Lange hat es gedauert, seit ich angekündigt hatte, eine weitere, längere FF zu starten.
Gerade der Anfang fiel mir schwer und so habe ich immer wieder umgeschrieben, mit den ersten Kapiteln gekämpft, ohne richtig zufrieden zu sein. Aber irgendwann ist es auch mal gut mit dem Strben nach Perfektion, die ich sowieso nie erreichen werde. Zudem ist gerade eine Pause in der Klausurenphase, was zu gesteigerter Motivation und Kreativität geführt hat.
So ist jetzt nicht nur der Prolog fertig, nein, auch die ersten Kapitel sind bereits im fortgeschrittenen Stadium. Wenn nicht jetzt, wann dann?
Kurze Beschreibung des Inhalts/Genres
Prolog
Die einstmals friedliche Stadt hatte sich in ein flammendes Inferno verwandelt. Häuser brachen krachend zusammen und bildeten in Verbindung mit den Schreien zahlloser Menschen, die in dem wütenden Feuermeer gefangen waren, eine geräuschliche Kulisse der Apokalypse.
Es handelte sich keineswegs um ein Unglück, nein, die Flammen waren das Werk einer Gruppe von Angreifern. Gnadenlos metzelten sie sich durch die flüchtenden, weinenden, schreienden Einwohner. Doch nicht allen Bewohnern war das Glück des schnellen Todes vergönnt und so zogen Angreifer Unglückliche hinter sich her dem Zentrum zu. Dort auf dem Marktplatz unter einem an eine Hauswand gemalten Symbol1) thronte eine Gestalt auf den Leichen derjenigen, die Widerstand geleistet hatten. Die Gier nach Blut wütete in ihm und umgeben in der Aura des absolut Bösen hielt das Monster seine fürchterliche Ernte.
In einem etwas vom Zentrum abgelegenen Stadtteil herrschte inzwischen schon wieder Ruhe, abgesehen von den Geräuschen, die herüberhallten und dem Knacken und Prasseln einer untergehenden Stadt. Hier, inmitten des Schutts, den Leichen und den Flammen, kniete eine einsame Gestalt.
In den Armen hielt der Mann eine blutüberströmte Masse, die einstmals ein Mensch und sein Freund gewesen war. Losgelöst von der Welt, taub gegenüber dem Untergang der Stadt wiegte er den Leichnam.
Seine Trauer hatte ihm jegliches Zeitgefühl genommen, und so saß er bereits seit geraumer Zeit dort, reglos, mit starrem Gesicht.
Keine Träne benetzte sein Gesicht. Dieser Weg den Schmerz in seinem Inneren nachzugeben vermochte er nicht zu beschreiten. Doch schließlich wurde der Schmerz unerträglich und ein wortloses Schreien entrang sich seiner Kehle. Dies schien die Ketten der Verzweiflung gesprengt zu haben, denn langsam drangen wieder die Reize seiner Umgebung auf ihn ein.
Wo vorher noch alles unscharf und wie aus weiter Ferne war, stellte der Mann jetzt eine Schärfung seiner Sinne fest. Fast hypnotisch betrachtete er das Haus gegenüber. Die roten Flammen leckten über das bereits rußgeschwärzte Holz, welches die Steinfachungen zusammenhielt. Langsam überschritten die BalkenHolzH
den Punkt an dem sie die Wohnstatt noch stützen konnten und vor dem stummen Beobachter brach die Wand in sich zusammen. Steine stürzten herab, begruben dabei Tote unter sich und rollten nahe an den Zeugen des Zerfalls heran. Als hätte diese Zurschaustellung des momentanen Zustandes der Stadt eine weckende Wirkung, stand der Mann auf.
Er spürte einen aufkommenden Wind über seine Wangen streichen, während sich über ihm ein Gewitter zusammenbraute, gleich einem Spiegel der inneren Verfassung des Mannes. Ja, das aufkommende Ungewitter würde die Feuer löschen und anfangen, Tod und Blut abzuwaschen, dachte der Mann zufrieden.
Langsam wandte er sich den Relikten einer von ihm bereits als vergangene Phase seines Lebens eingeschätzten Zeit zu.
Er öffnete die längliche Kiste, in welcher sich eine perfekt ausbalancierte Waffe befand. Bedächtig holte er das Schwert aus seinem Behälter und strich die Klinge entlang. Nicht die geringste Rille oder Verunreinigung war zu spüren. Solch ein Perfektionismus für dieses brutale und rohe Vernichten von Leben!
In seinem Inneren kehrte wieder Ruhe ein und sein Geist wurde scharf und klar, wie seine Waffe. Bitter wurde er sich bewusst, dass er wieder zu dem wurde, was er aufzugeben gedacht hatte. Nun würde er wieder kämpfen und töten, die Welt mit einem Strom aus Blut bedecken.
Kurze Zeit später machte sich der Mann, jetzt gerüstet für den Kampf, auf den Weg in das Zentrum der Stadt, wo er eine Präsenz wahrnahm, deren Bösartigkeit selbst für ihn schwer zu ertragen war.
Mit jedem zurückgelegten Meter, mit jeder Leiche, mit jedem Anzeichen der Vernichtung änderte sich der Antrieb des als Rächer losgezogenen. Jede noch verbliebende Emotion fiel von dem Mann ab, bis gefühl- und gedankenlose Kälte ihn ihm herrschte.
Den Verursacher des Massakers würde er nicht jagen, weil seine Freunde, seine Stadt und sein aktuelles Leben ihm zum Opfer gefallen waren. Er würde tun was getan werden musste, weil er einem solchen Monster nicht die Welt überlassen konnte.
Und so schritt der letzte Überlebende des Massakers seinem neuen und alten Leben entgegen.
1) siehe im Anhang die Darstellung
Kapitel 1 - Die neue Ära
Kapitel 2 - Geplatzte Illusionen
Hawks Schiff
Nach einiger Zeit des Heranmanövrierens, erschwert durch den hohen Wellengang, lagen die beiden Schiffe schließlich Seite an Seite. Von unten kam ein Haken angeflogen, ein Seil hinter sich herziehend. Als der Haken sich in der Reling festsetzte, kam das Miniaturboot schließlich zum Halten. Passend dazu zeigten sich erste vorsichtige Lichtstrahlen am Himmel und der Sturm fing an, sich zu einer frischen Brise zu mildern.
Einer der Männer warf eine Strickleiter über die Reling und Hawk vernahm das leise Geräusch von Seil auf Holz. Seine Neugierde stieg an. Wer würde jetzt aufs Schiff klettern? Vielleicht würde er ihn ja sogar am Leben lassen, das aufklarende Wetter hatte ihn großzügig gestimmt.
Einen langgezogenen Moment geschah gar nichts, dann endlich erschien eine Hand an der Reling. Ein kurzes Anspannen der Finger, dann flog eine Gestalt in hohem Bogen über die Reling an Deck und landete leichtfüßig.
Der Mann sah aus, als wäre er Anfang dreißig. Er trug ein schwarzes Oberteil und eine schwarze Hose. Um seine Hüfte war ein rotes Tuch geschwungen und über seinem Rücken hing ein Schwert. Der Fremde richtete sich auf und strich sich mit geübtem Griff ein paar Strähnen seines ebenfalls schwarzen Haares aus dem Gesicht. Dabei rutschte ihm der Ärmel herunter und entblößte die Andeutung einer kunstvollen Tätowierung.
„Wer tätowiert sich denn Ketten auf seinen Arm?“ dachte sich Hawk, als er diese bemerkte.
Seine Augen wanderten den Körper entlang und erreichten das Gesicht. Neben der der eher schmalen Nase, die Anzeichen eines vergangenen Bruches aufwies, zeichneten sich die Wangenknochen sichtbar ab. Über diesen sahen ihn schimmernd violette Augen durchdringend an. Hawk rühmte sich eines einschüchternden Blickes – sein Name kam nicht von ungefähr – doch dieses Mal musste er fast sofort den Blick senken. Ihm schwante Unheil, doch bevor er reagieren konnte, nahmen seine Ohren ein leises Sirren wahr, gefolgt von Körpern, die auf das Deck prallten. Unfähig, sich zu bewegen, hob Hawk wieder den Blick. Wie das Kaninchen vor der Schlange sah er wie hypnotisiert in diese Augen, unfähig auch nur einen Gedanken zu fassen, bis ihn der Fremde packte und in sein Boot zog.
Vila, ein Konferenzraum
Das enervierende Geräusch eines Dolches, der geschärft wird, war das einzige, was die Stille im Raum unterbrach. H zwang sich, ruhig sitzen zu bleiben. Den Triumph die Nerven zu verlieren würde sie K nicht gönnen.
Sie löste den Blick von den auf ihre Arme tätowierten Schuppen, die sich unter ihrem kurzen Shirt zeigten, und deren blaues Leuchten leicht hypnotisierend wirken konnte. Stattdessen betrachtete H den Agenten in seinem weißen Mantel, mehr von sich zu zeigen hatte sich dieser noch nicht bequemt. Wenigstens hatte er auf die Heuchelei verzichtet, „Gerechtigkeit“ auf den Mantel schreiben zu lassen.
Beunruhigt verfolgte H ihre Gedanken. K war gut in ihrem Job, sehr gut sogar, und was sie taten, war für die Regierung, für den Frieden, aber sie konnte den Gedanken einfach nicht abschütteln, das Kill – da hatte sie seinen Namen ausgesprochen - einfach nur ein Mörder war. Zwar im Dienste der Regierung, aber nichtsdestotrotz nur jemand, der gerne tötete.
Ihre Ausbildung, ihre innere Stimme warf „Konditionierung“ ein, war anscheinend nicht erfolgreich gewesen und begann Risse zu kriegen. Sie hatte diese kahlen Räume satt, das Leben hinter Masken und hinter Buchstaben. Aber sie war sich auch bewusst, dass sie nicht einfach aufhören konnte, dass sie vermutlich nicht in der Lage dazu wäre. Mit einem bitteren Lächeln erkannte sie die Ironie der Situation. Hier saß sie und zweifelte, während sie nur wenig später wieder Leben nehmen würde, als wäre nichts gewesen. Ein Auftrag würde jegliche Zweifel auslöschen, so wie es die Weltregierung wollte.
Ihre Gedanken wurden unterbrochen, als plötzliche Stille eintrat. K drehte sich um, präsentierte dabei die blutrote Maske hinter der er sein Gesicht verbarg. Unwillkürlich fragte sich H, wie er wohl dahinter aussah. Normal, harmlos oder würde man ihm sein Wesen ansehen? Es war ihr niemand bekannt, der wirklich wusste, wer hinter der Maske steckte.
Sie atmete tief aus und versuchte sich zu beruhigen. Schon wieder fing sie an, alles zu hinterfragen. Sie konnte es dem Direktor nicht antun, schon wieder Probleme zu verursachen.
K musterte sie einen Moment, schien aber nichts von ihrem inneren Aufruhr zu bemerken. Mit der gedämpften Stimme, die die Maske verursachte, sprach er ein Wort und H war nichts weiter als ein gedankenloses Werkzeug, bereit zu tun, was ihr befohlen wurde. Erst dann erläuterte er ihr den Auftrag.
Auf dem Meer, auf dem Boot des Fremden
Das Meer hatte sich wieder beruhigt und lag da, ein tiefblauer Spiegel, unwissend ob der Probleme der Menschen, die es befuhren.
Wieder lösten sich Hawks Augen von den rissigen Planken, den Zeugen eines lange benutzten Bootes, die er bestimmt schon hundert Mal betrachtet hatte und so konnte Hawk nur die endlose Weite betrachten, vorausgesetzt, er wollte sich nicht den unheimlichen Augen seines Entführers aussetzen. Der hatte sich nicht mal die Mühe gemacht, ihn zu fesseln und wie dem gescheiterten Kapitän klar war, hatte er dies auch nicht nötig.
Monolithisch ragte der Fremde auf, den Eindruck hinterlassend, jemand hätte ihn aus Stein gemeißelt. Unbeweglich stand der Mann in Schwarz am Steuerruder, schweigsam und durch seine Regungslosigkeit Hawk den letzten Nerv raubend. Genau einmal hatte er bisher nur gesprochen und es schien ihm, als würde er niemals wieder den Mund öffnen.
Schon seit einer Weile hatte Hawks Nervosität und Langeweile seine Angst vor dem Unbekannten besiegt, zumindest im Hinblick auf den Versuch, eine Kommunikation zu beginnen. Doch jegliche Fragen perlten an seinem Entführer ab. Weder offenbarte er seine Gründe, noch sein Ziel oder Herkunft. Schließlich rief Hawk entnervt in einem letzten Versuch:
„Wer zur Hölle bist du eigentlich?“
Zu seiner Überraschung drehte ihm der Fremde daraufhin den Kopf zu und antwortete:
„Aktuell Dulug.“
Diese unbefriedigende Antwort war das letzte gesprochene Wort gewesen. Seitdem befand sich Hawk in einem Zustand, der zwischen Hoffnung und Verzweiflung schwankte, je nachdem wie er sich die Zukunft ausmalte.
Sein Brüten unterbrach er, als er in nicht allzu weiter Entfernung die Silhouette einer Insel, auf der sich ein Hügel erhob, erblickte. Dies musste Iseti sein, was auch sein Ziel gewesen war, als er noch Kapitän war.
Am Hafen der Insel Iseti herrschte noch rege Betriebsamkeit, gleichsam einem Ameisenhaufen aus der Luft betrachtet. Arbeiter entluden Handelsschiffe, Matrosen begaben sich in Richtung Stadt auf der Suche nach Tavernen und Marinesoldaten patrouillierten durch die Menge. Menschen schrien durcheinander, versuchten sich zu übertönen und belebten so diesen einzigen Ort, der noch für frischen Wind auf der Insel sorgte.
An einer Stelle des Hafens, wo weniger Trubel herrschte, legte ein kleines Boot an. Dulug und Hawk gingen an Land, Hawk inzwischen in Handschellen. Zielstrebig zwang Dulug seinen Gefangenen in Richtung Oberstadt, den Hügel hinauf.
Obgleich einige der Bewohner das Paar etwas merkwürdig betrachteten, konnten die beiden ihren Weg ungehindert fortsetzen. Die Bewohner Isetis waren schon lange über den Punkt hinaus, wo sie sich in fremde Angelegenheiten einmischten. Zwar gab es in der Stadt eine Marinebasis, doch die zeigte nur am Hafen Präsenz und war insgesamt eher sporadisch vertreten. Zu hoffen, dass die Marine hier für Recht und Ordnung sorgen würde, war Selbstmord und so wollte lieber keiner seine Nase in anderleuts Angelegenheiten stecken.
Tatsächlich war dies heruntergekommene Bild der Inselstadt aber nicht die ganze Wahrheit. Dulug wusste, dass der Ort einen doppelten Zweck erfüllte. Einerseits konnte man hier unliebsam unfähige Marinemitglieder hinschicken, anderseits verbarg die Unfähigkeit der Marine das Ziel, dem er entgegensteuerte.
Je höher der Gefangene und sein Begleiter kamen, desto ehrbarer erschien die Stadt. Die Häuser wirkten weniger baufällig, die Geschäfte seriöser, die Leute weniger zwielichtig. Trotzdem wirkte nichts so, als ob die Einwohner glücklich wären. Über allem hing der Geruch von Armut und Schicksalsergebenheit.
Hawk sah keinen Grund, warum er hier auf diese Insel gebracht wurde, aber gerade als er den Mut zusammengenommen hatte, eine entsprechende Frage zu formulieren, bog Dulug in einen Hof ein.
Auf den ersten Blick wirkte dieser wie der Vorhof einer Manufaktur für Metallwaren, sah man doch Arbeiter Gebrauchsgegenstände aus Metall, wie Kochgeschirr oder Feldgeräte, auf Wagen laden und andere Rohmetall ins Innere der Manufaktur tragen. Doch der Mann, der sich aktuell als Dulug benannt hatte, sah auch die wachsamen Blicke der Arbeiter, sah ihre zufällig wirkende Verteilung um den Eingang zu bewachen, bemerkte die Pause, die zwei Träger neben der Tür machten und zeigte zum ersten Mal eine Gesichtsregung – ein Lächeln.
Scheinbar ungezwungen näherten sich die beiden dem Eingang und als sich die vorgeblichen Arbeiter bedrohlich blickend um die ihnen Fremden versammelten, wurde auch Hawk klar, dass hier nichts so war, wie es schien.
Ein Riese von Mann, einer derjenigen, der eine Pause eingelegt hatte, erhob sich, um Dulug den Weg zu versperren. Doch ehe er auch nur den Mund öffnen konnte, hielt er auf einmal Hawk in den Händen, während hinter ihm die Tür ins Schloss fiel.
Vor Dulug lag eine Halle, in der ebenfalls gearbeitet wurde. Es gab Werkbänke, an denen poliert wurde, es gab Schmiedestätten, von denen die Feuer Hitze ausstrahlten und es gab, vor allem interessant, eine Tür am gegenüberliegenden Ende der Halle. Dort, so war sich Dulug sicher, würde die Maskerade ein Ende finden. Er war beeindruckt, wie gut sich die Weltregierung hier getarnt hatte.
Den Raum wahrnehmen, die Tür entdecken und die Lage zu beurteilen hatte keine Sekunde gedauert. Bevor er noch entdeckt wurde hatte sich Dulug bereits in Sekundenbruchteilen zur Tür bewegt. Dort angekommen murmelte er testweise: „Soru“. Er schüttelte den Kopf. Nein, das war nichts für ihn.
Mit einem Achselzucken öffnete er die Tür in den geheimen Regierungssitz.
Hinter dem Eingang erstreckte sich ein langgezogener Flur, bedeckt mit einem etwas angestaubten roten Teppich, der in dem ansonsten kahlen Gang irgendwie unpassend wirkte. Auf beiden Seiten gingen Türen vom Flur ab. Doch Dulug würdigte diese keines weiteren Blickes, denn am Ende des Flurs gab es ein Portal. Dieses war im Vergleich zu dem sonst schlichten Baumaterial des Gebäudes aus edlem, tiefbraunem Holz und verriet einen Geschmack, den man an diesem Ort eigentlich nicht erwartet hätte.
Dulug schritt die rote Straße entlang, sich innerlich auf die folgende Begegnung vorbereitend. Kurz verharrte er vor dem glänzenden Holz, sich bewusst werdend, dass er im Begriff war, eine der folgenschwersten Entscheidungen seines Lebens zu fällen. Doch ihm war längst klar, dass er eigentlich keine Wahl gehabt hatte. Er schloss die Augen und sah wieder die rauchige dämmrige Atmosphäre des Zeltes vor sich, hörte die Worte wieder, die ihm keine Wahl ließen. Als Dulug die Augen wieder öffnete, schien ihm von der Maserung ihr Gesicht anzusehen, dessen Ausdruck ihm zu sagen schien: ich habe es doch gesagt. Ja, sie hatte Recht gehabt, er hatte es bei Rogers Tod gespürt und jetzt stand er hier, bereit, erneut auf der großen Bühne der Welt teilzunehmen. Mit dem Gefühl, das Richtige zu tun, stieß er das vorletzte Hindernis beiseite und betrat den Raum.
Vila, der (ehemals) geheime Unterschlupf der Rebellen
Aus einem der weitläufigen, nur schlecht beleuchteten, Gänge des Höhlensystems, in dem sich die Rebellen aufhielten, stürzte keuchend ein Bote in den Kuppelsaal, wo soeben die Pläne für einen Angriff auf die Hauptstadt geschmiedet wurden..
Die Männer und Frauen, die für die Rebellion verantwortlich waren, drehten sich genervt von dem Tisch weg, auf dem Karten und Zeichnungen verstreut lagen, und unterbrachen ihre angeregte Diskussion.
Ihre Mienen wandelten sich angesichts der verzweifelt ausgestoßenen Botschaft aber sofort zu Masken des Entsetzens:
„Wir wurden entdeckt und angegriffen. Die Weltregierung hat die CP-0 entsandt!“
Kapitel 3 - Gerechtigkeit
Im Inneren des getarnten Regierungssitzes
Vor seinen Augen breitete sich der wohl unordentlichste Arbeitsplatz auf, den er je gesehen hatte. Wo die Wände nicht von Regalen und Schränken verdeckt wurden, befanden sich Zeichnungen, Notizen und Tafeln beschrieben mit einer Schrift, die zeigte, dass der Schreiber schneller dachte, als seine Hand nachkam. Dabei handelte es sich offensichtlich um psychologische Betrachtungen, auch wenn Dulug von dem Thema nichts verstand. Beziehungsgeflechte kamen vor, genauso Symptome, ebenfalls umkreist und verbunden. Es schien, als hätte der dafür Verantwortliche beschlossen, sämtliche Mitglieder der Regierung und Marine zu behandeln.
Die Regale und Schränke quollen schier über vor Büchern, Akten und Papieren, die zudem noch wild durcheinander gemischt waren. Immerhin der Boden war unbedeckt und es gab einen Stuhl vor dem Arbeitstisch des Büroinhabers. Der Tisch selbst passte sich ins allgemeine Bild ein und war übersät mit Schriftstücken. In Blickrichtung des Besuchers stand ein kleines Schild mit der Aufschrift „Bora, Psychologe“.
Hinter dem Tisch saß der Verursacher des Chaos, bis eben noch mit dem Stift zu Gange, den er jedoch mit dem Öffnen der Tür abgelegt hatte.
Im Gegensatz zum Durcheinander im Raum war der Mann adrett gekleidet. Zu sehen war sein blütenweißes Hemd und über den Sessel drapiert war auch ein schwarzes Jackett zu erkennen. Im Gesicht Boras hatten sich bereits Furchen eingegraben, die ihn in Verbindung mit den Augenringen älter erschienen ließen, als er in Wirklichkeit war. Aber trotz der offensichtlichen Anzeichen von Überarbeitung und Schlafmangel ließen die blauen Augen des Psychologen keinen Eindruck von Müdigkeit erkennen.
So gut Bora auch gekleidet sein mochte, die Haare hingen wirr auf seinem Kopf und vervollständigten so den Look des Workaholics.
So wie Dulug den Raum und Bora gemustert hatte, machte sich der Psychologe ebenfalls ein Bild von dem unerwarteten Eindringling.
Auch wenn die Kleidung des Mannes gut gearbeitet war, wirkten sie doch bereits leicht abgetragen und deuteten auf einen längeren Aufenthalt außerhalb der Zivilisation hin. Dies bestätigten die schulterlangen Haare, die einen ungepflegten Eindruck hinterließen. Auffällig ins Auge stach das Schwert auf dem Rücken des Kämpfers, dessen Griff über die linke Schulter hinausragte. Doch als geübter Beobachter bemerkte Bora auch die Ausbuchtungen im roten Tuch, das Dulug um die Hüfte geschlungen trug. Zwei Dolche vermutete Bora. Das Gesicht zeigte den Einfluss der Natur und war sonnengebräunt. Ein Blick in die Augen und Bora war sich im Klaren, dass er einen Killer vor sich hatte. Jemanden der ohne zu zögern töten konnte, aber niemanden der aus dem Affekt heraus handelte. Doch offensichtlich war er nicht gekommen, um ihn zu töten, hielt er doch die Arme vor sich ausgestreckt, Handflächen nach außen, um ihm seine guten Absichten zu verkünden.
Bora war fasziniert von der Gestalt und sehr interessiert, was jemanden solcher Ausstrahlung zu ihm führte. Also deutete er auf den Stuhl und begrüßte den Fremden:
„Nehmen sie doch Platz. Wie sie mit Sicherheit bereits wissen, ist mein Name Bora. Wie sie vermutlich ebenfalls wissen, ansonsten wären sie ja kaum hier, bin ich verantwortlich für die psychologische Untersuchung und Beurteilung von Regierungsangestellten. Also, was wollen sie von mir?“
Mit einem Lächeln auf den Lippen senkte Dulug die Hände und nahm auf dem Stuhl Platz.
„Mein Name ist Galayn. Ich will für die Weltregierung arbeiten.“
Er zögerte kurz und setzte dann noch hinzu:
„Ach, und bevor sie ihre Beurteilung beginnen, sollte ich sie noch darauf hinweisen, dass mein unbefugtes Eindringen einige ihrer Wachleute aufgeschreckt hat.“
Der Moment, den Bora brauchte, um seine Gedanken zu sammeln und sich auf das Kommende vorzubereiten, war gerade abgeschlossen, da flog der Eingang ein zweites Mal auf und hereingestürmt kamen seine Bewacher.
Sichtlich überrascht, den Eindringling friedlich sitzen zu sehen, standen sie da wie bestellt und nicht abgeholt.
Bora nutze den Augenblick der Überraschung aus:
„Geht wieder zurück an eure Arbeit. Wir zwei hier wollen ein Gespräch zu führen.“
Nach einem kurzen Zögern fügte er noch an:
„Und ich brauche euch auch nicht, um meine Sicherheit zu garantieren. Ganz abgesehen davon, dass ich überzeugt bin, ihr wäret dazu gar nicht in der Lage.“
Einen Moment schienen sich die Wächter noch sträuben zu wollen, doch ein ungeduldiges Winken seitens Bora sorgte dafür, dass die beiden ihr unterbrochenes Gespräch wieder aufnehmen konnten.
„Dieser Ort sollte eigentlich geheim bleiben.“
Bora ärgerte sich selbst über diese unnötige Feststellung, aber dieser Galayn hatte es doch tatsächlich geschafft, ihn aus der Fassung zu bringen.
„Ich weiß vieles, aber darum geht es doch gar nicht, nicht wahr?“ antwortete Galayn.
„Ja, sie haben-“
„Ich würde das „Du“ bevorzugen“, fiel ihm Galayn ins Wort.
Erneut aus dem Konzept gebracht fühlte Bora, wie ihm zum ersten Mal in seinem Leben ein Gespräch entglitt. Diese Annäherung sollte eigentlich nicht stattfinden, doch Bora war nur zu klar, dass er hier kaum eine Wahl hatte. Es war noch mehr nur ein Gefühl, doch Bora war sich schon ziemlich sicher, dass dieser Mann wichtig war. Entweder er würde für sie sein oder aber er würde gegen sie sein und er wollte bestimmt nicht derjenige sein, der der Weltregierung einen solchen Gegner verschaffte.
Trotzdem war Galayn zu ihm gekommen und wollte dieses Gespräch führen. Das Wissen, dass er wirklich seinen Job machen sollte, ermöglichte es ihm, die Fassung wieder zu gewinnen. Schwach lächelnd fuhr er fort:
„Wenn s- du meinst, dass es dir hilft.“
Bora drehte den Stift in seinen Fingern hin und her. Schließlich legte er ihn beiseite und fuhr fort:
„Um für die Weltregierung zu arbeiten sind je nach Profession verschieden Hürden zu nehmen. Ich gehe davon aus, dass du als ein Agent eingestellt werden willst. Also sind drei Punkte zu beachten. Erstens: Kampfkraft. Zweitens: die geeignete geistige Einstellung für eine solche Machtposition. Drittens: nach Untersuchung des Lebenslaufes und der Lebenssituation das grüne Licht des verantwortlichen Psychologen.“
Kurz legte Bora eine Pause ein und seine Gedanken kreisten um die zunehmende Veränderung der Weltregierung. Einst war er wirklich wichtig gewesen, doch heutzutage war seine Position am Schwinden. Sah man sich nur an, was der Direktor der CP-0 veranstaltete, so drehte sich ihm bereits der Magen um. Er öffnete die zu Fäusten geballten Hände und sprach weiter:
„Der erste Punkt sollte kein Problem darstellen. Und tatsächlich reichen meine Kontakte und Befugnisse weit genug, dass mein Wort ausreicht um den Job zu kriegen. Überzeugen sie mich, dann sind sie, entschuldige, dann bist du eingestellt.“
Bora griff in das Meer aus Papier hinein und fischte ein noch unbeschriebenes Blatt heraus. Dabei sorgte er für einen Papierstrom, der sich zum Rande des Tisches ergoss. Vergeblich versuchte er der Flut Herr zu werden, dann zuckte Bora die Achseln und nutzte den neu entstandenen Platz, um das leere Blatt zu platzieren.
Galayn wartete geduldig ab, bis sein Gegenüber den Stift wieder in der Hand hielt, bevor er anfing:
„Ich will dir nichts vormachen. Meines Erachtens ist die Weltregierung korrupt und in vielerlei Hinsicht selbst kriminell. Aber sie ist auch die einzige Organisation, die Ordnung und Gesetzte repräsentiert. Mein Wunsch ist es, für Gerechtigkeit zu sorgen, denn ich habe in meinem Leben bereits für genügend Ungerechtigkeit gesorgt. Um ehrlich zu sein, kann ich genau zwei Dinge: kämpfen und schmieden. Letzteres habe ich aufgegeben, weil mich diese Welt schwer getroffen hat. Und glaube mir, ich würde gerne wieder anfangen.“
Einen Moment hielt Galayn inne, folgte den flinken Wegen der Hand des Psychologen, vergangenen Schmerz wieder aufleben spürend.
„Doch bis dahin muss ich meine Suche beenden. Auch hier will ich keine Illusionen aufkommen lassen. Ich bin hier nicht weil ich eine Berufung verspüre. Ich bin hier, weil ich nicht in Konflikt mit der Weltregierung geraten will. Ich bin hier, weil ich aus Gründen, die ich nicht darlegen werde, das Leben sehr schätze und Menschen nicht mag, die es anderen nehmen und unerträglich machen. Ich bin hier, weil ich auf meiner Suche etwas Gutes bewirken möchte und ich dies im Sinne des Vertrauens der Menschen in die Weltregierung als ein Mitglied der sogenannten Guten tun möchte.“
Bora hatte sich Notizen gemacht und kringelte in der entstehenden Pause das Wort „Reue“ und zog eine Verbindung zum Punkt „kriminelle Vergangenheit“.
„Weißt du, das klingt eigentlich nicht sehr überzeugend, aber es klang ehrlich und gefiel mir besser als all das auswendig gelernte Zeug, dass ich oft zu hören bekomme. Ich vermute mal, du wirst deine Vergangenheit nicht teilen wollen, oder?
Galayn lachte kurz auf.
„Richtig. Ich bin vielleicht arrogant, wenn ich das so sage, aber ich bin nicht irgendjemand. Hier bin ich zwar Bittsteller, aber es gibt Grenzen, die ich nicht überschreiten werde, denn ich kann ohne die Weltregierung klar kommen. Aber eine Frage kann ich sehr wohl noch beantworten. Meine Suche ist etwas, was immer Vorrang haben wird. Und ich will sogar noch mehr verraten.“
Das von Bora beschriebene Papier lag gerade noch in der Reichweite Galayns. Dieser griff danach und malte ein Symbol in den freien Platz. Was anfangs noch wie ein von einem Kind gemalter Vogel aussah, bekam jetzt noch einen Bogen unter die Füße.
„Dies ist das Symbol eines Kultes. Ich jage diesen Kult und im Besonderen ihren Anführer. Sie sind untergetaucht und ihre Existenz wird nicht anerkannt. Doch ich weiß, dass es ihn gibt, im Gegensatz zu Campbell. Deinen Augen sehe ich an, dass du den Artikel gelesen hast. Der Kult des Ulcoraug existiert wirklich!“
Vila, Eingang zum Höhlensystem
Der Eingang zur Höhle, einst von wucherndem Grün verborgen, war jetzt sichtbar, der natürliche Vorhang zerschnitten vor dem gähnenden Eingang liegend. An der Grenze, wo schwindendes Tageslicht überging in zuckenden Fackelschein, standen die beiden Agenten der CP-0. Der einstmals weiße Mantel von K hatte angefangen, die Farbe seiner Maske anzunehmen, durchtränkt vom Lebenssaft der unglücklichen Wächter, die unter seinen Dolchen das Leben ausgehaucht hatten. Inmitten dieser Leichen stand K vor dem einzigen noch lebenden Mitglied der Rebellen an diesem Eingang. Dieser sah immer wieder nervös zur rechten Hand des CP-0 Agenten, in der ein Dolch silberne Schlieren in der Luft bildete, während er in rasender Geschwindigkeit zwischen den Fingern hin und her wanderte.
Der Rebell öffnete den Mund, doch noch bevor er einen Ton herausbrachte, schnellte der Dolch nach vorne und trennte den Kopf besser als jeder Henker vom Körper.
„Verräter sind nicht gerade beliebt, dass hättest du doch besser wissen müssen“, belehrte K den Leichnam.
Dann wischte er den Dolch am Mantel des Enthaupteten ab und machte sich auf den Weg, weitere Dolche aus den getöteten Wächtern zu ziehen.
H sah ihm fasziniert zu, wie er jeden Dolch fein säuberlich abwischte und wieder an seinem Körper verbarg. Endlich war K fertig und erhob sich.
„Du bleibst hier. Erinnere dich an den Auftrag.“
„Als ob ich das nicht würde“, erwiderte H, doch ihre Antwort verlor sich im bereits leeren Gang.
H wartete jetzt seit ein paar Minuten, doch obwohl aus der Entfernung leise Schreie zu hören sind, hatte es bislang niemand zu diesem Ausgang geschafft.
Vermutlich waren die meisten zu anderen Ausgängen geflüchtet und sie konnte sich gut die verzweifelten Gesichter vorstellen, die feststellen mussten, dass der Verräter ganze Arbeit geleistet hat. Alle Ausgänge waren gleichzeitig blockiert worden und der einzig offene Weg nach draußen war jetzt auch nur eine weitere Todesfalle.
Die Leichen sonderten ihren Gestank nach Tod ab und drangen mit dem Geruch von Blut und Exkrementen unter ihre noch weiße Maske. H merkte, wie sie langsam die Kontrolle verlor. Bald würde auch sie zu einem emotionslosen Monster werden, wie K es war. Sie begann vor ihrem inneren Auge den Vernichtungsfeldzug von Kill zu sehen.
Unter seiner Maske wird mit Sicherheit ein Lächeln liegen, während er die Gänge durcheilt. Die Dolche werden ihre blutige Arbeit verrichten, sie werden geworfen, um Fliehende niederzustrecken, in silbrigen Schweifen durch die Luft gezogen werden, um Kämpfende und Bettelnde niederzumachen.
H bemerkte, dass sie bereits keinerlei Mitleid mehr für die Rebellen übrig hat. Wer eine Waffe in die Hand nimmt, muss auch damit leben – unwillkürlich fing H an zu lachen – durch ein solche umzukommen.
K ist zu schnell, zu gut, das weiß sie, niemand wird auch nur den Hauch einer Chance haben. Und so wird er im Zentrum ankommen und langsam, einen nach dem anderen, jeden Kopf der Rebellen einholen und töten.
Doch die Höhle war groß und die Rebellen zahlreich genug, dass es inzwischen auch welche zu ihrem Ausgang geschafft hatten. H unterbrach ihren Gedankengang, um ihren wachsenden Blutdurst zu stillen.
Eine größere Gruppe, mindestens zwanzig, war es, die den Ausgang erreichte. Doch dort wartete bereits der Tod, in der Gestalt einer schlanken, waffenlosen Frau. Einen Moment zögerten die Rebellen, dann stürmten sie los.
