kameraden von alledem zu berichten, was zuletzt vorgefallen war und was ihn nunmehr umtrieb. Er informierte ihn über die drei Abgesandten der Marine, die schon seit beinahe zwei Jahrzehnten nach ihm gesucht hatten. Er erzählte von seiner Verpflichtung Midgard’s gegenüber, ohne dabei jedoch konkretere Informationen weiter zu geben. Er ließ ihn zwar die wichtigsten Details wissen, mit der dringenden Bitte ihn zu unterstützen. Aus Vorsicht darüber, wer ihr Gespräch möglicherweise abhören könnte, bestand er jedoch darauf ihm erst alles zu erzählen, wenn sie einander auf Midgard treffen würden. Faol’s Verwirrung über die Erzählungen waren indes grenzenlos.
„Wieso habe ich von alledem noch nie zuvor gehört? Was genau haben die Ereignisse von Midgard denn mit dir zu tun?“ fragte der Mink seinen Gesprächspartner. Sichtbar irritiert über die Rolle, die Hayate in diesem Konstrukt offenbar innehatte.
„Darüber reden wir, sobald wir uns sehen, in Ordnung? Das ist ein Thema für eine andere Zeit an einem anderen Ort“, entgegnete der Schwertkämpfer ihm, hörbar bemüht darum sich über die Hintergründe auszuschweigen. Wenigstens für den Augenblick.
„Du weißt genau, dass ich kommen werde. Doch wenn wir uns sehen, dann haben wir zu reden. Keine Geheimnisse mehr“, erwiderte Faol ihm.
„Keine Geheimnisse mehr. Du hast mein Wort“, entgegnete Hayate ihm noch, ehe der Wolfsmensch das Gespräch beendete.
Kaityln hatte ihr Gespräch aufmerksam verfolgt und erkannte sofort, dass ihren Retter all dies nicht unberührt gelassen hatte. Dass ihn irgendetwas umtrieb, ihn beschäftigte. Doch konnte sie nicht verstehen was es war. So wusste sie nicht, was sie sagen oder tun konnte, um ihm beizustehen, weswegen sie sich kurzerhand in Schweigen hüllte.
„Was verheimlichst du uns sonst noch, Hayate?“ flüsterte Faol schlussendlich vor sich her, als ein leises Nuscheln hinter ihm ertönte, dem er sich sofort zuwandte. Vor ihm stand Karasu, der vor wenigen Augenblicken in sein Zelt zurückgekehrt war und ihn seitdem beobachtet und belauscht hatte. Mit einer einfachen Geste machte Faol ihn schließlich darauf aufmerksam, dass seine Maske nicht eingeschaltet war, wodurch der glatzköpfige Mann sofort Abhilfe schaffte.
„Jetzt verschwinde schon. Sabo wird es verstehen“, gab sein Kommandant ihm schließlich zu verstehen, sobald man ihn wieder verstehen konnte. Darum ließ er sich nicht zweimal bitten, griff postwendend zu seinem Reisebeutel und füllte ihn mit den wichtigsten Utensilien, die er für seine bevorstehende Reise brauchen würde. Aufbruchbereit stand er nun vor dem Ausgang des Zeltes, geriet dann jedoch ins Stocken. Ein letztes Mal drehte er sich um, blickte hinüber zu dem kleinen Mädchen, das sich mittlerweile aus dem Bett erhoben hatte und ihn mit feuchten Augen des Kummers musterte. Er zögerte nicht, sondern schlenderte augenblicklich auf sie zu. So wie er sie erreicht hatte, ging er vor ihr auf die Knie, um ihr direkt in ihre unschuldigen Augen blicken zu können.
„Werden wir uns wiedersehen?“ ertönte plötzlich die sanfte, zittrige Stimme Kaitlyn’s. Worte, die ihn gleichermaßen überraschten, wie erstaunten. Worte, die ihn wärmten. Er wusste, wie zugetan sie ihm bereits war, obschon sie sich erst seit Kurzem kannten. Doch sie hatte ihn, der ihn nicht nur gerettet, sondern seitdem auch behütet und versorgt hatte, schon längst in ihr winziges, unschuldiges Herz geschlossen. Ihre Worte zeugten von einer Reife und Uneigennützigkeit, die er so nicht erwartet hatte. Ein Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus, seine rechte Pfote ruhte indes behutsam auf dem Kopf des Mädchens. Die Zuneigung, die sie für ihn empfand, brachte er längst auch für sie auf.
„Sobald ich alles erledigt habe, werde ich zurückkommen. Das ist ein Versprechen“, entgegnete er Kaityln schlussendlich. Worte, die ihre Trauer in Glückseligkeit verwandelten. Blitzartig machte sie einen Schritt auf ihn zu, umschlang ihn mit ihren kleinen, zerbrechlichen Armen. Eine Geste, die er zu erwidern wusste. Seine linke Hand legte er sanft auf ihren Rücken ab, ehe sie begann die Umarmung zu lösen. Faol lächelte ihr ein letztes Mal zu, dann erhob er sich und schritt gen Ausgang.
„Bis bald“, gab er nur noch von sich, verdrückte sich nunmehr selbst eine Träne. Dann riss er seinen rechten Arm gen Himmel, winkte dem Mädchen noch einmal zu und machte sich auf den Weg.
Ihre Füße lässig auf dem Schreibtisch ruhend, auf dem eine Seekarte ausgebreitet lag, hielt die junge Frau in ihrer rechten Hand ein Glas, das bis zum Rand mit Rum gefüllt war. In ihrem rechten Mundwinkel klemmte indes eine angezündete Zigarre, an der sie zog, ohne dabei ihre Hände zu benutzen. Den eingeatmeten Rauch pustete sie schließlich über den linken, freien Mundwinkel wieder aus. Sie genoss diesen Moment. In vollen Zügen. Diesen Moment der Stille. Ein seltener Moment, den sie deshalb umso stärker auszukosten gedachte. Sie schloss ihre Augen und versuchte dabei den Wellengang zu erspüren. Sie wollte fühlen, wie das Schiff, auf dem sie sich befand, auf den Wellen ritt. Doch dieser idyllische Augenblick der Ruhe und Gelassenheit wurde nunmehr durch ein lautstarkes Klopfen an dem morschen Holz der Tür, die zu ihrer Kajüte gehörte, beendet.
„Herein“, forderte sie den wartenden Seemann auf, was dieser auch postwendend tat. Mit zittrigem Körper trat er hinein, salutierte vor der entspannten Dame, während ihm vereinzelte Schweißperlen über die Stirn liefen. Bemüht sich zu sammeln, seine Worte genau abzuwägen, hüllte er sich in Schweigen. Wenige Sekunden, die sich jedoch wie Stunden anfühlten. Dieses eigenwillige Zeitgefühl betraf nicht nur ihn, sondern ebenso die junge Frau, die sogleich ihre Geduld verlor.
„Rede oder verschwinde“, fauchte sie den nervösen Matrosen mit zornigem Unterton an, was diesen dazu veranlasste sich prompt auf seine Knie fallen zu lassen. Die Arme streckte er in ihre Richtung aus, seine Stirn tuschierte das morsche Holz der klapprigen Dielen.
„Verzeiht mir, ich wollte nur wissen, ob wir vielleicht sonst noch irgendetwas für Euch tun können, Madam?“
Kyra konnte sich kaum mehr daran erinnern, wann sie das letzte Mal so förmlich angesprochen wurde. Doch war ihr bewusst, dass es nicht Respekt war, der den Seemann auf die Knie sinken ließ, sondern dass es die Angst davor war, was sie diesen Männern antun könnte, die ihn dazu verleitet hatte. Eine so simple, wie auch kraftvolle Reaktion, die in ihr längst vergessen geglaubte Erinnerungen wachrüttelte. Erinnerungen an ein anderes Leben. Ein Leben, das sie vor vielen Jahren hinter sich gelassen hatte. Doch noch bevor sie Gefahr lief sich in dieser Retrospektive zu verlieren, schnaubte sie den Matrosen so an, wie er es von ihr erwartete. Kochend vor Wut.
„Wenn ich euch sage, dass ich ungestört sein will, dann bedeutet das, dass mich auch verdammt nochmal niemand stören soll! Oder muss ich dir und den Taugenichtsen, die du deine Kameraden schimpfst, erst demonstrieren, wieso man mich Poison Yuna nennt? Willst du wirklich erleben, wieso die Regierung ein Kopfgeld von 842 Millionen Berry auf mich ausgesetzt hat?!“
Blitzartig richtete sich der schweißgebadete Matrose wieder auf, schüttelte einige Male nur rasch mit dem Kopf und flüchtete dann angsterfüllt aus der Kajüte, als er bemerkte, wie die Frau mit kastanienbraunem Haar nach ihrem nunmehr leeren Glas griff und Inbegriff war es nach ihm zu werfen. Sowie er die Kajüte verlassen hatte, vernahm er ein lautes Klirren von zersplitterndem Glas, das hinter der von ihm zugeworfenen Tür ertönte. Er atmete einmal kurz durch, ehe er sich schnurstracks wieder an Deck des Schiffes begab. Unwissend darüber, dass die junge Frau sich für ihr eigenes Verhalten wohl mehr verachtete, als es jeder andere jemals könnte. Eigentlich sollte sie diesen Männern dankbar sein, durch die ihr die Flucht vor der CP0 gelungen war. Sie wusste zwar nicht, für wie lange sie die Agenten der Weltregierung durch ihre Überfahrt abschütteln konnte, doch wenn sie auch nur einen Tag Abstand gewinnen konnte, wäre das bereits sehr viel wert. Doch genauso wenig sie, ob sie diesen Männern trauen konnte. Denn wem sie noch trauen konnte, das wusste sie schon lange nicht mehr. Als ein einfaches, unscheinbares Klingeln ihrer Teleschnecke sie postwendend an jene Männer erinnerte, bei denen sie sich stets geborgen gefühlt hatte. Die mit ihr durch die Hölle gegangen waren und für die jederzeit bereitwillig ihr Leben geopfert hätte. So wie sie ihr Leben für das Ihre gegeben hätten. Zwei Männer, die wie Familie für sie waren.
Sie zögerte keine einzige Sekunde, nahm das Gespräch sofort entgegen. Die Stimme, die ertönte, würde sie immer und überall wiedererkennen.
„Hayate? Was ist los?“
„Wie gewohnt kommst du gleich zur Sache, Yuna“, erwiderte ihr alter Weggefährte. Ein Gefühl der Verwunderung keimte in ihr auf. Es gab nicht viele Gründe, aus denen er sie so nennen würde. Der Einzige, der ihr einfiel war, dass er nicht frei reden konnte. Dass er von Leuten umgeben war, denen er nicht vollauf vertrauen konnte. Ihre Neugier war geweckt. Noch bevor Hayate ihr erzählen konnte, was er schon Faol zuvor berichtet hatte. So klärte er auch sie über seine missliche Lage auf, ohne jedoch zu sehr ins Detail zu gehen. Das musste er ihr nicht zweimal sagen.
„Wir sehen uns in Midgard“, funkte ihm die junge Frau schlussendlich dazwischen, noch bevor er sie überhaupt um Hilfe bitten konnte.
Sobald ihr Gespräch beendet war, stürmte Kyra aus ihrer Kajüte heraus, eilte aufs Oberdeck und wies die tüchtigen Seemänner mit lauter und kraftvoller Stimme an den Kurs zu ändern.
Die See war ruhig, der Wind stetig. Perfekte Bedingungen, um aufs Meer hinauszufahren. Den Anweisungen der Vizeadmiräle Brios und Gweneth folgend, bereiteten die Marinesoldaten ihr Kriegsschiff für die Abfahrt vor. Zurückgezogen befand sich Stellan indes in dem Ausguck des Schiffes, von wo aus er mit seinem Zielfernrohr den Horizont überblickte. Eine Vorsichtsmaßnahme, um die Brios ihn gebeten hatte. Schließlich waren sie Inbegriff eine Kooperation mit einem ehemaligen Mitglied der Rothaarpiraten einzugehen. So war es nur eine Frage der Zeit, bis die Marine davon erfahren würde. Das wussten sie, darauf mussten sie vorbereitet sein.
„Brios, hast du die heutige Zeitung schon gelesen?“ fragte Gweneth ihn, zeigte ihm sofort die Titelseite des Blattes. Schnell bemerkte der Mann mit langem, nach hinten gekämmtem Haar, dass der Bericht von ihrem Treffen mit Hayate handelte. Über die Rasanz, mit der sich diese Nachricht bereits verbreitet hatte, überrascht, verwunderte ihn der Inhalt des Artikels jedoch noch mehr, als die Überschrift oder die Fotografie, die sie gemeinsam mit dem Schwertkämpfer zeigte.
„Interessant. Jetzt haben wir Hayate im Impel Down also einen Kuhhandel angeboten. Im Austausch für wichtige Informationen über Rothaar Shanks, sowie dessen Territorium, hat die Marine ihm also eine Strafminderung zugesagt. Und mit reisen soll er, damit die gegebenen Informationen auch sofort verifiziert werden können? Und wenn sie sich als Falschinformationen herausstellen, soll sich das stattdessen negativ auf sein Strafmaß auswirken?“ schwadronierte Brios vor sich her, während er den Artikel genau studierte. Noch bevor Gweneth einen weiteren Blick in das Blatt werfen konnte, zerknüllte ihr Kamerad es und warf es ins Meer.
„Selten so einen Schwachsinn gelesen.“
„Und was machen wir jetzt?“
„Wir machen weiter wie geplant. Allerdings sollten wir von jetzt an besonders vorsichtig sein. Wir sind doch schneller aufgeflogen, als ich gedacht hatte.“
Brios richtete seinen Blick nunmehr gen Ausguck, wies Stellan an den Horizont noch verschärfter im Auge zu behalten, als ohnehin bereits. Dieser verstand sofort und tat, wie von ihm erwartet.
