One Piece - Golden Age (Reupload)

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    • One Piece - Golden Age (Reupload)

      Reupload der überarbeiteten und fortgeschrittenen Fanfiction. Die Geschichte erscheint ebenfalls auf Wattpad (SKLovejoy).
      Ich lade erstmal Prolog + 10 Kapitel hoch.

      Damit ihr wisst, was euch erwartet, eine kurze Beschreibung:

      Fanfiction basierend auf dem Original, aber ganz neues Setting. Vom Stil her "erwachsener" und "ernster" als das Original.

      Liken, kommentieren, Kritik, Fragen stellen usw. erwünscht! Viel Spaß und liebe Grüße!

      Prolog:

      Wir schreiben das Jahr 1720 nach Joyboy. Lodea, auf der Insel Grand Storm in Olympia, im North Blue.
      Der Wind fegt über die steilen Klippen nahe des Haupthafens Lodeas, der größten Hafenstadt des North Blue. Es herrschen zwar sommerliche Temperaturen, aber auf Grand Storm ist es immer windig bis stürmisch und es gibt wohl nirgendwo öfter Gewitter als hier.
      Ben sitzt hinter Steinen geschützt vor Wind und Regen, um sich eine Zigarette anzünden zu können, doch eine Windböe verteilt den Tabak auf dem Boden und auf seinem Schoß. Er ist ein kräftiger junger Mann, keine 20 Jahre alt, mit schwarzen fest zum Zopf gebundenen Haaren. Neben ihm sitzt der blonde Lockenkopf Yasopp und erläutert Ben einige Ideen zur gesellschaftlichen Haltung in Olympia. Lou, ein Bär von einem Mann, steift durch einen Trampelpfad auf die Gruppe zu, grüßt und beschwert sich über das Wetter. Nur einer sitzt auf den Klippen mit herunterhängenden Füßen und starrt aufs Meer. Ein junger Mann, ebenfalls keine 20, mit roten Haaren, mit Shorts und Hemd bekleidet und ohne Schuhe.
      "Der Sturm wird stärker", ruft er den anderen zu, als sei dies eine Information, die an den Klippen Grand Storms etwas Besonderes ist. "Wie gesagt, ich denke, der Kapitalismus in Olympia ist ein Problem...", ruft Yasopp den Zeigefinger schwingend gegen den heulenden Wind an.
      Schlagartig wird nun einige Minuten später der Sturm und das Gewitter heftiger. Es donnert, Blitze und der Sturm peitschen. "Ein Schiff", ruft der Junge auf den Klippen, "in Seenot!" Alle anderen blicken auf. "Es ist ein Handelsschiff, wie es aussieht aus dem Norden!" Er steht nun auf der Klippe und kneift die Augen zusammen, um besser sehen zu können, was vor sich geht. "Die Marine kümmert sich", ruft Ben ihm zu und winkt ab. "Niemals, die kümmern sich einen Dreck um Händel aus dem Norden. Bei dem Sturm fahren die niemals raus!" Ben richtet sich auf, es war wirklich heftiger geworden als gedacht. Über dem Meer, nur einige Kilometer von der Küste entfernt, sind bereits riesige Wellen zu sehen und der Himmel ist durchzogen von Blitzen. Der Donner wird nun auch lauter und kam schneller, als drehe man eine Stereoanlage auf. "Es ist getroffen", ruft der Rothaarige. In seinem Blick ist eine angsteinflößende Mischung aus Entsetzen und Enthusiasmus zu sehen. "Ich kann das nicht zulassen", ruft er. "Kommt, sie werden sonst an den Klippen zerschellen!" Lou hustet, als hätte er sich an einer Nuss verschluckt, die er knackt und sich zu Mengen in den Mund stopft, aber er schien sich nur verhört zu haben. "Was willst du dagegen...", ruft Ben noch, aber da springt Rothaar bereits beherzt von der Klippe. Ben traut für den Bruchteil einer Sekunde seinen Augen nicht, aber dann reagiert er. "Ich spring da nicht runter", schreit Lou auf. "Meinen Berechnungen nach sollte man das überleben", ruft Yasopp, als sei diese Information gerade ausschlaggebend für die Entscheidung dem Freund zu helfen, ein Schiff in Seenot vor den Klippen in einem sich auftürmenden Sturm zu retten. "Dennoch ist springen wahrscheinlich jetzt ziemlicher Selbstmord", führte er weiter aus, "da sich das Schiff wahrscheinlich erst in einigen Sekunden, wenn nicht Minuten, nah den gefährlichen Bereichen an den Klippen befindet", führt er aus. Doch zu spät für kluge Ratschlage, Ben ist seinem besten Freund bereits hinterhergesprungen.
      Das Wasser peitscht, Rothaar bekommt ein Seil des Schiffes zu fassen, nachdem er vergeblich versucht hatte, gegen die Wellen anzuschwimmen. Er ergreift das Seil und wird gegen die Planken des Schiffes gerissen. Er zieht seinen Körper zusammen, den Aufschlag spürt er kaum. Er ist bereit und greift nach dem Schiff. Seine Finger brennen, aber er hat ein Geländer des Schiffes erwischt. Er wirft sich über die Reling an Bord und versucht Halt zu finden. Nur Sekunden vergehen und er rennt auf einen Zugang unter Deck zu. Dort reißt er von der Wand eine zur Verzierung gedachte lange Klinge von der Wand. Er läuft hinaus auf das Deck. Ein Mann, den es zu Boden geworfen hat, schaut ihn entgeistert an. Ein weiterer Mann liegt regungslos einige Meter entfernt. In diesem Moment schaukelt das Schiff erneut so stark, dass der Regungslose von Bord geschleudert wird und der andere Mann versucht, sich an irgendetwas festzuhalten. Mit der scharfen Waffe bestückt rennt der Rothaarige nun los und versucht das Wanken des Schiffes so gut wie möglich auszugleichen. Die gespannten Segel sorgen dafür, dass das Schiff nahezu auf der Meeresoberfläche liegt. Mit einem wuchtigen Sprung und dem Schwung der Klinge kappt er den Tau, der das Segel hält. Das Segel wird sofort mit dem Wind davon gerissen. Nun rast das Schiff aber dennoch weiter, vom Wind mit den weiteren Segeln geschoben auf die Klippenküste vor Lodea zu. In diesem Moment sieht der junge Held seinen Kumpanen Ben, der sich das Schiffsrad packt. "So fest du kannst steuerbord!", brüllt er ihm gegen den Sturm und die Wellen zu. "Die Segel!", schreit Ben aus Leibeskräften zurück.
      Im Wasser schwimmen Crewmitglieder, Teile der Ladung und abgerissene Teile des Handelsschiffes. Auf dem Geländer sitzt ein blonder Mann und schießt eine Art Enterhaken ab, um damit einen im Wasser Treibenden an Deck zu ziehen. Als eine weitere nunmehr Riesenwelle über Deck bricht, packte ein Bär von einem Mann den an Deck Zurückgebliebenen und hat eine junge Frau unter den anderen Arm geklemmt. Die Welle reißt ihn um, aber alle drei bleiben unverletzt.
      Das zweite Segel wird abgeschnitten und Ben kann versuchen, das Schiff seitwärts gegen die Klippen zu lenken. Der Rote hat nun, trotz schaukelndem und peitschendem Sturm, den ersten Mast erklommen. Er versucht, das Segel abzuschneiden, um den Aufprall auf die Klippen zu verzögern oder zu verhindern. Als es ihm gelungen ist, springt er mehrere Meter und durchschlägt das Tau, das das hintere Segel hält, sodass das Schiff nun nicht weiter beschleunigen kann. Mit dem letzten Segel fällt er Richtung Meer. Ein Stück des herabfallenden Mastes trifft ihn an der rechten Kopfseite.

      Yasopp hat mehrere Menschen aus dem Wasser gezogen. Er wird von Deck geschleift und auf den sicheren Grund des Stegs gelegt. Er weint wie ein Schlosshund. Lou wird von zwei Matrosen, die am Land das Schiff in Empfang genommen hatten, bis an Land gestützt. Er kotzt sich die Seele aus dem Leib. Vom Steuerrad auf den Steg springt Ben herunter und seufzt: "Geschafft, haben wir es geschafft." Von Sanitätern wird der Kaufmann, dem das Schiff gehört, und seine Frau versorgt. Sie sind nur leicht verletzt. Zwei weitere Hilfskräfte tragen einen regungslosen, blutverschmierten Körper herbei. Sein Gesicht ist zertrümmert und kaum zu erkennen, weil die Kopfwunden so stark bluten.
      "Ich verdanke euch mein Leben!", ruft der Händler, als er auf einer Liege davon getragen wird. "Ihr seid die beste Crew, die man bekommen kann! Begleitet mich in die Neue Welt, in 5 Tagen legen wir ab aus Lodea!"
      "Der arme Junge", sagt eine Frau. "Er ist ein Held", sagt ein Mann. "Solchen Mut muss man erstmal haben", ruft ein alter pensionierter Seemann. Sekunden später wird die Bucht vom Lachen des Shanks übertönt. Sein Oberkörper bäumt sich auf vor Lachen. "Wir haben es überlebt!", schreit er und lacht aus voller Kehle.

      Kapitel 1: Ein Tag wie jeder andere

      Sieben Jahre zuvor, Sommer 1713, Lodea...

      Ein Aufruhr tobte auf einer der Hauptstraßen von Lodea. Wachen eilten herbei, Frauen kreischten und ein reicher Mann in feiner Kleidung schrie: "Dieb! Haltet ihn!" Ein Junge mit rotem Haar und einem hellblauen Hemd rannte die Straße entlang, mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Im Laufen schaute er in den geraubten Beutel. Darin waren eine Geldbörse sowie etwas Proviant. Er griff hinein und stopfte sich etwas davon in den Mund, um seinem rumorenden Bauch zu füllen. Der Marktplatz war um diese Zeit eigentlich so überlaufen, dass er jederzeit in die Menge eintauchen und verschwinden könnte. Auf dem Markt waren viele fremde Händler und ihre Helfer und Matrosen von Übersee vertreten, sodass dort nicht auffiel, wenn dort einer mehr oder weniger herumirrte. Heute allerdings schienen dort Wachleute bereits die Stände und anliegenden Straßen zu überwachen. Als das Geschrei der Leute nun bis zum Marktplatz vordrang, waren die Wachen dort ebenfalls alarmiert.
      "Ey", rief eine Stimme, "hier entlang!" Der hungrige Dieb schaute sich mit vollen Backen um und sah in der Gasse neben sich einen schwarzhaarigen Jungen mit einem Tuch um den Kopf gebunden. Er winkte und gestikulierte. Der Gejagte überlegte nicht lange, grinste nur und bog in die Gasse ein. Sie führte leicht abschössig von der Hauptverkehrsstraße in die Wohnviertel und tiefergelegenen Straßen, näher dem Hafen und dem Strand vor Lodea.
      Der Helfer rief: "Ey, kannst du sprechen?", doch es kamen nur stammelnde Schmatzgeräusche hervor. Der Junge winkte ab:"Hier! Ich hoffe, du schaffst das!" Er sprang über einen kleinen Abhang, der nach unten Richtung Kanalisation führte und packte beherzt die Steinwand, die sich dahinter auftürmte. "Das ist die alte Stadtmauer. Sie werden hier niemals suchen", rief er dem anderen zu. Nach einem groben Schlucken und Fallenlassen des restlichen Tascheninhalts sprang er ebenfalls und packte mit jeweils einer Hand verschiedene Felsvorsprünge. Seine Finger brannten und seine Hüfte war an die Wand angeschlagen. Der Schwarzhaarige saß bereits in einem Vorsprung mit Kanalisationsausgang und reichte ihm die Hand. Ein weiterer Sprung und die beiden erreichten sich. Durch die Öffnung und einige Meter Kletterpartie, dann erreichten die beiden das Dach eines Wohnviertels, das etwas oberhalb des Marktplatzes gelegen war. Der Fremde zog ihn in ein Fenster in eine Dachniesche hinein und atmete schwer. "Haben wir's geschafft...", sagte er. "Wem gehört dieses Zimmer?", keuchte der Gerette. "Es ist meins. Der Hausbesitzer handelt illegal mit Sumpfkraut und Selbstgebranntem. Ich arbeite für ihn. Er gibt mir das Zimmer und den Schutz, indem er mich nicht kennt und nie gesehen hat, verstehst du?"
      Das Zimmer hatte ein Bett, einen Schrank und einen Tisch mit Stuhl. "Wow, sogar ein Federbett", sagte Rothaar und lutschte sich das Blut von den Fingern. Der andere Packte seine Hand und goss etwas Flüssigkeit darüber. "Auuh!", rief der Verletzte auf, aber hielt sich schnell wieder zurück, um nicht laut zu schreien. Der Aushilfsdoktor wickelte ihm ein Tuch darum, ein längeres Stück Leinen. Dann nahm er einen Schluck aus der Flasche, mit der er eben die Wunde desinfiziert hatte. Sekunden später keuchte er, musste niesen und ihm tränten die Augen. Beide lachten sofort los. Sie tranken nun von dem bitteren Gebräu, das der Hausbesitzer seinen Kunden andrehte, die sich die Hafenarbeit mit Branntwein erträglicher machten.
      "Jedenfalls bin ich dann losgerannt", erläuterte der Rote mit schon etwas lallender Stimme. "Und da sah ich diese Leute, das waren Reisende. Das sieht man sofort..." "Moment", unterbrauch der andere, der nun hustend an einer Zigarre zug. Er gab den kostbaren Glimmstengel weiter, woraufhin der andere ebenfalls hustete. "Also, du bist weggerannt und hast dann diese Leute beklaut?" "Weil ich so einen Hunger hatte und die jagten mich eh schon." "Das ist die Frage. Warum zur Hölle jagen dich die Wachen an einem Markttag durch die Straßen?" "Ich hatte vor einigen Tagen dort unten am Markt ordentlich abgeräumt und sie müssen mich heute wiedererkannt haben. Pech, würde ich sagen", lachte er. Der Schwarzhaarige fasste sich an die Stirn und schüttelte den Kopf: "Mit Glück oder Pech hat das wenig zu tun, mehr damit, dass du ein Vollidiot bist! Du bist nicht maskiert, deine Haare sind so rot, die leuchten im Dunkeln, und du hast Klamotten an, als würdest du auf eine Strandparty wollen! Kein Wunder, dass sie dich erkennen." Nachdenklich nickte der sichtlich betrunkene junge Rothaar. "Hier", der andere stand auf, nahm ein Messer und schnitt etwas von den langen roten Haaren ab. Er nahm ein schwarzes Tuch und band es seinem neuen Freund um den Kopf. "Siehst du - und hol dir ein paar unauffällige Klamotten, du Amateur", grinste er. "Ich klau morgen gleich welche", erwiderte der willige Lehrling nickend. Wieder fasste sich der Schwarzhaarige an die Stirn. "Ey", sagte er und ließ sich nach hinten fallen: "wie heißt du eigentlich?" "Robert", sprach der Rote und warf sich ebenfalls nach hinten. "Ich bin Benjamin." "Okay, Ben, sag mir das nachher nochmal, ich werd mich wahrschenlich an unser Gespräch nicht mehr erinnern können."

      Kapitel 3: Das tägliche Brot

      "Mein Schädel", stöhnte der auf dem Holzboden Kauernde. Er erhob sich ein Stück: "Mein Rücken." Du hast Federbetten und ich schlafe auf dem Fußboden?" Ein leises Lachen kam von der anderen Zimmerseite. Ben saß am Tisch mit einer Gaslampe und hielt die Nase in ein Buch. "Wasser", sagte Robert und streckte demonstrativ die Zunge aus dem Hals. "Neben dir. Die große Flasche. In der Kleinen ist Brandwein." "Ich brauch was zu essen. Ich weiß, wo man sehr gut Fleisch klauen kann." "Nein nein", sagte Ben, "wir holen später was. Ich will dir eh noch was zeigen. Was machen deine Finger?" "Geht." "Meinst du, du kannst klettern?" "Bestimmt." Draußen war es bereits Nacht geworden: Benjamin suchte in seinem Schrank zwei Capes heraus, eins für ihn und eins für seinen neuen Kumpanen: "Hier, es regnet wie Sau. Und mach dein Tuch wieder um dem Kopf."
      Er selbst warf sich den anderen Regenmantel über und nahm seine Laterne, sowie einen Beutel mit Zubehör.
      Unten auf der Straße angekommen ging Ben in eine Hintertür des Hauses, an dessen Ecke sich die Kneipe "Alte Seewöve" befand. "Warte kurz", sagte er, war aber eine Minute später bereits wieder da. "Hier, nimm die Tasche", sagte er und übergab sie seinem Begleiter.
      "Was machen wir?", fragte der Rote. "Wir liefen ein wenig Zeug aus und sehen uns was an", erwiderte Ben. "Toll."
      Die Straße entlang befanden sich die beiden noch oben im Gebiet Whiteground, unterhalb der Alten Stadtmauer und dem alten Abflusssystem, das hier besonders gut von der alten Burg Lodea aus der Zeit der alten Weltregierung erhalten geblieben war.
      Die Straßen waren eng und man sah zu dieser späten Stunde, dass die Bars und Spiellokale gut besucht waren. Ein Betrunkender taumelte auf die beiden Jungen zu, sodass sie ausweichen mussten. Der Geruch von Sumpfkraut lag in der Luft. An einem Bäckerladen mit Backstube machten die beiden Halt. Benjamin klopfte leise und kratze an einer Fensterladen. Wenige Sekunden danach wurde diese geöffnet. Ein Mädchen mit Sommersprossen, dunkelblonden Haaren und großen blauen Augen öffnete. "Benji?", zischte sie leise in die dunkle Straße und verschwand vom Fenster, ohne eine Antwort abzuwarten. Benjamin warf sich über die Fensterbank in das Zimmer und signalisierte Robert, ihm zu folgen. "Oh, wer ist dein Kollege?", fragte das Mädchen. Das Zimmer war ein Lagerraum. Daneben im Zimmer waren Kinderspielsachen zu sehen. Ein kleiner Junge mit hellblonden Haaren spielte. "Hallo", sagte der Rote, wurde aber von Ben ermahnt, leise zu sein. Der Rote stellte sich vor, das Mädchen hieße Mai. Der Junge war ihr kleiner Bruder. Beide wohnten hier und der vordere Betrieb gehörte ihren Eltern. "Hier, dein Proviant, ich hole schnell noch etwas mehr, wenn ihr zu zweit seid." Sie brachte noch weitere Backwaren. Es waren Reste, unverkäufliche Waren, oder Dinge, die nicht auffielen, wenn sie fehlten. "Du isst hier jetzt nicht. Du krümelst hier noch alles voll", sagte Mai und zeigte auf den Roten. "Ein Pizzabrötchen!" warf er begeistert ein und hielt es dabei hoch. "Zeig mir mal deine Hand. Oh und die andere am besten auch, ich binde sie dir. So kannst du die Finger noch benutzen, aber es kommt kein Dreck in die Wunden. Ihr wollte doch bestimmt auf der Stadtmauer langturnen!" Mai kannte sich wohl aus und wusste, was Ben so trieb. "Toll", sagte Robert, "wieso kannst du das so gut?" "Wenn man in einer Backstube arbeitet, schneidet man sich oder verbrennt sich schonmal die Finger. Schau!", sie hob ihren Arm und hatte ebenfalls Verbände. "Außerdem mein Bruder Taru, der fällt manchmal hin oder fasst ein heißes Backblech an. Dann muss ich ihn auch verbinden." Sie lächelte breit, der Rote lächelte zurück. Er nahm sich das Tuch ab und band es sich neu. "Jetzt erkenne ich dich", zischte Mai etwas zu laut für heimlichen, nächtlichen Besuch. "Du bist der Rothaarige. Deine Haare sehen aus, als hätten sie Feuer gefangen", kicherte sie. "Den habe ich ja noch nie gehört", zischte Rothaar ironisch. Beide lachten und hielten sich sobald den Mund zu. "Nun aber raus hier", sagte Mai. Sie hatte bereits einen Lappen zur Hand, um den Dreck der Stiefel wegzuwischen, den die beiden hereingetragen hatten. Beide Jungs verabschiedeten sich und hüpften aus dem Fenster in die Gasse zurück.
      "Du magst sie, richtig?", fragte Ben grinsend. "Sag ich nicht", murmelte der andere ebenfalls grinsend. Die Straße endete. Ben zeigte auf ein zugewachsenes Stück der alten Stadtmauer hinter einem Garten. Ben kletterte auf den Zaun eines Wohnhauses, eine dünner Steinmauer, und sprang dann in den Garten. "Komm, hierlang", flüsterte er. Durch die Sträucher in dem Garten kamen sie zum richtigen Teil der Stadtmauer und durch weiteres Gestrüpp in einen alten Wasserablauf. "Pass auf, dieser Teil wird noch genutzt. Geh dort an der Seite oder du trittst in Abwasser." Es stank dementsprechend. Ben hatte seine Gaslampe mit einer passenden Befestigung dabei, um in dem Rohrsystem ausreichend sehen zu können. Die ehemalige Stadtmauer der Burg Lodea umfasste in den 1700ern nur noch den Stadtkern der Stadt Lodea. Darin befanden sich einige alte Gebäude, die aber heute zumeist einen anderen Nutzen hatten als früher. Vom Haupttor, dem Südtor, ging es die Hauptverkehrstraße herunter zum Marktplatz und davor direkt lag der Haupthafen Lodeas.
      Die beiden waren nun durch das Rohrsystem vom außerhalb liegenden Whiteground im Zentrumsviertel angekommen. "Hier ist bereits Central", sagte Ben. Ein paar Ratten stritten sich im Licht der Laterne, um etwas zu fressen. Der Rote warf ihnen ein Stück von seinem Brot hin. "Ey, du hast den Proviant gleich alle, du Trottel. Spar ihn ein", feigste Ben. "Hier", er zeigte nach oben. Dort verlief an der Kanalisation oben eine Seitenstraße. Die beiden kletterten eine rostige Leiter hoch. Ben hielt sich oben an einer Seite fest und Robert neben ihm an der anderen und sie spähten über die Kante, sodass sie die Straße, einen Hof und Gebäude erkennen konnten. "Das ist der Kaserenenplatz", sagte der Rote. "Genau hier ist das direkte Regierungsviertel. Siehst du das Gebäude dort?" Es befand sich direkt am Kasernenvorplatz. Man hörte Leute die Straße entlang kommen. Die beiden duckten sich herunten und hingen an der Leiter an die Wand gepresst, um nicht gesehen zu werden, bis die Luft wieder rein war. "Sieht machbar aus. Wir müssen uns das Ganze nochmal im Hellen ansehen." Sie liefen nun unterhalb der Leiter weiter. "Wir verstehen uns", kicherte Ben. "Was gibt es dort zu holen?", fragte Robert ihn. "Das ist ein Munitions- und Waffenlager."
      "Ey Roter", fragte Benjamin, während die beiden eine Steinsenke hochkrabbelten, "wünschst du dir irgendwas besonders? Ich meine eine Sache, die du dir nicht leisten kannst?" Der Rote überlegte. Die beiden waren nun auf der normales Straße angekommen. "Ich würde gern immer satt werden."
      An einem weiteren Rohreingang trafen die beiden zwei alte Kerle. Ben nahm ein kleines Päckchen aus der Tasche, die Robert trug, übergab es und nahm eine Handvoll Münzen an sich. Ebenso gab er dem einen eine Flasche. Nun ging es weiter.
      Die Jungs befanden sich nun auf der Höhe der Stadtmauer, die hier bereits so gut wie gar nicht mehr vorhanden war. Unterhalb des Central-Viertels lag hier direkt nördlich von Whiteground Crossed, ein etwas besseres Wohnviertel. Die beiden schlenderten eine Straße entlang und klopften an einem schönen Haus, wo Ben dann durch ein Fenster Geld in empfang nahm und eine weiteres Päckchen reinreichte.
      Als sie am Fluss Times River, der durch Lodea führte, ankamen, setzten sie sich in einen Unterstand und aßen von ihrem Lunchpaket.
      Der Weg führte zur großen Brücke über den Times River in Crossed. Auf der anderen Seite des Flussen befand sich Reddinplus. Wie auch Whiteground waren die Stadtviertel fächerförming und den Stadtkern herum verteilt. Deshalb konnte man am inneren Rand der Stadtmauer viel schneller die einzelnen Gebiete erreichen, die an der Stadtmitte begannen. Nur im Westen war das etwas anders, dort waren die besseren Wohnviertel Bluescorner und Flagging. Dorthin verschlug es weniger Straßenkinder. Crossed war bekannt für Industrie und Gewerbe. In Reddinplus wurde es, je weiter man sich von der Stadtmitte entfernte, ländlicher und viele Farmen waren dort zu finden.
      Die beiden Jungs verschlug es allerdings weiter den Times River entlang bis zu einer weiteren Brücke. Ben sprang über ein Metallgitter über das Wasser auf eine Strebe und von da aus auf einen Betonsockel unterhalb des Brückenverlaufs. Er leuchtete Robert den Weg. Dieser sprang etwas wackliger, aber kam dort ebenfalls an. Zwei in Decken eingehüllte Gestalten saßen dort und eine weitere auf dem nächsten Steinsockel. Dieser war von der anderen Seite der Brücke einmal über die Straße ganz einfach per Treppe zu erreichen.
      "Junge", sagte eine männliche Stimme, "wieviel für dies?", und streckte eine Handvoll Münzen aus. Ben zählte und übergab aus dem Beutel ein paar Pakete. "Guter Preis, danke Junge", sagte der andere. Sein Gesicht im Licht der Laterne sah schmutzig und alt aus. "Kinder", sagte eine Frauenstimme. Sie kam von der Gestalt, die sich an den alten Herrn kuschelte. "Ihr haltet euch doch fern von Whiteout?", fragte sie. "Das machen sie doch", beruhigte sie der Mann. "Machen wir, Oma", wiederholte Ben. "Dort ist es gefährlich, so viele sind dort gestorben, schon seit Jahren, dort sterben die Menschen!", keuchte sie. "Beruhige dich wieder", sagte der Mann und nahm sie wieder in den Arm. "Danke für die Lieferung, passt auf euch auf Kinder." Die beiden Jungs verabschiedeten sich, sprangen über den kleinen Abhang auf den nächsten Stein und liefen zur Treppe. "Du auch?", fragte Ben den anderen Mann, der nur mit einer Kappe und Shorts bekleidet auf der Kante des Steins saß. "Verpiss dich mit diesem Dreck!", keifte er und machte eine abwertende Handbewegung. "Branntwein, hochprozentig", fügte Ben hinzu. "Vergiften wollt ihr mich, ihr Drecksblagen, euch mach ich Beine!" Bevor der Mann aufstehen konnte, waren die Jungs bereits oben auf der Brücke angekommen. "Schnell, die Bahn", rief Ben, rannte los und der Rote folge ihm. Sie liefen zur Mitte der Straße, wo eine Eisenbahn zum Indistriegelände weiter durch Whiteground und bis zum Haupthafen fuhr. Die beiden Jungs sprangen auf eine Gabel zwischen zwei Wagons auf und wurden für lau zurück nach Whiteground gegondelt.
      Einige Minuten später rief Ben: "Hier!" und beide sprangen ab. Nachdem Benjamin noch ein Päckchen an einen Hafenarbeiter verkauft hatte, liefen sie nun direkt zum Strand von Whiteground. Dieser Teil wurde Whiteout genannt. Hier war das Ende vieler Existenzen anzutreffen. Drogensüchtige, Obdachlose und Prostituierte, sowie Straßenkinder und Kombinationen daraus prägten hier das Stadtbild.
      "Was wollen wir hier?", fragte der Rote, "ist Sumpfkraut stark genug für die Menschen hier?"

      Kapitel 3: Der Fluch von Whiteout

      Ben und Robert näherten sich der Strandpromenade. Direkt daran lagen Bars und andere Vergnügungslokale. "Eyy", brüllte ihnen ein taumelnder Mann zu: "Lance, bist du das?", fragte ein Mann und kam auf Robert zu. "Nein, hau ab!" Er stank und nun fing er an zu wimmern: "Wo ist denn Lance?" Nun schrie er: "Lance ist Gott." Der Rote und Ben sprangen von der befestigten Promenade in den Sand des Strandes. Die Musik und das Geschrei von der Promenade wurden etwas leiser. Direkt vor ihnen im Sandstrand brannte ein großes Lagerfeuer. Leute tanzten und jemand hielt ein großes Stück Fleisch in die Flammen. Es fing Feuer. Ben führte Robert abseits davon zum Beginn der Vegetation und den felsigen Anhöhen. Hier begannen bereits die Klippen östlich des Hafens von Lodea. Das war ein Grund, warum Whiteout diesen Namen trug. Unterhalb dieser Klippen, die direkt ins stürminsche Meer vor Grand Storm abfielen, wurde jede Menge Treibgut angespühlt. Aufgrund des Windes und der Ströhmungsverhältnisse prallte unten an die Klippen alles, was man sich vorstellen konnte, von Treibholz bis hin zu ganzen Schiffen. Vieles landete am Strand oder wurde, bevor es unter den Klippen ankam oder weiter an der Insel vorbeigespühlt wurde, von Sammlern aus dem Meer gefischt. Es herrschte ein reger Betrieb, sogar eine Konkurrenz von Sammlern, die es auf Schätze, Baumaterial oder Zeug zum Verkaufen abgesehen hatten. Ben winkte mit seiner Laterne. Von einem Stein etwas höher sah man ein Flackern. Es war bereits morgen geworden und die Sonne würde bald aufgehen. Robert rutschte ein paar Mal weg, so glatt waren die Steine , aber wenn man es richtig anstellte und den Weg etwas ausleuchtete, konnte man hier einen guten Aufstieg finden. Auf einem Vorsprung saß, mit einer Lampe ausgestattet, ein junger blond gelockter Mann. Er trug ebenfalls einen Regenanzug, dicke Stiefel und Handschuhen und hatte jede Menge Zeug im Gepäck. Auf einem kleinen Gaskocher erwärmte er Wasser für Kaffee. "Ein Seil?", fragte er und warf ein Tau um einen Stahlhaken in der Felswand. Ben packte es und warf sich daran rüber. "Gehts?", fragte der andere Junge. Der Rothaar konnte die wenigen Meter damit leicht überwinden und warf sich auf den Vorsprung. "Das ist Yasopp"", sagte Ben, "er arbeitet hier." "Yasopp, das ist Robert." Die beiden reichten sich kurz die Hände. "Was machst du hier auf dem Felsen und warum so früh?", wollte Rothaar wissen. "Morgens, sobald ich genug Sicht habe, sondiere ich das Meer. Aufgrund der Briese und den Ströhmungsverhältnissen kann ich sagen, an welchen Tagen besonders viel Zeug angespült wird. Darauf warte ich dann hier und schaue mit dem Fernrohr." "Was machst du so?", fragte Yasopp, "bist du auch ein Drogenkurier?" "Nein nein, ich bin heute das erste Mal mit Ben unterwegs. Ich bin ein Dieb." "Ah, okay, verstehe." "Nach was hältst du denn Ausschau?", fragte Robert interessiert und versuchte, durch das Fernrohr von Yasopp bereits etwas auf dem Meer oder am Strand zu erkennen. "Spar dir die Mühe, es ist noch etwas zu dunkel, aber bald geht es los", berichtete er, "ich suche Dinge, die sich gut verkaufen lassen, zum Beispiel Baumaterial wie Plankenholz von Schiffen, das noch nicht zu lange im Wasser trieb. Außerdem ist der Preis für Metallteile von Schiffsteilen recht hoch in Grand Storm. Das liegt an der Industrialisierung", erläuterte er. "Das muss man nicht gut finden. Ich denke, die Industrie bietet sowohl Chancen, als auch neue gesellschaftliche Probleme", führte er aus. "Aha", sagte Robert und versuchte weiter auf das Meer zu spähen, "aber wie kommst du an die Gegenstände ran, wenn sie im Wasser treiben?" "Dafür habe ich eine Apparatur gebaut, wirst schon sehen." "Unterhalb der Klippen liegt jede Menge Zeug, an das man nicht rankommt", warf Ben ein. "Das stimmt. Das zu bergen ist gefährlich und schwierig", ergänzte Yasopp.
      "Kann man nicht mit einem Boot ranfahren?", fragte Robert. "Viel zu riskant. Die Strömung ist, wie gesagt, dafür bekannt alles in die Klippen zu schleudern. Einen Schwimmer oder sogar ein Boot würde es dort unten relativ wahrscheinlich zerfetzen." "Man könnte jemanden abseilen", sagte Robert nach einigen Minuten grinsend. "Gar nicht so blöd oder nicht, Yasopp?" Yasopp schlürfte seinen Kaffee und gab Robert einen Schluck zum Probieren. "Hmmm", Yasopp fingerte sich an den Lippen herum und drehte seine Haare um die Finger. "Je nachdem, ob der Wind es zulässt, wäre man, wenn man ins Meer gar nicht eintaucht, vor der Stömung geschützt. Man müsste entsprechend koordiniert am Seil ziehen, um nicht in den Wellen zu landen", überlegte er. "Man bräuchte nur jemanden, der bekloppt genug ist, sich dort abseilen zu lassen...", warf Ben ein und sah den Roten an. "Ich mach's!", rief Robert. "Vielleicht liegt dort unten eine Kiste mit Gold." Ben lachte: "Siehst du, ich hab ein gutes Händchen. Genau für sowas hab ich dich vor den Stadtwachen gerettet." "Ich wär auch so davon gekommen, nur war's so leichter", erwiderte der Rote ebenfalls laut lachend. "Haltet mal einen Moment die Fresse!", sagte Yasopp. "Ich überlege gerade meine Apparatur mit einem Flaschenzug auszustatten, sodass man leichter jemanden abseilen kann."
      "Überleg du mal, wir machen uns nützlich", rief Ben und erhob sich. "Wollen wir schauen, obs schon Goldmünzen, Edelsteinen und Perlen angespült hat?", rief Robert und folgte ihm ohne eine Antwort abzuwarten.
      Die Sonne begann nun am Horizont hervorzukriechen. An der Strandpromenade war Musik zu hören und immer noch brannten Lichter. Im Whiteout wurde immer getanzt, gesoffen und Zeit spielte für viele hier keine Rolle mehr. Der Strand war teilweise sehr verschmutzt, Leute schliefen einfach unter freiem Himmel am Boden, manche hatten Matten, Wolldecken oder gar Zeitungen über sich gepackt. Die Reste eines Lagerfeuers brannten noch, Möwen und Raben machten sich bereits über die Reste an einem Grillrost her. Ein Mann taumelte den beiden durch das Licht der Laterne und das aufgehende Sonnenlicht entgegen. Er nahm sich eine Flasche vom Boden und hielt sich die Öffnung über den Mund, um sich ein paar letzte Tropfen Schnaps daraus in den Hals tropfen zu lassen. "Ich will noch nicht nach Hause!", hörte man eine heiser krächzende Frauenstimme rufen. "Süße, ich bin müde, komm jetzt!", rief ein Mann. "Du alter Dreckskerl...", hörte man die Frauenstimme. Zur Enttäuschung Roberts fanden die beiden nicht sofort einen Schatz. Aber zu erwarten war das wohl eh nicht. Doch mehr als Dreck, Müll und moderiges Holz waren nicht zu sehen. Als sie zurück kamen, war Yasopp auch auf einen unteren Felsen geklettert und warf eine Art Angel mit einem Haken aus. Es erinnerte an das, was Bergsteiger benutzten. Es zog Zeug aus dem Wasser. "Was gefunden?", rief er den beiden zu. "Ne, Müll und Dreck", rief ihm Robert zu. Die beiden machten sich einen Kaffee auf dem Felsen, den Yasopp als sein Lager zurecht gebaut hatte. "Kommst du die Tage wieder mit? Wir gehen was ausräumen oder hier auf eine Strandfeier oder oben zur Stadtmauer", fragte Ben. "Klar", sagte Robert gähnend. "Das Zeug ist bitter und man wird nichtmal betrunken davon", warf Robert ein. "Macht wach und fit", sagte Ben. Robert döste ein wenig. "Ey", brüllte Yasopp, "Jungs!" Es klang ernst. Die beiden erkannten dies sofort und sprangen auf. Beim Rennen schlug sich Robert noch den Fuß an dem rutschigen Felsen an, aber der Schmerz war schnell verflogen. An dem Tau mit der Winde hing eine Leiche. Ben und Robert halfen den Körper auf die unteren Steine zu ziehen. Es war bereits ein wenig hell geworden. Die drei Jungs schauten den Mann an, den sie dort aus dem Wasser gezogen hatten. "Er lang nicht lange im Wasser, denke ich", sagte Ben. "Ich glaube, ich kennen den Mann", sagte Yasopp und wandte sich ab. Er wischte sich die Augen. "Das Gesicht war mehr oder weniger noch zu erkennen, der Mann hatte lange, zottelige, weiße Haare, trug keine Schuhe und seine Jacke und Hose sahen lumpig und zerschlissen aus, sodass sie bereits vor seinem Tod sehr mitgenommen gewesen sein mussten. Zwei weitere Sucher kamen auf die Gruppe zu. Der eine murmelte, als er die Leiche sah, sogleich ein Gebet. "Das ist doch...", der anderen kam auf den Mann zu und beugte sich herunter. "Das ist doch der Barns", sagte er. Er wischte ihm über das Gesicht. "Ja, das isser." Der andere kam auch und beugte sich ebenfalls runter. Er begann dem Toten in die Taschen zu fassen. "Ey", rief Robert und schubste den Mann nach hinten um, von der Leiche weg. "Ihr kanntet ihn, ward seine Freunde?" "Er war immer hier", sagte der eine Sammler. "Barns hieß er, hat immer getrunken. Der war schon hier, als ich hier her kam. Das Ende, Ende und Aus im Whiteout, sacht man doch auch." "War er immer hier am Strand?", fragte Robert. Der andere hatte sich wieder aufgerappelt: "immer hier", seine Stimme war krächtzig und er hustete, "immer hier, hatter gesammelt, oder er saß, wenn's kalt, war oben irgendwo." "Schnaps hat'n warm gehalten, nech Paule?", sagte der andere. "Wir müssen ihn beerdigen", rief der Rote. Andere waren nun auch hergekommen. "Der Alte?", "Ja, der, der immer oben saß am Eck." "Warum ist er so zugerichtet?" "Die Klippen hier sind tückisch, haben schon so manchen Seefahrer angespült!", rief ein alter Sammler mit einem Handkarren heiser. "Das sind Schnittwunden", sagte Yasopp. "Was meinst du?", fragte einer. "Willst du sagen...?" "Der Fluch!", sagte ein alter obdachloser Mann. "Was soll der Quatsch?", fragte Ben. "Jemand hat den armen Kerl aufgeschlitzt." "Hat jemand noch Kraut?", rief einer der Sammler dazwischen. "Ey, ihr Idioten", schnauzte Robert, "sucht euch gefälligst Stöcker! Macht hinten ein möglichst tiefes Grab und wir beerdigen ihn hier am Stand, hinten bei den Bäumen. Er war immer an diesem Strand, vielleicht mochte er ihn besonders. Also los!" Die Menschen, die sich angesammelt hatten, begannen nun ein Loch zu graben. Einer benutzte einen langen Ast, einer seinen Schuh, ein gut ausgerüsteter Sammler hatte sogar Werkzeug dabei. "Du!", sprach Robert den einen an, der eben versuchte, die Leiche zu plündern, "Schau, ob er noch irgendwas bei sich hat, irgendeinen Gegenstand der ihm gehörte oder sowas!" Der Sammler schaute etwas verschüchtert. "Los!", raunte der Rote. Er kam herüber und schaute in Jacke, Strickpulli und Hose. "Er macht das echt gut", sagte Yasopp zu Ben, als die beiden das Loch aushoben. "Hätte ich ihm kaum zugetraut auf den ersten Blick", ergänzte er. "Ja, ziemlicher Chaot", sagte Ben und lächelte leicht, obwohl sie gerade ein Grab aushoben und dies sogar für einen Straßengauner wie Benjamin etwas unpassend wirkte.
      "Er hat nichts dabei." Der Mann schaute Robert fragend an. Auch sein Freund, mit dem er unterwegs war, trat wieder heran. "Armer Kerl, er hat nichts, nur seine Kleidung am Leib. Ich kenne nichtmal seinen Namen. Ich weiß nur, dass man ihn Barns nannte.." "Gar nichts?", fragte Robert. "Nein, rein gar nichts", wiederholte der Sammler. "Ey, hört mal!", rief Robert, "Kennt jemand seinen Namen? Hey, weiß irgendwer etwas über ihn?" "Barney oder so", sagte einer. "Oder Barns", rief ein anderer. "Stimmt", bestätigte der andere, "kann auch sein." Andere schüttelten nur den Kopf und sagten nichts. "Niemand?", fragte der Rote erneut. Es half nichts, sie zogen die Leiche des Alten in das Grab und begannen es zuzuschütten. "Ich trink auf den, den der Fluch von uns genommen hat. Sprechen wir ein Gebet", sagte einer. "Schluss jetzt mit dieser Fluchscheiße!", rief jemand anderes. Robert hatte Yasopp um ein Stück Seil gebeten, mit dem er zwei Äste zu einem Kreuz zusammen band. Er steckte es in den Sand, drehte sich um und ging. Ben folgte ihm und rief Yasopp noch einen schnellen Gruß zu. "Robert, alles in Ordnung?", fragte Ben, der hinter seinem Freund herlief. "Alles in Ordnung", erwiderte dieser. "Ich fand's stark, wie du das gemacht hast eben." Robert nickte. "Sieht man dir nicht an." Wenige Minuten später sagte Robert zu Ben: "Keiner kennt ihn, keiner sprach anscheinend mit ihm. Keinem wird auffallen, wenn er weg ist." "Das ist der Fluch", erwiderte Ben gedankenlos. "Was für ein verdammter Fluch...", patzte Robert nun. Die beiden liefen bereits wieder die Straßen vom Whiteout weg hoch ins Whiteground. Die Menschen dort begannen mit ihrem Treiben, trugen Waren umher, liefen gehetzt durch die Straßen. Eine große randvoll beladene Lieferkutsche bahnte sich den Weg durch die holprige Straße. "Du kennst das echt nicht?", fragte Ben. "Was kennen?" "Na, die Geschichten übers Whiteout." "Ich weiß, dass die Leute hier stranden. Sie verlieren ihre Arbeit oder was auch immer, saufen und landen hier. Und das Zeug wird dort in Massen angespült", sagte Robert. "Hattest du nie Angst vor dem Whiteout?", fragte Ben. "Nein", sagte der Rothaarige, "ich weiß nur, dass man hier an den falschen Stellen schnell eine aufs Maul bekommt." "Das meine ich nicht", sagte Ben etwas zögerlich. "... ist so eine Kindergeschichte, die kennt jeder. Hier verschwinden angeblich Menschen. Manche werden nie gefunden, andere findet man aufgeschlitzt oder wie man das nennen soll. Das ist der Fluch, der immer wieder in Whiteout seine Opfer findet." Fast wie ein Zitat betete Benjamin die Geschichte runter. "Komisch, dass du es nie gehört..." "Ich komm nicht von hier", unterbrach ihn Robert, "Ich bin in Swanlake aufgewachsen." "Ich verstehe", sagte Ben.