Bevor sich die Rebellen ihr ganz näherten, verschwand H blitzartig, nur um genau vor den Rebellen aufzutauchen, das rechte Bein auf dem Boden, mit dem linken durch eine rasche Drehung eine blaue Schnittwelle erzeugend.
Blutend brachen über ein halbes Dutzend Rebellen zusammen, mit ihrem Tod jeglichen Kampfgeist zerstörend. Der Rest gab panisch jeden Gedanken an einen Kampf auf und flüchtete schreiend zum Ausgang.
Schon das Licht des Ausgangs vor Augen, fiel ein Schatten über ihre Köpfe und jegliche Hoffnung erstarb, als sich die Männer und Frauen umblickten.
Hinter ihnen sahen sie H stehen, die ihren Mantel abgelegt hatte. Aus ihrem Körper waren tiefblaue, wie Eis schimmernde, Schlangenkörper hervorgebrochen und gaben ihr den Anschein, als besäße sie vier ins absurde verlängerte Arme. Noch während die Beine unter den vor Angst zitternden Rebellen zusammenknickten, teilten sich die geschuppten baumstammstarken Schlangen weiter auf und gebaren wie ein sich verzweigender Baum weitere Reptilleibe, die in schlängelnder Bewegung zu den warmen Körpern hinwuchsen. Aus dem kalten Fleisch entstanden albtraumartige Köpfe, weit aufgerissen und monströse Fangzähne präsentierend. Zischelnd erfüllte das Vorschnellen gespaltener Zungen den Raum mit einer Symphonie des Schreckens und als den mental schwächeren Rebellen die Blase versagte, richteten sich geschlitzte Augen auf die Beute der Hydra.
Mit barmherziger Schnelligkeit erreichten die Köpfe der Schlangen ihre Opfer. Dann ein kurzes Zuschnappen, ersterbende Schreie und unter dem durch die Höhle spritzenden Blut ergoss sich die Flut fallender Körper.
Doch ein Rebell hatte noch Leben in sich und mit den letzten Atemzügen gelang es ihm, eine Frage auszuhauchen:
„Ist das Gerechtigkeit?“
Kapitel 4 - Aufbrechen und Ankommen
Vila, Zentrale der CP-0
Die klinische Atmosphäre des weiß getünchten Raumes in dem sich Hydra aufhielt, bot wenig Ablenkung. So war sie ihren Gedanken überlassen, die gleich aufschäumenden Wellen gegen den Turm in ihrem Geist, errichtet durch ihre jahrelange Ausbildung, brandeten. Auch wenn Hydra von der zugrunde liegenden Konditionierung wenig verstand, wie sie so vieles nicht wusste, war ihr klar, dass etwas nicht in Ordnung war.
Wieder kehrte sie in die Erinnerung zurück, in welcher der sterbende Rebell ihr die Frage gestellt hatte, welche sie nun in Aufruhr versetzte. Diese Erinnerung war klar, etwas was sie nicht von vielen Erlebnissen ihres Lebens behaupten konnte. Erneut vermeinte sie den Geruch von Tod, Blut und den feuchten Moder der Höhle zu riechen. Der graue, unebene Fels, der sie umgab, war gesprenkelt mit Blut gewesen, Blut, welches sie vergossen hatte. Warum hatte sie dies getan? Der Rebell hatte gemeint, es wäre Gerechtigkeit gewesen, für die sie getötet hatte. Aber konnte es Gerechtigkeit sein, wenn sie nicht einmal wusste, wen sie dort bekämpfte? Ihr wurde schmerzlich bewusst, dass sie weder den Grund für die Rebellion kannte, noch einen einzigen Gedanken daran verschwendet hatte.
Wenn Hydra sich ehrlich die Wahrheit eingestand, so war sie nicht selbstständig. Keine Ahnung von der Welt draußen, die die Weltregierung vor ihr verborgen hielt, unwissend, was alle Belange des Lebens betraf, wenn man mal von ihrer Profession absah. Doch die Frage war der Glockenschlag, der eine neue Zeit einläutete. Eine Zeit in der sich Hydra anfangen würde zu erinnern. Eine Zeit, in der Hydra anfangen würde, für sich selbst zu denken.
Doch noch stand der Turm, der ihren Geist gefangen hielt. In ihre Gedanken hinein ertönte das Klingeln der Teleschnecke, unangenehm schrill nach der wohltuenden Stille. Hydra straffte ihre Haltung und nahm ab:
„H!“
Die Stimme des Direktors klang freundlich:
„Sehr gute Arbeit. K hat mir den Erfolg berichtet und sie lobend erwähnt. Sie wundern sich bestimmt, warum ich anrufe.“
Das tat Hydra tatsächlich nicht, hatte sie doch ganz andere Probleme gehabt. Jetzt wieder zurück in die Realität geholt worden, zogen sich ihre Augen zusammen. Ja, es war ungewöhnlich. Also tat sie dem Direktor den Gefallen:
„Ja, was verschafft mir die Ehre?“
„Jeder Agent bekommt vier Jahre nach Beginn seiner Tätigkeit einen Urlaub.“
Hydra klappte den Mund auf, dann schloss sie ihn wieder. Sie hätte vieles erwartet, aber bestimmt nicht das. Ihre Verwirrung war offensichtlich und so fuhr der Direktor fort:
„Sie haben zwei Wochen Zeit. Nutzen sie sie, wie sie wollen.“
Bevor Hydra auch nur eine Frage formulieren konnte, klickte es in der Leitung. Überwältigt ließ sie den Hörer zurück auf die sie schläfrig anstarrende Schnecke sinken. Jetzt musste sie wirklich Nachdenken. Immerhin war dies ihre erste freie Zeit, seit dem sie vom Programm „Gnati“ eingezogen worden war.
Auf der anderen Seite lehnte sich der Direktor in seinem Sessel zurück. Jetzt würde sich zeigen, ob Hydra auch in Zukunft ein Mitglied der CP-0 sein würde. Sein Programm funktionierte noch nicht perfekt, fast jeder ausgebildete Agent bekam in den ersten vier Jahren Zweifel. Erst der Urlaub würde entblößen, ob ein Agent seine Konditionierung durchbrechen könnte. Nicht, dass es jemals passiert wäre, aber der Direktor ging immer auf Nummer sicher.
Auf dem Meer, Galayns Boot
Am Horizont hinter Galayn verschwamm Iseti, bis der Schemen des Hügels unter dem Wasser versunken war. Er war froh, den Ort hinter sich gelassen zu haben. Es gab wahrlich schönere Inseln, zum Beispiel die als Schlangen-Inseln bekannten Eilande des Archipielago de Serpiente, wohin er unterwegs war.
Galayn schloss die Augen und lauschte dem Rauschen der Wellen, dem Knarren des Holzes und dem auffrischenden Rückenwind. Die Strahlen der Nachmittagssonne liebkosten sein Gesicht und für einen kurzen Moment war der einsame Krieger wirklich glücklich. Doch dann schob der stetig zunehmende Luftstrom eine Wolke vor den Freude spendenden Stern und das Licht, welches seine Gesichtszüge hatte scheinen lassen, wurde vertrieben und nahm die Fröhlichkeit mit sich.
Wütend blickte Galayn gen Himmel und obwohl die wenigen weißen Wolken durch eine plötzliche Böe zerrissen wurden, vermochte es der widerkehrende Sonnenschein nicht, diese Glückseligkeit, die durch seinen Körper geflossen war und alle Zweifel und Gedanken fortspülte, vor dem endgültigen Verschwinden zu retten. Er löste den Druck der Hand auf das Ruder, begutachtet mit einem Kopfschütteln den Abdruck, den er in seiner Frustration in das Holz gepresst hatte. Dann überließ er das Steuer sich selbst und ging zum Bug. Dort ließ sich Galayn auf das alte, ausgesessene Holz des entgegen der Fahrtrichtung eingearbeiteten Sitzes sinken, und bette das Haupt auf die in die gekrümmte Bugspitze eingelassene Kopfstütze. Kurz klappte er die Augenlider herunter, doch fast sofort öffnete er sie wieder und griff stattdessen in sein Hüfttuch. Hervor beförderte er die Marke, die ihm Bora überlassen hatte. Vorsichtig strich er über das Wappen der Weltregierung und erinnerte sich an die letzten Worte des Psychologen.
Seine, zumindest sah er das so, wichtige Verkündung wurde von Bora ohne Gefühlsregung hingenommen. Tatsächlich war der Psychologe nicht einmal darauf eingegangen. Stattdessen hatte er aus seinem Hemd einen Schlüssel gezogen und eine Schublade geöffnet. Aus den verborgenen Tiefen des Möbelstücks tauchte seine Hand mit einem Briefumschlag wieder auf.
„Du bist kein Mitglied der Cipher-Pol Einheiten und auch kein regulärer Angestellter oder ein Mitglied einer Spezial-Einheit. Folglich bist du der Regierung nicht direkt unterstellt. Ich bin dein Ansprechpartner!“
Zum Abschied hatte Bora ihm nur den Umschlag in die Hand gedrückt. Galayn war froh, dass dieser Mann so wenig von einem Paragraphenreiter hatte. Dabei war sich der Eindringling nicht im Klaren, dass sein Vorgehen in keiner Weise einem normalen Gespräch ähnelte, noch dass Bora überhaupt eine Wahl treffen konnte. Respektvoll verabschiedete er sich mit der zur Faust geballten Hand, die seine Stirn berührte.
„Gute Tage, angenehme Nächte!“
Er hatte die Reaktion nicht abgewartet und bekam so auch nicht mehr mit, wie sich Boras Augen überrascht weiteten. Der Psychologe sah nach diesem wohl eher unbewusst geschehenen Gruß den ungewöhnlichen Eindringling in völlig neuem Licht. Ja, dies könnte sowohl sein Auftreten, als auch sein Wissen erklären.
Den Briefumschlag hatte Galayn bereits auf Iseti geöffnet, doch das Lesen des darin enthaltenen Papiers auf die Reise verschoben, wo er alleine war und seine Ruhe hatte. Jetzt holte er den Umschlag und daraus den Inhalt hervor. Viel enthielt er nicht. Eine Nummer, die zu Bora gehörte auf einer Visitenkarte. Ein paar Informationen auf einer Art Merkblatt. Es war nichts dabei, was ihn wirklich interessierte. Er ließ den Umschlag wieder verschwinden, schloss die Augen und schlief ein.
Der starke Wind trieb das Boot unaufhaltsam voran, dem untergehenden Himmelsgestirn entgegen. Die Stunden verstrichen, bis sich der ewige Kreislauf weitergedreht hatte und der rote Ball von neuem die Wanderung über das Firmament begann. Pünktlich mit dem ersten Sonnenstrahl erwachte Galayn, erholt und wieder frisch.
Er legte seine Kleidung ab und begann mit einer Reihe körperlichen Übungen. Zuerst langsam, dann zunehmend schneller, bis seine Bewegung anfingen zu verschwimmen. So vergingen weitere Stunden, bis schließlich der weißglühende Stern am Höchsten stand. Galayn verlangsamte sich wieder, trank ein paar Schlucke erquickendes Wasser. Dann er holte aus einer Holzbox etwas nicht mehr ganz frisches Obst. Noch während ihm Fruchtsaft den Mund herunter lief, konnte er die ersten Inseln des Archipels entdecken.
Er leckte sich die Lippen und griff mit der klebrig verschmierten Hand zum Ruder, um den Kurs zu korrigieren. Der Archipielago de Serpiente trug seinen Namen aus zwei Gründen. Der erste war jedem Neuankömmling schon aus der Ferne ersichtlich. Seine Inseln erstreckten sich nicht wahllos über das Meer, sondern formten eine kurvige Linie, gleich einer sich vorwärts windenden Schlange. Auch vom Wasser aus ließ sich dies erahnen, denn meist waren die Inseln nur Erhebungen aus dem Meer, kleine Felsen, Sandbänke oder unbewachsene Korallen. Nur selten wurde die Linie durchbrochen von größeren bewohnten Eilanden. Auf eine dieser Inseln steuerte Galayn nun zu. Gelegen war sie eher im Inneren der s-förmigen Schlange, weiter weg von den häufiger besuchten Rändern.
Der abflauende Wind trug das Boot langsam zu dem kleinen Steg, der als Anlegeplatz für die Südseite von Ilha no Meio diente. Die Anlegestelle befand sich in einer Bucht, die an beiden Seiten von großen, steil abfallenden Klippen umschlossen war. Der graue Fels war teilweise bedeckt mit wild wucherndem Grün, dass bis ins blaue Wasser hinunter reichte. Das von der Sonne ausgebleichte Holz des Stegs ging über in einen Kieselstrand. Galayn befestigte sein Schiff neben ein paar kleinen buntbemalten Fischerbooten, in denen trockene und in Schuss gehaltene Netze lagen. Beschwingten Schrittes betrat er das Land und erklomm die Erhebung, hinter der sich eine Siedlung verbarg. Die Steinchen knirschten unter seinen Schuhen, dann verschwanden die ausgewaschenen Felsstücke und wurden ersetzt durch gelbe Savannenerde. Hier ließ sich auch das erste Mal ein Pfad entdecken, der in langen Jahren ausgetreten worden war und zwischen Büscheln niedrigen gelb-grünen Grases verlief.
An der Spitze des Grates angelangt, legte Galayn eine Pause ein, um den Ausblick zu bewundern. Hier oben konnte er weit genug sehen, so dass er in der Ferne bereits das Meer an der Nordküste ausmachen konnte. In der Nähe sah er ein von Tälern und Hügeln durchzogenes Gebiet, meist nur wenig bewachsen, teilweise aber auch von grünen Oasen durchzogen. Keine halbe Wegstunde von ihm entfernt befand sich in einer Senke ein kleines Dorf.
Niedrige Lehmhäuser scharten sich um einen Platz mit einem Brunnen. Grau und rot waren die dominierenden Farben der Gebäude, doch hier, wo Menschen lebten, wuchsen auch Palmen und Sträucher in Hülle und Fülle, um für farbliche Abwechslung zu sorgen.
Als Galayn den Hügel hinabschritt, fielen ihm die stufenförmigen Felder an den Seiten der Senke auf. Er lächelte angesichts des Bildes einer ländlichen Idylle. Doch eine plötzliche Ahnung einer zubeißenden Schlange wischte ihm das Grinsen aus dem Gesicht. Zwar war sein Observationshaki gut, aber so abgelenkt sollte er in Zukunft lieber nicht sein, schwor er sich. Vorsichtig machte er einen Schritt zurück, um nicht in die Nähe der auf dem Boden zischenden sandfarbenen Natter zu kommen. Wenn es etwas gab, was die Inseln des Archipielago de Serpiente besaßen, so waren es die geschuppten Reptilien, in unzähligen Arten und Größen. Die namensgebenden Tiere zogen ihre Aufmerksamkeit auf sich, und so richtete er den Blick auf den staubigen Boden vor sich.
Ein paar Minuten später erschienen die ersten Behausungen in seinem Blickfeld und lockten mit ihrem Schatten, als Schutz vor der drückenden Hitze. Die schwüle Atmosphäre wurde kaum gemildert durch die leichte Brise und der schwarze Stoff verstärkte die Wirkung der Sonne nur noch. Also suchte Galayn eine Palme auf, zu deren Fuß eine Handvoll Kokosnüsse lagen. Eine erfrischende Böe wehte durch die Kleidungsschichten und die gefächerten Blätter der Kokosnusspalmen. Er betrachtete die einfachen Hütten, vor deren Wänden Feldgeräte standen oder Netze hingen. Ihm fiel auf, dass die Dächer nur aus vertrockneten, gelben Stauden bestanden.
Es dauerte einen Moment, bis Galayn zuordnen konnte, was ihm merkwürdig erschien. In der Siedlung war es beunruhigend still und er hatte bislang auch keine Menschen zu Gesicht bekommen. Im Schatten der Palme lockerte er die Dolche in seinem Haramaki und trank ein paar Schlucke aus seinem Wasserbeutel. Er lockerte die Schultern und machte sich mit Staub aufwirbelnden Schritten auf den Weg, herauszufinden, was in diesem Ort nicht in Ordnung war.
Kapitel 5 – Zufälle
Ilha no Meio
Seine bisherigen Beobachtungen auf der Insel ließen Galayn vermuten, dass es hier kein Gewaltverbrechen gegeben hatte. Trotzdem blieb er wachsam, allerdings hauptsächlich aus reiner Gewohnheit.
Eigentlich wollte er hier ja nur aus spontanem Interesse vorbeischauen, war er doch schon lange nicht mehr hier gewesen. Es gab eine andere Veranlassung, die ihn zum Archipel gezogen hatte, einen logischen Grund. Aber es hatte auch ein nicht rationales Motiv gegeben, ausgerechnet diese Insel anzusteuern. Galayn hatte einem Gefühl nachgegeben. Allein schon dieses anscheinend verlassene Dorf schien ihm ausreichend, um sich über die Intuition zu freuen.
Schicksal hätten manche dazu gesagt, Zufall andere. Es hatte eine Zeit gegeben, da Galayn das Schicksal leugnete. Doch es war ihm inzwischen klar geworden, dass es sehr wohl existierte. Nicht, dass alles vorherbestimmt war, aber es gab doch Fügungen, die sich nicht durch Zufall erklären ließen.
Ehe er sich in solchen Gedankengängen verlor, richtete Galayn den Blick wieder in die Realität. Die erste Hütte hatte er bereits hinter sich gelassen. Vor ihm gähnte die Öffnung eines unverglasten Fensters. Er warf einen Blick hinein in die armselige Behausung. Viel gab es nicht zu sehen. Einen ungedeckten Tisch, eine aufgeräumte Kochstelle, keinerlei Anzeichen von einem plötzlichen und unerwarteten Aufbruch. Die Einrichtung war schlicht, aber gut gearbeitet. Was aber fehlte war jeglicher Zierrat, mehr als nur das Allernötigste war nicht zu sehen. Ein verbeulter Topf hing unbenutzt über der Feuerstelle, Teller oder Schalen hingegen konnte Galayn nicht entdecken. Sich über das Kinn streichend, setzte der einzige Mensch im Dorf seinen Weg fort. Vor den Häusern stand oder hing meistens das Werkzeug, mit dem sich die Bewohner ihren Lebensunterhalt verdienten. Ein Netz, ein Pflug, eine Axt. Nichts davon war neu, alle von häufigem Gebrauch abgenutzt. Manche Häuser hinterließen noch einen besseren Eindruck, üblicherweise Werkstätten für Tischler oder Schmiede. Das Dorf war nicht sehr groß und so erreichte Galayn bald den Brunnen. Ein Holzeimer stand neben der steinernen Umfassung, befestigt an einer Winde. Er ließ ihn hinunterfallen, lauschte dem Platschen und holte das noch in reicher Fülle vorhandene Wasser hinauf. Das erfrischende Nass spritzte sich Galayn ins Gesicht, schmeckte die nassen Perlen, die seine jetzt wieder gut befeuchteten Lippen hinunterliefen. Klar und gut war das Wasser, also füllte er sich den schon schlaffen Wasserbeutel nach. Solchermaßen erfrischt, strebte der Agent dem nördlichen Dorfende entgegen, in der Hoffnung dort vielleicht Antworten zu finden.
Innerhalb des Ortes konnte er keinerlei Leben spüren, doch als er sich auf dem staubigen, sich um die Lehmhütten windenden Pfad in Richtung Norden bewegte, konnte er die Präsenz sich nähernder Menschen wahrnehmen. Bedächtigen Schrittes, schließlich wollte er den Bewohnern möglichst keine Angst einjagen, verließ er den Schatten der letzten Ausläufer des namenlosen Dorfes. Die Straße, falls man den ungepflasterten Weg so nennen konnte, führte über einen Hügel, an dessen Gipfel Galayn Halt machte, um die Ankömmlinge zu erwarten. Aus der zu einer Schlucht verengten Senke marschierten in losen Gruppen die Dorfbewohner. Vorneweg die kräftigsten Männer, fast alle mit zerfurchten Gesichtern, deren Herkunft angesichts ihres Alters wohl Sorgen sein mussten. Dahinter kamen Familien, die Männer mit Kindern an den Händen, die Frauen mit ihren Kleinen in den Armen. Am Schluss des Zuges, noch gerade dem Dunkel der Schlucht entronnen, bevor der Strom vor Galayn zum Erliegen kam, folgten die Alten. Gebeugte Gestalten, knotige Stöcke als Halt nutzend, die sich langsam den Pfad entlang schleppten.
Jetzt aus der Nähe bemerkte Galayn die oft geflickte Kleidung, meist schon an der Grenze zu Lumpen, aus einfachem ungefärbtem und grobem Stoff. Die offenkundige Armut der Leute verhärtete seinen Gesichtsausdruck, doch als er die Furcht in den Augen der Vordersten erkannte, zwang er sich zu einem entspannteren Lächeln. Er wurde sich plötzlich bewusst, dass die Blicke zu dem Schwertgriff auf seinem Rücken wanderten. Also hob er in einer Geste des Friedens die Hände.
„Was ist hier los?“
Kaum war die Frage gestellt, wurde Galayn klar, dass es nicht gerade die beste Strategie gewesen war, direkt drauflos zu stürmen. Abwehrende Blicke aus stumpfen Augen erreichten ihn. Plötzliches Weinen durchbrach die peinliche Stille. Eine Mutter wiegte tröstend ihr Kind in den viel zu dünnen Armen, flüsterte leise und beruhigend auf das Kleine ein. Was sollte er nur tun? Er war wirklich zu lange der Zivilisation ferngeblieben. Seine Hilflosigkeit wurde nur noch gesteigert, als ein vorsichtiger Schritt dazu führte, dass sich die Reihe der Männer zusammenzog und sie sich schützend vor ihre Familien schoben.
Also verließ er die schmale Straße, um sich auf einen der grauen verwitterten Steine niederzulassen. Sollten doch die verängstigten Familien passieren, vielleicht würde das ja die Bewohner beruhigen. Tatsächlich, kaum war der Weg frei, huschten die kleinen Gruppen vorbei, bedacht, nicht zu ihm hinzusehen. Übrig blieben eine Handvoll der mutigeren. Eine mittelalte Frau, das Kinn trotzig vorgestreckt, ein Alter, dessen weißer Bart ihm vor der gebeugten Brust hing und zwei Männer im besten Alter, die einfache, aber immerhin noch heile Kleidung trugen. Der Dorfälteste ergriff das Wort:
„Mein Name ist Ricardo. Ich bitte euch, unser Verhalten zu entschuldigen. Auch wenn du anscheinend nichts Böses willst, haben wir im Moment Angst vor Fremden, besonders wenn sie mit Waffen kommen.“
Die krächzende Stimme des Weißhaarigen konnte seine Erschöpfung und seinen Gram nicht mehr verbergen. Galayn fragte sich, was nötig war, um ein Dorf solchermaßen zuzurichten. Sich von seinem unbequemen Sitzplatz erhebend unternahm er einen neuen Anlauf in die Pause hinein, die Ricardo zum mühsamen Luftholen benötigte:
„Entschuldigt mein Auftreten, Ricardo. Mir mangelt es seit geraumer Zeit an menschlichen Umgang. Werdet ihr mir jetzt meine Frage beantworten?“
Ächzend ließ sich der auf seinen Stock gestützte Ricardo auf den jetzt freigewordenen Stein fallen. Erleichtert winkte er einem der Männer mit seinem Stab zu:
„Übernimm du bitte, Everaldo.“
Daraufhin löste sich einer der beiden schwarzhaarigen Bewohner aus der zusammengeschmolzenen Gruppe. Ein Dreitage-Bart umrahmte den ernsten Mund und erste Sorgenfalten hatten sich bereits in seinem Gesicht festgesetzt. Mit kräftiger Stimme wandte er sich an Galayn:
„Bitte frage das nicht. Wir kommen schon klar, da müssen wir nicht auch noch einen Fremden mit hineinziehen.“
Erstaunt hörte der Fremde zu. Sich in ihrem Zustand noch Sorgen zu machen. Er war bewegt und so langsam rührte sich in seinem Inneren der Zorn.
„Leider können wir euch nicht bewirten, also zieht- “
Hier fiel er Everaldo ins Wort:
„Ich werde auf keinen Fall gehen. Und wenn ich hier bei euch bleibe, bis ich mir erzählt, was los ist. Ich will euch helfen.“
Hilflos sah ihn Everaldo an. Offenkundig schwankte er, unfähig fortzufahren. Da kam ihm die Frau zu Hilfe:
„Helfen! Wer hat uns denn jemals geholfen? Die Regierung hat sich hier noch nie blicken lassen. Aber ihre Steuern, die wollen sie haben!“
Schwer atmend hob und senkte sich ihre Brust. Ihr Gesicht begann rote Flecken zu bekommen, als sie immer lauter werdend fortfuhr:
„Und die Marine guckt auch nur aufs Meer. Piraten, Piraten, nichts als Piraten haben sie im Sinn!“
„Fernanda-“, setzte Everaldo an, doch wurde er sofort abgewürgt:
„Sei ruhig, Mann! Es muss mal gesagt werden, frisst es sich doch immer tiefer hinein. Dieser feine Marinekapitän ist doch nichts als ein elendiger Feigling. Einen Steckbrief ausstellen, ja das kann er. Aber herkommen und etwas tun, dafür ist er nicht Manns genug.“
Galayn hatte mehrfach angesetzt, doch der Redeschwall der erbosten Fernanda ließ ihn nicht zu Wort kommen. Als er auch diesmal merkte, dass sie wieder anhub, griff er zur Hüfte, um die Marke hervor zu holen.
„Ich sage, erzählen wir es ihm. Wir haben genug Sorgen, soll er doch selbst wissen, ob er sich umbringt. Vielleicht kann er uns ja wirklich helfen.“
Nach diesem Ausbruch, der sich schon seit längerem angesammelt haben musste, herrschte einen Moment Stille. Die Frau funkelte ihrem Mann an, dann den Ältesten, bereit ihre Worte zu verteidigen. Forsch hielt Galayn seinen Ausweis in die Luft:
„Ich bin Galayn, ein Agent der Regierung.“
Alle Augenpaare wandten sich ihm plötzlich zu, darunter auch einige wagemutigere, die sich aus dem Dorfe näherten, wie magisch angezogen von dem Fremden. Oftmals ist Neugier eben doch noch stärker als Angst.
Fernanda reckte das Kinn trotzig vor:
„Was ich gesagt habe, kam von Herzen. Ich finde, die Regierung ist uns etwas schuldig und dabei bleibe ich, selbst wenn ich dafür ins Gefängnis komme!“
Ein leises Lachen entfloh Galayns Lippen.
„Keine Sorge. Du hast gut gesprochen. Wie ich gesagt habe, ich bin gekommen, um zu helfen.“
Dass es nur zufällig dazu gekommen war, verschwieg er. Eigentlich hatte es die Weltregierung nicht verdient, aber wer sollte als Identifikationsfigur dienen, wenn nicht sie? Besser als Piraten und das restliche Gesindel war sie allemal, jedenfalls war das Galayns Sicht. Als er wieder die brüchige Stimme Ricardos vernahm, wandte er den Blick. In dem Gesicht des Alten spiegelten sich Hoffnung und Verzweiflung.
„Einem Fremden wollten wir nichts erzählen, aber bei einem Mitglied der Weltregierung sieht es natürlich anders aus. Ira, du bist am besten geeignet. Aber bitte bleibe sachlich.“
Der angesprochene, bisher im Hintergrund gebliebene Mann trat nach vorne. Sein Gesicht war vor Zorn zusammengezogen, bis sich die Brauen fast berührten. Aus seinen Augen blitzte blanker Hass. Aus seinem Hemd zog er eine zerknitterte Rolle hervor. Im Gegensatz zu der an der Oberfläche brodelnden Wut, entrollte er das Papier sehr vorsichtig. Zutage trat ein Steckbrief der Regierung. Unter dem Bild eines aristokratisch anmutenden Mannes im Anzug stand „Schwarzer Engel Domenico“.
Vila, die Hauptstadt Albacete
Noch war sich Hydra überhaupt nicht im Klaren, was sie mit ihrer freien Zeit anfangen sollte. Noch nie in ihrem Leben hatte sie Urlaub gehabt. Doch einen Wunsch konnte sie sich so erfüllen. Sie hatte in einem Land für ein blutiges Ende einer Rebellion gesorgt. Jetzt wollte sie wissen, wie es wirklich in Vila aussah. Zum ersten Mal hatte sie die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit eines Auftrages mit eigenen Augen und Ohren zu überprüfen.
Also hatte sie das Hauptquartier in der Nähe des Hafens im Osten verlassen und war aufgebrochen in die ihr völlig unbekannte Stadt.
Anfangs war sie durch ein Viertel von Albacete gekommen, in dem die Häuser aus Stein und die Straßen gepflastert waren. Der völlige Mangel an Abfall und die Sauberkeit der Wege zeugte von dem Wohlstand der Bewohner. Intuitiv ahnte sie, dass hier ihre Antworten nicht zu finden waren. Deswegen war sie stumm durch die Häuserschluchten aus weiß verputzten Steinen gewandert, hatte sich von dem Strom aus bunt gekleideten Menschen treiben lassen. Die Sonne brannte unangenehm auf ihrem ungeschützten Kopf und sorgte dafür, dass ihr unter der Kleidung der Schweiß herunterlief, auch jetzt noch, nachdem sie bereits gedacht hätte, genug Wasser für eine ganze Woche verloren zu haben. Sie hatte ihren Schritt beschleunigt und stand jetzt im Schatten eines geöffneten Tores, das den Eingang durch eine weiße Mauer ermöglichte. Dahinter wurden die Häuser dunkler und erstreckten sich nicht mehr so weit in den Himmel. Die glatt gepflasterte Straße ging über in einen mit Löchern im Straßenbelag versehenen Weg.
Als sie tiefer in diesen Stadtbezirk vordrang, bemerkte sie erste Anzeichen von Abfällen, schlechter gekleidete Bewohner und der Geräuschpegel nahm nach den vornehmen, leisen Gesprächen des gehobenen Viertels stetig zu. Zu ihrer linken Seite bemerkte sie auf einmal einen dunklen, engen Tunnel zwischen den Häusern, fast nur ein Spalt. Auf unerklärliche Weise wurde sie angezogen von diesem nicht gerade einladend wirkenden Einschnitt in den Häuserreihen. Sie änderte die Richtung und verschwand in die Tiefen des Gewirrs der zu den Slums führenden Gassen.
Völlig versunken in ihrer Erkundung bemerkte sie nicht, wie ihr eine groß gewachsene Gestalt in einem braunen Mantel folgte. Die über den Kopf gezogene Kapuze verbarg das Gesicht im Schatten, sollte Hydra doch auf den Gedanken kommen, sich umzudrehen.
Schließlich hatte Hydra das verschlungene Labyrinth der südlichen Slums erreicht. Innerhalb des Bereiches mit zerfallenden Holzhütten, den von Schrott, Exkrementen und sonstigen Abfällen übersäten Pfaden erinnerte sich die junge Frau auf einmal an ihre Kindheit. Von einem solchen Ort war sie damals vor etwa achtzehn Jahren geholt worden. Ihre Erinnerung waren ihr immer als verloren vorgekommen, doch dieser Ort hatte zumindest eine davon aus ihrer Verschüttung gerettet. Kein Wunder, dass sie sich angezogen gefühlt hatte von dem schäbigeren Teil der Stadt. Ein breites Lächeln erhellte ihr Gesicht. Wäre sie nicht so für einen Moment vor einer der Hütten verharrt, überwältigt von diesem Erinnerungsfetzen, so hätte sie das Gespräch dahinter mit Sicherheit überhört. Doch dieser eine Moment, Schicksal oder Zufall, formte die Zukunft neu. Eine hohe, vor Eifer schrille Mädchenstimme ertönte von der Rückseite dieser schicksalhaften Behausung. Im Lärm des Slums ging sie unter, doch Hydra hatte gute Ohren.
„Mein Bruder wird bald wiederkommen! Du wirst schon sehen, Ramirez.“
Der angesprochene Junge verschaffte sich ebenfalls lautstark Gehör:
„Devante ist in einen Krieg gezogen, den wir nicht gewinnen können.“
Hydra wurde klar, dass sie hier einer Unterhaltung über ein Mitglied der Rebellion lauschte. Ihr wurde übel, als sie sich bewusst wurde, dass es vielleicht sogar sie gewesen war, die den Bruder des jungen Mädchens getötet hatte. Ihr Grinsen erlosch. Unfähig auch nur einen Finger zu rühren stand sie da und hörte zu.
„Immer musst du alles schlecht reden“, kam es schon fast weinerlich. Die ernste Stimme ihres Gesprächspartners, diese Unterhaltung nicht zum ersten Mal führend, antwortete postwendend:
„Es tut mir leid, Alatea. Wie gerne würde ich dir zustimmen. Aber die Reichen haben die Weltregierung auf ihrer Seite. Hier geht es nicht um Gerechtigkeit. Die Wirklichkeit ist nicht wie ein Märchen. Du musst deinen Bruder bitten, die Rebellen zu verlassen, sonst wird er sterben.“
Aber auch wenn dieser für seine Jahre schon sehr weise Ramirez es versuchte, Alatea ließ sich nicht überzeugen:
„Sei ruhig! Wir werden niemals aufhören zu kämpfen. Bis wir endlich auch wie Menschen leben dürfen. Wie kannst du nur so ruhig bleiben?“
Ein Schluchzen unterbrach ihr zorniges Schimpfen, doch Alatea fasste sich wieder:
„Sieh dich doch um, ich will hier weg. Devante hat es mir versprochen. Wenn ich erst alt genug bin, werde ich auch kämpfen!“
Die trotzige Stimme wurde plötzlich verschlungen von einem Lärm, weiter entfernt im Südwesten. Dieser riss Hydra aus ihrer fast tranceartigen Erstarrung. In der Ferne sah sie Rauch in wilden, schwarzen Fahnen aufsteigen. Sie entspannte ihren Kiefer, den sie zusammengedrückt hatte, als wollte sie sich die eigenen Zähne ausbeißen. Dann machte sie sich im Laufschritt auf, dem prasselnden, wilde Muster in die flimmernde Luft zeichnendem Flammenmeer entgegen.