„Du weißt besser als jeder andere, dass die Marine das nicht auf sich sitzen lassen wird. Und Sakazuki schon gar nicht“, äußerte die Vizeadmirälin, die um ihren Hals ein silbernes Amulett trug, berechtigte Bedenken an ihrer weiteren Vorgehensweise.
„Mach dir um den Großadmiral keine Sorgen. Darum kümmere ich mich schon“, entgegnete ihr Gefährte ihr, der sich kurzerhand in seine Kajüte zurückziehen wollte. Doch dazu kam es nicht, denn Gweneth richtete seine Aufmerksamkeit nunmehr auf etwas Anderes. Etwas, was sie zutiefst beunruhigte. Etwas, was auch ihm die Sorgenfalten auf die Stirn treiben sollten.
„Das solltest du dir ansehen.“
Mit diesen Worten drückte sie ihm einen einfachen Zettel in die Hand. Einen Zettel, auf dem das Abbild einer jungen Frau mit kastanienbraunem Haar aufgedruckt war. Einen Zettel, der die Aufschrift „Wanted“ zierte. Konsterniert und irritiert musterte er den Steckbrief. Seine Augen weiteten sich vor Entsetzen.
„Ist das …“
Sein Blick wanderte rüber zu Gweneth, die ihm nur zustimmend zunickte.
„Scheiße“, gab er schlussendlich von sich, während er Hayate, der noch an Land war, nur missbilligend musterte.
„Was er uns wohl sonst noch verschweigt?“
Hayate und Marco befanden sich indes am Hafen, standen einander schweigend gegenüber.
„Ich war noch nie gut bei Abschieden“, brach der Schwertkämpfer schließlich das Eis.
„Dann sieh es nicht als Abschied. Wenn du alles erledigt hast, dann bist du herzlich eingeladen für einen weiteren Besuch vorbeizukommen. Du lieferst die Geschichte, ich den Sake“, entgegnete Marco ihm, während ein breites Grinsen seine Lippen zierte. Hayate erwiderte das Lächeln, ehe sich die beiden alten Rivalen gegenseitig die Hand reichten.
„Und ich kann dich wirklich nicht überzeugen mich zu begleiten?“ hakte er nach, wohlwissend, dass die Antwort dieselbe sein wird, die er nun bestimmt schon dreimal zu hören bekommen hatte.
„Wenn ich könnte, würde ich dir helfen. Doch diese Insel ist das letzte Erbstück, das von Pops noch übrig geblieben ist. Es ist meine Pflicht es zu beschützen. Selbst wenn ich es wollte, ich kann nicht mit dir kommen.“
Hayate antwortete ihm nicht mit Worten, sondern mit Taten. Ein verständnisvolles Lächeln wich ihm über die Lippen, als sie schlussendlich den Handgriff beidseitig lösten. Marco bemerkte jedoch einen kleinen Zettel, der nunmehr in seiner Handfläche ruhte. Er blickte an sich hinunter. Als er es sah, konnte auch er sich ein flüchtiges Grinsen nicht verkneifen konnte. Eine Vivre Card.
„Nur für den Fall, dass du es dir doch noch anders überlegen solltest.“
Langsamen Schrittes betrat er das Kriegsschiff der Marine, blickte ein letztes Mal auf seinen alten Rivalen zurück. Gweneth stand ihm dabei zur Seite. Ein letzter, tiefer Atemzug.
„In Ordnung, wir können ablegen“, erklärte er. Postwendend gab sie ihren Männern den Befehl, während sie selbst das Ruder ergriff.
Der Schwertkämpfer blickte indes gen Sonne, schloss seine Augen und genoss den ersten, frischen Windhauch, der ihm durchs Gesicht wehte und seine lange Haarpracht aufwirbelte. Plötzlich wurde die Brise stärker, das Schiff setzte sich in Bewegung. Mit gelichtetem Anker und gehisstem Großsegel nahmen sie endlich Fahrt auf. Doch wurde dieser idyllische Moment der Stille und des Aufbruchs alsbald von Brios gestört, der ihn unverblümt und schon beinahe aggressiv an der Schulter packte.
„Hast du mir vielleicht was zu erzählen?“ fragte dieser ihn unverhohlen, was Hayate ein leichtes Schmunzeln abrang.
„Ich hab in meinem Leben schon sehr viel erlebt und gesehen. Insofern hätte ich dir sicher einiges zu erzählen. Da wirst du schon etwas genauer sein müssen“, antwortete er ihm nur schnippisch.
„Lass den Scheiß und erklär mir das lieber“, erwiderte der Vizeadmiral, der sichtbar genervt von dem Verhalten seines neuen Weggefährten war. Den Steckbrief hielt er dem Schwertkämpfer direkt ins Gesicht. So nah, dass dieser mehr als ein paar Farben nicht zu erkennen wusste. Er nahm ihm den Zettel ab und musterte ihn kurzerhand.
„Raus mit der Sprache“, wies Brios ihn mit befehlshaberischem Unterton an.
Es war kein gewöhnlicher Steckbrief. Das wussten sie beiden. Das Foto kannte Hayate nur zu gut. Es war das von Poison Yuna. Auch das Kopfgeld war unverändert geblieben. Doch nicht der Name. Kyra stand dort geschrieben. Doch damit noch nicht genug, so bestätigte auch die Aufschrift „Nur lebendig“ Hayate’s schlimmste Befürchtung. Er hatte immer gewusst, dass dieser Tag kommen würde. Doch ausgerechnet jetzt? Er weigerte sich zu glauben, dass das ein Zufall war.
„Was verschweigst du uns? Über dich und vor allem auch über deine Leute?“
„Du bist ein Idiot, wenn du glaubst ich hätte dir bereits alles über mich und meine Freunde erzählt. Dafür braucht man Vertrauen und das ist nun mal schwer verdient“, entgegnete Hayate dem aufgebrachten Vizeadmiral. Sichtbar verwundert über dieses hohe Maß an Naivität, das er seinem Gegenüber bislang nicht zugetraut hätte.
Brios Hände ballten sich zur Faust. Die Wut, die in ihm aufloderte, war kurz davor aus ihm herauszubrechen. Wie ein Vulkan, der zu eruptieren drohte. Viele Jahre hatte er mit der Suche nach diesem Mann verbracht und seitdem er ihn gefunden hatte, schaffte es dieser stetig ihn mehr und mehr an der Notwendigkeit dessen zweifeln zu lassen. Selbst am Urteilsvermögen von Flaith hegte er nunmehr Skepsis. Ein Gedanke, den er noch nie zuvor hatte. Und für den er sich selbst hasste, was ihn nur noch zorniger machte, als er ohnehin bereits war. Auf Hayate, auf sich selbst, auf die ganze Welt.
„Ganz sachte“, befreite ihn sein Gegenüber schlussendlich aus seinem inneren Kreislauf der Aggression.
„Das Unausweichliche scheint nur etwas früher einzutreten, als gedacht. Das ist alles. Es hat sich nichts geändert.“
„Was soll das bedeuten?“ hakte Brios nach.
Hayate nahm sein Schwert ab, lehnte dieses an die Rehling des Schiffshecks und blickte zurück auf den kleinen, kaum wahrnehmbaren Punkt am Horizont. Er war immer wieder erstaunt darüber, wie klein ein Ort aus der Ferne und wie groß er vom Nahem wirken konnte.
„Hat König Ivarr noch Kontakt zur Weltregierung?“
Die See war ruhig, die Möwen zogen hoch oben ihre Kreise. Ein einzelnes Kriegsschiff der Marine durchquerte den Ozean, ritt auf dem sanften Wellengang.
„Sind wir noch auf Kurs, Nathan?“ fragte Gweneth ihren Navigator, der postwendend einen Blick auf den Eternal-Port warf, den er in der linken Tasche seines weißen Marineumhangs aufbewahrte.
„Sind wir“, entgegnete dieser ihr trocken, ehe er den Kompass wieder sorgsam verstaute.
Gweneth stand aufrecht neben ihm, das Steuerrad fest im Griff, während sein Blick gen Horizont gerichtet war. Ein flüchtiger Blick verriet der Vizeadmirälin, dass ihn etwas umtrieb. Und ohne ihn fragen zu müssen, wusste sie was es war. Schließlich war er ihr Schüler. Acht Jahre hatten sie nunmehr zusammen verbracht. Acht Jahre, in denen der junge Marineoffizier ihr nie von der Seite gewichen war, stets zu ihr aufschaute und versuchte so zu handeln, wie sie es für richtig erachtete. Doch nun wusste er, dass seine Zeit als Mündel einer hochdekorierten Vizeadmirälin alsbald enden würde. Monatelang hatte sie ihn darauf vorbereitet. Immerhin würde er ihr nachfolgen. Er sollte es sein, der in ihre Fußstapfen tritt. Als Oberbefehlshaber dieses Schiffes, der Cyanid. Sie hatte ihm alles beigebracht, was sie wusste. Als neuberufener Kapitän des Marinehauptquartiers stand ihm das Kommando eines eigenen Schiffes ohnehin längst zu. Und Gweneth wollte seitjeher, dass er das Ihre übernehmen würde, sowie sich ihre Zeit bei der Marine ihrem unausweichlichen Ende zu neigen würde. Dieser Tag war nun nahe. Es war ihr Wunsch und Nathan war willens und bereit diesem auch nachzukommen.
„Sag mal, wo steckt eigentlich Drake?“ bricht die Vizeadmirälin schließlich das Schweigen zwischen ihnen. Ein gewagter Versuch ihren Schüler von seiner inneren Zerrissenheit und Anspannung zu befreien. Doch es gelang ihr. Irritiert sah er sich um, konnte seinen treuen Freund allerdings nirgends ausfindig machen.
„Gute Frage“, gab dieser verdutzt von sich, immer noch dabei einen flüchtigen Blick auf seinen pelzigen Gefährten zu erhaschen. Doch ohne Erfolg.
Eine kühle Brise durchstreifte sein langes Haar. Das Plätschern des Wassers half ihm dabei innere Ruhe zu finden. Eine beruhigende Geräuschkulisse. Er saß auf seinen Knien, die Hände auf seine Oberschenkel gestützt, während sein Breitschwert vor ihm an der Rehling lehnte. Die Augen geschlossen haltend, versuchte er seine Mitte zu finden. Doch gelang es ihm nicht, denn ein starkes Hecheln, sowie ein leicht fauliger Atem, der ihm in die Nasenhöhle kroch, verhinderte das. Noch bevor er sich die Frage stellen konnte, was es wohl war, das seine Meditation störte, strich ihm eine nasse Zunge über sein Gesicht. Er öffnete sein rechtes Auge und erblickte einen pelzigen Vierbeiner, der mit ausgestreckter Zunge vor ihm stand. Ein Beagle, der ihn neugierig musterte und beschnupperte.
„Na mein Kleiner, wo kommst du denn her?“ fragte Hayate den Hund, wohlwissend, dass dieser ihm nicht antworten würde. So hob er seinen rechten Arm und fing an den interessierten Vierbeiner hinter seinem Ohr zu kratzen. Plötzlich wedelte er mit dem Schwanz, was dem Schwertkämpfer ein Lächeln abrang.
„Drake“, ertönte eine laute, ihm unbekannte Stimme, die dafür sorgte, dass der Hund sofort losstürmte und davoneilte.
„Hat mich auch gefreut“, murmelte Hayate vor sich her, ehe er seine Augen erneut schloss und seine vorherige Pose annahm. In der Hoffnung nun die Stille zu finden, nach der er sich so verzweifelt sehnte. Ein Versuch, der von Erfolg gekrönt war. Um ihn herum wurde alles ruhig. Kein Getuschel von den Soldaten, das er zuvor noch in der Ferne vernommen hatte. Kein Wehen der Flagge mehr. Nicht einmal mehr den zarten Hauch des Windes vermochte er noch wahrzunehmen. Alles um ihn herum schien zu verblassen. Fast so, als würde die Zeit stillstehen. Er sinnierte.
„Reise steht bevor
Schwarze Rüstung, mit Blut befleckt
Reinigt mich vom Schmerz“
Er öffnete seine Augen, zückte aus dem Inneren seines Kimonos ein kleines Taschenbuch, an dem ein Schreibstift klemmte. Er klappte es auf und verfasste die Verse, die er soeben erdacht und gesprochen hatte, auf einer noch freistehenden Seite. Unwissend darüber, dass Brios ihn die ganze Zeit über beobachtet hatte.
„Was war das?“ zeigte dieser spürbares und ehrliches Interesse an dem, was sich gerade vor ihm zugetragen hatte. Denn für so grüblerisch und reflektierend hätte er den Schwertkämpfer, nach ihren ersten Gesprächen, gar nicht gehalten.
„Das war ein Haiku“, entgegnete dieser ihm knapp, während er das letzte Wort seines Textes beendete und sein Notizbuch, ebenso wie den dazugehörigen Stift, wieder sicher verstaute.
„Ein was?“ hakte der Vizeadmiral wissbegierig nach.
„Eine traditionelle Gedichtform meiner Heimat, meines Volkes.“
„Du sprichst von den Samurai aus Wano Kuni, nicht wahr?“
Worte, mit denen es ihm sogleich gelingen sollte die Aufmerksamkeit des Schwertkämpfers vollumfänglich zu erregen.
„Interessant … Das hat mich schon lange niemand mehr gefragt“, begann dieser, hielt kurz inne, erhob sich und setzte sich auf die Rehling. Direkt neben seinem Schwert.
„Aber nein, ich stamme nicht von Wano Kuni. Meine Eltern kamen von dort, doch ich selbst habe das Land nie gesehen. Ich verbinde damit nichts, es hat für mich keinerlei Bedeutung. Ich lebe lediglich nach den Lehren, die mir meine Familie, mein Clan, einst beigebracht hat.“
So wie es Brios zuvor gelungen war, Hayate’s Neugier zu wecken, so war diesem nun dasselbe geglückt.