      Kapitel 4: In den Straßen

      Die beiden neuen Freunde hatten sich für eine spätere Zeit wieder verabredet, um ein Ding zu drehen. Der junge Rothaar kehrte nach Hause zurück, zumindest den Ort, den er derzeit sein Zuhause nannte. Er lebte etwas entfernt an den Klippen österlich des Hafenviertels im Wald, in einem selbstgebauten Zelt aus Segelstoff und einigen Behilfsgütern, die er zusammen geklaut hatte. Er schaute nach einem längeren erholsamen Schlaf aus seinem Schlafsack hervor. "Ich hab nichts für euch", sagte er müde zu einer Katze, einigen Raben und anderen Vögeln, sowie einem Eichhörnchen, welche sich dort herumtrieben. Er kroch aus dem Schlafsack und streichelte die Katze. Sie schnurrte und sah ihn mit großen Augen an. "Ich hol was zu futtern, versprochen", sagte er den Tieren. Ein Rabe keifte, als sei es ihm zu spät. Zwei Singvögel zwitscherten eine Melodie, die klang, als gäbe es ein Fest. Robert der Rote ging ein paar Schritte zu einem Haufen Blätter und Äste, wo er in dem dicht bewachsenen Bereich so gut wie gar nicht auffiel und schob alles an die Seite, um eine Holzplanke von einem Loch zu entfernen. Dort hatte der Junge seine Schatzkammer eingerichtet. Er kramte in jeder Menge Zeug umher, das er auf diversen Raubzügen erbeutet hatte.
      Robert lief durch den Wald, an den hohen Klippen vorbei, er konnte von hier aus den Hafen überblicken. Er hatte sich ein geklautes Fernrohr eingesteckt und schaute, was im Hafen bereits vor sich ging. Ein Schiff aus dem Süden war gerade dabei, Waren zu verladen. Ebenso war ein sichtlich beschädigtes Schiff mit einer unbekannten Flagge dabei, den Hafen anzusteuern.
      Er kam am Waldrand an, wo einige saftige Beeren zu hoch für ein paar Rehe hingen, die sofort mehrere Meter zurück wichen. Robert sprang an den Stamm und von da aus an einen großen Ast, der sofort zu Boden sank. Die Tiere hüpften sofort herbei und verzehrten die Blätter und Beeren des großen Strauches. Ein paar Beeren schob sich unser junger Held rein, bevor er am Hafengelände ankam.
      Am Marktplatze kaufte er ein Sandwich mit frischem Fisch und lief weiter. In einem Uhrengeschäft am Marktplatz machte er Halt. In der Nähe vom Marktplatz gab es Unmengen an Fachgeschäften. Ebenfalls gab es im Hafengebiet oft ausländische Händler, die Zeug aus aller Welt anboten.
      Bei einem Laden hielt der Rote an und ging hinein. Viele Uhren aus verschiedenen Materialien zierten die Verkaufsräume. "Hallo, meine Uhr ist stehen geblieben", sagte der Rote. Der Mann am Tresen war ein dünner, modisch gekleideter Herr. Er schaute sich die Uhr an.
      "Hmmm, diese Uhr...", er zögerte. "Können Sie sie reparieren?", fragte Robert. Der Mann musterte ihn, er trug schmutzige Kleidung und auch seinem Körper sah man die Straße an. "Woher hast du denn diese Uhr?", fragte er und schwang sie umher. Der Rote packte die Uhr und verließ den Laden. "Nicht so wichtig", rief er.
      Das Hafenvieretel war erfüllt vom Treiben der Leute, ebenso vom Duft geräuchterter Fische. Ein Marktschreier bewarb Fisch aus dem All-Blue.
      Der Rote beschloss, den Personenbeförderungszug zu nehmen. Er lief auf die Bahn zu und als sie vom Einstieg am Marktplatz beschleunigte, sprang Robert auf. Ein Mann griff nach seinem Arm: "Was machst du da Junge? Das ist gefährlich!", rief er. Seine Frau packte Roberts Arm ebenfalls und hievten ihn hinein. "Danke Leute", sagte er und bemerkte, dass das gesamte Abteil ihn ansah.
      Einige Stationen weiter war er in Whiteground angekomme. Er klopfte an dem bekannten Fensterladen. Wenige Sekunden später öffnete er sich. "Hallo", flüsterte er. "Hallo. Du bist es, mach das nicht, ich weiß nicht, wo die Arbeiter.." "Psst", wurde Mai unterbrochen, "die sind in der Backstube", sagte er grinsend. "Hast du etwa durch die Fenster geglotzt?", fragte Mai. "Genau", sprach Robert grinsend.
      "Was willst du?", kicherte Mai. "Kommst du mit? Wir machen was mit den Jungs." "Ne", sagte Mai, "heute nicht. Ich kann nicht weg, aber hol mich übermorgen um 18 Uhr ab, okay?" "Meine Uhr ist kaputt", flüsterte der Rote. "Lass sie von Yasopp reparieren", flüsterte Mai. "Tschüss", flüsterte Robert und sprang in die Gasse zurück. "Ich lüfte und wische durch", rief Mai innen.
      Als Robert zur Kneipe "Alte Seemöve" kam, stand Ben bereits an der Ecke: "Ey, kannst du keine Uhr lesen oder was?", fragte er. "Meine Uhr ist Schrott", sagte der Rote grinsend. "Lass uns gehen", rief Ben. Beide eilten los in Richtung der alten Stadtmauer. "Können wir zu Yasopp gehen?", fragte Robert. "Hast du Zeug dabei?", kam die Gegenfrage. Die beiden nahmen einen Personenbeförderungswagen nach Crossed. In einem industriell geprägten Viertel stiegen die beiden aus. Es roch nach Rauch und Abgasen. "Hier", sagte Ben. An einer alten Stahltür klopfte Benjamin: "Carry?" Beide gingen um das Gebäude herum zu einer stählernen Absperrung. "Hey, Carrington!", rief Ben. "Hallo Kinder", sagte eine Stimme in der Gasse. Es war ein alter Fischmensch, seine Haut war blau-gräulich und er hatte weißes Haar. "Kommt doch rein", sagte er. Beide traten vorn in die Tür ein, an der sie bereits geklopft hatten. "Carry ist eingeschlafen, aber gleich gibt es Tee", sagte er. "Hey Winny", sagte Ben. Die drei durchschritten einen vollgepackten Vorraum. Auf den ersten Blick konnte Robert Gemälde, Waffen und Möbel erkennen. "Carrington hat alles und du kannst hier loswerden, was du erwirtschaftet hast, egal woher es kommt", sagte Ben grinsend. In einer Stube mit Büchern und anderem Zeug vollgestellt saß ein Mann mit grauen, struppigen Haaren. "Chef, zwei Jungs sind hier", sagte der Fischmensch laut. "Hmmm", grunzte der alte Herr. Er griff auf den Tisch neben seinem Sessel, setzte seine Brille auf, sowie seinen Hut. "Ey Junge", sagte er. "Hey Carry", sagte Ben und die beiden schüttelten sich die Hände. "Das ist mein Kollege, Robert", stellte Ben vor. Beide schüttelten die Hände. "Was wollt ihr denn?", fragte der Alte. Der Fischmensch brachte nun Tee und ein paar Kekse. "Schau mal, Carry", sagte Ben. Er drehte sich zu Robert um und zwinkerte. "Oh Mensch, sind die aus der Neuen Welt? Das sind doch keine von hier", sagte Carrington freudig. Ben hatte ihm Zigarren mitgebracht. "Weiß nicht, Hauptsache sie stinken", sagte Ben. "Die aus der Neuen Welt sind besser, der Tabak ist besser und sie sind von Hand gerollt!", sprach Carrington mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht. "Oh, schwarzer Tee, danke Winny", rief der Alte und klopfte dem alten Fischmenschen auf die Schulter. Ben gab ihm ein paar Sachen, die er sich ansehen sollte, doch der Alte paffte erstmal eine der Zigarren. "ich bekomm eh Husten davon", sagte Ben. Der Alte lachte.Er schaute sich die Sachen an und beriet sich mit Ben. "Hast du was zu verkaufen?", fragte Ben. Der Rote gab ein paar Stücke aus seinem Schatz her und sah sich im Raum um. Hier lagerten alte Waffen und Bücher, die so alt waren, dass sie bereits zerfielen. Es stank im ganzen Raum bereits nach der Zigarre. "Ich weiß, was ihr Jungs vorhabt", lachte der alte Herr, "kommt mal mit in den Hof." Beide folgten ihm. "Schaut mal, diese Pistole benutzten die Marinesoldaten. Auch wurden die im letzten Feldzug in der Neuen Welt benutzt." Er gab Ben eine Handfeuerwaffe. "Schau, Junge, dort hinten, ziel auf die Felgen." Eine Alte Kutsche, von der bereits Teile demontiert waren, stand im Hof. Hinter dem Hof ragte die Mauer einer Fabrik hervor. Es war bereits ohrenbetäubend laut im Hinterhof. Ben nahm die Waffe und feuerte, lud nach und feuerte erneut. "Nicht schlecht, nicht schlecht", sagte der alte Willy. "Ausbaufähig", lachte Carrington. "Jetzt du!", rief er und gab Robert die Waffe. Robert versuchte die Räder der Kutsche zu treffen. Er schaffte es aber nur, zwei mal das Rad zu treffen. Der alte Herr amüsierte sich prächtig. "Schon mal geschossen?", fragte er. "Ben zeig ihm mal deine Haltung, die ist besser." Beide versuchten es erneut. "Macht Spaß, he?", rief der Alte und lachte. Winny hatte bereits eine Flinte gebracht. "Schaut mal, Jungs", sagte er, "Geladen, Willy?" Ohne eine Antwort abzuwarten, zielte er und schoss. Geladen war die Flinte tatsächlich, denn das Holz an dem Gestell der Kutsche zersplitterte nur so. "Nun der andere Pfosten!", rief der Alte. "Klasse, Chef", klatschte Winny. Die Jungs schauten beeindruckt zu. Der Alte zerfetzte die Holzteile der Kutsche nur so.
      Ben nahm das Geld für die Waren im Empfang und beide verließen den alten Carrington wieder.
      Wenig später kamen sie in einem Wohnviertel an. Sie klopften an die Tür eines Hauses. Eine halbe Minute später öffnete ein junger Mann die Tür:"Ey Leute, kommt rein." Er trug nur Unterwäsche und hatte nasse Haare. Im Haus saß eine Frau. "Hallo Frau La Playa", sagte Ben freundlich. "Hallo", sagte Robert ebenfalls. "Sagt nicht, ihr wollt wieder Schrott im Whiteout sammeln", sagte die Frau mit fragendem Blick. "Genau", erwiderte Robert. "Mutter!", rief der Junge tadelnd von oben. "Ich weiß doch, dass deine Freunde da Sachen sammeln, Louis", rief sie. "Ich verurteile das nicht", sagte sie, "es ist nicht verboten dort Sachen zu suchen und jeder hat sein Auskommen, nicht wahr?" "Das stimmt", sagte Ben. Ihm war es sichtlich unangenehm. "Junge", sagte Frau La Playa, "du hast ja nur ein Hemd unter deinem Regencape." "Ach, ich friere nie", lachte Robert. "Die Dame ging in den Nebenraum und kam nach wenige Sekunden wieder: "Lass mich sehen, ja, das passt dir. Louis ist das zu klein." "Mutter...", sagte Louis erneut als er die Treppe herunter kam. Sie hielt die Kleidung an Roberts Körper und schaute. "Müsste passen." "Meine Güte", sagte Louis zu Ben, die beiden waren bereits vor die Tür gegangen. "Musst du hier jemanden anschleppen, der meine Mutter herausfordert?", seufzte er. Ben lachte. Beide hatten gerade eine Zigarette angezündet, da kam der Rote wieder raus. "Deine Mama ist echt nett", sagte er. "Auch peinlich", sagte Louis und streckte die Hand aus. "Ich bin Lou." "Hallo, Robert", erwiderte der Rothaarige. "Was für ein Scheißtag", sagte Lou, "bis eben hab ich gearbeitet und gleich wird's dunkel. Ich bin jetzt schon müde."
      Die drei gingen in Crossed Richtung Whiteground. "Was arbeitest du?", fragte Robert. "Ich koche in einem Restaurant mit Pension", sagte Lou. Die drei öffneten sich ein Bier, das Lou mitgebracht hatte, und liefen durch Whiteground.
      "Ernsthaft?", lachte Lou, "du hast was geklaut und eine Stadtwache umgerannt, als du abgehauen bist? Sowas dämliches hab ich ja noch nie gehört!" Die drei kamen an einem Hof vorbei. Dort wurde Musik gespielt und ein paar Leute saßen an einem Feuer. "Eeeyy, Lou", hörte man einen Schrei. Ein Partygast hatte ihn sofort an seiner Statur erkannt. Er war besonders breit gebaut und hatte einen runden Schädel mit braunem, festgebundenen Zopf. "Ey, Leute", rief Lou zurück.
      Auf der Feier waren einige Kinder von Bewohnern aus Whiteground, aber ebenfalls Straßenkinder. Bier, Branntwein und auch Sumpfkraut machten die Runde. Zu späterer Stunde wurde ein Schwertkampf durchgeführt. Holznachbildungen wurden an die Teilnehmer ausgegeben. Ein schmächtiger Junge nahm das Schwert und begab sich ins Duell. Doch nur für wenige Sekunden, dann musste er sich übergeben und fiel um. "Wir haben einen Sieger!", rief Ben. "Ich will!", rief Robert und nahm sich das Holzschwert. Er bückte sich zum Jungen herunter, der sich übergeben musste, und stützte ihn zu einer Häuserecke. "Ey", rief er, "einer schaut nach ihm." Nun begab sich Robert ins Duell. Er und der andere Junge parierten gegenseitig ihre Angriffe. "Nicht schlecht", rief der Junge, "hast du schonmal gefochten?" "Eigentlich nicht", lachte Robert.
      Der Abend verflog wie im Winde von Grand Storm. Yasopp tauchte ebenfalls auf der Feier auf. Es stellte sich heraus, dass Lou der beste Freund von Yasopp war. "Deswegen dachte deine Mutter, wir sind Müllsammler im Whiteout", sagte Robert. "Müllsammler?", fragte Yasopp. "Hast du mich nicht eben noch gefragt, ob ich deine Uhr repariere?", grinste er. "Entschuldige, Schatzsucher", sagte der Rote. Es war bereits nach Mitternacht, als Ben und Robert bei der Wohnung über der "Alten Seemöve" ankamen. Beide legten sich hin. "Ey, Ben, was ist das für ein Buch?", fragte Robert. Ben hatte es im Schein seiner Laterne aufgeschlagen. "Es handelt von Piraten", antwortete Ben. "Piraten?" fragte Robert. "Sind das die Bösen?" "Ich weiß nicht, so weit hab ich noch nicht gelesen, aber ich glaube, sie sind nicht böse. Sie wollen Freiheit. Sie fahren dort hin, wo niemand ihnen etwas vorschreiben kann."

      Kapitel 5: Die Inschrift

      Beim verabredeten Treffen mit Mai war Robert bereits überpünktlich. Endlich kam Mai aus einer Seitentür gelaufen. "Die waren von dir, oder?", sagte sie und zeigte auf die Ohrringe, die sie trug. "Die lagen komischerweise auf meinem Fensterbrett", kicherte sie. "Ich weiß, dass du sie geklaut hast." Sie hob den Finger. "Was machen wir?", fragte Robert. "Du hast neue Klamotten angezogen, extra weil wir ausgehen?", fragte Mai. Beide schlenderten los und nahmen die Personenbeförderung von Whiteground durchs Hafenviertel nach Cornerblue. "Warst du echt noch nie am Logsley-Monument?", fragte Mai. "Schaust du dir nicht gern alte Bauwerke an?" "Früher in Swanlake hatten wir eine Menge davon, überall Steinkreise und so Zeug." "Das klingt aber schön, ist es schön in Swanlake?", fragte sie. "Klar, ist ganz schön, aber nicht so groß wie Lodea. Eher wie ein Stadtteil in Lodea." "Das ist klar. Willst du denn irgendwann wieder hin?"
      Cornerblue war ein wirklich schönes Viertel. Hier gab es schöne Häuser, eine große Kirche, ein Kloster und das Logsley-Monument zu besichtigen. Die beiden liefen durch den Logsley-Park. Robert kaufte geröstete Kartoffelscheiben und Saftschorle.
      Am Monument angekommen, schaute sich Robert die Gravuren halbherzig an. "Du kennst echt nicht die Geschichte?", fragte sie. "Doch, ich kenne sie." "Naja, Grand Storm und die anderen Nationen aus Olympia haben begonnen, die Neue Welt zu erkunden. Grand Storm, Rooster und Pallas Palma haben ein großes Rennen veranstaltet, bei dem man mit Segelschiffen über den All-Blue schippert." Mai bewegte die Arme, als würde sie sich im Wind wiegen. Robert hörte gebannt zu, obwohl er diese Geschichten bereits kannte.
      "Was bedeuten denn die Steinkreise in Swanlake?", fragte Mai. "Ich weiß nicht, keiner weiß es", sagte Robert. "Keiner, auch keine Forscher?" Der Rote lachte: "Forscher wären ja ihren Job los, wenn sie alles schon wissen würden!" "Auch wahr", kicherte Mai. "Wer hat denn die Steine dort aufgestellt?" "Auch unbekannt." "Und seit wann stehen sie da?" "Unbekannt." "Und welchen Zweck sie hatten weiß man auch nicht...", stellte Mai fast enttäuscht wirkend fest. "Sind die denn groß?", fragte sie. ""Gibt solche und solche, es gibt welche, da sind die Steine hoch wie Häuser", erklärte Robert. "Wahnsinn", sagte Mai. Als Robert erneut mit den Augen über die Inschrift des Monumentes ging, blieben sie an einem Namen hängen. Mai erzählte noch etwas, aber der Rote hörte sie kaum noch. Mit seinem Zeige- und Mittelfinger fuhr er über den Namen. "Robert?", fragte Mai und er reagierte wieder. "Hast du was gesagt, Mai?", sagte er und drehte den Kopf zu ihr. Mai nahm die Finger von Roberts Hand und drückte sie leicht vom Geschriebenen weg. "Wessen Name ist denn das?", fragte sie. "Meiner..", sagte Robert. "Im Ernst?", fragte Mai und sah aber, dass Robert keinen Spaß machte. "Naja, der meiner Familie", ergänzte er. "James Berhath...", las Mai vor, "ist das dein Vater?" "Mein Großvater. James Habith ist mein Vater". Dann bist du der dritte James, James Robert?", fragte Mai kichernd. "Ja, James der Dritte", antwortet Robert und sah traurig aus. "Wo sind die beiden denn?", fragte Mai, aber sah, dass Robert diese Fragen traurig stimmten. "Tot", antwortete er. "Ist aber schon länger her, ist okay." "Dann Schluss jetzt davon. Lass uns noch im Logsley-Park weiter laufen. Unten gibt es einen großen Teich, dort gibt es Enten, Schwäne und sogar Pfauen!", sie klang schon wieder ziemlich begeistert. Sie machte Bewegungen, deutete einen aufgebreiteten Pfauenschweif an und lief. "Ein Pfauenschweif, so wunderschön", sagte sie. "Du läufst wie ein Huhn", lachte Robert.

      Kapitel 6: Faustrecht

      "La Playa Leighte", meldete sich Lou an der Schnecke. Ben stand an der anderen Seite im Schneckenhaus der "Alten Möve". "Lou, weißt du, wo der Rote sich rumtreibt? Könnte ihn brauchen." "Benji, was'n los?", fragte Lou. "Diese Bande, Whitesharks, sie haben Fayez' Geschäft auf dem Schirm und somit mich. Fünf von denen haben mich letzte Nacht abgefangen." "Scheiße, die Hurensöhne", schimpfte Lou. "Der Rote ist später bei Yasopp, ich ruf dort durch und sag Bescheid. Die beiden werden eine große Hilfe sein." "Yasopp?", fragte Ben. "Klar", sagte Lou, "Yasopp ist zwar etwas weich, aber ein Kämpfer, dem macht so schnell keiner was vor", sagte Lou. "Meld' mich später."
      Robert testete diesen Nachmittag die neue Konstruktion von Yasopp, um jemanden an den Klippen westlich vom Whiteout abzuseilen.
      "Yasper", rief eine Stimme hoch, "Benjamin ist in der Scheckenbox." Yasopp lief runter zu seinen Eltern und nahm den Anruf in Empfang. Als Robert die Neuigkeiten hörte, war er von Wut und Enthusiasmus gepackt: "Die holen wir uns", sagte er. "Wer ist wir?", fragte Yasopp. "Na du, Ben, Lou und ich", sagte der Rothaarige.
      Als der Abend des nächsten Tages kam, waren die Verabredeten an der Stadtmauer vollzählig. Ben hatte eine Wunde im Gesicht, aber nicht schlimm, wie es aussah. Robert verspeiste ein belegtes Brötchen, das er an der Bäckerei geholt hatte. "Ihr müsst nicht alle mitkommen", sagte Ben. "Diese Scheißer holen wir uns", sagte Lou. "Ich bin ihr Konkurent", sagte Ben, "sie wären schön blöd Fayez und seine Leute den Handel kontrollieren zu lassen." "Fayez ist mir scheißegal", sagte Robert grinsend, "dich anzufassen, verlangt nach Prügel."
      "Das ist unser Mann", lachte Lou. Er zündete eine Sumpfkrautzigarette an, aber Robert nahm sie ihm aus dem Mund und drückte sie aus. "Ey, wir brauchen dich bei Bewusstsein, du bist stark." Lou war ein wenig perplex, aber nickte dann nur. "Heute ist deine Route bekannt, Benny?", fragte der Rote. "Ja, heute ist eine Ladung angekommen. Die wissen, dass ich das Zeug nach Crossed verteilen werde." "Die haben ihren Stoff ebenfalls bekommen? Nur eine Frage der Zeit, bis wir sie treffen", sagte Yasopp und zündete sich eine Zigarette an.
      Die Nacht verlief relativ friedlich, Ben verkaufte ein paar Päckchen im Fabrikviertel in Crossed. Yasopp und die anderen unterhielten sich über alles Mögliche. "Lou, du kochst?", fragte der Rote. "Ja, ich bin Koch. Manchmal muss ich servieren, aber ich mache meist Mittagstisch und Abendbuffet." "Genial", grinste Robert. "Ne, ist stressig", sagte Lou. "Was kochst du so?", fragte er. "Letzte Woche hatten wir Garnelen in Soße. Ich hätte das am liebsten alles selber verputzt", sagte er. Die Jungs tranken ein paar Bier, die Lou mitgebracht hatte. "Ey, aber das vernebelt nicht die Sinne?", rief Ben. "Ihr wollt doch nicht etwa ins Whiteout, Kinder?", rief die alte Frau von letztem Mal. "Machen Sie sich bitte keine Sorgen", sagte Robert und beugte sich zu ihr herunter. "Du warst letztes mal auch hier, Kleiner", sagte sie. "Genau", antwortete der Rote, "ich passe auf Ben auf." "Und auch auf die anderen Kinder?", fragte die Frau, ihre Augen waren voller Angst. "Beruhige dich, Grete", beschwichtigte ihr Mann neben ihr. Robert nahm ihre Hand: "Klar, diese Jungs sind meine Freunde, ihnen und mir selber passiert nichts." Die Frau wurde sofort ruhig. Der Mann schaute Robert an. Er stank nach Branntwein: "Meine Frau hat damals ihr Kind verloren", flüsterte er. "Uns passiert nichts, solange ich hier bin, Herr!", sagte Robert und schüttelte dem alten Mann die Hand.
      Crossed verlief unproblematisch, aber als die Truppe in Whiteground zurück war, schien ihnen bereits jemand zu folgen. An einem Hinterhof klopfte Ben an die Tür. "Ey", rief jemand. Aber derjenige war bereits ertappt. "Ebenfalls", sagte Lou. Der Junge schaute sich um. Die lachenden Gesichter der anderen tauchten aus dem Dunkel auf. Der Kunde schaute aus der Haustür: "Ey, ihr kleinen Arschkriecher", lallte er, "verpisst euch aus meiner Straße, wenn ihr euch kloppen wollt. Ich kann die Bullenschweine hier nicht meine Bude hochgehen lassen..." Er trat aus der Tür nach Ben und einem der Whitesharks. Es blieb aber bei einem kläglichen Versuch aufgrund von sicherlich zu vielen verbotenen Substanzen. "Whiteground gehört uns!", sagte ein Weiterer der Sharks. "Wem gehört denn ein Stadtteil?", fragte Yasopp. "Die Straßenpflaster oder die Bepflanzung am Straßenrand?" "Mach mal nicht den Klugscheißer", er kam auf die beiden zu. Robert ging auf auf ihn zu: "Verpisst euch besser." Nach einen Schlagabtausch hatten beide eine verpasst bekommen. Ben hatte den anderen Jungen bereits zu Boden geworfen. Lou packte sich einen weiteren und ein vierter rangelte mit Yasopp. Als ein fünfter bereits auf Yasopp zulief, schlug Lou seinen Kontrahenten nieder und packte den Angreifer ebenfalls. "Leute", rief Ben auf einmal und wenig später nochmal. Zwei bewaffnete Erwachsene, offensichtlich vollkommen vollgedröhnt, kamen aus dem Haus. "Weg hier", rief nun ebenfalls der Anführer der Whites. Robert, Ben und die anderen Jungs nahmen die Beine in die Hand. "Verpisst euch, Dreckgören..!" "Bei dem Geschrei kommt die Streife erst Recht", lachte Robert. Einer der Whitesharks lachte ebenfalls: "Dieser fette Trottel, hätte der keine Flinte, hätte ich den ebenfalls Hopps genommen", plusterte er sich auf. "So wie... eigentlich keinen von uns?", fragte Yasopp. Die Banden trennten sich nun nach wenigen Straßenkreuzungen und die Jungs stromerten weiter in die Nacht.

      Kapitel 7: Sparring

      Robert lief hinter Mai her, voll bepackt. "Hierher, etwas schneller." "Gib es zu, du hast dich nur mit mir verabreden wollen, damit ich dein Zeug schleppe", lachte er. "Das, und weil, wenn ich dich nicht offiziell sehen kann, gebe ich dich einfach als meinen Packesel aus. Ich meine natürlich meinen Angestellten." "Die kleine Mai", rief ein Herr und kam mit seiner Frau auf die beiden zu. "Machst du Einkäufe?", fragte die Frau. "Ja, genau, Hafenviertel und noch ein wenig nach schönen Sachen stöbern. James, komm bitte, nicht so langsam." Die Leute verabschiedeten sich. "Siehst du, perfekte Tarnung", sagte sie und erhob den Finger. "Was habt ihr denn später noch vor?", fragte Mai. Robert erzählte von der Seilaktion, die in Planung war, der Idee, ein Boot seetüchtig zu machen, und dem geplanten Einbruch in das Lager. "Was willst du eigentlich später mal machen, Robert?", fragte Mai ihn, als die beiden eine Pause machten. Mai sah sich Kleider und schöne Stoffe an. "Später, wenn ich erwachsen bin?" "Genau." "Vielleicht klau ich dann größere Sachen." "Nein, im Ernst, wenn du alles machen könntest, wirklich alles." "Alles?", fragte Robert, "ich weiß es auch nicht." "Du bist echt ein seltsamer Kerl", bedachte Mai. "Danke", sagte Robert. "Jetzt hab ichs, ich wäre gern dein Bediensteter und würde gern deine Sachen schleppen!" "Das trifft sich gut, ich kenne hier einen tollen Umweg", strahlte ihn Mai an. "Noch länger schlepp-", sie fasste nach seinem Mund: "Mehr Zeit mit mir, meinte ich!"
      Robert kam entsprechend spät nachmittags bei der "Seemöwe" an. "Ey, wir können durchs Haus gehen, du musst nicht aufs Dach klettern." "Langweilig", sagte Robert. In Bens Zimmer planten sie an ihrem Raubzug. Später trafen sie Lou an der Stadtmauer, nahe dem Stadtkern. Er hatte ein paar Sachen aus dem Restaurant dabei. Die Jungs klauten, auf Lous Tipp hin, noch etwas bei einer unbewachten Warenlieferung eines edlen Restaurants. "Haben wa uns echt bedienen können", freute sich Ben. Benjamin und Robert gingen abends auf eine Party ins Whiteout, rösteten Fleisch auf dem offenen Feuer und gaben Bier und Obst aus. Am Waldrand wurden Schießübungen mit einer scharfen Waffe gemacht. Das war die "Whiteout-Art", sich dafür zu bedanken, etwas ausgegeben zu haben. Ben hatte zwar Bier getrunken, konnte aber dennoch die Ziele treffen. Der andere war komplett betrunken und selbst er traf die meisten Ziele. "Auf'n Schiff musste auch so zieln, da schaukelt's auch auf un ab. Habta schonma gefochten?" "Mit Übungsschwertern", sagte Robert. Die drei gingen zu einem Typen, der in einem verwahrlosten Garten saß. Ein Junge, vielleicht etwas älter als die beiden, saß dort ebenfalls. Der Junge zeigte ihnen echte Säbel, wie sie Seefahrer nutzten. Robert und der Junge machten ein paar Schwungübungen. "Gar nicht mal mies", sagte der Vater des Jungen. Er nahm den Säbel an sich und ließ Robert ein paar Mal parieren. Er konnte aufgrund einer Verletzung der rechten Hand nur die Linke benutzen. "Mach ma, na los, Junge, greif an", rief er. Der Rote zögerte. Immerhin waren das echte Waffen mit tödlich scharfen Klingen und der Kerl war verkrüppelt und betrunken. Der andere Junge nahm die Klinge an sich: "Schau", rief er, fuhr herum und setzte einen Schlag in Höhe des Oberkörpers. Der ältere blockte mühelos ab, ohne sich groß zu bewegen. Robert versuchte es nun ebenfalls. Er setzte Stiche und Schläge. Der Mann tänzelte und konnte die Angriffe einfach abwehren. "Genug Jungs, hat Spaß gemacht. Ich glaube, Schwertkampf ist dein Ding." Robert zuckte die Schultern.

      Kapitel 8: Schatzsucher und Diebe

      Robert und Yasper liefen bepackt runter zum Strand des Whiteout. Versteckt oben im Gebüsch stand eine weitere Konstruktion, die nun modifiziert werden würde. "Wenn wir was schweres unten an den Flaschenzug bekommen, können wir dich mitsamt dem Schatz hochziehen." Robert nickte. Er schaute zu, wie geschickt Yasopp solche Sachen baute und technische Sachen umsetzen konnte. "Der alte Carry hat lauter so Zeug rumliegen. Vieles ist Schrott, aber hierfür ist es ideal, Einzelteile zu verwenden", erklärt Yasopp. "Aus anderen Maschinen?", fragte Robert. "Genau, Industriemaschinen, Fahrzeuge und so ein Zeug. Wenn wir sowas unten finden, ist es auch was Wert. Alles aus Metall, alles was an Holz noch nicht völlig vom Meer zersetzt wurde oder an den Klippen zu Kleinholz verarbeitet wurde. Und frische Fracht sowieso, zum Beispiel verlorenen Ladung, die noch verschlossen ist, man weiß ja nie. Vielleicht ist was Wertvolles dabei." Der Regen wurde stärker, die beiden warteten eine Zeit bevor sie weiter arbeiten konnten. Nun war auch Lou angekommen. Er hatte einen Beutel mit Mittagessen dabei. "Wenn es nicht zu schwer wird, können wir dich mit Hilfe der Konstruktion auch mit was sehr schwerem zu zweit wieder hochbekommen." "Ansonsten gehste zu Fuß, wenn wir nur das Gold herbekommen", feigste Lou. "Kistenweise Goldbarren", bestätigte Yasopp. "Stimmt denn das Wetter?", fragte Lou. "Müsste gehen, es regnet zwar, aber es geht nur darum, ob der Rote vom Wind in die Klippen geschleudert wird oder die Wellen ihn erwischen. Das dürfte alles im machbaren Bereich sein. Ich hoffe nicht, dass sich Leute zu weit an die Klippen verirren und stören." "Interessiert doch eh keine Sau, was die Leute im Whiteout treiben", erwiderte Lou. "Kommt drauf an, was wir aus dem Wasser ziehen", warf Robert ein.
      Am Abend kletterte der Rote die Stadtmauer entlang, sprang aufs Dach der "Seemöve" und klopfte ans Fenster. Das Fenster öffnete sich. "Ey Benj." "Hey, Roter." "Wie sieht's aus?", fragte Robert. "Der Plan für den Bruch in das Lager steht. Alles, was wir brauchen, holen wir bei Carrington", erklärte Benjamin zufrieden. "Ich hoffe, das wirft genug ab, um Carry sein Zeug zu bezahlen", ergänzte er. "Wenn der ganze Mist dort drin unbrauchbar ist, wird's ein Verlustgeschäft." "Carry braucht doch altes Zeug", erwiderte Robert, "außerdem, wir haben noch ein Eisen im Feuer mit Yasopps Maschine." "Stimmt, klappt das Ding?", fragte Benj. "Klar, Tests liefen gut. Wir holen die Tage die ersten Sachen raus." "Hab nichts anderes von Yasopp erwartet", lachte Ben, "is 'n Genie, der Typ." Robert grinste. "Ey Roter, ich hab dir doch von den Seeräubern aus dem Buch erzählt?" "Genau", sagte Robert. "Das sind Geschichten von früher. Die ich gerade lese, handelt von einem großen Piraten. Er war so stark, er konnte ein Erdbeben auslösen, wenn er zuschlug." Benj machte eine Schlagbewegung, als er lebhaft erzählte. "So ein Blödsinn", lachte Robert. "Jedenfalls, wir sollten uns auch ein Schiff holen." "Und eine Bande gründen?", fragte der Rote. "Klar, wir sind ja schon eine Bande mit Yasopp und Loui", sagte Ben. "Machen wir, wenn wir ordentlich Kohle zusammen haben, von unseren Aktionen", sagte Robert, "ich hab mich eh schon gefragt, was wir mit der ganzen Kohle machen, von den Goldbarren aus dem alten Lager und von unter den Klippen." Ben lachte: "Klar, Gold. Wahrscheinlich findest du im Lager einen Haufen Staub und unter den Klippen wieder ne Leiche."
      An den Klippen nordwestlich des Whiteout hatte Yasopp einen guten Tag ausgemacht, der Wind hielt sich in Grenzen, sodass eine Bergungsaktion angesetzt war. "Drecksregen", schimpfte Lou und zog seine Kapuze enger. "Wo bleibt der verdammte Rote? Hast du seine Uhr nicht neu aufgezogen? Was ist nun die Ausrede?" "Er ist ein Trottel, ist die Ausrede", lachte Yasopp. Als Ben und Robert eintrafen, war sogar der Regen zu einem sanften Niesel geworden. Robert wurde in die Maschine eingespannt, was bedeutete, er wurde mit einer Seilkonstruktion an der Hüfte herabgelassen. Um unten etwas aufsammeln und an der Konstruktion befestigen zu können, musste er mit dem Gesicht nach unten abgeseilt werden. Oben über den Klippen zu hängen, mit dem Gesicht nach unten und in das tödliche, tosende Meer zu schauen, hätte wohl einigen starken Seeleuten Angst gemacht. "Wooooohh", rief der Rote aus, als es abwärts ging. "Keine Sorge, die Konstruktion sichert ein Abstürzen ab. Es stockt, wenn es zu schnell abwärts geht oder man sogar das Seil loslässt. Unangenehm wäre es aber allemal für Robert, da er einige Meter fallen würde und dann vom Seil abgebremst werden würde." Einige Meter ging es in die Tiefe, Robert versuchte etwas zu erkennen. Ben schaute über die Klippen, auf dem Bauch liegend: "ein paar Meter noch!" Es klappte. Robert hatte die Möglichkeit, etwas zu greifen, doch ihn erwischte sofort eine Welle. Er wurde Richtung Felswand geworfen. Er pendelte sich wieder ein. "Er wurde erwischt!", rief Ben. "Weg kann er nicht!", rief Yasper. "Er hat was erwischt, zieht rauf", rief Ben den beiden anderen zu. Lou riss das Seil über die Winde und der Rote wurde mitsamt der Beute nach oben gezogen. Beim nächsten Abstieg wurde Robert mit Säcken und weiteren Haken zum Befestigen von Treibgut versehen. Es klappte. "Was ist das für ein Zeug?", fragte Robert, als sie ihn wieder an Land geholt hatten. "Wird einem nicht kotzübel von dem Geschaukel?", fragte Lou. "Geht, einem wird nur langsam kalt, wenn man die Wellen in die Fresse bekommt und dazu den Wind." Die Jungs hatten einiges an Metallschrott, Holz und Lebensmittel, die wohl ein Frachtschiff verloren hatte. Die Jungs verteilten noch genießbare Sachen und Feuerholz an einige Leute am Strand von Whiteout.


      Kapitel 9: Der Coup

      Die Jungs hatten sich bei Carry eingefunden. Es wurden die Vorbereitungen für den Einbruch in die Lager im Regierungsviertel getroffen. Carrington würde den Kindern einen guten Preis für alte Waffen, Munition oder Maschinenteile zahlen. "Die Scheiße wird doch von vor dem Großen Krieg der Weltregierung sein, ist das überhaupt was wert?", fragte Ben. "Na klar, Junge", erklärte Carry, "viele Leute sammeln sowas, außerdem kann man die Waffen restaurieren und sogar noch vorzüglich zum Kampf benutzen."
      Ausgestattet mit Lampen, Einbruchswerkzeug und falschen Schlössern, mit denen man vorgaukeln würde, die Tore wären intakt, machte man sich am Nachmittag auf. Die Aktion musste bei Tageslicht stattfinden, da man in den ohnehin spärlich beleuchteten Gemäuern sonst kaum etwas zu sehen wäre. Aber vor allem, weil man bei Nacht niemals die Bewegung der Menschen drumherum überwachen könnte. Gleichzeitig würde Licht von Lampen in den unbenutzten Gebäuden sofort auffallen. Im Hafenviertel und Teilen von Whiteground war Hafenfest, sodass nur das geringst nötige Wachpersonal zu erwarten war. Winny, der Fischmensch, in seiner Arbeitskleidung, würde Waren zum Versteck schleppen, die er von Lou annehmen würde. In Tücher gewickelt würde man nicht erkennen, um was für Waren es sich handelt, und man würde wahrscheinlich Nahrungsgüter erahnen. Außerdem gab es viele Fischmenschen, auch viele Gastarbeiter, die bei den Feierlichkeiten arbeiteten. Yasopp nahm auf der Stadtmauer Position ein. Von dort aus konnte er überblicken, ob sich Wachen oder Passanten näherten, und gegebenenfalls die Aktion abblasen. Dafür hatte er eine Vorrichtung in Position. Eine Leuchtrakete würde anzeigen, dass die Aktion sofort beendet werden musste. Diese Rakete würde so vor dem Lager einschlagen, dass Robert und Benjamin im Inneren des Lagers, Lou unten in der Straße und auch Winny, mit Waren in einem Handwagen, es bemerken würden. Je nach Situation könnten die Beteiligten unauffällig verschwinden und sich nichts anmerken lassen oder die Beine in die Hand nehmen.
      Über eine Gasse, die direkt zur alten Stadtmauer führte, machte sich die Bande von Carringtons Werkstatt aus auf den Weg. Winny hatte sich schon eher aufgemacht zum Lager. Er würde im Regierungsviertel warten. Die Jungs rauchten eine Zigarette, bevor sie sich einschworen und begannen, ihre Positionen einzunehmen. "Im Hafen müsste es nun bald richtig losgehen", stellte Lou fest. "Das ist unser Trumpf", grinste der Rote. "Auf gehts", sagte Yasopp und begann sich auf die Position auf der Stadtmauer hoch zu hangeln. Die Stadtmauer war bekanntermaßen, aufgrund ihrer Bauweise, sehr einfach zu besteigen, sowie auch sicher, was Abbruchkanten und lose Steine angeht. Dennoch sollte man auf der Hut sein und gerade bei nicht oft benutzten Kletterrouten aufpassen. Ein falscher Schritt oder Griff, ein loser Stein, kann einen möglicherweise tödlichen Sturz zur Folge haben. Gerade wenn es höher ging, war es weniger sicher, weil dort so gut wie nie jemand rumkraxelte. Yasopp ließ sich Zeit. Einmal segelte er trotzdem fast herunter. Es wäre zwar nur ein Sturz auf eine tiefere Ebene gewesen, aber auch dabei hätte man sich wahrscheinlich verletzt und hätte die Aktion abblasen können.
      Die anderen drei Jungs gingen zu den Rohren. "Dieses hier", zeigte Ben an. "Dreckszeug", motzte Lou, der zuerst reinging und sein Gesicht nun voller Efeu und Spinnenweben hatte. Er kroch voran. "Ich war mir sicher, dass wir abbrechen müssen, weil du zu fett bist, Lou", rief Ben von hinten. "Fresse halten, da hinten", rief Lou. Ben kroch hinter Lou her, dann kam Robert. "Ich steck fest, ich steck fest", hörte man Lou mit gequälter Stimme rufen. Die drei hatten ihren Spaß. Natürlich steckte Lou nicht fest. Sie kamen unter der Straße an und kletterten die Leiter hinauf. Ben schaute, ob die Luft rein war. Die drei flitzten über die Straße, direkt zum ersten Lager. Robert schaute sich um, alles in Ordnung. Er sah Yasopp oben auf Position. Man konnte ihn schwer erkennen. Wenn man nicht wusste, dass er genau da sitzen würde, würde man ihn wohl kaum bemerken, was gut war. "Offen", sagte Lou. Ben und Robert schlüpften durch die Tür hinein. Lou versah die Tür mit dem falschen Schloss und nahm das geknackte, alte Schloss an sich. Er stellte sich in die Tür und zog von Innen zu. So sah die Tür von außen intakt aus. Die drei kramten. "Hier, Munition, wie erwartet", flüsterte Ben. "Ist das wirklich sicher?", fragte Lou. "Carrington sagte es so", erwiderte Ben. "Dann wirds wohl stimmen", feigste Lou, allerdings vertraute er schon auf Carrys Expertise. "Risiko gehört dazu", hörte er Robert sagen. "Halt die Klappe", antwortete Lou und schaute, ob die Luft rein war. Er flutschte nach draußen durch die Tür und brachte die erste Fuhre zu Winny, der in Arbeitermontur mit seinem Handwagen wartete. Lous Aufgabe war es nun, an der Tür die Waren anzunehmen und zu Winny weiter zu leiten, der sie ins Lager stapelte. Dieses war in der Nähe. Carrington hatte seine Kontakte und konnte so ein passendes Objekt ausfindig machen, das als Zwischenlager für Hehlerware diente und nicht auf ihn zurück zu führen sein sollte. Zwar hatten die Jungs Instruktionen erhalten, was sie suchen sollten, allerdings waren Robert und Ben nicht die Experten auf diesem Feld. Außerdem dauerte es echt länger als erwartet. "Puhh", hörten sie Lou ächtzen. "Schweres Zeug?", fragte Ben. "Das isses nicht, mich haben da Leute gesehen, sah aus wie Personal vom Regierungsviertel. Sie haben aber nicht gesehen, wo ich hin bin." "Stimmt das Schloss außen?", fragte Ben. "Müsste." "Haltet trotzdem jetzt die Fresse, nicht kramen, Roter." Sie warteten eine Zeit. Draußen waren Stimmen zu hören. Aber es schien eine ganz normale Unterhaltung zu sein, Menschen gingen vorbei. Keiner beachtete die alten Lagerhallen aus Kriegszeiten. "Jo, weiter", sagte Lou, "müsste gehen".
      Die erste Aktion ging sehr von Statten. "Lief alles glatt, Winny?", fragte Carrington, als sein Kollege wieder bei ihm eintraf. "Was Gutes dabei gewesen?" "Klar Chef, sieht gut aus." "Und, gehen die Jungs morgen nochmal rein?" Carrington erhoffte sich natürlich noch alte Kriegswaffen, für die eigene Sammlung. "Morgen, wenn das Hafenfest auf dem Höhepunkt ist", antwortete Winny.
      Die Jungs machten sich am nächsten Tag direkt wieder auf, das Lager neben dem vom Vortag aufzubrechen. Zwar war das erste natürlich alles andere als leergeräumt, allerdings könnte in einem weiteren natürlich etwas Wertvolleres sein. So würde es sich lohnen, ein neues Lager zu öffnen, um die begrenzte Zeit optimal zu nutzen.
      "Was ist das für ein Schrott?", flüsterte Ben. "Ist schön, oder?", sagte Robert und hielt ein altes Schwert hoch, sodass etwas mehr Licht darauf fiel. "Sieht aus, als wär's wirklich alt", meinte Ben. "Wie von einem Piraten!", stellte Robert fest. "Weiß nicht, eher eines Ritters vielleicht." "Was kennst du denn für Ritter?", kicherte der Rote. Das Schwert hatte eine doppelseitig geschärfte Klinge, die zum Griff hin halbkreisförming enger wurde. Die Klinge war nämlich ziemlich breit und massiv. Das Stück, das Klinge und Griff trennte, war rostfarben und der Griff grau. Ebenfalls gefärbt wie das Oberteil war das Stück, was unten den Griff abschloss. Es war leicht tropfenförming. Robert starrte es fasziniert an und schwang es herum. "Ey, Roter", fauchte Benjamin, "mach ma weiter hier, wir sind hier nicht zum Rumalbern." Draußen waren auf einmal Stimmen zu hören, kein normales Sprechen, was nicht auffällig wäre, dass jemand zufällig vorbei läuft, sondern aus der Ferne. Und da kam auch das Lichtsignal von Yasopp, dass sie aufgeflogen waren. "Verdammt", zischte Ben und lief los. Robert folgte ihm. Vor dem Lager sahen sie Stadtwachen herbeieilen. Einer war bereits sehr dicht dran und winkte seine Leute her. Benjamin bremste ab. Robert flitzte an ihm vorbei um die Ecke des Lagers und sah nun ebenfalls was los war. "Andere Richtung!", rief Ben und raste an Robert vorbei, der sich umdrehte und folgte. "Schmeiß dass Ding weg!", rief er dem Roten zu, der immer noch fest umklammert das alte Schmuckstück hielt. Es knallte. Ein Schuss fiel. Dann sofort noch einer. Ben sprang in Richtung Kanalisation. Er rollte ein Stück über die Straße, schnellte die Leiter herunter und sprang mit einem Satz in die offene Kanalisation. Er hörte es weiter knallen. Dieses Mal richtig. Es war ohrenbetäubend. Er wetzte auf allen Vieren durch das Kanalsystem. Sobald er draußen war, rannte er orientierungslos weiter. Er drehte sich um, aber sah Robert nirgendwo. Da er auf der anderen Seite der Mauer rausgekommen war, konnte er durch die Stadtmauer nicht erkennen, was drüben vor sich ging. Allerdings sah er ein Leuchten am Himmel. Und Rauch. "Verdammt man, wo ist Robert? Haben sie ihn erwischt?", dachte Ben. "Oder schlimmer, hat ihn eine Kugel erwischt?" Sein Herz pochte. "Ben!", brüllte auf einmal jemand. Es war definitiv Roberts Stimme. Ben war zwar erleichtert, aber auch etwas angefressen, dass nun sein Name durch die Straßen gebrüllt wurde, während im Hintergrund die Lagerhallen abfackelten. "Roter!", rief er. Sie trafen sich in einer Gasse. Wider Erwarten hatte Robert sogar noch seine Verkleidung aufbehalten. Er hielt das verdammte Schwert noch immer. "Komm jetzt, weg hier!" "Was ist mit Yasopp, Ben und Winnipeh?" "Die waren über alle Berge, denke ich", grinste Robert.
      Die beide saßen in einem Versteck, dass Straßenkinder nutzten. "Das ist ein Glücksschwert, Benj!", strahlte der Rothaarige. Ben wollte gerade schon etwas sagen, doch hörte sich die Geschichte an "Der Typ, der so dicht dran war, hat direkt auf mich gefeuert, kein Warnschuss. Das hätte mich zu Rattenfutter verarbeitet. Aber die Kugel ist an der Klinge abgeprallt." "So ein Blödsinn", sagte Ben und lachte. "Nein, echt."