Kapitel 6 – Das Recht des Stärkeren
Vila, Königspalast
Der amtierende König Philipp, der fünfte seines Namens, stand vor dem zwischenzeitlich wieder geschlossenen steinernen Portal, welches in die große Halle führte. Hinter ihm drängte sich sein Gefolge, deren Ungeduld ob der ihnen unverständlichen Pause ihres Herrschers dem Monarchen nicht verborgen blieb. Ein leises Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Sie konnten alle warten. Auch die Würdenträger drinnen, all diese aufgeblasenen Adeligen, die dachten, sie wären ihm, dem König, wichtig. Tatsächlich brauchte seine Regierung sie, aber bei weitem nicht so sehr, wie die Kaufleute, deren Vertreter jetzt hinter den Mauern auf ihn warteten. Und bestimmt nicht so sehr, wie die Militärs, diese engstirnigen, aber doch so nützlichen Werkzeuge. Allerdings waren auch sie nicht so wertvoll, wie die Freundschaft zur Weltregierung. Sein Lächeln erstarb, als ihm einfiel, dass es keinesfalls sein Militär gewesen war, welches diese Rebellion beendet hatte. Nein, erst musste er die Weltregierung um Hilfe anflehen, er, Philipp V.! Nein, sie konnten alle warten. Es war gut, sie von Zeit zu Zeit ihrer Stellung bewusst werden zu lassen. Allesamt getrieben von Gier waren sie gut zu kontrollieren. Gier nach Geld, Gier nach Macht, Gier nach Stellung oder Ansehen. Dass er selbst ebenfalls von Gier getrieben wurde, war dem Herrscher nicht in den Sinn gekommen. Aber er war ja auch nicht wie andere Menschen, denn er war der König.
Nun, auch wenn Philipp den Einsatz der CP-0 hatte bezahlen müssen mit mehr Einfluss der Weltregierung, so war doch alles besser, als von dem rebellierenden Pöbel abgesetzt zu werden. Die dachten doch tatsächlich, sie könnten eine bessere Welt schaffen. Einen Staat, in dem alle gut leben konnten. Unfug, irgendjemand musste immer unten sein. Und wer sollte das anderes sein, als der ungebildete, schmutzige Bodensatz der Bevölkerung? Aber diesmal waren sie zu weit gegangen. Jetzt würde er, Philipp aufräumen und für lange Zeit jeden Widerstand im Keim ersticken. Keine Slums, keine Rebellen, so lautete die Gleichung. Natürlich, es würden sich neue Slums bilden, aber das lag in der Zukunft. Und Menschen vergaßen so leicht und so schnell. Er würde an der Spitze bleiben, dafür würde er sorgen.
Schließlich zufrieden, gab der Monarch einem der Diener ein Handzeichen.
Die in dem gewaltigen Saal wie leises Murmeln erklingenden Gespräche kamen zum Erliegen, als ein Hornstoß das Erscheinen des Königs Philipp V. ankündigte, der zur Feier der Niederschlagung der Rebellion geladen hatte. Wer noch nicht an den langen Tischen, die mit erlesenen Speisen beinahe überladen wirkten, Platz genommen hatte, wich jetzt zwischen die kunstvoll verzierten Marmorsäulen zurück, die die gebogene Decke des Raumes stützten. Die schmale, von vornehm gekleideten Adeligen, protzigen Kaufleuten und schneidigen Militärs gesäumte, Gasse führte von der hufeisenförmig angeordneten, aus poliertem Ebenholz bestehenden, Tafel bis zu dem steinernen Portal, welches übermannshoch in einem zu einer Spitze auslaufenden Bogen in die von Teppichen bedeckte Wand eingelassen war. Das blecherne Signal war kaum verklungen, da schwangen die beiden schmucklosen Flügel des Einganges nach innen auf. Herein kam gemessenen Schrittes der König. Der silbern verbrämte rote Mantel, der sich um die breiten Schultern schwang, schleifte hinter ihm über den Boden. Als die Anwesenden die prunkvolle juwelenbesetzte Goldkrone erblickten, sanken sie auf ein Knie. Obwohl Philipp V. bereits etwas an Leibesfülle zugelegt hatte, hielt er sich gerade, als er in Richtung seines Thrones seine Untertanen passierte. Wie ein Rattenschwanz folgte ihm eine Schar von livrierten Dienern, die sogleich ausschwärmte und begann, die Weingläser der Gäste zu füllen.
Schließlich hatte der König seinen Platz am Scheitelpunkt der Tafel erreicht. Er ergriff seinen Pokal, der mit einem so teuren Wein, dass eine Familie davon einen Monat leben könnte, gefüllt war. Philipp V. jetzt wieder unangefochtener Herrscher über Vila, hob seinen Kelch gen Himmel und verkündete:
„Heute ist der Tag, an dem die schändliche Rebellion gegen Uns mit Hilfe der Weltregierung niedergeschlagen wurde.“
Lautes Jubelgeschrei der Eliten folgte auf diese Verkündung. Einen kurzen Moment ließ sich Philipp feiern, dann beruhigte er die Anwesenden mit seiner linken Hand. Er fuhr fort:
„Aber dies ist nicht der einzige Grund, warum Wir heute unsere Gläser erheben. Denn obwohl die Rebellion beendet ist, ist noch längst nicht aller Abschaum unter unseren Stiefeln zertreten worden. Meine Damen und Herren, in eben dieser Stunde erleben wir das Ende der Schandflecke unserer Städte. Von dem heutigen Tage an sind die Slums Geschichte! Auf die glorreiche Zukunft Vilas!“
Damit führte er den goldenen Kelch an die Lippen und ließ den süßen Wein die Kehle herunterperlen. Die Profiteure des Systems stießen an und prosteten sich zu:
„Auf Vila!“
„Auf unseren König Philipp V.!“
Mit einem Lächeln, welches die Augen nicht erreichte, nahm Philipp V. Platz auf seinem Thron und eröffnete das Festmahl.
Ilha no Meio
Bevor Ira das Wort ergreifen konnte, streckte Galayn die Hand nach dem abgegriffenen Steckbrief aus. Mit einem leichten Zögern überließ der Mann ihm das Papier. Immerhin zehn Millionen Berry war der Verbrecher schwer. Sein ganzes Äußeres war auf Perfektion getrimmt, von dem zurückgekämmten schwarzen Haar, über den sorgfältig getrimmten Schnurrbart bis hin zu den glänzenden Schuhen, ebenfalls schwarz. Unter dem Jackett sah man das faltenfreie weiße Hemd, aus der Anzugstasche lugte ein rotes Tuch hervor. Dem geübten Auge Galayns entging aber auch nicht die Ausbuchtung in Schulternähe, die eine Schusswaffe entlarvte.
Irgendetwas kam ihm an diesem Mann bekannt vor. Allerdings konnte er sich nicht genau an die Situation erinnern. Auch wenn es ihm merkwürdig erschien, seine Kenntnis musste aus der Zeitung stammen, da war er sich sicher.
Galayn war sich sicher, dass dieser Mann für ein friedliches Dorf eine Gefahr darstellte, aber für ihn mit Sicherheit nicht. Wahrscheinlicher war aber sowieso, dass jemand der so aussah seine Handlanger einsetzte, anstatt sich selbst die Hände schmutzig zu machen. Der Agent bezwang seine Ungeduld und atmete tief durch. Er sollte sich lieber anhören, was dieser zornige Mann zu erzählen hatte. Also gab er den Steckbrief zurück und forderte seinen Gegenüber zum Sprechen auf.
Mit vorsichtigen Bewegungen rollte Ira das Papierstück wieder zusammen und verstaute es an seinem Körper, in dem leinenfarbenen Hemd. Dann setzte er sich im Schneidersitz auf den Boden und fing an zu erzählen.
Im Dorf herrschte emsige Betriebsamkeit. In den Gassen spielten die Kinder im Dreck, auf den Straßen waren Erwachsene in ländlicher, einfacher Kleidung unterwegs. Sie suchten Handwerker auf, brachen in kleinen Gruppen, mit ihren Feldgeräten in den Händen, zu ihrer Arbeit auf oder gingen lachend und plaudernd in Richtung Meer. Am Brunnen hatte sich eine Reihe von schwatzenden Frauen versammelt, die sich mit dem sogar hier in anscheinend unbegrenzter Menge zur Verfügung stehendem Klatsch die Zeit vertrieben, bis sie an den Brunnen konnten. Ein paar Tage zuvor hatte das Dorf die Nachricht vom Tode Gold Rogers erhalten, aber um ehrlich zu sein, so richtig interessiert hatte es sie nicht. Mochte sein, dass auch der Archipielago de Serpiente von Piraten besucht wurde, aber wenn überhaupt, dann an den äußeren Rändern. Das Interesse an der restlichen Welt war nicht besonders ausgeprägt, zumindest bis jetzt.
In diese fröhliche, laute und friedliche Atmosphäre hinein ertönte ein lauter, weithin hallender Schuss. Dies markierte das Ende der Abgeschiedenheit eines Dorfes, welches so unbedeutend war, dass es noch nicht mal einen Namen besaß.
Aufgeschreckt unterbrachen die Bewohner ihre Tätigkeiten. In den ausklingenden Donner hinein ertönte kein Wort, doch kaum war das Geräusch verstummt, brachen laute Diskussionen aus. Manche wollten den Schuss im Norden gehört haben, andere im Westen, während weitere steif und fest behaupteten, das Dröhnen käme aus dem Dorfinneren. Wissen taten es nur diejenigen, die sich am Nordende des Dorfes aufgehalten hatten, unter ihnen Ira selbst. Ihnen war eine zehnköpfige Gruppe von Fremden entgegen gekommen. Angeführt wurde sie von Domenico, dessen Anzug und Schuhe von Staub bedeckt war. Er war der einzige, der Intelligenz ausstrahlte, seine Begleiter waren allesamt große, muskulöse Männer mit kurzgeschorenen Haaren und dem ausdruckslosen Blick von Schlägern. Nachdem Domenico seine Pistole abgefeuert hatte, glücklicherweise in die Luft, lud er mit raschen, geübten Bewegungen die verschossene Kugel nach. Erst dann steckte er die Waffe zurück in ihr Holster. Ein kurzes Winken forderte seine Gefolgsleute auf, näher zu kommen. Mit einem Lächeln, das die eiskalten Augen nicht freundlicher erscheinen ließ, forderte er die Anwesenden auf, ins Dorfzentrum zu kommen. Dann, sehr zum Entsetzen der Bewohner, sprossen aus seinem Rücken, die Arme entlang, schwarze Federn und bildeten Schwingen mit denen sich der schwarze Engel in die Luft erhob. Mit offenen Mündern starrten die Einheimischen dem wie ein Vogel durch die Lüfte gleitenden Mann hinterher. Doch ihr Staunen wurde jäh unterbrochen, als die Muskelprotze sie unsanft daran erinnerten, wohin sie gehen sollten. Also machten sie sich, von Furcht erfüllt, rasch auf, die staubigen Straßen zum Brunnen hinunter.
Vila, Slums von Albacete
Hydra hastete durch sich langsam ausbreitendes Chaos. Der aufsteigende Rauch hatte die verschiedenen Bewohner der Slums aufgeschreckt. Für das aus Holz errichtete Elendsviertel mit seinen dicht an dicht stehenden Häusern gab es nichts Tödlicheres. So überraschte es nicht, dass die Menschen fluchend und schreiend durcheinander liefen. Manche strebten ihrem Zuhause entgegen, andere wiederum ergriffen bereits die Flucht, ihre wenigen Habseligkeiten mit sich führend. Einige rannten aber ebenfalls dem Brandherd entgegen, Äxte mit sich führend. Sie wollten durch Abriss die Ausbreitung des Feuers verhindern, war hier doch an ein geordnetes Löschen kaum zu denken.
Die Agentin bahnte sich ihren Weg durch heruntergekommene Gestalten, meist durch Einsatz der Ellbogen. Hitze schlug ihr mit heißen Fängen entgegen, als sie sich dem Ursprung der Feuersbrunst näherte. Aus ihrem Lauf in normalen Gang übergehend, erreichte sie die Feuerlinie. Dort konnte man bereits grässliche Todesschreie hören von den Unglücklichen, die nicht mehr hatten fliehen können. Hydra machte halt und kniff die Augen zusammen. Auch wenn wirbelnder Rauch ihre Sicht trübte und auflohender Flammenlanzen ihr Blickfeld einschränkten, konnte sie doch noch schwach die Umrisse einer Stadtmauer erkennen. Als in ihrem Rücken neue Schreckensschreie losbrachen, wandte sie sich von ihrer Besorgnis erregenden Entdeckung ab. Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen, als sie in allen Richtungen neue Feuerherde erblickte. Wohin sie sich auch wendete, der Slum war eingeschlossen von einem stetig näher kommenden Flammenmeer.
Nur ein paar Dutzend Meter weiter, sicher geschützt durch die Steinmauer, die den Slum vom Stadtinneren trennte, erstatte ein gerüstetes Mitglied der Stadtwache seinem Vorgesetzten Meldung:
„Sir, alle Feuer sind entzündet worden. Das Gesindel und die Rebellenunterstützer sind umschlossen.“
„Sehr gut! Endlich wird dieses Pack mit Stumpf und Stiel ausgerottet. Wurde auch Zeit, dass dieser Schandfleck vom Erdboden getilgt wird. Abtreten!“
Der Hauptmann der Stadtwache rieb sich zufrieden die sauberen Hände. Jetzt, wo die CP-0 die Rebellen ausgelöscht hatte, konnten sie losschlagen, ohne die Rebellion noch weiter anzufachen. Ein Hoch auf ihren König Philipp!
Innerhalb des zum Tode verurteilten Distrikts fiel Hydra wieder die Stimme des Mädchens ein. Augenblicklich machte sie kehrt und eilte zurück. Sie konnte nicht ungeschehen machen, was bereits passiert war, aber wenigstens sollten nicht auch noch diese Kinder sterben. Kraftvoll stieß sie sich vom Boden ab und landete auf einem der bereits verfaulten Dächer. Unter ihren Füßen zerbrach das Holz, doch die Agentin war bereits längst bei der nächsten behelfsmäßigen Bedeckung. Durch ihre Ausbildung war sie kaum noch sichtbar für das normale menschliche Auge und raste als verschwommener Schemen durch das Zentrum des Slums. Wo auch immer sie vorbeikam, hatte sich bereits Verzweiflung breitgemacht. Von den Seiten drangen Menschen in die Mitte vor, in sinnloser Hoffnung auf einen Aufschub des Unvermeidlichen. In ihrer Panik behinderten sie sich gegenseitig und begannen sich totzutrampeln. Aber Hydra war blind für die Tränen der Bewohner, für die mit gebrochenen Gliedmaßen daliegenden Kinder, für die weinende Mutter, die vor ihrem toten Kind saß, für die von den Flammen erreichten menschlichen Fackeln. Inmitten dieser Massen hätte Hydra wahrscheinlich die Kinder nicht einmal gefunden, wenn sie ihr Aussehen gekannt hätte. So blieb ihr nichts anderes übrig, als wider alle Vernunft zu der Hütte zurückzukehren in welcher sie das Gespräch belauscht hatte.
Kurz dachte sie, sie wäre schon zu spät, doch dann sah sie den schicksalhaften Ort wieder, noch ein paar Häuserzeilen vom Feuer entfernt. Begleitet von einem leisen Sirren, landete die Agentin in dem kahlen Hinterhof. Sie ging auf die Knie, da sich vor ihren Augen ein grässlicher Anblick im wahrsten Sinne des Wortes ausbreitete. Inmitten einer sich ausbreitenden, den schmutzigen Erdboden rot verfärbenden Blutlache lagen die leblosen und kopflosen Leichen zweier Kinder.
Ilha no Meio, ein Anwesen
Steif, wie immer mit durchgestrecktem Rücken, saß Domenico in dem ländlichen Gebäude, welches mit seinem fehlenden Luxus seinen Ansprüchen eigentlich nicht genügte. Sein Blick glitt durch den etwa zehn Meter breiten und doppelt so langen Raum, an dessen der Tür gegenüber liegendem Ende er saß. Der Boden bedeckt mit schmuddeligen, abgewetzten Teppichen, durch die manchmal sogar bereits der nackte Erdboden hindurchschimmerte. Die Wände aus mattrotem Mauerwerk, kahl und ohne Zierde. Die archaisch anmutende Feuerstelle, noch dazu in dieser Halle und nicht in einer separaten Küche. Einfach gezimmerte Möbel ohne jeden Komfort und ohne Schönheit. Wenigstens gab es noch ein getrenntes Schlafzimmer. Einen erfreulichen Anblick bot der Raum jedoch schon: das auf dem Tisch vor ihm sich stapelnde Geld, insbesondere die abgenutzten, aber trotzdem immer noch wertvollen Scheine. Sein zusammengekniffener Mund, einziges Zeugnis seiner Frustration über dieses Haus, entspannte sich. Ja, das Geschäft lief ganz gut. Dennoch würde er sich bald überlegen müssen, weiter zu ziehen. Nicht nur, dass hier in diesem unzivilisierten Land nicht so viel zu holen war, nein, jetzt hatte dieser inkompetente Marinekapitän auch noch einen Steckbrief von ihm angefertigt. Die Abgeschiedenheit sollte doch eigentlich ausreichen, aber diese dummen, verbohrten Einwohner hatten es doch geschafft, ihn auffliegen zu lassen. Wer weiß, wann er gefunden würde, wer weiß, ob überhaupt jemand nach ihm suchte, aber um ehrlich zu sein, so wie er die Boten der Apokalypse kannte, sollte er ihnen besser nicht über den Weg laufen.
Dennoch, Domenico machte sich keine übermäßigen Sorgen und so begann er das eingenommene Geld zu zählen.
Kapitel 7 - Anfang
Vila, Slum von Albacete
Zum ersten Mal seit fünfzehn Jahren benetzten Tränen ihre Wangen. Durch den Schleier der salzigen Flüssigkeit, der einen feuchten Vorhang vor ihre Augen zog, sah sie verschwommen und unscharf. So verbargen sich barmherzigerweise vor ihrem Blick die immer noch blutenden, glatt durchtrennten Stümpfe und die im Dreck zwischen von Unkraut bereits teilweise bedecktem Schrott daliegenden Köpfe. Aus den verschmutzten Gesichtern starrte sie noch der entsetzte, ungläubige Blick an, mit dem der Tod die Kinder ereilt hatte.
Mit zitternden Händen wischte sich Hydra über die Augen, sie konnte nicht anders, als hinsehen. Unverschleiert jeden einzelnen Blutstropfen erkennen, der sie ihrer Schuld gemahnte. Die jungen Gesichter sahen sie, so kam es ihr vor, mit ihren weit aufgerissenen Augen anklagend an, als wollten sie ihr mitteilen, dass es ihre Schuld war, womit die Toten recht hatten, wie es ihr bewusst wurde.
Die schwarzen ungeschnittenen Haare waren mit Blut und Dreck verschmiert und umrahmten die Gesichter beider Kinder. Langsam strich Hydra ihnen das Haar aus den Angesichtern und schloss den Toten die Lider. Jetzt gaben die leblosen, anklagenden braunen Augen endlich Ruhe, aber die Agentin konnte den Blick nicht aus ihrem Kopf verbannen. Sie saß einfach nur da, ohne Gedanken, aber erfüllt von einem Gefühl der Schuld.
Das knisternde Brüllen des Feuers weckte sie aus ihrer Starre. Als die rote Flut, glänzende Funken versprühend, das Holz hinter ihr verschlang, erhob sich die junge Frau. Sie hatte eine Entscheidung getroffen, keine, über die sie nachgedacht hätte. Es waren ihre Emotionen gewesen. Lange unterdrückt, brachen sie sich Bahn und jetzt wusste Hydra eines mit Sicherheit: so ging es nicht weiter. Dann sah sie ihre Zukunft vor sich, klar und ohne Zweifel. So musste es sein und nicht anders.
Als sie den Slum betreten hatte, war sie als Hydra, Agentin der CP-0 gekommen. Jetzt, wo sie ihn wieder verlassen würde, ging sie als Alatea, niemandes Diener. Dieses Mädchen hatte den Turm in ihrem Innern zum Einsturz gebracht, durch ihre Worte, aber mehr noch durch ihren Tod. Ihr zu Ehren würde sie diesen Namen tragen. Ein neues Leben. Um des Mädchen willens, aber auch für sich. Ein Leben, in welchem sie nicht mehr töten würde. Ein Leben, in dem nicht Gewalt an der Tagesordnung war. Die Entscheidung war gefallen. Gerade noch rechtzeitig sprang sie in die Luft, bevor die gierigen Flammen sie erreichten. Einen letzten Blick warf sie noch zurück zu den bereits vom Feuer überzogenen Leichen. Sie neigte den Kopf und flüsterte mit von Tränen erstickter Stimme:
„Ruhet in Frieden!“
Dann ließ sie die Flammenhölle hinter sich zurück und damit auch ihre Trauer, ihren Zorn und ihr altes Leben. Doch kaum übernahm ihr Verstand wieder die Oberhand, regte sich ein bohrender Verdacht in ihr. Eine solche Wunde war viel zu glatt, als dass sie jemand ungeübtes hätte schlagen können. Und überhaupt, wer würde schon zwei Kinder töten? Sie aber kannte eine Person, die in der Lage dazu gewesen wäre. Wutentbrannt schrie sie den Namen ihres Partners in den von dichtem schwarzem Rauch verhangenen Himmel, jegliche Vorsätze vergessend, als sie von blindem Zorn überwältigt wurde.
Zu keinem klaren Gedanken fähig, machte sie vor sich die Mauer aus. Hoch ragte sie auf und trennte den brennenden Teil der Stadt ab von dem friedlichen Viertel, dessen Bewohner aber anscheinend keinerlei Interesse an dem ungeheuren Unrecht besaßen, welches sich, nur durch diese steinerne Grenze von ihnen getrennt, ein paar Meter entfernt abspielte. Am geschlossenen Tor machte sie eine Dreiergruppe Wachen aus, die in einer irrsinnig obszönen Aktion Fleisch an Stöcken über dem gewaltigen Feuer unter ihnen brieten. Die ehemalige Agentin fühlte das Blut ihn ihr kochen. Ihr gesamter Zorn kanalisierte sich auf diese drei, die sich der drohenden Gefahr nicht bewusst, lachend unterhielten. Ihr rechter Arm wurde von blau schimmernden Schuppen überzogen, dann formte sich ihre Hand zu einem weit aufgerissenen Maul, dessen gespaltene Zunge in freudiger Erwartung des baldigen Blutstroms zischelnd vor und zurückschnellte. Mit einem letzten Abstoßen katapultierte sich Alatea, wieder als Hydra agierend, auf den steinernen Weg auf der Mauer. Mit einem Wutschrei schleuderte sie ihren in unheimlichem Maße in die Länge wachsenden Arm auf die in jähem Entsetzen verstummenden Soldaten. Pfeifend schoss der mit Fangzähnen bewehrte Schlangenleib durch die Luft und fegte mit müheloser Eleganz den ersten Wächter wie eine Puppe von der Mauer. Der klatschende Aufprall hatte dem Mann die Luft aus den Lungen getrieben und so fiel er nur von dem Knirschen brechender Rippen begleitet in das Feuer. Ohne auch nur an Geschwindigkeit zu verlieren, hatte der eckige Schlangenkopf bereits sein zweites Opfer erreicht und bohrte seine fingerlangen Zähne in das ungeschützte weiche Fleisch der unter dem Helm hervorlugenden Kehle. Blut spritzte föntanenartig aus dem Hals, das Genick durch die Wucht des Bisses bereits zerbrochen. Der letzte Wächter wollte schreiend fliehen, doch bevor er auch nur einen Schritt geschafft hatte, holte ihn der der jetzt mit Blut bespritzte Schlangenarm ein. In Sekundenbruchteilen wand sich das Reptil mehrfach um den sich verzweifelt um Befreiung zuckenden Körper. Würgend spie der Mann Blut, ein jämmerliches Wimmern folgte, als der Druck anfing, sein Skelett zu zerbrechen. Mitleidslos sah Hydra dem Sterbenden zu, erhöhte nur langsam den Druck. Aus den Augen, Ohren und der Nase liefen rote Rinnsale als der die Rüstung mühelos zerquetschende schuppige Muskelstrang sich endgültig zusammenzog. Ein letztes Röcheln, dann war es still. Die übel zugerichtete Leiche aus ihrem Würgegriff entlassend, kehrte Hydra aus ihrem Blutrausch zurück in die Welt. Der rote Vorhang vor ihren Augen verblasste und die Farben verloren ihre Intensivität. Ein leises Klatschen ertönte, als die tote Masse, die einstmals ein Bürger Vilas war, auf der Mauer aufkam. Als ihr Arm wieder auf die gewohnte Länge geschrumpft war, seine Schuppen verblassten und durch ihre fahle Haut ersetzt wurden, klangen auch ihre Emotionen ab. Sie ließ ihren Blick über das fürchterliche Blutbad wandern. Als wäre mit ihrem Zorn auch jede Kraft von ihr gegangen, sank sie zu Boden und kniete vor den beiden leblosen Körpern.
„Was habe ich getan?“
Alatea schlug die Hände vor das Gesicht, unfähig das Blut zu ertragen. Gerade noch hatte sie ein neues Leben beginnen wollen, ein Leben ohne Tod und ohne Blutvergießen. Aber keine Minute hatte es gedauert, da fing sie schon wieder an zu morden. Tränen strömten unter ihren Händen hervor, als sie sich reglos dasitzend hinterfragte, ob sie jemals ihrem alten Leben entkommen konnte.
Ilha no Meio, einige Monate zuvor
Jeder Bewohner, egal, wo er war, machte sich auf zum Brunnen, denn in diese Richtung flog der schwarz befiederte Mann, der sich dunkel drohend vor dem Himmel abhob. Langsam begann sich der Platz zu füllen, als sämtliche Einwohner stehen und liegen ließen, womit sie gerade beschäftigt waren. Noch bevor der Strom jedoch das Rund zu überfluten vermochte, setzte Domenico bereits zur Landung an. Ein letztes Flattern, welches die umstehenden Frauen zurücktrieb, dann setzte er auf der Umrandung des Brunnens auf. Kaum gelandet, flossen die Federn zurück in seinen Körper. Noch während er sich vor den mit ängstlicher Neugier erfüllten Blicken den Staub von seinem Anzug wischte, erreichten im Laufschritt seine Gefolgsleute den Platz. Ihre massigen Körper trieben einen Keil in die Anwesenden, die so langsam begannen, sich dicht an dicht zu drängen. Rasch bildeten die bedrohlich blickenden Männer einen schützenden Ring um den Brunnen.
Völlig entspannt widmete sich Domenico der Säuberung, anscheinend das Stimmgemurmel nicht wahrnehmend. Endlich, als er sicher war, dass das Dorf versammelt um ihn stand, hörte er auf. Er hob die Arme und setzte ein breites, falsches Lächeln auf. Besorgte Stille trat ein.
„Freut euch! Heute werdet ihr in den Schutz des schwarzen Engels kommen.“
Abschätzend musterte er die Bewohner. Er sah die meist einfache Kleidung, ungefärbt, aber gut für die Arbeit. Nur selten deutete ein Farbtupfer in der Menge auf jemanden mit mehr finanziellen Mitteln hin. Keine reichen Leute, aber in der Summe würde es sich schon lohnen. Ehe jemand ihn unterbrechen konnte, fuhr Domenico fort:
„Bezahlt die heilige Spende und ihr werdet vor allem Unheil geschützt sein. Bezahlt nicht, dann wird das Unheil über euch hereinbrechen. 10000 Berry, jeden ersten Montag, oben in Cidade do Meio, für jeden von euch.“
Die Ankündigung sorgte für entsetzte Blicke unter den Bewohnern. Das ging viel zu schnell, den überrumpelten Einwohner fehlte die Sprache. Nur einer wagte sich und ergriff das Wort. Ein junger Mann, über den beigen Kittel ein Netz geworfen, hatte keine Angst und keine Sorge im Gesicht. Stattdessen zeigte es Zorn und so schrie er:
„Wir wollen keinen Schutz. Wir brauchen keinen Schutz! Wir-“
Mehr brachte er nicht heraus, denn bevor auch nur jemand mit der Wimper zucken konnte, hatte Domenico seine Pistole gezückt und einen Schuss abgefeuert. Ungläubig fasste sich Arturo, Iras Bruder, an die Brust. Sein Hemd hatte sich rot gefärbt und als der sich ausbreitende Fleck unter seinen Fingern hervorquoll, brach der mutige und jetzt tote Mann zusammen.
„Arturooooo!“
Verzweifelt schreiend bahnte sich Ira seinen Weg zu seinem Bruder, doch vergeblich. Kein Atem kam über seine Lippen, kein Herzschlag erfüllte seine Brust mit Leben. Hasserfüllt starrte er empor zu diesem Dämonen, doch so wütend er auch war, die Pistole zwang ihn zur Ruhe.
Diesmal erfüllte ein ehrliches Lächeln Domenicos Gesicht.
„So ergeht es denjenigen, die meinen Schutz nicht haben wollen. Vergesst nicht, jeden Montag, jeden einzelnen von euch, egal wie jung oder alt. Ich will euch alle sehen.“
Ohne eine weitere Reaktion abzuwarten, hatte er seinen Standpunkt bereits deutlich genug gemacht, sprossen wieder die Federn aus seinen Armen und der schwarze Engel erhob sich in die Lüfte.
Erregt war Ira aufgesprungen, Zorn und Trauer wechselten sich auf seinem Gesicht ab. Die aufwühlende Erinnerung ließ ihn umhertigern. Einen Moment holte er tief Luft, schien sich wieder zu beruhigen, dann fuhr er fort:
„Was sollten wir machen? Wir sind Farmer, Bauern, Fischer, Handwerker und keine Kämpfer. Seit diesem Tag waren wir jeden ersten Montag oben in Cidade do Meio. All unser Geld müssen wir aufwenden, um zu zahlen. Wir haben gesehen, was geschieht, wenn jemand sich weigert, oder nicht zahlen kann. Wie meinen Bruder knallt er sie ab.“
Von Trauer übermannt hielt Ira inne. Galayn hatte schweigend zugehört, zunehmend war sein gleichmütiger Gesichtsausdruck jedoch Abscheu gewichen. Er hatte genug gehört. Es gab nur noch eines, was er wissen wollte:
„Wo ist dieser schwarze Engel?“
Vila, Albacete
Immer noch saß Alatea vor den Leichen, den Kampf mit ihren inneren Dämonen ausfechtend. Konnte sich ein Mensch ändern? War es ihr Schicksal, für immer den Tod zu verbreiten? Für einen Moment war sie sich sicher gewesen, neu anfangen zu können. Doch wie konnte sie dies schaffen in einer Welt voller Gräueltaten, in der ein Volk sich gegenseitig abschlachtete? Ihre Hände krallten sich in die rauen Fugen des Steines, als könnte er ihr Halt geben. Aber nein, natürlich konnte er dies nicht. Wie auch, es war nichts als toter Stein. In ihre Hoffnungslosigkeit hinein vernahm sie entfernt, gedämpft durch ihre Verzweiflung, die sie von der Welt draußen isolierte, Schreie. Mehr aus einem Reflex heraus hob sie den Kopf und strich sich das Haar aus dem Gesicht. Das gellende, von Schmerz und Todesangst zeugende, Gebrüll kam aus dem Slum. Klar, immerhin verbrannten dort die Menschen. Wieder einmal war der Tod nötig, um Alatea aufzurütteln. Wie der Rauch, der von einer auffrischenden Brise auseinandergetrieben wurde, befreiten sie die Schreie von ihrem dumpfen Brüten.
Angewidert warf sich Alatea ihren Egoismus vor. Da unten starben Männer, Frauen und Kinder, vielleicht arm, vielleicht wirklich kriminell, aber immer noch Menschen. Und sie? Versank in Selbstmitleid und Verzweiflung. Einen kurzen Moment flammte Zorn auf, der Wunsch zum Palast zu gehen und dieses ganze verlogene Pack umzubringen. Doch diesmal war sie aufmerksam. Sie schüttelte den Kopf. Diesmal würde niemand sterben. Diesmal würde sie es besser machen. Das war sie den Toten schuldig. Befreit von ihrer Last, erhob sie sich. Tränen der Freude flossen ihre Wangen hinunter, denn sie würde leben, ein wirkliches Leben, nicht dieses Scheinleben, welches sie bisher geführt hatte.
Alatea sprang die Mauer herunter, auf das vornehme Pflaster der Straße. Beschwingten Schrittes ging sie fort, wohin wusste sie nicht. Hauptsache fort, denn sie wollte nichts mehr mit allem hier zu tun haben.
Doch schon bald holte sie die Realität ein. Als sie die verlassene Straße, vorbei an geschlossenen Läden und verriegelten Häusern, Symbolen der Einwohner, die ihre Augen vor den Geschehnissen in den Slums verschlossen, bis zur nächsten Kreuzung durchwandert hatte, sah sie die Gestalt in dem Kapuzenmantel. Mahnend stand sie da, keine zwanzig Meter die rechte Abzweigung entlang. Ein Windstoß wirbelte den braunen Stoff umher, bauschte den Mantel auf und blies dem Mann die Kapuze vom Kopf. Darunter entblößte sich die blutrote Maske Kills.
Überrascht stellte Alatea fest, dass sie nicht mehr den Wunsch verspürte, Rache zu nehmen. Sie hielt inne, dann erhob sie die Stimme, gab ihr einen festen Klang:
„Ich bin raus.“
Kapitel 8 - Innenschau
Vila, Albacete
Kill schien keinesfalls überrascht, wenngleich das wegen seiner Maske nur schwer festzustellen war. Seine linke Hand tauchte in die Dunkelheit seines Mantels ein, blieb aber vorerst dort verborgen.
„Man verlässt die CP-0 erst mit dem Tod. Aber soll doch der Direktor entscheiden, ob du noch eine Chance erhältst.“
Kaum hatten die Worte seinen Mund verlassen, kam auch sein Arm aus dem groben Stoff hervor und offenbarte die schwarz gefärbte Teleschnecke Kills. Alatea war nicht besonders schockiert, hatte sie doch nicht erwartet, bei Kill auf Verständnis zu stoßen. Tatsächlich begann ihr zu dämmern, dass sie wohl um ihre Freiheit würde kämpfen müssen. Sie ballte instinktiv die Fäuste.
„Steh mir nicht im Weg. Ich will nicht mehr kämpfen, aber ich komme entweder tot oder gar nicht zurück.“
Schon als sie die laute Warnung ausgesprochen hatte, war ihr klar, dass es keinen Sinn hatte. Immerhin ließ der Agent die Teleschnecke wieder sinken. Zu ihrer Überraschung griff Kill zu seiner immer vorhandenen Maske und entblößte sein Gesicht.
Alatea war kurzzeitig enttäuscht, hatte sie doch etwas Besonderes erwartet. Aber in Wirklichkeit war das Gesicht ihres Gegenübers nicht von Narben entstellt oder sonderlich hässlich. Die etwas knollige Nase war an der Spitze gerötet, vermutlich durch die Reibung an der Maske. Die so ausdruckslosen starrenden Augen blickten sie an, als sich der verkniffene Mund in die Breite zog und die ob mangelnder Luft etwas unreine Haut zerknittern ließ. Die von dem Lächeln entblößten gelben Zähne zogen ihren Blick mit ihren unregelmäßigen Reihen an.