„Moment mal“, fing er an, bevor er sich ebenfalls auf die Rehling setzte. Allerdings mit einigen Metern Abstand zum Schwertkämpfer, wie auch dessen Waffe.
„Soweit ich weiß herrschten in Wano Kuni schon immer ähnliche, außenpolitische Zustände, wie auf Midgard. Das Land ist abgeriegelt, lebt in Isolation. Völlig abgeschnitten von der Außenwelt. Es gibt nur sehr wenige Samurai, von denen man weiß, dass sie das Land jemals verlassen konnten. Und aus der jüngeren Vergangenheit gibt es nur einen, von dem man auch heute noch spricht. Zumindest in Kreisen der Marine … Kozuki Oden.“
Hayate’s Augen weiteten sich. Der Vizeadmiral erkannte sogleich, dass dieser Name auch seinem Gegenüber ein Begriff war. Selbst wenn es stimmte, dass er keinen Bezug zu Wano Kuni hatte, dieser Name erweckte etwas in ihm. Nur wusste Brios nicht, was es war.
„Nun ja, Oden’s Taten trugen ja schließlich dazu bei, dass die Welt heute so ist, wie sie es ist. Jemanden, der nicht nur eine befehlshaberische Funktion unter dem Banner von Whitebeard innehatte, sondern ebenso an Bord des einstigen Piratenkönigs – Gol D. Roger – segelte, dürfte wohl jeder kennen“, entgegnete Hayate schlussendlich dem Mann im weißen Marineumhang, bemüht sich verhalten und bedeckt zu halten. So sprach er bloß das an, was ohnehin die ganze Welt wusste. Er wusste ganz genau, welch große Rolle Oden einst bei Rogers letzter Reise gespielt hat, durch die jener zum Piratenkönig erklärt wurde. Und er wusste um die Bedeutung dessen Clans für Wano Kuni und dessen Geschicke. Doch war dies etwas, was er niemanden anvertrauen würde, den er erst seit wenigen Stunden kannte. Der Versuch, ihm mit diesem Namen mehr Informationen über seine Person, seinen Clan und seine Heimat zu entlocken, missglückte.
Schließlich gab der Samurai seinen Sitzplatz auf, setzte sich wieder auf die nassen Holzdielen des Decks und fing an seine Klinge mithilfe von Werkzeug zu wetzen, das er bislang in seinem Reisebeutel aufbewahrt hatte.
„Das erklärt aber nicht, wieso es mit dir einen weiteren Samurai gibt, der sich einen großen Namen als Pirat machen konnte. Und das sogar, ohne dass es jemals bekannt gemacht wurde, dass auch du vom Land der Samurai abstammst“, hakte Brios nach, dessen Neugier geweckt und nunmehr unstillbar erschien.
„Ich habe es dir doch gesagt, ich stamme nicht von Wano Kuni ab. Meine Eltern stammten von dort. Was wohl auch der Grund dafür sein dürfte, dass man mich nie konkret mit dem Land in Verbindung gebracht hat. Für die Welt, für die Marine, war ich bloß ein weiterer Pirat, der besonders begabt mit dem Schwert war. Oder hält man Mihawk Dulacre etwa auch für einen Samurai?“ klärte Hayate den Vizeadmiral auf. Dieser begann indes zu verstehen, wieso nicht nur Gweneth und Stellan, sondern auch Flaith so fasziniert von diesem Mann war. Er hatte noch nicht viele Worte mit ihm gewechselt, hatte bislang noch weniger über ihn als Menschen in Erfahrung bringen können, und doch war er selten einer Person begegnet, deren Lebenslauf ihn derartig reizte.
„Bedeutet das, dass es noch mehr von euch gibt? Noch mehr Samurai, die, für die Weltregierung, die Marine und die Presse unbekannt, außerhalb des isolierten Landes leben? Vielleicht sogar eine aktive Laufbahn als Pirat oder gar als Marinesoldat verfolgen, ohne dass der Allgemeinheit etwas von ihrer Herkunft bekannt ist?“ setzte Brios ein weiteres Mal nach, musste nun jedoch verzweifelt auf eine Antwort warten, die er nicht bekam. Keine einzige Silbe verließ die Lippen von Hayate.
So neugierig er auch war, so wusste er nunmehr, dass weitere Worte vergeblich wären. Es war offensichtlich, dass dies für den Samurai nichts war, worüber er gedachte zu reden. Er hüllte sich in Schweigen. Und Brios verstand. Wenn auch widerwillig, so respektierte er den gefassten Entschluss seines Gegenübers.
„Eine wunderschöne Klinge, die du da mit dir führst“, versuchte er nunmehr das Thema zu wechseln. Mit Erfolg.
„Danke für die Blumen“, entgegnete Hayate ihm nur mit spöttischem Unterton. Eine Missetat, die der Marineoffizier sich entschloss zu ignorieren.
„Welcher Klasse gehört es an? Meisterschwert? Königsschwert? Oder ist es gar ein Drachenschwert?“ versuchte der Vizeadmiral das Gespräch am Laufen zu halten.
„Es ist eines der 21 Königsschwerter.“
„Hat es einen Namen?“
Worte, die dem Samurai ein müdes Lächeln aufs Gesicht zauberten.
„Amaterasu. Schien mir ein angemessener Name für diese erhabene Waffe zu sein“, drohte sich Hayate nunmehr in seiner eigenen Gedankenwelt zu verlieren. Der Wissensdurst des Vizeadmirals schien indes nahezu unstillbar zu sein.
„Willst du damit sagen, dass du dem Schwert seinen Namen gegeben hast?“ setzte dieser sogleich nach.
„In der Tat. Die richtige Klinge verdient den richtigen Namen. Denn der Name ist es, der ein Schwert erst vollkommen macht.“
Brios Interesse schlug in Verwirrung um. Die Worte des Samurai wirkten zunehmend fahrig und verloren. Fast schon desorientiert.
„Für wen wurde sie geschmiedet? Für dich?“
Plötzlich erschrak er. Beim Anblick dieser, für ihn, heiligen Waffe und den Worten des Vizeadmirals, die nunmehr in seinem Kopf widerhallten. Worte, die Hayate bis ins Mark erschütterten. Tiefgehende, schmerzhafte Erinnerungen, die er seit Jahren verdrängt hatte, keimten in ihm auf. Eine einzelne Träne verließ sein linkes Auge, rannte über seine Wange. Ohne dass er es selbst wahrnahm. Brios blieb dies jedoch nicht verborgen. Er erkannte sofort den Schmerz, den seine andauernde Wissbegier beim Samurai heraufbeschworen hatte.
„Nein, nicht für mich. Ich habe diese Klinge vor mehr als 20 Jahren geschmiedet. Sie war ein Geschenk“, entgegnete Hayate seinem neuen Weggefährten, dessen Drang damit neu auflebte.
„Sie ist eine von drei Klingen, die ich geschaffen habe. Vereint sollten sie die Dreieinigkeit der Kami versinnbildlichen“, fügte er hinzu, drohte dabei einmal mehr gedanklich in längst vergangene Tage abzudriften.
„Stammt dein Wissen der Schwertschmiedekunst auch von deinem Volk?“ reagierte Brios blitzartig, um eben dies zu verhindern. Nicht nur, weil er sich danach sehnte mehr über Hayate, und dessen Begabungen, zu erfahren, sondern instinktiv auch, weil er nicht noch mehr Schmerz bei ihm heraufbeschwören wollte, als er es augenscheinlich ohnehin bereits getan hatte.
„Von meiner Familie, ja. Dieses Wissen der Handwerkskunst wurde von Generation zu Generation weitergereicht. Wir waren zuallererst Schmiede. Und erst danach Krieger.“
„Und welcher Familie gehörst du an? Etwa ebenfalls dem Kozuki Clan, so wie Oden?“ versuchte Brios wiederholt seinem Gegenüber nähere Informationen über dessen Abstammung zu entlocken. Worte, die den Samurai schließlich dazu veranlassten die Instandhaltung seiner Klinge abzubrechen. Er steckte die Waffe zurück in ihre Scheide, schnallte sie sich über den Rücken und erhob sich von den klapprigen Holzdielen. Er musterte den Marineoffizier kurzartig, wendete sich dann von ihm ab und schritt davon.
„Ich habe Hunger“, kam es über seine Lippen. Worte, die den Vizeadmiral gleichwohl hungrig zurückließen.
„Hm? Ahhh, ich habe verschlafen“, redete ein Mann mit schwarzen, gelockten Haaren vor sich hin, während er in seinen Händen eine tagesaktuelle Zeitung hielt. Der ominöse Mann trug ein Kopftuch über seine Haare, eine Sonnenbrille thronte auf seiner Nase. Sein lässiges Erscheinungsbild wurde von einem langen, grünlichen Mantel, einem weißen T-Shirt, hohen, schwarzen Stiefeln und einem Rucksack, den er über seine rechte Schulter trug, abgerundet. Er befand sich allein auf offener See. Allerdings auf keinem Schiff, sondern auf dem Kopf eines Riesenpinguins.
„Ararara, was hat die Marine bloß vor? Eine Kooperation mit der blauen Sturmböe? Wer hätte das für möglich gehalten?“
Er kramte in seinem Rucksack herum, bis er einen kleinen Snack herausholte, den er seinem tierischen Gefährten postwendend in den offenstehenden Schnabel warf. Dieser ächzte zufrieden, setzte ihre gemeinsame Reise dann fort. Der Mann griff erneut zum Blatt, um den Artikel auf der Titelseite genauer studieren zu können.
„Hätte ich mir eigentlich denken können, dass auch Hayate beim Massenausbruch vor zwei Jahren die Flucht aus dem Impel Down gelungen ist. Trotz allem, was geschehen ist, würde ich ihn nur zu gerne wiedersehen ... Ob es wohl ein Fehler war, ihm sein Schwert in die Zelle zu bringen?“
Mit diesen Worten faltete er die Zeitung zusammen und legte sie beiseite. Mit einer seltsamen Mischung aus Verlegenheit und Verwirrung kratzte er sich fragend am Hinterkopf.
„In welcher Richtung lag Punk Hazard gleich wieder?“
„Bwahahahaha! Brios, du Teufelskerl! Was hat dich denn da geritten?“, lachte ein älterer, jedoch noch immer äußerst kräftig aussehender Marineoffizier in seinem schlicht gehaltenen Büro lauthals vor sich her, während er nebenbei einen Reiscracker nach dem anderen verschlang. Dabei saß er genüsslich auf dem Sofa, das sich direkt neben seinem Schreibtisch befand. Neben ihm saß ein Mann mit langem, geflochtenen Bart, der ebenso weißfarbig war, wie sein Afro war. Eben jener Mann war jedoch deutlich informeller gekleidet, als sein Kamerad. Während dieser einen weißen Anzug, bestehend aus einem Doppelreiher und einer dazu passenden Anzughose trug, vermittelte der Buddha, mit der Wahl seiner Kleidung, einen deutlich lockereren Eindruck. So hatte er ein dunkelblaues Hemd an, das mit einem grünrotem Zickzack-Muster verziert war, sowie er eine orange Krawatte, weiße Shorts, welche das Logo der Marine zierten, als auch braune Schuhe trug. Zart kraulte er seiner Ziege den Hals, die vor ihm auf dem Boden saß, bevor er sich seinem alten Gefährten zuwandte.
„Sag schon Garp, was ist dein Geheimnis?“ fragte er ihn, griff dann wieder zu seinen Miso-Ramen, die er zuvor neben sich auf der freien Sitzfläche abgestellt hatte, um diese so lange genießen zu können, wie sie noch heiß war.
„Ich weiß nicht was du meinst, Sengoku!“ entgegnete der ehemalige Vizeadmiral seinem Freund, bevor er erneut in lautes Gelächter verfiel.
„Ach nein? Dann drücke ich mich mal deutlicher aus … Wie schaffst du es bloß immer wieder starke Individuen so zu verderben? Erst deine Familie und jetzt auch noch deine Lehrlinge“, setzte der Buddha nach. Jedoch mitnichten so griesgrämig, wie Garp es viele Jahre von ihm gewohnt war. Zu jener Zeit, als er noch das höchste Amt der Marine bekleidet hatte. Als die ganze Last dieser Institution, insbesondere vor allem ihre Reputation, noch auf seinen Schultern lastete.
„Bwahahahaha, ich bin wirklich gespannt darauf zu sehen, was Brios nun vorhat. Was ihn wohl dazu bewegt hat sich mit einem Mann wie Hayate zusammenzutun? Wie gerne ich jetzt Sakazuki’s Gesicht sehen würde! Bwahahahaha!“
Ein Satz, bei dem es zunächst so schien, als würde sich auf der Stirn des Buddhas eine Sorgenfalte bilden. Diese verschwand jedoch so schnell wieder, wie sie sich aufgetan hatte. Von der Last, die er gewohnt war zu tragen, war er unlängst befreit worden. Doch auch wenn sein Rücktritt als Großadmiral nun schon zwei Jahre zurücklag, so war dies dennoch ein Umstand, an den er sich noch nicht vollends gewöhnt hatte. Mehr und mehr löste er sich von seiner vergangenen Ernsthaftigkeit. Von dem Druck, den er all die Jahre über verspürt hatte. Das erkannte auch Garp, als er ein flüchtiges Lächeln auf den Lippen seines Freundes bemerkte.
„Wohl wahr. Begeistert dürfte Sakazuki darüber gewiss nicht sein, dass so etwas unter seiner Führung geschieht. Gleich drei Vizeadmiräle, die sich von der Marine lossagen und sich stattdessen mit einem Piraten verbünden? Sakazuki wird rasend vor Wut sein.“
Worte, die das Gelächter von Garp weiter anzutreiben wussten. Seit den Ereignissen vor zwei Jahren war dies das erste Mal, dass Sengoku’s alter Freund derartig befreit wirkte. Dass er wieder er selbst zu sein schien. Dass es ausgerechnet Sakazuki war, der sich nunmehr mit solch undankbarer Öffentlichkeitsarbeit befassen musste, amüsierte ihn zutiefst. Er genoss es regelrecht, dass ausgerechnet sein einstiger Schüler verantwortlich dafür war, dass der neue Großadmiral derweil wahrscheinlich nur so vor Wut schäumte. Wie das wilde, animalische Tier, das er war.