      Kapitel 10: Konsequenzen

      Im Regierungsviertel waren Löscharbeiten und Ermittlungen im Gange. Die Jungs hatten geschlafen, besser oder schlechter. Robert jedenfalls war erschöpft, aber ohne große Sorge. "Wollen wir zur Bäckerei?", fragte Ben. "Lass uns was Gutes kaufen, auf was hast du Bock?" "Willst du den großen Coup vielleicht feiern?" "Na", erwiderte der Rote, "so recht feierlich ist es nicht, dass wir wenig Beute machen konnten." An der Tür zum Dachzimmer klopfte es. "Nein, oder?", fragte Robert. Ben schaute auch etwas erschrocken, schüttelte aber den Kopf. Er wusste, dass niemals die Möglichkeit bestand, eine Polizeirazzia ohne Getöse auf der Straße und unten an der "Seemöwe"durchzuführen. Es war einer von Fayez' Leuten. Er lugte durch die Tür. "Ben, ich weiß nicht, ob ihr damit zu tun habt, aber haltet den Ball flach. Fayez will den Ärger nicht in Whiteground haben." "Ist okay", sagte Ben. Die beiden schlichen direkt die Gassen entlang. Es sah nicht so aus, als würde jemand Whitegrounds Straßen nach Verdächtigen für den Brand im Regierungsviertel filzen. Die Jungs kaufen sich eine Mahlzeit an einem Straßenverkauf. An einem zugewachsenen Versteck an der Stadtmauer kam ein Straßenkind zu Robert und Ben. "Du bist der Rote, oder? Ich kenn dich vom Sehen." "Klar, ich bin Robert", erwiderte dieser. "Mai lässt ausrichten, dass sie sich Sorgen um euch macht." Robert schaute ernst. "Scheiße", sagte Ben. "Scheiße", stimmte Robert zu, "Sie wusste, was abgehen wird. Oder konnte sich's zumindest denken." "Ich geh nachher an der Backstube vorbei." Das Mädchen kam erneut rüber zu den Jungs. Zwei weitere Straßenkinder standen etwas abseits. "Mai ist gerade in Whiteground unterwegs, eine meiner Freundinnen kennt sie vom Kirchenunterricht." Ein hübsches, junges Mädchen winkte den beiden zu. "Klasse", sagte Robert. "Soll ich euch hinbringen?", fragte das Mädchen, wahrscheinlich ein bis zwei Jahre älter als die beiden. "Los geht's." Ben warf seine Kippe weg. "Megahübsch", flüsterte Ben Robert zu. "Zu groß", flüsterte Robert zurück. "Ich hab schon von euch gehört", sagte das Mädchen. "Was sonst?", fragte Ben reißerisch. "Was hast du gehört?", fragte Robert. "Naja, du sollst ein Idiot sein." "Sie kennt Mai wirklich, die sagt das auch immer", feigste Ben. Robert lachte. "Und du Benjamin, sollst ein schäbiger Dealer sein." Ben blieb augenblicklich stehen. "Was sagst du da?" "Ey, komm schon, ist doch nur 'n Witz von ihr", sagte der Rote, der merkte, dass sein Freund sichtlich getroffen war. "Nein nein, Roter", sagte Ben, "das ist es nicht..." Robert schaute das Mädchen an. Es grinste höhnisch. "Das hier ist Whitesharksgebiet", sagte Ben leise. Und seine Vorahnung sollte sich bewahrheiten. "Erwischt, ihr seid wirklich dümmer als die Kakerlaken im Whiteout", höhnte das Mädchen. Mehrere Whitesharks-Jungs näherten sich den beiden. Unvermittelt griffen sie Ben an. Robert fuhr herum, einer der Sharks küsste das Mädchen und schien sich für den Hinterhalt zu bedanken. "Ihr feigen Bastarde!", rief Robert und ging auf die Angreifer los. Ben prügelte einen der beiden nieder, aber der andere konnte ihn zu Boden bringen. Bevor Tritte ihn verletzen konnten, fiel der erste Whiteshark um, Blut spritzte aus seinem Kopf. Robert hatte ihn mit einem Rohrstück nieder geschlagen. Der zweite war getroffen. Ben rang sich hoch und griff sich den Typen, der ihn zu Boden gebracht hatte. Dieser zog ein Messer. Ein langes Kampfmesser. Ben wich zurück. "Robert, er hat ein Messer!", Robert rannte zu Ben rüber. Der Typ mit dem Messer schien ersthaft darauf aus zu sein, Ben abzustechen. Robert stellte sich vor seinen Freund. Das Messer sauste auf ihn zu, das Blut tropfte auf den Asphalt. Von Geschrei in der Gasse, waren bereits Anwohner und andere Passanten angelockt worden. Ben schaute Robert an. Dieser grinste. Das Messer steckte in seinem Unterarm, glatt durch. Der Whiteshark ließ das Messer los und schaute selbst verdutzt. Robert schmetterte ihm eine Kopfnuss ins Gesicht. Dann zog er sich das Messer aus dem Arm und warf es auf den Boden. Die anderen Whitesharks schauten entsetzt. "Weg hier, Ben", rief Robert. Als sei das der Befehl für alle gewesen, rannten die beiden sowie auch die angeschlagenen Sharksmitglieder los, um sich vom Ort des Getümmels zu entfernen. Der Messerangreifer blieb blutend und benommen in der Gasse liegen. Im Rennen band Robert sein Kopftuch um seinen Arm. Durch das Adrenalin und die Anstrengnung pochte der Schmerz nun in seiner Wunde und das Blut sickerte durch das Kopftuch und tropfe. "Das sieht furchtbar aus, Alter", rief Ben ihm zu. "Komm." Die beiden rannten in eine Gasse zu einem Versteck der Gang von Fayez. "Schickt ihn zum Arzt!", befahl ein älterer Drogen-Fabrikant. "Fayez ist an der Schnecke, er zahlt die Arztrechnung, nur bringt diesen blutenden Typen hier weg!"
      Robert lag bei einem Arzt in Whiteground auf der Pritsche. Er hatte einiges an Blut verloren. "Der wird wieder", sagte der Arzt. Ben saß mit im Zimmer. Fayez kam herein. Ein großer dunkelhaariger, gut gekleideteter Mann mit zurückgekämmten Haaren. Er war mittleren Alters und anhand seines Aussehens erkannte man, dass er wohl aus dem Eastblue stammte. Seine Haare und sein Bart waren schwarz mit grauen Akzenten und seine Haut war dunkler als die der meisten Menschen in Grand Storm. "Fayez", sagt Ben, "es tut mir Leid, es war meine Schuld. Die Schweine haben mich in die Falle gelockt, ich hätte das besser wissen müssen." Fayez schwieg und schaute sich den schlafenden Robert an. "Ist schon okay, Benjamin", sagte Fayez. "Ich trage auch Schuld, ich setze dich dem Risiko aus." Ben wusste zwar, dass Fayez kein Unmensch war, wie man es vielleicht von einem Drogenhändler und zwielichtigen Geschäftsmann erwarten würde, aber so nett hatte er ihn trotzdem noch nie erlebt. "Fayez, ich...", sagte Ben. "Die holen wir uns", hört man auf einmal eine Stimme hinter Fayez. Ben hielt inne und lief zu seinem Freund: "Alter, wie geht's dir, was macht der Arm?", fragte er freudig. Aber Fayez schob ihn zur Seite. "Das werdet ihr nicht tun", sagte er zu Robert. Der Rote grinste: "Was willst du hier, wer bist du überhaupt?" Ben wollte gerade eingreifen, aber Fayez gab ihm das Zeichen, sich zurück zu halten. "Ich bin Fayez Has Vagaran, Ben arbeitet für mich." Robert schluckte einmal. "Ich wollte schauen, wie es euch geht und dir danken, dass du auf Benjamin aufgepasst hast. Ich werde mich um diese Angelegenheiten kümmern, Robert." Robert gab sogar, untypisch für ihn, nach und nickte nur. "Nächstes Mal geht es vielleicht schlimmer aus. Ich möchte dich deswegen und wegen dem Tumult im Regierungsviertel bitten, dass du erstmal aus dem Whitegruond verschwindest." Robert bäumte sich auf und auch Ben wollte gerade protestieren. Fazey hielt seine Hand hoch und gestikulierte, dass er noch nicht fertig mit der Ansprache war. Er nahm seine goldgeränderte Brille ab und putzte sie. "Deswegen möchte ich dir einen Job anbieten, Robert." Ben und der Rote schauten sich an. Ben zuckte mit den Schultern. "Warst du bereits in Cornerblue und was weißt du darüber?" "Ich penne öfter an den Klippen im Wald auf der anderen Seite des Hafenviertels. Dort runter geht's nach Cornerblue. So wirklich dort war ich nicht. Ich weiß, dass das so 'n Bonzenviertel ist." "Es ist ein reicheres Viertel, ja", sagte Fayez. "Aber es gibt vor allem viele bürgerliche Leute und auch Höfe mit Landwirtschaft. Mach dich, sobald du hier raus bist, mit dem Viertel dort vertraut. Halt dich vor allem bedeckt mit Straftaten. Ich weiß bereits, Robert Kenway, dass deine Art, sich von Ärger fernzuhalten, etwas schwierig, wenn nicht gar absolute Scheiße ist. Es ist aberbwichtig, dass du unter dem Radar bleibst." "Wie kommst du darauf, dass ich das will?", fragte Robert. Fayez schien wirklich froh zu sein, dass nichts Schlimmeres passiert war, so ruhig wie er blieb. Ein Mann wie er war es wohl nicht gerade gewohnt, so respektlos angeredet zu werden. "Ich komme darauf, weil es garantiert, dass du weiter Geld machen kannst, indem du dort für mich auslieferst, ohne offensichtliche Straftaten zu begehen, oder dass man dich mit der Messerstecherei oder dem Fiasko im Regierungsviertel in Verbindung bringen wird. Sowohl seitens des Gesetzes, als auch der Whitesharksgang." Robert und Fayez schüttelten sich die Hände - die linke Hand, die rechte war durchbohrt und in Verband gehüllt. Fayez verabschiedete sich auch bei Ben. "Die Arztrechnung geht auf mich, unter einer Bedingung..." Robert schaute ihn an, er drehte sich nochmal um: "Du gehst die Tage nach Crossed ins Hospital und lässt die Wunde prüfen und fachmännisch nachbehandeln. Ist bereits bezahlt." Der Rote grinste und machte eine bestätigende Geste mit der noch heilen Hand.

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      Kapitel 11: Neue Ecken

      Der Rote saß am Waldrand, in seinem alten Versteck. Er fütterte ein paar Vögel und Eichhörnchen. Er kramte ein paar Dinge hervor und tarnte das Versteck im Wald erneut mit Erde und Laub. Die Sonne glitzerte durch die Zweige und den Regen, der aufs Blätterdach prasselte. Er lief den Waldrand entlang und der Regen verschwand. Nun blieb nur die schöne Sonne übrig, die den Hafen und sein reges Treiben ausleuchtete. "Hey Leute", rief Robert und winkte Ben und Mai zu, die dort aus der entgegensetzen Richtung aus Whiteground kamen. Robert umarmte beide in einer Dreierumarmung. "Kein Küsschen?", fragte Ben. "Doch klar", rief Robert und spitze seine Lippen auf übertriebene Weise und kam auf Bens angewidertes Gesicht zu. Er duckte sich weg und lief eine Kurve um Robert und Mai herum. "Welche List habt ihr euch denn ausgedacht, um einen Nachmittag in den Hafen zu können?", fragte er Mai. "Eine gute, aber lass uns trotzdem etwas weiter von der Hauptstraße abhauen. Mich erkennen die Leute." Die drei schlenderten und kauften sich Garnelenspieße. "Trägst du eigentlich jemals saubere Klamotten, Robert?", fragte Mai. "Niemals", warf Ben ein, "aber sieh mal, wie heile die sind, er scheint bei Fayez gut zu verdienen." "Heil und sauber, viel zu oft trag ich die", stöhnte der Rotehaarige, "in der Neuen Ecke darf ich nicht wie ein Penner aus dem Whiteout rumrennen, damit ich nicht auffalle." "Neue Ecke", kicherte Mai. "Ah", sagte Ben, "das Ding heißt Cornerblue und du bist da neu, also New Corner, Neue Ecke. Sehr spitzfindig von dir Roter." "Danke, aus deinem Mund bedeutet's mir viel, du Sack", antwortete Robert auf die ironische Art seines besten Freundes. "Wie ist New Corner denn nun?", fragte Mai. "So wie Whiteground, nur in sauber, schön und langweilig", erwiderte Robert. Mai musste als Teil ihrer Hafenvierteltour einige Waren in der Stadt bestellen und einige reparierte Dinge abholen oder etwas zur Reperatur bringen. "Was ist mit deinem Fuß, Mai?", fragte Robert sie, weil er merkte, dass sie leicht humpelte. "Das? Teil der Ausrede", sagte sie und zwinkerte: "Was glaubst du, wie langsam ich heute bin? Meine Tour wird echt länger dauern. Aber das Wetter ist so schön, da geh ich trotzdem." Sie verstellte extra ihre Stimme, um besonders lieb zu klingen und vorzuführen, wie sie eine Ausrede präsentierte. "Klasse", sagte Ben anerkennend.
      Als Mai in einem Laden für Damenkleidung war, sprachen die beiden Jungs draußen und rauchten eine Zigarette. "Wie isses bei dir?", fragte Robert. "Alles cool. Läuft", antwortete Ben. "Und die Sharks?", fragte Rothaar. "Ruhig soweit." "Ist der Job in Ordnung in Corner?" "Klar, easy." "Hast du Lou und Yasopp zuletzt gesehen?", fragte Ben. "Klar man, ich hab die Tage mit Lou ein Bier getrunken. Ich war unterwegs, die Logsleystreet..." "Ah, dort bei Reddingplus, wo er arbeitet, praktisch", warf Ben ein. "Yasopp hab ich neulich getroffen, er hat meine Uhr repariert und mir sein Boot gezeigt." "Den Schrotthaufen?", fragte Ben. "Den Schrotthaufen", bestätigte der Rote. "Hat rumgejault, er kommt zu nichts, er hat zu wenig Geld, dies das und überhaupt." "Klar", lachte Ben. "Hast du ihn gesehen?" "Klar", sagte Ben, ist aber ein paar Donnerstage her, da hat er mir Bücher gebracht. Über die Überseegebiete." Robert nickte. Sein Blick fiel auf Mai, die ihr Kleid gewechselt hatte. "Frisch überarbeitet von meiner Schneiderin", strahlte sie und drehte sich. Robert starrte sie an. "Ich muss nochma rüber zum Tabakhändler", sagte Ben die Situation erkennend und stieß Robert an die Schulter. Er ging auf Mai zu. "Gefällt's dir?" "Total schön", sagte er. "Wow, danke", sagte Mai, die die Ehrlichkeit des Roten bemerkte. Die beiden gingen nebeneinander her. Er nahm ihre Tasche als Alibi, falls jemand Mai erkannte und weil Mai ein wirklich böse geschwollenes Bein hatte, wie er durch das kürzere Kleid gut sehen konnte. Wieder zu dritt gingen sie eine Gasse entlang, die direkt in die schlimmeren Teile des Hafenviertels führte und die Mai unter normalen Umständen natürlich nicht zurück ins Whiteground nehmen würde. Ben würde natürlich aufpassen. Er verabschiedete sich vom Roten. "Rothaarigenfreie Zone", sagte er und beide schüttelten sich die Hände und ging einige Schritte vor. Mai umarmte Robert, nahm seine Hand, hielt sie beim Umdrehen und weggehen, bis sie aus seiner rutschte. Robert lief wieder ins Hafengebiet zurück. "Wieso ist meine scheiß Uhr schon wieder stehen geblieben?"

      Kapitel 12: Zwei Streithähne

      Robert lief eine Straße Cornerblues entlang. Es war ein strahlender Nachmittag. Für seine Verhältnisse war Waren ausliefern, ab und an die Jungs in Reddingplus oder im Hafenviertel treffen und Spazierengehen eine erstaunliche lange Zeit ruhig und ohne Komplikationen verlaufen. Obwohl es nur einige Wochen und Monate waren. Er kletterte auf eine Mauer am landwirtschaftlich genutzten Stadtrand von Cornerblue. Von der Mauer aus fingerte er nach einer saftigen Frucht am Baum im Garten eines großen Anwesens. "Nicht reif!", brüllte auf einmal eine Stimme. Roberts Blick senkte sich in den Garten und dort stand einige Meter entfernt vor dem Haus ein alter, grauhaariger Mann mit einer Arbeitshose und richtete eine große Flinte auf ihn. "Nicht reif und nicht für dich! Der letzte, der hier geklaut hat, liegt hinten im Rosenbeet!", grollte der Alte. "Goldy, du verdammtes Schwein!", hörte Robert hinter sich eine weitere Stimme. Er hob die Hände, so typisch man es kannte, wenn jemand eine Waffe auf einen richtet, und drehte sich herum. Auf der anderen Straßenseite stand ein anderer alter Mann. Er war hagerer als der andere, seine Haare waren länger, aber auch er trug eine Flinte und Arbeitskleidung. "Halt du dich da raus, du alter Bastard!", rief der erste alte Herr. "Du bedrohst ein Kind?", schnauzte der Zweite und hob ebenfalls seine Flinte. "Du glaubst, ich würde kein Kind erschießen, Silverstin?", brüllte der nun ebenfalls bedrohte und richtete seine Flinte auf den anderen Mann, statt weiterhin auf den Rothaarigen, der immer noch auf der Mauer stand. "Du kannst niemanden erschießen, Goldrance", erwiderte der auf der gegenüberliegenden Straßenseite, "du bist viel zu blind!" "Du kannst selber niemanden erschießen, du hast schon früher kein Scheunentor getroffen!", erwiderte der andere. In dem Moment kam eine alte dicke Frau aus dem Haus mit dem Garten, griff nach der Flinte und begann selbst mit dem alten Mann zu schimpfen. "Von drei Metern kein Scheunentor!", hörte er ihn beim ins Haus gehen immer noch motzen. Auch bei dem Beschützer des Roten war eine Frau dazu gestoßen, aber eine weitaus jüngere. Sie trug ein Kopftuch und eine Schürze. "Komm du auch wieder runter, Papa, das muss doch wirklich nicht schon wieder sein." Robert stand immer noch auf der Mauer zwischen dem Geschehen und musste zwangsläufig laut lachen. Ansonsten schien sich in der Straße weit und breit niemand für diesen Vorfall interessiert zu haben. "Entschuldige bitte", rief die junge Frau ihm zu. "Wie ich sehe, geht es dir gut. Komm lieber trotzdem vom Haus der Goldlances weg. Der da drüber ist leider immer so drauf." Robert sprang herunter. Er wickelte sein Tuch vom Kopf, schüttelte seine Haare und bedankte sich. "Die Waffen waren wahrscheinlich eh nicht mal geladen..." redete sie mit sich selbst. "Komm doch rein und trink einen mit mir", hörte der Rothaarige den Mann von eben rufen. Er saß nun auf der Veranda. "Vater, er ist noch zu jung für Schnaps", sie drehte sich wieder zu Robert, "mein Vater ist etwas unsensibel. Wie gesagt, tut mir Leid." "Achwas Lore, in dem Alter kann man das schon ab, komm, bring ihn rein und hol noch ein Glas und ein paar Stullen." "Gern", rief Robert dem Alten zu und schaute die Frau fragend an. "Natürlich, das ist das mindeste nach dem Stress hier, komm Junge, setz dich." Robert ging zu dem Mann hin und gab im die Hand. "Alte Kriegsverletzung, was?", fragte der alte Mann beim Händeschütteln, als er Roberts frisch verheilten Arm sah. Robert dachte sich schon, dass der Mann Dinge nicht so ganz auf die Reihe bekommt. "Richtig", bestätigte er dem Alten, "Robert Kenway!", "Ah ja. Sevras Silverstin." Die Frau kam wieder und brachte Robert ein Glas. "Hier, kein Schnaps, dafür Milch von unseren Kühen und etwas Brot mit unserer hauseigenen Butter." Robert bedankte sich. Als er ausgetrunken hatte, schenkte Silverstin ihm dennoch Schnaps ein. Seine Tochter schüttelte den Kopf, sagte aber nichts. "Zum Wohl, Shanks", prostete er dem Roten zu, dieser trank und schüttelte sich. "Er hat doch gesagt, er heißt Robert, Papa", sagte sie "Weiß ich doch, Lore, weiß ich, Kind." "Das ist der Alkohol und das Alter", bestätigte Lore nochmal.
      Der alte Silverstin erzählte lebhaft von früher. Robert nahm es als gelungene Abwechslung, außerdem mochte der den alten Kauz. Die beiden lachten gemeinsam laut. Lorette, Silverstins Tochter, und ihr Mann Graham kannten die Geschichten natürlich schon zur Genüge. Aber Lore freute sich sehr, dass ihr sonst eher motziger und unzufrieden wirkender Vater so klar und fröhlich war. "Wir könnten eh Hilfe auf der Farm gebrauchen...", sagte sie zu ihrem Mann. "Das stimmt, mein Schatz, soll ich ihm einen Job anbieten?" "Wir wissen ja eigentlich gar nicht, wer er ist..." Ich frage Vater und bitte den Jungen, die Tage wieder zu kommen." "Eine gute Idee."

      Kapitel 13: Du bedeutest Ärger

      Der Rote schlenderte nach einem Job in Reddingsplus durch das Industriegelände, kletterte wie selbstverständlich auf die Stadtmauer, die hier, hinter dem Regierungsviertel, noch sehr gut erhalten ist. Sie schließt mehr oder weniger den äußeren Teil von Reddingplus ab und dahinter beginnt bereits der gesicherte Bereich der Regierung. Allerdings lag dort nichts von Bedeutung für Robert oder andere Straßenkinder. Dort hausten aber einige Obdachlose, sowie Drogensüchtige und Aussteiger. Robert kletterte höher auf die ehemaligen Schießscharten. Sicher ist das nicht gern gesehen, aber kontrolliert wird es hier auch nicht. Man konnte das Industriegelände überblicken. Robert trat die Tür zum alten Wachturm auf, die bereits beschädigt war. Darin war keine Leiter oder Treppe mehr, aber Robert war geschickt genug, sich mit einem Brett Abhilfe zu schaffen und auf die zweite Etage im Inneren des Turmes zu kommen. Hier gab es, ganz nach oben, eine nahezu unbeschadete Leiter. Der Ausblick war wie erwartet toll. Hinter dem Roten lag das Regierungsviertel, vor ihm Reddingplus. Weiter links ging es über in Crossed. Auf der rechten Seite konnte man unterhalb der Stadtmauer liegend bereits Whiteground erkennen. Die oberen Gebiete waren von dieser Seite aus noch nicht zu vergleichen mit dem berüchtigten "Whiteout". Hier waren eher Produktion und Industrie ansässig. Robert rauchte eine Zigarre, die er von Silverstin bekommen hatte. Sie schmeckte schlechter als erwartet, nicht zu vergleichen mit Sumpfkraut, das einen speziellen süßlichen Geschmack hatte. "Aus der Neuen Welt, mein Arsch", sagte der Rote zu sich selbst und spuckte vom Turm herunter. Ein paar Züge und er warf die Zigarre hinterher. Er kletterte herunter und machte sich auf den Weg, links Richtung Whiteground. Sehnsucht nach dem Gestank von Branntwein und Sumpfkraut und dem Gesang der Leute, die bis auf ihren Rausch wenig hatten. Er stellte sich an eine Haltestelle für die Bahn nach Whiteground. Hatte er noch nie getan. Die Strecke fuhr herum, vom Hafengelände durch Cornerblue, Crossed, Reddingsplus, Whiteground und kam schließlich wieder dort an. Dementsprechend wurde sie "The Circle" genannt. Robert war verwundert, dass er sogar kontrolliert wurde, und bezahlte die Fahrt. Straßenkinder sprangen sonst maximal bei der Fahrt auf und ab, wenn es jemand merkt oder abkassieren möchte. Robert stieg an der Hauptstaße aus und lief in die ihm wohlbekannten Gassen. Er schaute durch die Fenster zur Backstube. Vorne war noch Betrieb. Er sah aufgrund seiner Beschäftigung vorher zwar etwas schmutzig aus, aber nicht so wie ein typisches Straßenkind. Ob er deswegen weniger auffiel oder sogar mehr, als er bei der Bäckerei "Bayers" rumlungerte, war nicht zu beantworten. Als die Luft rein war, machte sich Robert mit einem üblichen Klopfsignal bemerkbar. Mai erwartete sicher ein Straßenkind, das Hunger hatte. Sie öffnete einen Spalt und flüsterte: "Wir haben gerade nichts, frühesten..." "Mai", flüsterte der Rothaarige. Der Spalt ging weiter auf: "Robert", flüsterte Mai so laut, dass es kaum mehr Flüstern war, "alles in Ordnung?" "Klar, ich wollte dich besuchen." "Mich?", fragte Mai. "Nur dich", sagte Robert, "ich bin undercover." Mai kicherte. Die beiden verabredeten sich für einen späteren, sicheren Zeit- und Treffpunkt. "Wissen die Leute von Fayez nicht, dass du in Whiteground bist?" "Ne" "Wie geht es deinem Arm?" "Bestens, kann klettern und alles." "Bis dann, mach keinen Scheiß", verabschiedete sich Mai. "Niemals", sagte Robert und flitzte davon. In der Nähe der "Alten Seemöwe" hingen ein paar von Fayez Leuten herum. Robert mied diese und kletterte von den Garagen an der Rückseite des Gasthauses hoch zu Bens Wohnung. Dieser war nicht da. Beim Herunterkommen spürte der Rote, dass er bemerkt wurde. Scheinbar hatte man nach den Aktionen der Whitesharkgang die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt. "Hey Leute", rief Robert den beiden zu, "ich wollte zu Benjamin." Die beiden schienen Robert nicht als "den Roten" identifizieren können und hielten ihn vielleicht für einen anderen Freund oder einfach ein weiteres Straßenkind. "Dachte ich mir, lass sein, man. Wir wollen nicht, dass jemand hier rumklettert." Robert stieg nicht in die Diskussion um die Gangs ein, sondern fragte einfach: "Darf ich in der Möwe die Schneckenbox benutzen?" "Man", sagte der andere. Er schien schimpfen zu wollen, aber der andere beschwichtigte: "Frag halt nach, aber dann hau ab." Robert ging rein und fragte nach. Mit ein paar eingefangenen Widerworten ging er in die Schneckenbox. Yasopp war nicht zu Hause, aber Lou war zu erreichen. Er willigte ein, später ins Whiteout zu kommen und Robert das neue Versteck zu zeigen. Gegen Abend kamen Lou und Robert dort an. "Roter!", rief Yasopp, "das war ja ne Überraschung! Schau, wir haben das Boot seetüchtig. Kennste dich vielleicht mit Antrieben aus? Schau mal..." Robert hörte gar nicht wirklich zu, sondern lachte darüber, wie Lou abfällige Gesten machte, die nahelegten, diese Erläuterungen in letzter Zeit etwas zu oft gehört zu haben. "... und dass hier ist Lous fette Mutter." Auf einmal hörten beide wieder voll zu. "Was ist denn mit dir, ich hab ja zugehört!", fauchte Lou. "Brauchst du gar nicht", feigste Yasopp, "du bist zu dämlich, es zu verstehen." "Eben", sagte Lou. Wenig später ging die Tür auf und Ben kam herein. Er begrüßte Robert freundlich, aber sagte dann ernst: "Was soll das? Eigentlich sollst du nicht herkommen und vor allem nicht an der Möwe rumturnen." "Die Sehnsucht trieb mich", sagte Robert verführerisch. "Ist echt nicht so witzig man, wir kriegen eh Ärger von Fayez dafür." "Geschenkt", winkte der Rote ab. "Wie auch immer man, was macht dein Arm?" "Bestens", erwiderte Robert. Ben nickte.
      Das Boot war bereits fahrtüchtig, sodass die Jungs sich zum Angeln verabredeten. "Drecksregen", fluchte Lou, dem beim Wind die Kippe in eine Pfütze gefallen war. "An Bord ihr Landratten", krächzte Yasopp. Ben und Robert kamen angeschlendert. Das Versteck war eigentlich nur ein kleiner Schuppen an einem Dock in Whiteout, direkt am Ufer. Nicht wo die Leute sich tümmelten, sondern näher zum Hafenviertel, wo eher Seefahrerquatiere waren und Fischer ihre Boote unterstellten. Vom Verschlag aus konnte man das Boot ohne großen Aufwand zu Wasser lassen. Die Jungs saßen auf dem Boot, das noch im Verschlag stand, und warteten, dass der Regen aufhörte. Ben war etwas zerknirscht. Er und vor allem der Rothaarige hatten eine Ansage von Fayez bekommen. Robert lachte diese wie üblich weg. Ben nahm es etwas schwerer und musste sich von den Jungs aufheitern lassen. Wie es in Grand Storm so oft vorkam, klarte sich der Himmel nahezu in Sekunden auf und das Boot wurde zu Wasser gelassen. Lou stemmte eine Kiste Bier mit an Bord, Yasopp Angelzeug. Die Jungs fingen natürlich so gut wie nichts, aber die Freunde hatten eine wunderbare Zeit zusammen auf Meer. Jedenfalls nannte Robert es so, eigentlich waren sie nicht weit vom Ufer weg und hatten die Docks kaum verlassen. Die Stimmung war ausgelassen. Als der Wind stärker wurde und sich der allübliche Sturm in Grand Storm auftürmte, sicherten die Jungs das Boot. Beim Aussteigen trat Lou neben das Boot und seine Füße inklusive Schuhe waren nass. "Zum Kotzen", motzte er. Die Jungs amüsierten sich. Yasopp und Lou nahmen eine Bahn und Robert und Ben latschten durch Whiteground. "Wie vorher, siehst?!", sagte Robert. Ben schnaufte nur. Die beiden gingen von der Promenade zum Strand runter. Dort hatten die Leute Feuer gemacht. Die beiden grillten gefangene Fische. Der eine schmeckte besonders furchtbar, so gaben sie den Rest einem nahezu zahnlosen, betrunkenen Mann.
      Wenige Tage später fischten Yasopp und Robert mit ihrer Konstruktion erneut an den Klippen. Ben kam später dazu. An einem Lagerfeuer unter Klippen legten sie sich hin. Ben wurde von Schreien geweckt und jemand schüttelte ihn an der Schulter. "Die Sharks!" "Verdammt!", rief Ben und schaute sich um. Er war sofort hellwach. "Wo ist der Rote?" Robert war noch sichtlich betrunken. Er kletterte die Felsen hinauf und verhöhnte die Sharks, die wohl nur zufällig vorbei gekommen waren. Es war durchaus üblich, im Whiteout einfach bei Feiern, meist üppigen Umtrunken, dazu zu stoßen. "Dieser Vollidiot", sagte Ben zu sich selbst. Zwei der Sharks folgten Robert. Der eine hatte Probleme, die teilweise scharfkantigen Klippen empor zu klettern oder darauf zu laufen. "Roter, du bist zu besoffen für den Scheiß", rief Ben, wusste aber nicht ob Robert ihn verstand, geschweige denn auf ihn hören würde. Auf einem kleinen Vorsprung holte das Gangmitglied den Roten ein. Unten waren weitere der Whitesharks eingetroffen, sowie auch einige Schaulustige. "Du spielst dich als Held auf!", brüllte der Whiteshark auf dem Felsen, "Verteilst Zeug an die Armen? Springst in die Klinge für deine Dealerfreunde?" Er nahm einen dicken Treibholzstock und schlug nach Robert. Dieser wich aus und lachte. "Du nimmst wirklich überhaupt nichts ernst!", brüllte Benjamin von unten. Robert griff sich einen kleinen Stock und parierte den Whiteshark wie bei einem Schwertkampf. "Lasst gut sein", rief er nun. "Hol ihn dir, Boomer!", rief nun einer der Sharks. "Kommt da runter, bevor einer runterfliegt!", rief ein Mann. "Kloppt euch!", rief ein junger Mann. "Party! Party!", schrie eine abgemagerte, völlig zugedröhnte Frau, die im flachen Wasser unter den Klippen tanzte. "Ich bin eine Hure und stolz darauf", rief eine andere Frau, die nicht wirklich mitzubekommen schien, was dort vor sich ging.
      Robert schlug dem Whiteshark den Stock aus der Hand und schubste ihn um: "Ey, lassen wir das! Wir sind alle nur Kinder von Whiteout!", rief er den Leuten zu und meinte natürlich die Sharks. "Er will schlichten", dachte Ben, "so eine dämliche Solonummer..." "Der Fluch, die Armut, das sind die Probleme. Wir sollten uns nicht untereinander hassen!", rief Robert. Ben schaute seinen Freund an. Es war diese Seite an Robert, die man ihm, wenn man ihn kaum kannte, nie zutrauen würde. Der Whiteshark hinter Robert stand auf, nahm den Knüppel erneut und griff den Roten an. Dieser warf sich zur Seite. Er hatte wohl den Angriff unterschätzt oder zu spät kommen gesehen, aber der Junge verlor den Halt. Er fiel und schlug unten gegen die Felsen. Es waren nur einige Meter, aber das genügte und er klatschte ins Wasser.
      "Das wollte ich nicht...", dachte Robert. "Das wollte ich nicht", sagte er. "Das wollte ich nicht!", schrie Robert nun. Er sprang so schnell er konnte die Klippen herunter, schnitt sich dabei den Fuß auf. Ben und weitere Männer rannten ins Wasser. Zwei hatten den Körper erreicht und zogen ihn ans Land. Robert war unten angekommen und rannte auf die Gruppe zu. "Nein!", rief er. Er sah sehr entsetzt aus. "Boomer!", schrie einer der Whitesharks, ein andere weinte bitterlich, er war sicher noch einige Jahre jünger als Robert und Ben. Ben hielt Robert davon ab, hinzulaufen. "Schluss jetzt", schrie er Robert aus nächster Nähe an, "lass es gut sein." "Das wollte ich nicht, Benj", rief Robert und schubste seinen Freund zur Seite. Ben zimmerte ihm darauf hin eine. "Es reicht, Roter! Er ist tot! Du bist gerade einmal einige Tage wieder zurück, du bedeutest nur Ärger!"

      Kapitel 14: Was überwiegt

      Der Rote saß auf der Veranda von Silverstin. "Was siehste so traurig aus, Shanks?" "Damals im Krieg sind doch viele Leute gestorben oder, Opa?" Robert klang wie ein kleiner Junge. "Das ist immer schwer, ob's Freund oder Feind ist", sagte Silverstin. "Feinde auch?" "Natürlich, im Krieg gibt es nur Opfer, aber manchmal muss man Kämpfen, für etwas Besseres. Da kannste nur hoffen, auf der richtigen Seite zu sein." Robert war heute wortkarger als sonst. "Was ist passiert, Junge?", wollte der Alte wissen. Robert erzählte zögerlich die Geschichte. "Hm", sagte Silverstin, "wichtig ist, dass du da für dich eingestanden bist." Robert wollte etwas antworten, aber Silverstin ergänzte: "Das wichtigste ist, dass du etwas gelernt hast. Den Jungen macht eh nichts wieder lebendig. Dennoch möge er in Frieden ruhen." "Gelernt... ich weiß nicht, Opa", sagte der Rote fast verlegen. "Hach", sagte Silverstin, "deine Feinde wollten deinen Freund töten, haben dich in den Hinterhalt gelockt," Robert nickte. "Die haben euch in Überzahl und bewaffnet unvorbereitet angegriffen." Er gestikulierte lebhaft. "Die haben dich abgestochen!" "Ja...", bestätigte Robert, noch nicht so ganz wissend, auf was der alte Mann hinaus wollte. "Aber du, du hast Frieden angeboten, du hast Verzeihen gepredigt!" Robert nickte. Nun lächelte er. "Dabei wär die Reaktion nachvollziehbar gewesen: Auf die Fresse, jetzt erst Recht!" Dazu gestikulierte Silverstin Faustschläge, während er im Stuhl saß und ihm dabei seine dicke Wolldecke auf den Verandaboden rutschte und er in Unterhose da saß. Nun lachte Robert herzlich.
      Lorette und ihr Mann Graham waren froh, dass Robert nun auf der Farm arbeitete. Fayez hatte für Robert nicht komplett die Tür für eine Zusammenarbeit zugeschlagen und ihn auch nicht mal getadelt oder weitere Konsequenzen angedroht. Allerdings hat er über Dritte verlauten lassen, Robert solle Whiteground wieder - oder eher weiterhin - meiden und sich von seinen Geschäften fernhalten. Robert versuchte, nicht weiter Kontakt aufzunehmen. Er blieb also in Cornerblue.
      Robert richtete sich in seinem Zimmer im Haus der Familie ein. Dort lebten öfter Mägde und Tagelöhner. Robert realisierte nicht einmal, dass es sein erstes "festes Dach über dem Kopf" in Lodea war. Robert stellte sein Glücksschwert neben sein Bett und legte seine Uhr auf den Nachtschrank. Er fütterte die Kühe und lernte zu melken. Besonders Spaß hatte er daran, den Acker zu bearbeiten, indem er bis zur Erschöpfung die Hacke schwang. "Ein tolles Schwert", sagte Silverstin, als er sich Roberts Zimmer ansah, "kannst du damit umgehen?" Ab und an übte er mit Silverstin. Einmal gingen die zwei zusammen Jagen. Robert mochte kein Wildtier erschießen, machte also Zielübungen auf leblose Objekte. Silverstin war unglaublich. Er traf einen Biber von extremer Entfernung. Kaum hatte er den Schuss abgegeben, sagte er: "Keine Sorge, Junge, der kleine Racker ist sofort Geschichte, ich hab ihn am Hinterkopf erwischt." "Warst du im Krieg ein Schütze?", fragte Robert. "Genau, Scharfschütze meiner Einheit", erzähle Silverstin. Abends bereitete Lore den Biber zu. Robert fand es seltsam, aber der Alte nannte es eine Trappermahlzeit und erzählte, dass es sehr üblich sei in der Neuen Welt, Biberfleisch zu essen. Es schmeckte etwas gewöhnungsbedürftig, dachte sich Robert. "Robert", sagte Lore, die die Geschichte aus dem Whiteout auch mitbekommen hatte: "du musst mit deinem Freund reden." Robert antwortete nicht. "Papa, sag doch auch was dazu!" Der Alte kaute genüsslich. "Das wird er, Lore. Sowas müssen Männer regeln. Die müssen auch mal über Gefühle sprechen." Lore nickte. "Und dann wird einer gehoben und alles ist wieder gut, nicht wahr, Robert? Oder, Graham?" Lores Mann winkte nur ab. Robert grinste Silverstin an. "Mach ich, Opa."
      Ben und Robert saßen zusammen an der Stadtmauer. "Schau mal, das ist irgendein Weinzeug, haben die in New Corner." Ben hatte Schnaps aus dem Whiteground dabei. "Schmeckt komisch", sagte Ben, "Ich bleibe wohl Team Bier." "Oder wie Lou, Team Kopfschmerzen", sagte Robert. "Und Team Kotzen", lachte Ben. "Ey Benj, ich wollte nicht, dass das passiert..." Ben griff Robert an die Schulter: "Das weiß ich, man, weiß ich doch." "Es tut mir so Leid, dir Ärger gemacht zu haben, und vor allem für Boomer..." Ben schwieg. "War ein ätzender Kerl", eränzte Robert, "aber das hatte er nicht verdient." Er hob die Flasche, "Ruhe in Frieden!" "Prost!", ergänzte Ben und nahm die Flasche von Robert. Beide schüttelten sich vom bitteren Geschmack. "Entschuldige auch die Fressenpolitur", grinste Ben. "Achwas, das war Klasse, sehr intensiv, aber nächstes Mal gibt's eine zurück." "Gern", sagte Ben.

      Kapitel 15: Wie die Zeit vergeht

      Robert arbeitete auf der Farm, als er ein Mädchen vom Stadtrand aus barfuß in Richtung des Waldes verlassen sah. Er wunderte sich, lief zum Zaun und winkte. Sie winkte zurück, als sie ihn bemerkte, lief dann weiter und verschwand im Wald. "Seltsam", dachte sich der Rote. Er erzählte von dem Vorfall. "Opa, ich hab ein Mädchen in den Wald laufen sehen." "Hmhm...", grummelte Silverstin. Der alte Kerl war heute nicht bei der Sache. "Hast du die Geister im Wald gesehen?" Robert schaute Silverstin ein wenig verwundert an, aber schob es aufs Alter. "Die Geister leben in den Steinen, kennst du sie schon?" Robert schüttelte den Kopf. "Du kommst doch aus... äh, Cliffort..." Robert sagte nichts dazu. "Nicht Cliffort...", er überlegte. "Ich war in Cliffort stationiert damals. In Cliffort ist der große Militärhafen." "Wann war das, Opa?", fragte Robert. Aber Silverstin ging nicht darauf ein. "Swansea", sagte der Rote dann, als Silverstin wieder den Faden verloren zu haben schien. "Da komm ich her." "Achja, das war es. Warst du gern am großen Schwanensee?" "Klar", sagte Robert. "Warste denn schonmal am Militärhafen in Cliffort?" "Ne, noch nie", sagte Robert. Cliffort lag ebenfalls westlich von Lodea, aber an der südlichen Küste, wie auch Lodea. Von dort aus wurde der Northblue und der Eastblue befahren. Dies machte Grand Storm zu einer Macht auf den Meeren der Welt. "Die Geister der Vergangenheit leben im Westen Grand Storms. Ich habe sie aber auch in der Neuen Welt gesehen." Robert wurde traurig und dachte an seinen eigenen Großvater, der ähnliche Dinge berichtete. Aber Robert zog nicht in Erwägung, dass etwas dran sein müsste, sondern sah die Verbindung im Alter und der fortschreitenden Verwirrtheit der beiden Männer. Sowieso verband er seinen eigenen Großvater viel mit Sevras Silverstin. Vielleicht verstanden sich die beiden deswegen so gut. "Kennst du das Mädchen, das ich gesehen habe, Opa?", fragte Robert, um nochmal darauf zu sprechen zu kommen. "Hm, das Mädchen aus dem Wald? Nein..." Er überlegte kurz. "Hatte es vielleicht grüne Haare und sah ulkig gekleidet aus?" Robert horchte auf. "Ja, genau, hast du sie auch gesehen?" "Ja, vor Jahrzehnten hab ich sie zuletzt gesehen." Der Rote dachte sich wieder seinen Teil. Dass Silverstin ein nun maximal 18 jähriges Mädchen vor Jahrzehnten durch den Wald laufen sah, war schlichtweg unmöglich. "Sie ist eine von denen, die mit den Tieren des Waldes leben. Sie sind die Wächter dieser Wälder..." "Mehrere?", zwar verstand Robert nicht so recht, aber er war sehr interressiert daran. "Wenn du mehr darüber wissen willst, such doch nach den leuchtenden Bäumen." Robert dachte sich nun, dass der alte Herr wirklich langsam verrückt wurde. "Wenn dir alles zu viel wird, Shanks, wenn du den Frieden und dich selber finden willst, such danach." Er sprach in Rätseln. Robert schaute Silverstin an, der Richtung des Waldes schaute. Er spürte eine Art kribbeln. Auf einmal hatte er nicht mehr das Gefühl, der alte Mann würde Quatsch erzählen oder gar verrückt werden. Seine Augen schienen zu leuchten. Die Luft schien zu flackern. Robert wischte sich die Augen. Er begann zu schwitzen. "Mir ist nicht so gut, Opa, ich glaube, ich muss mich nun hinlegen..." "Sauft nicht wieder so viel, ihr beiden", sagte Lorette, die gerade auf den Hof zurück gekommen war und die beiden auf der Veranda antraf. Robert lief zu seinem Zimmer und schaute zum Wald. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte er, das komische Mädchen am Waldrand gesehen zu haben. Er schaute nochmal hin. Er meinte, er sehe etwas im Augenwinkel. "Man", dachte Robert, "wasn heute los, ich hab nichtmal gesoffen oder Sumpfkraut geraucht, ich sollte mal pennen."
      Der Rote mochte die Arbeit auf dem Hof. Er mochte Tiere und er genoss es, in der Natur zu sein - mehr als dachte. Zwar suchte er früher schon den Wald zum Schutz auf, wo er sein Lager aufschlug, aber er war doch meist in Lodea unterwegs. Silverstins Hof erinnerte ihn vielleicht an seine frühe Kindheit. "Hey Opa, warum nennst du mich eigentlich manchmal Shanks?", fragte Robert. Aber Silverstin schien das nicht so Recht erklären zu können. "Du weißt doch wie es ist. Auf einem Schiff muss man vertrauen können!" "Klar", bestätigte er." "Und man weiß irgendwann, wem man vertrauen kann. Dem Shanks kannste vertrauen. Aber wem du nicht vertrauen kannst, den nimm am besten gar nicht mit!" Er kam mit dem Gesicht nach vorn, als wolle er Robert hier eine wichtige Lektion erläutern. Silverstin schien manchmal wirklich schlechtere Tage zu haben. Zwar war er meist nett zu Robert, aber er wirkte verwirrter. Lore hatte seine Unterhaltung mit ihrem Vater gehört. Als Robert im Haus stand, sagte sie: "Komm mal mit Robert, schau hier." Auf einer Kommode stand ein altes Foto in einem Rahmen. "Das ist Vaters frühere Einheit. Hier ist er, dies ist Goldrance.." "Achwas, der von drüben? Mit der Knarre?" "Genau der", antwortete Lore. "Diese beiden weiß ich gar nicht, nur dass der eine wohl auch früher noch in Lodea lebte. Der Fischmensch ist Joe. Der ist früh schon verstorben . Und der letzte, der in der Mitte, ist Shanks." Robert sah genau hin. "Ich verstehe", sagte er. "Meinst du, dass er mich manchmal mit ihm verwechselt oder sowas?" "Ja, oder dass du ihn an den Kammeraden erinnerst." "Und, schau mal", sagte Lorette und gab Robert ein Bild von Silverstin in die Hand, das nicht so alt war. "Das ist Sevras Silverstin mit mir auf dem Arm, das ist meine große Schwester Christin, das dort unsere Mutter Caroline." "Wow", sagte Robert und schaute Lore an. "Was ist denn?", fragte sie. "Opa Silverstin hatte so blaue Haare wie du, als er jung war." "Ach das", sagte Lorette lächenlnd, "ja, man hat immer sofort gesehen, dass er mein Papa ist. Und schau, Chrissi, meine große Schwester hat schwarze Haare, wie unsere Mutter." "Verrückt", sagte der Rote. "Solche Haare hab ich noch nie gesehen." "Ich auch nicht solche wie deine, das ist ja mehr als rot." Beide lachten.
      Robert fuhr gerade mit der vollbeladenen Schubkarre zu den Kühen. "Hallo, ihr Hübschen!", rief er. "Robert", rief ihn Graham, "Komm mal her!" Robert hörte eine gewisse Ernsthaftigkeit in der Stimme sofort. Er rannte herbei. "Ist was mit Opa?", fragte der Rote sofort. "Nein nein, ihm geht's gut. Es ist jemand für dich in der Schneckenbox. Er sagte, es ist wirklich wichtig.." "Oh", sagte Robert, eher erleichtert, denn er wusste, das Silverstin nicht mehr der jüngste wahr und es ihm zuletzt nicht so gut zu gehen schien. "Wer ist es?" "Yasper von Syropp?", sagte er fragend. "Klar", sagte Robert, die Schnecke in der Hand. "Ey, mein Freund, was los?", rief Robert freudig in die Schnecke. "Ey Roter. Komm so schnell du kannst ins Whiteout!" "Was?", fragte Robert verdutzt. Kein Gelaber, keine Witzelein, so kannte er seinen Freund nicht. "Ey Yasper, wasn passiert man?" "Siehst du dann, komm einfach her. Renn dich nun nicht tot, aber komm hin. Ich mach mich nun auch aufn Weg, bin noch bei meinen Eltern in Reddin." "Okay, sicher man. Graham, es tut mir Leid, kannst du weiter füttern? Ich muss los. Es ist was mit meinen Freuden..." "Okay, natürlich, Kleiner", sagte Graham verständnisvoll, der wusste, dass Robert sich nicht einfach drücken wollen würde. Lorette kam auch herbei und fragte: "Aber wo willst du denn hin, Robert?" "Whiteout", rief er und lief los. Lore wurde bleich. Graham kratze sich am Kopf. "Pass bitte auf dich auf!", rief Lore ihm hinterher. Der Rothaarige winkte, ohne sich umzudrehen.
      Robert kam im Whiteout an, es war erstaunlich ruhig. Ein Typ lief auf Robert zu und fragte ihn nach Essen. Ein weiterer übergab sich gerade an der Promenade. Am Strand war eine große Versammlung. Robert lief langsam durch die Mengen. Leute schrien und weinten. "Nicht schon wieder", rief eine junge Frau. "Gott erbarme dich uns", rief eine andere. "Ey, was ist hier los?", fragte Robert in die Runde. "Der Tod..", sagte ein völlig zugedröhnter Mann. "Der Fluch...", sagte eine alte Frau. Robert sah ein paar Straßenkinder. "Leute, ey", Robert lief auf sie zu. "Was ist hier los?" "Du weißt es nicht?" "Ey, das ist der Rote", sagte ein anderer. "Komm mit man", sagte ein Junge. Er folge dem Jungen weiter Richtung Strand. "Kennst du Ben?", fragte Robert, "Weißt du, wo er ist?" "Komm einfach." Direkt am Wasser standen die Menschen dicht an dicht. Ein Mädchen, das er vom Sehen kannte, kam auf Robert zu: "Hallo, Roter. Danke, dass du kommen konntest." Einer von Fayez Leuten legte Robert die Hand auf die Schulter. Er war schon einige Jahre älter als Robert und die Jungs. Er war ein ehemaliges Straßenkind. Er hatte Tränen in den Augen. "Herrgott, was ist denn mit euch?", fragte Robert. Die anderen ließen ihn nach vorne durch. Am Strand aufgebettet und mit verkreuzten Armen lag ein Straßenkind: ein Mädchen, wahrscheinlich keine 12 jahre alt. Ein Mädchen mit kurzen schwarzen Haaren. "Ich kenne sie...", sagte Robert. Sie war ein sehr bekanntes Straßenmädchen im Whiteground. Robert ging auf sie zu. Ihre Kehle war aufgeschnitten. Sie hatte furchtbare Wunden und war noch nicht lange tot. "Wir haben sie heute morgen gefunden. Als sie nachts nicht an der Stadtmauer war, haben wir uns gewundert...", erklärte ein weiterer Bekannter von Robert. Robert starrte auf das Mädchen. Er war wütend. Wieder kam diese Seite in ihm hervor. "Ey", rief er zwei Seeleuten zu, die auch dicht bei den versammelten Straßenkindern standen, "ihr beiden, kommt her!" Die beiden schauten nur. Es wurde stiller rundherum. "Glotzt nicht, kommt her, hebt mich hoch, ich will mit den Leuten reden!" "Tut was er sagt!", hörte man eine Stimme aus den Reihen. Es war Ben. Er schaute Robert an und nickte ihm zu. Die beiden Seebären nahmen Robert. Dieser stellte sich auf ihre Schultern. Die Leute schauten Robert an. Robert blickte auf die Menschenmasse. "Whiteout", brüllte er, "warum?" Er hielt ein paar Sekunden inne. "Warum wurde dieses Kind ermordet?" Ein paar Leute riefen etwas über den Fluch und das Schicksal. "Das ist Aberglaube!", brüllte der Rote. "Das ist kein Fluch! Habt ihr euch das Mädchen angeschaut? Das sind Schnitte, das war ein Messer. Wer benutzt Messer? Ein Mensch!" Raunen und Wortfetzten drangen durcheinander. "Es gibt hier einen Menschen, der durch Whiteout läuft und Kinder, Alte, Obdachlose aufschneidet!" "Ich hab das Mädchen noch gehört", rief eine Frau, "ich hörte sie, aber sah sie nicht." "Ich auch", rief ein Straßenkind, sie stand nur weniger Meter von mir und auf einmal war sie weg!" "Ich hab sie schreien gehört!", rief eine schluchzende Stimme. "Da war nur Nebel und dann war sie weg!" "Es muss ein Geist sein!" Robert sah, dass sich einige Stadtwachen durch die Menge begaben. "Schluss hier!", hörte man diese rufen. "Verschwindet hier!" Sie versuchten die Menge aufzulösen. "Warum lassen die Stadtwachen das zu?", schrie Robert, "Warum darf jemand Kinder töten, ohne dass eine Wache das Whiteout betritt?" "Ruhe, komm da runter", die Wache bahnte sich den Weg zu Robert. "Wieso sterben hier die Menschen? Warum leben sie im Dreck? Warum darf man sie fangen und töten?" Die Wachen zogen Robert von den Männern weg. Er rollte sich auf dem Boden ab. Beim Wegrennen rief er: "Interessiert es irgendwen, der was zu sagen hat, dass hier Menschen sterben und leiden?" "Packt ihn euch!", rief einer der Wachleute. "Er hat doch Recht!", fingen nun die Leute an zu rufen, "Wo seid ihr, wenn hier was passiert?", "Wo ist die Stadtwache, wenn hier Kinder sterben?", "Was machen die Politiker?", "Interessiert die Königin das?"
    • So, neue Woche, weiter geht's. 4 weitere Kapitel. Der Plan ist wieder nächste Woche weitere. Dann geht's zurück nach Lodea für unseren Protagonisten!