„Jetzt ist es persönlich. Chance vertan. Ich mag es nicht, wenn man mir droht. Und ich mag auch niemanden, der unsere Sache verrät. Parere!“
Alateas Augen weiteten sich und wurden plötzlich leer. Jahrelang eingetrichterte Zwänge hielten ihren Geist gefangen. Das Wort hatte sie wieder zurück in Hydra gewandelt. Jeglicher Gedanke an Freiheit war wie weggewischt. Und doch, etwas war anders. Tief in ihrem Bewusstsein vergraben, überlagert von Erinnerungen an vergangene Schläge, Lektionen und Belohnungen, den endlos vielen Belehrungen, stemmte sich ein kleiner Rest Alateas gegen das drohende Vergessen.
Ohne jede körperliche Reaktion registrierte Hydra, wie sich Kill ihr langsam näherte, dessen Augen endlich eine Emotion zeigten. Hass funkelte ihr entgegen und der im Zorn gezogene Dolch war bereit ihrem Leben ein Ende zu setzen. Aber Hydra, die an der Oberfläche die Kontrolle behielt, wartete emotionslos ab, gewillt den Tod zu empfangen, denn wer immer dieses Wort sprach hatte die Kontrolle über Körper und Geist. Solange Kill sie nicht wieder aus ihrer Passivität erlöste, würde sie stehen bleiben.
Verzweifelt wollte Alatea ihre Beine in Bewegung setzen, probierte, ihre Arme zu heben und zu kämpfen. Vergeblich. Auch wenn sich die Zeit endlos zu dehnen schien, trennte sie nur noch wenige Schritte von dem sich unaufhaltsam nähernden Agenten. Hoffnungslos angesichts ihrer gescheiterten Bemühungen, gab Alatea jeden Widerstand auf. Noch fünf Schritte, vier, drei, der Dolch hob sich bereits. Im Angesichte des Todes verstummten ihre hektischen Gedanken und Stille kehrte ein. In diesem Moment, als Kill zum letzten Schritt anhob, kam ihr die Erleuchtung. Es war gar kein Widerstand nötig. Tatsächlich hatte sie ihr blinder Versuch die Wahrheit zu verdrängen nur noch tiefer in die Stricke der Konditionierung verheddert, zumindest stellte es sich Alatea so bildlich vor. Ihre Erkenntnis benötigte keine Zeit. Sie war nicht frei und das war die Wahrheit. In ihrer Beobachtung dieses einen Sachverhaltes löste sich jeder Kampf gegen sich selbst auf. Sie war nicht länger Alatea, getrennt von Hydra, sondern es gab nur eine Person, nannte sie sich nun Alatea oder Hydra. Ihre Einsicht verschaffte ihr den inneren Frieden, der ihr gefehlt hatte. Sie war eins und als solches auch in der Lage, frei zu sein. Es war kein aus ihren Gedanken geborenes Wissen, sondern sie hatte gesehen. Ihr war klar, dass sie es niemals würde in Worte fassen können, aber für diesen einen Moment, hatte sie die Wirklichkeit akzeptiert und sich gelöst von dem dumpfen Druck der Vergangenheit.
Mühelos machte sie einen Schritt zurück und wich elegant dem Dolch aus. Sie fing den Ausdruck von Angst in den Augen Kills auf. Von dem Momentum seines Angriffes getragen, konnte der Agent seine Bewegung nicht mehr stoppen. Wie ein Papier im Wind drehte sich Alatea zur Seite, ließ ihren Feind passieren. Schlitternd kam Kill auf dem Pflaster zum Halten, doch zu spät, ihn traf das gestreckte Bein der desertierten Agentin mit voller Kraft im Rücken. Trotz seines Tekkais wurde er weggeschleudert, prallte, eine Wolke aus Staub und Steinsplittern verursachend, in ein Haus. Die Erschütterung drang ihm durch alle Knochen, hatte aber seine Wirbelsäule nicht gebrochen. Alatea sah Kill zu, wie er sich kopfschüttelnd aus den Trümmern befreite.
„Wie kann das sein? Du solltest nicht kämpfen können, Hydra.“
Die fassungslose Stimme drang aus dem aufgewirbelten Staub zu ihr herüber.
„Ich nenne mich nicht mehr Hydra. Ich bin auch nicht mehr nur Hydra. Ich bin auch Alatea, frei von der Vergangenheit. Nie wieder wird man mich herumkommandieren können.“
Leicht hinkend schälte sich der staubbedeckte Agent aus dem Krater, den er in dem doppelstöckigen Haus hinterlassen hatte. Ein Licht ging Alatea auf.
„Weißt du, beinahe könnte ich Mitleid mit dir bekommen. Kein Wunder, dass du solch einen Hass hegst. Ich bin den Schritt gegangen, den du dir so herbeisehnst, aber nie wirst gehen können.“
Kills Schweigen war ihr Antwort genug. Sie stellte sich dem wütenden Blick des Agenten, bemerkte aber die immer wieder aufflackernde Furcht. Wenn sie etwas in dem Gesicht eines Menschen lesen konnte, dann war es Angst. Wo sie auftauchte, da herrschte Angst und so bekam sie kaum mal etwas anderes zu sehen. Reglos blieb Alatea stehen, erwartete die Reaktion des zwar angeschlagenen, aber keinesfalls geschlagenen Agenten. Würde er immer noch kämpfen?
Kill verschwand nicht, zog aber auch keinen Dolch. Stattdessen wählte er eine Nummer. Alatea ließ ihn gewähren, noch von der Hoffnung beseelt, einen friedlichen Ausweg finden zu können.
„Ja?“
Die Stimme des Direktors drang etwas gereizt aus dem Hörer und ließ Kill leicht zusammenzucken. Trotzdem antwortete er:
„Wir haben ein Problem. Hydra hat beschlossen, uns zu verlassen. Und sie reagiert auch nicht mehr auf das Schlüsselwort.“
Zufrieden hörte Alatea den leicht panischen Unterton aus dem letzten Satz heraus. Falls der Direktor von der Nachricht getroffen war, ließ er es nicht verlauten. Nur die kurze Pause deutete auf seine Überraschung hin. Dann sagte er mit einer übermäßig freundlichen Stimme:
„Hydra-“
Den Namen wollte sie nicht mehr hören, also fiel ihm die ehemalige Agentin ins Wort:
„Ich bin jetzt Alatea. Lass mich gehen oder versuche mich töten zu lassen. Aber komm mir nicht mehr mit deinen zuckersüßen Lügen. Deine Netze habe ich endgültig zerrissen.“
Mit leicht geröteten Wangen, die ihr sonst so totenblasses Gesicht belebten, wartete sie auf die Reaktion des Direktors. Doch dann fiel ihr noch eine Frage ein:
„Und übrigens: wie habe ich wirklich geheißen? Niemand heißt Hydra, also komm mir nicht damit.“
Fast rechnete sie nicht mehr mit einer Antwort, als die Zeit verstrich, doch endlich, ihr kam es wie eine Ewigkeit vor, kam die Antwort, hart und keine Freundlichkeit mehr vortäuschend:
„Ich weiß es nicht. Aber eines weiß ich sicher. Du bist tot.“
Kein Hass, tatsächlich keine einzige Emotion klang heraus. Nur wenn man den Direktor hätte sehen können, wäre einem der innere Kampf aufgefallen, den er ausfocht, um ruhig zu bleiben. Mit der gleichen monotonen Stimme fuhr er fort:
„Kill, du wirst sie töten, solange gibt es keinen anderen Auftrag, der dich ablenken wird. Ich werde dir Haze zur Unterstützung senden.“
Bevor es mit seiner Selbstbeherrschung vorbei war, legte der Direktor auf. Dann durchdrang ein Wutschrei sein Büro. Das sollte nicht passieren und schon gar nicht im Moment. Ein schlechtes Bild konnte er sich nicht leisten, aber jetzt war es zu spät. Wenn sie die Konditionierung durchbrochen hatte, blieb nur noch die Exekution. Seine vielleicht gefährlichste Agentin war auf freiem Fuß und er bezweifelte, ob dies dauerhaft geheim zu halten war.
Ilha no Meio
Der Wind, den seine Bewegung ihm ins Gesicht blies, wirkte belebend. Auf dem Weg nach Nordwesten breitete sich vor ihm eine wellige Hügellandschaft aus. Rechterhand stieg das Terrain zu einem zerklüfteten kahlen Berg an, an dessen Fuß sich vom Wind verdrehte kleine Bäume schmiegten. Mit ausgreifenden Schritten setzte Galayn über die verstreut daliegenden Felsbrocken hinweg, den Blick auf Iras Rücken gerichtet. Der Mann hatte sich für ihn wenig überraschend als Führer angeboten und er wollte mit Sicherheit niemanden vor den Kopf stoßen. Er hatte es nicht übermäßig eilig und passte sich dem zwar noch zügigen, aber für seine Verhältnisse eher langsamen Tempo an. Seit sie vor etwa einer Stunde durch die grünenden Felder laufend den Bereich des Dorfes verlassen hatten und von da an durch die von kleinen zähen Gräsern bewachsenen Weite der dahinter liegenden Landschaft ihren Weg fortsetzten, hatte Ira seine Geschwindigkeit kein einziges Mal verändert. Den Kopf gesenkt, den Blick fest auf den Boden vor ihm gerichtet, war er wortlos gelaufen. Das kam ihm entgegen, war er doch ein großer Freund von Stille. Sie gab ihm die Möglichkeit, die Natur zu betrachten und sich Gedanken zu machen. Kurzfristig beobachtete er eine der kleinen braun gefleckten Schlangen, die sich von hinten auf ein kleines Nagetier zuschlängelte. Für einen absurden Moment konnte sich Galayn nicht entscheiden, ob er auf die Flucht des Säugers hoffen, oder sich lieber den Erfolg der Schlange wünschen sollte. Noch an dieser ganz faszinierenden Frage arbeitend, hatte der Überlebenskampf des Nagers schon ein abruptes Ende gefunden. Kurz zuckten die kleinen Beine noch, während aus den in seinen Körper vergrabenen Fangzähnen unerbittlich das tödliche Gift in sein Blut rann. So war der Lauf der Natur, dachte sich Galayn, als er an der erfolgreichen Schlange vorbeilief, sorgsam zwischen den vereinzelt herumliegenden Reptilien seinen Weg suchend. Als er einen letzten Blick über die Schulter warf, sah er, wie auch den Jäger sein Schicksal ereilte, als eine im Vergleich gigantisch wirkende gelbliche Schlange hoch aufgetürmt auf das kleine braun gefleckte Reptil hinuntersah.
Auch wenn er den Überlebenskampf der Natur spannend fand, richtete Galayn den Blick wieder nach vorne, zurück auf den langweiligen Boden, um die seiner Geschwindigkeit angemessene nötige Aufmerksamkeit walten zu lassen.
Jetzt, wo er die auf die Dauer doch recht eintönige Landschaft mit ihren seltenen Bäumen, klein und mit ledrigen Blättern, ohne ein Gewässer weit und breit genug betrachtet hatte, fingen seine Gedanken an zu wandern.
Wo er auch hinkam, anscheinend war der Mensch unfähig zu leben, ohne dass es welche gab, die andere unterdrücken mussten. Kein Vergleich zu den Tieren, die obwohl kaum vernunftbegabt, doch in dieser Hinsicht dem Menschen so überlegen schienen. Sei es nun die kleine Schlange, oder die große Gelbe, sie töteten nicht für Macht, sie kämpften ausschließlich für ihr Überleben, um ihren Hunger zu stillen. Sie kannten keinen Hass, wollten nicht herrschen. Warum war die Welt so gemacht? Galayn wusste es nicht, aber er wusste auch, dass er seinen Anteil an der menschengemachten Gewalt gehabt hatte. Aber auch, wenn er diese Zeit hinter sich gelassen hatte, wäre es zu einfach gewesen, seine darauf folgende Hilfsbereitschaft an diesem einem Punkt festzumachen. Nicht nur Buße, denn das war es bestimmt nicht. Ebenfalls lag es nicht nur an seinem großen Herz, denn das hatte er auch nicht. Vielleicht war es auch eine gewisse Trotzreaktion, aber daran wollte er sich gar nicht erinnern. Tatsächlich war es eine Mixtur, die seine Wirkung entfaltet hatte, als er den Feuern entkommen war, die seine Hoffnung auf ein friedliches Leben verzehrt hatten. Dauerhafte Entsagung konnte es nicht geben. Wer Macht besaß, würde sie einsetzen, früher oder später. Zumindest traf es auf ihn und die meisten anderen Menschen zu, sonst wäre er ja kaum wieder hier. Und er wusste, er würde seine Fähigkeiten einsetzen. Er hoffte, dass die Weltregierung ihn nicht enttäuschte, denn ihm war klar, dass er sich niemals wieder würde unterordnen können. Gerade weil er wusste, wie fürchterlich ein Leben ohne Selbstbestimmtheit war, konnte er auch Domenico nicht verzeihen.
Unbewusst suchte Galayn nach wie vor die Umgebung ab, und so richtete sich seine Aufmerksamkeit zurück in die Wirklichkeit. In absehbarer Zeit würden sie die Ausläufer eines weiteren zerklüfteten Berges erreichen, die diese Insel prägten. Sein geübter Blick schätzte ab, ob es dort Eisen geben würde. Er schüttelte den Kopf, um den Gedanken zu vertreiben. Diese Zeit war auch vorbei.
Eine kleine Zeitspanne später hielt Ira am Fuß des Berges an. Hier ging die spärlich bewachsene Ebene über in einen kleinen Wald. Die Atmung seines Führers war nur unwesentlich beschleunigt, als er einen Wasserschlauch von seinem Gürtel nestelte. Er trank gierig ein paar Schlucke im Schatten eines glattrindigen Baumes. Als er den Verschluss wieder eingestöpselt hatte, deute er mit dem Schlauch auf den Wald:
„Dahinter liegt unser Ziel. Es dauert noch etwas eine halbe Stunde.“
Galayn nickte nur ungeduldig. Wieder nahmen sie ihren Lauf auf, diesmal unter dem kühlenden Schatten der Bäume. Der Weg, gesäumt von kleinen Büschen, war nicht mehr als ein Trampelpfad. Viel wuchs hier sonst nicht, keine Schlingpflanzen, keine blühenden Blumen. Immerhin fehlten auch die großen Insektenschwärme, die man hätte erwarten können. Dafür mussten sie aufpassen, nicht auf Schlangen zu treten, oder in von den Ästen herabhängende Reptilien hinein zu laufen. Galayn war erstaunt, wie sicher Ira sich durch diese lebenden Hindernisse bewegte, andererseits musste man auf dieser Inselgruppe wohl oder übel lernen die Schlangen zu meiden.
Wie vorausgesagt, dauerte die Durchquerung nicht sonderlich lange. Kurz bevor sie den Hain verließen, sah Galayn etwas abseits vom Weg Wasser aufblitzen, entschied sich aber dagegen, einen Umweg zu machen.
Die letzten Ausläufer des Waldes hinter sich lassend, kamen die beiden zu einer Reihe von Feldern, die aber sträflich vernachlässigt wirkten. Unkraut überwucherte die zarten Spitzen des angebauten Getreides. Hier war schon länger niemand gewesen. Ira knurrte zwischen zusammengebissenen Zähnen:
„Der hier lebende Gutsherr wollte sein Haus nicht Domenico überlassen. Einen Knecht hat dieser Dämon am Leben gelassen, damit er erzählt, was geschehen ist. Hat ihm gesagt, so dient er ihm besser.“
Galayn wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Das radikale Vorgehen schien jeglichen Gedanken an Widerstand im Keim erstickt zu haben, aber auf die Dauer würde es sich wohl kaum positiv auszahlen. Nicht, dass das jetzt noch eine Rolle spielte.
Eine letzte Kurve, dann sah er kaum eine Steinwurf entfernt das Gutshaus stehen. Ein langgestrecktes steinernes Gebäude dessen Dach gedeckt war mit richtigen, tönernen Ziegeln und nicht mit den sonst üblichen Stauden. Ins Auge fiel ihm aber eher der eine Wachposten, der rechts vor dem Haus herumlungerte und seinen Blick aber nur sporadisch auf die nach Osten führende Straße richtete.
Galayn lächelte. Er vermochte es nicht zu leugnen, dieser Part machte ihm Spaß. Seine Dolche lockernd überholte er Ira und bedeutete ihm, zurück zu bleiben. Dann nahm er Geschwindigkeit auf und strebte dem Haus entgegen.
Im Inneren des Gutshauses
Lustlos stocherte Domenico auf seinem Teller herum. Seine Männer mochten zwar beeindruckend aussehen, aber kochen konnten sie definitiv nicht. Er bezweifelte, dass es bei den ländlichen Zutaten überhaupt seinen Ansprüchen genügen konnte, aber auch im Schlechten gab es Unterschiede. Für einen Moment war er versucht, den Koch zur Verantwortung zu ziehen, aber dann verwarf er den Gedanken. Seine Männer waren zu wertvoll in seiner jetzigen Situation. Kurz ließ er den Blick den Tisch entlangschweifen. Seine Männer tafelten auf eine äußerst unappetitliche Weise. Mit bloßen Händen zerrissen sie angekokelte Fleischstücke in handliche Brocken, manche waren immerhin zivilisiert genug, ein Messer dafür zu verwenden, nutzten ihre dreckigen Finger aber nach wie vor als Hauptbesteck. Mit geöffnetem Mund sprachen und kauten sie gleichzeitig und dazu noch alle durcheinander. Domenico hatte es längst aufgegeben zuzuhören und widmete sich lieber anderen Dingen. Jetzt, wo der Preis für den Monat gespendet worden war, gab es nichts Dringliches zu planen. Also erlaubte er es sich, den Blick in die Vergangenheit schweifen zu lassen. Zurück in die Zeit, wo er noch als Adeliger in angemessenen Verhältnissen gelebt hatte. Tief war er gesunken, wahrhaftig. Die Schuld dafür bei sich zu suchen kam ihm nicht in den Sinn. Er nahm es dem König immer noch übel, dass er ihn verbannt hatte. Das war alles, was Domenico in den Kopf kam, wenn er zurück blickte. Immer nur dieser Bannspruch. Er erinnerte sich noch gut an die Gerichtsverhandlung. Die Tatsache, dass er vor ein Tribunal gezwungen wurde, regte ihn auf. Wirklich zu schade, dass Menschen nur einmal sterben konnten. Unglaublich, dass ein Adeliger sich verteidigen musste.
Es waren doch nur ersetzbare Diener und Arbeiter gewesen. Gut, vielleicht war er etwas hart gewesen, aber ein Diener hatte zu gehorchen. Domenico war nach wie vor unfähig, zu begreifen, wieso ihm keine Hinrichtung erlaubt gewesen sein sollte. Es musste doch Schicksal sein. Er war dazu geboren und bestimmt an der Spitze zu stehen, besser zu sein.
Seufzend schob er sich ein Stück säuberlich geschnittenes Fleisch in den Mund. Leider hatte es ihm an der Macht gefehlt etwas gegen seine Verbannung zu tun. Auch das war etwas, was Domenico sehr gut in Erinnerung behalten hatte. Diese Ohnmacht, der Mangel an Möglichkeiten etwas zu tun, verfolgte ihn noch immer. Wieder wütend geworden, kaute er heftig.
Doch da kamen die Boten und überbrachten ihre Botschaft des Todes. Sie gaben ihm die Frucht, mit der die Macht einherging. Er lächelte, als er an den entsetzten Blick dieses hochnäsigen Königs dachte. Ein berauschenderes Gefühl, als diese triumphale Rückkehr in das Land, welches ihn so verräterisch ausgestoßen hatte, war Domenico noch nie begegnet. Ja, die Macht der Boten der Apokalypse war beeindruckend gewesen. Nur durch sie hatte er Rache nehmen können. Leider war seine Freude nur von kurzer Dauer, denn anstatt, dass er wieder zurück in sein altes Leben konnte, forderte die Nummer eins seinen Gehorsam ein. Aber ein Leben in Armut, als Diener? O nein, nicht mit ihm. Also war er geflohen, gezwungen von null anzufangen. Er konnte sich glücklich schätzen, dass er hier her gefunden hatte. Das musste ein Wink des Schicksals sein, dass es ihn immer noch hoch schätzte. Vielleicht noch ein halbes Jahr, dann konnte er wieder leben, wie es ihm geziemte.
Sein episodenhaftes Betrachten sorgsam gefilterter Vergangenheitsfetzen wurde unterbrochen von dem Krachen seiner gewaltsam aufgesprengten Tür, die sich aus den Angeln gelöst hatte. Aufgeschreckt erblickte er den zusammenbrechenden Körper seiner Wache, die in Richtung Tisch schlitterte. Hinterher folgte ein schwarz gekleideter Mann, dessen violette Augen ihn fixierten. Er fand das Lächeln des Fremden äußerst beunruhigend, nichtsdestotrotz sah er keinen Grund klein beizugeben.
„Tötet ihn!“, befahl er seinen Männern, die bereits alarmiert aufgesprungen waren und begonnen hatten, den Eindringling zu umkreisen.
Kapitel 9 – Unausweichliche Konfrontation
Ilha no Meio
Es war wirklich kaum zu glauben. Obwohl er keinesfalls sonderlich vorsichtig näher gekommen war, hatte ihn der nachlässige Posten immer noch nicht entdeckt. Fasziniert von solcher Leichtsinnigkeit betrachtete Galayn den Mann vorsichtig, hinter einer Hausecke verborgen. Nicht, dass ihn seine Entdeckung wirklich stören würde, aber je unerwarteter er kommen würde, desto unwahrscheinlicher eine Flucht seines Ziels.
Mit einem großen Satz überbrückte er die Distanz und landete genau vor dem Wächter, dessen Augen sich vor Überraschung weiteten. Noch bevor er den Schrei herausbringen konnte, der ihm auf der Zunge lag, versenkte Galayn bereits seine Faust im Oberkörper des Mannes. Von der Wucht des Schlages jeglicher Luft beraubt, konnte er wenig mehr als ein ersticktes Keuchen von sich geben, dann prallte er mit dem Rücken gegen die hölzerne Tür, die sich in der gemauerten Wand hinter ihm befand. Wenngleich die Tür unverschlossen war, vermochten die Angeln dem plötzlichen Druck nicht stand zu halten und brachen aus ihrer Verankerung. Über das fallende Holz hinweg beschrieb der Körper der Wache einen Bogen, bevor er auf dem Boden aufschlug. Noch während er durch die neu entstandene Öffnung eintrat, zog er mit geübtem Griff die leicht gebogenen Dolche aus ihren Scheiden. Ein rascher Blick in die Runde zeigte ihm einen länglichen, rustikalen Tisch, an dem acht Männer aßen, auch wenn sie diese Tätigkeit jetzt unterbrachen. An der Stirnseite hob sich der im schwarzen Anzug fehl am Platz wirkende schwarze Engel von seinen rohen Untergebenen ab.
Ohne Eile fasste er Domenico ins Auge, ignorant gegenüber den sich hastig sammelnden Untergebenen. Immer noch fehlte ihm die Erkenntnis, woher er den Mann kannte. Er war wirklich gespannt, wie sich der schwarze Engel verhalten würde. Seine Augen fixierten zwar den Aristokraten, trotzdem nahm er mehr unterbewusst wahr, wie die Rohlinge Aufstellung bezogen und ihre Waffen zückten. Irgendetwas daran kam ihm seltsam vertraut vor, auch wenn er nicht drauf kam, woher. In seinen Erinnerungsversuch hinein, hörte er die Stimme des schwarzen Engels:
„Tötet ihn!“
Da, als, er diese Worte hörte, die Aufstellung der Männer um ihn herum, die einen unregelmäßigen Halbkreis gebildet hatten, ins Auge fasste, ihre mit einer Mischung aus Unsicherheit., Angst und Schicksalsergebenheit unstet wandernden Blicke bemerkte, ihre durch das verkrampfte Festhalten der Waffen weißen Knöchel sah und sich der Dolche in seinen Händen bewusst wurde, da schlug es wie ein Blitz ein. Es war genau wie damals und unausweichlich wurde er wieder hineingezogen in diese Erinnerung.
Die Dolche, glänzend polierte Waffen, in deren Beherrschung er es in mühseligen Jahren zur Meisterschaft gebracht hatte, fest mit den Händen umfasst, schritt er aus dem Dunkel des Ganges unter dem hochgezogenen eisernen Fallgitter hinaus in das Licht. Der steinerne Untergrund wich dem grobkörnigen Sand der Arena, als er aus dem gähnenden Loch in der glatten Umrandung in das Rund des Kolosseums trat. Die plötzliche Helligkeit blendete ihn kurzzeitig und ließ ihn blinzeln. Verschwommen nahm er die Umrisse von acht Gestalten war, die ihn bereits zu erwarten schienen. Als sich seine Augen an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, erkannte er in den im etwa zwanzig Meter entfernten Zentrum der Arena stehenden Menschen seine Lehrer. Unschlüssig blieb er stehen und ließ verharrend seinen Blick schweifen. Kaum gefüllt war das Kolosseum, tatsächlich waren ausschließlich in der Loge zu seiner rechten Seite Plätze belegt. Dem Meister Nahestehende und Familienmitglieder waren anscheinend die einzig zugelassenen Zuschauer.
Von seinem Standort aus vermochte er gegen das Sonnenlicht nicht viel mehr als Umrisse wahrzunehmen, die sich im Schatten unter dem schützenden Dach über der Loge genauerer Betrachtung entzogen. Nur der Meister selbst saß so weit vorne, dass er ihn, zumindest bis zur Brust, erkennen konnte. Unter der hohen Stirn sahen ihn die grauen, tief in den Höhlen liegenden Augen mit ihrem durchbohrenden Blick an. Beginnendes Alter merkte man ihm an den schon etwas hängenden Wangen an, genauso an den sich abzeichnenden Falten, die aber noch einige Jahre brauchen würden, bis sie sich wirklich eingegraben haben würden. Das hielt ihn aber nicht davon ab, sein bereits schüttern werdendes Haar, das schon von Schwarz in Grau überging, eitel zurück zu kämmen. Mit der gleichen Aufmerksamkeit, die er allen Dingen zukommen ließ, hatte er seinen kleinen Schnurrbart gestutzt, der unter der geraden Nase keinen Millimeter über die leicht hängenden Mundwinkel hinausragte. Sollte jemand an seiner Standhaftigkeit zweifeln, so musste er nur einen Blick auf das vorgeschobene Kinn werfen, um eines besseren belehrt zu werden. Mit dem perfekt sitzenden, faltenfreien und blütenweißen Hemd bot er ganz das Bild eines Perfektionisten, der nichts dem Zufall überließ. Schon damals wusste es aber besser. Eine Sache immerhin musste auch der Meister dem Zufall überlassen, wenngleich er alles in seiner Macht stehende, und das war viel, tat, um seinen Plan zu verwirklichen und den Einfluss Fortunas zu minimieren.
Wieder setzte sich der einsame und noch leicht verwirrte Kämpfer in Bewegung, näherte sich dem Zentrum der Arena und so auch der Höhe der Loge. Schließlich hielt er keine Mannslänge von den äußeren Enden der von seinen Lehrern geformten Sichel an. Durch den Sand schimmerten rote Farbtupfer hervor, Spuren vergossenen Blutes, an dem er seinen Anteil gehabt hatte. Der Ausschluss einer breiteren Öffentlichkeit ließ ihn vermuten, er würde mal wieder einer Prüfung unterzogen werden. Also richtete er fragend den Blick zum Meister. Dieser fixierte ihn aus den gesenkten Lidern, dann befahl er in seinem ruhigen Ton:
„Dulug, töte sie!“
Das hatte er nicht erwartet und seine Lehrer offensichtlich auch nicht, wie er an ihren auf einmal von Angst erfüllten Blicken erkannte. Diese Mentoren, die er jahrelang kannte, sollte er töten? Nicht, dass er keine Freude verspürte, wenn er kämpfte, nein, er wollte sich nichts vormachen. Aber sie töten? Noch zögerte er, sah seine Lehrer rasche Blicke austauschen. Sie sagten nichts, sondern zogen ihre Waffen, nahmen ihre Kampfposition ein und sahen ihn mit einer Schicksalsergebenheit an, die wechselweise von Angst und zögerlicher Hoffnung ersetzt wurde. Sie alle kannten ihn und seine Fähigkeiten gut, aber nichtsdestotrotz waren sie acht und er alleine. Dulug fällte seine Entscheidung, noch bevor der Meister seiner Forderung Nachdruck verleihen würde. Kaum hatte er die Dolche in die Angriffsposition erhoben, griffen sie fester zu. Ein letztes Mal ließ er den Blick über seine Mentoren schweifen. Hier waren sie, der Schwertmeister, seine Hakilehrer, Mentoren für den unbewaffneten Kampf, allesamt erlesene Auserwählte, die der Meister dennoch bereit war ohne Zögern zu opfern. Alles für ein fernes Ziel, an dem er selbst wohl keinen so großen Anteil mehr haben würde. So er es auch verabscheute, Dulug konnte nicht anders, als Respekt vor diesem Mann zu empfinden.
Dann griff er an, bereit, den Sand mit neuem Blut zu tränken, mit dem Wissen über den beobachtenden Blickes des Meisters, der ihn genau verfolgen würde.
Der Blick in die Vergangenheit konnte nur Sekundenbruchteile gedauert haben, denn noch hatte sich niemand gerührt.
Die Zähne fest zusammengebissen, verkrampfte Galayn seinen Griff um die Dolche. Immer noch konnte er die Stimme hören, wie sie ihm befahl „Töte sie!“. Doch er war nicht mehr wie damals. Mit einer gewaltigen geistigen Anstrengung verdrängte er Dulug wieder. Der Meister war tot, warum konnte er nicht endlich Ruhe geben? Er konnte nicht anders, als seiner Hilflosigkeit Luft zu verschaffen. Es brach aus ihm heraus:
„Sei endlich still!“
Die verwirrten Blicke der Anwesenden interessierten ihn nicht, genauso wenig, wie Domenicos Frage:
„Hast du den Verstand verloren?“
Er stand über den alten Morden. Er war nicht mehr ein Diener seines Meisters. Und doch, soviel er dies wiederholte, diese Stimme konnte er nicht zum Verstummen bringen. Sie kam einfach immer wieder. Und sooft er sich auch selbst verwünschte, seine Kampfeslust war genauso wenig zu leugnen, wie seine Bereitschaft zu töten. Doch solange er Galayn war, war er der Herr in seinem Geist, beherrschte er seinen Körper. Sei es Trotz oder Ausdruck seines eigenen Willens, er vermochte es nicht zu sagen, traute sich nicht, die Antwort zu suchen. Dennoch, die Dolche konnte er zurück in ihre lederne Umhüllung stoßen. Dieser Erfolg brachte schließlich die gewünschte Ruhe, als wären mit dem Verschwinden der Mordinstrumente auch der Meister und Dulug verschwunden. Natürlich lauerten sie weiter unter der Oberfläche, aber vorerst war er wieder ganz Galayn.
Auch wenn die Angreifer sich fragen mussten, warum er seine Waffen weg gesteckt hatte, zögerten sie nicht länger. Im Gegenteil, es schien sie erst zu beflügeln. Mit lautem Gebrüll, Messer, Schwerter und Keulen schwingend, rannten sie auf dem abgewetzten Teppich los, doch noch ehe sie überhaupt in Schlagweite kamen, ließ sie ein Ausbruch seines Königshakis abrupt innehalten. Wie Marionetten, denen man die Fäden gekappt hatte, kippten sie schlaff in sich zusammen und hinterließen Stille.
Im Gegensatz zu seinen Untergebenen zeigte sich Domenico unbeeindruckt, zumindest körperlich. Trotzdem vermochte er seine Überraschung nicht ganz zu verbergen. Er fasste sich aber schnell und warf wie beiläufig den schweren Tisch beim Aufstehen zur Seite. Ohne jegliche Verzögerung spross ihm sein finsteres Federkleid aus den Armen. Da war die Erkenntnis. Erst mit eigenen Augen zog er die Verbindung zu einem Steckbrief, den er vor vielen Monaten gesehen hatte. Wie so viele Steckbriefe der Boten der Apokalypse trug er keinen Namen und war der Abgebildete unter einer Maske verborgen. Aber Haltung, Flügel und der Anzug stimmten überein. Nun, es hatte nicht den Anschein, als wäre er noch dort Mitglied, was Galayn insgeheim etwas erleichterte, den keinesfalls wollte er sich direkt mit einer solch mächtigen Organisation anlegen.
Einen Moment sah es danach aus, dass sich der schwarze Engel auf Galayn stürzen wollte, doch dann sprang er stattdessen zur Decke und schlug sich ein Loch in die Freiheit der Lüfte. In den Luftwirbeln, die Domenico mit seinen Flügelschlägen erzeugt hatte, trudelten vereinzelte Federn, die die Wucht des Schlages losgelöst hatte, dem Boden zu. Ihnen hinter her fielen kleine und größere Holzsplitter, sowie scharfkantige Lehmbrocken, die von seinem Anzug abprallten, ihn aber außer seinen geraden Flug etwas zu stören, nicht zu behindern schienen. Noch hatte sich Galayn nicht von der Stelle gerührt, stattdessen sah er mit einem Lächeln auf den Lippen zu, wie der geflügelte Flüchtende von einem Windstoß aus dem sowieso schon fragilen Gleichgewicht gebracht wurde. Verzweifelt schlug der schwarze Engel mit den Flügeln, um die Kontrolle über seine Bewegung zurück zu gewinnen, doch die Enge der frei gesprengten Öffnung hinderte seinen Versuch. Gewaltsam kollidierte er mit dem zersplitterten Rand, was ihn schmerzerfüllt aufstöhnen ließ. Diesmal fielen nicht nur Federn, sondern auch feine Bluttröpfchen nach unten, als sein Arm an einem hervorstehenden Holzdorn entlang schrammte. Erst jetzt griff Galayn ein. Mit einem Satz hatte er den schmalen Rand des umgestürzten Tisches erreicht, von dem er sich zu dem schwarzen Engel hinauf katapultierte. Wie eine Kopie des Fluchtversuches, fand seine rechte Faust die Dachstreben, pulverisierte das Gerüst und brach unaufhaltsam durch die tönernen Ziegel. Mit der linken Hand packte er den abstürzenden Domenico am Anzug und riss ihn mit sich, hinaus in die Freiheit der Lüfte. Noch orientierungslos, vermochte Domenico nichts gegen seinen Angreifer auszurichten und konnte nur hilflos mit den Flügeln schlagen. Fest im Griffe Galayns blieb ihm aber keine Wahl, als dessen Sprung zurück auf den Boden, aus der Freiheit versprechenden Sonne hinunter in den Schatten hinter dem Haus, mitzumachen. Hart prallte er auf dem Boden auf, die Hände schützend vor das Gesicht geschlagen. Panisch robbte er weiter, mühte sich hektisch ab auf die Beine zu kommen und versuchte gleichzeitig sich umzukehren, um seinen Verfolger im Blick halten zu können. Die Unmöglichkeit all dies auf einmal zu tun, führte dazu, dass er auf dem Hosenboden landete, zu der hoch aufragenden Gestalt des Fremden aufschauend. Was für ein Mann war das nur, der so beiläufig einen seiner Schläger durch die Tür prügelte, dann offensichtlich anfing Stimmen zu hören und ohne eine einzige Berührung acht Kämpfer besiegte? Die gescheiterte Flucht hatte ihn in die Enge getrieben und in seiner Verzweiflung tat Domenico das einzige, was ihm noch verblieb: er griff an.