Es kam selten vor, dass die Gorosei ihre Treffen in so kurzen Abständen abhielten, doch die Nachricht, dass sich drei Vizeadmiräle mit einem ehemaligen Mitglied der Rothaarpiraten zusammengetan hatten, schlug hohe Welle. Es waren außergewöhnliche Umstände, denen sich die höchste, politische Instanz der Weltregierung nunmehr ausgesetzt sah. Das wussten sie. Besser, als der Rest der Welt es tat.
„Was unternehmen wir jetzt wegen Hayate? Es bereitet mir große Sorgen, dass er wieder auf der Bildfläche erschienen ist. Dass er sich nunmehr mit drei unserer besten Vizeadmiräle verbündet hat, wäre normalerweise ja schon schlimm genug. Doch bedenkt man, woher sie stammen, könnte die Problematik womöglich weit tiefer gehen, als es auf den ersten Blick wirken mag“, erklärte der Weise, dessen auffälligstes Merkmal das große Feuermal in seinem Gesicht war, den anderen Politikern im Raum.
„In der Tat. Sie alle wurden auf Midgard geboren und haben dort auch viele Jahre gelebt. Stellan und Gweneth lebten dort allerdings deutlich länger, als Brios es tat. Als er vor fast 30 Jahren von Garp angeworben wurde, als dieser aus diplomatischen Gründen auf Midgard verweilte, hielt man große Stücke auf ihn. Sein Potenzial war bemerkenswert. Was sich in seiner bisherigen Laufbahn widerspiegelt. Mit 21 Jahren bereits das Amt des Vizeadmirals zu bekleiden, ist bisher noch nicht vielen Offizieren gelungen. Hätten Garp’s Prinzipien nicht so stark auf ihn abgefärbt, hätte auch er längst Admiral sein können. Seine Aufsässigkeit wiegt damit besonders schwer“, entgegnete ihm der glatzköpfige Weltaristokrat, der auch diese Besprechung nicht ohne sein Katana bestritt.
„Letztlich können wir noch froh darüber sein, dass Lagertha solch gute Arbeit geleistet hat, in dem sie Morgans eine Geschichte hat abdrucken lassen, die das Image der Weltregierung nicht ansatzweise so negativ beeinflussen wird, wie es die Wahrheit getan hätte. Der Präsident der Weltwirtschaftszeitung lässt sich bekanntermaßen nur ungern vordiktierten, welche Neuigkeiten er der Welt mitteilen soll. Kaum auszudenken, wie die Menschen reagiert hätten, wenn herausgekommen wäre, dass vor zwei Jahren, beim Massenausbruch aus dem Impel Down, noch mehr Schwerverbrecher aus dem sechsten Level entkommen konnten“, warf der Jüngste der Weisen mürrisch ein.
„Bei alledem sollten wir nicht vergessen, dass ein Großteil von Hayate’s Vergangenheit für die Öffentlichkeit auch weiterhin unbekannt ist. Und wir müssen dafür sorgen, dass das auch so bleibt. Die Menschen wissen lediglich, dass er einst bei den Rothaarpiraten anheuerte und sich ein paar Jahre später als Pirat selbstständig machte. Offiziell um sich einen eigenen Namen zu machen. Zusammen mit einem Mink namens Faol und allen voran mit Kyra, wie wir nun wissen“, brachte sich der ältere Mann, der einen Wurzelstock mit sich führte, nun in die Konversation ein.
„Kaum zu glauben, dass er sie über zehn Jahre vor uns versteckt halten konnte. Wer hätte schon gedacht, dass es sich bei Poison Yuna ausgerechnet um sie handeln würde? Ob Hayate’s Verbindung zu Midgard der Grund dafür ist, dass Brios, Gweneth und Stellan sich dafür entschieden haben ihre Pflichten als Marineoffiziere zu verletzen?“ sprang der Weltaristokrat mit langem, spitz zulaufendem Schnauzbart von einem brisanten Gedanken zum Nächsten.
„Wenn dem so sein sollte, stünden die Chancen gut, dass wir auch Kyra dort finden könnten. Dadurch hätten wir die einmalige Möglichkeit mehrere Ziele gleichzeitig zu finalisieren“, versuchte sich der Jüngste unter ihnen an einer Antwort auf eine der vorangegangenen Fragen. Eben jene Frage, die ihn offenkundig weit stärker umtrieb, als der augenscheinliche Verrat dreier Vizeadmiräle des Marinehauptquartiers.
„Wir sollten Vorsicht walten lassen und nicht leichtfertig handeln. Wir dürfen die Situation auf keinen Fall unterschätzen. Sollte dies die Verbindung, könnte das unsere Pläne, die wir für Midgard haben, dauerhaft beeinträchtigen. Es ist zwingend erforderlich, dass wir nicht noch weiter in Verzug geraten. Deshalb müssen wir schleunigst entscheiden, wie wir weiter vorgehen wollen. Wir müssen entscheiden, wen wir mit dieser hochbrisanten und bedeutsamen Aufgabe betrauen wollen“, gab der Mann mit dem Feuermal den anderen zu verstehen.
Die politische Versammlung an Weltaristokraten hüllte sich einige Momente in Schweigen. Sie alle überdachten die Situation, überlegten, was der richtige Umgang mit der derzeitigen Situation sein könnte. Nahezu zeitgleich schienen sie sich festgelegt zu haben. Die Idee, die ihnen vorschwebte, hatte sich in jeder ihrer fünf Köpfe manifestiert. Noch bevor sie ihre Gedanken in Worte fassen konnten.
„Junichiro sollte diese Aufgabe übernehmen. Er muss umgehend nach Midgard reisen, um die Lage dort zu begutachten“, beschloss der Mann mit dem Katana, der damit das aussprach, was sie alle dachten.
Dichter Nebel verdeckte die Sicht. In einem üppigen Dickicht aus Ästen, Blätter und Blüten suchten unheimliche, bewaffnete Gestalten Zuflucht in den Schatten der Nacht. Ein altes, schauriges Schloss, das inmitten der Ruinen dieser verlassenen Insel lag. Das Land war zerstört, der Boden kaum noch fruchtbar. Ein einsamer Mann durchstreifte die dystopischen Ländereien, bis er schließlich den heruntergekommenen Palast betrat. Ein aufmüpfiges und launisches Mädchen mit pinkem Haar schwebte auf ihn zu. Worte verließen ihre Lippen, das konnte er deutlich erkennen. Doch hören konnte er sie nicht. Er war wie in Trance. Er konnte an nichts Anderes mehr denken. Nur noch an das, was in der Zeitung geschrieben stand, die er sich unter seinen rechten Arm geklemmt hatte.
Schlussendlich erreichte er einen pompösen Raum. Doch auch diesem wohnte das Gefühl bei, als hätte er seine besten Tage längst hinter sich gelassen. Die Fliesen an Boden und Wänden waren marode, die roten, opulenten Stühle abgenutzt. Mittels einer einfachen Geste bat er die junge Dame ihm etwas Rotwein nachzuschenken. Was sie widerwillig und begleitet von wild gestikulierender Widerrede auch tat. Der großgewachsene Mann entledigte sich derweil seines schwarzen Schwertes, das er über seinen Rücken trug. Er legte Hut und Jacke ab, ehe er sich auf einen der fürstlichen Stühle setzte, zu seinem Glas griff und einmal mehr an die geschriebenen Worte denken musste, die er zuvor gelesen hatte. Genüsslich nippte er an dem Wein, schloss seine Augen und musste unweigerlich an jenen Tag zurückdenken, an dem er ihm zum ersten Mal begegnet war.
Vor 14 Jahren
Eine kühle Windbrise streifte seine Wangen, während die Möwen mit ihren lieblichen Klängen ein Lied anstimmten. Das Yoru fest umschlungen, war er bereit und willens sich einmal mehr zu beweisen. Denn dafür lebte er. Für diese Momente. Für diese Kämpfe. Für diese Rivalität. Fokussiert und mit scharfem Blick musterte er eben jenen Mann, der ihm gegenüberstand und mit dem er schon so oft die Klingen gekreuzt hatte. Sein tiefrotes Haar war unverkennbar. Auch er hatte seine rechte Hand fest um den Griff seines Schwertes gelegt. Sie kannten sich schon seit vielen Jahren, hatten unlängst Gefallen daran gefunden sich miteinander zu messen. Sie waren sich in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich, doch der wohl größte Unterschied zwischen ihnen waren jene Menschen, die hinter dem Mann mit rotem Haar standen. Denn anders als er selbst, war sein Rivale niemals allein unterwegs gewesen. Während er die Stille der Unabhängigkeit immer besonders genoss, bevorzugte sein Gegenüber viel eher die Gesellschaft mit Gleichgesinnten. So genoss er zwar jene Momente, in denen sie einander gegenüberstanden, doch wusste er auch, dass sein Weg limitiert war. Der seines Kontrahenten nicht.
Doch all das spielte keine Rolle, sobald sie ihre Klingen kreuzten. Dann gab es nur noch sie zwei. Und ihre lang andauernde, mittlerweile auch schon freundschaftliche, Rivalität. Sein schwarzes Schwert fest im Griff, bemerkte er, dass auch sein Gegenüber inzwischen seine Waffe gezückt hatte. Das Gryphon gezogen, richtete der rothaarige Mann die Spitze seiner Klinge auf seinen ewigen Rivalen. Dieser erwiderte die Geste, bemerkte dann plötzlich ein breites Lächeln, das seinem Kontrahenten über die Lippen wich.
„Nun denn, Falkenauge, wollen wir anfangen?“
„Wenn du eine weitere Niederlage verkraften kannst“, entgegnete der Mann mit der schwarzen Klinge, doch, noch bevor er zum Erstschlag ausholen konnte, bemerkte er etwas. Seine scharfen Augen registrierten nahezu unscheinbare Bewegungen in der Ferne. Sie kamen aus der kleinen Menschenmenge, die sich hinter seinem Rivalen tummelte. Ein einzelner Mann, der einfache Holzsandalen und einen blauen Kimono trug, trat aus der Menge hervor und lief geradewegs auf ihn, wie auch seinen Kontrahenten, zu. Auch dem Rothaarigen war nicht entgangen, dass sich einer seiner Kameraden zu ihm gesellen wollte. So hielt auch er zunächst inne. Willens zu erfahren, was den Mann mit den langen, braunen Haaren antrieb. Doch schritt dieser wortlos an ihm vorbei, ehe er sich, fast schon schützend, vor ihm aufbaute und mit einer Hand den Griff seines Schwertes umgriff, das er auf dem Rücken trug.
„Kapitän“, begann er, sein Blick demütig auf den staubtrockenen Sand unter seinen Sandalen gerichtet.
„Erlaube mir bitte dich in diesem Kampf zu vertreten“, führte er, nach einer kurzen Pause, sein Anliegen fort. Den Kopf noch immer gesenkt, wenngleich er nunmehr leicht über seine linke Schulter sah. Sein Kapitän musterte ihn, ehe sein Blick flüchtig zu seinem Rivalen wich. Dieser schien ähnlich interessiert an seiner sich anbahnenden Entscheidung zu sein, wie es sein Kamerad war. Dann steckte er seine Klinge zurück in die Schwertscheide, drehte den beiden Männern den Rücken zu und begab sich zum Rest seiner Mannschaft.
„Soll mir recht sein, ich habe von gestern immer noch einen sitzen“, gab dieser den Schwertkämpfern unmissverständlich zu verstehen, dass er der Bitte seines Kameraden gedachte nachzukommen. Gleichzeitig suggerierte er zudem, dass Falkenauge sich an eben jenem Tag ausnahmsweise mal nicht mit ihm, sondern stattdessen mit einem seiner Freunde messen würde. Dieser wusste zunächst nicht, was er davon halten sollte. Immerhin gehörten diese Kämpfe schon seitjeher nur ihnen beiden. Die Entscheidung vom rothaarigen Piraten irritierte ihn damit in vielerlei Hinsicht. Doch wusste er auch, dass Shanks nichts ohne triftigen Grund tat. So wich seine Verwirrung unweigerlich der Neugier. Was machte diesen Mann so besonders, dass er ihm zutraute ihn würdig zu vertreten? Das war die Frage, auf die er nun eine Antwort finden wollte.
„Wie ist dein Name?“ fragte er seinen Gegenüber, der nunmehr Inbegriff war sein Schwert zu zücken. Eine Waffe, die fast genauso groß war, wie das legendäre Yoru, das er führte.
„Mein Name ist Hayate. Und ich freue mich darauf herausfinden zu können, wie weit entfernt der beste Schwertkämpfer der Welt für mich wohl sein mag“, entgegnete dieser ihm, zog sein Breitschwert mit einer ruckvollen Bewegung aus ihrer Schwertscheide heraus und strich mit ihr blitzschnell durch die Luft. So schnell, dass es so schien, als würde er den Wind zerschneiden. Eine kurze, aber kraftvolle Windböe entstand, die auch dem Mann mit dem scharfen Blick nicht entging. Sie sauste an ihm vorbei, wirbelte sein Hemd und die Feder auf seinem Hut auf, doch ins Wanken geriet er nicht. Unverändert blieb er stehen, rührte sich keinen Millimeter. Stattdessen lächelte er voller Zufriedenheit. Auch wenn er bezweifelte, dass dieser Mann so stark wie sein Rivale war, so war er nunmehr doch überzeugt davon, dass er eine würdige Vertretung sein würde.