      Kapitel 16: Die Kinder der Natur

      Robert saß auf dem Dach der Scheune auf dem Silverstin-Hof. Er rauchte Zigaretten mit Tabak, der angeblich nur in der Neuen Welt angebaut wurde. Vom Gehalt vom Hof hatte er sich ein paar ausgewählte Spirituosen gekauft, die er nun einige Tage in Folge zur Verköstigung nutzte. Er schaute auf den Wald. Er schluckte noch einen Schluck Kräuterlikör mit irgendwelchen Kräutern aus dem Süden Romanikas. Schmeckte trotzdem wie Medizin, Robert spuckte das Zeug aus, trat die Kippe auf dem Dach aus und schleuderte die Pulle weg. "Scheiß drauf", sagte er zu sich selbst. Er sprang vom Dach. "Wo ist Sevras?", fragte er. "Er schläft drinnen", sagte Lore. "Robert, dir geht es nicht gut, oder?" "Ich will kurz mit Opa reden", sagte er und ging ins Zimmer. Silverstin lag in seinem Bett. Über dem Bett hing ein Säbel. Er hatte Bilder und uralt aussehende Schiffsmodelle aus Holz in seinem Schlafzimmer stehen. "Opa", sagte der Rote leise. "Shanks...", antwortete Silverstin. "Wo ist denn meine Flinte verdammt?", fragte Silverstin und richtete sich ein Stück auf. "Weiß nicht, hör mal..." "Früher hab ich damit praktisch im Arm geschlafen, kannst nie wissen..." "Opa, ich wollte mich..." "Du willst die Bäume suchen?" Robert schaute ihn an, da war es wieder, der alte Silverstin schien zu wissen, was los war, was Robert machen wollte, was passieren würde. Er hatte Robert eine Option in den Kopf gesetzt, einen Ratschlag, noch bevor Robert ihn benötigte. Er wusste nicht, wie Silverstin das machte, aber er folgte ihm. "Geh nach Westen, an der Küste entlang, Richtung Westen." Es gab noch mehr Erklärungen dazu. Aus irgendeinem Grund schien der Opa zu wissen, wo dieser Ort sein ist. Wie vor Augen hatte Robert den Teil einer Bucht, Klippen und Waldstücke. "Vielen Dank, wir sehen uns bald wieder, Opa." "Natürlich", sagte Silverstin, "aber ich denke, wenn's wieder Krieg gibt, könnten die mich brauchen, also weiß man nie, ob man nochmal raus muss..." Robert verabschiedete sich von Graham und Lorette, nahm sein Glücksschwert und einige Sachen und kletterte durch den Zaun der Kuhweide. Er herzte ein paar seiner anvertrauten Kühe und kletterte an der anderen Seite wieder hinaus Richtung Wald, südwestlich zur Küste. "Das wird sicher nicht so einfach", dachte sich Robert. Es war bereits herbstlich in Grand Storm. Es wurde gerade Nacht und damit kalt. Sturm und Regen gab es bekanntermaßen eh öfter. Irgendwie war Robert froh, aus Lodea raus zu sein.
      "Du hast es bis hier her geschafft?", fragte eine Stimme hinter Robert. Er drehte sich um und erkannte das Mädchen. "Dich hab ich an der Farm gesehen", erwiderte der Rote. Er war entkräftet, müde und sehr hungrig. "Ja, das war ich", sagte sie. Sie war ein paar Jahre älter als Robert, sie hatte helle, aber von der Sonne gebräunte Haut, war sehr schlank und circa gleich groß wie Robert. Sie trug seltsame Kleidung, die auch der Jahreszeit und Witterung entsprechend sehr dünn war. Besonders auffällig war, dass sie barfuß lief. Ebenso ihre Haare, sie waren seltsam grün. Aber nicht unansehnlich. Sie hatte ein spezielles Gesicht, eine hohe Stirn und buschige Augenbrauen. Sie war aber alles andere als hässlich. Umso mehr verwunderlich, da sie, wie Robert nun erfahren sollte, im Wald lebte und ihn so gut wie nie verließ. "Wie hast du hier her gefunden?", fragte sie. "Mein Opa, Silverstin, er hat mir vom Wald erzählt..." Die junge Frau schaute ihn kritisch an. "Ich dachte erst, er sei wohl etwas verwirrt. Manchmal trinkt er einen zu viel." Er schaute das Mädchen prüfend an. "Naja, und er erzählte mir was von Geistern und leuchtenden Bäumen. Und auch, wie ich diese finden kann..." "Ich verstehe. Komm, iss erstmal etwas, du musst hungrig sein." Robert ging neben ihr her. "Und ich dachte, ich muss raus aus der Stadt, verdammtes Whiteout." "Dann bist du hier richtig, gut gemacht." Ihre Ausdrucksweise war ebenfalls eigenwillig. "Mein Name ist übrigens Havoc", sagte sie. "Ernsthaft?", ließ Robert seinen Lippen freien Lauf. Sie schaute wieder etwas kritisch. "Cooler Name!", ergänzte der Rote, "Ich bin Robert!"
      Robert bekam in einer kleinen Lagerstätte von Havoc Vorräte zu essen. Es war seltsame Nahrung, wie er sie noch nie gegessen hatte. Aber er war zu hungrig und beschäftigt, sie reinzuschaufeln, um darüber nachzudenken. "Du lebst echt in diesem Wald?", fragte er. "Ich reise herum, durch den Süden Grand Storms." "Warum?" "Es ist meine Aufgabe, eine Pflicht." Robert schaute sie fragend an. Ich bin die Beschützein der Bäume, seit Generationen liegt diese Aufgabe in Grand Storm in der Familie." Robert verstand natürlich nicht, was sie damit sagen mochte. "Ich möchte, dass du mich begleitest. Ich werde dir zeigen, wie man im Wald überlebt." Robert nickte: "Okay, danke." Er wusste nicht so recht, was er hier eigentlich vor hatte. "Bevor ich dir mehr erzähle über die Bäume und die Geschichte dieser Wälder, muss ich dir jemanden vorstellen." "Okay, lebt hier noch jemand im Wald?" "Nein, nicht hier, wir werden dorthin reisen. Es wird ein paar Tage dauern."
      "Hier können wir rasten", sagte Havoc, "Du musst müde sein." Robert stand an einem kleinen Bach und reckte sich. Er zündete sich eine Zigaerette an, aber Havoc tadelte ihn sofort. "Lass diesen Dreck aus dem Hals. Er macht die Menschen krank. Man sollte nichts tun, was einen krank macht." Robert hörte auf sie. "Menschen betäuben ihre Sinne mit Brandwein oder Sumpfkraut." "Ist doch auch irgendwie Natur", entgegnete der Rote. "Natürlich, aber sie nutzen es falsch. Seine Sinne zu erweitern ist etwas Gutes. Seine Leistungsfähigkeit auf etwas bestimmtes zu richten, braucht Übung, kein Gift. Ein Künstler, der glaubt, Sumpfkraut zu benötigen, um zu malen, sollte es mit meiner Technik versuchen. Es funktioniert besser und macht nicht krank." "Aha", sagte Robert und dachte sich seinen Teil. Zum Abend wurde es wirklich kalt. Robert legte sich möglichst geschützt vor Wind und Regen ab. Havoc lag einfach im nassen Gras. Er war ja nicht gerade zart besaitet und kannte es, draußen zu schlafen. Aber seine Begleiterin war ein anderes Level. Er bibberte, doch Havoc schien Kälte rein gar nichts auszumachen. Sie schlüpfte unter die dünne Decke, die über Robert gelegt war. "Was machst du?", flüsterte Robert. Er konnte sie aufgrund der stockdunkeln Nacht nicht sehen, aber er roch ihre langen Haare. Ihre Haut war weich. Sein Herz klopfte. So nah war er noch nicht mal Mai gekommen. Er hatte zwar schonmal mit anderen Straßenkindern Küssen geübt, aber das war nun doch anders. Er berührte ihre Haut, rollte sich auf sie drauf und legte seine Lippen auf ihre. Aber dann ließ er es schlagartig doch wieder. "Wärm dich ruhig", sagte Havoc. "Nein", sagte Robert beschämt. "Ich weiß, warum du das nicht machen wolltest", sagte sie. "Weißt du nicht", antworte er. "Doch. Du hast ein anderes Mädchen im Kopf. Und weil du ein gutes Herz hast, kannst du mich nicht küssen." Sie hatte ihn ertappt. Havoc war nur ein wenig älter als er, aber sie war definitiv zu klug für ihn.
      Die beiden kamen an einem Dorf an, das sehr abgelegen war. Es bestand aus kleinen Höfen mit Gärten. Die Straßen waren spärlich ausgebaut und nicht gepflastert. Ein Hund kam mit wedelndem Schwanz auf sie zu. Ein weiterer am Nachbarshof kläffte nur. Es gab nur wenige Häuser, aber ein zugewachsenes, das wohl kleinste des Dorfes, gehörte Havocs Großmutter. Die alte Frau nahm Roberts Hand und schaute ihn minutenlang an. Sie kam sehr dicht heran, denn sie war schon sehr alt und kurzsichtig. "Wunderbar", sagte die Großmutter. "Hast du etwas gesehen, Großmutter?" "Mechlin, mein Kind, du hast den Richtigen zu mir gebracht." Havoc schaute ihre Großmutter an. "Du hast meinen Segen." "Alles?", fragte Havoc. "Ja, alles, Mechlin." Robert verstand natürlich nicht, was hier vor sich ging. "Mein Junge, wie ist dein Name?", fragte die alte Frau. "Robert Kenway." Sie streichelte über seine Wange, Robert war ein wenig verlegen, aber diese Waldmenschen waren wohl einfach etwas eigenwillig, dachte er sich. "Robert, ich hab deine Zukunft angeschaut. Ich werde dir nun etwas mitgeben." Robert nickte nur. "Gerechtigkeit und Gnade. Dein Einsatz für andere Menschen bringt dich in die Neue Welt." Der Rote wiederholte die Worte leise. Zweimal sagte er sie für sich auf. "Ich bin nun sehr müde", sagte die alte Frau, "Ich muss mich nun hinlegen, Kinder." Sie stand auf, ging zu ihrem Bett und legte sich ab. Sie war so alt, dass sie es wie in Zeitlupe zu tun schien. Die jungen Leuten gingen hinaus und schauten sich ein wenig im Dorf um. Dann gingen sie wieder zurück in den Wald. "Meine Großmutter ist seit Jahrzehnten für die Leute sowas wie eine Heilige. Sie kann die Zukunft von Menschen sehen und sie mit ihren Ratschlägen leiten."

      Kapitel 17: Erwecken

      "So etwas, wie sie macht und was ich gespürt habe, als sie mich berührt hat, das hatte ich vorher schon einmal...", sagte der Rote. "Achso?", fragte Havoc. "Ja, bei Silverstin. Ich dachte, er sei einfach verwirrt. Und mir war komisch. Ich hatte aber gar nicht gesoffen. Ich konnte es mir nicht erklären. Aber dann dachte ich, dass es Silverstin gewesen sein müsste..." "Da hast du sicher Recht, Robert", bestätigte Havoc. "Ach echt?" Nun war er doch überrascht, dass Havoc dies sofort bestätigte und nicht in Zweifel ziehen würde. "Es ist eine Kraft, die für viele unsichtbar ist", begann sie. Robert bekam große Augen. "Es hatte im Laufe der Geschichte unserer Welt viele Namen...", begann Havoc, "es wurde Magie genannt, Aura, Kraft der Götter oder auch Haki..." Robert war fasziniert. "Meine Großmutter sagte, ich soll dir davon berichten, also hör zu, eine Einführung." "Okay, Frau Lehrerin." "Es gibt 3 Grundformen. Observatorium, Aegis und Imperator." "Das kann ich mir nicht merken", ächzte der Rote. "Man, hör doch einfach zu! Außerdem sind Namen unwichtig: Observatiorium bedeutet, dass deine Wahrnehmung geschärft wird. Aegis bedeutet soviel wie Abhärtung. Imperator ist besonders, diese Kraft ist vielleicht mit Charisma zu übersetzen." Robert nickte und versuchte alles zu verstehen. Dennoch war klar, dass es eine Zeit dauern würde. "Du hast mich doch gesehen, als ich auf der Farm war und Silverstin ebenfalls?" "Ja, genau. Aber Silverstin meinte, es sei ewig her." "Silverstin sieht die Geister der Vergangenheit." Der Rote schaute ein wenig skeptisch. Er hatte bei Silverstin ja schon öfter auf dessen verfallenden Verstand verwiesen. "Schau Robert, alles was wir tun und was je passiert ist, ist mit der Materie um uns herum verwoben. Wenn man einen Ort mit anderen Augen sieht, sieht man auch dessen Vergangenheit. Ich werde es dir beibringen."
      "Was hast du gesehen, Robert?", fragte Havoc. "Hm, ich kann es schwer erklären." "Versuch's!". "Manchmal, als würde im Augenwinkel etwas erscheinen, aber wenn man es ansieht, ist es doch nicht da. Oder nicht mehr." Havoc nickte. "Wenn ich es sehe, dann ist es nicht, wie wenn ich ein Tier sehe." Er zeigte auf ein paar Rehe, die aufmerksam beobachteten, was die beiden menschlichen Eindringlinge taten. "Es ist, als würden Teile des Rehs, in dem Beispiel nehmen wir ein Reh..." "Hab ich schon verstanden, erzähl weiter." "Es ist, als würde ein Teil des Rehs an der Stelle bleiben, aber gleichzeitig bewegt es sich weiter." Die beiden gingen eine Lichtung entlang. "Es ist wie Licht, das aus dem Dunkeln herausscheint, nur dass es genauso im Hellen funktioniert." Dies bestätigte Havoc.
      "Aegis bedeutet nichts anderes, als dass du eine Barriere bildest. Weniger tritt ein, aber auch weniger tritt aus?" "Aus was austreten?" "Was?" "Ja, genau. Was?" "Man, Robert", nun musste Havoc aber doch lachen. "Es bedeutet, dass zum Beispiel weniger Kälte in deinen Körper eintritt, aber auch mehr Energie, in Form von Wärme oder von Kraft gehalten wird. Menschen verlieren ihre Energie einfach so. Wenn du lernst, dies zu reduzieren, benötigst du weniger Essen, weniger Wärme oder weniger Schlaf."
      Die beiden übten auf ihrer Reise durch die Wälder weiter. Sie kamen an einer Lichtung an. "Nutz das Observatorium", bat Havoc. "Robert versuchte es, sah aber erst nichts. Doch nach wenigen Minuten: "Meine Güte", sagte er, "ach du Scheiße." Havoc schaute ihn skeptisch an. Wahrscheinlich weger seiner Wortwahl. "Wie schön", sagte er nun. Das wollte sie wohl hören. "Der Baum leuchtet und er kann reden." "Nicht wahr?", strahlte Havoc. "Was ist das für ein Baum?" "Daran reift eine Teufelsfrucht." "Wie bitte?" Es war in letzter Zeit wohl etwas zu viel verwirrendes Zeug für seinen Kopf. "Teufelsfrüchte sind die vierte Kraft. Auch Incubus genannt. Sie sind die gefürchtetste Kraft. Sie gilt als unberechenbar. Wenn man eine Teufelsfrucht isst, bevor sie reif wird, kann das böse Folgen haben. Wenn man zu viel von ihnen isst ebenfalls. Dazu sind Teufelskräfte individueller als die anderen Kräfte." "Wie meinst du das?" "Naja, wenn du dein Observatorium einsetzt, siehst du, je nachdem wie gut du darin bist, genau das, was ich sehe. Wenn wir beide Aegis nutzen, frieren wir beide weniger beim Eisbaden. Aber eine Teufelskraft ist so einzigartig wie die Menschen selbst."

      Kapitel 18: Geister

      Die beiden waren an einer freien Ebene angekommen. Diese war eine der bekanntesten Stätten mit Steinmonumenten in Grand Storm. "Die verdammten Steinkreise", sagte Robert. "Mein Großvater und meine Eltern waren von den Dingern besessen. Mein Großvater war im Krieg in der Neuen Welt, dort hat er wohl Dinge gesehen oder gehört, von einem Schatz." "Was sollte das für ein Schatz sein? Hat er das erwähnt?", fragte Havoc. "Naja, er sagte, er sei wertvoller als Gold und Diamanten. Und es hatte wohl angeblich irgendwas mit diesen Steinviechern zu tun." Robert zuckte die Schultern: "Aber was der Schatz sein soll, weiß ich auch nicht. Hatter nie gesagt. Fragen können wa ihn nicht mehr. Er liegt auf dem Friedhof in Swanlake." "Vielleicht doch. Hat er sicher Spuren hinterlassen", überlegte Havoc, "sagtest du nicht, deine Mutter hat im Haus Geister gesehen?" Robert nickte. "Vielleicht hat sie das Observatorium benutzt..." "Naja, sie ist verrückt gewesen." "Das eine schließt das andere nicht aus, Robert. Vielleicht konnte sie es nicht kontrolliert nutzen oder nicht ausschalten." Robert wusste nicht so recht, ob er das glauben sollte. "Willst du diese Tür aufstoßen?", fragte sie ihn. "Okay, aber meinst du, mein Observatorium ist gut genug?" "Wir werden sehen", erwiderte sie, "wir beginnen am Anfang." "Okay", antwortete Robert, "und wo soll das sein?" "Was denkst du, wo es sein könnte?" "In der Neuen Welt?" "Nun, es wird wohl etwas schwer, dorthin zu kommen", sagte Havoc und musste ein wenig lachen. "Richtig. Dann... wo ich gewohnt habe?" "Hm", überlegte Havoc, "dort hat auch dein Großvater gewohnt?" "Und mein Eltern", antwortete der Rote. "Das Haus steht noch, soweit ich's weiß." "Ernsthaft?", fragte Havoc, "Wo ist es?" "In Swanlake, am Stadtrand." "Los geht's!", rief Havoc bestimmt.
      "Wie weit ist es bis Swanlake", fragte Robert. "Von hier weiß ich es nicht genau. Und wenn, dann kann ich es dir nur in Laufzeit nennen." "Aber du findest hin?" "Natürlich, ich bin mein ganzes Leben in diesen Wäldern hier gewesen. Keiner kennt sie so gut, wie ich und natürlich meine Familie." "Hm, du gehst echt immer zu Fuß?", feigste Robert, "du weißt schon, dass eine Eisenbahn zwischen Lodea und Swanlake fährt?" "Immer zu Fuß, ich hab noch nie eine Bahn bestiegen." Robert kicherte manchmal über Havocs eigenartige Wortwahl, die so anders war, wie die der Kinder im Whiteground, obwohl sie nur ein paar Jahre älter war als er und viele, die er kannte. "Wie groß sind die Wälder denn?", fragte Robert. Eine naive Frage. "Wie soll ich das beantworten, Robert?", fragte sie. "Naja, Lodea ist groß...", begann Robert. "Ja, eine große Stadt. Viel Fläche, aber auch teilweise dicht besiedelt. Aber die Wälder im Süden Grand Storms sind viel größer. Wahrschein wie hunderte Lodeas." "Wenn du's sagst", sagte der Rote und merkte, dass Havoc ihn ein wenig sauer anschaute, als hätte er ihr ihre Expertise abgesprochen, obwohl er das gar nicht vorgehabt hatte. "Ein paar Tage werden wir brauchen", ergänzte sie.
      Die Zeit im Wald war so anders im Gegensatz zum Trubel in Lodea. Robert dachte auch noch Monaten im Wald noch öfter an Lodea und natürlich seine Freunde dort. "Es gibt wieder einen Sturm, es wird sehr kalt, wir werden in Swanlake einen Mantel und Decken besorgen." Sie sah, dass Robert bereits sehr froh war. "Dein Aegis reicht noch nicht aus, aber es ist ein gutes Training."
      Als die beiden in Swanlake ankamen, war Robert sehr komisch zu Mute. Er war, seitdem er vor Jahren nach Lodea gekommen war, nie wieder hier gewesen. "Wie ist es?", fragte Havoc ihn. Er schaute sich nur um. "Wie geht es dir nun?" "Mir ist kalt", antwortete er. "Schon klar, ich meinte eher mit deinen Gefühlen konfrontiert zu sein", versuchte sie eine Antwort aus ihm zu locken. Sie gingen weiter, die Straßen waren schön, aus dickem Kopfstein gepflastert. Durch die Lage am großen See hatte die Stadt den Charme eines Fischerdorfes gepaart mit Stadt. Aber wenn man Lodea kannte, dann war es sicher eher einem Dorf ähnlich. Viel ruhiger. Die Bauwerke und Straßen und die Kleidung der Menschen wirkten älter. "Ist nicht schön, fühlt sich nicht gut an, Havoc", sagte Robert nun. "Erinnerungen?" "Hier lang", sagte er. Eine ruhige Straße ging in einen Weg über, der zu einem bewaldeten Garten führte. "Cubric Manor?", las Havoc vor. Das stand auf einer Tafel am Eisentor. Man sah durch das Tor einen Weg durch eine ehemalige Gartenanlage, die aber natürlich vollkommen verwildert war, einen alter Springbrunnen in einem runden Teich und schließlich den Eingang des Hauses, mit einem Balkon überdacht. Die vier Ecken des Hausen waren turmartig erhöht und standen ein wenig heraus. Das Haus war zweistöckig. Es war typisch rötlich mit einem ebenfalls rotbraunen Dach.
      "Das ist es"?", fragte Havoc. Robert nickte und schien in Erinnerungen zu sein. "Ist echt schön. Deine Eltern sind verstorben, richtig?" "Naja, mein Vater ist in der Neuen Welt verschollen... aber ja", antwortete Robert. "Wem gehört es dann heute?" "Es gehört mir", sagte er. Havoc schaute überrascht. "Du bist also das einzige Straßenkind in Lodea, das ein gigantisches Haus besitzt?" Das fand Robert zwar witzig, ihm war allerdings nicht zum Lachen zu Mute.
      Die beiden liefen durch den verwilderten Garten. Die Haupttür war verschlossen und Robert wusste nicht, wo der Schlüssel war oder ob er noch existierte. Er kletterte auf den Balkon über der Eingangstür. Die alten Eisenstreben knarrten. Er kletterte auf eine der Fensterbänke und drückte mit einigem Kraftaufwand das alte Fenster auf. "Geht es? Kommst du?", fragte er. Aber er kannte ja bereits Havocs Geschicklichkeit. Sie kletterte sehr gekonnt durch Bäume und auch dies war kein Problem für sie. Die beiden hüpften in das Zimmer hinein.
      "Los geht's, Robert. Was ist das für ein Zimmer?" Der Rote antwortete ihr nicht auf die Frage, er schaute sich einige Minuten um. "Dort", sagte er und ging aus dem Raum heraus. Havoc folgte ihm. "Was siehst du?" "Einen Geist, wie du gesagt hast." "Solche wie ihm Wald?" "Ja, genau." "Das sind Erinnerungen", erklärte Havoc, "sie sind an diesen Ort gebunden." "Der Junge will uns etwas zeigen", sagte Havoc, "Folge ihm, konzentriere dich auf den Weg, den er nimmt. Er führt uns." "Dort war mein Kinderzimmer", sagte Robert. Der geisterhafte Junge versteckte sich in seinem Kinderzimmer hinter der Tür, sodass er in den großen Flur sehen konnte, von dem die Türen im ersten Stock abgingen. "Bist du der Junge?", fragte Havoc. "Ja, aber ich erinnere mich an diese Situation nicht." "Schau, wie klein du bist..." In dem Moment kam jemand die Treppe herauf. Die geisterhafte Silhouette eines alten Mannes. Er lief auf einen Eckraum zu. Der kleine Robert schaute seinem Großvater nach. Dieser öffnete den Raum in der Ecke und verschwand darin. Das Kind lief ihm nach. Robert und Havoc folgten der Spur der Geister in den Raum. Doch dort war nur noch der Junge. Er schaute sich um und hatte Tränen in den Augen. "Was hat er?", fragte Havoc. "Schau, er sucht seinen Großvater...", sagte Robert. Er schaute sich um. Der Raum war eine Biblothek, eine Art Arbeitszimmer. "Er ist weg", stellte Havoc fest. "Hab ich auch schon gemerkt, aber ich erinnere mich daran nicht..." "Du findest ihn, folge dem Geist deines Großvaters. Robert konzentrierte sich auf sein Observatorium, schob ein Regal zur Seite und dort war eine schmale Tür mit einem alten Schloss. "Du bist ein talentierter Junge, Robert", sagte Havoc. "Ich nehme an, wir suchen nicht nach dem Schlüssel?" Der Rote trat auf die Tür ein, brach dann ein Stück heraus und schlüpfte hindurch. In dem Raum war eine schmale Leiter zum Turm. Dort oben lag ein kleiner Raum versteckt. Der Geist des Großvaters schaute hier in Dokumente. "Wir haben es gefunden. Lass uns schauen, was hier so wichtig war", sagte Havoc. In den Dokumenten des Großvaters fanden sie Symbole. Ein rautenförmiges Symbol schien für den alten Mann eine besondere Bedeutung zu haben. "Was ist das für ein Zeichen?" "Cubric.... wie Cubric Manor", antworte Robert, "Ich weiß, dass das Haus einmal anders hieß, bevor mein Opa es gekauft hatte." "Er hat es sogar nach diesem Symbol benannt?" "Meine Güte", sagte Havoc, "schau dir dies an: das One Piece ist echt. Dazu eine Zeichnung, eine Art Karte der Neuen Welt." "War mein Opa verrückt, Havoc?", fragte Robert. "Das glaube ich nicht. Ich kenne mich mit Karten nicht aus, aber das sieht mir zu gut gemacht aus für jemanden, der Wahnvorstellungen hat. Ich glaube, dein Großvater hat wirklich irgendetwas in der Neuen Welt gefunden, was ihn bis zu seinem Tode nicht losgelassen hat." "Der Schatz, One Piece, Laugh Tale, Nika, er hat viele Namen, blabla", las Robert und wieder, hier bei der Stelle mit dem Schatz, wieder das Zeichen. "Cubric", sagte Havoc.
      Zielsicher lief Robert durch die Straßen am Stadtrand Swanlakes. Havoc folgte ihm. "Wohin gehen wir?" Robert zeigte nach einer weiteren Wegbiegung auf einen verwilderten Friedhof. "Oh, willst du deine Familie besuchen?" Robert sprang auf den Zaun und dann aufs Friedhofsgelände. Havoc ging einige Meter zu einem rostigen Eisentor und öffnete es. Sie hinterfragte aber nichts und Witze konnte Robert heute wohl auch nicht gut vertragen. "Früher klemmten die immer", sagte Robert, als beide am Grab standen. "Du warst ein Kind, Robert. Vielleicht warst du einfach zu schwach, sie zu öffnen. Warst du allein bei deinen Großeltern am Grab, nachdem sie verstorben waren?" "Natürlich", antwortete Robert, "ich war immer allein, nachdem sie tot waren. Bis ich von hier abgehauen bin." "Wo war deine Mutter?" Der Rote strich etwas Bewuchs vom Grabstein: James Berhath Kenway und Marie Kathlin Kenway. "Torfmoore. Dort ist sie auch gestorben." "Was ist Torfmoore?" "Hospital für Geisteskranke." Havoc war nun wirklich bestürzt und weinte. Robert weinte nicht. Aber Havoc hatte ihn auch noch nie so ernst und still erlebt. "Sie liegt dort begraben. Anonymes Grab. Ich durfte es dort mal besuchen als Kind." "Wie hieß sie?" "Rosa", murmelte Robert, "Rosalyn Sault. Dann natürlich Rosalyn Kenway. Und jetzt lass uns gehen. Ich werd nur traurig. Tschüss, Opa und Oma."

      Kapitel 19: Relikte der Vergangenheit

      Die beiden verbrachten einige Wochen im Wald, zogen durch den Südwesten Grand Storms. "Da wären wir", sagte Havoc. "Das ist das größte und bekannteste Steinmonument in Grand Storm." Die Steinformation war eine Art Weg mit Steinen an den Seiten. Säulenartige Steine und darauf quer ebenfalls Steinbrocken, die aber eckig waren. Sie sahen aus wie Tore, die aneinander gereiht waren. Am Ende dieses Weges kam man in einen Kreis aus ähnlichen Steinkonstruktionen, in dem ein weitere kleiner Kreis genauso gebaut worden war. Ganz in der Mitte stand ein gigantischer Stein, der an einen übergroßen Tisch erinnerte. Das meiste der Steinbauten war sehr gut erhalten, noch besser als bei dem anderen Steinkreis nahe Lodea. Dies war auf die unglaublich harte, widerstandsfähige Beschaffenheit der Steine zurück zu führen. Genau wie auf ihre schiere Größe. Selbst sie zu zerstören wäre ein unglaublicher Aufwand, geschweige denn sie abzutransportieren. Warum auch immer man das vor gehabt hätte. Aufgrund der Abgeschiedenheit dieses Ortes verirrten sich verhältnismäßig selten Besucher an diesen Ort. Zwar war er den Bewohnern bekannt und galt als eine Art Wahrzeichen von Grand Storm, allerdings ist ein Besuch für die meisten Bewohner eher nicht reizvoll, aus besagten Gründen. Auf Zeichnungen und ähnlichem waren sie dennoch ein beliebtes Motiv. Auch, dass kaum jemand ihre Geschichte kannte, machte die Steine zu einem beliebten Mysterium und zu einer Quelle für Gruselgeschichten. Gleichzeitig aber sorgte es auch dafür, dass ihnen die meisten Bewohner keine Bedeutung beimessen würden.
      "Wahnsinn", sagte Robert, "die Dinger sind hier noch größer als in dem anderen Steinviech nahe bei Lodea. Und es sind zich mal mehr." "Ja, hier sind weit mehr verbaut worden und die Fläche reicht um ein vielfaches weiter." Robert ging um die Steine herum und berührte ein paar von ihnen. Sie fühlten sie ganz normal an. Eben wie ganz normale Steine. "Mach dich bereit, Robert", sprach Havoc. "Du wirst dich nun die nächsten Tage nicht aus dem Bereich der großen Steine begeben. Konzentriere dich nur auf dein Observatorium. Wenn du etwas spürst, geh dem nach." "Darf ich vorher zumindest noch was essen und mal eben in die Büsche, wenn du verste..." "Jaja, mach einfach." Havoc war heute nicht für Roberts Späße aufgelegt. Sie konzentrierte sich selbst auf ihr Observatoirum. "Robert", sagte sie, "Ich bringe dir nachher noch was zu Essen." Robert fing an, wie Havoc es ihm gesagt hatte. Das Tageslicht verschwand langsam. Havoc hatte einiges an essbaren Früchten, Wurzeln und frischem Wasser bereitgestellt. Vom Rumsitzen wurde er langsam müde. Gegen Abend waren noch zwei Wanderer vorbei gekommen. Seitdem passierte nicht viel. Ein Greifvogel zog seine Kreise über die baumkarge Lichtung. Eine ganze Menge Rehe bedienten sich auf den Wiesen zwischen den Monumenten. Robert wurde müde, ihm fielen ab und an die Augen zu. Er stand auf, reckte sich und lief ein wenig umher. Da passierte es. Er sah etwas aufblitzen. Es war dasselbe wie im Wald und in Cubric Manor. Er fixierte sich auf ein besonders leuchtendes Abbild. Er lief ihm hinterher. Es war etwas kleiner als er, mehr konnte er noch nicht erkennen. Ein weiteres, viel größeres lenkte seine Aufmerksamkeit auf sich, verblasste aber schnell wieder. "Man", sagte Robert. Er kniff die Augen zusammen und wischte sich mit den Fingern darin. Dann setze er sich hin und versuchte es erneut. Er kaute ein paar der Wurzeln und Früchte. Die schemenhafte Gestalt begann seine Reise erneut, Robert versuchte ihr zu folgen.
      Am Morgen schreckte Robert aus dem Schlaf hoch. Es war bereits taghell. Er lief zu Havoc, die einige hundert Meter von ihm entfernt im Gras der Wiese schlief. "Hey", sagte Robert. "Hat es geklappt, Robert?" Er setzte sich neben sie. "Naja, ich bin irgendwann eingepennt. Aber da war was." "Okay." Havoc sah ihn fragend an. "Einer Gestalt konnte ich folgen, erst nur kurz, dann weiter." "Das ist doch gut", sagte Havoc. "Du weißt ja, die Wege der Geister sind Teil der Vergangenheit, sie gehören zur Materie dieses Ortes und sind untrennbar mit ihm verknüpft. Du musst den Weg nur gut genug erkennen, dann nimmt es dich immer weiter mit hinein."
      Die nächsten zwei Nächte klappte es ähnlich wie zuvor, aber dann änderte sich alles. Robert folgte der Gestalt so weit bis sie eine zweite gleich große trafen. Er konnte das erste Mal erkennen, was sie waren. Sie sahen aus wie Menschen, zwei Beine, Arme. Sie trugen Kleidung, die Robert natürlich gänzlich fremdartig vorkam, was natürlich zu erwarten war, bei der entfernten Vergangenheit. Was ihn am meisten wunderte, waren ihre Gesichter. Sie waren länglicher als die der heutigen Menschen, ihre Augen waren seltsam geformt. Ihre Haare sahen aus wie Tentakeln. Eine große Gestalt nahm nun Form an. Ihre Merkmalen waren genauso, wie die der Kleineren. Ihre Haare gingen fast bis zum Boden und sie trug etwas, das an ein Kleid erinnerte. Robert war erstaunt über ihre Größe. Mehrere Meter musste sie groß sein. Der Rote schaute sie an. Nun ergab die Größe der Steine einen Sinn. Für ihn und Havoc waren die Steintore einfach riesig und hoch. Doch dieser Geist lief dort hindurch wie durch eine normale Tür. Nun verstand er: die Erscheinung, der er gefolgt war, war ein Kind der großen Kreatur. "Ein kleines Kind, das mit einem anderen spielt", dachte Robert, "was zur Hölle ist das hier?"
      Um ihn herum leuchtete alles. Die Wesen liefen die Steinreihe entlang, die zum Kreis führte. Im Kreis standen weitere Wesen und schauten nach oben. Dort waren schwebende Ringe zu sehen. Es gab weitere schwebende Steine in Form des Symbols, das Berhath Kenway in seinen Aufzeichnungen hinterlassen hatte. Der Kreis schien eine Art Treffpunkt zu sein. Robert konnte nicht erkennen, was sie dort anschauten. Nur ein Flimmern und Leuchten. Außerhalb des Steinkreises waren Silhouetten von Bauwerken zu erkennen. Sie sahen eckig aus und erinnerten an Tempel, hatten Verzierungen, Säulen und Türme. Fensterartige Öffnungen schienen zu glitzern, wie die Oberfläche eines Gewässers. "Havoc", sagte er, als er aus einem tiefen Schlaf erwachte, "dies ist eine Stadt. Eine Stadt von... einer Art Menschen." Seine Aussage klang teilweise wie eine Frage. "Ja", antwortete sie, "hier muss eine Stadt von ihnen gestanden haben." "Wer sind die?", fragte Robert. "Sie sind unsere Vorfahren. Die Vorfahren der heutigen Menschen." Robert fasste sich an die Stirn und schüttelte den Kopf. Dies waren Sachen, die er nie geglaubt hätte und vor allem hatte er sich für so etwas nie interessiert. Es kam ihm vor, als sei ihm das in die Wiege gelegt worden sein. "Das also war's, von dem mein Großvater und mein Vater so besessen waren..." "Ja, genau, ziemlich sicher hat dein Großvater in der Neuen Welt irgendetwas gefunden, gelesen oder gehört, was damit zu tun hat." "Und bei meinem Vater war's umgekehrt. Als wiederum sein Vater mit dem Zeug aus der Neuen Welt anfing, begann er hier den Scheiß zu erforschen und verpisste sich schließlich in die Neue Welt, um dort weiter zu machen oder was weiß ich." "Nehme ich auch genau so an, Robert", bestätigte Havoc. "Ob es nun One Piece, die Stätten hier oder was auch immer war, schien ebenfalls sein Interesse daran geweckt zu haben. Und dann entschloss er sich in die Neue Welt zu reisen." "Ja, aber ich könnte heute sonstwo hinsegeln, um mir Steinchen anzuschauen", sagte Robert mit ernster Stimme, "er hat dafür seine Familie verlassen." Havoc nickte nur. "Lass uns hier verschwinden, Havoc."
    • Ich beginne mit 2 Kapiteln, die nächsten sind noch in Überarbeitung. Ich editiere in den nächsten Tagen.

      Kapitel 20: Das Fest

      Als Robert in Lodea ankam, kam ihm alles lauter, schneller und voller vor als vorher. Er dachte, er hätte den Geruch frischen Fisches im Hafenviertel vermisst, wurde nun aber eines Besseren belehrt. Er war etwa ein Jahr nicht hier gewesen. Vor allem war er etwa ein Jahr lang nicht in einer Stadt gewesen, außer bei dem Besuch in Swanlake. In den nächsten Tagen würde das Fest zu Ehren der Königsfamilie abgehalten werden. Dort würde er sich mit Mai treffen.
      "Ey Roter!", rief Ben und umarmte seinen Freund. Beide rangelten sich noch ein wenig. "Ey ihr Arschlöcher!", rief Lou, der aufgetaucht war. "Hallo, du Fettsack!", antwortete Robert. Lou rannte auf die beiden zu und löste Robert aus Bens Griff, um ihn selbst zu packen und hoch zu heben. "Man, hab ich dich und dein dummes Gelaber vermisst. Ich musste mich die ganze Zeit mit Yasopp begnügen!" "Das tut mir Leid", ächzte Robert im Klammergriff. "Und ich mit deiner Mutter, Lou!", tönte Yasopp. Robert wurde derweil wieder auf den Boden zurück gesetzt. "Lass uns los zum Umzug", sagte Ben, "wir kriegen den direkt in Crossed zu sehen, wenn wa jetzt loslatschen." "Wie war's im Wald, oder wo auch immer du warst, Roter?", fragte Yasopp. Robert erzählte ein wenig. "Ey, Robert!" Lou gab die Flasche an den Roten weiter, dieser nahm sie, aber reichte sie gleich an Yasper weiter. "Wasn mit dir kaputt?", fragte Lou. Ben grinste und sagte: "Er trifft sich noch mit Mai und darf da nicht auftauchen wie ein Penner von der Promenade." "Uhh, na dann, keinen Schluck mehr für den Roten, sonst kotzt er ihr beim Date auf die Schuhe, das wollen wa ja nicht." "Nein, das würde dir passieren, Lou", lachte Yasopp. "Ich hätte immerhin ein Date, du Stubenhocker", gab's den Konter von Lou. "Ich hab eine Freundin, du Schwachkopf", antwortete Yasopp. "Ich hab euch echt vermisst", lachte Robert.
      Die beiden schlenderten Hand in Hand über die große Logsleysteet. Die Parade zu Ehren des Königshauses kroch langsam durch Crossed und Cornerblue und würde später mit einem Feuerwerk über dem Hafen enden. "Auu, pass bitte mit meiner Hand auf." "Tut immer noch weh?", fragte Robert. "Aber ist schon besser", antwortete Mai. "Ist mir letzte Woche ein volles Backblech draufgezimmert." "Dann sind wir ja beide Trottel", stellte der Rote spöttisch fest. "Du bist unübertroffen", gab's von Mai zurück.
      "Komm Mai, das Feuerwerk sehen wir uns von der besten Aussicht der Stadt aus an." Die beiden fuhren mit der Circle zum Hafenviertel. "Wohin fahren wir denn?", fragte Mai gespannt. "Na, es ist ein Ort, von dem aus man den allerbesten Blick auf den Hafen hat." "Und wo soll das sein?" "In meinem Wohnzimmer", grinste Robert. Die beiden stiegen aus und verließen das Hafenviertel Richtung Wald. "Robert, ich kann nicht durch den Wald latschen, meine Schuhe, was soll ich denn zu Hause sagen? Ich war statt auf dem Fest einen Acker umgraben?" "Stimmt", überlegte Robert, "ich bin doch eh dein Packesel. Dann bin ich heute dein Reitpferd." Mai stieg auf Roberts Rücken. Sie legte ihre Arme um Roberts Schultern. Sie kuschelte sich regelrecht an seinen Rücken. Das Gespann stampfte durch den Wald zu den Klippen, wo Robert früher immer gecampt und sein Versteck gebaut hatte. Mai wuschelte Robert durch die Haare. "Halt dich lieber fest, sonst klatschst du noch in den Matsch. Wenn dein Kleid auch auch noch dreckig ist, wird's wirklich Zeit für eine sehr gute Ausrede." Die beiden standen an den Klippen. Im Hafen war das Fest auf Hochbetrieb. "Wow", sagte Mai. "Hab ich zu viel versprochen?" "Bestimmt nicht", antwortete sie.
      "Mai, wir sollten irgendwann zusammen leben." Mai schaute Robert tief in die Augen. "Du bist die Frau, mit der ich...", Mai kam ganz dicht an Roberts Gesicht heran: "Halt jetzt die Klappe", flüsterte sie und küsste ihn. Danach standen beide nebeneinander und schauten sich das Feuerwerk zu Ehren der Charlotte-Königsfamilie an. Robert hielt Mais Hand. "Willst du nicht?", fragte Robert nochmal. "Natürlich, Robert", antwortete sie. "Dann ist es ja beschlossene Sache, wir sind also praktisch Mann und Frau", grinste er. "Du redest so viel dummes Zeug", lachte Mai. "Küss mich lieber nochmal anstatt zu sabbeln."