Völlig seine übliche Beherrschtheit ablegend, schlug er wild um sich, brüllte wortlos, nur von dem Gedanken beseelt zu überleben. Lächelnd parierte Galayn Schlag um Schlag. Darauf hatte er gewartet. Der Fluchtversuch hatte ihn etwas enttäuscht, obwohl er ihn sehr gut verstehen konnte. Aber jetzt hatte er es geschafft, durch die adelige Arroganz, die der Mann ausstrahlte, seinen animalischen Kern zu wecken. Jetzt sprossen dem schwarzen Engel die Federn am ganzen Körper, durchbrachen den teuren Stoff des schon verdreckten Anzugs und schließlich verschwammen seine Finger, nur um dann als Krallen in völliger Klarheit wieder aufzutauchen.
Galayn hob lässig den linken Arm, um einen Schwinger von links abzuwehren, dann folgte der rechte Arm, um den erspürten Schlag auf sein Gesicht zu blockieren. Ohne Vorwarnung schwenkte die Kralle auf einmal nach rechts. Mit einem unangenehmen Knacken prallten die beiden Handgelenke aneinander, und obwohl Domenico einen leisen Schmerzensschrei nicht unterdrücken konnte, fuhr er kreisförmig mit seiner Kralle auf Galayns Gesicht zu. Zwar konnte der Agent seinen Kopf noch zur Seite biegen, aber dennoch schlitzte ihm die Klaue oberflächlich die Wange auf. Ohne sich davon jedoch beeindrucken zu lassen, stieß Galayn mit beiden Händen in die offene Lücke in der Verteidigung seines Gegners vor. Der Aufprall der Handflächen schleuderte den schwarzen Engel meterweit durch die Lüfte, lange genug, dass Domenico mit den Flügeln das Gleichgewicht zurück erlangen konnte.
Galayn hatte ihm nicht nachgesetzt, stattdessen führte er die Hand zur Wange und wischte vorsichtig mit dem Finger über die Wunde. Erstaunlich, dass ausgerechnet dieser ungebildete Kämpfer ihn verletzt hatte. Ihn freute es, denn Arroganz musste bestraft werden. Er wollte einen wirklichen Kampf, ohne dass er seine körperliche Überlegenheit direkt ausspielte, denn Domenico sollte die Verzweiflung am eigenen Leibe kennen lernen. Gerechte Bestrafung für seine Taten, eine Strafe, die sich Galayn verpflichtet sah, auszuführen. Geschummelt hatte er trotzdem, aber sein Observationshaki konnte nur versagen gegenüber dem planlosen Angriff seines Gegners. Er war nicht unverletzbar und diese Warnung sollte er sich für die Zukunft besser zu Herzen nehmen. Allerdings war es umso besser, als eine aufkeimende Hoffnung nur noch mehr geeignet war, den schwarzen Engel wahrhaft verzweifeln zu lassen. Jetzt war allerdings endgültig Schluss mit dem Geplänkel. Die Arme locker gesenkt, erwartete Galayn den Angriff seines Gegners. Kaum war der schwarze Engel wieder in Position, kam er auch schon auf ihn zugeschossen. Das vergossene Blut hatte ihn weiter aufgestachelt, so dass ihn der Gedanke an Flucht völlig verlassen hatte. Ohne eine Regung erwartete ihn Galayn, machte keinerlei Anstalten, sich zu verteidigen. Mit voller Kraft schlug Domenico zu und versuchte, seine Krallen im Gesicht seines verhassten Feindes zu versenken. Schon wähnte er sich am Ziel, da durchfuhr ein heftiger Schock seinen Arm. Knackend zerbrach seine Kralle und fassungslos musste er mitansehen, wie die gesamte Wucht seiner Attacke an der so winzig erscheinenden schwarzen Verfärbung im Gesichte seines Gegenübers verpuffte. Als er das Lächeln des Fremden erblickte, fiel sein ganzer Zorn in sich zusammen und hinterließ nichts als blanke, nackte Angst. Sein ganzes Denken nur noch von Flucht erfüllt, wechselte er in seine Tierform über. Seine Extremitäten schrumpften zusammen, sein Mund zog sich in die Länge und Haut wurde durch Federn ersetzt. Panisch flatterte er mit den jetzt klein gewordenen Flügeln, um so schnell wie möglich an Höhe zu gewinnen. Wider besseres Wissen warf er aus seinen schwarzen Knopfaugen einen Blick zurück, doch da war nichts. Sein Kopf schnellte zurück und da in der Luft, direkt vor ihm, stand dieser Mann mit seinen schrecklichen violetten Augen. Ohne eine Möglichkeit zu reagieren, sah er die näherkommende Faust sein Gesichtsfeld ausfüllen. Als er gen Boden fiel und sich die Welt rasend schnell schwarz färbte, hörte er den Fremden noch sagen:
„Schwarzer Engel? Dass ich nicht lache. Nur eine Krähe, feige und niederträchtig.“
~
Vila, Albacete
Das eindeutige Klicken der aufgelegten Teleschnecke beendete jede Diskussion und auch jede Hoffnung Alateas, aus der Sache ohne Schwierigkeiten heraus zu kommen. Innerlich stellte sie sich bereits darauf ein, gleich gegen ihren ehemaligen Kollegen kämpfen zu müssen. Vorerst aber bemerkte sie Bewohner, die durch den von ihnen verursachten Lärm angelockt worden waren. Vermutlich würde ihnen ihr Gaffen bald leid tun, denn sollte Kill angreifen, würden sie zwischen die Fronten geraten. Mitleid konnte Alatea jedoch nicht bei sich feststellen. In ihren Augen trugen sie alle eine Mitschuld an den Geschehnissen. Während sie ihre Beobachtung gemacht hatte, war die Teleschnecke wieder in Kills Mantel verschwunden und durch zwei seiner heiß geliebten Dolche ersetzt worden. Seufzend richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf den Agenten. Wie stark genau Kill war, vermochte Alatea nicht abzuschätzen, allerdings gab es drei Gründe zum Optimismus. Erstens hatte sie in Kills Augen Angst gesehen, also war sich dieser keinesfalls sicher, was einen Kampf anging. Dazu kam als Zweites, dass der Direktor es für nötig empfunden hatte, Verstärkung zu senden. Aber als drittes und wichtigstes gab ihr die leicht schiefe Haltung des Agenten Hoffnung. Ihr überraschender Gegenangriff mochte vielleicht nicht ausreichend genug gewesen sein, um wirklichen Schaden anzurichten, aber schon ein leichtes Hinken, die fehlende Sicherheit im Stand und das Wissen um die eigene Verletzlichkeit würden ihr einen Vorteil verschaffen. Obgleich ihr die anwesenden Bewohner zwar letztlich egal waren, war Alatea nicht unglücklich, dass die meisten bei dem Anblick der gezückten Dolche und insbesondere des demolierten Hauses wieder das Weite suchten. Erpicht darauf, die Menschen zu töten oder auch nur ihren Tod in Kauf zu nehmen, war sie nicht.
Dann war es vorbei mit jeglichen Gedanken, denn ohne jede weitere Vorwarnung griff Kill an. Sie riss die Arme hoch und färbte gleichzeitig die sich über ihre Haut ausbreitenden Schuppen schwarz. Den rechten Fuß leicht zurückgesetzt in den Boden gestemmt, blockte sie die wuchtigen, von außen geführten Hiebe der Dolche mit ihren Unterarmen. Die Wucht des Aufpralls trieb ihre Füße in die Straße, deren Steine zersplitternde Risse wellenförmig in alle Richtungen aussandten. Mit vor Anstrengung verzerrtem Gesicht versuchte der Agent seine Klingen in ihr Fleisch zu zwingen, doch jetzt, wo der Schwung seines Angriffes verloren war, trieb der Versuch ihm nur Schweißtropfen auf die Stirn. Die Chance zum Gegenangriff im Blick, brachen aus Alateas Händen eckige Schlangenköpfe hervor, doch ihre weißen Zähne schnappten vergeblich ins Leere, denn Kill hatte sich mit einem Satz nach hinten aus der Gefahrenzone katapultiert. Schwankend und mit schmerzverzerrtem Gesicht war Kill auf ein Knie gesunken, offensichtlich behinderte ihn die erlittene Verletzung stärker, als erwartet. Diese Schwäche verlockte Alatea, mit ganzer Macht anzugreifen. Die schimmernden Schlangenarme schossen nach außen, bereit jedes Ausweichen zu verhindern, während sie mit zu einem Tritt erhobenen Bein auf den Agenten zuflog. Noch während sie in der Luft war, machte ihr das höhnische Lächeln Kills klar, dass sie auf sein Schauspiel hereingefallen war. Mit einer fließenden Bewegung warf der Agent im Aufstehen einen Dolch, doch durch seinen unbedachten Hohn vermochte Alatea gerade noch ihren Körper zur Seite drehen. Trotzdem konnte sie nicht verhindern, dass der Dolch im Streifeneine blutige Furche in ihrer linken Schulter hinterließ. Die plötzliche Ausweichbewegung hatte sie die Kontrolle über ihre Arme verlieren lassen. Hilflos sah sie, wie die Dolche in einer silbrig glänzenden Linie niederfuhren. Gleißender Schmerz durchzuckte sie, als ihre beiden Schlangenköpfe von ihrem Körper abgetrennt wurden. Ein Aufschrei entfloh ihrer Kehle, als das fürchterliche Brennen ihren ganzen Geist vereinnahmte. Doch sofort riss sie sich wieder zusammen, ließ zu, dass die Eiseskälte der Hydra ihren Geist abkühlte. Sie war keine Agentin der CP-0 mehr, doch ihre Ausbildung hatte sie deswegen noch lange nicht vergessen. Schmerz, oder genauer gesagt dessen Erduldung, hatte dazu gehört. Zu lange war es her, dass sie ihn gespürt hatte. Sie erkannte die Notwendigkeit, für diesen Kampf auf die Fähigkeiten Hydras zurück zu greifen. Eigentlich bestand auch kein Grund, sich dagegen zu sperren, gehörte sie doch ebenso zu ihr, wie es Alatea tat. Die Klarheit der leidenschaftslosen Agentin klärte ihren Geist, beruhigte jeden Aufruhr und betäubte den Schmerz.
Übergangslos wich sie zur Seite aus, dieses Mal hatte sich Kill in ihrer scheinbaren Schwäche getäuscht. Dann entfesselte sie die ganze Macht ihrer Teufelskraft, die ihr zur Verfügung stand. Aus den blutenden Stümpfen schob sich nachwachsendes Fleisch, frisch entstandene Knochen wurden mit pulsierenden Muskelsträngen umgeben und die neu gewachsenen Schlangen bildeten die typischen schillernd blauen Schuppen aus, die ihren Leib umfassten. Mit der abgeschlossenen Regenerierung erinnerte nichts mehr an die Verletzung, abgesehen von den leblos am Boden liegenden Köpfen, deren Ersatz jedoch bereits wieder bedrohlich zischend die schwarzen Augen auf den Agenten richtete. Diese Mal würde ihr Kill nicht entkommen.
Zwei Schlangenkörper waren gut, doch wie Alatea wusste, noch lange nicht genug. Mit Schrecken im Blick sah der die Straße entlang schlitternde Agent, wie aus den Schultern weitere geschuppte Leiber hervor brachen und sich weiter teilten, bis er sich einem zischenden, eisblauen mit Fangzähnen bewehrten Alptraum aus neun Schlangen gegenüber sah. Das Gewicht der Hydra hatte Alatea auf den Boden gezwungen, doch sie selbst musste sich nicht mehr bewegen. Blitzschnell wuchsen die neun Köpfe und bildeten ein loses Netz, in dessen Inneren Kill eingeschlossen werden sollte. Die Gefahr nur zu gut erkennend, versuchte der Agent auszubrechen, doch der angerichtete Schaden an seiner Wirbelsäule zeigte endlich seine verheerende Wirkung. Nur für einen kleinen Moment verließ ihn im rechten Bein die Kraft, lange genug, dass sein Rückzug jäh unterbrochen wurde, als er im zu langsamen Sprung an der Seite von einem lebendigen Rammbock getroffen wurde. Ächzend und nach Luft schnappend rappelte sich Kill auf, doch zu spät, der Käfig aus sich umeinander schlingenden Schlangenleibern hatte sich unentrinnbar um ihn geschlossen. Für einen Moment beobachteten ihn zehn Gesichter, neun unmenschliche und eines, dass so emotionslos wirkte, dass es für den Agenten keinen Unterschied mehr machte. Hilflos gefangen, bemühte er sich noch verzweifelt, einen Weg nach draußen frei zu schneiden, doch die zu zahlreichen auf ihn los schießenden Schlangen konnte er nicht alle zugleich abwehren. Hart trafen ihn kalte Schnauzen und schuppige Muskelstränge, überraschenderweise aber keine Zähne. Alatea sah zu, wie Kill ohne eine Verteidigungschance in dem Kokon umhergeschleudert wurde. Noch hatten ihn die ziellosen Angriffe nicht endgültig besiegt, also trieb sie ihm mit einem gezielten Schlag in die Magengrube die Luft aus den Lungen und durchbrach dann mit einer hakiverstärkten peitschenden Attacke auf den Nacken die letzte Abwehr des Agenten. Sie entließ den bewusstlos nach vorne kippenden Kill aus dem eng zusammengezogenen Netz. Suchend überblickte sie die Szenerie, doch außer ihnen beiden, gab es niemanden mehr in der Nähe. Alatea zog die Schlangen zurück in ihren Körper, die Hydra wurde nicht länger gebraucht. Mit der rechten Hand die Verletzung an ihrer Schulter haltend, beugte sie sich über Kill. Es war an der Zeit, eine Entscheidung über die Zukunft zu fällen.
Kapitel 10 – Jedes Ende ist auch ein Anfang
Ilha no Meio
Die Straßen Cidade do Meios wirkten leblos und ausgestorben. Am Nachmittag nach dem Zahltag arbeiteten die Einwohner alle doppelt so hart, um die verlorene Zeit wieder gut zu machen. Wieder hinter seinem Führer, ging Galayn, der den bewusstlosen schwarzen Engel am Kragen hinter sich her schleifte, die Straße von West nach Ost entlang, wie die Spur, die Domenico im Straßenschmutz hinterlassen hatte, deutlich bezeugte. Hier, am nördlichen Hafen, gab es mehr Menschen und folglich auch mehr steinerne Häuser. Vereinzelt standen auch noch Lehmhütten zwischen den stabileren Behausungen, doch erst abseits der größeren Hauptstraße, im Gewirr der staubigen Gassen, übernahmen die einfachen Wohnungen wieder die Oberhand. Anzeichen der drohenden Armut waren Galayn hier keinesfalls so deutlich ins Auge gesprungen, wie bei seiner Ankunft auf Ilha no Meio, dennoch bezweifelte er nicht, dass es auch hier die Leute hart getroffen hatte. Damit war es nun aber vorbei. Mit den Gedanken schon bei seinem nächsten und ursprünglichen Ziel, verpasste er es beinahe, Ira zu folgen, der in Richtung Norden abgebogen war. In ihrer Größe der horizontalen Durchquerungsstraße in nichts nachstehend, zeigte das in der Ferne bereits sichtbare Meer an, dass es hier zum Hafen ging. Erfreut registrierte Galayn nur wenige Häuser weiter die Möwe der Marine auf einer müde im lauen Wind hängenden Fahne. Er näherte sich bereits dem blau gestrichenen Gebäude, dass sich, so schien es, im Schatten zwischen den benachbarten Häusern zu verstecken versuchte, als er vom Hafen aus eine Person ausmachte, die sich gemessenen Schrittes näherte. Mit einem unguten Gefühl schloss Galayn zu Ira auf und zwang ihn mit ausgestrecktem Arm zum Anhalten. Vor der leuchtend weißen, offenbar frisch gestrichenen, Tür der hiesigen Marinebasis, falls man dem mickrigen Haus diese Bezeichnung geben wollte, ließ er Domenico unsanft auf den Boden fallen. Die Fremde verhieß Ärger, da war er sich ganz sicher. Inzwischen war sie nahe genug herangekommen, dass man ihre schwarze Maske, die ihr Gesicht bis unter die Nase bedeckte, deutlich sehen konnte. Die darauf gemalten Symbole, unzählige Blutstropfen, die sich ebenfalls eingestickt in den langen schwarzen Mantel wiederfanden, im Stoff noch ergänzt mit blutroten Strömen, offenbarten Galayn die Identität der Fremden. Genau, wie Domenico, gehörte auch sie zu den Boten der Apokalypse. Mehr als ihr Pseudonym, Verzweiflung, und das ausgesetzte Kopfgeld, 296.000.000 Berry wusste er aber nicht über sie. Was diese Boten für ein Ziel hatten, war Galayn ebenfalls nicht klar. Dass ihre Absichten keine guten sein konnten, war jedoch offensichtlich. Unter dem schwarzen, wie mit Blut überströmt erscheinenden Umhang lugte das rote Leder hervor, welches den Rest ihres Aufzuges darstellte. Sehr geschickt, dass musste man ihr lassen. Das Blut, welches ihre Maske zierte, war mit Sicherheit nicht zufällig gewählt, genauso wenig, wie ihr Name. Umso überraschender mochte es erscheinen, dass furchtlos in ihrer linken Hand eine Albinomaus saß, deren seidig glänzendes Fell Verzweiflung beinahe liebevoll streichelte. Den Eindruck revidierte jedoch das Blut, welches ihr von den Lippen troff. Zusammen mit den Fellresten in den Mundwinkeln und dem ängstlichen Quieken weiterer Mäuse, das aus zwei Taschen an ihrer Hüften drang, offenbarte sich ein völlig anderer Umgang mit den kleinen Nagern.
Er würde sich nicht von ihr aufhalten lassen, aber falls möglich, wollte er einen Konflikt vermeiden. Mit den Boten der Apokalypse war nicht zu spaßen und er hatte wahrlich besseres zu tun, als einen Krieg mit ungewissem Ausgang vom Zaun zu brechen.
Mit einem Sicherheitsabstand von etwa zwei Metern hielt Verzweiflung an und strich sich den blonden Zopf von der Schulter. Mit einem leichten Unbehagen bemerkte Galayn das leichte rote Funkeln in den grünen Augen, die ihn und seinen Gefangenen musterten. Fast immer waren Teufelsfrüchte die Ursache und es waren normalerweise keine angenehmen Kräfte, die damit einhergingen. Ein unangenehmes Schweigen beherrschte das Treffen, denn noch war niemand bereit, den ersten Schritt zu machen. Das Warten entnervte Galayn, dessen Geduld, was menschliche Interaktion anging, eher begrenzt war. Doch ehe er das Wort ergreifen konnte, kam ihm Verzweiflung zuvor. Den Blick offenkundig auf Domenico gerichtet unterbrach sie die Stille:
„Sieht so aus, als ob du mir meine Arbeit abgenommen hättest.“
Ihre Stimme wirkte, in Anbetracht des von ihrem Mund herab tropfenden Blutes, welches sie jetzt genüsslich ableckte, unpassend sanft. Täuschen konnte der weiche, fast freundliche Klang Galayn allerdings nicht. Den besitzergreifenden und warnenden Blick des Agenten richtig deutend, fuhr sie fort:
„Du kannst ihn behalten, vorausgesetzt er erhält seine Strafe.“
Jetzt klang der Stahl in ihrer Stimme durch. Innerlich war sie aber keineswegs so gefasst. Sie war nicht leicht zu beunruhigen und abgesehen vom Ersten war sie noch niemandem begegnet, der ihr ein solches Gefühl gegeben hatte.
Schon wollte sie sich zum Gehen umdrehen, da hielt sie die Stimme des Fremden zurück:
„Was wolltest du von ihm?“
Das war keine Frage, sondern viel mehr ein Befehl. Unwillkürlich ertappte sich Verzweiflung dabei, wie sich wieder zurückdrehte. Kurz kämpfte sie mit sich, aber dann entschied sie sich für die friedliche Lösung.
„Ich wollte ihn töten. Allerdings erst, nachdem er mich verzweifelt um seinen Tod anbetteln würde.“
Der unwillkürliche Gedanke an diese herrliche Verzweiflung, die Angst und die eintretende Hoffnungslosigkeit an der sie sich würde laben können, entlockte ihr ein blutiges Lächeln. Dummerweise führte der Weg dazu nur an diesem gefährlichen Mann vorbei, der ihr zuvor gekommen war. Es kam selten vor, dass jemand es schaffte, sie zu verwirren. Verzweiflung gefiel es nicht, ihre Selbstsicherheit zu verlieren, kamen damit doch auch ungebetene Gedanken.
Vergeblich bemühte sie sich, ihren geistigen Fokus auf das Gespräch zu lenken. Stattdessen waberten Fragmente vergangener Ereignisse vorüber und unterbanden jeden klaren Gedanken. In gedämpfter Lautstärke hörte sie wieder den Ersten, der ihren Vorgänger gegen die Bruderschaft ausgesandt hatte. Schon, noch ehe das Bild des Ersten vollständig vor ihrem inneren Auge entstehen konnte, wurde der Fetzen abgelöst von dem verzweifelten Blick ihrer Mutter. Dann löste sich das Gesicht auf und wurde zu dem angenagten Kadaver einer weißen Maus, deren auströmendes Blut, schließlich ihr gesamtes Blickfeld auszufüllen schien. Endlich zog sich der rote Schlier zurück und in völliger Schärfe erinnerte sie sich an den aufgespießten Kopf ihres Vorgängers, dessen Tod durch die Hände Ruins ihren Aufstieg erst ermöglicht hatte. Auch wenn dieses Bild ihre Ängste wiederspiegelte, schaffte es Verzweiflung die Kontrolle über ihre Gedanken zurück zu gewinnen. Sie klammerte sich an das Wissen um die sie bedrohende Gefahr, wie eine Ertrinkende an eine Rettungsleine. Erleichtert fing sie an, ihre Möglichkeiten durchzuspielen. Einen Kampf konnte sie nur mit der Bevölkerung in der Nähe wagen. Die nächste Frage des Fremden durchbrach ihre Gedanken:
„Warum? Wieso wird ein hochrangiges Mitglied wie du, Verzweiflung, ausgesandt zu einem unwichtigen Ableger wie dem schwarzen Engel?“
Sicher, er bewegte sich auf dünnem Eis mit seinen Fragen, aber Galayn konnte nicht anders. Insbesondere, wo Verzweiflung bisher nicht den Eindruck hinterlassen hatte, an einem Kampf interessiert zu sein.
„Ableger? Abtrünniger trifft es besser. Undankbarer Bastard!“
Die giftigen Worte wurden begleitet von einem wütenden Blick zu dem am Boden liegenden Aussteiger. Zorn spülte ihre Angst und ihre Verwiruung fort:
„Er hatte unsere Botschaft überbracht, sogar ohne jede Einmischung. Ließ ein paar Arbeiter hinrichten, die bei Bauarbeiten an seinem Schloss versehentlich eine Wand zum Einsturz gebracht hatten. Gut, er tat es nicht nur aus der Freude am Töten, sondern weil er sich persönlich angegriffen fühlte.“
Verzweiflung legte eine Pause ein, um ihrer Albinomaus von dem langsam an ihrem Mund festtrocknendem Blut abzugeben. Fasziniert hörte Galayn zu. Diese Frau verriet ihm gerade die Triebkraft hinter den Boten der Apokalypse. Lust an der Zerstörung, Freude am Tod und der Wunsch nach Chaos ohne jegliche Regeln und Einschränkungen. Und das alles nicht, um irgendeinen okkultem Wahn nachzukommen, anscheinend noch nicht einmal aus Berechnung und Machtgier. Einen schlimmeren Gegner vermochte er sich fast nicht vorstellen, doch der Kult schaffte es mühelos, auch weiterhin an der Spitze alles Bösen zu stehen.
So langsam geriet Verzweiflung richtig in Fahrt:
„Zu schade für ihn, dass dem König seine Taten zugetragen wurden. Zu schade für dieses Großmaul, dem der Prozess gemacht wurde, weil er nur ein Schwächling war. Ohne uns war er ein Nichts und würde bereits hinter Gittern verrotten.“
Sie warf einen Blick zu dem Marinegebäude und verzog höhnisch das Gesicht:
„Nun, das kann er ja jetzt nachholen.“
Verzweiflungs dreckiges Lachen entlockte ihrer Maus ein empörtes Quieken, die sich in ihrem grausigen Mahl gestört fühlte. Beschwichtigend strich sie über das seidige Fell.
„Wir haben ihm alles gegeben. Wir haben ihn überzeugt vorerst in die Verbannung zu gehen. Wir haben ihm die Krähenfrucht zum Geschenk gemacht. Wir haben ihm geholfen Rache zu nehmen. Krieg und Zerstörung haben die Verteidigungskräfte überwunden und ihn den König auf dem silbernen Tablett serviert.“
Einen Moment sah es aus, als ob Verzweiflung versucht war, den schwarzen Engel persönlich für seinen Verrat büßen zu lassen, doch als sich Galayn schützend vor den Verbrecher stellte, hielt sie inne.
„Wieviel Aufwand haben wir betrieben, um ihn ausfindig zu machen? Erst um ihn als neuen Rekruten zu gewinnen, dann, um ihn hier aufzustöbern. Es darf keine Abtrünnigen geben, also muss Domenico für immer verschwinden.“
Die unverhohlene Forderung machte Galayn wieder klar, wie gefährlich die Situation nach wie vor war. Unwillkürlich setzte sein rationales Denken ein. Für ihn zählte letztlich nur die Suche. Allerdings machte er sich keine übermäßigen Sorgen um die potentielle Ablenkung, denn er bezweifelte sehr, dass er den Kult würde ausfindig machen können. Galayn waren die Worte nur zu bewusst, die ihm prophezeit hatten, dass seine Suche erfolglos bleiben würde. Noch war das Ereignis nicht eingetreten, ab dem er sein Ziel endlich würde erreichen können. Wichtig war jetzt die Gegenwart, also ergriff er schließlich doch noch das Wort:
„Keine Sorge. Er wird sein Leben im Impel Down beschließen. Du kannst ihn nicht haben und du wirst auch die Leute hier in Frieden lassen.“
Er schob sich die Ärmel zurück und entblößte so die Ketten, die sich für immer in seiner Haut eingegraben hatten. Mit harter Stimme fügte er drohend hinzu:
„Ich will keinen Streit mit euch, aber stellt ihr euch mir in den Weg, dann werdet ihr es mit der Kette zu tun bekommen.“
Kurz sah sie ihm in die Augen, das rote Funkeln bereits im Abklingen begriffen, dann drehte sie sich wortlos um. Mehr aus Prinzip, als aus echter Hoffnung rief er ihr noch eine letzte Frage hinterher:
„Was weißt du über den Kult?“
Verzweiflung verlangsamte ihren Schritt nur unwesentlich und warf ihm über die Schulter einen fragenden Blick zu.
„Ich kenne keinen Kult.“
Nicht wirklich überrascht sah Galayn der Botin der Apokalypse nach. Als er sich sicher war, dass sie wirklich friedlich abziehen würde, drehte er sich um. Für einen Augenblick sah er verwirrt Ira an, den er über das Gespräch völlig vergessen hatte. Der Schreck über den Auftritt von Verzweiflung stand seinem Führer immer noch ins Gesicht geschrieben. Im Versuch den schockierten Dörfler wieder zu beruhigen, lächelte Galayn ihn an.
„Sie ist weg und wird euch nichts tun.“
Ira nickte mechanisch. Da er keine Ahnung hatte, wie er ihm helfen könnte, hoffte Galayn einfach darauf, dass er sich mit der Zeit wieder beruhigen würde. Immerhin hatte ihn der Fall Domenicos aufgeheitert, obgleich seine Enttäuschung über dessen Bewusstlosigkeit sie den ganzen Weg her begleitet hatte. Damit musste er leben können, befand Galayn. Es war an der Zeit weiter zu machen, wo sie unterbrochen worden waren. Er beugte sich hinunter, um den schwarzen Engel an seinem bereits ausgeleierten Anzug zu packen. Hauptsache, der Stoff hielt, bis er ihn eingetauscht hatte. Energisch pochte er an die in der Sonne glänzende Tür. Das hohle Klopfen blieb unbeachtet, also wiederholte Galayn seine Bemühungen. Hinter der Tür war ganz eindeutig eine Person, die es anscheinend jedoch vorzog, nicht zu öffnen. Dieser Marineangehörige sorgte dafür, dass seine Stimmung zwischen Amüsement. Unglauben und Verärgerung wechselte. Schließlich brach er seine sionnlosen Versuche ab
„Hier steht Galayn, ein Agent der Weltregierung. Entweder sie machen die Tür jetzt sofort auf, oder ich breche sie auf!“
Diese Drohung bewirkte endlich eine Reaktion. Mit leicht panischem Unterton drang eine nervöse, beinahe schrille Stimme durch das dünne Holz:
„Warten sie, ich komme ja schon!“
Hastige Schritte erklangen, gefolgt von einem dumpfen Aufprall, welcher dem Leiter der Marinestation einen leisen Aufschrei und einen unterdrückten Fluch entlockte. Dann schwang die Tür nach innen auf. Das einfallende Sonnenlicht bestrahlte eine Szenerie, die Galayn nur ungläubig betrachten konnte. Vor ihm hüpfte auf einem Bein ein dürrer Kerl auf und ab, der sich den angestoßenen Fuß rieb. Um seine Schultern hing ein blendend weißer Umhang, den er mit seiner schmalen Figur nicht im Entferntesten ausfüllen konnte. Verzweifelt bemüht, dass Gleichgewicht zu bewahren, flatterte er mit dem anderen Arm durch die Luft. Hinter ihm befand sich das Büro, das penibel aufgeräumt aussah. An der Stirnseite ein sorgfältig ausgerichteter Tisch mit einer Teleschnecke und ein paar Stiften bedeckt, ansonsten aber blank und an den Seiten nummerierte Regale, von denen die meisten jedoch leer waren. Der Grund für Galayns Ungläubigkeit, neben dem Erscheinungsbild des Marines, war aber ein anderer. Linker Hand hatte sich ein Strom von Akten und Steckbriefen über den Boden ergossen. Quer darüber lag das stählerner Gerippe des Regals, welches vormals an der Wand gelehnt haben musste. Ihm war es unbegreiflich, wie es jemand schaffen konnte, mit dem Fuß an das Regal zu stoßen und es zum Umkippen zu bringen, wenn man zur Tür wollte. Irgendwie musste es dieser Tölpel aber geschafft haben, was kein gutes Licht auf diese Marinebasis warf. Kein Wunder, dass von dieser Seite keine Hilfe für die Dorfbewohner gekommen war. Noch während er rudernd nach einem festen Stand suchte, fuhr der junge ungeschickte Bursche panisch mit einer Hand an seine Nase, um seine dem Boden zustrebende Brille wieder zurück zu schieben. Dadurch vernachlässigte er aber sein Gleichgewicht und sah sich gezwungen, einen Hopser rückwärts zu machen, um sich wieder zu fangen. Mit einem Schreckensschrei landete er rücklings auf dem Boden, als ihm seine Landung auf dem eigenen Mantel zum Verhängnis wurde. Sprachlos sah Galayn zu, wie der Gefallene fahrig seine Brille vom Boden klaubte und sie sich zurück auf die schmale, abschüssige Nase schob. Rot im Gesicht vor Scham rappelte sich der Marineoffizier wieder auf und zupfte nervös an den vereinzelten winzigen Barthärchen, die keinesfalls dazu beitrugen, ihn männlicher aussehen zu lassen. Er räusperte sich auffällig und stellte sich vor:
„Ich bin Murphy, Kapitänleutnant der Marine.“
Murphy salutierte zackig, worauf er in unziemlicher Hast, die die martialische Vorstellung ruinierte, seine Brille vor einem erneuten Sturz bewahren musste. Erst jetzt nahm sich der junge Kapitänleutnant die Zeit, seinen Gast zu begutachten. Sein Mund klappte auf, als er den bewusstlosen Domenico erblickte. Mit seinen gewieteten braunen Augen blickte er zwischen Galayn und dem Bewusstlosen hin und her. Wieder schob er die Brille die Nase hinauf und setzte stotternd an:
„I-Ich-Ihr habt den schw-schw-schwarzen Engel b-be-besiegt?“
Mit hochgezogenen Augenbrauen blickte ihn Galayn an. Es schien, als ob der unglückliche Murphy zu schrumpfen begann.
„Offensichtlich. Und jetzt würde ich bitte das Kopfgeld haben.“
Nervös blinzelnd und an seinem Bart zupfend nickte Murphy eifrig und machte sich dann hastig zu seinem Schreibtisch auf. Kurz davor warf er noch einen raschen Blick zurück und prallte prompt gegen die Tischkante. Mit zusammengebissenen Zähnen rieb sich Murphy die Hüfte, nicht gewillt länger als nur irgend nötig mit diesem Fremden in einem Raum zu sein. Fahrig zog er Schubladen auf, bis er schließlich strahlend einen Schlüssel präsentierte. Damit wandte er sich der weißen, mit blauen Marinesymbolen übersäten Rückwand zu und nahm das einzige Bild im Raum, ein Porträt eines hochdekorierten Marineoffiziers, von der Wand. Zu Galayns großer Überraschung schaffte er es, ohne weitere Ungeschicklichkeit den Safe dahinter zu öffnen. Hektisch schaufelte Murphy gebündelte Geldscheine hervor, die er, ohne auch nur nach zu zählen, auf seinen Schreibtisch warf. Mit einem erleichterten Seufzer knallte der Kapitänleutnant den nun leeren Tresor zu und schloss wieder ab.
„Hier, genau zehn Millionen Berry.“
Daran zweifelte Galayn keinen Moment. Trotzdem machte er keinerlei Anstalten, sich das Geld zu holen.
„Ich würde empfehlen, Domenico Seesteinhandschellen anzulegen.“
Nickend fing Murphy wieder an in seinen Schubladen zu kramen und tauchte hinter dem Schreibtisch ab. Schon wollte sich Galayn an Ira wenden, da kam aus der sicheren Deckung ein Paar Handschellen angeflogen.
„Oh nein, dass machst du schön selbst, Murphy!“
Als er sah, wie der Leutnant hinter dem Tisch hervorgekrochen kam, packte er sich Ira und schob ihn nach vorne.