„Den Namen merke ich mir. Doch solltest du deine Neugier zügeln. Denn verliert man erstmal die Kontrolle über sie, ist es nicht mehr weit bis zur Leichtsinnigkeit. Und die hat schon so manchen, großen Schwertkämpfer das Leben gekostet.“
Dies waren die vorerst letzten Worte, die sie miteinander teilen sollten. Blitzschnell eilten sie aufeinander zu, führten nahezu zeitgleich einen schweren Schwerthieb aus. Ihre Klingen prallten aneinander. Vereinzelte Schweißperlen rannten über Stirn und Wangen des Samurais. Erste Anzeichen der Erschöpfung, die beim besten Schwertkämpfer der Welt jedoch ausblieben. Eine gewaltige Druckwelle entstand, die sogar die versammelte Mannschaft am Ufer erreichte. Ins Wanken gerieten jedoch die Wenigsten von ihnen. Und der Kapitän lächelte.
14 Jahre später
Er hielt sich weder für nostalgisch, noch für trübselig. Umso absonderlicher empfand er es, dass er beim Gedanken an den Samurai, mit dem er einst das Schwert gekreuzt hatte, unfreiwillig schmunzeln musste.
„Schon eigenartig, dass jemand wie Hayate sich offenbar mit der Marine verbündet hat … Was Rothaar wohl davon halten mag?“
Ein weiteres Mal nippte er an seinem Glas Rotwein, stellte es dann wieder an exakt derselben Stelle ab, an der es zuvor gestanden hatte.
„Wobei, eigentlich kann ich mir seine Reaktion schon bildhaft vorstellen.“
Eilig stürmte er durch das dichte Gebüsch. Immer wieder blieb er mit seinen auffälligen, roten Haaren, die er wie Zacken geformt hatte und die in alle Richtungen abstanden, an vereinzelten Ästen hängen, doch stoppen konnte ihn all das nicht. Die Zeitung eng umschlungen und nicht willens sie loszulassen. Denn diese Nachricht war zu bedeutsam, als dass ihn irgendetwas aufhalten könnte. Er musste davon erfahren. Sein Kapitän musste es wissen. Denn es könnte alles verändern. Die Furcht davor, dass sich für sie nun alles ändern könnte, übermannte ihn. Die Furcht vor der Gefahr, die sie nunmehr erwartete, trieb ihn voran.
Plötzlich bemerkte er ein helles Licht, das durch das Dickicht des Waldes schien und die letzten Meter seines Weges erhellte. Die Lichtung war greifbar nahe. Somit auch eben jener Ort, zu dem er, so schnell wie möglich, gelangen musste. Doch eine Wurzel, die aus der Erde ragte, verhinderte dies. Sein Fuß verhakte sich. Er geriet ins Stolpern, dann stürzte er auf den kalten, harten Boden. Dabei glitt ihm die Zeitung aus den Händen. Willens sich augenblicklich wieder aufzuraffen, entdeckte er plötzlich ein einfaches Paar an roten Schuhen. Sein Blick folgte den Beinen hinauf zu dem rundlichen Gesicht eines Mannes, der eine getönte Brille und ein grünweißgestreiftes Kopftuch trug. In seiner linken Hand hielt er eine Fleischkeule, in die er augenscheinlich schon mehrfach gebissen hatte.
„Wozu denn die Eile, Frischling?“ gab der dickliche Mann spöttisch und mit breitem Lächeln von sich, während er sich einen weiteren Bissen des saftigen Fleisches genehmigte. Blitzartig griff der Mann mit den gezackten, roten Haaren zu der am Boden liegenden Zeitung, hob sie auf und umklammerte sie erneut.
„Hast du die Nachrichten noch nicht gelesen, Lucky Lou?“ entgegnete er dem Unteroffizier rhetorisch. Wohlwissend, dass er es noch nicht getan hatte, da es schließlich seine Aufgabe war die aktuelle Zeitung zu besorgen und zu den Offizieren, wie auch zum Kapitän, zu bringen, damit die Bande so immer wusste, was auf der Welt vor sich ging.
„Was hat Ruffy jetzt schon wieder angestellt?“ ertönte plötzlich eine weitere, ihm wohlvertraute Stimme. Ein großgewachsener Mann, der ein schwarzes Shirt und darüber einen blauverzierten Umhang trug, trat aus einem der nahegelegenen Büsche hervor, in dem er sich zuvor erleichtert hatte. In seinem Mund steckte ein angezündeter Zigarillo.
„Es geht nicht um den Strohhut, Vize-Kapitän Ben Beckman. Sehen Sie sich das an“, erwiderte Rockstar, ehe er das Zeitungsblatt aufschlug und das Titelblatt enthüllte. Das Bild zog augenblicklich die Aufmerksamkeit von Ben Beckman, wie auch von Lucky Lou auf sich. Ebenso wie der Titel, der sie jedoch nicht annähernd so fassungslos stimmte, wie ihren jungen Kameraden.
„Die Blaue Sturmböe – Ex-Mitglied der Rothaarpiraten: Hayate ist zurück!“ verlas der Stellvertreter, ehe er sich dem darunter folgenden Fließtext widmete.
„Der Kapitän muss davon erfahren“, warf Rockstar lautstark ein, doch eine verbale Reaktion blieb aus. Der Vize-Kapitän blieb konzentriert, fokussierte sich ganz auf die verfassten Zeilen. So dauerte es auch nicht lange, bis er sie ausgiebig studiert hatte. Zur großen Verwunderung des Frischlings verzog dieser jedoch keine einzige Miene, die ihm Aufschluss über dessen Gefühlszustand gewährt hätte. Stattdessen behielt er die Fassung, ließ sich nichts von jener Angst anmerken, die ihn selbst nun schon seit einigen Minuten, die sich für ihn wie Stunden anfühlten, durchströmte.
„Du hast recht, der Kapitän muss davon erfahren“, erwiderte er schlussendlich, ehe er den letzten Rest seines Glimmstängels auf seiner Handfläche ausdrückte, ihn entsorgte und sich kurzerhand den nächsten Zigarillo anzündete.
Gemeinsam betraten sie die Lichtung. Einzelne Zelte waren inmitten der Wildnis errichtet, überall standen leere, sowie auch volle Fässer herum. Aus manchen von ihnen zapften sich einige Männer ein frisches Bier, andere wiederum dienten ihnen als halbwegs bequeme Sitzplätze, während sie ihre Krüge, ein ums andere Mal, leerten. Auf einem dieser Fässer saß ein Mann mit tiefrotem Haar, dessen linke Schulter von seinem schwarzen Mantel verdeckt wurde. Vor ihm loderte ein Lagerfeuer, das sie unlängst entzündet hatten, als sie bemerkten, dass die Sonne allmählich unterging. Einer seiner Gefährten saß vor den Flammen. In seinen Händen eine Gitarre haltend, mit der er eines von vielen Liedern anstimmte, die in dieser, wie auch in unzähligen weiteren Nächten, die da kommen würden, ertönen sollten. Die Faszination stand dem Kapitän förmlich ins Gesicht geschrieben, als er beobachtete wie geschickt sein Kamerad im Umgang mit den Seiten des Musikinstruments umgehen konnte. Und auch wenn er es sich nicht anmerken ließ, so war ihm der Tumult, den Rockstar zuvor veranstaltet hatte, keineswegs entgangen. Ebenso wenig entging ihm, dass sich jener, junger Pirat unweigerlich auf ihn zubewegte. Gemeinsam mit Ben Beckman und Lucky Lou, zwei seiner ältesten und treuesten Weggefährten.
„Was hat die Aufregung zu bedeuten?“ kam es schließlich mit nüchterner Stimme über die Lippen des Mannes, dessen linkes Auge eine markante Narbe zierte. Ohne ein Wort zu sagen breitete Rockstar das Titelblatt der aktuellen Zeitung vor den Füßen seines Kapitäns aus. Dieser warf einen kurzen Blick auf das Papier, als er plötzlich erschrak. Seine Augen weiteten sich vor Verwunderung. Zum Lesen kam er nicht, sein Blick richtete sich voll und ganz auf das Bild, das über den geschriebenen Zeilen thronte.
„Das … Das glaub ich ja nicht“, kam es über seine Lippen. Worte, die den nervösen, wie verunsicherten Rockstar einmal mehr dazu bewegten hervorzutreten und seine Bedenken nun direkt an seinen Kapitän zu richten.
„Was sollen wir jetzt tun? Wenn es wirklich stimmt, was der Artikel sagt, dann könnten wir uns schon bald in unmittelbarer Gefahr befinden“, sprach er frei heraus, was er dachte. Doch auf eine direkte Reaktion des Rothaarigen musste er vergeblich warten. Stattdessen vernahm er nur ein leises Seufzen, das seinem Vize-Kapitän über dessen Lippen wich. Dann erhob sich sein Kapitän. Schweigend distanzierte sich dieser vom Lagerfeuer. Seinen Kameraden blieb dies nicht verborgen, ihre Blicke ruhten nunmehr auf ihn. Die Musik verstummte, das Getuschel der Männer tat es ihr gleich. Der Rothaarige senkte den Kopf gen Boden, sein Körper begann zu beben. Rockstar wollte einen Schritt auf ihn zu gehen, in dem Wissen lebend, dass ihn diese Neuigkeiten offenkundig aufgebracht hatten. Die Hand von Ben Beckman, die auf seiner Schulter ruhte, hinderte ihn jedoch daran. Verwundert sah er zu ihm herüber, ließ seinen Blick dann wieder zu seinem Kapitän schweifen. Dieser hatte sich inzwischen gefangen. So glaubte er zumindest. Widererwarten schien er jedoch nicht geschockt, geschweige denn besorgt zu sein. Ganz im Gegenteil. Lautstarkes Gelächter begann die Nacht zu erhellen. Umgehend griff der rothaarige Mann sich einen der leeren Krüge, befüllte ihn bis zum Rand mit Starkbier und kippte sich das ganze Getränk mit nur einem Schluck in den Rachen, ehe er sich nachschenkte. Und seine Bande stimmte in seine Freude ein. Zur großen Verwunderung von Rockstar, der mit vielem gerechnet hatte, aber nicht damit. So verstand er nicht, wieso sich der Kapitän so über einen besorgniserregenden Bericht wie diesen zu freuen schien. Denn sollte es stimmen, was dort geschrieben stand, dann würde dies bedeuten, dass die Marine schon bald aktiv nach ihnen suchen und jagen würde. Woher rührte also diese Hochstimmung?
„Du bist noch nicht lange dabei. Deswegen hast du Hayate auch nie kennengelernt. Denn wenn du es hättest, dann wüsstest du, dass an diesem Bericht nichts dran ist“, wandte sich plötzlich ein Mann mit braunem Haar an ihn, der stets ein Gewehr mit sich führte.
„Yasopp“, begann er, wurde jedoch augenblicklich von eben jenem unterbrochen.
„Wenn man lange genug dabei ist, dann lernt man eine echte Nachricht von einer Falschen zu unterscheiden. Vor allem dann, wenn die verbreiteten Informationen über Dinge handeln, die einen selbst direkt oder indirekt betreffen. In diesem Fall scheint die Weltregierung einmal mehr Druck auf die Medien ausgeübt zu haben, um freierfundene Lügen zu verbreiten, damit das eigene Image gewahrt werden kann.“
„Aber wie könnt ihr euch da so sicher sein?“
„Von Hayate haben wir nichts zu befürchten. Er mag zwar nur sechs Jahre bei uns gewesen sein, doch gibt es kaum einen Mann, dem unser Kapitän mehr zugetan war, als ihm“, schaltete sich nun auch Ben Beckman ein weiteres Mal in die Diskussion ein. Fragend musterte Rockstar seinen Vize-Kapitän, unfähig die einzelnen Puzzlestücke, die die erfahrenen Piraten vor ihm ausbreiteten, zu einem großen Ganzen zusammenzufügen.
„Hayate war zwar nicht so lange Teil unserer Mannschaft, wie es die meisten anderen sind. Doch in diesen Jahren entstand zwischen ihnen ein Band, das nicht mehr durchbrochen werden kann. Sie respektierten einander, schauten zueinander auf. Fast so, als wären sie Brüder.“
Noch immer tat sich der Jungspund schwer damit zu begreifen, wieso er offenbar der Einzige war, der die Situation ernst nahm. Doch bevor er weitere Gedanken an das sich scheinbar anbahnende Desaster verlieren konnte, ertönte die erheiternde Stimme seines Kapitäns.
„Ich wusste immer, dass ihn das Impel Down nicht halten könnte. Wenn es jemandem gelingen würde dieser Hölle zu entkommen, dann ihm!“
Die ganze Bande war in Hochstimmung. Eng umschlungen feierten sie ausgiebig die Rückkehr eines Mannes, mit dem sie einst Seite an Seite gekämpft hatten. Für gewöhnlich brauchten sie keinen Grund zum Feiern. Wenn sie jedoch einen hatten, dann wurde jede Nacht zum Tage. Zum Schlafen würde an jenem Tag niemand von ihnen kommen. Rockstar jedoch konnte die Sorglosigkeit der Mannschaft noch immer kaum begreifen. Und dass obwohl er nun auch schon seit einigen Jahren mit ihnen reiste. Doch so etwas hatte er noch nicht erlebt.
„Wie könnt ihr euch da so sicher sein? Seht euch das Bild an. Es zeigt doch ganz eindeutig, dass er mit der Marine gemeinsame Sache macht. Vielleicht sind die genauen Details erfunden, doch dieses Foto beweist doch, dass da irgendetwas dran sein muss!“ versuchte Rockstar erneut an die Vernunft seiner Kameraden zu appellieren. Doch hätte er es besser wissen müssen. Denn auch dieses Mal erntete seine Missgunst nichts weiter, als ein verneinendes Kopfschütteln.