      Kapitel 21: Wie alles mal vergeht

      Robert wollte Mai unbedingt sehen. Er stellte sich an die Tür zur Bäckerei. Er schaute sich das Treiben an. Der Inhaber, Arnest Bayers, schnautzte einen Bäckergesellen an. Robert lief ein Stück weiter. Dort saß Taru, Mais Bruder. "Hey, du bist doch Taru", sagte der Rote. Er hatte ihn noch nie draußen gesehen. Taru wischte sich übers Geischt. Es schien ihm sichtlich unangenhem, denn er hatte offensichtlich geweint. "Oh, du bist der Rote", sagte der Junge. "Ja klar, der bin ich. Wasn los it dir?" Taru schaute sich ängstlich um. Robert merkte, dass es schien, als hätte er Angst mit Robert gesehen zu werden. "Was los? Darf man dich nicht hier draußen sehen?" "Ich will nicht, dass man merkt, dass ich mit einem Fremden rede..." "Komm mit", sagte Robert und zog Taru vom Bordstein hoch. Er lief mit ihm ein Stück und sie verschwanden in einer Seitenstraße. Robert merkte, dass Taru schlecht laufen konnte. "Hast du dich verletzt? Komm setz dich." Taru setzte sich an die Hauswand. "Brauchst doch nicht weinen, weil de dich verletzt hast. So schlimm kann's ja nicht sein, zeig doch mal her." "Nee", schluchzte Taru. "Wer darf uns denn nicht sehen?", fragte Robert den Kleinen. Er antwortete nicht. "Was tut denn weh, dein Bein?" "Ne, Rücken, und hier", sagte Tau und zeigte auf seinen Nacken. "Haste dich in der Backstube verletzt?" Mais Bruder antwortete wieder nicht. "Ist doch nicht schlimm, muss dir nicht peinlich sein, ich verletzt mich auch dauernd. Als ich die ersten Male auf die Stadtmauer geklettert bin, hatte ich jedesmal öffene Finger." Taru nickte. "Und deine große Schwester ist auch so ungeschickt, verletzt sich in der Backstube beim Arbeiten, liegt vielleicht in der Familie", sagte der Rote und lächelte Taru an. "Ach Quatsch", sagte Taru, "Mai ist so geschickt. Die Bäckerleute fragen sie, wenn sie etwas nicht können." Taru strahlte. Robert war ein wenig verwirrt. "Ist sie wirklich so gut?" "Natürlich", bestätigte Taru. "Hat sie sich nicht auch schon sehr verbrannt oder ist hingefallen neulich in der Backstube?" "So ein Quatsch, Roter", antwortete Taru. Robert stand auf. "Taru", sagte er ernst und packte den kleinen Kerl. "Nicht", kreischte er auf: "was machst du denn?" Robert zog dem kleinen Jungen den Pullover hoch. Sein Herz begann zu rasen. Der Junge weinte wieder leise. Robert setzte ihn zurück auf den Bürgersteig. Er legte seine Arme um den Jungen: "Wer hat dir das angetan?" Taru legte sein Gesicht an Roberts Brust und weinte. Er schüttelte nur den Kopf. "Derjenige, der dir das angetan hat, hat der auch Mai verletzt?" "Ich bin in der Backstube gefallen und..." Robert packte den Junge: "Du sagst es mir nun! Wer hat das getan?" Er überlegte kurz. Vor seinen Augen sah er den dicklichen großen Arnest Bayers, wie er einen Bäcker anbrüllte und einmal nach einem Botenjungen trat. "Euer Vater...", sagte Robert. Taru starrte ihn mit großen angsterfüllten Augen an. "Nein, nein", sagte Taru. "Lüg mich nicht an." Die Mine des Rothaarigen hatte sich verdunkelt. Er drehte sich um, ballte die Fäuste und ging los. "Warte hier", sagte er und lief los.
      "Gerechtigkeit...", sagte Robert zu sich selbst, "Gerechtigkeit und Gnade, dein Einsatz für andere führen dich in die Neue Welt." "Arnest Bayers!", brüllte Robert. Die Arbeiter schauten verwundert zur Eingangstür. Robert packte ein Blech Kekse und schleuderte es gegen eine Wand. "Arnest Bayers!" Der besagte kam nun in der Raum und schaute entgeistert auf den Roten. Er war groß, dicklich und hatte fettige Haare. Er trug Arbeitskleidung. Robert rannte auf ihn zu. Er hob schützend die Hände, Robert schlug auf ihn ein. Die Bäcker kamen ihrem Chef zu Hilfe. Robert schlug mit einem Backblech um sich. Bayers packte eine Kelle und kam auf Robert zu. Ein Schlag sauste auf ihn nieder. Es war großes Geschrei. Draußen vor der Bäckerei hatten sich bereits Leute eingefunden. "Ruft die Stadtwachen", tönte es. Den Schlag spürte Robert: "So fühlten sich Taru und Mai und wer weiß wer noch." Er nahm sich ebenfalls ein Werkzeug und prügelte auf Bayers ein. Die Backstube war verwüstet. "Die Wachen sind gleich hier, packt den kleinen Scheißer", rief ein dazugekommener Mann von draußen herein. "Was er seinen Kindern antut, bekommt er nun zurück!", brüllte Robert. Er hörte eine Küchenhilfe, eine junge, dickere Frau, aufschluchtzen. Ebenso ließen 2 der Bäckergehilfen, die eben noch gegen Robert ankämpften, von ihm ab. Die Tür zur Backstube stand bereits offen und Schaulustige, Passanten und Nachbarn schauten herein und tümmelten sich auf der Straße. "Die Wachen", rief auf einmal jemand, "Hierher, der Junge da", "Der Rothaarige", rief ein anderer. Robert rannte los. Er nahm einen massiven Eisentopf und zerbarst ein Fenster zum Hof. Er sprang heraus und rannte. Das Adrenalin, die Wut und Verzweiflung ließen ihn rennen.
      Er lief ziellos durch Whiteground. An der Grenze zu Reddingplus angekommen, war es bereits dunkel geworden. Seine Wunden pochten, doch der Branntwein betäubte seine Sinne. Seine Wut und Traurigkeit allerdings waren noch nicht verflogen. Er hatte nie gemerkt, was mit Mai los war. Ihr Vater hatte ihr das und wer weiß was noch angetan. Nun hatte er gehandelt, doch was würde das besser machen? Ziemlich sicher hatte er Arnest Bayers schwer erwischt, aber er würde sicher überleben. Und Mai würde er wohl keine Sekunde mehr aus den Augen lassen. Ein weiterer bitter Schluck lief ihm die Kehle herunter. "Schieben S ie diesen Dreck zusammen, Huren, Obdachlose, die holt sich der Fluch", hörte Robert einen Mann schallend lachen. Es war ein Adliger. Solche gehören zur politischen Kaste in Grand Storm und werden Dukes genannt. Sie haben Verwaltungsaufgaben, arbeiten für die Regierung, zum Beispiel was die Koordination von Personal angeht, Finanzen, Bauunternehmen, Handlungsbeziehungen. "Wir sollten weiter, Herr Justizrat", sagte einer der Wächter. "Justizrat?", rief Robert und stellte sich vor den Herren und seine Begleiter auf die Straße.. "Hau ab, mach keinen Ärger", sagte einer der Wachmänner. "Sind Sie wegen den Toten in Whiteout hier?", rief Robert laut. Aus der Bar in der Nähe kamen nur Leute. "Verpiss dich besser!", rief der Duke. "Warum ist so einer hier?", rief ein Mann. "Hat der eine Nutte besucht?", rief ein anderer. Vom Strand her kamen nun auch Leute gelaufen. Weitere stellten sich vor den Duke und seine Begleiter. "Kenn ich", sagte ein junger Mann mit stark tättowierten Armen: "Der besucht doch immer die alte Mercy." "Und auch Pippa", rief ein anderer, in Seemanstracht gekleideter Typ, "ich hörte, sie sei erst 15, aber wer's mag!" "Mir reicht's, ihr dreckiges Gesindel!" "Ihr könnt die Kinder in Whiteground nicht sterben lassen, ohne dass wir etwas tun!", rief Robert. Ein Seemann hatte ihn sich bereits auf die Schultern gehoben. Er sah schlimm aus, verwundet, völlig betrunken und traurig. "Auf alle, die hier gestorben sind!", brüllte Robert und hob seine Flasche. Er nahm einen Schluck. Es lief ihm die Mundwinkel herunter. Die Leute jubelten und schrien. "Möge dich der Fluch holen!", zischte der Duke grinstend. Robert sprang von den Schultern des Seemanns und griff den Kerl an. Die Flasche zersplitterte, es gab Tumult. Die Wachen machten von ihren Bajonetts gebrauch, versuchten die Leute zurück zu drängen. Der eine Wachmann packte den rechten Arm des Roten. Bevor dieser mit dem linken zulangen konnte, bekam er den Schaft eines Bajonetts ins Gesicht geschlagen. Er war kurz weg, schüttelte sich dann und wurde von zwei Soldaten an den Armen davon geschleift.
      Die Tür zum Büro der Leitung des Justizapparates von Lodea flog auf und eine großgewachsene Frau mit langen blonden Locken stürzte herein. Ihr Marineumhang wehte. Sie war anmutig und hübsch, aber genauso furchterregend. "Hast du den Verstand verloren?", rief sie. "Wie bitte?", rief die oberste Justizbeamtin, "Wie redest du denn bitte mit mir?" "Oh, Entschuldigung", rief die aufgebrachte Frau, "bei allem Respekt, Justiz-Oberkommandantin Theta, sind Sie völlig bescheuert im Kopf?" Theta sprang von ihrem Stuhl auf. "Was ist mit dir, Uma, was soll dieser Auftritt?" Ihre schwarzen Haare waren streng zusammen gebunden. Sie trug eine dicke Brille und ihre dunklen Augen blitzten darunter auf. Sie war kleiner und und zierlicher als die Blonde, aber ebenso furchterregend. Die beiden wirkten wie ein Yin und ein Yang. "Du steckst ein Kind in den Knast mit Schwerkriminellen?" Theta setzte sich wieder. Sie nahm ihren Stift zur Hand und schrieb auf ihrem Zettel auf dem Tisch herum. "Uma...", fauchte Theta, "so redest du nicht mit mir, wir sind hier nicht auf dem Boltzplatz im Whiteground." "Ich wünschte, wir wären es, dann würde ich dir..." "Du hällst nun besser ganz schnell die Klappe und sagst mir, was du verdammt nochmal für ein Problem hast, hier einen derartigen Aufstand zu veranstalten1" Uma drehte sich herum, ging ein paar Schritt und holte tief Luft. "Der Junge aus dem Whiteground..." Theta nickte: "Robert James Kenway." "Ein Junge, ein Kind, wie wir damals, stell dir vor, man hätte uns dort unten reingeworfen." Uma bebte. "Entschuldigen Sie, Käpt'n Uma", der Beamte am Nebentisch räusperte sich und ergriff sichtlich eingeschüchtert das Wort: "Wissen Sie, was der Kerl sich geleistet hat?" "Sie wollen es mir sicher in aller Ausführlichkeit berichten, Justizbeamter Pillcern." "Er hat einen Bandenkrieg im Whiteground angezettelt, bei dem unter anderem ein Junge namens Alex Bold, genannt Boomer zu Tode kam." "Ich hörte, er sei gestürzt, Pillcern", sagte Käpt'n Uma. "Er hat im Regierungsviertel eine Waffenkammer ausgeräumt. Bei dieser Aktion kam es zu einer Explosion mit Sach- und Personenschäden." "Jemand hat auf Kinder im Regierungsviertel geschossen und dabei ist ein Gebäude mit altem Schrott abgefackelt", nickte Uma. "Dann hat er einen Mitbürger, den Bäckermeister Herrn Bayers tätlich..". "Den Kinderschänder und Tyrannen Bayers", warf Theta ein. "Den... äh, ja, Kinder...", stammelte Pillcern. "Weiter, Pillcern", sprach die Justizbeamtin. "Ja und die Backstube hat er...", Pillcern war sichtlich verunsichert. "Und er hat den Adligen, Duke Porter. angefallen und dabei ist... ich hab es gleich, was dabei zu Schaden gekommen ist..." Er wühlte in ein paar Papieren herum und wagte kaum, wieder aufzuschauen. "Nun, er war emotional aufgeladen, als er erfuhr, was mit seiner Freundin und deren Geschwistern passierte," sagte Uma, schwieg dann und schaute Theta an. Theta schaute zu Boden: "Was soll ich deiner Meinung nach mit ihm machen, Uma? Mir sind die Hände gebunden. Ich verstehe genau, was du meinst, aber wer sowas macht, gehört ins Gefängnis, das weißt du selber." Uma nickte.

      Kapitel 22: Der Krieger

      "Ahh, Frischfleisch!", rief einer. "Den holen wir uns", rief ein anderer. Jemand schlug ans Gitter. Robert wurde durch den Gang geführt. Jemand griff durch die Gitterstäbe. Robert wurde langsam nüchtern. "Bist du bereit für echt böse Jungs?", rief der Insasse und kam mit der Brust an die Stäbe. "Ja, man, wo sind die denn?", fragte Robert mit schmerzendem Kopf. "Der nimmt dich gleich Hops, der Kleine", grölten die anderen. Nun lief er nur durch die Stäbe getrennt neben Robert her und zeigte eine Geste, ihm die Kehle durchschneiden zu wollen. Aus einer Zelle auf der andere Seite hörte man eine Stimme. Sogar die Wärter, die Robert führten, zuckten merklich. "Ihr wollt Piraten sein?" Keiner antwortete. "Peppo? Espostou? Ihr habt bei einem Kind eine große Klappe? Ich würde über euch lachen, wenn ich es nicht traurig nennen würde, dass ihr euch, wie ich, Pirat schimpft!" "Xan, sie machen doch nur Spaß...", rief eine andere Stimme. "Spaß, De Livero? Weißt du, was Spaß macht? Mit einem Schiff im Triangle sein Leben riskieren. Morgens nach einem Sturm, nachdem du eine Nacht um dein Leben gebetet hast, den Sonnenaufgang zu sehen, obwohl du dachtest, das Dunkel des Wassers wird das letzte sein, was du siehst! Das macht Piraten Spaß!" Keiner im ganzen Gefängnistrakt sagte auch nur noch ein Wort. Der Rote bekam eine vorläufige Einzelzelle neben den anderen Zellen. Er lief hinein, wurde von den Fesseln befreit und die Tür schloss sich. Wortlos verließen die Wärter den Trakt. Der Rote lief zur anderen Seite der Zelle und drückte seinen Kopf an die Stangen, um etwas sehen zu können. Er erkannte einige Gefangene. In der hintersten Ecke saß ein Mann. Er war riesengroß, breiter als zwei der anderen Gefangenen zusammen.
      Robert setzte sich auf den Boden seiner Zelle. "Warum bist du hier?", fragte etwas später einer aus der Zelle neben Robert. "Hat sich so einiges angesammelt...", antwortete Robert. Er zögerte kurz. "Ich hab einem Duke aufs Maul gehauen." Die Gefangenen lachten. "Gute Aktion, Junge." "Isser wenigstens tot?", fragte ein anderer. "Ne, aber schön in den Dreck gefallen", grinste Robert. "Aber eigentlich weiß ich's gar nicht genau, alles verschwommen, ich war besoffen, weil ich den Vater meiner Freundin verprügelt habe." Jetzt war das Gelächter noch größer. "Warst du da auch besoffen?" "Ne, nur sauer." "Dann geht's ja. Stell dir mal vor, was du gemacht hättest, wenn du betrunken gewesen wärst!" "Ihn getötet", sagte Robert. Das lachen verstummte. Die Leute merkten, dass der Rote es ernst meinte, obwohl er es natürlich nur so daher gesagt hatte, ohne wirklich darüber nachzudenken. "Man Junge", sagte einer der Gefangenen, "das ist echt übel. Du musst das in den Griff kriegen, sonst versauerst du irgendwann in einem Knast." "So wie du, Paule", rief einer der Gefangene. "Ja, so wie ich. Ich war mein Leben nur wenige Jahre draußen." "Ja, ich auch, immer wieder rein." Kaum war Robert einige Stunden dort, gab es eine Art Gruppensitzung, bei der sich Berufsverbrecher, Piraten und andere Kriminelle über ihre Lebensführung Gedanken machten. "Was macht ihr, wenn ihr raus seid?", fragte Robert in die Runde. "Ich besuche meine Kinder", sagte einer aus der Zelle gegenüber, an der anderen Seite des Ganges. Einer von denen, die Robert vorhin gedroht hatten, sagte: "Ich will zu meiner Frau zurück." Ein anderer sagte: "Meine Eltern in Pollos noch einmal sehen..." "Ja, man", sagte Espotuo, "einma noch nach Pallas an den Strand. Heimat, Bruder." "Für einen Haufen Knastbrüder seid ihr ja echt in Ordnung, Jungs", lachte Robert. "Was willst du tun, Junge?" Es war die Stimme des Riesen aus der Ecke. Er hatte noch kein Wort gesagt nach seiner Ansprache. "Keine Ahnung", seufzte Robert. Er war nun ziemlich müde geworden und schlief auf dem Boden ein.
      Die Tage wurden Robert nun lang. Er schimpfte, schnauzte eine Wache an. "Du musst ruhig bleiben, Shanks", sagte der Große in seiner Ecke. "Ich langweil mich hier zu Tode!", motzte Robert. "Sie werden dich in wenigen Tagen hier rüber lassen, du bekommst eine Anhörung und du wirst dein Strafmaß erfahren. Verhalte dich kooperativ." "Kooperativ. Ich...?" "Schaffst du das?", unterbrach der Große ihn. "Wenn du das nicht schaffst, wirst du hier allein hocken und durchdrehen. Wenn du das schaffst, darfst du hier rüber. Ich werde dir zeigen, wie du eingesperrt überlebst. Also, kriegst du es hin, Shanks?" "Ja, versprochen", sagte Robert. Augenblicklich setze er sich auf den Boden. Wenige Minuten später fing er an, Kniebeugen zu machen. Dann Liegestütze. "Ich bin sauer. Normalerweise würde ich nun durch die Stadt flitzten. Also ist dies die Alternative."
      Zwei Wachen kamen herein, der eine Wachmann rief: "Javier, vortreten. Und Kenway!" Die beiden benannten wurden abgeführt. Javier rief den anderen noch irgendwas zu. Für ihn ging's wohl nun in die Freiheit. Für Robert ging's darum, wie lange und unter welchen Bedingungen er hier zu bleiben hatte. Der Rote wurde in einen großen Raum mit mehreren Schreibtischen geführt. Er wurde wie in einem Gerichtssaal in der Mitte platziert. "Robert Kenway also", sagte Theta. "Hallo", antwortete Robert. "Hast ja eine ganz schöne Akte vorzuweisen." Herr Pillcern las vor: "Diebstahl, tätlicher Angriff, Sachbeschä..." "Danke für Ihren Beitrag Pillvern", unterbrach Theta. "Ich will dir gern helfen, was brauchst du, um hier klarzukommen?", fragte Theta. Robert fragte: "Wie lange muss ich bleiben?" "Die Strafe wurde erstmal auf 2 Jahre gesetzt." Theta wuselte in ihren Papieren herum. "2 Jahre...", widerholte Robert. Er klang gefasst. Aber Theta dachte sich, er könne sich sicher nicht vorstellen, wie lang einem das werden kann. "Hast du eine Schule besucht?", fragte sie. "Was spielt das für eine Rolle, Frau Sather?", fragte Pillcern. "Pillcern, bitte", sagte Theta, "lassen Sie mich die Anhörung durchführen." "Ich hatte Unterricht. Damals in Swanlake." "Okay, du kommst aus Swanlake?" "Genau." "Wie lange warst du auf der Straße?" "Einige Jahre." "Was ist passiert?", fragte sie, aber ging gleich zum nächsten Thema: "Jedenfalls... liest du gern?" "Ähm..", Robert überlegte. "Ich mag solche Seefahrergeschichten. Ein Freund von mir hat Bücher darüber." "Schön", antwortete Theta, "und Sport solltest du auch machen. Du darfst nicht nur in der Zelle sitzen. Hofgang natürlich auch, schreiben sie das auf, Pillcern!" "Äh, ja, Frau Sather. "Noch fragen?", Frau Sather schaute Robert an. "Äh, darf ich in die Gemeinschaftszelle? Ich langweile mich, Frau Sather." Theta machte eine einwilligende Geste. "Natürlich, aber halte dich von Ärger fern und pass auf dich auf." "Natürlich. Darf ich mir eine Zelle aussuchen?", bat Robert. Theta wunderte sich ein wenig. "Beide im Trakt haben kapazitäten", sagte Pillcern. Frau Sather nickte: "Wärter Sullivan wird dir nachher die Biblithek zeigen. Dort kannst du juristisches Zeug lesen, für deine nächsten Anhörungen. Aber das nützt eh nichts." Theta war nun richtig in Fahrt: "Wir haben dort aber auch Geschichten: Seefahren, historisches Zeug oder Themen der Allgemeinbildung. Enttäusch mich nicht und komm hier besser raus als du rein bist." Robert nickte. "Raus hier nun." "Danke", antwortete der Rote. "Packst du schon!", rief Theta ihm nach. Robert wunderte sich, so hatte er sich eine Gefängnisleitung auch nicht vorgestellt.
      Robert wurde herunter geführt. Die große Gemeinschaftszelle wurde geöffnet: die Seite mit dem mysteriösen, großen Kerl. "Da bin ich", grinste Robert. "Hofgang?", fragte einer, der sich Lovry nannte. "Ja, und Bibliothek." Robert ging an den anderen vorbei und stellte sich vor den Mann in der Ecke. Nun erkannte er ihn gut. Es war ein großer Fischmensch. Sein Kiefer war breit. Er hatte dunkelbraune, verfilzte Haarsträhnen und war bis zum Hals tätowiert. Man sah vernarbte Wunden an seinem Körper. Seine Haut war hellgrau mit Flecken darauf, jedenfalls dort, wo er nicht tätowiert war. Das impostanteste an seiner Erscheinung war allerdings seine schiere Breite. Er war natürlich auch hochgewachsen, aber was ihn wirklich besonders machte, neben all den genannten Dingen, war seine Statur. Ein Arm von ihm war breiter und größer als Roberts ganzer Körper. "Robert Kenway!", sagte der Rote freundlich grinsend, "Vielen Dank für deine Hilfe, Großer!" Keiner sagte etwas. Lovry und ein anderer aus der Zelle, genannt Carson, starrten nur. Der Fischmensch richtete sich auf. Alle im Gefängnis starrten. Das tat er so gut wie nie. Er ließ sich sein Essen bringen, ging nie zum Hofgang und schien sogar fast nie auf die Toilette zu müssen. Er überragte Robert um ein Weites und auch jeden in diesem Gefängnistrakt. Er war sicher drei bis 4 Meter hoch. "Xan Bei. Man nennt mich den Krieger des Südens." Er streckte Robert die Hand aus, sie schüttelten sich die Hände und Robert grinste ihn an. Xan Bei setzte sich wieder. "Setz dich hin", sagte er, "wir meditieren."


      Kapitel 23: Legenden

      "Hofgang", rief einer der Wärter. "Komm, Xan", sagte Robert. "Hmmm", grunzte Xan Bei missmutig. Der Wärter wollte schon die Tür schließen, aber Robert bat ihn zu warten. "Der geht nie raus, Kenway", sagte Wärter Sullivan. "Heute ist ein besonderer Tag", hörte man den Krieger sagen. Sullivan erschrak. Er war hier schon länger zuständig und hatte meistens die Schicht, die den gefangenen ihren Tagesablauf vorgibt, aber das hatte er noch nicht erlebt. Robert ging an ihm vorbei, "Danke", sagte er. Er merkte, wie sehr der junge Mann zitterte. "Er tut niemandem was", sagte Robert und klopfte dem Wärter auf die Schulter. Xan Bei schob sie durch die Tür. "Ist heute echt ein besonderer Tag?", fragte Robert, als die beiden im umzäunten Innenhof im Gefängnis angekommen waren. Die Sonne leuchtete Xan Bei an und er kniff die Augen zusammen. "Nein...", sagte er, "aber irgendwie doch, ich geh nie raus." "Warum?", fragte Robert verwundert. "Du bist ein Freigeist, Shanks, du musst raus und dich austoben. Musste ich früher auch. Nun mache ich das im Geiste. Deswegen zeige ich dir die Meditation." Die beiden gingen nebeneinander her. "Im Geiste rumtoben, ja? Kann dein Geist auch das hier?", er sprintete ein Stück und schlug ein Rad. Dann flitzte er um Xan Bei herum und sprang an den Zaun. Den Zaun gepackt, machte er Klimmzüge. "Hau da vom Zaun ab", brüllte eine Wache vom Turm herunter." "Drüben sind extra Trainingsgeräte, du Idiot", rief der Wärter, der Aufsicht im Hof hatte. "Tschuldigung,", rief Robert lachend, "das war nur eine Demonstration des Geistes" und sprang herunter. Xan Bei lachte. Er hatte ihn wirklich aus der Reserve gelockt.
      Robert wurde nachts aus einem unruhigen Traum wach. Er träumte manchmal davon, wie er bei Mai klopfte und sie ihn anstrahlte, wenn sie öffnete. "Du hast geträumt, alles in Ordnung?", hörte er Xan Beis Stimme. "Schläfst du nie?", fragte Robert. "Selten", antwortete er. "Hey Xan, du nennst mich immer Shanks. Wieso eigentlich?" "Das weißt du nicht?", fragte Xan Bei verwundert. "Nein, weiß ich nicht. Aber ich kenne jemanden, der mich auch so nannte." "Ein Seefahrer?" "Ja, Kriegsmarine. Woher weißt du das?" "Na, weil das aus dem Jargon der Seefahrer kommt." "Echt?", fragte Robert verwundert. Das hatte er nicht erwartet, er hatte es immer auf eine Verwechslung Silverstins mit einem alten Kameraden geschoben. "Was bedeutet es, Xan?" "Es bedeutet für die Fischmenschen aus dem South Blue: Befreier." "Wow", sagte der Rote, "das klingt toll." "Ja, nicht wahr? Mein Volk gilt als Sklavenvolk und ein Shanks ist ein Verbündeter der Fischmenschen." "Klasse, Xan Bei. Ich kenne aber kaum Fischmenschen." Robert klang fast etwas enttäuscht. Xan bei lachte kurz leise. "Wirst du schon noch kennen lernen." Robert drehte sich um und schloss wieder die Augen. Dann öffnete er sie wieder. "Aber wie kommt ihr darauf? Warum gerade ich?" "Das weißt du wohl echt nicht...", Xan Bei war für seine Verhältnisse sehr amüsiert. "Sag schon!", motzte Robert. "Ey, du weckst noch die anderen. Ich sag's dir ja." Xan Bei wuschelte Robert mit seiner riesigen Hand über den Kopf: "Deine Haare." Robert machte große Augen. "Die roten Haare des Shanks. In der Legende der Seefahrer gab es einen Mann, der für die gekämpft hat, die sich nicht selber wehren konnten. Er war bereit, sich mit dem Teufel anzulegen, um andere zu beschützen." Robert träumte den Rest der Nacht und die Nächte darauf vom Helden mit den roten Haaren, der durch das Whiteout zieht.
      Die Zeit verging und als ein Hofgang anstand, erhob sich Xan Bei. Er und Robert gingen zum Trainingsgelände. Dort standen Geräte, Gewichte und auch Boxsäcke, sowie Dummies für Schlagübungen. Man musste sich vorbildlich verhalten und durfte nicht durch aggressives Verhalten auffallen, um es nutzen zu dürfen. Robert und Xan Bei waren dafür bekannt, keine Feindseligkeit gegenüber der Wärter an den Tag zu legen. Es war gern gesehen, wenn sich Insassen mit Dingen beschäftigten, die sie auf ihre Zeit draußen vorbereiteten oder ihnen einfach die Langeweile nahmen. Um so weniger kämen sie auf dumme Gedanken, wie Ausbruchsversuche oder Übergriffe auf Personal oder andere Insassen. "Was willst du hier, Fischfresse?", sagte ein großer, muskelbepackter Häftling aus einem anderen Trakt. Xan Bei beachtete ihn nicht. "Ey Kleiner, willst du bei uns mitmachen oder mit dem Tier da?" "Wie wär's, wenn du die Fresse halten..." Xan Bei hob den Arm und wies ihn an, es zu lassen. "Wir sind nicht wegen denen hier, Shanks." "Ey, ich rede mit dir", rief der andere. Einer seiner Freunde stand neben ihm und fing ebenfalls an. Doch ihr Gezeter währte nicht lange. Zwar waren zwei Wachen bereits näher gekommen, weil sie Stress erwarteten, aber dazu sollte es nicht kommen. Xan Bei nahm eine Haltung ein, die Robert noch nie gesehen hatte. Er streckte eine Hand nach vorn, spreizte die Finger ab, die andere neben seinen Kopf. Ein Ausfallschritt. Er drehte den Fuß leicht, dann eine Bewegung so schnell, dass Robert sie kaum richtig wahrgenommen hatte. Ein Windzug fegte. Dann erneut. Xan Bei schoss herum und streckte beide Arme zu den Seiten aus. Dann zog er sie zusammen und schlug seine Faust in seine geöffnete Hand. Die zwei pöbelnden Häftlinge standen mit offenen Mündern da. "Komm Shanks, ein paar Übungen hab ich dir bereits gezeigt, versuchen wir es. Ein Trainingskampf. Er nickte den beiden Wachen zu. Der eine Wärter nickte zurück, der andere ging einge Meter weg. "Oder wollt ihr lieber zuerst?", rief Robert den beiden zu, die Xan Bei beleidigt hatten. "Du zuerst!", stammelte der größere von den beiden. Der andere schüttelte nur den Kopf. Ein weiterer ihrer Leute verschwand bereits wieder im Zellenblock. Robert stürmte auf Xan Bei los, versuchte an ihn heran zu kommen. Aussichtslos. Der Riese war nicht nur hart wie Stahl an jeglicher Körperstelle, er war auch unglaublich schnell. Robert warf sich mit einer Hechtrolle zur Seite, wechselte die Richtung und griff blitzschnell wieder an. Xan Bei drehte sich leicht weg und ließ den Roten ins Leere grätschen, ohne ihn überhaupt abwehren zu müssen. "Irgendwann treffe ich dich, wenigsten einmal", lachte Robert und atmete schwer durch.
      Nach einem dieser Kämpfe, die sich nun mindestens einmal wöchentlich wiederholten, sprachen die beiden Freunde. "Ich danke dir, dass du mir die Zeit ein wenig angenehmer gemacht hast, Shanks." "Gern, du hast mich so ziemlich hier durchgebracht, Xan." "Das war wohl unser bester Kampf", sagte Xan Bei anerkennend. "Quatsch, du alter Sabbelkopf, ich hab dich nichtmal getroffen!", lachte der Rote. "Achwas, du bist viel besser geworden. Viel weniger unnötige Bewegungen. Merk dir das: Nicht umsonst deine Kräfte verbrauchen. Sei dem Gegner überlegen, indem du schlauer bist." "Hast du mir schon so oft gesagt!" "Aber diesmal solltest du es dir wirklich merken", Xan Bei grinste Robert an. "Ich weiß, ich weiß, Xan, zu viel Gehampel, zu wenig Vorraussicht im Kampf." "Da hat er's kapiert, muss er's nur noch umsetzen", sprach der Große. Er klopfte Robert auf die Schulter, legte seinen Arm um ihn und rüttelte ihn ordentlich durch. "Du bist heute noch komischer als sonst, Xan Bei", lachte Robert. Der große Kerl sagte nichts. Er schaute in den Himmel. Wahrscheinlich würde sein Geist gerade wieder Purzelbäume schlagen, dachte Robert.
      Am nächsten Tag schlief Xan Bei in seiner Zelle morgens, selbst als die Gefangenen alle bereits auf waren. Hatte er noch nie getan. Als Robert am Nachmittag von seiner Bibliotheksstunde in den Trakt kam war Xan Bei nicht an seinem Platz. Das war sehr ungewöhnlich. Kam noch nie vor. "Hey Carson, wo ist Xan?" "Keine Ahnung", erwiderte dieser und zuckte die Schultern. Wenige Minuten später kam Lovry aus dem Waschraum. "Lovry", rief Robert aufgeregt. "Was ist los, Shanks?" "Weißt du wo Xan Bei ist?" Lovry lachte auf: "Wo soll der sein?" Es war eigentlich eine wirklich blöde Frage, denn er war eben immer an seinem Platz. "Ey, ey", rief Robert und trommelte an die Gitterstäbe. Jemand aus der Zelle gegenüber rief: "Hör auf zu poltern, Roter!" "Lass ihn doch!", rief ein anderer. "Ey, Peppo, Ludwig", rief Robert rüber, "habt ihr Xan Bei gesehen?" "Haben se vorhin abgeholt, Shanks", rief ein dritter Mann. Ein alter Strauchdieb aus dem Whiteground. "Abgeholt?" Robert pochte das Herz bis zum Hals, war sein Freund etwa gestorben? Er war in letzter Zeit wirklich komisch gewesen. "Ist er...?", fragte Robert leise. Wärter Sullivan kam die Treppe herunter zum Trakt. "Ey Kenway." "Sully, was ist mit Xan Bei?" Sullivan schaute Robert an. "Sag's mir, Sully!" Sullivan drehte sich um und ging Richtung Treppe zurück. "Sullivan, ist Xan Bei tot? Sully!" Sullivan drehte sich um. Er stand bereits auf der Treppe. "Entlassen, Kenway. Ist hier ein Gefängnis. Manchmal werden hier Leute entlassen. Soll vorkommen." Das Lachen der anderen Gefangenen nahm Robert nicht wahr. Er war einfach nur glücklich. Aber gleichzeitig auch traurig.

      Kapitel 24: Der Todeskandidat

      Das Tor ging auf, Licht schien von draußen herein, ein Mann wurde in Ketten hereingeführt, bewacht von 4 Soldaten. Er trug Sträflingskleidung und eine graue Stoffhaube über dem Kopf, sodass nur seine Augen und sein Mund heraus schauten. Seine schütteren, grauen Haare hingen hinten ein Stück heraus. Seine Haut war erschreckend weiß, bleich und faltig. Er war sehr dünn, aber groß von Statur. Er überragte alle 4 stämmigen Marineschergen um mindestens einen halben Kopf. Langsam ging er die Treppe zum Verließ herunter, um in die freie Zelle gebracht zu werden. Er schritt an den Stäben der übrigen Gefangenen vorbei, durch den gesamten Trakt. "Dieser Bastard", murmelte einer. "Dieses widerwärtige Schwein", säuselte ein Pirat. "Musst du gerade sagen, du abartiger Wichser!", fauchte sein Kumpel. Beide kicherten. "Was ist mit euch?", sagte Robert laut. "Weißte nicht, wer das ist?", fragte Peppo. "Muss wichtig sein, wenn ihr alle mal für mehr als 30 Sekunden die Fresse haltet, wenn die Tür oben aufgeht", rief Robert. Verhaltenes Lachen. Der Neuankömmling sah zu Robert. Seine großen Augen waren nun ganz geöffnet und er musterte ihn. Peppo zog Robert ein Stück von den Stäben weg. "Ey, Junge, ich meins ernst, das ist der Kindermörder..." Sogar ihm hatte es wohl die Sprache verschlagen.
      Robert sprang auf die Stäbe zu. Die Schergen drückten den Neuankömmling weiter. Er schaute Robert an. "Du, wer bist du?", fragte Robert. Der andere sagte nichts. Der Rote lief an den Stäben entlang, auf Höhe des Neuen. "Hey, warst du es?" "Halt die Fresse, Kleiner, zurück von den Stäben", schnauzte einer der Soldaten. Robert ignorierte ihn. Die hintere Zelle wurde geöffnet. Der Gefangene wurde hineingeführt. Dieses Mal kamen, wie bei keinem anderen, die Fesselvorrichtungen zum Einsatz. Ohnehin war der Mann mit Bein und Armfesseln aus Metallketten fixiert. Diese wurden nun an Haken im Boden und in der Wand festgekettet. Sodass sich der Neuankömmling nicht von der Stelle bewegen konnte. Er könnte sich hinlegen, stehen oder sitzen. Aber nicht mal bis zu den Stäben laufen. "Lass den hier in Ruhe, Junge", sagte eine Wache, dieses Mal in netterem Ton. "Das ist der Irre, den sie für die Morde im Whiteout verurteilt haben. Draußen wärst du ein neues Opfer für ihn. Er ist zwar gefesselt, aber halt dich trotzdem von den Stäben fern." Die vier verließen den Trakt. "Das gilt für euch anderen auch, zu eurem eigenen Schutz!", ergänzte der Wachmann. Die Tür nach Oben wurde wieder geschlossen.
      Robert stand mit dem Gesicht in die Stäbe zwischen ihm und dem Gefesselten gequetscht und starrte ihn an. Dieser saß nun auf dem Boden und schaute zwischen seine Beine auf den Boden. "Eine der Leichen hab ich gefunden", sagte Robert. "Hey", sagte Carson, "lass doch, Shanks." Er griff ihm an die Schulter und zog ihn leicht weg. Robert drückte seinen Arm weg. "Ich muss mit ihm Reden. Mir passiert nichts, der Kerl kann nicht mal einem Meter von da weg." Carson ging zurück und setzte sich wieder. "Das eine Mädchen war eine bekannte von mir. Sie war zwölf, soweit ich weiß, erinnerste dich an die?" Nach einigen Minuten ließ sich Robert an den Stäben herunter rutschen und setzte sich neben den anderen. Eine halbe Stunde oder mehr verging. "Die werden mich hinrichten." Robert fuhr herum. Der Gefesselte schaute ihn an. Robert erwiderte den Blick. "Die werden mich in wenigen Tagen hinrichten." "Dann hast du so lange Zeit, mir alles zu berichten", sagte der Rote. "Warum?", fragte der andere. "Weil ich wissen muss, dass es vorbei ist", ergänzte Robert. "Was soll vorbei sein?", fragte der andere. "Der Fluch", antwortete Robert. Der Neue lachte leise. "Ich wusste immer, dass es ein Mensch ist. Das ist kein Fluch. Es passiert immer das selbe. Ich weiß nur nicht warum." "Wie klug von dir", erwiderte der andere. "Also warst du es?" "Ich werde hingerichtet." "Das beantwortet die Frage nicht." Der andere schwieg. Wieder vergingen einige Minuten. "Ich bin ein Mörder." "Das hat man über mich auch schon gesagt", sagte der Rote. Der Neuankömmling schaute ihn an. "Stimmte aber nicht." Der Todeskandidat schaute wieder auf den Boden: "Ich war im Krieg. Hab dort schießen gelernt." "Die Opfer im Whiteout wurden aufgeschlitzt..." Der Todeskandidat zuckte mit den Schultern.
      Der Zum-Tode-Verurteilte lag auf dem Boden. Robert wich nicht von den Gitterstäben. Er schaute ihn an. "Erzähl mir vom Krieg." "Was weißt du vom Krieg, Junge?", fragte der andere. "Nichts, deswegen erzähl es mir." Einfach liegen bleibend begann er. Es war Nacht draußen. Die meisten Gefangenen schliefen. In der anderen Ecke hörte man noch einige Insassen Karten spielen. "Ich war in der Neuen Welt. In den Kolonien." "In den Nordkolonien?", antwortete Robert, "Ich hab in der Gefängnisbibliothek von den Kolonien gelesen." "Ich wurde eingesetzt, um Aufständische zu töten", er hielt inne, "Junge, das sind keine schönen Geschichten..." "Ist mir egal." "Sie haben mich in die Außenbezirke geschickt, wo die Ureinwohner sich weigerten, ihre Gebiete abzutreten, nördlich an Germa und Grand Storm. Die Regierungen der Länder hatten angeordnet, die Verhandlungen per Waffe zu beenden." Er hielt kurz inne. "Deren Leute hatten einen Hinterhalt in den Waldgebieten. Es gab ein paar Hügel und Täler. Die kannten die Eingeborenen genau. Meine Einheit führte aber einen Hinterhalt an ihnen durch. Sie schickten ihre Politiker, Ratsmitglieder oder sowas." "Ich hab davon gelesen, die Einheimischen dort haben auch demokratische Wahlen ihrer Anführer", erklärte Robert, "hab ich jedenfalls gelesen. Stimmt es, oder sind es nur Wilde?" Jack schüttelte den Kopf. "Sie sind so viel besser als alles, was du in Olympia vorfindest..." "Wie meinst du das?" "Olympias Demokratie, die nach dem Großen Krieg eingeführt wurde, ist kaum besser als die alte Weltregierung..." Robert wunderte sich über diese Worte. "Den Ureinwohnern ist die alte sowie die neue Regierung egal. Sie bleiben für sich und versuchen nur, mit ihren Nachbarn und der Natur klar zu kommen." Er seufzte. "Unsere Regierung versucht nur, der alten Weltregierung nachzueifern. Die Dukes von Grand Storm... Die Cappos in Romanika... die Coqs in Rooster... die Eisenreiter in Germa oder die Real in Pallas... dies sind alles nur kleinere Versionen der Himmeldrachen von früher - nur dass sie nicht mit vererbtem Blut regieren, sondern mit Manipulation und Geld." Robert sah in Jack einen Kerl, der die Welt gesehen hatte, wie sie wirklich war, und von ihr enttäuscht war. Er glaubte immer weniger, hier einen Kindermörder vor sich zu haben oder einen Typen, der einen Obdachlosen am Strand absticht. "Vielleicht hast du irgendwann mal die Gelegenheit, dir die äußeren Gebiete in der Neuen Welt anzuschauen", sagte Jack. Seine Stimme klang nun sanft. Das zischende, säuselnde darin war verschwunden. "Ihre Behausungen sind kühler im Sommer und gemütlich warm im Winter. Danach will man nicht mehr in ein Steinhaus." "Warum weißt du so viel darüber?", fragte der Rote. Jack atmete wieder schwer aus. "Der Hinterhalt funktionierte, wie gesagt, aber das sorgte nur für Feindseeligkeiten auf beiden Seiten. Jeder Sieler aus Rooster, Germa oder Grand Storm dachte, die Ureinwohner würden sich an ihnen rächen. Die Ureinwohner wiederrum dachten, jeder Siedler aus Olympia wäre so dreckig und verlogen wie die Exilregierung in Royal Port." "Ist Royal Port nicht die Hauptstadt?", fragte Robert. "Der Regierungssitz im Norden der Neuen Welt. Sie befindet sich aber im Gebiet nördlich des Kolonialreiches von Grand Storm, im Gebiet von Rooster. Neu-Mühlstein ist allerdings viel größer." Robert war fasziniert, so viel von der Neuen Welt zu hören. "Royal Port hatte die Beziehungen aufs Spiel gesetzt und somit das Leid für die einfachen Menschen schwer gemacht, Misstrauen und Hass auf beiden Seiten gesät. Durch den Hinterhalt und die Gefangennahmen und teilweise Hinrichtungen der Oberhäupter, haben sie den Krieg in den Kolonialreichen entfacht." Er seufzte wieder: "ich trug meinen Teil dazu bei." "Das war dein Job...", ergänzte Robert. "Ja, ich war ein Soldat und konnte ohne Mitleid Feinde töten. Wenn jemand eine Waffe auf mich richtet, bin ich schneller. Ich treffe ihn, bevor er mich trifft. Aber diese feigen, fettärschigen Dukes, Coqs und wie sie alle heißen nutzten mich als lebende Waffe. Als verdammte Marionette, während sie in Royal Port ihr Geld zählten, das sie mit dem Leid der Ureinwohner der nördlichen Steppen verdient haben!" Robert war sehr bestürzt. Jack zeichnete ihm hier ein so anderes Bild wie die romantisierten Abenteuergeschichten oder die politisch einseitigen Geschichtsbücher von Grand Storm ihm gezeigt hatten. "Sie stationierten mich außen in einem Lager im Grenzgebiet. Ich saß in meinem Turm mit dem Gewehr. Eines Tages ging ich zu ihnen - ohne Waffe. Ich lebte bei ihnen, aß bei ihnen. Meine Familie. Die erste und einzige, die ich je fand." Seine Stimme war schluchzend und zitternd. "Ich bin ein Deserteur. Erst 15 Jahre später fanden sie mich. Nun sterbe ich hier, im verdammten Lodea." Robert hatte die Arme um seine Knie gelegt und den Kopf abgelegt.
      "Warum hörst du dir das an, Kleiner?", fragte der Todeskandidat. "Weil ich sehen will, ob ich dir glauben kann." Der andere schaute ihn nur an. "Wie ist überhaupt dein Name?", fragte Robert. "Nenn mich einfach Jack." "Robert Kenway", erwiderte er. "Und Robert, was glaubst du, nun erfahren zu haben?" "Ich glaube, du warst es nicht im Whiteout. Du scheinst, ein Schütze zu sein. Du hast nie jemanden mit einem Messer getötet. Du bist ein Soldat gewesen. Du hast andere Krieger getötet, keine Kinder." Jack schüttelte den Kopf. Robert sagte: "Die brauchen einen Sündenbock, weil sie Ruhe in Whiteground und ganz Lodea einkehren lassen wollen, weil sie nicht verheimlichen können, was dort vor sich geht. Anstatt wirklich etwas zu tun, machen sie eine große Show. Sie tun weiterhin Leute, die vom Fluch sprechen, als Spinner ab und werden mit dir gleichzeitig einen peinlichen Fehler los, den sie sonst der Bevölkerung erklären müssten." "Lass es doch gut sein, Robert."
      "Wenn sie kommen und dich holen, wirst du deine Fähigkeiten benutzen?", fragte Robert. "Nein, was soll das bringen? Das hier sind Seesteinketten. Es würde nur dafür sorgen, dass ich zusammenklappe." Er ergänzte: "Es ist in Ordnung, es ist vorbei." Oben ging die Tür zum Gefängnistrakt auf. "Komm mal her, Robert", rief er. Der Rote trat an das Gitter heran. Jack sprang nach vorn, streckte den Arm aus und griff Roberts Kopf durch die Stangen. Sofort wollten Mitgefangene eingreifen, aber Robert befahl ihnen zu verschwinden: "Vertraut mir!", brüllte Robert, "Geht zurück!" Die Wachen kamen bereits die Treppen herunter. "Du hattest mit allem Recht", zischte Jack. Er flüsterte Robert alle Antworten zu, die er in den letzten Sekunden in seiner Zelle in Worte fassen konnte. Die Wachen packten Jack und er wurde durch den Gang gezerrt: "Sag mir, wie ich ihn aufhalten kann!", schrie Robert. Der Todeskandidat riss sich los. Er packte Robert erneut durch die Gitterstäbe und hielt sich an ihm fest. Er flüsterte ihm so viel er konnte zu. Die Wachen kamen bereits mit Verstärkung und schlugen auf Jack ein. Robert hörte zu und nickte. Jacks Augen waren genau vor seinen: das erste Mal sah er einen Teufelskraftnutzer seine Kräfte benutze. Seine Augen glühten, als würde etwas darin anfangen, sich zu bewegen. Aber nur wenige Sekunden später verlor der Todeskandidat sein Bewusstsein und wurde herausgeschleift. Robert sank an den Stäben herunter. Die Mitgefangenen kamen herbei, um zu schauen, ob wirklich alles mit ihm in Ordnung war. Er lächelte allerdings nun. "Es ist soweit. Ich hab alles, was ich brauche. Hoffen wir, sie entlassen mich bald." "Kenway ist echt nicht ganz dicht", hörte er noch jemanden sagen.
      Draußen wurde, unter dem Jubel der Massen, der angebliche Mörder aus dem Whiteout hingerichtet, ohne dass seine Maskierung entfernt wurde und ohne dass jemand seine wahre Identität erfahren würde.