„Ich brauche das Geld nicht. Nutze es, um die von Domenico angerichteten Schäden zu beheben. Ich bin mir sicher, Murphy wird dir liebend gerne helfen.“
Zwei ungläubige Augenpaare sahen ihn an, doch als Ira den Mund aufmachte, kam ihm Galayn zuvor:
„Du brauchst gar nicht erst versuchen, abzulehnen. Meine Entscheidung ist bereits gefallen.“
Ira klappte den Mund wieder zu, dann öffnete er ihn erneut:
„Danke!“
Mehr war nicht nötig, fand Galayn. Tränen der Freude und Dankbarkeit liefen dem Dörfler über das Gesicht. In sich hinein lächelnd, verließ der Agent das Gebäude, jetzt endlich bereit, wieder aufzubrechen. Draußen strahlte über ihm ein wolkenloser Himmel, in dem nur ein möwenförmiger Schatten das alles umfassende Blau durchbrach. Mit einem lauten Schrei senkte sich die Zeitungsmöwe hinab. Galayn schnippte eine Münze in ihre rote Tasche und griff nach der Zeitung. Es zahlte sich immer aus, informiert zu sein und vor seinem Aufbruch hatte er viel Zeitung gelesen.
Als er sie aufklappte, um die Schlagzeilen zu überfliegen, fiel ein Steckbrief heraus. Seine hervorschnellende Hand fing ihn aus der Luft. Zwei Dinge fielen ihm ins Auge. Zuerst war da der Hinweis „Only Alive“, was nicht gerade alltäglich für einen Steckbrief war. Doch viel spannender war das Tattoo, welches er halb am Hals des Gesuchten erkennen konnte. Galayn war sich ziemlich sicher, dass es sich um das Tattoo des Musashi-Clans handelte. Als Name war nur Sengchou angegeben, also wandte er sich nach drinnen und rief Murphy herbei. Der warf einen Blick auf das Foto und rückte seine Brille zurecht.
„Das ist der letzte noch lebende Musashi. Lebte zurückgezogen auf einer der Inseln hier, habe ich gehört. Soweit ich weiß, hat er sich der allgemeinen Wehrpflicht widersetzt und dabei Beamte der Weltregierung angegriffen. Deswegen wird er auch nur lebendig gesucht.“
Gedankenversunken betrachtete Galayn das Tattoo. Schließlich fällte er eine Entscheidung.
„Wo kann ich ihn finden?“
Jetzt, wo es nur ums Denken ging, war Murphy merklich ruhiger geworden. Er strich sich über das Kinn, offenbar nicht sicher, was er sagen sollte. Schließlich antwortete er:
„Genau weiß ich es nicht, aber wahrscheinlich in der Nähe von Ilha no Navio. Dort in der Gegend wohnte er auch auf der Ilha no Brava. Vielleicht weiß man dort mehr.“
Galayn konnte es kaum glauben. Das war ja im Prinzip fast sein Ziel. Schon als er den Steckbrief gesehen hatte, war er überzeugt gewesen, dass hier das lang ersehnte Ereignis beginnen würde. Fast euphorisch bedankte er sich und machte sich gedankenverloren auf zum Hafen. Kaum hundert Meter später sah er im Staub der Straße eine kleine ausgeblutete Leiche einer Maus. Galayn bückte sich und hob sie auf. Beunruhigt bemerkte er das fast mumifizierte Aussehen des toten Nagers. Das gefiel ihm gar nicht, aber sein Studium der Teufelskräfte war unvollständig, deswegen konnte er nicht zuordnen, was hier geschehen war. Eine positive Seite hatte der Fund aber, denn als Galayn die Maus wieder zurücklegte, fiel ihm auf, dass sein Boot auf der anderen Seite der Insel lag. Kopfschüttelnd drehte er wieder um und schritt einer nicht mehr so ungewissen Zukunft entgegen.
Hauptquartier der CP-0
In aufgewühltem Zustand erklomm sie die vertrauten Stufen, hinauf zum Büro des Direktors. Hinter sich zurück ließ sie die bewusstlosen Wächter, die am Fuße der prächtigen Marmortreppe Zeugnis von ihrer Unaufmerksamkeit ablegten. Es war ihr nicht schwer gefallen, in das Gebäude einzudringen. Ihre Schnelligkeit bot ihr meist Schutz genug, denn so bevölkert war das Hauptquartier nicht gerade. Auch jetzt noch, zwei Tage nach ihrer überstürzten Abreise aus Vila, grübelte sie über ihre Entscheidung nach, Kill am Leben zu lassen. Schon damals hatte sie gewusst, dass der Agent es ihr mit Sicherheit nicht danken würde, verschont worden zu sein. Doch als sie über ihm stand und auf seinen zerschundenen Körper, der mit den Fetzen seines Mantels nur notdürftig bedeckt einen unschönen Anblick dargestellt hatte, hinabsah, da konnte sie es einfach nicht tun. Inzwischen bereute es sie immer stärker. Sie war in einen Kampf um ihr Leben verwickelt und somit hatte sie jedes Recht auf ihrer Seite, davon war Alatea fest überzeugt. Vielleicht hatte es auch mit dem Dolch zu tun, der detailgetreu jeweils auf seinen beiden Oberarmen eintätowiert für sie erstmals sichtbar gewesen war. Wie auch ihr Schuppentattoo kennzeichnete es ihn. Egal, es war geschehen und die Zeit, in der sie die Sache vergessen sollte, war schon längst überfällig. Alatea ermahnte sich, den Blick nach vorne zu richten. Ein letztes Mal musste sie zurückkehren und dem Direktor in die Augen sehen. Diesmal aber ehrlich von Angesicht zu Angesicht, nicht verborgen hinter einem Sessel oder einer Maske. Vielleicht würde sie sogar Antworten erhalten, worauf sie aber nicht zu hoffen wagte.
Inzwischen hatte sie das Ende der Treppe erreicht und suchte Halt und Kraft bei einem der geriffelten Treppenpfosten, in die das polierte Geländer auslief. Wie immer bevor sie dem Direktor gegenüber trat, pochte ihr Herz unnatürlich schnell. Diesmal jedoch würde es anders laufen. Nicht länger war sie eine Untergebene, eine Marionette, eine Spielfigur über die der Puppenspieler von seinem Zimmer aus gebot. Mit einem tiefen Atemzug machte sich Alatea auf und öffente die Tür am Ende des rechten Korridores.
Der Raum hatte sich nicht verändert. Auch wenn es ihr wie eine Ewigkeit erschien, es war noch keine Woche her, da hatte sie ebenfalls hier gestanden. Eine Kleinigkeit war allerdings anders. Der Sessel war dem Eingang zu gedreht und verbarg den Direktor nicht hinter seiner schützenden Lehne vor ihren Blicken. Alatea hatte sich nie ein Bild von ihrem Vorgesetzten gemacht und jetzt, wo sie ihm erstmals ins Gesicht sehen konnte, erschien sein Aussehen ihr einfach richtig. Der Direktor trug einen maßgeschneiderten Anzug und dazu eine Krawatte in langweiligem Schwarz. Schwarz waren auch seine kurzen Haare, die sorgfältig zu einem Mittelscheitel gekämmt waren. Die feisten Wangen sprachen Bände über seinen Bewegungsmangel, während der verkniffene Mund für sie seinen Kontrollzwang repräsentierte. Seine Augen starrten sie entsetzt an, was ihr ein Lächeln entlockte. Wie kam es, dass eine Führungsperson so weit entfernt von der Realität lebte? Fernab von den Geschehnissen draußen saß der Direktor in seinem lederbezogenen weichen Sessel und entschied über Leben und Tod. Aber was sollte man dagegen tun? Sie alle töten? Nein, das war Mord und würde sie nicht besser machen.
„Guten Tag, Direktor.“
Ihre spöttische Begrüßung blieb unbeantwortet. Stattdessen langte der Angesprochene zu seiner Teleschnecke.
„Das würde ich lieber sein lassen. Ich bin nicht her gekommen, um dich zu töten. Gib mir Antworten und ich verschwinde wieder.“
Der Direktor ließ seine Hand zurück auf den Tisch senken. Er leckte sich die Lippen und kratzte sich an der Nase. Als er seine nervösen Handlungen bemerkte, legte er die Hände parallel auf den Tisch.
„Dann frag. Aber glaub ja nicht, du würdest damit durchkommen!“
Alatea seufzte.
„Ihr könnt es einfach nicht gut sein lassen, oder? Mein Leben gehört mir, aber das ist dir egal. So wie dir mein Leben schon immer egal war. Warum ich?“
Als nicht direkt eine Antwort kam, schrie sie ihn an:
„Warum? Was habe ich getan, damit man mir mein Leben nahm? Rede!“
Der Direktor zuckte vor ihrem Zorn zurück.
„Es gab keinen Grund, außer dass du ein Kind aus der Gosse warst. Unwichtig und schnell wieder vergessen.“
Unter ihrem drohenden Blick fügte er noch rasch hinzu:
„Ich habe dich beobachtet, wie du ein Stück Brot vor einer Bande Junge verteidigt hast, die bestimmt doppelt so alt waren. Du hast sie alleine in die Flucht geschlagen. Das hat den Ausschlag gegeben.“
Alatea ballte die Hände. Sie war sich sicher, dass der Direktor nicht log, aber in ihrem Gedächtnis war alles so verschwommen. Mehr als dass sie in einem Slum gelebt hatte wusste sie längst nicht mehr.
„Was war mit meinen Eltern?“
Diesmal zögerte der Direktor nicht:
„Keine Ahnung. Vielleicht hattest du welche, vielleicht auch nicht. Ich weiß es nicht und ich habe mich nie dafür interessiert.“
Alatea kam alles so nutzlos vor. Was hatte sie nur erwartet? Dass sie eine liebende Familie hätte? Dass der Direktor ihr irgendetwas mitteilen würde, was den Weg lohnen würde? Wahrscheinlich waren ihre Eltern längst tot gewesen, mutmaßte Alatea, denn warum sonst sollte sie sonst so alleine für ein Stück Brot unterwegs gewesen sein. Für einen Fehler, den Fehler stark zu sein, hatte der Direktor ihr Leben zerstört. Nicht, dass sie bis dahin ein besonders schönes gehabt haben musste, aber ihre Zukunft hätte in ihrer eigenen Hand gelegen.
Alatea überlegte, ob es noch eine Frage geben würde, die sie stellen sollte. In ihre Gedanken hinein vernahm sie das entfernte Geräusch von Schritten. Alarmiert schreckte sie auf. Sie zögerte nicht lange und hastete zum Fenster, welches das Sonnenlicht jedoch dank der zugezogenen Vorhänge nicht ins Zimmer ließ. Ohne Rücksichtnahme zerrte Alatea den roten Brokatstoff zur Seite und zerbrach das Glas mit einem Schlag. Vielleicht reagierte sie über, aber Alatea war nicht gewillt ein Risiko einzugehen. Ihr eleganter Skywalk trug sie über die hohe Ziegelmauer, welches den ausladenden Garten vor den Blicken Neugieriger verbarg. Ohne einen Blick zurück floh sie in atemberaubenden Tempo weiter und hielt erst mehrere Straßenzüge weiter inne, als sie sicher war, dass niemand ihr auf den Fersen war.
Erst jetzt, wo sie an eine Wand gelehnt verschnaufte, traf sie ihre Lage wie ein Hammer. Sie hatte keine Ziele mehr, nicht jetzt, wo sie ihr letztes Vorhaben verwirklicht hatte. Alatea wurde sich mit erschreckender Klarheit bewusst, dass sie nie gelernt hatte, in der Welt zurecht zu kommen. Sie konnte töten, aber keinen normalen Beruf, war ohne Richtung und noch dazu hingen ihr zwei Agenten der CP-0 auf den Fersen. Was sollte sie nur machen? Ehe sie diese so erschreckende Aussicht übermannte, erkannte sie auch die positiven Seiten. Noch mochte sie richtungslos sein, ohne Pläne, Wünsche und Ziele, aber sie hatte Zeit und die Freiheit sie zu finden und dann zu verwirklichen. Bevor das jedoch möglich war, musste sie zuerst von der Insel verschwinden und so schwer es ihr auch fallen würde, Alatea erkannte, dass sie untertauchen musste. Mit einer Mischung aus Bangen und Hoffen begann sie, erst zögerlich, dann immer forscher, dem Hafen zu zustreben.
Zeitungsartikel
Der Ulcoraug – nur ein Mythos?
Die Wahrheit hinter der Legende
Von Prof. Dr. phil. cult. hist. Jakob J. H. Campbell
Eines der weniger untersuchten und bekannten Kapitel der Sagen ist die bereits Jahrhunderte alte Legende vom Ulcoraug. Dabei ist eine Dualität des daraus entstandenen Mythos zu beachten. Man unterscheidet hierbei die Gestalt des Ulcoraugs als dämonische Kreatur und den Kult des Ulcoraugs, den üblicherweise Verschwörungstheoretiker als menschenopfernde Religion hinter den Schatten agieren sehen.
Doch was ist dran an den Theorien um die Existenz sowohl des Wesens als auch des den Ulcoraug verehrenden Kultes?
Fangen wir mit der Schreckensgestalt selbst an. Der erste datierte Bericht stammt bereits aus dem Jahre 66. Hier wird von einer historisch nicht identifizierten Quelle folgendes beschrieben:
„Die Flotte unseres Kaisers stieß […] auf eine neuartige Tierart. Von den wenigen Überlebenden der ersten Inselexpedition wurden wirre Beschreibungen einer haushohen gehörnten Kreatur geliefert. […] Widersprüchliche Aussagen ergaben ungefähr folgendes Bild: das Tier bewegt sich auf vier Beinen und der Kopf ist wie bei einem Stier mit Hörnern versehen. Aus dem Rücken sprießen entweder zwei Arme oder Flügel, […]“
Viel genauere Beschreibungen finden sich weder im Folgenden, noch in diversen Aufzeichnungen der nächsten Jahrhunderte. Einig sind sich alle Quellen nur in einem: der Ulcoraug besitzt zwei weitere Extremitäten auf dem Rücken.
Doch in der Zeit nach dem verlorenen Jahrhundert gibt es keine weiteren Hinweise auf Sichtungen des Ulcoraugs. Leider sind auch gefundene und dem Ulcoraug zugeordnete Knochen während des verlorenen Jahrhunderts verschwunden. Sollte dieses Wesen also jemals existiert haben, was ich persönlich anhand der Quellenlage als historisch korrekt ansehe, so deutet alles darauf hin, dass es innerhalb des verlorenen Jahrhunderts ausgestorben ist.
Natürlich gibt es nach wie vor immer wieder Leute, die behaupten, den Ulcoraug gesehen zu haben. Doch die Tatsache, dass dies stets Einzelsichtungen waren, die niemals bestätigt werden konnten, deuten darauf hin, dass diese Personen nur die ihnen bekannte Sage nutzten, um Aufmerksamkeit zu bekommen.
Halten wir fest: der Mythos des Ulcoraugs ist nicht nur eine Legende, sondern er hat, wie zum Beispiel auch Mammuts, vor längerer Zeit gelebt und ist inzwischen ausgestorben.
Der zweite Punkt ist der Kult um den Ulcoraug. Die Schilderungen des Ulcoraug als menschenfressendes Monster, haben den Grundstock gelegt für die im Allgemeinen als Legende geltende Religion.
Viele Jahrhunderte haben dafür gesorgt, dass das Wissen um den Ulcoraug inzwischen nur noch wenig verbreitet ist, doch so wie es einige wenige gibt, die immer noch für eine Weiterverbreitung der Mythologie sorgen, könnte es ebenso noch Überbleibsel eines Kultes geben. Jedenfalls gibt es Hobbyhistoriker und Freizeitmythologen, die durch ihre Nachforschungen herausgefunden haben wollen, dass es auch in unserer heutigen Zeit einen solchen Kult gibt. Deren Verehrung soll Menschenopfer beinhalten, die diese Leute vermissten Personen zuordnen.
Betrachtet man diese Behauptung objektiv, so wird man einen eklatanten Mangel an Beweisen antreffen. Die Verbreitung des Kultes müsste demzufolge groß genug sein, um im Prinzip sämtliche Blues, als auch die Grandline zu umfassen. Dennoch wurde niemals auch nur eine einzige Leiche gefunden, kein Opferplatz entdeckt oder eine Kultstätte gefunden.
Die Idee eines Kultes taugt also zu nicht mehr, als eine Schreckgeschichte für Kinder, entspricht aber keinesfalls der Wahrheit.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass es bei dem Mythos um den Ulcoraug, wie bei den meisten Legenden, ein Körnchen Wahrheit gibt. Doch aus wissenschaftlicher Hinsicht ist kein Hinweis darauf zu finden, dass es in den letzten Jahrhunderten einen Ulcoraug gab, noch etwas, was damit in Verbindung steht.
Viel Spaß!
Voraussichtliche Veröffentlichung des nächsten Kapitels: bin ein schlechter Prophet und hülle mich diesmal lieber in Schweigen
Gerade der Anfang fiel mir schwer und so habe ich immer wieder umgeschrieben, mit den ersten Kapiteln gekämpft, ohne richtig zufrieden zu sein. Aber irgendwann ist es auch mal gut mit dem Strben nach Perfektion, die ich sowieso nie erreichen werde. Zudem ist gerade eine Pause in der Klausurenphase, was zu gesteigerter Motivation und Kreativität geführt hat.
So ist jetzt nicht nur der Prolog fertig, nein, auch die ersten Kapitel sind bereits im fortgeschrittenen Stadium. Wenn nicht jetzt, wann dann?
Diese Fanfiction spielt in der Welt von OP, tatsächlich in der gleichen, wie auch schon meine erste FF.
Vom Genre her ist es dem von OP ähnlich, auch wenn es etwas tödlicher und blutiger zugehen wird (da kann man endlich mal seine Gewaltfantasien als Kunst verkleidet los werden^^). Es gibt Arc-weise Gegner, auch wenn es nicht immer linear ablaufen wird. Tatsächlich will ich aber auch den ein oder anderen Diskurs über (fast schon philosophische) Themen wie Gut und Böse unterbringen, bzw. im Allgemeinen Fragestellungen und Themen die mich interessieren/faszinieren. Gerade die schon von Oda recht negativ porträtierte Weltregierung bzw. Marine spielt hier eine Rolle. Zeitliche Überschneidungen mit dem Manga sind aber kaum zu befürchten, startet die Geschichte doch kurz nach Rogers Hinrichtung, einem Zeitraum, der der Fantasie freien Raum gewährt.
Was den Inhalt angeht: verfolgt wird der Weg zweier Regierungsmitglieder, die auf völlig unterschiedliche Weisen zu ihr stehen. Der eine hilft ihr, da er sie als notwendige Instanz sieht, die andere bekommt Zweifel an der Richtigkeit ihres Tuns.
Vom Genre her ist es dem von OP ähnlich, auch wenn es etwas tödlicher und blutiger zugehen wird (da kann man endlich mal seine Gewaltfantasien als Kunst verkleidet los werden^^). Es gibt Arc-weise Gegner, auch wenn es nicht immer linear ablaufen wird. Tatsächlich will ich aber auch den ein oder anderen Diskurs über (fast schon philosophische) Themen wie Gut und Böse unterbringen, bzw. im Allgemeinen Fragestellungen und Themen die mich interessieren/faszinieren. Gerade die schon von Oda recht negativ porträtierte Weltregierung bzw. Marine spielt hier eine Rolle. Zeitliche Überschneidungen mit dem Manga sind aber kaum zu befürchten, startet die Geschichte doch kurz nach Rogers Hinrichtung, einem Zeitraum, der der Fantasie freien Raum gewährt.
Was den Inhalt angeht: verfolgt wird der Weg zweier Regierungsmitglieder, die auf völlig unterschiedliche Weisen zu ihr stehen. Der eine hilft ihr, da er sie als notwendige Instanz sieht, die andere bekommt Zweifel an der Richtigkeit ihres Tuns.
Die einstmals friedliche Stadt hatte sich in ein flammendes Inferno verwandelt. Häuser brachen krachend zusammen und bildeten in Verbindung mit den Schreien zahlloser Menschen, die in dem wütenden Feuermeer gefangen waren, eine geräuschliche Kulisse der Apokalypse.
Es handelte sich keineswegs um ein Unglück, nein, die Flammen waren das Werk einer Gruppe von Angreifern. Gnadenlos metzelten sie sich durch die flüchtenden, weinenden, schreienden Einwohner. Doch nicht allen Bewohnern war das Glück des schnellen Todes vergönnt und so zogen Angreifer Unglückliche hinter sich her dem Zentrum zu. Dort auf dem Marktplatz unter einem an eine Hauswand gemalten Symbol1) thronte eine Gestalt auf den Leichen derjenigen, die Widerstand geleistet hatten. Die Gier nach Blut wütete in ihm und umgeben in der Aura des absolut Bösen hielt das Monster seine fürchterliche Ernte.
In einem etwas vom Zentrum abgelegenen Stadtteil herrschte inzwischen schon wieder Ruhe, abgesehen von den Geräuschen, die herüberhallten und dem Knacken und Prasseln einer untergehenden Stadt. Hier, inmitten des Schutts, den Leichen und den Flammen, kniete eine einsame Gestalt.
In den Armen hielt der Mann eine blutüberströmte Masse, die einstmals ein Mensch und sein Freund gewesen war. Losgelöst von der Welt, taub gegenüber dem Untergang der Stadt wiegte er den Leichnam.
Seine Trauer hatte ihm jegliches Zeitgefühl genommen, und so saß er bereits seit geraumer Zeit dort, reglos, mit starrem Gesicht.
Keine Träne benetzte sein Gesicht. Dieser Weg den Schmerz in seinem Inneren nachzugeben vermochte er nicht zu beschreiten. Doch schließlich wurde der Schmerz unerträglich und ein wortloses Schreien entrang sich seiner Kehle. Dies schien die Ketten der Verzweiflung gesprengt zu haben, denn langsam drangen wieder die Reize seiner Umgebung auf ihn ein.
Wo vorher noch alles unscharf und wie aus weiter Ferne war, stellte der Mann jetzt eine Schärfung seiner Sinne fest. Fast hypnotisch betrachtete er das Haus gegenüber. Die roten Flammen leckten über das bereits rußgeschwärzte Holz, welches die Steinfachungen zusammenhielt. Langsam überschritten die BalkenHolzH
den Punkt an dem sie die Wohnstatt noch stützen konnten und vor dem stummen Beobachter brach die Wand in sich zusammen. Steine stürzten herab, begruben dabei Tote unter sich und rollten nahe an den Zeugen des Zerfalls heran. Als hätte diese Zurschaustellung des momentanen Zustandes der Stadt eine weckende Wirkung, stand der Mann auf.
Er spürte einen aufkommenden Wind über seine Wangen streichen, während sich über ihm ein Gewitter zusammenbraute, gleich einem Spiegel der inneren Verfassung des Mannes. Ja, das aufkommende Ungewitter würde die Feuer löschen und anfangen, Tod und Blut abzuwaschen, dachte der Mann zufrieden.
Langsam wandte er sich den Relikten einer von ihm bereits als vergangene Phase seines Lebens eingeschätzten Zeit zu.
Er öffnete die längliche Kiste, in welcher sich eine perfekt ausbalancierte Waffe befand. Bedächtig holte er das Schwert aus seinem Behälter und strich die Klinge entlang. Nicht die geringste Rille oder Verunreinigung war zu spüren. Solch ein Perfektionismus für dieses brutale und rohe Vernichten von Leben!
In seinem Inneren kehrte wieder Ruhe ein und sein Geist wurde scharf und klar, wie seine Waffe. Bitter wurde er sich bewusst, dass er wieder zu dem wurde, was er aufzugeben gedacht hatte. Nun würde er wieder kämpfen und töten, die Welt mit einem Strom aus Blut bedecken.
Kurze Zeit später machte sich der Mann, jetzt gerüstet für den Kampf, auf den Weg in das Zentrum der Stadt, wo er eine Präsenz wahrnahm, deren Bösartigkeit selbst für ihn schwer zu ertragen war.
Mit jedem zurückgelegten Meter, mit jeder Leiche, mit jedem Anzeichen der Vernichtung änderte sich der Antrieb des als Rächer losgezogenen. Jede noch verbliebende Emotion fiel von dem Mann ab, bis gefühl- und gedankenlose Kälte ihn ihm herrschte.
Den Verursacher des Massakers würde er nicht jagen, weil seine Freunde, seine Stadt und sein aktuelles Leben ihm zum Opfer gefallen waren. Er würde tun was getan werden musste, weil er einem solchen Monster nicht die Welt überlassen konnte.
Und so schritt der letzte Überlebende des Massakers seinem neuen und alten Leben entgegen.
1) siehe im Anhang die Darstellung
Auf dem Meer, Grandline, einige Zeit nach Gol D. Rogers Hinrichtung
In das Lachen, welches sich unter die Geräusche von trinkenden und essenden Menschen mischte, ertönte ein Ruf aus dem Krähennest:
„Ein Sturm zieht auf!“
Der Ausruf der Wache unterbrach die Feier an Deck des Piratenschiffes.
Der Kapitän des Schiffes fluchte. Gerade, als sie es geschafft hatten die Grandline zu erreichen, machte ihnen in der Mitte ihrer Party das Wetter einen Strich durch die Rechnung.
Während sich der Himmel zuzog, rief er Befehle an seine Mannschaft. Allerdings machte er sich keine besonders großen Sorgen, denn ihr Schiff war gut gebaut und auch für die hohe See geeignet.
Als es zu regnen begann, übergab der Kapitän die Leitung des Schiffes an seinen Vizekapitän und zog sich in seine Kajüte zurück, ein erfreuliches Privileg, das er als Anführer besaß.
Wie immer, wenn er die Kajüte betrat, betrachtete er als erstes den Steckbrief, seinen Steckbrief, den er sich eingerahmt an die Wand gehängt hatte. Er, Hawk, war 46.000.000 Berry wert. Für jemanden, der aus dem Westblue kam und noch nicht mal die Grandline befahren hatte, ein sehr ordentlicher Betrag.
Hawk erinnerte sich wieder daran, wie seine Karriere begonnen hatte. Vor ein paar Monaten hatten die berühmten letzten Worte des Piratenkönigs in Logue Town sein Leben verändert.
Von einem einfachen und unbedeutenden Banditen ohne Zukunft war er zu einem Piraten geworden. Sein Ziel war klar. Er wollte das One Piece finden, ein Wunsch, den er sich mit den Myriaden von weiteren neuen Piraten teilte.
Gedanken über einen Misserfolg machte er sich nicht, aber auch damit reihte er sich in die unzähligen verblendeten Freibeuter ein.
Er ging um seinen edlen Tisch herum, den er mehr aus prahlerischem Stolz, denn zur Nutzung in der Kajüte stehen hatte. Hawk warf einen letzten Blick durch das Bullauge gegenüber der Tür. In der Ferne konnte er den Himmel sehen, der gerade eine Färbung annahm, als hätte jemand Tinte in ein Wasserglas gegossen. Dann tauschte er die Weite des Meeres gegen hölzerne Schiffswände, die noch bedauerlich kahl waren. Nun, besser eine schlagkräftige Mannschaft und ein gutes Schiff, als Einrichtung.
Er ließ sich auf seinen gepolsterten Stuhl fallen und griff zur Zeitung. Auf dem Titelblatt prangten mehrere Steckbriefe maskierter Gestalten. Daneben wurde wieder die Bruderschaft erwähnt. An seiner Stirn begann eine Ader zu pulsieren. Warum wurden die Schlagzeilen nicht von Piraten dominiert? Aber jetzt, wo er auf der Grandline angekommen war, würde sich dies ändern.
Hawk wurde in seinen Träumereien unterbrochen, als ein Mitglied seiner Mannschaft an der Tür klopfte.
„Ja, was gibt es denn?“ rief Hawk ungeduldig.
Herein kam sein Schiffsjunge:
„Kapitän, wir haben nicht weit von uns entfernt ein kleines Boot entdeckt.“
Als Hawk die Kajüte verließ, bemerkte er, dass das es trotz des anhaltenden Sturmes keinen Regen mehr gab. Erfreut machte er sich zur Reling auf, an der sich der Großteil seiner Crew befand.
Dort angekommen, erblickte er in geringer Entfernung, inmitten der tobenden Wassermassen, ein Schiff im Miniaturformat. Obwohl es von der Größe her nur ein Boot sein konnte, besaß es zwei Masten mit mehreren Segeln. Was dem Boot jedoch fehlte, war eine Kajüte, es besaß ja nicht mal ein richtiges Deck.
Während das Boot Kurs auf ihr Schiff nahm, suchte Hawk nach der Besatzung. Zu seiner Überraschung konnte er aber nur eine einzige Gestalt ausmachen, die sich am Ruder befand.
Schon schlecht gelaunt, weil er hier draußen bereits von Gischt und Wellen durchnässt wurde, beschloss der Kapitän der Lieblingsbeschäftigung von Piraten nachzugehen.
„Wir holen uns das Schiff“, befahl Hawk.
Er fragte sich, was eine einzelne Person auf der Grandline machte, noch dazu in einem solchen Boot.
Hätte er den Mann schon sehen können, so wäre ihm der in einer solchen Situation sehr merkwürdige Gesichtsausdruck ins Auge gefallen – der Mann lächelte und schien sich offensichtlich über den Kampf mit der Natur zu freuen.
An einem geheimen Ort
Das Schrillen einer Teleschnecke durchbrach die Stille, die in dem dunklen Raum vorherrschte. Der Gefangene, der an die Wand gekettet war, beobachtete mit Erleichterung, wie sich das Paar rot glühender Augen von ihm abwandte. Die Finsternis bereitete offenbar nur ihm Probleme, denn einen Moment später kam aus dem Hörer eine emotionslose Stimme, die ihm Angstschauder über den Rücken jagte:
„Herr, er hat sich in Bewegung gesetzt. Sein voraussichtliches Ziel ist Iseti.“
Dann kam respektvolles Schweigen. Diese Nachricht schien den Besitzer der roten Augen zu erfreuen, denn er brach in ein finsteres, unmenschliches Lachen aus. Doch der Ausbruch währte nur kurz und mit einer dunklen, grollenden, tödlich klingenden Stimme antwortete der Unbekannte:
„Gut, unternimm nichts. Beobachte.“
Dem Mann in der Dunkelheit brach der Angstschweiß aus, als er das Geräusch einer aufgelegten Teleschnecke vernahm. Ein Wimmern entrang sich seiner Kehle, als sich die Augen wieder ihm zuwandten.
Ein Büro
Mit einem leisen Klicken schloss sich die massive Tür aus edlem Holz hinter der Frau Mitte zwanzig. Ihre schwarzen Haare schwangen sich um ihre schmalen Schultern, als sie sich in Richtung des den kahlen Raum dominierenden Schreibtisches drehte. Für einen Moment hätte man von der Tür aus noch einen Blick auf ein blasses Gesicht erhaschen können, dann hatte die Frau ihr den Rücken zugedreht.
Der Besitzer des Büros, verborgen hinter seiner Stuhllehne, konnte förmlich spüren, dass sich seine Untergebene unwohl fühlte. Dafür musste er sich noch nicht einmal mit dem Stuhl zur Tür drehen um sie anzusehen, was er natürlich niemals getan hätte.
Wäre der Direktor der typische Machtgenießer gewesen, so hätte er den Moment ausgedehnt, doch so kam er gleich zum Punkt:
„Es gibt einen Auftrag für sie, H. Der Treffpunkt ist in zwei Tagen in unserer Zentrale in Vila. Alles weitere wird ihnen dort K erläutern.“
Die Frau in Blau verspannte sich bei der Erwähnung des Buchstabens, doch nur kurz. Mit vollständig beherrschter, kalter Stimme antwortete sie:
„Verstanden, ich mache mich dann auf den Weg.“
Gerade als sie wieder die Tür öffnete, erklang noch einmal die Stimme des Direktors:
„Ich weiß, dass sie K nicht mögen, aber er ist ihr Vorgesetzter bei diesem Auftrag und sie werden diesmal keinen Ärger machen, denn ich dulde keine Auseinandersetzungen in meiner Truppe! Ich habe ihnen schon einmal aus der Patsche geholfen, aber das nächste Mal kann ich es nicht mehr tun.“
In das Lachen, welches sich unter die Geräusche von trinkenden und essenden Menschen mischte, ertönte ein Ruf aus dem Krähennest:
„Ein Sturm zieht auf!“
Der Ausruf der Wache unterbrach die Feier an Deck des Piratenschiffes.
Der Kapitän des Schiffes fluchte. Gerade, als sie es geschafft hatten die Grandline zu erreichen, machte ihnen in der Mitte ihrer Party das Wetter einen Strich durch die Rechnung.
Während sich der Himmel zuzog, rief er Befehle an seine Mannschaft. Allerdings machte er sich keine besonders großen Sorgen, denn ihr Schiff war gut gebaut und auch für die hohe See geeignet.
Als es zu regnen begann, übergab der Kapitän die Leitung des Schiffes an seinen Vizekapitän und zog sich in seine Kajüte zurück, ein erfreuliches Privileg, das er als Anführer besaß.
Wie immer, wenn er die Kajüte betrat, betrachtete er als erstes den Steckbrief, seinen Steckbrief, den er sich eingerahmt an die Wand gehängt hatte. Er, Hawk, war 46.000.000 Berry wert. Für jemanden, der aus dem Westblue kam und noch nicht mal die Grandline befahren hatte, ein sehr ordentlicher Betrag.
Hawk erinnerte sich wieder daran, wie seine Karriere begonnen hatte. Vor ein paar Monaten hatten die berühmten letzten Worte des Piratenkönigs in Logue Town sein Leben verändert.
Von einem einfachen und unbedeutenden Banditen ohne Zukunft war er zu einem Piraten geworden. Sein Ziel war klar. Er wollte das One Piece finden, ein Wunsch, den er sich mit den Myriaden von weiteren neuen Piraten teilte.
Gedanken über einen Misserfolg machte er sich nicht, aber auch damit reihte er sich in die unzähligen verblendeten Freibeuter ein.
Er ging um seinen edlen Tisch herum, den er mehr aus prahlerischem Stolz, denn zur Nutzung in der Kajüte stehen hatte. Hawk warf einen letzten Blick durch das Bullauge gegenüber der Tür. In der Ferne konnte er den Himmel sehen, der gerade eine Färbung annahm, als hätte jemand Tinte in ein Wasserglas gegossen. Dann tauschte er die Weite des Meeres gegen hölzerne Schiffswände, die noch bedauerlich kahl waren. Nun, besser eine schlagkräftige Mannschaft und ein gutes Schiff, als Einrichtung.
Er ließ sich auf seinen gepolsterten Stuhl fallen und griff zur Zeitung. Auf dem Titelblatt prangten mehrere Steckbriefe maskierter Gestalten. Daneben wurde wieder die Bruderschaft erwähnt. An seiner Stirn begann eine Ader zu pulsieren. Warum wurden die Schlagzeilen nicht von Piraten dominiert? Aber jetzt, wo er auf der Grandline angekommen war, würde sich dies ändern.
Hawk wurde in seinen Träumereien unterbrochen, als ein Mitglied seiner Mannschaft an der Tür klopfte.
„Ja, was gibt es denn?“ rief Hawk ungeduldig.
Herein kam sein Schiffsjunge:
„Kapitän, wir haben nicht weit von uns entfernt ein kleines Boot entdeckt.“
Als Hawk die Kajüte verließ, bemerkte er, dass das es trotz des anhaltenden Sturmes keinen Regen mehr gab. Erfreut machte er sich zur Reling auf, an der sich der Großteil seiner Crew befand.