„Glaub mir, Hayate weiß besser als die meisten anderen, was die Marine, was die Weltregierung, wirklich ist. Er wird seine Gründe haben, wenn er sich mit einer Gruppe von Marinesoldaten zusammenschließt. Doch werden seine Beweggründe nichts mit uns zu tun haben. Dessen kannst du dir sicher sein. Jedoch …“, geriet der Vize-Kapitän kurz ins Stocken, zog dabei einmal mehr kräftig an seinem Glimmstängel. Eine dramatische Pause, mit der er Rockstar am Haken hatte. Das wusste er. Umso mehr genoss er den kurzen, aber umso kräftigeren Zug, ehe er den eingeatmeten Rauch auspustete.
„Gut möglich, dass er es uns eines Tages selbst detailliert erzählen wird. So wie ich ihn kenne, wird er sich das nicht nehmen lassen wollen.“
„Kommt schon, ihr drei Miesepeter dahinten! Trinken wir auf unseren Waffenbruder!“ rief Shanks seinem Vize-Kapitän, wie auch seinem Meisterschützen und Boten zu. Ben Beckman und Yasopp schmunzelten kurz, ehe sie sich ihren Kameraden anschlossen und, gemeinsam mit ihnen, ein erheiterndes Lied anstimmten. Rockstar blieb zunächst fassungslos, schloss sich dann allerdings ebenfalls der Feier an. Zögerlich, widerwillig und geplagt von Restzweifeln.
„Was wird er wohl als Nächstes tun, Kapitän?“
„Wer weiß das schon, Lucky Lou? Aber ich würde ihn nur zu gerne mal wiedersehen!“
Zärtlich strich der Samurai dem kleinen Beagle über sein weiches Fell. Seiner zaghaften Geste folgte ein kräftiges Schwanzwedeln des Vierbeiners.
„Eigenartig“, wandte sich Nathan dem Mann zu, wegen dem seine Ausbilderin Inbegriff war ihren Dienst bei der Marine zu quittieren, wodurch er eine unterbewusste Abneigung dem Schwertkämpfer gegenüber aufbrachte.
„Normalerweise ist er Unbekannten nicht besonders zutraulich“, fügte er an, ehe Hayate sich von den frisch gewischten Holzplanken erhob und sich der Frau am Steuer, sowie ihrem Navigator widmete.
„Was soll ich sagen? Aus irgendeinem Grund konnte ich schon immer ganz gut mit Tieren. Weiß auch nicht wieso.“
Der missbilligende Blick des Kapitäns war ihm nicht entgegen, viel Beachtung schenkte er diesem jedoch nicht. Viel eher hätte es ihn gewundert, wenn dem nicht so wäre. Immerhin war er ein Fremder für sie. Jemand, der steckbrieflich gesucht wurde. Dass loyale Soldaten und Offiziere ihm da mit Missgunst begegneten, war für ihn nur folgerichtig.
„Ich bin jetzt also euer Spitzel, ja?“ richtete er das Wort letztlich an die Frau mit feuerrotem Haar.
„Überrascht dich das etwa? Mich jedenfalls nicht. Lediglich der Zeitpunkt irritiert mich etwas. Wir hätten nicht damit gerechnet, dass diese Information bereits so früh durchsickert. Eigentlich wollten wir unsere Posten erst offiziell niederlegen, sobald wir Midgard erreicht haben. Das hätte die Dinge einfacher gemacht.“
„Weil die Marine das Land nicht betreten kann, ohne einen zwischenpolitischen Konflikt heraufzubeschwören?“
„Exakt. Bevor die Weltregierung von unseren Absichten etwas erfahren hätte, wären wir auch schon außer Reichweite gewesen“, erläuterte Gweneth zähneknirschend. Der Frust darüber, dass der geschmiedete Plan fehlgeschlagen war, nagte offenbar noch immer an ihr.
„Wenn du dich da mal nicht irrst“, murmelte der Samurai leise in sich hinein. So leise, dass weder Gweneth, noch Nathan seine Worte vernehmen konnten.
„Sag mal“, begann die Vizeadmirälin dann, willens ihr Gespräch in andere Bahnen zu lenken.
„Was hat es denn nun eigentlich mit dem Steckbrief von Kyra auf sich? Ich meine, wer ist sie? Und wieso will die Regierung sie ausschließlich lebendig haben?“
Worte, die den Samurai ins Grübeln brachten. Denn anders als Brios, kannte er die Frau, die neben ihm stand, nur zu gut. Auch wenn sie sich 16 Jahre nicht gesehen hatten, so waren die Erinnerungen, die er an ihre gemeinsame Zeit hatte, doch durchweg geprägt von gegenseitigem Vertrauen und Respekt. Sich ihr anzuvertrauen war daher ein Schritt, den er ernsthaft in Erwägung zog. Und dennoch zögerte er, denn das, was er zu sagen hätte, wäre von besonderer Brisanz. Es war ein sehr persönliches Thema, für dessen Aufarbeitung man sowohl den richtigen Ort, als auch Zeitpunkt abpassen musste. Und er sah weder das Eine, noch das Andere als gegeben an.
„Kyra und ich haben viel zusammen erlebt. Acht Jahre haben wir gemeinsam verbracht, eines davon im Impel Down. Den Tag, an dem ihre wahre Identität ans Tageslicht kommt, habe ich immer gefürchtet. Ich wusste, dass es irgendwann soweit kommen würde, doch hatte ich immer gehofft, dass ich bei ihr wäre, sowie die Zeit gekommen ist. Auch deswegen ist es von besonderer Bedeutung für mich, dass sie ebenfalls nach Midgard reist. Jetzt, wo die Weltregierung um ihre Existenz weiß, wird sie alles daran setzen, sie zu finden. Und durch die auferlegte Isolation des Landes, kann es momentan für sie kaum einen sichereren Ort geben. Wobei Sicherheit in diesen Tagen überaus selten geworden ist“, begann Hayate zu erläutern, ohne jedoch wirklich konkret zu werden. Denn das wollte er auch gar nicht. Trotz des Vertrauensverhältnisses zwischen ihm und Gweneth, war dies eine Problematik, über die er sich noch nicht zu viele Gedanken machen wollte.
„Wie dem auch sei, das ist nichts, womit du dich derzeit aufhalten musst. Mach dir also bitte keine Sorgen. Ich kümmere mich um darum. Nur wohl etwas früher, als ich es ursprünglich geplant hatte. Aber das ist ja etwas, womit du dich ja inzwischen auch auskennen dürftest“, führte Hayate schlussendlich aus, nachdem er bemerkt hatte, wie er sich, einmal mehr, drohte in seiner eigenen, verworrenen Gedankenwelt zu verlieren.
„Sind wir noch auf Kurs?“ lenkte er sogleich ab, was ihm ein kurzes Nicken der Vizeadmirälin einbrachte, die zwar wenig begeistert zu sein schien, es zähneknirschend jedoch hinnahm, dass der Samurai sich in Schweigen und kryptischen Andeutungen hüllte. Denn sie wusste, dass sie nichts aus ihm herausbekommen würde. Es sei denn er wäre bereit zu reden. Doch das war er nicht.
„Ich finde immer noch, dass wir Brios davon erzählen sollten. Es wird ihm gar nicht gefallen, dass wir das über seinen Kopf hinweg entschieden haben“, gab die Frau mit feuerrotem Haar zu bedenken, was Hayate ein kurzes, verächtliches Schnaufen abrang.
„Nun, er und ich haben uns zuletzt zwar etwas angenähert, aber ich habe momentan weder die Zeit, noch die Lust mich auf eine weitere, sinnfreie Debatte mit ihm einzulassen. Nichts für ungut, aber der Kerl redet eindeutig zu viel.“
„Nichts für ungut, aber du redest nicht genug“, brachte Gweneth ihren Unmut darüber, dass der Samurai offenbar nicht nur Brios, den er kaum kannte, sondern auch sie über solch offenkundig bedeutsame Dinge, wie die besondere Stellung und Bedeutung von Kyra, im Unklaren lassen wollte.
„Selbst wenn ich’s ihm sagen wollen würde, ich glaube, dass Brios gerade ganz andere Dinge hat, die ihn beschäftigen. Ich will mir gar nicht ausmalen, wie der neue Großadmiral auf die Nachricht reagiert hat, dass drei seiner besten Vizeadmiräle sich mit einem ehemaligen Mitglied der Rothaarpiraten verbündet haben“, entgegnete Hayate ihr. Ohne eine Miene zu verziehen, schluckte er die anmaßende Bemerkung seiner Vertrauten runter. Wenigstens für den Augenblick.
„Was zum Teufel hast du dir dabei gedacht, Brios?!“ hallte eine tiefe, raue Stimme durch die kleine Teleschnecke, die auf dem maroden Tisch des Vizeadmirals stand. Inmitten seiner Kajüte, in der sich sonst nichts weiter befand, als eine einzelne Hängematte. Eine äußerst bescheidende Unterkunft für einen hochdekorierten Offizier des Marinehauptquartiers.
„Gweneth, Stellan und du werdet euch unverzüglich im Hauptquartier für eine Befragung einfinden. Die Weltregierung mag eure Intentionen verschleiert haben, doch eure Schuld bleibt bestehen!“
„Ich lehne ab.“
Die Wut, die in dem Mann am anderen Ende der Leitung brodelte, kochte bei diesen trockenen und nüchternen Worten geradezu über. Wie ein Vulkan, der ausbrach. Die impulsiven Emotionen des Zornes waren nicht mehr nur in seiner Stimme, sondern auch in der Mimik der Teleschnecke deutlich erkennbar, die der Vizeadmiral vor sich sah.
„Das war keine Bitte! Verweigert ihr den Befehl, so werde ich nicht zögern euch offiziell auf die Fahndungsliste zu setzen. Hast du das verstanden?!“ fauchte der Großadmiral seinen Untergebenen an, den die Worte, wie auch die Aggressivität seines Vorgesetzten, vollkommen kalt ließen.
„Du scheinst es noch nicht so ganz begriffen zu haben, Sakazuki … Wir sind fertig mit der Marine. Wir sind fertig mit der Regierung. Das hier hat weder etwas mit euch, noch mit den Piraten zu tun. Aber das scheint ihr nicht begreifen zu wollen. Es geht nicht um euch. Es geht um etwas vollkommen Anderes. Etwas, was sich deinem eingeschränkten Horizont entzieht“, erwiderte Brios ihm mit ruhiger, gelassener Stimme in dem Glauben, dass sein Vorgesetzter noch wütender ohnehin nicht mehr werden konnte. Doch diese Annahme sollte sich alsbald als Irrtum entpuppen. Mit einem Mal fuhr dieser ihn so lautstark an, sodass der Vizeadmiral kurz befürchtete, das gesamte Oberdeck könnte womöglich den Worten des Großadmirals folgen.
„Mäßige dich, Brios! Das ist die letzte Chance. Für dich, wie auch für deine Mitverschwörer. Andernfalls werde ich euch sofort eures Amtes entheben und alle verfügbaren Einheiten mobilisieren, um euch dingfest zu machen. Und sei versichert, dass es mir vollkommen egal ist, ob man mir eure Körper lebendig oder tot aushändigt!“
„Tu, was du nicht lassen kannst. Wir haben erreicht, was wir erreichen wollten. Unsere Titel haben ihren Wert verloren. Wir sind auf unseren Rang, auf unsere Reputation und auf unsere Privilegien nicht länger angewiesen. Betrachte dieses Gespräch daher als unser aller Kündigung.“
Dies waren die letzten Worte, die Brios mit seinem Vorgesetzten auszutauschen gedachte. Er spürte, wie der Zorn des Großadmirals drohte sich in puren Hass zu wandeln. Eine weitere Schimpftirade stand kurz bevor, doch das kümmerte ihn nicht weiter. Er hatte gesagt, was er zu sagen hatte. So legte er auf, ließ sich für einen kurzen Moment in die Lehne seines Schreibtischstuhls zurückfallen, ehe ihm ein lauter Seufzer über die Lippen wich. Er schloss die Augen, willens das hitzige Telefonat innerlich zu verarbeiten, doch diese Zeit gewährte man ihm nicht.
„Land in Sicht!“ ertönte plötzlich die Stimme von Stellan, was ihn aufhorchen ließ. Ohne zu zögern erhob er sich von seinem Stuhl und eilte aus seiner Kajüte heraus. Die Vorfreude darauf endlich wieder seine Heimat zu sehen, übermannte ihn. Er konnte es kaum mehr erwarten, obwohl er wusste, dass ihre Heimkehr kaum Grund zur Freude war.
„Dieser Mistkerl!“ fluchte Sakazuki in seinem pompösen Büro, während er zu der Stelle blickte, an der sich zuvor noch sein Schreibtisch befunden hatte. Dieser war in sich zusammengebrochen. Unter der Kraft seines Magmaarms zerbarstete das Holz, ehe die Hitze es in Kohl und Asche verwandelte.
„Informiert sofort alle verfügbaren Einheiten, die in unmittelbarer Nähe von Midgard patrouillieren. Lasst auf keinen Fall zu, dass sich die Cyanid der Insel nähert. Brios, Stellan und Gweneth dürfen das Land unter keinen Umständen betreten. Ist das klar?!“ fuhr der Großadmiral den Marinesoldaten an, der vor ihm aufrecht stand und salutierte, wenngleich die Angst ihm förmlich ins Gesicht geschrieben stand. Dicke Schweißperlen am ganzen Körper, sowie das Beben sämtlicher Gliedmaßen verrieten seine Furcht vor einem Tobanfall des jähzornigen Großadmirals, der ihm das Leben kosten würde, sollte er seine Aggressionen nicht länger auf tote Gegenstände, sondern stattdessen auf ihn entladen. Zu seinem Glück kam es dazu jedoch nicht. So verließ er kurzerhand das Büro des Oberbefehlshabers und tat sogleich, wie man ihm aufgetragen hatte.