      Nächstes Upload wird das Finale von meinem Lodea-Arc sein - um es mal in One-Piece-Jargon auszudrücken. Wahrscheinlich Ende der Woche, Anfang nächster.

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    • So, der erste Part ist feritg. Bald melde ich mich mit dem nächsten Teil zurück. Wann genau, weiß ich noch nicht.
      Weiter gehen soll es dann mit der Überfahrt.

      Bis dahin! Viel Spaß mit "One Piece - Golden Age" und liebe Grüße!


      Kapitel 25: Die Rückkehr

      Der Rote meditierte, aß sein Frühstück, las in einem Buch über Schiffe in der Bibliothek, begann zu trainieren. "Ein Trainingskampf, Corey?", fragte er einen Mithäftling, der ebenso mit Lockerungen betraut sein Training abhielt. "Ich hab dein Training mit dem Krieger des Südens gesehen, Roter. Vergiss es. Ich passe." Kein Problem, Alter", sagte Robert und klopfte dem anderen kurz auf die Schulter. Er lief zu seinem Trakt. "Kenway", rief eine Wache. "Ey, Sully", grüßte Robert. "Für dich Herr Sullivan! Pack jetzt ma deine Sachen." "Wie meinsten das?" "Anordnung von Oben, du sollst zur Entlassungsanhörung." "Ernsthaft?", fragte Robert. "Ja, ich scherze nie. Außer einmal: würdest mir fehlen, wenn se dich raus ließen, Kenway." "Danke... und leck mich, Sully", erwiderte der Rote.
      Robert stand im Zimmer des Haftvorstehers. Theta war auch dort. "Robert Kenway, im Ersuch heißt es, solche Straftaten kommen nicht mehr vor?" "Werden sie nicht", erwiderte Robert. Theta nickte. "Hm, sie sollen ein vorbildlicher Häftling sein." "Danke", sagte Robert. "Sie trainieren?" "Ja, ich nutze die Lockerung für Training mit anderen Häftlingen." "Finde ich gut", warf Theta ein. "Sie sind eine große Fürsprecherin für den jungen Herren, Frau Sather", murmelte der der Haftvorsteher. Theta nickt nur. "Was haben Sie vor, wenn sie draußen sind, junger Mann?" "Ich fahre zur See." "Dann ist Lodeas Justizapparat Sie los. Kann ich Ihnen diese Aussagen glauben?" "Ja, können Sie." Robert schaute ihn ernst an. Seine Mine wurde ernster. "Sie kamen mit circa 12 oder 13 Jahren aus Swansea, sind ein Waisenkind, waren in der Stadt unterwegs, haben viele Straftaten begangen, aber Sie scheinen auch ihre guten Seiten zu haben. Sonst würden Sie von Theta Sather hier keine solche Fürsprache erleben. Wie alt sind Sie nun?" "Ich bin nun 18 Jahre alt." "Sie sind ein Mann geworden. Verschwinden Sie, Sie sind frei." "Vielen Dank", rief Robert und schüttelte dem Justizvorsteher die Hand. "Machen Sie's gut, Theta!" "Äh, ja, Sie auch Kenway." "Es gibt echt unangenehmere Gefangene als den Kerl", lachte der Vorsteher, als Robert verschwunden war. Robert winkte Uma vor dem Gebäude kurz zu, verließ die Marinebasis und lief durch die Straßen des Regierungsviertels. Es war kalter Winter in Grand Storm, doch die Wintersonne schien heute für Shanks.
      An der "Alten Seemöwe" lief Shanks zum Haupteingang hinein, hatte er noch nie gemacht. "Ey, wo ist Ben?", fragte er den Mann an der Bar und ein paar dort Hausierende. "Wer will das wissen?", fragte einer. Robert schaute ihn an. "Wir kennen keinen Ben", sagte der nächste. "Wer denkste denn, wer.." "Benjamin Beckster-Manning, Robert James Kenway ist hier und nun bewegt euch und holt ihn her, ich wiederhole mich nicht." Einer aus Fayez Gefolgschaft kam wenige Minuten später rein, nachdem der Typ von der Bar ihn geholt hatte. "Robert", fragte er unsicher. "Unglaublich, ich kenn dich von damals." "Gehen wir?", fragte der Rote. "Klar, komm Alter", sagte er. Ein paar Straßen weiter klopfte er an eine Tür. Jemand öffnete, ohne raus zu schauen. Im Flur standen zwei Typen. "Robert!", rief Benjamin. Er rannte auf Robert zu und umarmte ihn. Robert hielt Benjamin mit einem Arm um den Kopf. "Roter, wir wussten nicht mal, ob du noch lebst." "Ich bin immer wiedergekommen, Benj", erwiderte Robert. "Wie ist es dir ergangen? Erzähl! Ne, komm erstmal rein, ey Tommy, hol mal ein paar Bier!" Er war sichtlich aufgeregt und erfreut. "Benji", sagte Robert, "schick die Jungs raus, ich muss mit dir sprechen." Ernst schaute er Ben an. "Klar, Leute, ihr habs gehört, raus, verlasst die Wohnung!" Die beiden setzen sich. Ben hatte ein Apartment bezogen, es war nicht schön aber ausreichend eingerichtet. "Robert, was ist los?", fragte er seinen Freund. "Der Fluch von Whiteout...", sagte er. Ben schaute ihn an. "Der Fluch...", erwiderte er, "das Mädchen, Little Luke, der schräge Mike..." "Wir werden ihn brechen. Ich weiß wie", sagte Robert und lächelte. Nicht schelmisch oder frech, sondern zuversichtlich. "Mein Gott", sagte Ben, "du warst schon immer nicht ganz dicht, aber das..." Nun grinste Robert in typischer Manier. "Ey, Ben, ich erzähl euch alles. Ruf Yasper und Louis an, wir brauchen sie. Aber nur sie. Je weniger es wissen, desto besser." Benjamin nickte. "Die 4 Musketiere", murmelte er. "Ne, Benji und die drei Idioten", verbesserte Robert.
      Robert und Ben liefen durch Whiteground. Auf der Straße kamen sie an der Bäckerei der Bayers Familie vorbei. Robert zog seine Kapuze weit in Gesicht. Aufgrund der Witterung waren er und Ben eh in warme Klamotten gehüllt. "Tut mir Leid, Robert...", sagte Ben beiläufig. Der Rote schaute seinen Freund fragend an. "Man, mit Mai, du weißt es doch, oder?" "Ja", antwortete Robert, "ist okay." Die beiden gingen weiter. Bei der Bäckerei war nichts von der Familie zu sehen. "Anfang des Jahres, da hat sie geheiratet..." "Lass gut sein, Benj. Ein weiterer guter Grund, in die Neue Welt zu reisen."
      Pillcern kam herein, er hielt eine Akte in der Hand. Robert, Uma und Theta schauten ihn an. Er räusperte sich: "Herr Kenway fragte, ob wir eingrenzen können, wann der Fluch das letzte Mal zugeschlagen hat?", er formulierte es als Frage. "Hier, alles, was ich dazu gefunden habe. Wie der junge Herr sagte, haben bei einem Fall vor 39 Tagen Zeugen Nebel gesehen und einer behauptete, etwas gehört zu haben, was nicht da war." Robert nickte anerkennend. Theta nahm die Akte entgegen. "Ich hab keinen Grund, daran zu zweifeln. Es war genau, wie Sie es gesagt haben, Herr Kenway." "Warum helfen Sie uns, Pillcern?", fragte Uma. "Ihr Ernst?", Pillcern schaute kurz hoch, er hatte feuchte Augen, "ich lebe zwar in Crossed, aber ich habe drei Kinder. Unsere Jüngste lernt gerade das Laufen." Er hielt kurz inne, schaute zu Boden. "Wer Kindern, Menschen, die sich nicht wehren können, sowas antut, darf nicht in dieser Stadt herumlaufen." Er verließ nun den Raum, ohne noch etwas zu sagen. "In 21 Tagen, genau drei Wochen also, starten wir", sagte Uma. "Ja, die Daten sollten stimmen, demnach wäre dann der 60. Tag", ergänzte Theta. "Meine Jungs werden bereit sein. Ebenso werde ich Fayez' Bande scharf machen", sprach der Rote zuversichtlich. "Kenway, bist du sicher, dass er nicht vorher zuschlagen wird?", fragte Theta. "Ja, ziemlich sicher." "Uma fragte: "Wie kannst du so sicher sein?" "Wenn Jacks Aussagen stimmen, ist Williams ein Feigling. Er hat Angst erwischt zu werden. Außerdem ist er faul. Er wird erst handeln, wenn er wirklich muss. Er wird nicht früher als am 60. Tag handeln." Theta nickte. Uma sah nachdenklich aus. "Wir haben eh kaum eine andere Wahl, Uma", sagte Theta, "wir können nicht mehr als ein paar Tage rausholen, was Einsatzkräfte und alles drumrum angeht."
      "Robert Kenway...", sagte Fayez langgezogen. Er hielt dem Roten eine Kippe hin. "Nein danke." "Zigarren lieber?", fragte er. "Auch nicht. Fayez, sag lieber, ob du dabei bist?" "Ein Mörder macht mir das Geschäft kaputt." "Ja und du hast ein Herz für Straßenkinder und die Menschen in der Gegend, auf deine Art und Weise. Auch wenn du das nicht zugeben darfst, weil du ein Verbrecher bist", ergänzte Robert. Fayez grinste nur vor sich hin. "Darf ich mir dann wenigstens den Ruhm einbehalten, den Typen zur Strecke gebracht zu haben?" Robert war ein wenig angesäuert über Fayez' Spielchen. Er war sich sicher, dass er helfen würde, wollte es aber nicht aus Gründen des Egos riskieren, ihn zu verärgern, bevor die Aktion stattfand. "Ist mir egal, Fayez, mach das mit den Regierungsfutzis aus. Ich mach den Drecksjob und hol mir den Mörder, der Rest ist mir - ehrlich - scheißegal."

      Kapitel 26: Whiteout im Nebel

      Die Zeit tickte und die Vorbereitungen für den Plan liefen. Ab dem sechzigsten Tag, nachdem das letzte Opfer getötet wurde, begannen die Maßnahmen, den Fluch - und somit den Massenmörder - endgültig aufzuhalten. Es war winterlich in Grand Storm und die Regierung unter der der Leitung von Theta Sather stellte Hilfseinrichtungen für die Bevölkerung im Whiteout zur Verfügung. Theta hatte einige Mittel locker machen können, außerdem gab es einige Freiwillige bei den Regierungseinheiten, die sich am Plan beteiligen wollten. Stadtwachen schickten Leute von den Straßen weg. Mit harter Hand vertrieben Fayez Leute das übliche Klientel aus dem Whiteground. Sie boten den Süchtigen unterpreisig Schnaps und Sumpfkraut an oder ließen Gewalt sprechen. Die bitterkalte Jahreszeit trug natürlich sehr dazu bei, dass die Leute nicht besonders viel Lust verspürten, am Strand oder auf der Promenade rumzuhängen. Ebenso förderte es die Bereitschaft, Hilfe durch eine beheizte Notunterkunft mit Gratislebensmitteln wahrzunehmen.
      "Wir teilen das Gebiet so ein, dass wir die Möglichkeit haben, schnellstmöglich zuzugreifen", sagte Ben, "Wo würdest du uns positionieren, Yasopp?" "Hm", überlegte Yasopp, "Wir sollten einen Ort nehmen, von dem wir schnell Mitteilung bekommen, wo der Mörder zuschlägt." "Den Lockvogel zu schützen ist das wichtigste", warf Lou ein. "Die Frage ist, wir viele Lockvögel wir rausschicken. Die Sicherheitsvorkehrungen müssen für alle gleichzeitig funktionieren", warf Ben ein. "Ich muss mir noch gute Lügen ausdenken, warum ich jetzt Tag und Nacht unterwegs bin, für Lise und meine Eltern", grummelte Yasopp. "Stimmt, Yasopp, is'n Problem. Mir allerdings nimmt man ab, dass ich bei den Hilfemaßnahmen mitmache...", sagte Lou. "Du bist auch erstens Koch und zweitens hast du keine Freundin, du Trottel." "Leute, können wir das später klären, oder was?", warf Ben ein. Die taktische Positionierung war entscheidend, um schnellstmöglich den Plan umsetzen zu können. Wenige Sekunden könnten dafür sorgen, dass der Täter entkam und schlimmstenfalls sogar jemand sein Leben ließ.
      Als es losging, saß Yasopp auf dem Dach. Er rauchte eine Kippe nach der anderen. "Alter, lass doch ma sein, bevor du kotzt", sagte Lou, "Bist du so aufgeregt, oder was?" "Mir ist kalt." "Ist dir nicht", feigste Lou. Aber natürlich nahm er seinen Freund ernst: "Alter, ich hab auch Angst, dass noch jemand stirbt. Aber wir tun das Richtige." Yasopp schnipste die nächste Kippe weg: "Hoffen wir, dass Robert mit den Infos von diesem maskierten Typen Recht hat." "Ich vertraue drauf. Und ich weiß, dass der Plan gut ist." "Wie kannste das wissen, man?" "Weil du dabei warst, ihn zu schmieden, Yasper", sagte Lou.
      Robert kam in einen Mantel gehüllt am Lager von Uma an. "Alles klar, Uma?" "Ja, alles bestens. Ich hab Leute, die eine Schicht übernehmen, wenn ich schlafe. Ich will den Kerl ebenso wenig verpassen, wie du, Kenway." Robert nickte. "Zweite Nacht", sagte Uma, "die Taten wurden, soweit wir wissen, in den Abend- oder Morgenstunden verübt." "Uns kommt zu Gute, dass es im Moment in Grand Storm nur wenige Stunden richtig dunkel wird." Uma schaute skeptisch, als hätte sie so eine Information nicht gerade von Robert erwartet. "Gefängnisbibliothek", sagte Robert. "Klar, du hast wohl an alles gedacht, Kenway."
      Auch die dritte Nacht der Überwachung lief ohne Vorkommnisse. Zwar gab es den ein oder anderen Alarm, aber dies stellte sich schnell als Fehlalarm heraus. "Es wird spannend", sagte Robert. "Ey, heute Nacht muss er, wenn wir Recht haben!", rief Ben. "Es bestätigt, was Jack sagte", erklärte Robert, "Er wird es auf den letzten Drücker machen." "Außerdem isser alt, sagte der Jack, oder?", fragte Lou. "Was hat das damit zu tun?", fragte Yasopp. "Na, alte Menschen frieren leichter und wollen nich da raus. Bei dieser Dreckskälte." "Weise wie immer", bestätigte Ben. "Wer sind die Lockvögel?", fragte Ben. "Heute wieder ich, Leute von Uma und Fayez", erklärte Robert. Es war bereits Abend, aber es war entsprechend der natürlichen Gegebenheiten in Grand Storm noch nicht komplett dunkel. Bitter kalt war es allerdings. Auf einmal begann es. Ben bekam das Signal von vorne, dass einer der Lockvögel am Strand verschwunden war. Er rannte los. Der Plan musste nun zünden. Die Markierung per Leuchtrakete zeigte an, welcher Lockvogel betroffen war. Ben rannte so schnell er konnte, auch Robert war unterwegs. Er vertraute darauf, dass Robert schnell genug war. Er hob seine Leuchtpistole und zielte genau auf das Gebiet, das Robert aufsuchen musste. Dieser war an der Promenade und fand das ausgelegte Seil. Er packte es mit Handschuhen und rannte so schnell er konnte. Es klappte. Im dichten Nebel kam ihm ein verletzter Mann entgegen. "Kenway?", fragte er. Es klang um Hilfe bettelnd. "Ja, los, hau ab!" Die Lockvögel waren als Bettler oder Obdachlose verkleidet, sodass der Mörder davon überrascht wurde, einen erwachsenen, wehrhaften Mann vorzufinden. Dennoch hatte der Lockvogel den Kürzeren gezogen und war am Seil geflohen. Das Seil war an der Promenade befestigt und der einzige Weg nach draußen. Das wusste Robert von Jack. Die Seile waren versteckt angebracht, sodass der Täter nicht ahnte, dass seine Schwächen ausgenutzt werden würden. Durch das Langhangeln an diesem Seil tauschten die Personen im Nebel die Plätze. Robert sah sich um. Innerhalb des Nelebs konnte er nun wieder etwas sehen. Von außer gesehen war an dieser Stelle nichts mehr. Die Menschen außerhalb müssten nun auf Robert warten. Er war auf sich allein gestellt. "John Williams!", schrie Robert. Er wusste, er hatte nur diese Chance, ansonsten würde der Mörder sich wahrscheinlich verziehen, da er gemerkt hatte, aufgeflogen zu sein. Er würde fliehen und vielleicht nie gefangen werden. Wenn Robert hier verlieren würde, würde er entkommen. John Williams musste Robert töten, um seiner Teufelsfrucht Tribut zu zahlen, und würde dann mit dieser den Ort in seiner Nebelfähigkeit verlassen. Es lag nun alles an Robert Kenway.
      Der alte Mann kam auf ihn zu. Er trug ein kurzes, an eine Klaue erinnerndes Messer. Er sagte nichts. Seine tiefhängende Kapuze war ihm aber beim Angriff vom Kopf gerutscht. Robert hatte den Angriff parieren können. Williams sah so gewöhnlich aus. Er hatte einen bereits kahlen Kopf, nur noch einige Haare an den Seiten standen weißgrau etwas ab. Er trug Winterkleidung und war kaum größer als Robert. "Es endet heute für dich!", rief Robert und setzte zum Gegenangriff an. Er packte die Hand mit der Klinge und versuchte Williams zu Boden zu bringen, doch dieser warf den Roten zur Seite auf den Boden und holte erneut aus. Robert war zwar auf den Boden gefallen, rollte sich aber weiter und konnte in der selben Bewegung wieder aufstehen. Zum Glück hatte er sein Schwert nicht eingepackt, dachte er sich erneut. Sonst wäre er wohl beim Laufen vielleicht nicht rechtzeitig angekommen und das hier wäre die letzte Rolle seines Lebens gewesen, denn um ein Haar hätte ihn der Mörder nun erwischt. Robert sprang nach hinter. Seine Arm blutete. "Seile? Clever", sprach der Massenmörder nun das erste Mal. "Woher kennst du diesen Trick?" Robert richtete sich auf. "Du kannst es mir ruhig sagen, du kommst hier nicht mehr raus." Williams hatte das Seile zwischen der Promenade und dem Lockvogel gekappt, an dem sich Robert hinein manövriert hatte. Demonstrativ schnitt er das Endstück des Tampen in der Hand erneut durch und warf ihn vor Robert auf den Boden. Roberts Wunde war nur oberflächlich. "Du irrst dich, ich brauch es dir nicht zu sagen, weil es heute für dich endet und keine Rolle mehr spielt." Williams griff erneut an. Robert war nun merklich unterlegen. Das merkte auch Williams. Er drängte Robert zurück. An einer Mauer wollte dieser hochspringen, aber der Feind packte ihn und riss ihn zu Boden. Die klauenartige Klinge raste auf Robert zu. Robert zog etwas aus seinem Mantel hervor und drückte es dagegen. Beide Metallobjekte drückten gegeneinander. Die Augen des Mörders von Whiteout leuchteten. Das Leuchten der Teufelskraft, das Robert bereits von Jack kannte. Die Klinge sauste erneut und traf ihn. Er verkrampfte. Williams wusste, dass dies ein Entscheidender Treffer war, den er Robert zugefügt hatte, aber er sah ein Grinsen auf den Lippen Shanks'. Er spürte im gleichen Moment einen Schlag und dann den Stich im Oberschenkel. Das Metallobjekt hatte sich durch seine Kleidung in die Haut gebohrt. Aber nicht tief. Robert blutete. Wenige Sekunden vergingen bis Willams klar wurde, was passiert war.

      Kapitel 27: Das Ende des Fluches

      Robert hatte das Objekt in seinem Schenkel stecken gelassen. Williams wollte dorthin greifen, doch es war zu spät. Robert hatte dreimal ruckartig an einem weiteren Seil, das er bei sich trug, gezogen. An diesem Seil war eine Art Haken befestig. Diesen hatte Robert unter Einsatz seines Lebens in den Körper seines Feindes geschlagen. Dafür hatte er selbst lächelnd einen Stich hingenommen. Das Reißen war ein Zeichen. Dreimal. Bevor John Willams sich das Metallobjekt aus Haut und Textilien entfernen konnte, löste Robert das Zeichen aus.
      "Das Zeichen - los!", brüllte Yasopp. Lou, der das Seil um sich gebunden hatte, sprang vom Dach des Gebäudes herunter, auf dem sie warteten. Das Seil war über eine Mauer gespannt. So entstand durch Lous Gewicht die Wirkung eines Flaschenzuges. Sie konnten sich nur darauf verlassen, dass ihr Freund Williams befestigt hatte. Ebenso packte sich nun Ben das Seil und sprang in den Hinterhof. Das Seil raste über die Befestigung oben hinweg. So wurde im Nebel John Williams auf den Boden geschleudert und über den Boden gerissen. Robert rannte hinterher. Seine Wunden brannten. Er trat dem Mörder das Messer aus der Hand, sodass er keine Möglichkeit mehr hatte, das Seil zu kappen. Kontinuierlich wurde er von Shanks' Band über den Boden gezogen. Robert trat ihm erneut stark die Hände, die der zappelnde Whiteoutmörder immer wieder versuchte, zum Harken zu bewegen. Mit letzter Kraft warf sich Robert auf Williams und drückte den Haken so fest er konnte in Kleidung und Fleisch seines Feindes. Beide zusammen wurden über den Boden gezogen. Robert verlor schließlich das Bewusstsein und blieb liegen, noch bevor sie am Rand des Nebels ankamen.
      John Williams' Fähigkeit löste sich auf und der alte Mann schaute in die gezogenen Waffen von Uma und den Marinesoldaten. "Schafft ihn weg!", rief Uma. Sie rannte los, um Robert zu suchen. Alles sah hier aus wie vorher. "Kenway!", rief sie, "Robert!", sie lief hin und her. Sie konnte nicht einschätzen, wie weit sich die beiden im Nebel entfernt hatten. Dann sah sie Blut und schließlich Robert in einer Blutlache liegen. "Kenway!" rief sie erneut und warf sich zu ihm auf den Boden. Sie nahm seinen Kopf, horchte nach Atmung und Herzschlag. Sie schaute ihn an und sah das Lächeln auf seinen Lippen. Sie wusste augenblicklich, dass er lebte. Sie nahm ihn und lief hoch zur Promenade, "Hier, ein Arzt! Wir brauchen ärztliche Versorgung!"
      Im Gefängnis angekommen, brach Williams zusammen. Seine Teufelskraft tötete ihn selbst. Nebel breitete sich um ihn aus. Seesteinketten ließen ihn kollabieren, als seine Teufelskräfte sich verselbstständigten. Eine Gnade, die seine unschuldigen Opfer nicht hatten. Er wurde von seiner Teufelsfrucht gefressen. Er war tot und niemand erfuhr seine Identität. Viele glaubten sicher, Jack, der hingerichtet wurde, war der Täter. Andere glaubten sicher weiterhin an den Fluch. Die Menschen werden weiter den Opfern gedenken. Aber niemand, außer die, die dabei waren, ihn zu fassen, würde sich an John Williams erinnern. Er wird vergessen sein.
      Als Robert die Augen aufschlug, lag er im Krankenhaus im Regierungsviertel. Er schaute sich um, sein Blick fiel auf Uma. Sie lächelte ihn an. "Willkommen zurück unter den Lebenden." "Danke, wär doch nicht nötig gewesen, dass du..." "Halt lieber gleich die Klappe. Es war knapp, du hast einiges an Blut verloren." "Ist er..." "Er ist tot, ja", bestätigte Uma. Robert nickte. "Ich danke dir, im Namen der Menschen von Lodea, Robert Kenway." Robert schaute nur hoch zur Decke. "Das Ganze wird wohl unter den Teppich gekehrt werden, sie haben ja bereits jemanden als den Mörder aus dem Whiteout hingerichtet. Vielleicht kann ich..." "Uma", unterbrach der Rote sie, "belassen wir es einfach dabei. Er wird keinem Menschen mehr Schaden zufügen. Ob die Leute nun wissen, wer es war, oder nicht. Außerdem werden die Leute eh weiter vom Fluch reden und wer's weiterhin glauben möchte, tut das eh." "Da hast du wohl Recht." "Du willst vielleicht wissen, wer er war. Er war früher bei der Marine, er hat..." "Nein", unterbrach Robert sie, "ist mir egal." "Okay, wie du willst." Uma saß ein wenig unruhig auf ihrem Stuhl. "Was wirst du nun tun, Kenway?" "Erstmal noch eine Runde schlafen. Aber so in Zukunft, wie ich schon sagte, mein Weg führt mich in die Neue Welt." "Dann wird man dich wohl nicht mehr im Gefängnis begrüßen dürfen. Das richte ich Theta aus. Übrigens auch vielen Dank von ihr, lässt sie ausrichten." "Oh, danke, bestell liebe Grüße. Und mach's gut, Uma..."
      Die Zeit vergeht in Lodea. Bis zu jenem Tag, als Capone Bonnets Schiff vor den Klippen Lodeas in Seenot gerät - Wie wir es im Prolog erfahren haben!


      Kapitel 28: Die beste Crew der Welt

      "Ich kann doch nicht einfach abhauen, Roter", sagte Yasopp. "Warum?", fragte Robert. Yasopp schwieg. "Du hast selbst gesagt, du willst was Großes machen. Das hier ist das Größte, was du finden wirst." Yasopp überlegte und zog an seiner Kippe: "Was ist mit meinen Eltern?" "Was soll mit ihnen sein? Brauchst du ihre Erlaubnis." "Nein brauch ich nicht." "Willst du den Rest deines Lebens für Lise und dich Müll im Whiteout fischen und aus Schrott Sachen schrauben? Willst du beim alten Carrington die Werkstatt übernehmen?" "Leck mich, Robert", sagte Yasper, warf die Kippe weg und ging.
      Robert ging die Straße zum Haus der Laigtes. Lou kam raus und umarmte seinen Kumpel. Er rauchte eine Sumpfkrautzigarette und bot Robert einen Zug an, dieser verneinte. "Ey Louis, du kommst doch mit auf die Fahrt, oder? In die Neue Welt?" "Lou hustete: "Dreckszeug, kratzt die Scheiße." Beide liefen ein Stück in Richtung der Höfe in Reddingplus. "Alter, ich soll hier einfach so abdampfen, oder was?", fragte Lou. "Ja", erwiderte Robert. Lou lachte. "Ey, ich hab 'n Job." "Ja, du kochst für Arschlöcher." "Für reiche Arschlöcher", ergänzte Louis. "Dann werbe ich dich ab, du bist mein Koch." "Dein Ernst, Robert?", fragte er, obwohl er wusste, wie ernst der Rote es meinte. "Du selbst hast mal gesagt, du glaubst, hier nie mal raus zu kommen." "Dorthin, wo's nicht alle scheiß zwei Stunden regnet?", fragte Louis scherzhaft. "Genau, die Überfahrt, direkt in den Allblue, mein Freund." "Ey, meine Eltern, mein Job. Ich denke, das ist nicht mein Ding." "Überlegs dir, oder koch weiter Garnelen, die du nicht selber isst, um die Sumpfkraut zu kaufen, damit du abends pennen kannst, um morgens wieder um 6 aufzustehen." Lou winkte ab. "Lass uns lieber noch ein Bier zischen."
      Robert schlurfte wie früher durch Whiteground. An der Hafenpromenade traf er auf Ben. "Ey Alter", sagte er, "siehst du das Schiff da? Eins von denen hat die neue Lieferung. Ich hol mit den Jungs die Scheiße nachher rein." "Benj, willst du das den Rest deines Lebens machen oder kommst du mit in die Neue Welt?" "Ach man, spinn doch nicht wieder rum, Robert", sagte Ben. "Du weißt, dass das mein Ernst ist." "Ja, man, natürlich." "Also, was ist?" "Nein, Robert, man, wir können hier bleiben, es ist nicht mehr wie früher. Wir machen hier genug Kohle. Die Geschäfte laufen bei mir." "Ja, hab ich gesehen. Whiteout ist genau so beschissen wie immer." "Absolut", lachte Ben, hielt dann aber inne. "Du willst also diesen Dreck für Fayez als sein Lakai weiter machen? Das Gift an die Menschen verteilen? Nur um ein paar Gehaltsnummern aufsteigen?" "Was ist dagegen zu sagen, du Arschloch", schnauzte Ben, "das ist sicherlich weit besser, als man es erwarten kann und als es viele der Jungs hier gebracht haben." "Sicher", sagte Robert ernst. "Du kannst es zu noch viel mehr bringen. Du bist besser als all diese Leute, mit denen du Geschäfte machst und die hier arbeiten." "Nein, im Ernst, Robert, was ist falsch daran?", Ben war sichtlich wütend, "Diese Menschen machen ihr Geld, versuchen über die Runden zu kommen, versuchen ihre Kinder und sich selber durch zu bringen!" "Daran ist nichts falsch, Ben", rief der Rote, "Aber im Gegensatz zu vielen hast du mehr drauf. Wer nicht mehr kann, als Dreck im Whiteout zu sammeln, den werde ich nicht verurteilen, aber du bist der klügste und fähigste Typ, der mir je begegnet ist. Du bist mein Vize, ich kann mir keinen anderen vorstellen." "Ich weiß nicht, wann du so arrogant und ätzend geworden bist, Robert", schnauzte Ben. "Schön", sagte Robert, "du warst es aber, der mir diese Idee in den Kopf gesetzt hat." "War ich nicht", sagte Ben, wieder auf normaler Lautstärke. "Dann erlebe ich die Geschichten in der Neuen Welt, die du nur aus Büchern kennst."
      Robert lief zur alten Stadtmauer, die Lebensader der Dealer, Straßenkinder, Schmuggler und Diebe des Whiteground und ganz Lodeas - ein Schandfleck aus alten Zeiten, aus rauem Stein und immer bereit, dich zig Meter in die Tiefe stürzen zu lassen. "Robert sprang, wie von selbst kannte er die sichersten Steine, mit dem besten Halt für die Füße und als Griffe für die Hände. Am Haus der Bayers-Familie blieb er in sicherer Entfernung auf einem Vorsprung der Stadtmauer sitzen. Als es dämmerte und man in die erleuchteten Fenster sehen konnte, sah er Mai noch ein letztes Mal durch den Korridor gehen, als sie die Fenster verhing. Einige Sekunden schaute sie aus dem Fenster, das den besten Blick auf die alte Stadtmauser bot, als würde sie auf Robert oder die anderen Jungs warten. Robert hatte seine Besitztümer, die er zu Geld machen konnte, verkauft. Er hatte sich unter anderem eine Uhr gekauft, die nicht dauernd stehen blieb und von Yasopp repariert werden musste. Er nahm seine alte Uhr und brachte sie zu dem Fenster hinter der Backstube, die damals immer als Treffpunkt genutzt wurde. Er hinterließ sie dort. Er würde sich nicht persönlich verabschieden, das wäre nicht angebracht, nicht mal für einen Chaoten wie ihn. Er ging zufrieden die Straße entlang direkt durch Whiteground, durch den Dreck, vorbei an den ersten Betrunkenen des Abends, den letzten Geschäftstriebigen des Tages und dem Geruch von Brot aus der Backstube und vom Fischhandel.
      Robert übernachtete auf den Klippen über dem Hafen. Er lief durch das Hafenviertel und kaufte sich ein Fischbrötchen, so dick belegt, wie es nur ging, und dazu einen Garnelenspieß. Er lief auf Bonnets Schiff zu, setzte sich auf die Reling und wartete. Kaum waren 20 Minuten vergangen, schlurfte Lou auf das Pier. Robert winkte: "Mein Schädel man, ich hab gestern einen kleinen Umtrunk abgehalten. Und mit klein meine ich groß. Und mit Umtrunk Saufen." "Danke, ich hab's verstanden", sagte Robert. Ein wenig später rannte eine dünne Gestalt mit einem riesigen Lederkoffer den Pier entlang. "Wo sind die anderen?", schrie Yasopp. "Entspannt bleiben, komm an Bord, wir warten noch auf Ben." "Ich dachte, Lou kommt nicht", sagte Yasopp. "Halts Maul, Yasopp", erwiderte er. "Warum ist es eigentlich schon wieder so beschissen kalt?", fragte er beiläufig. Einige Stunden vergingen. Bonnet und seine Leute waren auf dem Schiff am Werkeln. Der Rote starrte versteinert auf den Hafen. Lou stellte sich neben ihn. "Er kommt schon", sagte er. "Ich weiß", sagte Robert. Alles war bereits fertig zum Ablegen. "So, ihr Seebären", lachte Bonnet mit seiner gewohnt piepsigen Stimme, "von mir aus geht's los." "Wir warten nur noch auf Benjamin", sagte Robert. "Junge", sagte Bonnet, "vielleicht ist ihm ja was dazwi..." "Er kommt Captain Bonnet", sagte Robert. "Okay, Captain Kenway, wir warten." "Bis zum Mittagessen warten wir", grummelte Lou. Nur wenige Minuten später kam ein Mann mit langen schwarzen Haaren, einem grauen Mantel, einem Gürtel und einem großen Koffer den Pier entlang. "Sollen wir die Neue Welt erobern, Captain Kenway?" "Ben", rief Robert, "Captain Bonnet, auf geht's, Ziel ist die Neue Welt!" "Ayyyyee!", rief Bonnet und ebenso einige Crewmitglieder.
    • Ich bin zurück mit frischen Kapiteln. Neuer "Arc": "Die Überfahrt". Los geht`s wieder mit 5 Kapiteln. Ich versuch wöchentlich zu veröffentlichen.
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      Kapitel 29: Die Überfahrt

      Das Schiff legte ab. Die vier Jungs würden das erste Mal in See stechen. "Wow!", rief Robert und lehnte sich über die Reling. Sie verließen langsam den vertrauten Hafen von Lodea in Richtung des Meeres zwischen Grand Strom im Norden und den anderen Staaten Olypias im Süden. Weiter westlich wird man schließlich in das Meer zwischen Olympia und dem davon südlich gelegenen Schwarzen Kontinent kommen. Auf der anderen Seite des Meeres befindet sich die Neue Welt. Olympia, der Schwarze Kontinent, der East-Kontinent und alle dazugehörigen Inseln im näheren Meeresterritorium werden zur Alten Welt gezählt. Diese Bezeichnung entstand durch die Benennung der Doppelkontinentes als "Neue Welt".
      Shanks wurde von Bonnet in der Kapitänskabine empfangen. Vor ihnen auf dem Tisch lagen die Seekarten. Bonnet nahm die Schulter des jungen Nachwuchskapitäns: "Captain Kenway, schauen wir uns unsere Optionen für die Reise genauer an!" Shanks lächelte und klopfte Bonnet auf den Rücken. Käpt'n Bonnet war wirklich ein gutmütiger Kerl, da hatte sich Robert nicht getäuscht. "Klar, Käpt'n Bonnet", sagte er, "was sind unsere Optionen?" Ein anderer Mann kam hinein. "Das ist Vileone, mein Navigator, ihr habt euch bestimmt schon gesehen." "Natürlich", sagte Vileone und hob freundlich seinen Hut. "Du, Shanks, brauchst dringend einen Piratenhut, wenn du in der Neuen Welt Pirat wirst!", ergänzte er. "ich hab ein Haartuch", lachte der Rote. "Das reichte nicht", antwortete Vileone mit seinem lustigen Dialekt, der bei ihm weit stärker zu hören war als bei Bonnet. Beide kamen aus Romanika. "Ein Hut ist, wie sagte man.. ähm, manskulin!" "Maskulin, Vil, männlich!", meinte Bonnet. "Ahja, Capone, genau." "Alles klar", sagte Robert. "So Vileone, erklär uns erstmal, wo aus deiner Sicht die beste Route verlaufen würde!" "Also, sicher ist es im Nordblue zu Funacera." "Genau", ergänzte Bonnet, unsere erste Station wird Funacera, die letzte Insel Olympias." "Okay", nickte Robert. Capone zeigte auf der Karte darauf. "Sie gehört zu Pallas, deswegen gilt sie als Teil Olympias." "Ab dann...", Bonnet schaute kurz auf der Karte, "genau hier entlang." "Ah, Käpt'n, die Westroute", warf Vileone ein. "Der direkteste Weg in die Neue Welt. Aber...", er hob den Finger, "gefährlich! Für dies Navigieren, ohoho!" "Warum denn?", fragte Robert. "Oh, Strudelse, äh, türkise Winde!" "Du meinst tückische Winde?" "Genau, auch!" "Die Westroute gilt als schneller Weg in den All Blue, allerdings muss man durch berüchtigte Triangle." "Das hab ich schonmal gehört...", sagte der Rote. "Sehr berüchtigte Rout!", ergänzte Vileone. "Und welche Optionen haben wir?", fragte Shanks. "Naja, Südroute und Nordroute", erklärte Bonnet. Die Nordroute umfährt das Triangle nördlich und wir kommen an der Küste der Neuen Welt im Kolonialgebiet Roosters an." "Oder, Süder", ergänzte Vileone, "umfährt Triangle, genau hier." Er zeigte auf die Karte. "Genau, man würde an der Küste des Schwarzen Kontinents langfahren und südlich des Allblue ankommen." "Okay, diese dauern einfach länger?" "Hm, nicht nur das", erklärte Capone, "im Norden hat die Regierung ihre Finger im Spiel. Die Route ist erstens am längsten, zweitens sehr kalt und dadurch gefährlich durch Eisberge und außerdem, wie gesagt, die Regierung kontrolliert dort, wer kommt und geht." "Das ist nicht gut, Käpt'n", Vileone schüttelte den Kopf. "Und Süder", ergänzte er, "Ay, Verbrecher kontrollieren dort, Sklavenhändler." Shanks raufte sich durch die Haare. Alles keine sonderlich guten Aussichten. "Was sagst du, Kenway?", fragte Bonnet. "Hm, also ist der Norden kalt und langweilig? Der Süden voller Verbrecher mit dreckigen Machenschaften, die uns überfallen, und im Mittelweg von allem etwas?" "Naja, weniger Marines definitv", sagte Vileone. "Ja, und Piraten natürlich einige...", ergänzte Capone. "Und schlimme See!", nickte Vileone. "Aber wenn wir's schaffen, sind wir am schnellsten in der Neuen Welt?" "Äh, ja, genau", sagte Bonnet. "Dann stimme ich für den Mittelweg, Käpt'n Bonnet." Bonnet lachte. Vileone starrte nur vor sich hin. "Ich dachte mir schon, dass du das wählen würdest,Käpt'n Kenway." "Hab ich auch eine Stimmrechte hier, Capone?", fragte Vileone. "Gibt es eigentlich auch eine East-Route, Vileone?", fragte Robert. "Es würde, andersherum, Olympia oder Schwarzkontingent...", er tippte auf der Karte herum, "das wäre keine Probleme. Nördöstlich von Grand Strom gab es noch weitere Inseln und das Festland von Olympia, genannt "Icy Gale". Dahinter käme der Nordteil des Superkontinents, des sogenannten East-Kontinents. "Wir müssten so weit in den Norden, dass das Meer nicht mehr passierbar wäre. Anders herum, um Olympia und den Schwarzen Kontinent in den East Blue wäre möglich, aber ein kompletter Umweg. Der Weg von der gegenüberliegenden Seite des Eastkontinent in die Neue Welt ist realistisch und bildet die offizielle East-Route", erklärte Capone.
      "Was ist das?", rief Ben fragend. "Wahnsinn", rief Shanks. "Ist das der Turm?", fragte Yasopp. "Was für ein Turm?", fragte Lou. "Kennt ihr die Geschichte nicht?", fragte Yasopp. "Es heißt, dass Olympias Beschützer, der Turm, das Pferd und der Bischof sind!" "Das sind echte Gebäude, meinst du, Yasopp?", fragte Lou. "Man, ihr wieder", sagte Yasopp, "Es geht dabei um die Leibwächter des Königs von Olympia. Jedenfalls bildlich gesprochen." "Genau", sagte Donruna, der sich dazu gestellt hatte. Er war schon einige Jahre älter als die Jungs. "Das ist dies, wie sagte ihr? Turme!" "Es ist die zum Meer zeigende Seite der Stadt Cliffort", rief Capone den Jungs zu, der nun aus seiner Kabine kam. "Das ist Cliffort?", rief Shanks überrascht. "Ja, genau, oberhalb der Klippen liegt die Stadt. Es sieht vom Wasser aus wie ein riesiger Turm, denn die Marinebasis wurde in die Landmasse hineingebaut und reicht bis unter Wasser." "Dann stimmt es, Käpt'n, dass dort Schiffe hineinfahren können?", fragte Yasopp. "Ja, das stimmt", sagte Donruna, "wir können gleiche sehe, wenn wir naher!" Capone sagte: "Die Militärbasis erstreckt sich darin von unter dem Meer bis hoch in den Turm über den Klippen und innerhalb des Bodens...", er winkte ab, "hach, wer weiß wie weit, Militärgeheimnis!" "Sehr abschreckend!", fügte Donruna hinzu. "Ja, ich hab gelesen, dass Grand Storm eine Militärmacht im Ozean ist, weil sie eben ihre Flotte unter anderem in Cliffort verschanzen." Lou nickte: "Und keiner weiß, was drin ist in dem Viech?" "Naja, eine Basis eben", sagte Ben, "was soll da denn noch drin sein?" "Was ist jetzt mit den Leibwächtern?", fragte Shanks. "Leibwache?", fragte Capone. "Na, die Geschichte!" "Ich kenne es so, dass die drei Leibwächter der Turm, das Pferd und der Bischof sind", erklärte Yasopp. Capone bestätigte: "Ja, das ist wahr, auf der Flagge von Pallas findet man auch den Bischof. Und bei euch in Grand Storm soll es ein Turm sein. Der Reiter ist das Markenzeichen von Lukenbrik in Neu-Germa, das dritte im Bunde." Capone legte mit seiner markant-piepsigen Stimme eine Märchenerzählerstimme auf: "Man sagt, die drei hätten den König und die Königin und ihre Kinder berschützt." "Damit gemeinte, unsere Sonnengott!", nickte Donruna. "Genau, der große Königspalast von Romanika, in dem der Sonnengott bis heute herrschen soll", Bonnet klang, als würde er seinem Kind eine Gute-Nacht-Geschichte erzählen. "Naja, seine Nachfahren", warf Yasopp ein. "Natürliche, Nachfahrenen!", sagte Donruna. "Tolle Geschichte", warf Robert ein, "aber stimmt der Mist denn auch wirklich oder was?" "Keine Ahnung", sagte Capone, "lasst uns was essen!" "Oh, sehre gut, oh mein Magen!", rief Donruna und gestikulierte Bauchscherzen. "Der Typ, man", sagte Lou. "Witzige Romanika, Alter", sagte Ben.