Dort angekommen, erblickte er in geringer Entfernung, inmitten der tobenden Wassermassen, ein Schiff im Miniaturformat. Obwohl es von der Größe her nur ein Boot sein konnte, besaß es zwei Masten mit mehreren Segeln. Was dem Boot jedoch fehlte, war eine Kajüte, es besaß ja nicht mal ein richtiges Deck.
Während das Boot Kurs auf ihr Schiff nahm, suchte Hawk nach der Besatzung. Zu seiner Überraschung konnte er aber nur eine einzige Gestalt ausmachen, die sich am Ruder befand.
Schon schlecht gelaunt, weil er hier draußen bereits von Gischt und Wellen durchnässt wurde, beschloss der Kapitän der Lieblingsbeschäftigung von Piraten nachzugehen.
„Wir holen uns das Schiff“, befahl Hawk.
Er fragte sich, was eine einzelne Person auf der Grandline machte, noch dazu in einem solchen Boot.
Hätte er den Mann schon sehen können, so wäre ihm der in einer solchen Situation sehr merkwürdige Gesichtsausdruck ins Auge gefallen – der Mann lächelte und schien sich offensichtlich über den Kampf mit der Natur zu freuen.
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An einem geheimen Ort
Das Schrillen einer Teleschnecke durchbrach die Stille, die in dem dunklen Raum vorherrschte. Der Gefangene, der an die Wand gekettet war, beobachtete mit Erleichterung, wie sich das Paar rot glühender Augen von ihm abwandte. Die Finsternis bereitete offenbar nur ihm Probleme, denn einen Moment später kam aus dem Hörer eine emotionslose Stimme, die ihm Angstschauder über den Rücken jagte:
„Herr, er hat sich in Bewegung gesetzt. Sein voraussichtliches Ziel ist Iseti.“
Dann kam respektvolles Schweigen. Diese Nachricht schien den Besitzer der roten Augen zu erfreuen, denn er brach in ein finsteres, unmenschliches Lachen aus. Doch der Ausbruch währte nur kurz und mit einer dunklen, grollenden, tödlich klingenden Stimme antwortete der Unbekannte:
„Gut, unternimm nichts. Beobachte.“
Dem Mann in der Dunkelheit brach der Angstschweiß aus, als er das Geräusch einer aufgelegten Teleschnecke vernahm. Ein Wimmern entrang sich seiner Kehle, als sich die Augen wieder ihm zuwandten.
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Ein Büro
Mit einem leisen Klicken schloss sich die massive Tür aus edlem Holz hinter der Frau Mitte zwanzig. Ihre schwarzen Haare schwangen sich um ihre schmalen Schultern, als sie sich in Richtung des den kahlen Raum dominierenden Schreibtisches drehte. Für einen Moment hätte man von der Tür aus noch einen Blick auf ein blasses Gesicht erhaschen können, dann hatte die Frau ihr den Rücken zugedreht.
Der Besitzer des Büros, verborgen hinter seiner Stuhllehne, konnte förmlich spüren, dass sich seine Untergebene unwohl fühlte. Dafür musste er sich noch nicht einmal mit dem Stuhl zur Tür drehen um sie anzusehen, was er natürlich niemals getan hätte.
Wäre der Direktor der typische Machtgenießer gewesen, so hätte er den Moment ausgedehnt, doch so kam er gleich zum Punkt:
„Es gibt einen Auftrag für sie, H. Der Treffpunkt ist in zwei Tagen in unserer Zentrale in Vila. Alles weitere wird ihnen dort K erläutern.“
Die Frau in Blau verspannte sich bei der Erwähnung des Buchstabens, doch nur kurz. Mit vollständig beherrschter, kalter Stimme antwortete sie:
„Verstanden, ich mache mich dann auf den Weg.“
Gerade als sie wieder die Tür öffnete, erklang noch einmal die Stimme des Direktors:
„Ich weiß, dass sie K nicht mögen, aber er ist ihr Vorgesetzter bei diesem Auftrag und sie werden diesmal keinen Ärger machen, denn ich dulde keine Auseinandersetzungen in meiner Truppe! Ich habe ihnen schon einmal aus der Patsche geholfen, aber das nächste Mal kann ich es nicht mehr tun.“
Hawks Schiff
Nach einiger Zeit des Heranmanövrierens, erschwert durch den hohen Wellengang, lagen die beiden Schiffe schließlich Seite an Seite. Von unten kam ein Haken angeflogen, ein Seil hinter sich herziehend. Als der Haken sich in der Reling festsetzte, kam das Miniaturboot schließlich zum Halten. Passend dazu zeigten sich erste vorsichtige Lichtstrahlen am Himmel und der Sturm fing an, sich zu einer frischen Brise zu mildern.
Einer der Männer warf eine Strickleiter über die Reling und Hawk vernahm das leise Geräusch von Seil auf Holz. Seine Neugierde stieg an. Wer würde jetzt aufs Schiff klettern? Vielleicht würde er ihn ja sogar am Leben lassen, das aufklarende Wetter hatte ihn großzügig gestimmt.
Einen langgezogenen Moment geschah gar nichts, dann endlich erschien eine Hand an der Reling. Ein kurzes Anspannen der Finger, dann flog eine Gestalt in hohem Bogen über die Reling an Deck und landete leichtfüßig.
Der Mann sah aus, als wäre er Anfang dreißig. Er trug ein schwarzes Oberteil und eine schwarze Hose. Um seine Hüfte war ein rotes Tuch geschwungen und über seinem Rücken hing ein Schwert. Der Fremde richtete sich auf und strich sich mit geübtem Griff ein paar Strähnen seines ebenfalls schwarzen Haares aus dem Gesicht. Dabei rutschte ihm der Ärmel herunter und entblößte die Andeutung einer kunstvollen Tätowierung.
„Wer tätowiert sich denn Ketten auf seinen Arm?“ dachte sich Hawk, als er diese bemerkte.
Seine Augen wanderten den Körper entlang und erreichten das Gesicht. Neben der der eher schmalen Nase, die Anzeichen eines vergangenen Bruches aufwies, zeichneten sich die Wangenknochen sichtbar ab. Über diesen sahen ihn schimmernd violette Augen durchdringend an. Hawk rühmte sich eines einschüchternden Blickes – sein Name kam nicht von ungefähr – doch dieses Mal musste er fast sofort den Blick senken. Ihm schwante Unheil, doch bevor er reagieren konnte, nahmen seine Ohren ein leises Sirren wahr, gefolgt von Körpern, die auf das Deck prallten. Unfähig, sich zu bewegen, hob Hawk wieder den Blick. Wie das Kaninchen vor der Schlange sah er wie hypnotisiert in diese Augen, unfähig auch nur einen Gedanken zu fassen, bis ihn der Fremde packte und in sein Boot zog.
~
Vila, ein Konferenzraum
Das enervierende Geräusch eines Dolches, der geschärft wird, war das einzige, was die Stille im Raum unterbrach. H zwang sich, ruhig sitzen zu bleiben. Den Triumph die Nerven zu verlieren würde sie K nicht gönnen.
Sie löste den Blick von den auf ihre Arme tätowierten Schuppen, die sich unter ihrem kurzen Shirt zeigten, und deren blaues Leuchten leicht hypnotisierend wirken konnte. Stattdessen betrachtete H den Agenten in seinem weißen Mantel, mehr von sich zu zeigen hatte sich dieser noch nicht bequemt. Wenigstens hatte er auf die Heuchelei verzichtet, „Gerechtigkeit“ auf den Mantel schreiben zu lassen.
Beunruhigt verfolgte H ihre Gedanken. K war gut in ihrem Job, sehr gut sogar, und was sie taten, war für die Regierung, für den Frieden, aber sie konnte den Gedanken einfach nicht abschütteln, das Kill – da hatte sie seinen Namen ausgesprochen - einfach nur ein Mörder war. Zwar im Dienste der Regierung, aber nichtsdestotrotz nur jemand, der gerne tötete.
Ihre Ausbildung, ihre innere Stimme warf „Konditionierung“ ein, war anscheinend nicht erfolgreich gewesen und begann Risse zu kriegen. Sie hatte diese kahlen Räume satt, das Leben hinter Masken und hinter Buchstaben. Aber sie war sich auch bewusst, dass sie nicht einfach aufhören konnte, dass sie vermutlich nicht in der Lage dazu wäre. Mit einem bitteren Lächeln erkannte sie die Ironie der Situation. Hier saß sie und zweifelte, während sie nur wenig später wieder Leben nehmen würde, als wäre nichts gewesen. Ein Auftrag würde jegliche Zweifel auslöschen, so wie es die Weltregierung wollte.
Ihre Gedanken wurden unterbrochen, als plötzliche Stille eintrat. K drehte sich um, präsentierte dabei die blutrote Maske hinter der er sein Gesicht verbarg. Unwillkürlich fragte sich H, wie er wohl dahinter aussah. Normal, harmlos oder würde man ihm sein Wesen ansehen? Es war ihr niemand bekannt, der wirklich wusste, wer hinter der Maske steckte.
Sie atmete tief aus und versuchte sich zu beruhigen. Schon wieder fing sie an, alles zu hinterfragen. Sie konnte es dem Direktor nicht antun, schon wieder Probleme zu verursachen.
K musterte sie einen Moment, schien aber nichts von ihrem inneren Aufruhr zu bemerken. Mit der gedämpften Stimme, die die Maske verursachte, sprach er ein Wort und H war nichts weiter als ein gedankenloses Werkzeug, bereit zu tun, was ihr befohlen wurde. Erst dann erläuterte er ihr den Auftrag.
~
Auf dem Meer, auf dem Boot des Fremden
Das Meer hatte sich wieder beruhigt und lag da, ein tiefblauer Spiegel, unwissend ob der Probleme der Menschen, die es befuhren.
Wieder lösten sich Hawks Augen von den rissigen Planken, den Zeugen eines lange benutzten Bootes, die er bestimmt schon hundert Mal betrachtet hatte und so konnte Hawk nur die endlose Weite betrachten, vorausgesetzt, er wollte sich nicht den unheimlichen Augen seines Entführers aussetzen. Der hatte sich nicht mal die Mühe gemacht, ihn zu fesseln und wie dem gescheiterten Kapitän klar war, hatte er dies auch nicht nötig.
Monolithisch ragte der Fremde auf, den Eindruck hinterlassend, jemand hätte ihn aus Stein gemeißelt. Unbeweglich stand der Mann in Schwarz am Steuerruder, schweigsam und durch seine Regungslosigkeit Hawk den letzten Nerv raubend. Genau einmal hatte er bisher nur gesprochen und es schien ihm, als würde er niemals wieder den Mund öffnen.
Etwa eine Stunde zuvor
Schon seit einer Weile hatte Hawks Nervosität und Langeweile seine Angst vor dem Unbekannten besiegt, zumindest im Hinblick auf den Versuch, eine Kommunikation zu beginnen. Doch jegliche Fragen perlten an seinem Entführer ab. Weder offenbarte er seine Gründe, noch sein Ziel oder Herkunft. Schließlich rief Hawk entnervt in einem letzten Versuch:
„Wer zur Hölle bist du eigentlich?“
Zu seiner Überraschung drehte ihm der Fremde daraufhin den Kopf zu und antwortete:
„Aktuell Dulug.“
Zurück in der Gegenwart
Diese unbefriedigende Antwort war das letzte gesprochene Wort gewesen. Seitdem befand sich Hawk in einem Zustand, der zwischen Hoffnung und Verzweiflung schwankte, je nachdem wie er sich die Zukunft ausmalte.
Sein Brüten unterbrach er, als er in nicht allzu weiter Entfernung die Silhouette einer Insel, auf der sich ein Hügel erhob, erblickte. Dies musste Iseti sein, was auch sein Ziel gewesen war, als er noch Kapitän war.
~
Am Hafen der Insel Iseti herrschte noch rege Betriebsamkeit, gleichsam einem Ameisenhaufen aus der Luft betrachtet. Arbeiter entluden Handelsschiffe, Matrosen begaben sich in Richtung Stadt auf der Suche nach Tavernen und Marinesoldaten patrouillierten durch die Menge. Menschen schrien durcheinander, versuchten sich zu übertönen und belebten so diesen einzigen Ort, der noch für frischen Wind auf der Insel sorgte.
An einer Stelle des Hafens, wo weniger Trubel herrschte, legte ein kleines Boot an. Dulug und Hawk gingen an Land, Hawk inzwischen in Handschellen. Zielstrebig zwang Dulug seinen Gefangenen in Richtung Oberstadt, den Hügel hinauf.
Obgleich einige der Bewohner das Paar etwas merkwürdig betrachteten, konnten die beiden ihren Weg ungehindert fortsetzen. Die Bewohner Isetis waren schon lange über den Punkt hinaus, wo sie sich in fremde Angelegenheiten einmischten. Zwar gab es in der Stadt eine Marinebasis, doch die zeigte nur am Hafen Präsenz und war insgesamt eher sporadisch vertreten. Zu hoffen, dass die Marine hier für Recht und Ordnung sorgen würde, war Selbstmord und so wollte lieber keiner seine Nase in anderleuts Angelegenheiten stecken.
Tatsächlich war dies heruntergekommene Bild der Inselstadt aber nicht die ganze Wahrheit. Dulug wusste, dass der Ort einen doppelten Zweck erfüllte. Einerseits konnte man hier unliebsam unfähige Marinemitglieder hinschicken, anderseits verbarg die Unfähigkeit der Marine das Ziel, dem er entgegensteuerte.
Je höher der Gefangene und sein Begleiter kamen, desto ehrbarer erschien die Stadt. Die Häuser wirkten weniger baufällig, die Geschäfte seriöser, die Leute weniger zwielichtig. Trotzdem wirkte nichts so, als ob die Einwohner glücklich wären. Über allem hing der Geruch von Armut und Schicksalsergebenheit.
Hawk sah keinen Grund, warum er hier auf diese Insel gebracht wurde, aber gerade als er den Mut zusammengenommen hatte, eine entsprechende Frage zu formulieren, bog Dulug in einen Hof ein.
Auf den ersten Blick wirkte dieser wie der Vorhof einer Manufaktur für Metallwaren, sah man doch Arbeiter Gebrauchsgegenstände aus Metall, wie Kochgeschirr oder Feldgeräte, auf Wagen laden und andere Rohmetall ins Innere der Manufaktur tragen. Doch der Mann, der sich aktuell als Dulug benannt hatte, sah auch die wachsamen Blicke der Arbeiter, sah ihre zufällig wirkende Verteilung um den Eingang zu bewachen, bemerkte die Pause, die zwei Träger neben der Tür machten und zeigte zum ersten Mal eine Gesichtsregung – ein Lächeln.
Scheinbar ungezwungen näherten sich die beiden dem Eingang und als sich die vorgeblichen Arbeiter bedrohlich blickend um die ihnen Fremden versammelten, wurde auch Hawk klar, dass hier nichts so war, wie es schien.
Ein Riese von Mann, einer derjenigen, der eine Pause eingelegt hatte, erhob sich, um Dulug den Weg zu versperren. Doch ehe er auch nur den Mund öffnen konnte, hielt er auf einmal Hawk in den Händen, während hinter ihm die Tür ins Schloss fiel.
Vor Dulug lag eine Halle, in der ebenfalls gearbeitet wurde. Es gab Werkbänke, an denen poliert wurde, es gab Schmiedestätten, von denen die Feuer Hitze ausstrahlten und es gab, vor allem interessant, eine Tür am gegenüberliegenden Ende der Halle. Dort, so war sich Dulug sicher, würde die Maskerade ein Ende finden. Er war beeindruckt, wie gut sich die Weltregierung hier getarnt hatte.
Den Raum wahrnehmen, die Tür entdecken und die Lage zu beurteilen hatte keine Sekunde gedauert. Bevor er noch entdeckt wurde hatte sich Dulug bereits in Sekundenbruchteilen zur Tür bewegt. Dort angekommen murmelte er testweise: „Soru“. Er schüttelte den Kopf. Nein, das war nichts für ihn.
Mit einem Achselzucken öffnete er die Tür in den geheimen Regierungssitz.
Hinter dem Eingang erstreckte sich ein langgezogener Flur, bedeckt mit einem etwas angestaubten roten Teppich, der in dem ansonsten kahlen Gang irgendwie unpassend wirkte. Auf beiden Seiten gingen Türen vom Flur ab. Doch Dulug würdigte diese keines weiteren Blickes, denn am Ende des Flurs gab es ein Portal. Dieses war im Vergleich zu dem sonst schlichten Baumaterial des Gebäudes aus edlem, tiefbraunem Holz und verriet einen Geschmack, den man an diesem Ort eigentlich nicht erwartet hätte.
Dulug schritt die rote Straße entlang, sich innerlich auf die folgende Begegnung vorbereitend. Kurz verharrte er vor dem glänzenden Holz, sich bewusst werdend, dass er im Begriff war, eine der folgenschwersten Entscheidungen seines Lebens zu fällen. Doch ihm war längst klar, dass er eigentlich keine Wahl gehabt hatte. Er schloss die Augen und sah wieder die rauchige dämmrige Atmosphäre des Zeltes vor sich, hörte die Worte wieder, die ihm keine Wahl ließen. Als Dulug die Augen wieder öffnete, schien ihm von der Maserung ihr Gesicht anzusehen, dessen Ausdruck ihm zu sagen schien: ich habe es doch gesagt. Ja, sie hatte Recht gehabt, er hatte es bei Rogers Tod gespürt und jetzt stand er hier, bereit, erneut auf der großen Bühne der Welt teilzunehmen. Mit dem Gefühl, das Richtige zu tun, stieß er das vorletzte Hindernis beiseite und betrat den Raum.
~
Vila, der (ehemals) geheime Unterschlupf der Rebellen
Aus einem der weitläufigen, nur schlecht beleuchteten, Gänge des Höhlensystems, in dem sich die Rebellen aufhielten, stürzte keuchend ein Bote in den Kuppelsaal, wo soeben die Pläne für einen Angriff auf die Hauptstadt geschmiedet wurden..
Die Männer und Frauen, die für die Rebellion verantwortlich waren, drehten sich genervt von dem Tisch weg, auf dem Karten und Zeichnungen verstreut lagen, und unterbrachen ihre angeregte Diskussion.
Ihre Mienen wandelten sich angesichts der verzweifelt ausgestoßenen Botschaft aber sofort zu Masken des Entsetzens:
„Wir wurden entdeckt und angegriffen. Die Weltregierung hat die CP-0 entsandt!“
Im Inneren des getarnten Regierungssitzes
Vor seinen Augen breitete sich der wohl unordentlichste Arbeitsplatz auf, den er je gesehen hatte. Wo die Wände nicht von Regalen und Schränken verdeckt wurden, befanden sich Zeichnungen, Notizen und Tafeln beschrieben mit einer Schrift, die zeigte, dass der Schreiber schneller dachte, als seine Hand nachkam. Dabei handelte es sich offensichtlich um psychologische Betrachtungen, auch wenn Dulug von dem Thema nichts verstand. Beziehungsgeflechte kamen vor, genauso Symptome, ebenfalls umkreist und verbunden. Es schien, als hätte der dafür Verantwortliche beschlossen, sämtliche Mitglieder der Regierung und Marine zu behandeln.
Die Regale und Schränke quollen schier über vor Büchern, Akten und Papieren, die zudem noch wild durcheinander gemischt waren. Immerhin der Boden war unbedeckt und es gab einen Stuhl vor dem Arbeitstisch des Büroinhabers. Der Tisch selbst passte sich ins allgemeine Bild ein und war übersät mit Schriftstücken. In Blickrichtung des Besuchers stand ein kleines Schild mit der Aufschrift „Bora, Psychologe“.
Hinter dem Tisch saß der Verursacher des Chaos, bis eben noch mit dem Stift zu Gange, den er jedoch mit dem Öffnen der Tür abgelegt hatte.
Im Gegensatz zum Durcheinander im Raum war der Mann adrett gekleidet. Zu sehen war sein blütenweißes Hemd und über den Sessel drapiert war auch ein schwarzes Jackett zu erkennen. Im Gesicht Boras hatten sich bereits Furchen eingegraben, die ihn in Verbindung mit den Augenringen älter erschienen ließen, als er in Wirklichkeit war. Aber trotz der offensichtlichen Anzeichen von Überarbeitung und Schlafmangel ließen die blauen Augen des Psychologen keinen Eindruck von Müdigkeit erkennen.
So gut Bora auch gekleidet sein mochte, die Haare hingen wirr auf seinem Kopf und vervollständigten so den Look des Workaholics.
So wie Dulug den Raum und Bora gemustert hatte, machte sich der Psychologe ebenfalls ein Bild von dem unerwarteten Eindringling.
Auch wenn die Kleidung des Mannes gut gearbeitet war, wirkten sie doch bereits leicht abgetragen und deuteten auf einen längeren Aufenthalt außerhalb der Zivilisation hin. Dies bestätigten die schulterlangen Haare, die einen ungepflegten Eindruck hinterließen. Auffällig ins Auge stach das Schwert auf dem Rücken des Kämpfers, dessen Griff über die linke Schulter hinausragte. Doch als geübter Beobachter bemerkte Bora auch die Ausbuchtungen im roten Tuch, das Dulug um die Hüfte geschlungen trug. Zwei Dolche vermutete Bora. Das Gesicht zeigte den Einfluss der Natur und war sonnengebräunt. Ein Blick in die Augen und Bora war sich im Klaren, dass er einen Killer vor sich hatte. Jemanden der ohne zu zögern töten konnte, aber niemanden der aus dem Affekt heraus handelte. Doch offensichtlich war er nicht gekommen, um ihn zu töten, hielt er doch die Arme vor sich ausgestreckt, Handflächen nach außen, um ihm seine guten Absichten zu verkünden.
Bora war fasziniert von der Gestalt und sehr interessiert, was jemanden solcher Ausstrahlung zu ihm führte. Also deutete er auf den Stuhl und begrüßte den Fremden:
„Nehmen sie doch Platz. Wie sie mit Sicherheit bereits wissen, ist mein Name Bora. Wie sie vermutlich ebenfalls wissen, ansonsten wären sie ja kaum hier, bin ich verantwortlich für die psychologische Untersuchung und Beurteilung von Regierungsangestellten. Also, was wollen sie von mir?“
Mit einem Lächeln auf den Lippen senkte Dulug die Hände und nahm auf dem Stuhl Platz.
„Mein Name ist Galayn. Ich will für die Weltregierung arbeiten.“
Er zögerte kurz und setzte dann noch hinzu:
„Ach, und bevor sie ihre Beurteilung beginnen, sollte ich sie noch darauf hinweisen, dass mein unbefugtes Eindringen einige ihrer Wachleute aufgeschreckt hat.“
Der Moment, den Bora brauchte, um seine Gedanken zu sammeln und sich auf das Kommende vorzubereiten, war gerade abgeschlossen, da flog der Eingang ein zweites Mal auf und hereingestürmt kamen seine Bewacher.
Sichtlich überrascht, den Eindringling friedlich sitzen zu sehen, standen sie da wie bestellt und nicht abgeholt.
Bora nutze den Augenblick der Überraschung aus:
„Geht wieder zurück an eure Arbeit. Wir zwei hier wollen ein Gespräch zu führen.“
Nach einem kurzen Zögern fügte er noch an:
„Und ich brauche euch auch nicht, um meine Sicherheit zu garantieren. Ganz abgesehen davon, dass ich überzeugt bin, ihr wäret dazu gar nicht in der Lage.“
Einen Moment schienen sich die Wächter noch sträuben zu wollen, doch ein ungeduldiges Winken seitens Bora sorgte dafür, dass die beiden ihr unterbrochenes Gespräch wieder aufnehmen konnten.
„Dieser Ort sollte eigentlich geheim bleiben.“
Bora ärgerte sich selbst über diese unnötige Feststellung, aber dieser Galayn hatte es doch tatsächlich geschafft, ihn aus der Fassung zu bringen.
„Ich weiß vieles, aber darum geht es doch gar nicht, nicht wahr?“ antwortete Galayn.
„Ja, sie haben-“
„Ich würde das „Du“ bevorzugen“, fiel ihm Galayn ins Wort.
Erneut aus dem Konzept gebracht fühlte Bora, wie ihm zum ersten Mal in seinem Leben ein Gespräch entglitt. Diese Annäherung sollte eigentlich nicht stattfinden, doch Bora war nur zu klar, dass er hier kaum eine Wahl hatte. Es war noch mehr nur ein Gefühl, doch Bora war sich schon ziemlich sicher, dass dieser Mann wichtig war. Entweder er würde für sie sein oder aber er würde gegen sie sein und er wollte bestimmt nicht derjenige sein, der der Weltregierung einen solchen Gegner verschaffte.
Trotzdem war Galayn zu ihm gekommen und wollte dieses Gespräch führen. Das Wissen, dass er wirklich seinen Job machen sollte, ermöglichte es ihm, die Fassung wieder zu gewinnen. Schwach lächelnd fuhr er fort:
„Wenn s- du meinst, dass es dir hilft.“
Bora drehte den Stift in seinen Fingern hin und her. Schließlich legte er ihn beiseite und fuhr fort:
„Um für die Weltregierung zu arbeiten sind je nach Profession verschieden Hürden zu nehmen. Ich gehe davon aus, dass du als ein Agent eingestellt werden willst. Also sind drei Punkte zu beachten. Erstens: Kampfkraft. Zweitens: die geeignete geistige Einstellung für eine solche Machtposition. Drittens: nach Untersuchung des Lebenslaufes und der Lebenssituation das grüne Licht des verantwortlichen Psychologen.“
Kurz legte Bora eine Pause ein und seine Gedanken kreisten um die zunehmende Veränderung der Weltregierung. Einst war er wirklich wichtig gewesen, doch heutzutage war seine Position am Schwinden. Sah man sich nur an, was der Direktor der CP-0 veranstaltete, so drehte sich ihm bereits der Magen um. Er öffnete die zu Fäusten geballten Hände und sprach weiter:
„Der erste Punkt sollte kein Problem darstellen. Und tatsächlich reichen meine Kontakte und Befugnisse weit genug, dass mein Wort ausreicht um den Job zu kriegen. Überzeugen sie mich, dann sind sie, entschuldige, dann bist du eingestellt.“
Bora griff in das Meer aus Papier hinein und fischte ein noch unbeschriebenes Blatt heraus. Dabei sorgte er für einen Papierstrom, der sich zum Rande des Tisches ergoss. Vergeblich versuchte er der Flut Herr zu werden, dann zuckte Bora die Achseln und nutzte den neu entstandenen Platz, um das leere Blatt zu platzieren.
Galayn wartete geduldig ab, bis sein Gegenüber den Stift wieder in der Hand hielt, bevor er anfing:
„Ich will dir nichts vormachen. Meines Erachtens ist die Weltregierung korrupt und in vielerlei Hinsicht selbst kriminell. Aber sie ist auch die einzige Organisation, die Ordnung und Gesetzte repräsentiert. Mein Wunsch ist es, für Gerechtigkeit zu sorgen, denn ich habe in meinem Leben bereits für genügend Ungerechtigkeit gesorgt. Um ehrlich zu sein, kann ich genau zwei Dinge: kämpfen und schmieden. Letzteres habe ich aufgegeben, weil mich diese Welt schwer getroffen hat. Und glaube mir, ich würde gerne wieder anfangen.“
Einen Moment hielt Galayn inne, folgte den flinken Wegen der Hand des Psychologen, vergangenen Schmerz wieder aufleben spürend.
„Doch bis dahin muss ich meine Suche beenden. Auch hier will ich keine Illusionen aufkommen lassen. Ich bin hier nicht weil ich eine Berufung verspüre. Ich bin hier, weil ich nicht in Konflikt mit der Weltregierung geraten will. Ich bin hier, weil ich aus Gründen, die ich nicht darlegen werde, das Leben sehr schätze und Menschen nicht mag, die es anderen nehmen und unerträglich machen. Ich bin hier, weil ich auf meiner Suche etwas Gutes bewirken möchte und ich dies im Sinne des Vertrauens der Menschen in die Weltregierung als ein Mitglied der sogenannten Guten tun möchte.“
Bora hatte sich Notizen gemacht und kringelte in der entstehenden Pause das Wort „Reue“ und zog eine Verbindung zum Punkt „kriminelle Vergangenheit“.
„Weißt du, das klingt eigentlich nicht sehr überzeugend, aber es klang ehrlich und gefiel mir besser als all das auswendig gelernte Zeug, dass ich oft zu hören bekomme. Ich vermute mal, du wirst deine Vergangenheit nicht teilen wollen, oder?
Galayn lachte kurz auf.
„Richtig. Ich bin vielleicht arrogant, wenn ich das so sage, aber ich bin nicht irgendjemand. Hier bin ich zwar Bittsteller, aber es gibt Grenzen, die ich nicht überschreiten werde, denn ich kann ohne die Weltregierung klar kommen. Aber eine Frage kann ich sehr wohl noch beantworten. Meine Suche ist etwas, was immer Vorrang haben wird. Und ich will sogar noch mehr verraten.“
Das von Bora beschriebene Papier lag gerade noch in der Reichweite Galayns. Dieser griff danach und malte ein Symbol in den freien Platz. Was anfangs noch wie ein von einem Kind gemalter Vogel aussah, bekam jetzt noch einen Bogen unter die Füße.
„Dies ist das Symbol eines Kultes. Ich jage diesen Kult und im Besonderen ihren Anführer. Sie sind untergetaucht und ihre Existenz wird nicht anerkannt. Doch ich weiß, dass es ihn gibt, im Gegensatz zu Campbell. Deinen Augen sehe ich an, dass du den Artikel gelesen hast. Der Kult des Ulcoraug existiert wirklich!“
~
Vila, Eingang zum Höhlensystem
Der Eingang zur Höhle, einst von wucherndem Grün verborgen, war jetzt sichtbar, der natürliche Vorhang zerschnitten vor dem gähnenden Eingang liegend. An der Grenze, wo schwindendes Tageslicht überging in zuckenden Fackelschein, standen die beiden Agenten der CP-0. Der einstmals weiße Mantel von K hatte angefangen, die Farbe seiner Maske anzunehmen, durchtränkt vom Lebenssaft der unglücklichen Wächter, die unter seinen Dolchen das Leben ausgehaucht hatten. Inmitten dieser Leichen stand K vor dem einzigen noch lebenden Mitglied der Rebellen an diesem Eingang. Dieser sah immer wieder nervös zur rechten Hand des CP-0 Agenten, in der ein Dolch silberne Schlieren in der Luft bildete, während er in rasender Geschwindigkeit zwischen den Fingern hin und her wanderte.
Der Rebell öffnete den Mund, doch noch bevor er einen Ton herausbrachte, schnellte der Dolch nach vorne und trennte den Kopf besser als jeder Henker vom Körper.
„Verräter sind nicht gerade beliebt, dass hättest du doch besser wissen müssen“, belehrte K den Leichnam.
Dann wischte er den Dolch am Mantel des Enthaupteten ab und machte sich auf den Weg, weitere Dolche aus den getöteten Wächtern zu ziehen.
H sah ihm fasziniert zu, wie er jeden Dolch fein säuberlich abwischte und wieder an seinem Körper verbarg. Endlich war K fertig und erhob sich.
„Du bleibst hier. Erinnere dich an den Auftrag.“
„Als ob ich das nicht würde“, erwiderte H, doch ihre Antwort verlor sich im bereits leeren Gang.
H wartete jetzt seit ein paar Minuten, doch obwohl aus der Entfernung leise Schreie zu hören sind, hatte es bislang niemand zu diesem Ausgang geschafft.
Vermutlich waren die meisten zu anderen Ausgängen geflüchtet und sie konnte sich gut die verzweifelten Gesichter vorstellen, die feststellen mussten, dass der Verräter ganze Arbeit geleistet hat. Alle Ausgänge waren gleichzeitig blockiert worden und der einzig offene Weg nach draußen war jetzt auch nur eine weitere Todesfalle.
Die Leichen sonderten ihren Gestank nach Tod ab und drangen mit dem Geruch von Blut und Exkrementen unter ihre noch weiße Maske. H merkte, wie sie langsam die Kontrolle verlor. Bald würde auch sie zu einem emotionslosen Monster werden, wie K es war. Sie begann vor ihrem inneren Auge den Vernichtungsfeldzug von Kill zu sehen.
Unter seiner Maske wird mit Sicherheit ein Lächeln liegen, während er die Gänge durcheilt. Die Dolche werden ihre blutige Arbeit verrichten, sie werden geworfen, um Fliehende niederzustrecken, in silbrigen Schweifen durch die Luft gezogen werden, um Kämpfende und Bettelnde niederzumachen.
H bemerkte, dass sie bereits keinerlei Mitleid mehr für die Rebellen übrig hat. Wer eine Waffe in die Hand nimmt, muss auch damit leben – unwillkürlich fing H an zu lachen – durch ein solche umzukommen.
K ist zu schnell, zu gut, das weiß sie, niemand wird auch nur den Hauch einer Chance haben. Und so wird er im Zentrum ankommen und langsam, einen nach dem anderen, jeden Kopf der Rebellen einholen und töten.
Doch die Höhle war groß und die Rebellen zahlreich genug, dass es inzwischen auch welche zu ihrem Ausgang geschafft hatten. H unterbrach ihren Gedankengang, um ihren wachsenden Blutdurst zu stillen.
Eine größere Gruppe, mindestens zwanzig, war es, die den Ausgang erreichte. Doch dort wartete bereits der Tod, in der Gestalt einer schlanken, waffenlosen Frau. Einen Moment zögerten die Rebellen, dann stürmten sie los.
Bevor sich die Rebellen ihr ganz näherten, verschwand H blitzartig, nur um genau vor den Rebellen aufzutauchen, das rechte Bein auf dem Boden, mit dem linken durch eine rasche Drehung eine blaue Schnittwelle erzeugend.
Blutend brachen über ein halbes Dutzend Rebellen zusammen, mit ihrem Tod jeglichen Kampfgeist zerstörend. Der Rest gab panisch jeden Gedanken an einen Kampf auf und flüchtete schreiend zum Ausgang.
Schon das Licht des Ausgangs vor Augen, fiel ein Schatten über ihre Köpfe und jegliche Hoffnung erstarb, als sich die Männer und Frauen umblickten.
Hinter ihnen sahen sie H stehen, die ihren Mantel abgelegt hatte. Aus ihrem Körper waren tiefblaue, wie Eis schimmernde, Schlangenkörper hervorgebrochen und gaben ihr den Anschein, als besäße sie vier ins absurde verlängerte Arme. Noch während die Beine unter den vor Angst zitternden Rebellen zusammenknickten, teilten sich die geschuppten baumstammstarken Schlangen weiter auf und gebaren wie ein sich verzweigender Baum weitere Reptilleibe, die in schlängelnder Bewegung zu den warmen Körpern hinwuchsen. Aus dem kalten Fleisch entstanden albtraumartige Köpfe, weit aufgerissen und monströse Fangzähne präsentierend. Zischelnd erfüllte das Vorschnellen gespaltener Zungen den Raum mit einer Symphonie des Schreckens und als den mental schwächeren Rebellen die Blase versagte, richteten sich geschlitzte Augen auf die Beute der Hydra.