Dichter Rauch stieg zum Himmel auf. Kanonenkugeln schlugen unaufhörlich in die heruntergekommenen Häuser ein, brachten sie zum Einsturz. Die verzweifelten Schreie derer, die in den Trümmern begraben, von den Flammen erdrückt oder durch den Qualm erstickt wurden, hallten unaufhörlich in ihren Gedanken wider. Es quälte sie, dass sie diesen Menschen nicht helfen konnte. Doch sie wusste, dass sie sich von diesem Schmerz nicht beirren lassen durfte. Sie wusste, dass sie nicht alle retten konnte. Dies zu glauben war utopisch und realitätsfremd. Das wusste sie besser, als es wohl die meisten anderen taten. Und so schritt sie selbstbewusst voran, ihr Ziel immer klar vor Augen. Ein pompöser Palast, fernab der Verwüstung, des Chaos und des Schreckens.
Um sie herum scharrten sich immer mehr Bewohner des Landes. Die Mistgabeln und Fackeln gen Himmel reckend, während neben ihr eine Frau marschierte, deren Haar ebenso violettfarbend war, wie ihr Eigenes. Die junge Frau, die neben ihr marschierte, hielt indes eine auffällige, rötliche Fahne in ihrer rechten Hand, auf der das Wappen der Revolutionsarmee aufgedruckt war.
„Wehrt euch gefälligst auch selbst, wertloser Abschaum“, sprach die Revolutionärin, in deren Mundwinkel eine Zigarette qualmte zu den Einwohnern, die sich weiter um die beiden Frauen scharten. Und so handelten sie, wie von ihnen gefordert. Die wenigen Soldaten, die noch den Mut und die Kraft zum Kämpfen aufbringen konnten, wurden sogleich vom wütenden Mob niedergerungen. Deren Angriffslust erlosch jedoch sogleich wieder, als sie, wie auch die beiden Revolutionärinnen, bemerkten, wie sich hunderte von einheimischen Soldaten auf sie zubewegten. Ihre Waffen gezückt, schien ihr Auftrag eindeutig zu sein. Der von den beiden Frauen angezettelte Aufstand sollte zerschlagen werden. Notfalls auch mit noch mehr ausgeübter Gewalt gegen die Zivilbevölkerung, als es die heimische Armee ohnehin schon seit Jahren praktizierte.
„Gut, ich fürchte das könnte zu viel für sie sein … Also, worauf wartest du noch, Saga?“ fragte Belo Betty ihre Gefährtin, während sie dieser nur einen fragenden Blick entgegenwarf. Diese rhetorische Frage ihrer Kommandantin war alles, was sie hören musste. Was sie hören wollte. Die Frau mittleren Alters, deren Kleidung ebenso violett wie ihr Haar war, hielt plötzlich inne. Ihre Befehlshaberin, wie auch die rebellierenden Zivilisten, taten es ihr gleich. Doch die Soldaten schritten weiter voran, kamen mit jeder Sekunde, die verstrich, den Rebellen und Revolutionären bedrohlich näher. Beirren ließ sie sich davon jedoch nicht. Sie schloss ihre Augen. Ein lilafarbener Schleier umhüllte ihre Fäuste, ehe sich diese Aura über ihren gesamten Körper ausbreitete. Kleine Steinbrocken, wie auch größere Trümmer, die sich in ihrer unmittelbaren Umgebung befanden, begannen plötzlich zu schweben. Mit einem Mal riss sie ihre Augen wieder auf, ihre Iris funkelte ebenso violett, wie es ihr Körper nunmehr tat. Blitzartig rasten die umhertreibenden Steine auf die marschierenden Soldaten zu. Unfähig dem etwas entgegenzusetzen, wurden vereinzelte Männer von der immensen Wucht dieses Angriffs erfasst und niederschmetternd zu Boden gerissen. Wieder andere von ihnen, die von größeren und massiveren Trümmern erfasst wurden, wurden gar vollständig unter ihnen begraben und zerquetscht. So wie jener Schutt auch so viele, unschuldige Bürger des Landes verlocht hatte. Jene, die von ihrem Angriff verschont geblieben waren, reagierten zunächst geschockt auf ihre Kräfte, ließen sich davon jedoch nicht allzu lange beirren. Stattdessen stürmten sie lauthals auf sie zu. Die rebellischen Bürger machten sich kampfbereit, wurden von Belo Betty jedoch zurückgehalten.
„Ihr Versager habt bereits genug getan, dieser Kampf gehört ihr“, gab sie den Menschen zu verstehen. Bevor jene reagieren konnten, stürmte Saga auf die heraneilenden Soldaten zu. Dies geschah so schnell, dass keiner der Anwesenden überhaupt wahrnehmen konnte, was vor sich ging. Sie konnten es lediglich anhand erzeugter, nebelähnlicher Formen erahnen, die ihre Bewegungen wie eine Spur hinterlassen hatten. Es wirkte fast so, als würde sie ihren eigenen Körper in Richtung der Soldaten schleudern. Und so traf ihre geballte, schwarzverfärbte Faust einen der vordersten Kämpfer des Königs mit aller Kraft, noch bevor dieser überhaupt wusste, wie ihm geschah. Eine gewaltige Druckwelle entstand, die die umliegenden Soldaten von den Beinen riss. Ihre violette Aura hatte sich indes noch immer nicht gelegt, breitete sich erneut über ihre Umgebung aus und erfasste nunmehr nicht mehr den Schutt, sondern stattdessen jene Männer, die von ihrem zuvor verursachten Druck zu Boden gerissen worden waren. Ziellos trieben sie in der Luft umher, unfähig sich aus der Schwerelosigkeit zu befreien. Ruckartig riss Saga ihre Arme gen Himmel. Die umhertreibenden Soldaten taten es ihrer Bewegung unwillentlich gleich. Blitzschnell wurden ihre Körper in die Höhe geschossen.
All jene, die von ihren Angriffen bislang verschont geblieben waren, waren wie gelähmt. Sie waren völlig starr vor Angst. Ihre Münder standen weit offen, dicke Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Haut. Sie wussten nicht, wie ihnen geschah. Sie wussten nicht, wie sie jemandem wie ihr gewachsen sein sollten. Es dauerte einige Augenblicke, bis einer von ihnen schließlich seinen letzten Mut zusammenfasste. So richtete er den Lauf seines Gewehrs auf sie aus, zielte auf ihren Kopf und drückte nach kurzzeitigem Zögern den Abzug. Die Kugel sauste auf sie zu, kam jedoch zum Erliegen, noch bevor sie ihren Körper erreichen konnte. Der violette Schleier, der sie umgab, umhüllte nunmehr auch die Kugel, die sogleich vor ihren Augen ziellos in der Luft umhertrieb. Dann legte sich jene Aura, woraufhin die Patrone zu Boden fiel. Ein flüchtiges, verschmitztes Grinsen wich ihr über ihre Lippen, als sie ihre Arme mit einer ähnlich ruckartigen Bewegung nach unten riss, wie sie sie zuvor noch nach oben bewegt hatte.
Leise Schreie waren zu vernehmen. Schreie, die immer lauter und intensiver zu werden schienen. Irritiert sahen die königlichen Truppen sich um, bis sie schließlich realisierten, woher die Rufe kamen. So richteten sie ihre Blicke gen Himmel, wo sie unzählige, kleine Punkte zu erkennen glaubten, die von Augenblick zu Augenblick größer zu werden schienen. Solange, bis sich Umrisse und Formen zu erkennen gaben. Solange, bis sie begriffen, dass es ihre Kameraden waren, die wie Kanonenkugeln auf sie herabgeschossen wurden. Verzweifelt versuchten sie die Flucht zu ergreifen. Ein Unterfangen, das die Revolutionärin jedoch zu unterbinden wusste. So nutzte sie ihre telekinetischen Fähigkeiten, um eine Mauer aus Schutt und Trümmern zu erschaffen, die ihnen jedweden Fluchtweg abschnitt. Machtlos und wohlwissend, dass dieser letzte, hoffnungslose Versuch ihre Gegnerin zu töten, von keinem Erfolg gekrönt sein würde, griffen sie zu ihren Gewehren und waren Inbegriff eine Salbe an Kugeln auf sie abzufeuern, doch bevor sie den Abzug tätigen konnten, wurden auch schon die ersten von ihnen von den herabsausenden Körpern ihrer Gefährten erfasst. Das Bersten ihrer Knochen war wie Musik in den Ohren der Frau, die nicht gedachte auch nur einen dieser skrupellosen und barbarischen Männer entkommen zu lassen. Die Leichen fingen an sich zu stapeln, der Boden war blutrot getränkt und die nach Hilfe rufenden Schreie verstummten. Einer nach dem anderen. Bis es still wurde. Totenstill.
„Gute Arbeit, Saga“, wusste die Kommandantin der Ostarmee die unbehagliche Stille zu beenden.
„Wir sind noch nicht fertig“, entgegnete ihre Gefährtin ihr, den Blick noch immer zielstrebig auf den pompösen Palast gerichtet, der auf der Anhöhe vor ihnen thronte. Sie strich sich mit dem rechten Daumen über ihre Lippen, wischte sich vereinzelte Bluttropfen ihrer Feinde von den Mundwinkeln, und schritt dann voran. Ohne eine Miene zu verziehen, ohne auch nur einen Hauch von Reue zu verspüren, stolzierte sie über die lauwarmen Kadaver der gemeuchelten Soldaten. Revolutionäre, wie auch rebellierende Bürger folgten ihr.
„Eure Hoheit, soeben ist der Kontakt zu unserem Bataillon abgerissen“, erstattete ein Mann in schimmernder Rüstung dem jungen Regenten, auf dessen Kopf eine goldene Krone ruhte, während er einen eleganten Pelzmantel trug, Bericht.
„Unmöglich. Versucht es noch einmal, wir müssen …“.
Seine panische Ansprache wurde plötzlich von einem lauten Geräusch unterbunden, das vor seinen Toren ertönt war. Ein gewaltiger Knall, fast wie ein Donnerschlag, der gegen die massiven Mauern seines Palastes geprallt war. Dieses Scheppern wiederholte sich einige Male. Und mit jedem weiteren Schlag konnten der König, wie auch seine ihm noch verbliebenen Untergebenen, deutlich erkennen, wie die Tore des Schlosses sich immer weiter zu verbiegen schienen. So als würde jemand versuchen es mit Gewalt aufzustemmen. Ein unheilvoller Verdacht, der sich sogleich bestätigen sollte. Denn ein letzter Schlag zertrümmerte die massiven Tore und beförderte sie ins Innere des Palastes, wo ihre bröckligen Trümmer zu Boden krachten.
Ein kleiner Trupp an Soldaten sammelte sich sogleich vor dem Thron. Die letzte Verteidigungslinie. Ein letzter, verzweifelter Versuch ihren König zu beschützen. Ihre Pflicht zu erfüllen. Ihre Angst jedoch war unverkennbar. Auch ihre, durch ihre Ritterhelme verdeckten, Gesichter vermochten ihre Furcht nicht zu verbergen. Ihre Körper bebten, ihre Schwerter und Speerspitzen rasselten aneinander. Sie wussten um die Ausweglosigkeit ihrer Situation.
Herein traten nunmehr zwei attraktive Frauen mit violettem Haar, die sich im pompösen Thronsaal nur neugierig umsahen. Bis sie die goldene Krone erspähten, die hinter dem kleinen Trupp zu funkeln schien.
„Überlegt euch eure nächsten Schritte jetzt ganz genau. Mehr als eine Chance bekommt ihr nämlich nicht von uns“, gab Saga den zitternden Soldaten unmissverständlich zu verstehen, während ihr Körper in ihrem unheilvollen, lilafarbenen Schleier gehüllt wurde. Nervös blickten sie einander an, ehe sie ihre Entscheidung bedeutend schneller trafen, als es die beiden Revolutionären vermutet hätten. So ließen sie ihre Waffen sogleich fallen, ehe sie vor den beiden Frauen auf die Knie fielen und um Gnade flehten.
„Verräter!“ brüllte der amtierende König wutentbrannt, bis ihn ein kleiner Steinbrocken, mit erstaunlicher Rasanz, im Gesicht traf und in die dunkle Umarmung der Ohnmacht beförderte.
„Was soll das werden? Wisst ihr überhaupt wer ich bin?“ fauchte der gestürzte König die beiden Revolutionären an, die derweil eine Bilanz über verlorene Soldaten, wie auch gewonnene Ressourcen aufstellten, die sie in ihrem Kampf mit der Weltregierung fortan unterstützen könnten.
„Ihr seid König Agenor III. Ihr habt Euch vor vier Jahren zum König von Delos ausgerufen, nachdem Ihr Euren eigenen Vater hintergangen habt. Nachdem er nicht länger bereit war das wahre Gesicht der Weltregierung zu erdulden, war er willens sich unserer Sache anzuschließen. Denn er wollte, dass sein Volk nicht länger, durch das von den Weltaristokraten verhängte Himmelsgeld, ausgebeutet wird. Er wollte seinen Bürgern helfen. Ihr jedoch nicht. Euch ist das Allgemeinwohl völlig egal. Ihr habt darin einfach nur eine Möglichkeit gesehen, um selbst die Macht zu ergreifen, in dem Ihr Euch direkt an die Weltregierung gewandt habt. Ihr habt damit den Anlass dafür gegeben, dass die Weltaristokraten der Cipherpol den Auftrag erteilten, Euren Vater zu meucheln, wodurch Ihr Euch den Thron sichern konntet. Also ja, wir wissen ganz genau, wer Ihr seid“, entgegnete Saga ihm nur mit ruhiger Stimme, während sie das Geld zählte, das sie aus seinen Schatzkammern bergen konnten und gedachten dem gebeutelten Volk zurückzugeben.
„Dann wisst ihr jawohl auch, was euch blüht, wenn ihr mich nicht sofort losmacht und aus meinem Land verschwindet!“ klammerte sich Agenor an den letzten Funken Hoffnung, den er noch in seinem ausgelaugten Körper trug, während seine Glieder, die x-förmig an die Wand seines Thronsaals gekettet waren, immer schwerfälliger wurden.