      Kapitel 30: Die Geschichte Olympias

      "Ich hab's gelesen, Robert, falls es dich interessiert, hier", sagte Yasopp zu Shanks, der unter Deck in seiner Koje lag. Er hielt ihm ein Buch hin. "Das ist aus Romanika, die Schrift ist etwas gewöhnungsbedürftig und es sind einige ältere Formulierungen drin." "Danke, Yasopp." "Und um die Frage zu beantworten, du weißt schon, ob's wirklich stimmt..." Robert schaute Yasopp an. Er lag auf dem Rücken, hatte die Beine überschlagen und wippte mit dem Fuß. "... es scheint irgendwie eine Legende zu sein, aber den Sonnengott gab's wirklich. So würd ich's wohl zusammenfassen." "Echt?", Robert nahm das Buch und blätterte. "Echt, die Schrift, man", pflichtete Robert Yasopp bei. "Der beruht auf 'ner echten Person?" "So kann man das ausdrücken, würd ich sagen, ja", sagte er und ergänzte: "ich hab das Buch von Capone. Er sagte, für die Leute in Romanika is das sowas wie in Stein gemeißelt. Is 'n absolutes Ding, die lieben wohl dieses Zeug." "Komisch", sagte Robert. "Woher kam der Sonnengott denn?" "Soll ich dir das Buch vortragen, Roter, oder was?", fragte Yasopp kichernd. "Bitte, ich muss eh bald ne Runde pennen..." "Bin ich so langweilig, wusst ich nicht." Robert grinste nur. "Wenn ich's dir zusammenfasse, liest du's dann auch und sagst mir deine Meinung?" "Klar, man." Robert hatte die Augen geschlossen. "Jedenfalls, früher war Olympia teil der Weltregierung, jedenfalls Germa und Romanika. Obwohl, ich weiß gar nicht, vielleicht nur Germa oder was..." Er stutzte kurz, Robert sagte nichts. "Ist auch egal, jedenfalls kamen wohl die Siedler aus anderen Gebieten dorthin und nach dem Krieg waren die Menschen wirtschaftlich gebeutelt und hatten nichts zu Essen. Der Sonnengott war eigentlich ein Kind von Menschen aus dem Ostkontinent. Er soll angeblich den verdunkelten Himmel erleuchtet haben, damit die Scheiße, die die da angebaut haben, wieder wächst..." "Wieso war es überhaupt dunkel." "Vom Krieg, denke ich." "Ey, kommt ma hoch", rief jemand durch die Quartierräume. Es klang nicht nach Notlage, sondern sehr fröhlich. Yasopp stieß Robert an: "Haste gehört?" "Ja, man." Die beiden liefen an Deck, dort standen Capone und fast alle seiner Leute, sowie auch seine Frau mit dem Kind. Vileone hatte gerade das große Fernrohr von Capone. "Ah, Jungens, komm ran, Käpt'n Kenway." Robert nahm das Fernrohr. "Wasser... Wasser...", "weiter linkes, Käpt'n Kenway", sagte Vileone. "Wasser... Wa...ahhh!" "Was siehst du, Robert?", fragte Lou. "Ist das ein riesiger Turm!", rief Robert. "Schon wieder ein Turm?", fragte Ben. "Der Bischof"", sagte Vileone. "Achwas", sagte Robert. "Das beste ist, dass es gleich schon dunkel wird", erklärte Capone. "Kannste laut sagen", sagte Lou, "bin voll müde." "Ich meinte eher, weil wir dann den Turm erreichen und... lasst euch einfach überraschen." Die Jungs saßen an Deck. Capone hatte sein Kind im Arm und wog es hin und her. "Bonnet, stimmt es, wie Yasper sagte, in deinem Buch, dass der Sonnengott wirklich existierte?" "Natürlich, Robert", erwiderte Capone, "daran glauben wir in Romanika!" "Also wisst ihr's eigentlich auch nicht?", ergänzte Yasopp und ließ es eher wie eine Aussage als wie eine Frage klingen. "Der Sonnengott hat Romanika gegründet, so sagte es die Geschichte. Ihm wurde das Land Olympia gegeben und in Romanika hat er sein Haus errichtet." "Hm", machte Yasopp, "wie erklärst du dir die Dunkelheit und den Krieg in dem Buch, sind das nur Geschichten?" Capone schaute kurz nur vor sich hin. "Achwas, nein, der Krieg ist echt, vielleicht war es der große Krieg der Weltregierung oder ein anderer, aber auf jeden Fall haben böse Mächte den Himmel mit ihren Waffen verdunkelt und der Sonnengott konnte dafür sorgen, dass die Sonne wieder scheint." Er sah seinen Sohn an: "Aber erst als er ein großer, starker Sonnengott war, davor war er ein Kindelein." Robert und Yasopp schauten sich nur an und grinsten vor sich hin, wie süß Capone erzählte, als würde er diese Geschichte seinem Kind erzählen und nicht zwei praktisch erwachsenen Jungs. "Der Reiter, der Turm und der Bischof beschützten den Sonnengott auf seiner Reise. Ja, so war das wohl." Es dämmerte, Capones Frau nahm das Kind und auch die anderen Crewmitglieder kamen an Deck. Allesamt standen am Bug, als sich auf einmal der Himmel erleuchtete. Ein riesiger leuchtender Strahl erschien am Horizont und wanderte auf dem Meer entlang. Der Strahl kam direkt aus der Spitze des "Bischofs", oben aus dem Teil, der wie ein Kopf mit Hut auf einem Glockenförmigen Gebäude drauf saß. "Wirklich, wie ein Mönch oder so", sagte Ben. "Eben, ein Typ mit Mantel und Hut!", sagte Shanks. Der Lichtkegel kam entlang gekrochen, erleuchtete alles und zog dann weiter an die Küste. "Es ist also ein Leuchtturm!", rief der Rote. "Genau", sagte Capone. "Pallas ist, eh, schöne Gebiete", rief Boccusio, der Koch von Capones Crew, und zeigt auf den Lichtkegel. Man konnte das Festland erkennen. Die Jungs wechselten sich mit Fernrohren ab. "Der Strand von Pallas", sagte Shanks froh. "Ja, endlich seh ich's mit eigenen Augen, man, hab viel von gehört." "Ah, Louise", sagte Donruna, "du bist von des Pallas?" "Ne, meine Eltern, ich war nie dort, sie haben mir davon erzählt." "La Playa Laighte, daher der Name", sprach Capone nickend. "Genau, in Grand Storm fällste mit so 'nem Namen auf." Der Leuchtturm drehte seine Kreise. Er stand auf einer sehr langen Landzunge, die vom Festland Pallas' in den Northblue hineinragte. Andere Schiffe standen im Hafen der Stadt und Verkehr herrschte hier. "Das letzte Stück Festland in Olympia, Käpt'n Kenway!", rief Bonnet Robert zu. Dieser war stolz. "Schade, dass wir die anderen Gebiete nicht noch sehen", warf er ein. "Naij", sagte Vileone "danne waren wiere rückwärts gefahren, Käpt'n Kenway." "Ist der Reiter denn ähnlich heftig?", fragte Robert in die Runde. "Der Reiter von Germa ist eine Schiffswerft, Robert", sagte Yasopp. "Da bauen se die Schiffe?" "Genau", bestätigte Capone, "sie steht auch direkt am Meer, ist aber weniger eindrucksvoll anzuschauen, vom Meerweg aus." "Sieht sie denn aus wie ein Reiter?", fragte Lou. "Naij, eher eine Schiltekröte", sagte Vileone. "Dein Ernst?", fragte Robert. "Früher soll es mal ausgesehen haben wie ein Pferd, das seitwärts zum Wasser steht. Heute, da hat der Vil recht, eher wie ein Schildkrötenpanzer, der am Strand liegt."

      Kapitel 31: Hohe See

      Die Jungs saßen an Deck und aßen ihre Mahlzeit. Der Wind peitschte heute. Lou bekam eine Ladung Wasser ab und fluchte. Das Lachen blieb nicht aus. Yasopp fragte: "Wie geht es eigentlich deinem Gesicht, von der Aktion, als wir Capone geholfen haben?" "Gut", antwortete Robert. "Man sieht's noch", sagte Ben. "Wird man wohl auch weiterhin. Narben werden bleiben." "Danke für Ihre Einschätzung, Herr Doktor Laighte", sagte Yasopp. "Kannst du mal die Klappe halten, Yasopp?", maulte Lou. Es gab auf dem Schiff zur Mahlzeit aber auch weit entscheidendere Diskussionen: "Es ist, eh, bessre mit dunkler Soße, mein Boccusio!", rief Donruna. "Ahh, du aus Silcona, ihr mit diese Helle! Nenene!", erwiderte Boccusio und wedelte mit seinem Essbesteck herum. "Es ist mir zu starke!", gestikultierte Donruna eine brennende Zunge, "Zu viele von, eh, Pfeffre!" Die vier Jungs aus Grand Strom schauten sich fragend an. "Ich habe mehr von Sahne, mehr mit leichte Schinken, bitte, mein Boccusio..." "Ah, du haste keine Ahnung, Dona, Donaruna von Neopale!" "Meine Güte", sagte Ben. Lou schüttelte den Kopf. "Ah, ihr Idioten!", rief nun Vileone, der bis dahin still da saß, "Ich vermisse Geschmacke von zu Hause nur bei Mama!" "Ah, Vile", rief Boccusio, nun weinte er. Und auch Donruna schluchzte. "Meine Mama immer mit de Rosemarin!" "Ohoho", erwiderte Boccusio. "Was ist mit denen, man?", fragte Ben in die Runde. Vileone hatte das gehört. "Wir vermissen Romanika, Bene..." Ben nickte ihm aufheiternd zu. "Ihr werdet sehene, auf See wird es lange Zeiten. Wir von Romanika, wr denke viel an unsere Mama und an unsere, wie wir sagne Küchen!" "Kuchen?", fragte Lou. "Nein, von Küche unsere Mahlzeit, nur jede Famile hat ihre Würze!" Die Jungs waren zwar erheitert, verstanden aber das Heimweh der Crew aus Romanika, die bereits längere Zeit auf dem Meer unterwegs war. "Ihr werdete sehen, ist lange von Zuhause, wenn du an Mama denken musste!", ergänzte Vileone.
      Lou rauchte eine Kippe. Das Meer hatte sich beruhigt und er und Yasopp ließen die Beine baumeln und saßen auf der Reling. "Loui, meinst du, es war eine so gute Idee?" "Wie meinste, rauszufahren?" "Ja, genau. Die ganze Sache." Lou überlegte. "Wenn's schwer wird, wirste dir eh wünschen, zu Hause zu sein, Yasper." "Ja..." "Aber was ist die Alternative, da hat Robert Recht. Sich einen Namen machen, die Welt sehen... Weißt du, ich hab jetzt schon mehr Meer gesehen, als meine Eltern. Die haben immer gearbeitet, erst in Pallas, dann in Lodea. Und dort waren se immer die Ausländer." "Wie wir. Und werden sie auch bleiben", ergänzte Yasopp.
      Ben lief auf Robert zu. Er schlug zu. Seine Faust sauste am Ohr des Roten vorbei. Dieser wich aus und fuhr herum. Ben drehte sich. Robert allerdings erwarte das und erwischte seinen Freund. "Ah, man, der war übel..." "Tschuldige, Benji, geht's?" "Klar." "Aber wird", munterte Shanks ihn auf. "Ich bin eher der Typ für die Flinte, glaube ich", sagte Ben. "Hm, ich weiß gar nicht", antwortete Robert, "deine Bewegungen sind gut." "Wird nur ne Frage der Zeit, bis es wieder um Leben und Tod geht", meinte Ben. "Klar, aber dann bist du bereit." "Weiß nicht. Ist was anderes, einen Whiteshark ausm Whiteground vor sich zu haben oder von nem Stadtwächter gejagt zu werden, als vor einem Piraten zu stehen." "Warum? Außerdem ist es das, was du wolltest", grinste Shanks. "Klar, das schon, aber bin ich bereit, sind Loui und Yasopp bereit?" "Ich bin mir sicher, sonst hätt ich euch nicht mitgenommen." Ben band sich seine Haare neu zusammen. Robert warf ihm seinen Mantel zu. "Robert, da haste direkt gegen Williams gekämpft. Der wollte dich töten. Keine Kompromisse." "Richtig", antworte der Rote, "aber ich hatte Hilfe, sonst wär ich tot." Ben schaute seinen Freund an: "Klar, ich meinte eher, wir anderen hatten das nicht. Oder kannst besser sagen - noch nicht. Wenn's hier gefährlich wird, müssen auch wir in so 'ne Situation." Robert nickte und lächelte Ben an. "Ich werd noch mit ihnen sprechen und ich versprech dir, dass ich noch mit ihnen trainieren werde. Genau dafür, damit se bestmöglich bereit sind." Ben und Robert klatschten sich ab und starteten eine neue Trainingsrunde. "Aber Ben", sagte Shanks, "ich bin mir sicher, die beiden wissen genau, auf was sie sich einlassen und haben das drauf. Sie sind die besten." "Stimme zu, Roter. Und nun gibt's eine zurück, komm ran!"

      Kapitel 32: Händler und Piraten

      Es waren bereits Möven zu sehen, die über dem Wasser ihre Bahnen zogen. "Willst du das Ruder für die Anfahrt übernehmen, Käpt'n Kenway?", rief Bonnet dem Roten zu. "Klar. Meinst du, ich krieg das hin?" "Donruna ist hier und ihr hört auf meine Befehle!" Donruna, der kräftige Kerl mit den schwarzen Locken, nickte und gab einen Daumen nach oben. Robert griff das Schiffsrad. Es begann mit der Anfahrt und Robert merkte, dass die Kurve sehr weit reichend werden würde. "Brauchen wir nicht...?", fragte er Donruna, doch da hörte er bereits Capone rufen: "Weniger Wind!" "Frei Anfahrt möglich!", hörte man aus dem Krähennest. Ben und Vileone waren hoch geklettert. "Wir wissen, dass dort viel An- und Abfahrt herrscht", sagte Capone. Es klappte. Ben, Lou und die Jungs von Bonnet holten die Segel ein und das Schiff lief langsam ein. "Antauen, Kenway!", rief Capone. "Robert hatte viel über Schifffahrt gelesen, nachdem er damals seinen Plan gefasst hatte, in die Neue Welt zu gehen. Er sprang und landete im weichen Sandstrand Funaceras vor dem Steg. Shanks hatte seine erste Station auf der Überfahrt in den AllBlue betreten. "Er hätte, wartene nur für Steg", sagte Donruna. "Der hat's eilig", sagte Ben. Ben wartete auch nicht bis die Planke ausgelegt wurden, sondern hing sich außen an die Reling und sprang mit einer 180-Grad-Drehung auf den Steg. Yasopp hangelte sich am Schiffstau entlang und schwang sich schließlich, mit den Armen daran hängend und mit den Beinen Schwung holend, darauf. Es war etwas knapp, aber die Landung davor wäre nur ein Bad im Salzwasser gewesen. Lou verblieb oben an der Reling und ließ sich von Capone eine Einkaufsliste geben. Immerhin waren sie hier, um Sachen für die Reise einzukaufen und Material für das Schiff, für nötige Ausbesserungen. Man kann nicht wissen, wann man im Triangle die Möglichkeit haben wird, vernünftig an Waren zu kommen und Funacera war ein großer Umschlagplatz für Waren jeglicher Art - allerdings auch für jede Menge Gesindel: Leute, die es nicht in die Neue Welt geschafft hatten. Leute, die auf eine Möglichkeit zur Überfahrt oder einfach auf die Gelegenheit, einen Überfall zu begehen, warteten. Natürlich gab es Händler, die entweder aus den Kolonien kamen oder dorthin wollten, so wie auch Bonnet.
      Robert rannte den Steg entlang. Die Insel erinnerte ihn mit dem Hafenviertel an Grand Storm, allerdings fehlten die Klippen. Außerdem hatte Grand Storm keinen schönen Strand im Hafenviertel. Die Stege sahen etwas baufällig aus. Aber Robert gefielen die vielen Schiffe, die von überall her zu kommen schienen. Er erkannte ein typisches Modell aus Grand Strom, neben einem Frachtschiff aus South Blue, ähnlich dem Capones. Außerdem gab es Schiffe, die er noch nie zuvor gesehen hatte, und welche, die wirkten, als könnte man es damit niemals vom Festland Olympias nach Funacera geschafft haben, entweder von der Bauweise und Größe des Schiffes her oder auch vom Zustand. Manche sahen aus, als würden sie jeden Moment absaufen oder auseinanderbrechen, sobald eine Windböe aufzieht. Ebenso fasziniert war Robert von den Menschen. Klar gab es in Grand Storm viele Einwanderer aus anderen Staaten Olympias, so wie auch die Eltern von Lou und Yasopp, oder Gastarbeiter aus dem Southblue und Teilen des Westkontinents. Aber hier saßen ganze Gruppen von Langbein-Menschen, Langarmern, Fischmenschen oder Tontata, die nur circa 60 bis 80 Zentimeter groß waren. Vertraut war Robert allerdings der Geruch nach geräuchertem oder gebratenem Fisch und Branntwein. Dieser war, so würde Robert eh später noch erfahren, der beste Freund des Seefahrers. Er war ihm Heimat, vermisste Ehefrau und Vertreiber von Langeweile und düsteren Gedanken.
      Benjamin war auch unterwegs durch den Hafen. Er teilte die Erlebnisse Roberts natürlich. Er war mit Gaunern und Obdachlosen aufgewachsen. Er kannte viele Leute, die sich zum Beispiel Fayez anschlossen, weil sie aus anderen Ländern kamen und in Grand Storm keine andere Perspektive fanden oder sogar auf Betteln angewiesen wären. Aber auch er hatte selten Langarmer oder Langbeinermenschen gesehen. Tontata waren in Grand Storm nie zu sehen. Ebenso sah Ben, als er einen Laden am Hafen betrat, einen Mann mit flügelartigen Auswuchsen auf dem Rücken. Sie hingen aus seinem Oberteil heraus. Er hatte gelesen, dass diese Art von Menschen in einem Land zwischen dem Schwarzen Kontinent und dem Ostkontinent, im östlichen Southblue beheimatet waren. Getroffen hatte er allerdings nie einen. Er schaute sich um und sah auch den Händler, von dem er allerdings nur einen Flügel sah. Der andere schien unter der Kleidung verborgen sein. Ben ermahnte sich, nicht hinzustarren. Er hatte überlegt, eine eigene Waffe zu kaufen. Man brauchte sich keine Illusionen machen und glauben, man würde ohne Gewalt und ohne Schlag- und schusskräftige Argumente in der Neuen Welt und gerade unter Piraten auskommen.
      Yasopp schlenderte eher gemächlich. Auch er war froh, nun festen Boden unter den Füßen zu haben, auch wenn es bisher sicher weder lang noch beschwerlich auf dem Meer gewesen war. "Hey!", rief eine Frau. Sie war überraschend klein und hatte dennoch verhältnismäßig sehr lange Arme mit einem Gelenk mehr als die Menschen, die man aus Olympia kannte. Yasopp starrte sie an. "Ich hab den Lockenkopf zuerst gesehen, Heider!", rief eine mindestens 2,5 Meter große Frau, die nun auch auf ihn zu kam. Ihre Haut war silbrig und ihr Gesicht sehr breit. Man erkannte einiges von einem Fischmenschen in ihr. Yasopp war verwundert über diese Erscheinungen. "Verpisst euch hier, Mischlinge!", grölte ein großer glatzköpfiger Langbeiner, der wohl auf dem Weg zu seinem Schiff war. Auf Yasopp kam ein anderer Mann zu. Er war dick und ebenfalls sehr groß. "Willst du eine der Ladys?"
      Lou lief genervt den Steg entlang auf das Hafenviertel zu. Er war eigentlich genau der richtige dafür, Nahrungsmittel einzukaufen, da er nach Qualität und Preis genau Ausschau halten konnte. Immerhin war er vom Fach. Dennoch war er nun angesäurt, dies wohl allein erledigen zu müssen, da seine Freunde andere Pläne verfolgten oder anders ausgedrückt, sich nicht zügeln konnten, die Insel zu betreten. "Jo, Großer", rief ein Typ in einem zerlumpten Hemd und mit schlechten Zähnen, vor dem eine Pulle billiger Branntwein stand. Er sah aus wie der erstbeste Klischeepirat. Neben ihm saß ein ähnlich rampunierter Typ, nur war dieser ein Fischmensch. Und er rauchte irgendeine Droge. "Jo", sagte Lou und nickte den beiden kurz einen Gruß zu. "Wohin geht das Schiff?" "Neue Welt." Er lief an ihnen vorbei. "Brauch ihr noch Crew, mein Kolleg hier und ich ham jahlan Erfahung aufn Meer..." "Frag meinen Käpt'n, nicht mich, ich bin ein Koch. man", winkte Lou ab, drehte sich nur noch kurz um und lief weiter." "Wie siehten der auph?", rief ihm der Fischmensch nach. "Als würd' der hier Urlaub machen und rote Haare!"

      Kapitel 33: Meißtgesucht

      Robert lief die Straße entlang. Die Stadt war Funacera City auf der gleichnamigen Insel. Sie war ziemlich groß, aber im Verhältnis wenig von Einheimischen bevölkert aufgrund des regen Durchgangverkehrs in die Neue Welt und wieder zurück. Ein junger Pirat - zumindest identifizierte der Rote ihn in dem Sekundenbruchteil so - kam an ihm vorbei. Ihre Blicke trafen sich kurz. Der Junge schien Robert etwas mitteilen zu wollen, allerdings sah er nur die kurze Bewegung seiner Lippen. Observatorium schlug aus und er reagierte blitzschnell, instinktiv. Als um die Straßenecke mehrere bewaffnete Piraten gestürmt kamen - diesmal war Robert sicher - rief er möglichst empört: "Ey Jungs, war das da grad ein Pirat, der Richtung der Docks da gelaufen ist?" Die Piraten stürmten an ihm vorbei. "Ey, Piraten, die da frei in den Docks rumlaufen, haben wa denn keine Marine in ...", er stockte, denn er hatte den Namen der Insel vergessen und den Namen der Hafenstadt wusste er nicht mal. Aber es reichte aus. Die Piraten hatten den Köder geschluckt und stürmten Richtung der Docks. Keine 30 Sekunden später kam eine weitere Horde bewaffneter Piraten die Straße entlang. Robert war gerade in Richtung des Verfolgten gestartet, da sah er, dass sie hinter ihm her in Richtung der Lagergebäude folgten. Damit hatte er nicht gerechnet. Die erste Horde hatte er getäuscht, aber die zweite folgte nun ihm, weil sie wohl dachte, Robert würde dem jungen Mann ebenfalls folgen und den Weg kennen. "Verdammt", rief Shanks, obwohl er es auch ein wenig lustig fand. "Wer ist der Typ, der meistgesuchte Mann von... wie heißt das Kaff denn hier?" Er rannte einfach weiter und wurde an einer Ecke auf den jungen Mann von eben aufmerksam. Er zeigte ihm von oben auf einer Mauer in eine offene Lagerhalle hinein abzubiegen. Sobald der Rote es verstanden hatte, hüpfte er herunter, damit die Verfolger ihn nicht sehen konnten. Robert fauchte hinein: "Hey! Hallo!". Er sah den anderen. Dieser hielt den Finger an die Lippen und mit der anderen Hand machte er eine lockende Bewegung. Die beiden verließen die Halle an der anderen Seite wieder. Sie war ziemlich baufällig und dementsprechend konnten die beiden aus einem etwas höher gelegenen Mauerspalt wieder ins Freie hüpfen. "Was waren das für Typen?", fragte Robert. "Sind die weg?", kam die Gegenfrage. "Denke schon." "Komm trotzdem weiter, Richtung Strand, dann können se lange die Lager durchsuchen." "Wer bist du? Bist du der meistgesuchte Pirat von... ey, und wie heißt der Ort hier eigentlich?" Die beiden waren in schnelles Spaziertempo übergegangen, da sie nicht erwarteten, weiter verfolgt zu werden. Sie waren am Strand angekommen und dieser war von üppiger Vegetation gesäumt. "Dein Ernst?", fragte der andere, "du weißt nicht, wo wir hier sind?" Er hatte ein sehr jung aussehendes Gesicht. Er trug ein Tuch um den Kopf, das Stirn und Haare einschloss. Ähnlich dem, das der Rote aufgrund seiner sehr auffälligen Haarpracht in Lodea trug. Die Kleidung des Fremden war Seemannskleidung. Eine Art Matrosenhemd und die passende Hosen dazu. Außerdem trug er leichte Lederschuhe und Arbeitshandschuhe. Sein Körper war sehr schmal und zierlich gebaut für einen mutmaßlichen Matrosen. "Der Meistgesuchte, ja", erwiderte der andere lachend. Er hatte eine sanfte Stimme. Und Robert erkannte am Dialekt nicht, woher der Junge kommen mochte., obwohl er den Dialekt schon in Grand Storm gehört hatte, da war er sich sicher. "Ich bin Robert Kenway", stellte sich der Rote vor. "Marc Read!", sagte der Fremde.
      Die beiden tummelten sich am Strand, aber gingen dann wieder hoch Richtung Stadt. "Bist du ein Pirat?" "Angehender, würde ich sagen. Ich bin mit meiner Crew auf einem Handelsschiff auf den Weg in die Neue Welt. Und du?" "Ja, ebenfalls, ich such eigentlich noch eine Mitfahrgelegenheit." "Dann komm mit", bot Robert sofort an, ohne Capone gefragt zu haben, ob er Crew auflesen dürfe. "Woher kommst du?", fragte der Rote. "Ich komm aus Irwing in Grand Storm." "Ah, ich wusste ich kenn' den Dialekt, aber ich war nicht sicher, hätt Castakle sein können." "Jo, Castakle ist tiefster Norden. Aber ne, ich bin aus Irwing. Kommst du aus Lodea?" "Ne, Swanlake." Die beiden liefen direkt zwei Männern in die Arme. "Da!", rief der eine. "Nicht wahr!", sagte der andere. "Och ne!", sagte Marc. "Nicht aufgepasst", bestätigte Robert. Der eine der beiden griff gleich nach Marc, der andere begann zu rufen. Wahrscheinlich würde gleich die Bande wieder angetanzt kommen. Marc wich zurück und Robert verpasste dem Piraten eine. "Was hast du denen denn getan, Marc?", fragte er. "Nicht genug!", antwortete dieser. "Wie gut kämpfst du, Marc? Sind soweit ich sehe sechs gegen zwei, dürfte machbar sein." Aus Richtung Strand tauchte nun die andere Bande wieder auf. "Ey, verpisst euch!", hörte man sie rufen. "Was wollt ihr schon wieder?", gab es zurück. Weitere Nettigkeiten wurden ausgetauscht. "Ey, ich gehöre zu dem hier, ihr könnt die Streitereien lassen!" Es schien, als vertraute Marc darauf, dass Robert es ernst meinte und sie zusammen weiter reisen würden. "Komm doch zurück!", rief einer der Piraten." "Bitte!", rief ein anderes Mitglied der Bande. Robert war verwundert. Die wollten seiner Begleitung gar nichts, die wollten Marc wiederhaben. "Lasst sie in Ruhe, sie gehört zu uns!" Die andere Bande ging in handfeste Drohungen über. Das Gemenge kochte sich wirklich hoch und könnte gefährlich werden."Ich fass es nicht Marc, sie streiten sich um dich. Die woll'n dir gar nich ans Leder?" "Ja, tschuldige Robert. Danke dennoch, dass du mir geholfen hast." "Du hast mich da mit reingezogen." Der Rote wusste nicht recht, wie er seine Gefühle dementsprechend einordnen sollte. Grundsätzlich würde er jedem Helfen, aber so war es doch etwas übergriffig. "Ich will nicht mit denen Segeln...", sagte Marc. Robert hörte sofort die Ernsthaftigkeit aus der Stimme heraus. Bei den Piraten wurden bereits die Waffen gezückt. "Schau...", sagte Marc und zog sein Kopftuch, das Hemd und die Handschuhe aus. Der Rote traute seinen Augen kaum: Marc war eine junge Frau. Sie hatte kurze hellblaue Haare, die eine ähnliche Farbe wie ihre Augen hatten. Unter dem Matrosenhemd trug sie ein enges Unterhemd, unter dem man deutlich ihre Brust sah. "Man hat's nicht leicht als Frau auf 'nem Piratenschiff." "Sag' das doch gleich, du Idiot!", tönte der Rote. Es war nun wirklich gefährlich geworden, die Banden hatten Robert augenscheinlich als Feind ausgemacht, der ihnen das Mädchen wegnehmen würde. "Schaffen wir das unbewaffnet?", fragte Robert. "Ist das dein Ernst?", fragte Marc entgeistert, "Ich setzte hier auf dich und du willst dich unbewaffnet mit einer Horde Piraten anlagen? Man bist du bescheuert!" Das war wahr, Robert war von Bord gegangen, ohne sein Glücksschwert aus der Kabine zu holen und ohne sich bei Capones Leuten eine Waffe zu borgen. Der Rote ballte die Fäuste. Da knallte es. Ein Schuss fiel. Ein Mann mit schwarzen wehenden Haaren und einer langen Flinte mit dem Mündungsfeuer zum Himmel gerichtet stand da: "Lasst meinen Käpt'n in Frieden!" "Ben!", rief der Rote. "Ebenfalls!", hörte man eine weitere Stimme. Ein großer, kräftiger Mann und ein ebenfalls großgewachsener, dünner Kerl hielten die Waffen bereit. "Ihr habt euch bis an die Zähne bewaffnet, Jungs!" , lachte Robert. "Ich bin der Rote Shanks! Wir bleiben alle ruhig!", rief Robert der Meute zu. Doch es half nichts, die Piraten waren kampfbereit. Robert und Marc nickten sich zu und rannten los. Ben, Yasopp und Lou begannen zu feuern. Shanks räumte mit einem Schlag einen der Piraten ab. Hinter ihm traf Marc einen der Piraten, der stöhnend zu Boden ging. Weitere Piraten zogen die Köpfe ein vor den Kugeln der Shanksbande. Die Jungs gaben nur ein paar Schüsse ab, da hörte man bereits Geschrei nach den Stadtwachen. Zwar war auf Funacera relativ viel gestattet, allerdings würde ein Gemenge mit Schusswaffengebrauch auch unterbunden werden. Die Jungs verzogen sich so schnell wie sie aufgetaucht waren wieder. Man würde sich später im Hafenviertel wieder treffen, so viel war gewiss.
      "Das ist Marc, Leute, unser neues Crewmitglied, jedenfalls bis in die Neue Welt." "Hey", warf der Neuling ein, "Tarnname ist Marc Read, aber mein echter Name ist Marianne Write."
    • Kapitel 34: Triangle

      "Was ist das Triangle denn genau?", fragte Ben. "Ich hab damals im Kerker gelesen, dass es ein großes Gebiet zwischen der Alten und der Neuen Welt einschließt", erklärte Robert. "Gelesen hab ich auch darüber, aber stimmt der ganze Kram?" "Naja", sagte Mary, "ich hörte, dass die Angst durchaus berechtigt sein soll... aber Riesenkraken, singende Sirenen, die Seefahrer auf ihre Inseln locken und sie dort verschlingen..." "Untote Geisterpiraten, die seit Ewigkeiten im Triangle umherirren...", ergänzte Ben. "So ein Blödsinn", warf Lou ein. "Seemonster meintwegen", sagte Yasopp, "ich denke, da gibt es Viecher unterhalb des Meeresspiegels, die wir nicht kennen und die nie einer gesehen hat..." "Oder nie davon berichten konnte", warf Lou ein. "Eben", pflichtete Yasopp bei, "das halte ich für möglich, aber wandelnde Tote?" "Was ist mit den menschenfressenden Stämmen?", fragte Mary. "Hm", sagte Ben, "darüber hab ich gelesen, darum ringen sich Legenden." "Ist was anderes, sie in einem Roman zu lesen oder in 'nem Sachbuch über Seefahrt", widersprach der Rote. "Ist mir klar", sagte Ben. "Wir werden ja sehen", grinste Robert, "in den nächsten Wochen. Kannibalen, Seemonster und Geisterpiraten..." "Cheers, darauf trink ich", rief Lou und prostete mit seinem Wein dem Roten zu. Robert lachte. "Aber mal ernsthaft, warum Triangle? Isses dreieckig?", fragte Mary. "Naja", sagte Yasper, "natürlich ist das Gebiet mitten im Meer nicht katographisch eindeutig, aber grundsätzlich...", er legte mit Zigaretten, seinen Streichhölzern und einem Korken die Karte. "... grundsätzlich haben wir drei Orte, einmal hier unser Startgebiet Funacera. Desweiteren haben wir das obere nördliche Ende des AllBlue." "Oben am Nordkontinent der Neuen Welt." "Genau, Mary. Und unten das untere Ende des AllBlue am Südkontienent. Ich hab den Namen der Insel jetzt gerade nicht greifbar. Robert kam mit einer Karte angelaufen. "Tribago?", rief er fragend. "Genau, das war's." Eine Windböe hatte die improvisierte Karte bereits mehrmals auseinander genommen, also musste es nun die echte Navigationskarte richten. Robert blätterte sie vor den anderen aus. "Wo ist denn...", sprach er vor sich hin. "Funacera", rief Mary und zeigte auf einen Fleck auf der Karte. "Genau..." "Hier ist der Nordkontinent und hier unten Tribago, die südlichste Insel des AllBlue..." "Schaut", sagte Yasopp, "ergibt ein Dreieck." Er fuhr mit einer Zigarette als Zeigestock daran lang. "Es läuft dreieckig auf den AllBlue zu, aber wo sind nun die gefährlichen Orte, von denen die Seefahrer sprechen?", fragte Lou. "Vielleicht ist alles gefährlich", schlug Mary als Antwort vor. "Das Ende des Triangles sind die ersten Inseln von NASSAU", las Robert von der Karte vor. "Das ist hier." "Viele der Inseln im Triangle sind nicht wirklich kartographiert. Sie sind nicht namentlich erwähnt oder gänzlich unbekannt", erklärte Yasopp, "man kann sich also nicht darauf verlassen, dass alles hier akkurat ist." "Das wird bestimmt toll!", rief Robert. "Oh ja!", pflichtete Mary bei.
      Kaum war die Crew wieder richtig auf die nächste Etappe im Meer eingestellt, da zeigte es sich bereits von einer unangenehmeren Seite. Ein Sturm überraschte die Crew des Nachts. Die Jungs rannten an Deck. Vileone betete bereits unter der geschlossenen Falltür zum Deck, als Mary aus ihrer Kabine kam und ihn anmotze: "Ey, mach Platz, ich muss helfen!" Er fing an, ihr erklären zu wollen, dass die das schon ohne sie schaffen würden, aber Mary ließ sich nicht beirren: "Pass auf, du kannst hier warten, ich werde dich nicht verurteilen, weil du Angst hast, aber ich gehöre nach draußen an Deck." Vileone nickte und riss die Tür auf. Mary sprang an Deck und rannte zu Robert. "Das Segel", rief er. Beide kletterten das Netz des Hauptsegels hoch. Marys Klinge trennte blitzschnell das Segel, welches das Schiff im Sturm so stark schwanken ließ. "Robert, jetzt du", rief sie. Sie war bereits schneller oben als der Rote. "Ich bekomm's nicht gelöst!", rief er ihr zu. "Hier!", sie warf ihr Messer. Shanks blinzelte. Das Messer steckte kaum 50 Zentimeter neben ihm im Mastholz. "Klasse!", rief er, zog es heraus und kappte das Tau. Das Schiff zappelte wieder stark im Sturm. Mary warf sich mit dem Schwung des Schiffes und wurde um den Mast herum geschleudert. Donruna, Boccusio und die anderen bekamen einen Riesenschreck, aber Mary warf sich geschickt auf des Netz und kletterte augenblicklich los nach unten. "Meine Güte", sagte Lou, "das ist wirklich unglaublich stark." Yasopp nickte nur. "Robert kam auch wieder runter. "Stark!", rief auch er und er und Mary klatschten ab. "Nächstes Mal bin ich schneller!", sagte Robert. "Ihre bescheuerte!", sagte Boccusio im Vorbeigehen. "Da hat er Recht", sagte Ben, der ebenfalls mit Robert und Marianne abklatschte. Noch bevor es Morgen wurde, war der Sturm so schnell verzogen, wie er gekommen war.
      Das Trianlge hatte seinen eigenen Regeln, seine Launen. Es spielte mit den Seefahren. Es hetze ihnen Stürme auf den Hals. Strudel verschlungen Schiffe. Tornados ließen die Schiffe tanzen... Oder es passierte einfach gar nichts. Kein Lüftchen regte sich. "Schlafende Gottere!", rief Vileone. "Zu lange, wire verhungere auf See!", rief Boccusio und streckte die Arme zum Himmel. "Meine Güte", motzte Lou, "es sind nun zwei Tage und nicht 2 Monate ihr Idioten!" "Lass sie doch", sagte Yasopp. Die beiden spielten Karten an Bord. Es war nicht nur extrem windstill, sondern auch unerträglich heiß auf dem Schiff. Unter Deck heizte es sich auf und oben auf Deck war man der Sonne ausgesetzt. "Ich lass sie ja, aber davon krieg' ich schlechte Laune bei der Dreckshitze." "Wie kannst du eigentlich sieben mal in Folge beim Kartenschippern verlieren? Bin ich so gut oder du so scheiße in dem Spiel, Loui?", fragte Yasopp. "Ach, halt doch die Fresse", sagte Lou und warf sich nach hinten. Mit seinem Hemd hatte er sich ein Kissen gebaut. "Vom Krähennest aus!", rief Robert. "Niemals", rief Mary. Die beiden sprangen von Deck aus ins Meer. Mit dem Hauptdeck hatten sie begonnen, waren dann zum Bugdeck übergegangen, was höher gelegen war. "Wie alt seid ihr?", rief Ben. "Beim Roten wundert's mich nicht, er ist 13, aber bei dir Mary?"

      Kapitel 35: Flaute

      Am Abend kam eine kühle Brise auf. Zumindest schien in weiter Ferne eine kalte Luft vorhanden zu sein. Das machte Hoffnung auf die Brise, die ein Schiff zum Weiterfahren bringen konnte. Langsam bewegte sich das Schiff. Es war aber bereits unheimlich neblig geworden. Eins der Markenzeichen des Triangles: der dichte Nebel, in dem angeblich Schiff und vor allem Crew verschwand, sodass irgendwann nur noch die leeren Schiffe gefunden wurden. Diese Geschichten hatte man sich nun auf dem Karren von Bonnet gerade während der Flaute öfter erzählt. "Man sieht die Hand vor Augen kaum noch", sagte Bonnet an Deck zu seiner Frau. "Jemand sollte aufpassen, dass wir nicht gegen eine Klippe fahren. "Das Schiff ist unglaublich langsam unterwegs. Wir würden noch einlenken können. Außerdem müsste es mit dem Teufel zugehen, Liebste, wenn hier gerade jetzt eine Felswand auftaucht, wenn der Nebel so dicht ist." "Wenn du meinst, mein Schatz." "Aber klar, Liebling, keine Sorge, wir legen uns gleich Schlafen und morgen geht es bestimmt weiter mit einer kräftigen Brise." Marianne träumte schon von Sonne, Nebel und skeletthaften Seemännern, die sich im Triangle von Menschenfleisch ernähren. Als sie am Morgen geweckt wurde, um eine Wachablösung zu machen, stand dort schon wieder ein bibbernder Vileone an Deck. Lou war gerade am Steuer. "Was ist denn mit dem los?", fragte Mary. "Man, der bibbert hier schon seit Stunden rum, dabei hat der nicht mal Dienst", seufzte Lou. "Warum denn? Bei Sturm hatte er auch bereits Angst." "Keine Ahnung, er behauptet, heute Nacht waren komische Stimmen im Nebel zu hören und Leute würden verschwinden." "Abere Lu-o, ich sage, sinte verschwunden!" "Achwas, Vileone", sagte Mary sanft und drückte Vileone leicht den Oberarm. "Nichte berühre, ich bekommen Angste, Hände aus dem Nebel grabsche!" Lou schüttelte den Kopf. "Ey, ich leg mich hin, übernimmst du? Andere Seite ist noch einer von Capones Leuten und Boccusio müsste auch gleich ablösen am Heck." Er ging Richtung Falltür zu seinem Schlafdeck. "Achso, und Zappelphillip haste auch noch als Verstärkung. Oder kommste mit unter Deck, Vil?", rief Lou ihm zu. "Neine, äh, ich passene auf...", antwortete der bemitleidenswerte Vileone. Er lief nervös umher. Nach einigen Minuten kam er wieder zum Bug gelaufen. "Ich hab nach unten geschickte, den Wachposten und äh... ich sage dire Marie, Boccusio iste verschwunden..." Er flüsterte. "Ach, Vileone, der pennt bestimmt, hol ihn mal aus der Koje." Vileone schaute sich um, als würde er sich beobachtet fühlen. Der Nebel war zwar nicht mehr so dicht, aber durch das spärliche Licht an Bord sah man so gut wie gar nichts an Bord. Er nahm die Lampe in die Hand und stand zögernd da. "Ich bine... noch da." "Okay", antowortete Marianne. "Äh em, Marie, eh, kommte du eben mite mir?" "Meine Güte Vileone, jetzt reicht es aber!", motzte Mary, "Flitz jetzt zur Luke, schließ sie hinter dir und weck den Donruna und schick ihn rauf. Unter Deck werden die Geister ja wohl kaum lauern oder?" "Gute Argentatione", meinte Vileone, "ich errenne!" "Klasse!", erwiderte Mary bestärkend. Vileone war endlich unter Deck verschwunden, die ganze Angst und Anspannung musste ihn völlig fertig gemacht haben, dachte sich Mary noch. Aber da fiel ihr etwas auf. Auf der Reling saß eine Möwe. Sie hörte sie krächzen und warf ihr Lampenlicht in die Richtung. Sie ließ ihre Gedanken weiter schweifen und starrte in die Nacht, doch dann hörte sie erneut das Flügelschlagen von Vögeln. Sie stutzte und auf einmal pochte auch ihr das Herz. "Seevögel... wo brüten Seevögel wie Möwen?" Sie lief zur Reling und hielt die Lampe so weit wie möglich nach draußen. Und tatsächlich, dort schwamm eine weitere Möwe. Das Wasser war in der Nacht natürlich schwarz. Schnell rannte sie zur Kapitänskajüte und klopfte. "Capone", rief sie, "Capone, ich brauche eine große Lampe! Es könnte sein, dass wir..." Da öffnete sich auf bereits die Tür. "Was ist los, Mary?" "Ich glaube, wir sind auf eine Insel aufgelaufen oder werden das zumindest gleich, ich brauche eine Lampe, die größte, die wir an Bord haben." Bonnet kam mit hinaus gerannt in seiner Schlafkleidung, aber auch diese sah noch feiner aus, als die Tageskleidung der Jungs aus Lodea. Die Lampe erhellte vor dem Bug das Meer und tatsächlich: Sie trieben bereits zwischen Felsen und Sandbänken und weiter hinten glaubten die beiden eine große Insel zu erkennen. "Herr Gott!", rief Capone. "Kapitane! Kapitane!", hörte man eine Stimme. "Oh, der arme Vileone", sagte Mary zu Bonnet, "Er hat schon die ganze Zeit Angst und stand an Bord rum, ich konnte ihn eben erst unter Deck schicken und beruhigen." "Was ist denn los, mein..." Vileone kam ins Licht der Lampen getreten, er war kreidebleich und zitterte noch schlimmer als vorher. "Es sind keine Geister...", begann Mary, aber Vileone stammelte nur: Sie sinte weg! Weg sinte!" Capone kannte seinen Navigator sehr gut und hatte nun das Gefühl, dass dieser nicht nur eine seiner typischen reingesteigerten Horrorszenarien in seinem Kopf hatte. "Wer ist weg, mein lieber Vil?", fragte er. "Donruna, der liebe Donruna weke, unte, mein Boccusio, weke!" "Ach was, Lou sagte mir vorhin noch, dass Boccusio Dienst hatte." "Wirf den Anker, Mary, wir dürfen nicht auf eine Sandbank auflaufen und feststecken. Hoffen wir, das Wasser ist noch hoch genug an dieser Stelle." Er ging mit Vileone los Richtung Bug, um zu schauen, was dort mit der Wachablösung los ist. Und natürlich um Vileones abenteuerliche Geschichte zu überprüfen, dass hier Leute auf dem Schiff verschwinden würden. "Achja, und sehr gute Arbeit, Mary! Wirklich großartig!", lobte Käpt'n Bonnet.

      Kapitel 36: Spuk an Bord

      "Verdammt", rief Bonnet aus der Dunkelheit. Mary lief auf ihn zu. Bonnet allerdings beachtete sie gar nicht und verschwand in seiner Kapitänskabine. Marianne lief ihm hinterher. "Käpt'n Bonnet, was ist denn los?" Bonnet saß drinnen und umarmte seine Frau. Sein Kind lag friedlich neben den beiden und schlummerte. "Euch geht es gut", sagte Capone, "euch passiert nichts." Er ging zu seinem Sohn und streichelte dem schlafenden Kleinen über den nackigen Kopf. "Mary", sagte er nun und nahm sie mit nach draußen. Er flüsterte, damit seine Frau sich keine Sorgen macht: "Es stimmt. Was der Vileone sagt." "Ach Quatsch...", fauchte Mary. "Doch. Mehrere Crewmitgleider und auch Donruna und mein Koch Boccusio sind verschwunden." Mary wurde nun auch mulmig zu Mute. "Was ist mit der Shanks-Bande?" "Oh nein, schau besser nach!", keuchte Capone. "Ich bleibe hier, ich lasse meine Familie nicht aus den Augen!" Er lief wieder hinein zu seiner Frau. Mary schaute sich um, sie konnte aufgrund der Dunkelheit der Nacht nicht viel erkennen. Sie nahm ihre Lampe und öffnete die Falltür unter Deck. "Robert!", rief sie. Keine Antwort. "Was ist los?", hörte sie eine vertraute Stimme. Sie warf ein Licht auf die Nebenkoje, darin schlief Lou friedlich und Yasopp schaute sie aus seinem Schlafplatz darüber an. "Okay", sagte Mary nur und flitzte weiter. Sowohl Robert, als auch Ben waren verschwunden. "Was zur Hölle ist hier los?", dachte sie. Erneut an Deck sah sie den zusammengekauerten Vileone. "Vil", sagte sie und stapfte auf ihn zu. "Arrr!", zischte er. Aber dann erkannte er sie natürlich. "Marie, nichte weggehen!" "Ist ja gut, komm einfach, wie schauen, wohin die anderen verschwunden sind!" "Nai, nai, ich habe sie gesehe!" "Wen hast du gesehen, Robert und die anderen?" "Naaj, ich habe gesehe, Boccusio ginge von Boad. Und dabei warne Geister!" "Ach, das ist doch...", aber sie hielt inne, vielleicht hatte Vileone wirklich etwas gesehen und es aus seiner Angst heraus als Geister interpretiert. "Ich glaube dir", sagte sie schließlich und kniete sich vor den verängstigten Vileone: "Erzähl' mir genau, was du gesehen hast." "Also, Marie, ich habe gesehene Bocciso und gehen mite eine Geisterfrau." "Geisterfrau, okay, wie sah sie aus?" "Sie ware Frau, schöne Frau mit Tüchern. Wehe in Winde." "Es ist Flaute, Vileone, wir haben keinen Wind." "Nein, sie schnelle unterwegs, laufene, wie Tanz." Marianne verstand, dass da nicht viel mehr heraus zu holen war und bat Vileone, ihr zu zeigen, wo er die Person gesehen haben wollte. Vileone kam zur Reling geschlichen und zeigte auf ein Stück Strand, ganz nahe der Sandbank, vor der Capones Schiff ankerte. "Dorte, genau. Aber du geheste nicht..." Er kreischte auf, denn Mary machte einen Sprung über die Reling und rollte sich im Sand der Sandbank ab. Vileone sank hinter der Reling in die Knie. "Dachte ich's mir", sagte Mary leise. "Von wegen Geister."
      Mary kletterte an der Bordwand empor und sprang neben Vileone auf die Planke. "Komm, zum Kapitän, Vileone." Dieser war froh, nicht allein bleiben zu müssen. Die beiden berichteten Capone, dass Vileone eine Geisterfrau gesehen hatte, die Boccusio entführte. "Käpt'n Bonnet", sagte Mary, "das waren keine Geister, ich war draußen auf der Sandbank. Dort sind eindeutig Fußspuren im Sand." Vileone kreischte schon wieder. "Psst, mein Kind wacht auf und meine Frau bekommt Angst", mahnte der Kapitän. Vileone verstummte schnell wieder. "Du glaubst also, dass irgendwer hier draußen ist?" "Ganz genau, irgendwer ist auf dieser Insel." "Kannbale!", zischte Vileone, "ich lase Kannbale..." "Vileone, meine Familie braucht sowas nicht zu hören!" "Enteschuldige Kapitane!" "Ich werde, sobald der Morgen anbricht und ich genug sehe, um mich zu orientieren, die Insel untersuchen." "Okay, Mary, vielen Dank", nickte Capone. "Ich werde bis dahin mit Vileone schauen, wer noch an Bord ist, und die Leute versammeln, sodass keiner mehr überrascht werden kann." "Sehr gut, einverstanden." "Ich mochte nichte schauen", flüsterte Vileone, als Mary losging. "Okay, wie du willst, dann bleib halt hier an Deck allein..." Sie öffnete die Bodenluke um unter Deck zu gehen. Vileone schaute sich um, aber dann flitzte er schnell hinter Marianne her. Alleine an Deck kam ihm weit gefährlicher vor, als mit der immerhin mutigen Mary zu gehen.
      "Yasper", flüsterte Mary, "Yasper, bist du wach?" "Ey, was'n los?" "Nicht aufregen, wenn ich das nun sage, okay?" "Sag einfach..." Er war sichtlich schlaftrunken. "Einige Leute der Crew sind verschwunden. "Ist das dein Ernst?" Lou war aufgewacht. "Ja, echt." "Was ist da los?", fragte Yasopp. Mary erzählte von Vileones Sichtung eines vermeindlichen Geistes und ihrer Untersuchung der Fußspuren. "Okay, gehen wir der Sache nach." "Verdammt man, was für ein Mist, hier nachts aufstehen zu müssen, ich hab..." "Lou", hob Mary mahnend die Stimme. "Schon gut, schon gut, hast natürlich recht, Sekunde." Die beiden standen auf. Lou steckte seine Pistole in den Bund und Yasopp packte seine Flinte. "Was ist mit Robert und Ben? Hast du sie schon geweckt?", fragte Lou. "Nein...", sagte Mary, "Sie sind..." "Verarsch mich nicht!", schnauzte Lou, "Die beiden auch?" Mary nickte. "Irgendwas ist doch komisch", sagte Yasopp, "gerade Ben und Robert lassen sich doch nicht einfach entführen. Da gäbe es Gegenwehr." "Auf jeden Fall", pflichtete Lou bei. "Spuren sagst du?" Mary zeigte den beiden die Sandbank mit den Abdrücken. "Sobald wir bessere Sicht haben, machen wir uns auf, die Insel zu erkunden." Yasopp stand am Strand und hielt die Lampe in verschiedene Richtungen. Er ging auf und ab. "Über was denkst du nach, Yasper?", fragte Mary. Sie wusste bereits, wenn jemand Dinge durchschaut, dann Yasopp. "Mich wundert, dass es Fußspuren sind." Er lief ein Stück weiter. Das seichte Wasser umspülte auch einige Meter weiter Fußspuren im Sand, die weiter über die Sandbank führten. "Schaut, Füße im Sand. Schuhe wahrscheinlich." "Ja, na und?", sagte Lou, "Sie werden ja wohl kaum fliegend das Schiff verlassen oder betreten." "Eben. Lou, wenn jemand entführt wird, wird er doch nicht einfach mit seinem Entführer auf eine gruselige, unbekannte Insel irgendwo am Arsch des Triangels latschen!" "Du hast Recht", sagte Mary nachdenklich, "Du meinst, sie hätten geschliffen werden müssen, falls sie ohnmächtig oder tot wären oder getragen wurden. Aber die Spuren führen vom Schiff weg. Also mehr als dorthin." "Genau", Yasopp stand wieder einige Meter weiter zum Festland der Insel hin, "Hier sieht man es ganz deutlich: eine Spur kommt von der Insel, zwei gehen kaum 3 Meter entfernt wieder hinein." "Robert und die anderen hätten minutenlang Zeit gehabt, sich bemerkbar zu machen", merkte Mary an. "Ja, oder sich einfach davon zu machen. In der Dunkelheit wäre es wohl kaum möglich, jemanden effektiv zu verfolgen", sagte Yasopp. "Sie hätten rufen können oder sich ins wasser werfen, man, zumidnest Robert und Ben hätten das gemacht", meinte Lou. "Naja, man hätte ihnen eine geladene Waffe an den Kopf halten können", merkte Yasopp an. "Ey, Yasopp, es ist Robert, dem kannste auch eine geladen Schiffskanone an den kopf halten und der hat noch eine große Fresse..." "Auch wahr", musste Yasopp zugeben. "Eine Möglichkeit gäbe es allerdings noch", deutete Marianne an. "Kennt ihr die Geschichten um Teufelskräfte?"

      Kapitel 37: Unsere Heldin

      Als es morgens hell genug war, machte sich Mary auf. Vom Schiff aus konnte man die Insel erkennen. Es gab keine hohen Klippen, aber dichte Vegetation und sehr hohe Bäume, die direkt hinter einem Strandabschnitt, der einige Meter breit war, begannen. Capone, seine Familie, Vileone und zwei Küchenhilfen waren neben Lou, Yasopp und Mary die einzigen noch an Bord verbleibenden Personen. Capone hielt Mary an den Schultern: "Pass auf dich auf, Mädchen." Er war wirklich wie ein Papa. Er würde bestimmt ein guter Vater für sein Kindchen sein - wenn sie es hier lebend rausschaffen sollten. Yasopp und Lou waren ebenfalls startbereit. "Man, ich bin wohl übermüdet...", murmelte Lou vor sich hin. "Was meinst du?", fragte Yasopp. "Ach, ich dachte... ne..." "Sag schon", drängte Yasopp. "Ich dachte, ich hätte jemanden am Ufer winken sehen." Schnell fügte er hinzu: "Hab mich geirrt." Yasopp schaute nachdenklich. Er hatte ebenfalls vorhin schon etwas aus dem Augenwinkel gesehen, es aber aufgrund noch vorherrschender Dämmerung und der unbekannten Insel auf einen Schatten, der komisch fiel, oder ein wildes Tier geschoben." Mary versicherte, vorsichtig zu sein. Sie hob ihr Hemd leicht an und zeigte Capone ihre Messer am Gürtel. Lou nahm eine große Machete zur Hand, die an Bord war. Damit würde man das Dickicht beiseite schaffen können. Die drei liefen los. Sie folgten den Spuren auf der Sandbank. Sie führten direkt in den vegetationsgesäumten Bereich. "Hier ist auch was runtergetreten. Von wegen Geister!", sagte Mary. "Lou, gib mal die Machete rüber." Sie schlug einiges an Blättern und Zweigen ab. Und tatsächlich bahnte sich ein kleiner heruntergetretener Weg durchs Unterholz. "Du darfst gern vorgehen, ich reiß mich echt nicht drum", sagte Yasopp, der wenige Meter hinter Mary ging. "Passt auf, durch das Unterholz könnt ihr mögliche Feinde vielleciht erst spät erkennen." Yasopp hielt seine Flinte in der Hand. Sie kamen an eine lichte Stelle. Wasser stand darin und der Sand war sehr hell. Sie konnten noch nicht weit vorgedrungen sein. "Ich verschaffe mir Übergblick auf einem der Bäume, ihr schaut nach..." "Wir sind richtig!", hörte sie Yasopp rufen. "Hier wurde Dickicht entfernt." "Sehr gut", Mary kletterte ein Stück, bis sie weiter schauen konnte, allerdings waren die Bäume hier nicht hoch genug. "Dort, wo du stehst, Yasopp, dort weiter. Die Bäume dort werden höher und es geht ins Inselinnere. Wo ist eigentlich Lou..." Yasopp fuhr herum. "Verdammt!", rief er und lief zu der Stelle, aus der sie aus dem Buschwerk kamen. "Man, das kann doch nicht sein!", rief Mary. Sie kletterte herunter. Yasopp rief nach Lou und ging ein Stück in den Busch zurück. "Er ist verschwunden. Selbst Lou?" Yasopp klang verzweifelt, "Geht mein Abenteuer so zu Ende?" "Yasper, wir wissen doch noch gar nicht, was hier vor sich geht." "Ich glaube, ich hab eine Frau gesehen..." "Was?", Mary schaute Yasopp scharf an. "Raus jetzt mit der Sprache!" "Also, vorhin schon an Bord hatte Lou mir gesteckt, dass er jemanden am Strand geshen hatte. Jedenfalls dachte er das. Und so ging's auch mir. Ich sah eine Art..." Er zögerte. "Eine was?" "Ja, wie Lou. Eine Frau, die aussah wie von einem Eingeborenenstamm aus einem Buch." "Ihr habt das beide gesehen?", fragte Mary um sich zu vergewissern. "Ja... ich hab's ihm aber nicht gesagt, dass ich's auch gesehen hab. Ich glaub auch nich an irgendwelche scheiß Geistergeschichten. Aber ey, diese Kannibalen und was es da alles gibt..."
      Die beiden gingen weiter. "Bah, eine Schlange", zischte Yasopp. "Harmlos, schau dir das mal an." Sie zeigte auf ein Netz mit einer großen Spinne darin, die nur wenige Zentimeter vor ihren Augen hing. "Oh ne", maulte Yasopp. "Deswegen, halt die Augen offen." "Ist die giftig oder was?", fragte Yasopp. "Keine Ahnung, hässlich reicht aber meiner Meinung nach." Eine kleine Felswand vor den beiden war ebenfalls schnell erklommen. "Hast du das auch gesehen?", fragte Yasopp. "Was denn?", fragte Mary, "Und gib mir mal die Wasserpulle." "Ich glaube, ich dreh hier durch. Ich dachte eben, nackte Leute durch den Wald laufen zu sehen. Man Mary, der Ort macht mir Angst." "Ich versprech dir, wir finden's raus, Yasopp, nicht abdrehen, mehr musst du nich tun." "Klar", stimmte Yasopp zu. Auf dem felsigen Stück fand sich auch ein großer Baum. Mary begann, diesen zu erklimmen. "Wenn's ein Dorf gibt und die Feuer nutzen, seh ich es gleich. Außerdem werd ich einen Überblick haben und mich auf der gesamten Insel orientieren können." "Okay, los los, ich ruh ich aus." "Klasse Rollenteilung", rief Mary spöttisch herunter. "Ey, ich bin noch nicht durchgedreht." Er schaute in die Bäume, Büsche, Gräser, den vorbeifliegenden Vögeln hinterher. "Aber bald."
      Mary kletterte sehr geschickt, aber der Baum lud auch dazu ein. Als zusätzliche Stufen nutzte sie ihre Messer, die sie ins Holz rammte, um einen sicheren Tritt zu schaffen. "Alles klar, Yasopp", rief sie herunter. Yasopp winkte, er stand mit dem Rücken zu ihr und erleichterte seine Blase im Gebüsch. Mary kletterte einfach weiter. Sie schaute sich um und konnte genug überblicken. In der Nähe sah sie etwas, was wie eine abgeholzte Stelle Wald aussah. "Wo holt man Holz zur Verarbeitung? nahe eines Dorfes. Ha! Hab ich euch!" Zur anderen Seite schien der Wald nur undurchsichtiger und dichter zu werden, außerdem gab es dort stufenartige Steinformationen. Dies bestätigte ihre Vermutung, dass man sich in diese Richtung als Stamm oder was auch immer hier herumspukte, nicht häuslich niederlassen würde. Als sie nach unten sah, erschrak sie allerdings. "Als hätte ich's geahnt", seufzte sie. Yasopp war nirgednwo mehr zu sehen. Seine Wasserflasche und sein Sonnenhut lagen da. Beim Herunterklettern dachte Mary nach. "Jeder von ihnen hat komische Gestalten gesehen und ist kurz darauf verschwunden. Die Crew hatte Angst, aber die Wesen wurden nicht gruselig beschrieben oder angsteinflösend..." Als sie unten ankam, hob sie Yasopps Sachen auf. "Und Yasper ist mit seiner Flinte verschwunden... ein Entführer schafft es, junge, kräftige Männer, die aber ihre Waffen noch bei sich tragen, lautlos zu holen. Das kann ich nicht glauben." Sie ging den Weg entlang, den sie ausgekundschaftet hatte. Der Wald war erfüllt von Geräuschen, Knacken und Zwitschern von Vögeln. Es kam auch wieder etwas Wind auf. "Warum hab ich nichts dergleichen gesehen? Sogar Vileone hat es gesehen... aber er ist nicht verschwunden."
      Mary lief mit geschärften Sinnen und der geschärften Klinge im Ansatz weiter. Von weitem hörte sie Gesänge und Instrumente. Waren diese Kannibalengeschichten wirklich wahr? An musikalische Geister, die ein Dorf im Dschungel bewohnten und Holz hackten, glaubte Marianne jedenfalls keine Sekunde. Sie pirschte sich an. Ein Weg war nun vor ihr erschienen, der waldige Pfad schien wirklich direkt in ein Dorf zu führen. Personen konnte sie keine erkennen. "Wenn ich Robert oder Ben befreien kann, hab ich eine Chance. Hoff ich doch, dass sie durchgehalten haben. Zumindest Lou und Yasopp sind noch nicht lange weg." Sie hörte ein Knacken nah bei ihr und duckte sich blitzschnell herunter. Tatsächlich vernahm sie Schritte. Eine Person lief durchs Dickicht. Sie blickte zwischen den Blättern hervor und tätsächlich: eine Person. Genau so hatten sie sich die Einwohner herfantasiert. Kurze, knappe Kleidung, komischer, fremdartiger Schmuck, barfuß und gepflochtene Zöpfe. Dies musste eine junge Kriegerin des Stammes sein. Aber sie trug Früchte und tänzelte ihres Weges. "Was ist hier los?", dachte Mary.


      Kapitel 38:Nach Piratengeschmack

      Marianne schlich sich weiter durch das Gebüsch am Rande des Dorfes. Sie konnte nun Hütten ausmachen und sogar Menschen erkennen. Sie hielt ihre Klinge im Bund umklammert, als würde sie sich daran festhalten müssen. Menschen tanzten herum. Es tönte Gesang und Gemurmel aus den Hütten hervor und auf dem Platz waren nackte Menschen zu sehen. Die Kannibalen gingen Mary nicht aus dem Kopf. "Nein...", sagte sie zu sich selbst, "das darf nicht wahr sein." Sie rannte auf den Dorfplatz zu und tatsächlich bestätigte sich nun ihre Beobachtung und die daraus gezogenen Schlüsse: Die verschwundene Crew feierte eine Orgie! Donrunas dicker Bauch war von weitem zu erkennen, er tanzte mit einer großen Frau. Neben ihm saß eine weitere Frau mit einem Musikinstrument, das an eine Gitarre erinnerte. Naneben lag Boccusio und verspeiste Früchte. Auf dem Boden lag ein weiteres schlafendes Crewmitglied der Leute von Capone. "Was geht hier vor?", brüllte Mary. "Hallo schöne Frau!", rief eine der Dorfbewohnerinnen "Nimm dir, was du magst, und lausche der Musik!" "Ahh, Traume werde wahr!", hörte Mary Boccusio rufen. Donruna packte die Frau an der Taille und sie liefen hintereinander her. Eine weitere kam dazu und umfasste seinen Hals. "Man, ihr feiert hier eine Orgie und ich suche nach euch!" Marys Anspannung und Sorge hatte sich komplett gelegt, allerdings waren sie nun Wut und Enttäuschung gewichen. Sie konnte nicht deuten, was unangenehmer war. "Boccusio, wo sind Robert und die Jungs aus Lodea?" "Keine Ahnunge!", rief er, "Aber probiere diese Wein! Traumhafte!" Das Dorf war sehr einfach. Die Zelte waren wenig ausgestattet, aber sahen gemütlich aus. Die Stoffe für die Zeltwände waren aus verarbeiteten Pflanzenfasern und man sah Verzierungen und detailreiche Zeichnungen. Mary ging auf eines der Zelte zu. Sie riss den Vorhang vom Eingang und schaute hinein. Lou lag dort und daneben zwei schalfende Dorfbewohnerinnen. Eine wachte kurz auf und gestikulierte, dass Mary das Zelt wieder schließen sollte, da das Licht sie blendete. "Meine Güte!", fauchte Mary. "Die haben mich nicht entführt... Ha, entführt... weil sie sich mit den Männern vergnügen wollten. Ich war also nicht interessant." Aus dem nächsten Zelt kam Yasopp heraus, bevor Mary es öffnen konnte. "Tut mir Leid Mary, ich konnte dir..." - er wurde jäh unterbrochen, denn Mary feuerte ihm einen Schlag unter das Auge. "Ahh, verdammt", motzte Yasopp. "Nicht schlagen, nur Liebe machen!", rief eine Frau, die aus dem Zelt schaute. "Wie man's mag!", rief eine andere. "Das ist wahr", bestätigte eine weitere. Ben kam nun auch des Weges. Er trug eine Art Kimono oder Kleid, das wohl einer nun unbekleideten Frau gehörte. Einige Meter weiter stand eine Frau, ausschließlich mit Benjamins Hemd bekleidet und trank gierig aus einer Schale. "Du hast mich so durstig gemacht, Benny!" "Du machst mich sauwütend, Benny!", keifte Marianne und imitierte die Stimme der Frau. "Bist du eifersü..." Weiter kam er nicht und bekam ebenfalls eine gescheuert. "Guter Schlag", sagte er und hielt sich den Kopf, "Ich schätze, die hab ich verdient..." "Richtige Schelle!", lachte Yasopp. "Du bekommst gleich noch eine!", motzte ihn Mary an. "Und nein, ich bin nicht eifersüchtig, es ist mir egal, aber ich hab mir Sorgen gemacht und mich durch den scheiß Dschungel geschlagen, um euch zu retten." "Geil! Schlagt euch weiter!", rief eine etwas ältere Frau. Sie trug einen Kranz in den Haaren und war nur um den Schambereich bekleidet. "Jeder wie er's mag!", rief eine weitere ältere Frau. Mary lief ein wenig hin und her und trat mit dem Fuß eine Frucht durch die Gegend. "Macht sie mit bei der nächsten Runde im Zelt?", fragte eine der Frauen Ben und Yasopp. "Ich glaub, das wär unangebracht", erklärte Yasopp. "Jeder was er mag", antwortete die Frau, "Alles kann, aber man muss ja nicht." "Wo ist Robert?", fragte Mary. "Wie meinst du?", fragte Ben. "Wir haben euch gesucht, dich und Robert", sagte Yasopp. "Ernsthaft? Ich dachte, er wäre bei euch geblieben, aber jetzt wo du's sagst, als mich die Frau abgeholt hat, war er nicht in seiner Koje." Als sie die Frauen fragten, zeigten diese sich bereit, der Crew den Weg zum Königinnenzelt zu zeigen. Dort durfte man aber nicht einfach rein, man musste erst um Erlaubnis bitten. Es war etwas außerhalb, einen kleinen Pfad weiter in den Wald. Nahe diesem waren Skelette zu sehen. Es hingen groteske Figuren in den Bäumen. Teilweise hing dort Kleidung. "Dies ist ein Friedhof, keine Angst, das sind die Überreste unserer Ahnen!", erklärte die Frau. "Toll", sagte Mary ironisch. Das Zelt war groß und hatte eine Art Gasse aus Pfählen vor dem Eingang. Zweifelsohne war es eine würdige Behausung für einen Stammeshäuptling. Bevor die Frau aus dem Dorf um Audienz bitten durfte, schob sich Mary an ihr vorbei und betrat das Zelt unsanft. Drinnen war das schwache Licht von Kerzen zu sehen. Bevor sich Mariannes Augen an das schwach Licht gewöhnt hatten, stand eine große Frau vor ihr. Sie war nur in ein Tuch gehüllt. Mary fühlte sich kurz bedroht, wollte zu ihrer Klinge greifen, aber war wie gelähmt. Sie hatte das Gefühl, dass ihr schwindelig wurde. "Sie gehört zu meiner Crew, Boa", hörte sie Roberts Stimme. "Setz dich doch", hörte Mary die säuselnde Stimme der Frau. Diese tat sofort, was die Frau sagte und schaute hoch. Die Frau war unglaublich groß, deutlich größer als Robert und die anderen Jungs. "Ich bin Boa, die Schlangenkönigin. Ich bin das Oberhaupt dieser Insel." "Marianne Write", sagte Mary, "Darf ich um etwas bitten?" "Natürlich", bestätigte Boa. "Darf ich Robert Kenway eine runter hauen?" Die Schlangenkönigin war erstaunt über diese Bitte. Mary sprach mit vorwurfsvollem Ton: "Ich hab mir Sorgen gemacht, dass euch was passiert ist. Ich bin durch den Dschungel geschlichen, hab das Dorf gesucht und wollte euch auf eigene Faust befreien..." Robert erschien im Kerzenschein. "Ich dachte, ihr seid entführt worden. Capone und die verbliebenen auf dem Schiff haben furchtbare Angst, immer noch. Sie wissen nicht, ob wir wieder kommen." "Du hast recht Mary, es tut mir Leid", beschwichtigte der Rote. "Stattgegeben!", lächelte Boa. "Wie bitte?", fragte Mary. "Einen harten Faustschlag, dem ist stattgegeben. Körperliche Bestrafung ist eine probates Mittel meiner Meinung nach, Marianne." "Euer Ernst?", fragte Shanks. Aber es war schon geschehen. Robert warf sich auf die Schlaf- und Vergnügungsstelle zurück, denn der Schlag ging in die Magengrube. "Ich empfehle auch die Genitalien anzugriefen bei ungehorsamen Männern!", erklärte Boa. "Reicht das?", fragte Robert nun lachend.
    • Kapitel 39: Seemeilen

      Der Wind nahm das Schiff nun wieder mit. Die Flaute war während der Zeit auf der Insel vergangen. Capone und der Rest der Verbleibenden waren natürlich heilfroh, dass den Männern nichts passiert war. "Die haben mich ernsthaft fast in dem Dorf der Amazonen vergessen!", erzählte Lou mit gespielt motzigem Ton. "Das wär schade", pflichtete Robert bei. "Wir hätten dich sonst gar nicht mehr über Bord werfen können!" "Stimmt", nickte Lou. "Außerdem brauchst du jemanden, der dir die Flausen austreibt. Und Yasopp auch." "Warume haben sie den Vileone nichte geholt?", fragte Donruna, der am Schiffsrad stand. Ben steckte ihm eine Zigarette in den gespitzten Mund. "Danke, Benji, mein Liebeling!" "Na, Vileone hatte zu viel Angst", erklärte Yasopp. "Er hat doch erzählt, dass sie versucht haben, ihn zu locken, aber er hat nur seine Geister im Kopp gehabt." "Naij, iche gar keine Lust!" "Da haste dir aber was entgehen lassen, alter Junge", feigste Lou. "Woher weißten das, du hast doch da nur gepennt, dachte ich", lachte Ben. "Wie ist die Amazonenkönigin denn so?", fragte Capones Frau, die sich mit ans Bug gestellt hatte. "Die Schlangenkönigin", berichtigte Robert. "Ist das echt ein Ding?", fragte Ben, "Schlangenkönigin?" "Sie ist wunderschön", schwärmte Robert. "Ihr redet einen Scheiß", fauchte Mary, die nun an Bord kam. "Ey, sei bitte nicht mehr sauer", begann Yasopp erneut. "Ich bin einfach froh, dass ihr alle heil zurück seid", sagte Capones Frau, "und dass mein Mann nicht mit dabei war!" Die Jungs lachten. "Martai", erklärte Mary, "deinen Mann haben sie nicht geholt, eben weil er eine Frau und ein Kind dabei hatte. Sie verführen die einsamen Seeleute und suchen sich die aus, bei denen sie Erfolg haben." Sie zeigte auf Robert und seine Jungs, "Zum Beispiel diese verkommenen Idioten!" "Ich wäre nicht mitgegagen", sagte Capone, der nun auch auf dem oberen Deck ankam. "Das weiß ich, mein Schatzi", sagte Martai. "Aber Bonnet hätte eventuell den Spuk durchschaut, deswegen haben sie es nicht versucht, denke ich", warf Yasopp ein. "Unte, die Küchenmannes?", fragte Vileone, "Warume nicht sie?" "Naja, die sind doch dermaßen jung. Wahrscheinlich nehmen sie nur ausgewachsene Männer mit", meinte Yasopp. "Dann hätten se dich ja an Bord stehen lassen müssen, Yasper", gab Lou zu bedenken. Nun hatten sie sogar Marianne erwischt. Sie wendete sich ab, um zu lachen. "Wir machen wirklich wieder gute Fahrt!", rief Capone der Crew zu. "Bestense Kapitan!", bestätigte Vileone.
      Der nächste Abend brach herein, man strich die Segel, um nicht volle Fahrt in die nächste Amazoneninsel oder schlimmeres hineinzubrettern. Mary und Robert walteten ihres Amtes. Mary kletterte ins Krähennest. Robert setzte sich neben sie auf die Rah, die Querstange des großen Mastes. "Hey, bist du noch sauer?" "Natürlich. Was denkst du denn?" "Ich kann dir eins sagen, egal wie sauer du bist und wie beschissen die Umstände für dich waren..." Mary schaute ihn an. "Du hast echt abgeliefert." Mary schaute wieder zum Meer. "Die Jungs haben noch drüber gesprochen, wie du es angeleitet hast, den Dschungel zu durchqueren. Du hast dich für uns eingesetzt, obwohl du uns erst kurz kennst." Maianne wollte etwas sagen, das Robert diese Meinung ausschlug, aber sie schluckte es herunter und nahm es an. Klar kannte sie den Roten noch nicht lange, aber sie wusste, dass es ein Lob war, das er nicht leichtfertig aussprechen würde, nur um sie zu besänftigen. "Mary, wir sollten morgen einen Trainingskampf machen." "Du verlierst, Robert, ich hab dich mit den anderen kämpfen sehen." "Das nehme ich als ja", grinste Shanks. "Hast du das Haki der Schlangenkönigin bemerkt?" Mary war etwas verwundert über diese Frage. "Haki oder wie auch immer du es nennst." "Ihren Willen?", fragte Mary zurück. "Nennst du es so?" "Ja, naja, ich hab es als das schonmal gehört." "Es hat wohl viele Namen", stimmte der Rote zu. "Ja, hab ich gemerkt, als sie unsicher war, ob ich ihr feindlich gegenüber stehen würde..." Sie überlegte kurz, um es möglichst verständlich auszudrücken: "Es war, als würde sie wissen, was ich vorhaben könnte - oder besser, wie ich angreifen würde und es blockieren, bevor ich es gedacht habe." "Gut ausgedückt. Ging mir genauso." "Als sie dich entführt hat. Ich verbessere mich: verführt." Robert grinste wieder. Schnell wurde seine Mine aber wieder ernst. "Ja, genau, sie schien mir keine Wahl zu lassen. Als würde sie mich blockieren." "Warum hat sie eigentlich dich mit in ihr Zelt genommen." Sie fügte aber schnell noch eine präzisere Frage hinzu, bevor sie den Roten verleiten würde, hier irgendwelche Details auszuplaudern: "Warum sie dich gewählt hat und nicht Ben oder Donruna." "Naja, sie sagte, sie darf wählen. Die Amazonen beobachten das Schiff und die Männer darauf. Wenn eine sich einen Mann aussucht, lockt sie ihn an, aber die Schlangenkönig darf zuerst und sucht sich den besten heraus." Nun grinste Shanks wieder breit. "Du bekommst gleich echt noch einen dahin, wo die Amazone beim Mann hinschlägt, die Arschgeige!", motze Mary ihn scherzhaft an. Schien, als hätte sie den Jungs ihre Fleischeslust wirklich verziehen. Die Frau an Bord war für die Jungs vielleicht echt ein wichtigerer Faktor, als sie vor der Reise dachten.

      Kapitel 40: Land in Sicht

      Das Schiff strich durch die Wellen des Triagles. Die Vorkommnisse, die einem im Triangle begegnen sollten, hatte die Crew bis dato gemeistert. Von Seemonstern und Strudeln, die Schiffe verschlingen, war noch nichts zu sehen gewesen. Die Kannibalen auf der Kannibaleninsel waren also keine Kannibalen gewesen. "Geisterpiraten?", fragte Lou. "Defintiv, dieses mal sind es welche!", bestätigte Yasopp ironisch. Die beiden vertrieben sich die Zeit, mit dem Fernrohr aufs Meer zu starren. "Das gute Bier ist alle", sagte Ben, der sich neben die beiden setzte und eine Zigarette drehte. "Ich hatte noch eins abbekommen", meinte Lou und schaute wieder ins Fernrohr. "Was ist das?" "Ich sag's ja, Geisterpiraten." "Ne, echt, da is was." "Ich wette auf Seemonster", warf Ben ein und klang weit weniger enthusiastisch, als er versuchte. "Stimmt, das is 'n Schiff." "Ich hab zwar keine Lust, aber ich geh ins Krähennest und schau. Gib ma das Ferndings, Loui!" Ben kletterte hoch. "Ja, pfeif mal, wir streichen etwas Geschwindigkeit, dort dürfte Flachwasser kommen, hinten dürften Inseln sein." "Sicher?", rief Lou hoch. "Ne, könnten auch Seeungeheuer sein, die da hinten am Horizont Limbo tanzen!" "Was?", rief Lou hoch. "Land in Sicht?", fragte Bonnet, der das Geschrei bereits vernommen hatte. Ben kletterte runter. "Ich lass Geschwindigkeit runter nehmen, Käpt'n Bonnet, nicht dass wir auflaufen." "Wir haben ein aufgelaufenes Schiff gesehen, wir rechnen mit Flachwasser", ergänzte Yasopp. "Ich seh, ihr habt alles im Griff, Jungs."
      "Was sind das für Figuren?", fragte Mary. "Ich kenn solche aus Büchern", erklärte Robert, "Und mein Großvater hat Zeichnungen von solchen gehabt." "Gib nochmal das Fernrohr", bat Ben. "Fahren wir näher ran, Donruna!", rief Robert dem Steuermann zu. Dieser gab sein Okay. Er fuhr einen Schlenker um die Landzunge der Insel. Mehrere Figuren waren zu sehen. "Die erinnern mich an Grand Storm...", sagte Robert. "Gibt es solche in Lodea?", fragte Mary. "In Irwing gibt es nichts derartiges." "Quatsch", warf Ben ein. "Nein nein, ich meinte nicht in Lodea. Im Südwesten Grand Storms gibt es die Steinkreise." "Das weiß ich", bestätigte Marianne. Shanks klopfte an die Kapitänskabine. Capone gab auf seine Bitte das Okay, an der Insel zu halten und die Figuren zu untersuchen. "Oh man, Steinfiguren, wie spannend", seufzte Lou. "Schauen wa uns die Insel an, vielleicht finden wa einen Schatz", meinte Yasopp. Die Crew warf den Anker im flachen Gewässer aus und manövrierte das Schiff zum Übertritt auf die Insel. Der Rote wartete die Planke natürlich nicht ab, sondern sprang in den Sandstrand. "Definitiv Kannibaleninsel", sagte Lou. Die Insel sah auf diesem Teil Recht spärlich bewachsen aus. Aber die Landzunge herunter gab es große Wälder. "Ich untersuche die Steine", rief Robert und spurtete los. "Bin dabei und passe auf, dass du nicht wieder Scheiße baust", ergänzte Mary. "Besser isses", nickte Ben.
      "Was suchst du?", fragte Mary. Der Rote reagierte nicht. "Geister", sagte er dann. "Ist das dein Ernst?" "Ja." Mary war etwas verwundert. Sie hatte nicht gedacht, dass Robert ein abergläubischer Typ war. Aber er klärte sie auf: "Also nicht wie du denkst. Ich hab eine Technik gelernt, die Vergangenheit sichtbar zu machen." "Wie soll das gehen?", fragte Mary. "Du hast doch selbst erzählt, was du bei Boa, der Schlangenkönigin, gespürt hast, richtig?" "Ja, genau", bestätigte Mary. "Es gibt verschiedene Formen davon." "Man, Robert, in dir stecken ja Überraschungen. Bist du nicht nur ein stumpfer Haudrauf?" "Doch, aber das kann ich auch", grinste der Rote. "Beweise es!" "Wie bitte? Beweisen soll ich das?" Robert lachte. "Dann komm mit und halt die Klappe, ich muss mich konzentrieren."
      "Es geht darum, gespeicherte Erinnerungen zu finden...", Robert schaute sich um. Der Himmel verdunkelte sich etwas, es schien wieder einen Wetterwechsel zu geben. "Wie soll das funktionieren?", fragte Mary. "Ich hab's so gelernt, dass alles, war wir tun, und alles, was passiert, einen Abdruck in Zeit und Raum hinterlässt." Er schaute sich um. "Also gibt es auch einen Weg, die Informationen wieder hervorzuholen. Man schaut einen Moment an und geht in diesen hinein." Marys Kopf schien zu rauchen. Sie hatte zwar schon von den Fähigkeiten gehört: vom Willen, besonderen Kräften, sowie auch den Teufelskräften, aber so genau wusste sie nichts darüber. "Wo hast du...", "Psst", unterbrach Robert sie. "Irgendwas ist hier." Marianne schaute sich um, sie sah rein gar nichts außer Sträucher, Geröll, Steinfiguren und ein paar Möwen, die auf den Steinen saßen und die Eindringlinge beobachteten. "Jemand ist hier", erklärte Robert. "Ein Geist?", fragte sie. Er schüttelte den Kopf: "Naja, ja, irgendwie schon, aber auch nicht." "Wie...", sie wurde aber jäh unterbrochen. "Ich weiß es noch nicht. Ich muss mich konzentreiren." Er lief ein Stück abseits. Mary beobachtete ihn. "Wer bist du?", hörte sie ihn fragen. "Okay, ich bin Robert." "..." "Ich kenne solche Figuren aus meiner Heimat." "..." "Swanlake". Mary folge dem Treiben und versuchte zu verstehen, was vor sich geht. Und tatsächlich, sie vernahm eine Stimme. "Wa..s ..h..t.. hier.. vor..?" "Ich würde gern wissen, was es mit deinen Steinfiguren auf sich hat." "I... hö...dass ... arn ... erbau... ben..." "Man", fluchte Mary kurz leise. Sie öffnete die Augen und tätsächlich sah sie eine Figur neben Shanks langgehen: ein junger Mann. Er flimmerte und Teile seines Körpers schienen zu verschwimmen, als wären sie aufgelöst. Wenn man ihn genau anschaute, sah er aus, als würde er aus leuchtendem Wasser oder flüssigem Licht bestehen. "Wow", entfuhrt Mary, "ich seh's." "Sehr gut, Mary", rief der Rote und winkte Mary dichter ran: "Das ist Pieter! Pieter, das ist Mary, sie gehört zu meiner Crew!" "Er kann mich hören?" "Ich ..ann .. ich ...ö... rn...!"
      Die beiden wurden von Pieter weiter auf die Insel geführt. "Die Figuren, die du suchst, nennt man die Himmelsbeobachter", erklärte er, "Sie befinden sich auf einem erhöhten Plateau weiter im Inneren der Insel. Weit ist es aber dennoch nicht." "Warum bist du auf dieser Insel, Pieter?", fragte der Rote. "Warte, Robert, ist er nicht ein Geist und schon lang... also ist er nicht Teil einer Erinnerung? Erinnerungen von früher, du weißt schon?" Mary wusste nicht so recht, wie sie diese Sachverhalte ausdrücken sollte. "Nein, Mary", erklärte Robert ihr, "Pieter ist ein Mensch. Was wir hier sehen, ist ein Abbild von ihm, das er mit seiner Teufelskraft erstellt." Mary war sehr erstaunt. Damit hatte sie nicht gerechnet, bei all diesem verwirrenden Kram mit den Abbildern der Erinnerungen. "Das stimmt", bestätigte Pieter, "Daher weiß ich auch, dass Robert weiß, was er tut, wenn er die Steinfiguren ansehen möchte. Er hat meine Fähigkeit bemerkt und kann genau unterscheiden." "Warum tust du das mit der Teufelskraft?", fragte Mary verwundert. "Ich bin sehr vorsichtig. Ich zeige mich nicht einfach so. Daher nutze ich, um mit euch zu kommunizieren, meine Fähigkeit Projektion!" "Aber das bedeutet... du bist.. also irgendwo musst du ja sein..." "Genau, Mary", Shanks lächelte, "Er ist irgendwo auf dieser Insel und versteckt sich. Aber Pieter...", Robert hob die Stimme: "... du darfst auch sehr gerne persönlich auftreten und mit uns sprechen." Er grinste die Projektion an und streckte die Hand hindurch: "Schau, dann können wir uns die Hände schütteln." Pieter sagte nichts, er schien wohl etwas verlegen zu sein. Der vorsichtige Pieter hatte wohl keinen so freundlichen und sympathischen Gast erwartet.

      Kapitel 41: Verlassen

      "Wie lange bist du schon auf dieser Insel?", fragte Robert den Gastgeber. Pieter erwiderte, dass er bereits seit langer Zeit hier sei: "Unser Schiff lief in einem Sturm auf und so kamen wir hier her." "So, dann liegt dein Schiff dort draußen auf Grund und modert vor sich hin?" Wieder antwortete Pieter nicht. "Wer ist denn mit wir gemeint?", fragte Mary. "Deine Crew?", ergänzte der Rote die Frage. "Meine Crew...", antwortete Pieter. Das Wetter konnte sich mal wieder nicht entscheiden, nun waren erneut die Wolken verzogen und die Sonne strahlte. Die karge Vegetation war einem Wald mit höheren Bäumen gewichen, die die ersten Meter über dem Boden kaum Blätter trugen, sodass man gute Sicht hatte. Der hügelige Steinuntergrund war zwar ähnlich und fast überall von Moos und Gräsern überwuchert. Die Baumwurzeln suchten ihre Wege drunter und über den Geröllpassagen. "Passt bitte auf, nicht auszurutschen, es kann sehr glitschig sein auf den Steinen. Durch das Moos und die Feuchtigkeit." Pieter war wirklich ein sehr umsichtiger Mann. Robert erzählte, was er in den Steinkreisen in Grand Storm gesehen hatte. Mary war unglaublich faszniert, aber Pieter schien dies kein bisschen zu wundern. "Warst du schon in Grand Strom?", fragte Robert ihn. "Nein, ich war nie im Westblue", erklärte er. "Ich kam über die Eastroute in die Neue Welt, ich fuhr von Wazwirk im Eastkontient aus." Er sah an Roberts und Marys Gesichtern, dass ihnen das wohl nichts sagte, und sie es nicht zuordnen konnten, also führte er es etwas genauer aus: "Der obere Teil des Ostkontinentes ist kaum bewohnt, nur ein paar Städte österlich von Olympia und dann wieder ganz im Osten am Eastblue. Im Innenland ist, bis auf die große Zentralstadt Moratory, kaum Bevölkerung. Und an der Ostküste, am Eastblue, liegt Wazwirk." "Wie ist die Eastroute, habt ihr auch ein Trianlge?", fragte der Rote. "Nein, natürlich kein Triangle, aber die Route ist lang und kann einfach..." er stockte kurz. "Sie kann einem wirklich lang werden." "Ich hab meine Freunde dabei", verkündete Shanks fröhlich. "Das stimmt, mit Lou, Yasper und Ben wird's nicht langweilig", bestätigte Marianne. "Das ist schön. Was wollt ihr denn in der Neuen Welt?" "Ich werde Pirat", antwortete Robert, "Ich auch", fügte Mary schnell hinzu. "Dachte ich mir schon." "Und ich will herausfinden, was mein Großvater und mein Vater in der Neuen Welt gesucht haben." "Wie meinst du das?", fragte Pieter. Robert erzählte ein wenig von der Familiengeschichte. Pieter war nun sehr nachdenklich. Sofern man das an der reinen Projektion ausmachen konnte, merkten die beiden dies vielleicht auch. "One Piece, nicht wahr?", sagte er, "Dann musst du dir wirklich unsere Steinfiguren ansehen." Er fügte dennoch schnell hinzu: "Ob das etwas mit den Steinen, von denen du erzählst, zu tun hat, weiß ich natürlich nicht. Und dieses One Piece? Auch ich hörte in der Neuen Welt davon. Aber ob da irgendwas dran ist..." "Ich hab es damals von Seeleuten in Irwing gehört. Kann es sein, dass damit Laugh Tale gemeint ist?", merkte Marianne an. "Es hat wohl viele Namen. Vielleicht ist es wirklich nur eine Geschichte, die sich Seeleute erzählen", meinte Pieter. "Schaut, dort oben ist das Plateau. Ich hoffe, ihr schafft das mit Hinaufsteigen und Klettern." "Ein Klacks für uns, Pieter", meinte Shanks. "Selbst wenn ich körperlich anwesend wäre, hätte ich das wohl nicht mehr geschafft...", murmelte Pieter vor sich hin.
      Wie in Grand Storm war auch hier ein von Bäumen gelichteter Bereich vorzufinden. Direkt oberhalb einer Steinkante, die die Abenteurer hochstiegen, waren Figuren zu sehen. Sie machten ihrem Namen alle Ehre: Es sah aus, als würden seltsame Wesen, eine Mischung aus Tier und Mensch, in den Himmel schauen. Von einer Art Maus oder Ratte in der Größe eines Kindes bis hin zur einer Art Walross oder Bär mit riesigen Fangzähnen, der gut 5 bis 6 Meter hoch war, waren viele Größen und Formen dabei. "Wahnsinn", sagte Mary. "Echt!", bestätigte Robert. "Gibt es die nur auf diesem Plateau?" "Hmhm, ja, bis auf die, die du beim Anlegen gesehen hast?", bestätigte Pieter, "Es gibt weiter im Wald noch vereinzelt welche und an der anderen Seite noch einige." "Blicken die auch zum Himmel?" "Nein, die meisten an der anderen Seite sind ähnlich kaputt und verwittert wie die, die ihr bei eurem Schiff gesehen habt. Und die im Wald sind auch anders als diese." "Warum denn?", fragte Mary. "Keine Ahnung. Das haben wir uns alle hier schon gefragt", gab Pieter zu. Robert war bereits vertieft, sein Observatorium auf die Steine anzuwenden. "Oh, also hast du wirklich noch Leute auf dieser Insel und bist nicht der einzige Bewohner?" Pieter überging diese Frage erneut. "Bitte", bat Pieter, "Versucht Kontakt aufzunehmen." Marianne war es ein wenig unangenehm, nun zuzugeben, dass sie diese Technik gar nicht beherrscht. Aber dies wusste Pieter ja bereits von deren Kennenlernen. Er leitete sie an. wie sie ihre Sinne darauf konzentrieren konnte. "So schnell wird es nicht gehen, aber du wirst es auch lernen", meinte Pieter. "Da!", rief der Rote. "Es geht los, glaube ich... ist das ein Tier?" "Ich will's auch sehen", motzte Mary. "Wir erzählen es dir schon", beruhigte Pieter sie.
      Robert fokussierte sich darauf, das Wesen zu verfolgen. Beim zweiten Versuch gelang es ihm, die Szenerie von Anfang an in der Vergangenheit zu betrachten. Tierartige Wesen standen in einem von Wänden umgebenen Bereich. Vielleicht einem Käfig? Das kleine Wesen von eben, das Robert an eine Mischung aus Maus oder Ratte und einem Menschen erinnerte, stand dicht mit anderen zusammen. Die Wände sahen aus wie blinde, milchige Spiegel. Eine Tür öffnete sich, indem sie einfach, ohne dass sie jemand zu betätigen schien, aus der Wand hinaus löste. Langsam senkte sich das viereckige Stück, als würde es in Zeitlupe fallen, bis es unten auf dem Boden angekommen war. Robert konnte das Wesen genau ansehen. Es hatte ein menschliches Gesicht, das aber länglich geformt war. Seine Haare waren kurz und stubbelig. Sein Körper war behaart, allerdings hatte es menschliche Arme und Beine sowie Hände und Füße. Daneben stand ein weiteres. Es hatte sehr menschliche Konturen, allerdings spitze Ohren, dichte braune Haare und lange Zähne, die ihm über die Unterlippe hingen. Ebenso sah Robert, als die Wesen in Silhouetten an ihm vorbei liefen, dass sie Schwänzchen besaßen wie Tiere. Weitere dieser Art standen dahinter und liefen langsam aus dem Käfig heraus. Die ersten beiden begaben sich auf allen Vieren und schnupperten auf dem Waldboden. Sie sprachen eine für Robert nicht verständliche Sprache. Immer mehr von diesen Wesen kamen heraus gelaufen und begannen die Umgebung zu untersuchen. Sie alle erinnerten an Tiere. Manche konnte der Rote lebendigen, ihm bekannten Arten von Tieren zuordnen. Andere nur im entfernten oder gar nicht, wie beispielsweise ein Wesen mit langem Gesicht, ganz kurzem Fell und einem buschigen Schwanz und eines, sehr wahrscheinlich weiblich, das einen ganz normalen Körper hatte, eine Art Kleid trug und einen buschig, zylinderförmigen Schweif trug. Ihr Gesicht war genau das eines Menschen, nur dass sie sehr große pelzige Ohren hatte und Fell an den Armen. Hinter den Tierwesen schloss sich langsam die Klappe wieder, aus der sie gekommen waren. Ein Wesen, das an einen Hund erinnerte, schaute sich verschreckt um. Traurige Augen konnte Robert erkennen. Ebenso sah er in dem Käfig ein Wesen, das zurück blieb. Genau so eins, wie er in den Erinnerungen in den Steinkreisen in Grand Storm gesehen hatte. Unverkennbar die glatte Haut, die speziellen, mandelförmigen Augen und die Haare, die wie lange Tentakeln hingen. Dieses Exemplar hatte eine Art Rüstung an: ein panzerartiges Oberteil mit Schulterplatten und einer Hose, dazu Stiefel, die sehr hoch reichten. Alles war aus einem seltsamen Material, das zu glänzen schien und unheimlich glatt aussah.
      Alle diese Wesen liefen kreuz und quer an der Stelle hin und her. Robert verfolgte manche von ihnen ein Stück. Pieter erzählte in der Zwischenzeit Mary die Geschichte, wie die Wesen im Wald ein zu Hause fanden, sich ihr Essen suchten, Behausungen bauten und dort heimisch wurden. Pieter erlaubte sich, Dialoge einzubauen, wie die Geschichte abgelaufen sein könnte: "Mama, warum bist du so traurig?", fragte ein junges Wesen. Es hatte wie die Mama einen mausähnlichen Schwanz und Zähne, die an Nagezähne erinnerten. "Woher kommen wir?", fragte ein Sohn, mit einem braunen Fell und einem Biberschwänzchen. Der Vater, der Biberartige, der Anfangs als erster die Insel betreten hatte, nahm den Jungen an seine Hand, schaute in den Himmel und zeigte mit dem Finger nach oben...

      Kapitel 41: Insel der Vergessenen
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