„Falls Ihr es noch nicht bemerkt haben solltet, wir fürchten den Konflikt mit der Weltregierung nicht. Ganz im Gegenteil sogar, wir begrüßen ihn“, erwiderte Saga ihm, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen. Der Funke, er erlosch sogleich.
„Wo du’s gerade ansprichst“, wandte sich Belo Betty nunmehr ihrer Kameradin zu.
„Ich habe soeben einen Anruf von Karasu erhalten. Offenbar sollen sich alle Kommandanten und Offiziere zeitnah auf Momoiro Island einfinden. Die diesjährige Reverie steht kurz bevor.“
Ein breites, freudiges Grinsen wich Saga über ihre vollen Lippen.
„Wurde auch Zeit. Ich kann’s kaum erwarten Faol endlich wiederzusehen!“
Worte, die ihre Kommandantin aufhorchen ließen.
„Hast du’s noch gar nicht gehört?“
„Was denn?“ hakte Saga irritiert nach.
„Faol hat vor wenigen Wochen um seine Freistellung gebeten. Konkretes über seine Beweggründe hat er uns verschwiegen. Wir wissen nur, dass es persönliche Gründe hat und er sich auf den Weg nach Midgard gemacht hat. Eine Nation, die sich außerhalb jedweder Zuständigkeit befindet.“
Ein flüchtiger Schauder überkam die Offizierin. Gänsehaut überkam sie, ihre Augen weiteten sich.
„Sagtest du gerade Midgard?“
In heller Erwartung sein Heimatland zu erblicken, eilte Brios enthusiastisch an Deck der Cyanid. Seine Überschwänglichkeit schlug jedoch sogleich in Ernüchterung um, als seine Augen seine Hoffnungen untergruben. So erspähte er nicht seine Heimat, sondern stattdessen eine kleine, unscheinbare und offenbar verlassene Insel, die sich mitten im Nirgendwo zu befinden schien. Keine Flora, keine Fauna. Auch keine Zivilisation. Auf diesem kleinen Fleckchen Land befand sich nichts. Absolut gar nichts. Kein einziges Lebenszeichen war zu erkennen. Ein paar vereinzelte Häuser, deren Gemäuer von Moos befallen worden waren, erspähte er zwar. Auch vereinzelte, verbrannte Fundamente, die zumindest erahnen ließen, dass es einst zivilisiertes Leben auf dieser Insel gab, waren erkennbar. Doch Lebenszeichen schien es keines zu geben.
„Was hat das zu bedeuten, Gweneth? Wo sind wir? Und vor allem, warum sind wir hier?“ wandte sich der schlanke Mann seiner Freundin zu, deren Hände das Steuerrad des Schiffes fest umschlangen.
„Ich hatte um eine kurzfristige Kursänderung gebeten. Es ist allerdings auch nur ein Umweg von wenigen Stunden, mach dir also keine unnötigen Gedanken darüber“, funkte Hayate seiner neugewonnenen Weggefährtin dazwischen.
„Sag du mir nicht, worüber ich mir Gedanken machen soll und worüber nicht. Und überhaupt, bist du nicht auf die Idee gekommen, dass ich über so etwas auch gerne frühzeitig in Kenntnis gesetzt werden würde?“ entgegnete Brios ihm mit missbilligendem, fast schon aggressiven, Unterton.
„Nun, du wirktest so, als wärst du in deiner Kajüte ausreichend beschäftigt gewesen. Da wollte ich dich nicht stören. Wie geht’s Sakazuki denn so?“, erwiderte der Samurai dem schlanken Mann mit ruhiger, nüchterner Stimme, in der Brios jedoch auch eine Spur des Spottes zu vernehmen glaubte. Dabei wirkte der Schwertkämpfer vollkommen unbeeindruckt von dem Missmut, der ihm einmal mehr vom Vizeadmiral entgegengebracht wurde. Dann grinste er verschmitzt, ehe er als Erster von Bord ging.
„Was fand Flaith bloß an diesem Kerl?” murmelte er argwöhnisch vor sich her. Laut genug jedoch, sodass Gweneth jedes Wort vernehmen konnte.
„Dir ist es noch nicht aufgefallen?“
„Was soll mir noch nicht aufgefallen sein?“ hakte er wissbegierig nach.
„Ihr seid euch ähnlich.“
Ein kurzes Schmunzeln wich der rothaarigen Frau über ihre Lippen. Freundschaftlich klopfte sie ihrem alten Kameraden auf die Schulter, ehe auch sie das Schiff verließ und das triste Land betrat. Brios blieb zunächst verdutzt zurück, folgte ihr jedoch alsbald. Mit einem solch unscheinbaren und unterbewussten Grinsen im Gesicht, dass nicht einmal er selbst das Verziehen seiner Mundwinkel wahrnahm.
An Land bestätigte sich sein Ersteindruck, den er bereits aus der Ferne gewinnen konnte, sogleich. Keine Menschen, keine Tiere. Nicht einmal Pflanzen schienen auf dieser Insel noch zu existieren. Die meisten Gebäude waren eingerissen, die Erde war verkohlt und ausgetrocknet. Das Land war unfruchtbar. Selbst wenn es noch Leben geben würde, würde es in dieser Einöde nicht lange überleben können.
In seiner langen Laufbahn bei der Marine hatte er zwar schon viel gesehen, doch eine fruchtlose Insel wie diese hatte selbst er noch nie zuvor erblicken müssen. Ein Anblick, der ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Würde dieses Land am nächsten Tag im Meer versinken, würde es niemanden scheren. Niemand würde es auch nur bemerken.
Gweneth lief einige Meter weiter vor ihm, binnen eines Wimpernschlags flanierte er plötzlich neben ihr. Sie wusste um sein immenses Tempo, hatte es schon oft genug erlebt, weshalb es sie auch längst nicht mehr zu überraschen wusste, wenn er blitzartig neben ihr erschien.
„Hast du eine Ahnung, warum wir hier sind?“ fragte Brios sie schließlich, woraufhin sie jedoch nur verneinend mit dem Kopf schüttelte.
„Stellan und ich wissen auch nichts Genaueres. Hayate sagte nur, dass der Besuch dieser Insel für ihn von entscheidender Bedeutung ist.“
„Und ihr habt trotzdem eingewilligt?“
„Natürlich. Wir kennen und vertrauen ihm. Wenn er sagt, dass er vorher hierhin muss, dann wird er schon seine Gründe haben. Irgendwann wirst auch du das verstehen können.“
„Wenn du das sagst.“
Nach einiger Zeit des stillschweigenden Fußmarsches, dem Durchqueren der abgebrannten Ortschaft und der aschebedeckten Felder, fanden sie sich schlussendlich auf einem kleinen Hügel wieder. Ein unscheinbarer Ort, an dem nicht mehr, als ein einzelner Baum wuchs. In den Schatten der Baumkrone jedoch ragten einige Steine hervor. Drei feingeschliffene Steine. Steine, die mit individuellen Gravuren verziert waren. Da realisierten sie, wo sie waren. Auf einem Friedhof.
Hayate ging auf die Knie, schloss seine Augen und erspürte die zarte Brise des lauwarmen Windes, die sein lockiges, braunes Haar aufwirbelte. Die Blätter tanzten im Wind, Brios und Gweneth verschränkten die Arme vor ihren Körpern. Sie wussten zwar nicht, wer dort begraben lag, doch zollten sie ihnen den gleichen Respekt, den sie an jedem anderen Grab ebenso erbringen würden. Sie schlossen ihre Augen, öffneten sie jedoch sogleich wieder, als Hayate das Schweigen letztendlich brach.
„Es tut mir leid“, begann er mit zittriger Stimme.
„Vor 16 Jahren habe ich nicht nur mir selbst, sondern auch dir geschworen, dass ich nie wieder nach Midgard zurückkehren würde. Doch …“.
Erneut geriet er ins Stocken. Er rang mit sich selbst. Mit seinen Emotionen. Mit seiner Trauer. Gweneth machte einen Schritt nach vorne, wollte ihm tröstend zur Seite stehen, wurde jedoch von Brios gestoppt. Auch wenn er wusste, dass seine Kameradin aus guten Absichten heraus handeln wollte, so erkannte er jedoch etwas, was sie kurzzeitig vergessen hatte. Er realisierte, dass Hayate unsagbare Schmerzen hatte. Schmerzen, die ihn seit beinahe zwei Jahrzehnten zu quälen schienen. Und er realisierte, dass er in diesem Moment keine Unterstützung brauchte. Geschweige denn wollte. Alles was er brauchte, war dieser Moment. Dieser stille Moment. Dieser einsame Moment. Auch wenn Gweneth es nicht begreifen konnte, er tat es. Er wusste, dass Augenblicke wie diese nötig waren, um wahrhaft heilen zu können.
„Einen einmal abgelegten Schwur zu brechen, ist eine Schande für einen Samurai. Ein unverzeihliches Vergehen. Das weiß ich. Doch ich gab ihm ein Versprechen. Es ist eine unerträgliche Wahl, vor die mich das Leben gerade stellt. Und auch wenn ich es vorziehen würde gar nicht zu wählen, auch wenn ich all das am liebsten einfach hinter mir lassen würde, so hab ich ihm doch mein Wort gegeben. Dieses Versprechen, dieses eine Versprechen, kann ich nicht brechen. Ich kann es nicht. Selbst wenn das bedeutet, dass ich meinen Schwur dir gegenüber brechen muss.“
Er geriet ins Stocken, seine Worte blieben ihm im Hals stecken. Er musste sich sammeln, seine Emotionen drohten ihn zu übermannen.
„Ich weiß, dass ich keine Vergebung verdient habe. Doch ich hoffe … Ich hoffe, dass du es eines Tages verstehen wirst. Ich hoffe, dass du mir Gnade erweisen kannst, wenn wir uns im nächsten Leben wiedersehen werden“, beendete Hayate seinen Monolog schlussendlich. Mit aller Kraft, die er noch aufbringen konnte. Dann griff er in das Innere seines Kimonos, holte drei Kerzen hervor, von denen er jeweils eine auf eines der Gräber stellte, bevor er sie anzündete. Dann hielt er inne, atmete einmal durch und erhob sich wieder von der vertrockneten Erde unter seinen Knien.
Stillschweigend wandte er sich von den Grabsteinen ab, ging auf die beiden Marineoffiziere zu und passierte sie. Ohne eine Miene zu verziehen. Ohne auch nur ein Wort von sich zu geben. Gweneth wollte es ihm gleichtun, wurde jedoch ein weiteres Mal von Brios aufgehalten.
„Kannst du mir vielleicht mal erklären, wovon ich gerade Zeuge geworden bin?“ fragte er seine alte Freundin, die zunächst noch einen flüchtigen Blick zu Hayate warf, um sich zu vergewissern, dass er sich außer Hörweite befand.
„Vor 16 Jahren wurde Hayate‘s Bruder ermordet“, antwortete sie ihm schlussendlich, was die Neugier in Brios jedoch nicht stillte, sondern lediglich weiter entflammte.
„Und was genau …“, begann er, wurde jedoch augenblicklich von Gweneth unterbrochen.
„Hayate ist derjenige, der seinen Bruder getötet hat.“
Geschockt blieb der Vizeadmiral an der Grabstätte zurück. Allein, denn seine Kameradin hatte nun ebenfalls den Marsch zur Cyanid angetreten. Bemüht die brisante Information, die sie ihm soeben anvertraut hatte, zu verarbeiten, ließ er seinen Blick noch einmal flüchtig zu den Grabsteinen wandern. Viel konnte er aus der Ferne nicht erkennen, doch ein Wort tauchte auf jedem dieser drei Steine auf.
„Fugetsu …“
Inmitten eines ausgetrockneten Ödlandes blickte ein Mann, der eine silberne Rüstung trug, durch ein Fernglas. Am Horizont erspähte er ein kleines, unscheinbares Schiff, das eine rotfarbene Flagge gehisst hatte. Auf dieser befand sich ein abstraktes Abbild, sowie jeweils ein aufgedrucktes R und A. Der Soldat bemerkte sogleich, dass das Schiff offenbar direkt auf ihr Land zusteuerte.
Hektisch, beinahe panisch, eilte er in eine nahegelegene, stillgelegte Werft, in der sich einige Überreste von Langbooten befanden, die auseinandergenommen und demontiert worden waren. Inmitten dieser Ruine saß eine große Gestalt, deren Gesicht von den Schatten des Inneren der Werfts bedeckt wurde, auf einem prahlerischen, hölzernen Stuhl, der aus den Trümmern der Boote geformt worden war.
„Mein Jarl, ein Schiff nähert sich unserem Hafen!“ erstattete sein unterwürfiger Bote ihm Bericht, der sogleich vor seinen Füßen auf die Knie gegangen war.
„Ein Schiff also, hmm?“ erwiderte dieser mit einer Mischung aus Argwohn und Belustigung in seiner Stimme. Dann griff er in eine kleine Schale, die zu seiner Rechten auf einem großen Holztisch ruhte. Dieser entnahm er eine rohe und ungekochte Schweinsleber, in die er sogleich hineinbiss. Blut rannte ihm über seine nach oben gezogenen Mundwinkel, während er das zähe Fleisch zerkaute.
„Wie lange ist es nun schon her, seitdem es das letzte Mal jemand gewagt hat unser Land anzusteuern? Fünf Jahre? Sechs Jahre?“ fügte er rhetorisch an, nachdem er erneut in das rohe Stück Fleisch in seiner Hand gebissen hatte.
„Worauf wartet ihr noch? Greift zu den Waffen. Bereiten wir unserem Besuch einen herzlichen Empfang!“
Ein breites Grinsen, das seine spitzen Fangzähne entblößte, die blutrot getränkt waren, machte sich auf seinen Lippen breit.
„Just as world‘s unite, so too do they part.“
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