Mit barmherziger Schnelligkeit erreichten die Köpfe der Schlangen ihre Opfer. Dann ein kurzes Zuschnappen, ersterbende Schreie und unter dem durch die Höhle spritzenden Blut ergoss sich die Flut fallender Körper.
Doch ein Rebell hatte noch Leben in sich und mit den letzten Atemzügen gelang es ihm, eine Frage auszuhauchen:
„Ist das Gerechtigkeit?“
Vila, Zentrale der CP-0
Die klinische Atmosphäre des weiß getünchten Raumes in dem sich Hydra aufhielt, bot wenig Ablenkung. So war sie ihren Gedanken überlassen, die gleich aufschäumenden Wellen gegen den Turm in ihrem Geist, errichtet durch ihre jahrelange Ausbildung, brandeten. Auch wenn Hydra von der zugrunde liegenden Konditionierung wenig verstand, wie sie so vieles nicht wusste, war ihr klar, dass etwas nicht in Ordnung war.
Wieder kehrte sie in die Erinnerung zurück, in welcher der sterbende Rebell ihr die Frage gestellt hatte, welche sie nun in Aufruhr versetzte. Diese Erinnerung war klar, etwas was sie nicht von vielen Erlebnissen ihres Lebens behaupten konnte. Erneut vermeinte sie den Geruch von Tod, Blut und den feuchten Moder der Höhle zu riechen. Der graue, unebene Fels, der sie umgab, war gesprenkelt mit Blut gewesen, Blut, welches sie vergossen hatte. Warum hatte sie dies getan? Der Rebell hatte gemeint, es wäre Gerechtigkeit gewesen, für die sie getötet hatte. Aber konnte es Gerechtigkeit sein, wenn sie nicht einmal wusste, wen sie dort bekämpfte? Ihr wurde schmerzlich bewusst, dass sie weder den Grund für die Rebellion kannte, noch einen einzigen Gedanken daran verschwendet hatte.
Wenn Hydra sich ehrlich die Wahrheit eingestand, so war sie nicht selbstständig. Keine Ahnung von der Welt draußen, die die Weltregierung vor ihr verborgen hielt, unwissend, was alle Belange des Lebens betraf, wenn man mal von ihrer Profession absah. Doch die Frage war der Glockenschlag, der eine neue Zeit einläutete. Eine Zeit in der sich Hydra anfangen würde zu erinnern. Eine Zeit, in der Hydra anfangen würde, für sich selbst zu denken.
Doch noch stand der Turm, der ihren Geist gefangen hielt. In ihre Gedanken hinein ertönte das Klingeln der Teleschnecke, unangenehm schrill nach der wohltuenden Stille. Hydra straffte ihre Haltung und nahm ab:
„H!“
Die Stimme des Direktors klang freundlich:
„Sehr gute Arbeit. K hat mir den Erfolg berichtet und sie lobend erwähnt. Sie wundern sich bestimmt, warum ich anrufe.“
Das tat Hydra tatsächlich nicht, hatte sie doch ganz andere Probleme gehabt. Jetzt wieder zurück in die Realität geholt worden, zogen sich ihre Augen zusammen. Ja, es war ungewöhnlich. Also tat sie dem Direktor den Gefallen:
„Ja, was verschafft mir die Ehre?“
„Jeder Agent bekommt vier Jahre nach Beginn seiner Tätigkeit einen Urlaub.“
Hydra klappte den Mund auf, dann schloss sie ihn wieder. Sie hätte vieles erwartet, aber bestimmt nicht das. Ihre Verwirrung war offensichtlich und so fuhr der Direktor fort:
„Sie haben zwei Wochen Zeit. Nutzen sie sie, wie sie wollen.“
Bevor Hydra auch nur eine Frage formulieren konnte, klickte es in der Leitung. Überwältigt ließ sie den Hörer zurück auf die sie schläfrig anstarrende Schnecke sinken. Jetzt musste sie wirklich Nachdenken. Immerhin war dies ihre erste freie Zeit, seit dem sie vom Programm „Gnati“ eingezogen worden war.
Auf der anderen Seite lehnte sich der Direktor in seinem Sessel zurück. Jetzt würde sich zeigen, ob Hydra auch in Zukunft ein Mitglied der CP-0 sein würde. Sein Programm funktionierte noch nicht perfekt, fast jeder ausgebildete Agent bekam in den ersten vier Jahren Zweifel. Erst der Urlaub würde entblößen, ob ein Agent seine Konditionierung durchbrechen könnte. Nicht, dass es jemals passiert wäre, aber der Direktor ging immer auf Nummer sicher.
~
Auf dem Meer, Galayns Boot
Am Horizont hinter Galayn verschwamm Iseti, bis der Schemen des Hügels unter dem Wasser versunken war. Er war froh, den Ort hinter sich gelassen zu haben. Es gab wahrlich schönere Inseln, zum Beispiel die als Schlangen-Inseln bekannten Eilande des Archipielago de Serpiente, wohin er unterwegs war.
Galayn schloss die Augen und lauschte dem Rauschen der Wellen, dem Knarren des Holzes und dem auffrischenden Rückenwind. Die Strahlen der Nachmittagssonne liebkosten sein Gesicht und für einen kurzen Moment war der einsame Krieger wirklich glücklich. Doch dann schob der stetig zunehmende Luftstrom eine Wolke vor den Freude spendenden Stern und das Licht, welches seine Gesichtszüge hatte scheinen lassen, wurde vertrieben und nahm die Fröhlichkeit mit sich.
Wütend blickte Galayn gen Himmel und obwohl die wenigen weißen Wolken durch eine plötzliche Böe zerrissen wurden, vermochte es der widerkehrende Sonnenschein nicht, diese Glückseligkeit, die durch seinen Körper geflossen war und alle Zweifel und Gedanken fortspülte, vor dem endgültigen Verschwinden zu retten. Er löste den Druck der Hand auf das Ruder, begutachtet mit einem Kopfschütteln den Abdruck, den er in seiner Frustration in das Holz gepresst hatte. Dann überließ er das Steuer sich selbst und ging zum Bug. Dort ließ sich Galayn auf das alte, ausgesessene Holz des entgegen der Fahrtrichtung eingearbeiteten Sitzes sinken, und bette das Haupt auf die in die gekrümmte Bugspitze eingelassene Kopfstütze. Kurz klappte er die Augenlider herunter, doch fast sofort öffnete er sie wieder und griff stattdessen in sein Hüfttuch. Hervor beförderte er die Marke, die ihm Bora überlassen hatte. Vorsichtig strich er über das Wappen der Weltregierung und erinnerte sich an die letzten Worte des Psychologen.
Früher am Tag
Seine, zumindest sah er das so, wichtige Verkündung wurde von Bora ohne Gefühlsregung hingenommen. Tatsächlich war der Psychologe nicht einmal darauf eingegangen. Stattdessen hatte er aus seinem Hemd einen Schlüssel gezogen und eine Schublade geöffnet. Aus den verborgenen Tiefen des Möbelstücks tauchte seine Hand mit einem Briefumschlag wieder auf.
„Du bist kein Mitglied der Cipher-Pol Einheiten und auch kein regulärer Angestellter oder ein Mitglied einer Spezial-Einheit. Folglich bist du der Regierung nicht direkt unterstellt. Ich bin dein Ansprechpartner!“
Zum Abschied hatte Bora ihm nur den Umschlag in die Hand gedrückt. Galayn war froh, dass dieser Mann so wenig von einem Paragraphenreiter hatte. Dabei war sich der Eindringling nicht im Klaren, dass sein Vorgehen in keiner Weise einem normalen Gespräch ähnelte, noch dass Bora überhaupt eine Wahl treffen konnte. Respektvoll verabschiedete er sich mit der zur Faust geballten Hand, die seine Stirn berührte.
„Gute Tage, angenehme Nächte!“
Er hatte die Reaktion nicht abgewartet und bekam so auch nicht mehr mit, wie sich Boras Augen überrascht weiteten. Der Psychologe sah nach diesem wohl eher unbewusst geschehenen Gruß den ungewöhnlichen Eindringling in völlig neuem Licht. Ja, dies könnte sowohl sein Auftreten, als auch sein Wissen erklären.
Zurück in der Gegenwart
Den Briefumschlag hatte Galayn bereits auf Iseti geöffnet, doch das Lesen des darin enthaltenen Papiers auf die Reise verschoben, wo er alleine war und seine Ruhe hatte. Jetzt holte er den Umschlag und daraus den Inhalt hervor. Viel enthielt er nicht. Eine Nummer, die zu Bora gehörte auf einer Visitenkarte. Ein paar Informationen auf einer Art Merkblatt. Es war nichts dabei, was ihn wirklich interessierte. Er ließ den Umschlag wieder verschwinden, schloss die Augen und schlief ein.
Der starke Wind trieb das Boot unaufhaltsam voran, dem untergehenden Himmelsgestirn entgegen. Die Stunden verstrichen, bis sich der ewige Kreislauf weitergedreht hatte und der rote Ball von neuem die Wanderung über das Firmament begann. Pünktlich mit dem ersten Sonnenstrahl erwachte Galayn, erholt und wieder frisch.
Er legte seine Kleidung ab und begann mit einer Reihe körperlichen Übungen. Zuerst langsam, dann zunehmend schneller, bis seine Bewegung anfingen zu verschwimmen. So vergingen weitere Stunden, bis schließlich der weißglühende Stern am Höchsten stand. Galayn verlangsamte sich wieder, trank ein paar Schlucke erquickendes Wasser. Dann er holte aus einer Holzbox etwas nicht mehr ganz frisches Obst. Noch während ihm Fruchtsaft den Mund herunter lief, konnte er die ersten Inseln des Archipels entdecken.
Er leckte sich die Lippen und griff mit der klebrig verschmierten Hand zum Ruder, um den Kurs zu korrigieren. Der Archipielago de Serpiente trug seinen Namen aus zwei Gründen. Der erste war jedem Neuankömmling schon aus der Ferne ersichtlich. Seine Inseln erstreckten sich nicht wahllos über das Meer, sondern formten eine kurvige Linie, gleich einer sich vorwärts windenden Schlange. Auch vom Wasser aus ließ sich dies erahnen, denn meist waren die Inseln nur Erhebungen aus dem Meer, kleine Felsen, Sandbänke oder unbewachsene Korallen. Nur selten wurde die Linie durchbrochen von größeren bewohnten Eilanden. Auf eine dieser Inseln steuerte Galayn nun zu. Gelegen war sie eher im Inneren der s-förmigen Schlange, weiter weg von den häufiger besuchten Rändern.
Der abflauende Wind trug das Boot langsam zu dem kleinen Steg, der als Anlegeplatz für die Südseite von Ilha no Meio diente. Die Anlegestelle befand sich in einer Bucht, die an beiden Seiten von großen, steil abfallenden Klippen umschlossen war. Der graue Fels war teilweise bedeckt mit wild wucherndem Grün, dass bis ins blaue Wasser hinunter reichte. Das von der Sonne ausgebleichte Holz des Stegs ging über in einen Kieselstrand. Galayn befestigte sein Schiff neben ein paar kleinen buntbemalten Fischerbooten, in denen trockene und in Schuss gehaltene Netze lagen. Beschwingten Schrittes betrat er das Land und erklomm die Erhebung, hinter der sich eine Siedlung verbarg. Die Steinchen knirschten unter seinen Schuhen, dann verschwanden die ausgewaschenen Felsstücke und wurden ersetzt durch gelbe Savannenerde. Hier ließ sich auch das erste Mal ein Pfad entdecken, der in langen Jahren ausgetreten worden war und zwischen Büscheln niedrigen gelb-grünen Grases verlief.
An der Spitze des Grates angelangt, legte Galayn eine Pause ein, um den Ausblick zu bewundern. Hier oben konnte er weit genug sehen, so dass er in der Ferne bereits das Meer an der Nordküste ausmachen konnte. In der Nähe sah er ein von Tälern und Hügeln durchzogenes Gebiet, meist nur wenig bewachsen, teilweise aber auch von grünen Oasen durchzogen. Keine halbe Wegstunde von ihm entfernt befand sich in einer Senke ein kleines Dorf.
Niedrige Lehmhäuser scharten sich um einen Platz mit einem Brunnen. Grau und rot waren die dominierenden Farben der Gebäude, doch hier, wo Menschen lebten, wuchsen auch Palmen und Sträucher in Hülle und Fülle, um für farbliche Abwechslung zu sorgen.
Als Galayn den Hügel hinabschritt, fielen ihm die stufenförmigen Felder an den Seiten der Senke auf. Er lächelte angesichts des Bildes einer ländlichen Idylle. Doch eine plötzliche Ahnung einer zubeißenden Schlange wischte ihm das Grinsen aus dem Gesicht. Zwar war sein Observationshaki gut, aber so abgelenkt sollte er in Zukunft lieber nicht sein, schwor er sich. Vorsichtig machte er einen Schritt zurück, um nicht in die Nähe der auf dem Boden zischenden sandfarbenen Natter zu kommen. Wenn es etwas gab, was die Inseln des Archipielago de Serpiente besaßen, so waren es die geschuppten Reptilien, in unzähligen Arten und Größen. Die namensgebenden Tiere zogen ihre Aufmerksamkeit auf sich, und so richtete er den Blick auf den staubigen Boden vor sich.
Ein paar Minuten später erschienen die ersten Behausungen in seinem Blickfeld und lockten mit ihrem Schatten, als Schutz vor der drückenden Hitze. Die schwüle Atmosphäre wurde kaum gemildert durch die leichte Brise und der schwarze Stoff verstärkte die Wirkung der Sonne nur noch. Also suchte Galayn eine Palme auf, zu deren Fuß eine Handvoll Kokosnüsse lagen. Eine erfrischende Böe wehte durch die Kleidungsschichten und die gefächerten Blätter der Kokosnusspalmen. Er betrachtete die einfachen Hütten, vor deren Wänden Feldgeräte standen oder Netze hingen. Ihm fiel auf, dass die Dächer nur aus vertrockneten, gelben Stauden bestanden.
Es dauerte einen Moment, bis Galayn zuordnen konnte, was ihm merkwürdig erschien. In der Siedlung war es beunruhigend still und er hatte bislang auch keine Menschen zu Gesicht bekommen. Im Schatten der Palme lockerte er die Dolche in seinem Haramaki und trank ein paar Schlucke aus seinem Wasserbeutel. Er lockerte die Schultern und machte sich mit Staub aufwirbelnden Schritten auf den Weg, herauszufinden, was in diesem Ort nicht in Ordnung war.
Ilha no Meio
Seine bisherigen Beobachtungen auf der Insel ließen Galayn vermuten, dass es hier kein Gewaltverbrechen gegeben hatte. Trotzdem blieb er wachsam, allerdings hauptsächlich aus reiner Gewohnheit.
Eigentlich wollte er hier ja nur aus spontanem Interesse vorbeischauen, war er doch schon lange nicht mehr hier gewesen. Es gab eine andere Veranlassung, die ihn zum Archipel gezogen hatte, einen logischen Grund. Aber es hatte auch ein nicht rationales Motiv gegeben, ausgerechnet diese Insel anzusteuern. Galayn hatte einem Gefühl nachgegeben. Allein schon dieses anscheinend verlassene Dorf schien ihm ausreichend, um sich über die Intuition zu freuen.
Schicksal hätten manche dazu gesagt, Zufall andere. Es hatte eine Zeit gegeben, da Galayn das Schicksal leugnete. Doch es war ihm inzwischen klar geworden, dass es sehr wohl existierte. Nicht, dass alles vorherbestimmt war, aber es gab doch Fügungen, die sich nicht durch Zufall erklären ließen.
Ehe er sich in solchen Gedankengängen verlor, richtete Galayn den Blick wieder in die Realität. Die erste Hütte hatte er bereits hinter sich gelassen. Vor ihm gähnte die Öffnung eines unverglasten Fensters. Er warf einen Blick hinein in die armselige Behausung. Viel gab es nicht zu sehen. Einen ungedeckten Tisch, eine aufgeräumte Kochstelle, keinerlei Anzeichen von einem plötzlichen und unerwarteten Aufbruch. Die Einrichtung war schlicht, aber gut gearbeitet. Was aber fehlte war jeglicher Zierrat, mehr als nur das Allernötigste war nicht zu sehen. Ein verbeulter Topf hing unbenutzt über der Feuerstelle, Teller oder Schalen hingegen konnte Galayn nicht entdecken. Sich über das Kinn streichend, setzte der einzige Mensch im Dorf seinen Weg fort. Vor den Häusern stand oder hing meistens das Werkzeug, mit dem sich die Bewohner ihren Lebensunterhalt verdienten. Ein Netz, ein Pflug, eine Axt. Nichts davon war neu, alle von häufigem Gebrauch abgenutzt. Manche Häuser hinterließen noch einen besseren Eindruck, üblicherweise Werkstätten für Tischler oder Schmiede. Das Dorf war nicht sehr groß und so erreichte Galayn bald den Brunnen. Ein Holzeimer stand neben der steinernen Umfassung, befestigt an einer Winde. Er ließ ihn hinunterfallen, lauschte dem Platschen und holte das noch in reicher Fülle vorhandene Wasser hinauf. Das erfrischende Nass spritzte sich Galayn ins Gesicht, schmeckte die nassen Perlen, die seine jetzt wieder gut befeuchteten Lippen hinunterliefen. Klar und gut war das Wasser, also füllte er sich den schon schlaffen Wasserbeutel nach. Solchermaßen erfrischt, strebte der Agent dem nördlichen Dorfende entgegen, in der Hoffnung dort vielleicht Antworten zu finden.
Innerhalb des Ortes konnte er keinerlei Leben spüren, doch als er sich auf dem staubigen, sich um die Lehmhütten windenden Pfad in Richtung Norden bewegte, konnte er die Präsenz sich nähernder Menschen wahrnehmen. Bedächtigen Schrittes, schließlich wollte er den Bewohnern möglichst keine Angst einjagen, verließ er den Schatten der letzten Ausläufer des namenlosen Dorfes. Die Straße, falls man den ungepflasterten Weg so nennen konnte, führte über einen Hügel, an dessen Gipfel Galayn Halt machte, um die Ankömmlinge zu erwarten. Aus der zu einer Schlucht verengten Senke marschierten in losen Gruppen die Dorfbewohner. Vorneweg die kräftigsten Männer, fast alle mit zerfurchten Gesichtern, deren Herkunft angesichts ihres Alters wohl Sorgen sein mussten. Dahinter kamen Familien, die Männer mit Kindern an den Händen, die Frauen mit ihren Kleinen in den Armen. Am Schluss des Zuges, noch gerade dem Dunkel der Schlucht entronnen, bevor der Strom vor Galayn zum Erliegen kam, folgten die Alten. Gebeugte Gestalten, knotige Stöcke als Halt nutzend, die sich langsam den Pfad entlang schleppten.
Jetzt aus der Nähe bemerkte Galayn die oft geflickte Kleidung, meist schon an der Grenze zu Lumpen, aus einfachem ungefärbtem und grobem Stoff. Die offenkundige Armut der Leute verhärtete seinen Gesichtsausdruck, doch als er die Furcht in den Augen der Vordersten erkannte, zwang er sich zu einem entspannteren Lächeln. Er wurde sich plötzlich bewusst, dass die Blicke zu dem Schwertgriff auf seinem Rücken wanderten. Also hob er in einer Geste des Friedens die Hände.
„Was ist hier los?“
Kaum war die Frage gestellt, wurde Galayn klar, dass es nicht gerade die beste Strategie gewesen war, direkt drauflos zu stürmen. Abwehrende Blicke aus stumpfen Augen erreichten ihn. Plötzliches Weinen durchbrach die peinliche Stille. Eine Mutter wiegte tröstend ihr Kind in den viel zu dünnen Armen, flüsterte leise und beruhigend auf das Kleine ein. Was sollte er nur tun? Er war wirklich zu lange der Zivilisation ferngeblieben. Seine Hilflosigkeit wurde nur noch gesteigert, als ein vorsichtiger Schritt dazu führte, dass sich die Reihe der Männer zusammenzog und sie sich schützend vor ihre Familien schoben.
Also verließ er die schmale Straße, um sich auf einen der grauen verwitterten Steine niederzulassen. Sollten doch die verängstigten Familien passieren, vielleicht würde das ja die Bewohner beruhigen. Tatsächlich, kaum war der Weg frei, huschten die kleinen Gruppen vorbei, bedacht, nicht zu ihm hinzusehen. Übrig blieben eine Handvoll der mutigeren. Eine mittelalte Frau, das Kinn trotzig vorgestreckt, ein Alter, dessen weißer Bart ihm vor der gebeugten Brust hing und zwei Männer im besten Alter, die einfache, aber immerhin noch heile Kleidung trugen. Der Dorfälteste ergriff das Wort:
„Mein Name ist Ricardo. Ich bitte euch, unser Verhalten zu entschuldigen. Auch wenn du anscheinend nichts Böses willst, haben wir im Moment Angst vor Fremden, besonders wenn sie mit Waffen kommen.“
Die krächzende Stimme des Weißhaarigen konnte seine Erschöpfung und seinen Gram nicht mehr verbergen. Galayn fragte sich, was nötig war, um ein Dorf solchermaßen zuzurichten. Sich von seinem unbequemen Sitzplatz erhebend unternahm er einen neuen Anlauf in die Pause hinein, die Ricardo zum mühsamen Luftholen benötigte:
„Entschuldigt mein Auftreten, Ricardo. Mir mangelt es seit geraumer Zeit an menschlichen Umgang. Werdet ihr mir jetzt meine Frage beantworten?“
Ächzend ließ sich der auf seinen Stock gestützte Ricardo auf den jetzt freigewordenen Stein fallen. Erleichtert winkte er einem der Männer mit seinem Stab zu:
„Übernimm du bitte, Everaldo.“
Daraufhin löste sich einer der beiden schwarzhaarigen Bewohner aus der zusammengeschmolzenen Gruppe. Ein Dreitage-Bart umrahmte den ernsten Mund und erste Sorgenfalten hatten sich bereits in seinem Gesicht festgesetzt. Mit kräftiger Stimme wandte er sich an Galayn:
„Bitte frage das nicht. Wir kommen schon klar, da müssen wir nicht auch noch einen Fremden mit hineinziehen.“
Erstaunt hörte der Fremde zu. Sich in ihrem Zustand noch Sorgen zu machen. Er war bewegt und so langsam rührte sich in seinem Inneren der Zorn.
„Leider können wir euch nicht bewirten, also zieht- “
Hier fiel er Everaldo ins Wort:
„Ich werde auf keinen Fall gehen. Und wenn ich hier bei euch bleibe, bis ich mir erzählt, was los ist. Ich will euch helfen.“
Hilflos sah ihn Everaldo an. Offenkundig schwankte er, unfähig fortzufahren. Da kam ihm die Frau zu Hilfe:
„Helfen! Wer hat uns denn jemals geholfen? Die Regierung hat sich hier noch nie blicken lassen. Aber ihre Steuern, die wollen sie haben!“
Schwer atmend hob und senkte sich ihre Brust. Ihr Gesicht begann rote Flecken zu bekommen, als sie immer lauter werdend fortfuhr:
„Und die Marine guckt auch nur aufs Meer. Piraten, Piraten, nichts als Piraten haben sie im Sinn!“
„Fernanda-“, setzte Everaldo an, doch wurde er sofort abgewürgt:
„Sei ruhig, Mann! Es muss mal gesagt werden, frisst es sich doch immer tiefer hinein. Dieser feine Marinekapitän ist doch nichts als ein elendiger Feigling. Einen Steckbrief ausstellen, ja das kann er. Aber herkommen und etwas tun, dafür ist er nicht Manns genug.“
Galayn hatte mehrfach angesetzt, doch der Redeschwall der erbosten Fernanda ließ ihn nicht zu Wort kommen. Als er auch diesmal merkte, dass sie wieder anhub, griff er zur Hüfte, um die Marke hervor zu holen.
„Ich sage, erzählen wir es ihm. Wir haben genug Sorgen, soll er doch selbst wissen, ob er sich umbringt. Vielleicht kann er uns ja wirklich helfen.“
Nach diesem Ausbruch, der sich schon seit längerem angesammelt haben musste, herrschte einen Moment Stille. Die Frau funkelte ihrem Mann an, dann den Ältesten, bereit ihre Worte zu verteidigen. Forsch hielt Galayn seinen Ausweis in die Luft:
„Ich bin Galayn, ein Agent der Regierung.“
Alle Augenpaare wandten sich ihm plötzlich zu, darunter auch einige wagemutigere, die sich aus dem Dorfe näherten, wie magisch angezogen von dem Fremden. Oftmals ist Neugier eben doch noch stärker als Angst.
Fernanda reckte das Kinn trotzig vor:
„Was ich gesagt habe, kam von Herzen. Ich finde, die Regierung ist uns etwas schuldig und dabei bleibe ich, selbst wenn ich dafür ins Gefängnis komme!“
Ein leises Lachen entfloh Galayns Lippen.
„Keine Sorge. Du hast gut gesprochen. Wie ich gesagt habe, ich bin gekommen, um zu helfen.“
Dass es nur zufällig dazu gekommen war, verschwieg er. Eigentlich hatte es die Weltregierung nicht verdient, aber wer sollte als Identifikationsfigur dienen, wenn nicht sie? Besser als Piraten und das restliche Gesindel war sie allemal, jedenfalls war das Galayns Sicht. Als er wieder die brüchige Stimme Ricardos vernahm, wandte er den Blick. In dem Gesicht des Alten spiegelten sich Hoffnung und Verzweiflung.
„Einem Fremden wollten wir nichts erzählen, aber bei einem Mitglied der Weltregierung sieht es natürlich anders aus. Ira, du bist am besten geeignet. Aber bitte bleibe sachlich.“
Der angesprochene, bisher im Hintergrund gebliebene Mann trat nach vorne. Sein Gesicht war vor Zorn zusammengezogen, bis sich die Brauen fast berührten. Aus seinen Augen blitzte blanker Hass. Aus seinem Hemd zog er eine zerknitterte Rolle hervor. Im Gegensatz zu der an der Oberfläche brodelnden Wut, entrollte er das Papier sehr vorsichtig. Zutage trat ein Steckbrief der Regierung. Unter dem Bild eines aristokratisch anmutenden Mannes im Anzug stand „Schwarzer Engel Domenico“.
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Vila, die Hauptstadt Albacete
Noch war sich Hydra überhaupt nicht im Klaren, was sie mit ihrer freien Zeit anfangen sollte. Noch nie in ihrem Leben hatte sie Urlaub gehabt. Doch einen Wunsch konnte sie sich so erfüllen. Sie hatte in einem Land für ein blutiges Ende einer Rebellion gesorgt. Jetzt wollte sie wissen, wie es wirklich in Vila aussah. Zum ersten Mal hatte sie die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit eines Auftrages mit eigenen Augen und Ohren zu überprüfen.
Also hatte sie das Hauptquartier in der Nähe des Hafens im Osten verlassen und war aufgebrochen in die ihr völlig unbekannte Stadt.
Anfangs war sie durch ein Viertel von Albacete gekommen, in dem die Häuser aus Stein und die Straßen gepflastert waren. Der völlige Mangel an Abfall und die Sauberkeit der Wege zeugte von dem Wohlstand der Bewohner. Intuitiv ahnte sie, dass hier ihre Antworten nicht zu finden waren. Deswegen war sie stumm durch die Häuserschluchten aus weiß verputzten Steinen gewandert, hatte sich von dem Strom aus bunt gekleideten Menschen treiben lassen. Die Sonne brannte unangenehm auf ihrem ungeschützten Kopf und sorgte dafür, dass ihr unter der Kleidung der Schweiß herunterlief, auch jetzt noch, nachdem sie bereits gedacht hätte, genug Wasser für eine ganze Woche verloren zu haben. Sie hatte ihren Schritt beschleunigt und stand jetzt im Schatten eines geöffneten Tores, das den Eingang durch eine weiße Mauer ermöglichte. Dahinter wurden die Häuser dunkler und erstreckten sich nicht mehr so weit in den Himmel. Die glatt gepflasterte Straße ging über in einen mit Löchern im Straßenbelag versehenen Weg.
Als sie tiefer in diesen Stadtbezirk vordrang, bemerkte sie erste Anzeichen von Abfällen, schlechter gekleidete Bewohner und der Geräuschpegel nahm nach den vornehmen, leisen Gesprächen des gehobenen Viertels stetig zu. Zu ihrer linken Seite bemerkte sie auf einmal einen dunklen, engen Tunnel zwischen den Häusern, fast nur ein Spalt. Auf unerklärliche Weise wurde sie angezogen von diesem nicht gerade einladend wirkenden Einschnitt in den Häuserreihen. Sie änderte die Richtung und verschwand in die Tiefen des Gewirrs der zu den Slums führenden Gassen.
Völlig versunken in ihrer Erkundung bemerkte sie nicht, wie ihr eine groß gewachsene Gestalt in einem braunen Mantel folgte. Die über den Kopf gezogene Kapuze verbarg das Gesicht im Schatten, sollte Hydra doch auf den Gedanken kommen, sich umzudrehen.
Schließlich hatte Hydra das verschlungene Labyrinth der südlichen Slums erreicht. Innerhalb des Bereiches mit zerfallenden Holzhütten, den von Schrott, Exkrementen und sonstigen Abfällen übersäten Pfaden erinnerte sich die junge Frau auf einmal an ihre Kindheit. Von einem solchen Ort war sie damals vor etwa achtzehn Jahren geholt worden. Ihre Erinnerung waren ihr immer als verloren vorgekommen, doch dieser Ort hatte zumindest eine davon aus ihrer Verschüttung gerettet. Kein Wunder, dass sie sich angezogen gefühlt hatte von dem schäbigeren Teil der Stadt. Ein breites Lächeln erhellte ihr Gesicht. Wäre sie nicht so für einen Moment vor einer der Hütten verharrt, überwältigt von diesem Erinnerungsfetzen, so hätte sie das Gespräch dahinter mit Sicherheit überhört. Doch dieser eine Moment, Schicksal oder Zufall, formte die Zukunft neu. Eine hohe, vor Eifer schrille Mädchenstimme ertönte von der Rückseite dieser schicksalhaften Behausung. Im Lärm des Slums ging sie unter, doch Hydra hatte gute Ohren.
„Mein Bruder wird bald wiederkommen! Du wirst schon sehen, Ramirez.“
Der angesprochene Junge verschaffte sich ebenfalls lautstark Gehör:
„Devante ist in einen Krieg gezogen, den wir nicht gewinnen können.“
Hydra wurde klar, dass sie hier einer Unterhaltung über ein Mitglied der Rebellion lauschte. Ihr wurde übel, als sie sich bewusst wurde, dass es vielleicht sogar sie gewesen war, die den Bruder des jungen Mädchens getötet hatte. Ihr Grinsen erlosch. Unfähig auch nur einen Finger zu rühren stand sie da und hörte zu.
„Immer musst du alles schlecht reden“, kam es schon fast weinerlich. Die ernste Stimme ihres Gesprächspartners, diese Unterhaltung nicht zum ersten Mal führend, antwortete postwendend:
„Es tut mir leid, Alatea. Wie gerne würde ich dir zustimmen. Aber die Reichen haben die Weltregierung auf ihrer Seite. Hier geht es nicht um Gerechtigkeit. Die Wirklichkeit ist nicht wie ein Märchen. Du musst deinen Bruder bitten, die Rebellen zu verlassen, sonst wird er sterben.“
Aber auch wenn dieser für seine Jahre schon sehr weise Ramirez es versuchte, Alatea ließ sich nicht überzeugen:
„Sei ruhig! Wir werden niemals aufhören zu kämpfen. Bis wir endlich auch wie Menschen leben dürfen. Wie kannst du nur so ruhig bleiben?“
Ein Schluchzen unterbrach ihr zorniges Schimpfen, doch Alatea fasste sich wieder:
„Sieh dich doch um, ich will hier weg. Devante hat es mir versprochen. Wenn ich erst alt genug bin, werde ich auch kämpfen!“
Die trotzige Stimme wurde plötzlich verschlungen von einem Lärm, weiter entfernt im Südwesten. Dieser riss Hydra aus ihrer fast tranceartigen Erstarrung. In der Ferne sah sie Rauch in wilden, schwarzen Fahnen aufsteigen. Sie entspannte ihren Kiefer, den sie zusammengedrückt hatte, als wollte sie sich die eigenen Zähne ausbeißen. Dann machte sie sich im Laufschritt auf, dem prasselnden, wilde Muster in die flimmernde Luft zeichnendem Flammenmeer entgegen.
Vila, Königspalast
Der amtierende König Philipp, der fünfte seines Namens, stand vor dem zwischenzeitlich wieder geschlossenen steinernen Portal, welches in die große Halle führte. Hinter ihm drängte sich sein Gefolge, deren Ungeduld ob der ihnen unverständlichen Pause ihres Herrschers dem Monarchen nicht verborgen blieb. Ein leises Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Sie konnten alle warten. Auch die Würdenträger drinnen, all diese aufgeblasenen Adeligen, die dachten, sie wären ihm, dem König, wichtig. Tatsächlich brauchte seine Regierung sie, aber bei weitem nicht so sehr, wie die Kaufleute, deren Vertreter jetzt hinter den Mauern auf ihn warteten. Und bestimmt nicht so sehr, wie die Militärs, diese engstirnigen, aber doch so nützlichen Werkzeuge. Allerdings waren auch sie nicht so wertvoll, wie die Freundschaft zur Weltregierung. Sein Lächeln erstarb, als ihm einfiel, dass es keinesfalls sein Militär gewesen war, welches diese Rebellion beendet hatte. Nein, erst musste er die Weltregierung um Hilfe anflehen, er, Philipp V.! Nein, sie konnten alle warten. Es war gut, sie von Zeit zu Zeit ihrer Stellung bewusst werden zu lassen. Allesamt getrieben von Gier waren sie gut zu kontrollieren. Gier nach Geld, Gier nach Macht, Gier nach Stellung oder Ansehen. Dass er selbst ebenfalls von Gier getrieben wurde, war dem Herrscher nicht in den Sinn gekommen. Aber er war ja auch nicht wie andere Menschen, denn er war der König.
Nun, auch wenn Philipp den Einsatz der CP-0 hatte bezahlen müssen mit mehr Einfluss der Weltregierung, so war doch alles besser, als von dem rebellierenden Pöbel abgesetzt zu werden. Die dachten doch tatsächlich, sie könnten eine bessere Welt schaffen. Einen Staat, in dem alle gut leben konnten. Unfug, irgendjemand musste immer unten sein. Und wer sollte das anderes sein, als der ungebildete, schmutzige Bodensatz der Bevölkerung? Aber diesmal waren sie zu weit gegangen. Jetzt würde er, Philipp aufräumen und für lange Zeit jeden Widerstand im Keim ersticken. Keine Slums, keine Rebellen, so lautete die Gleichung. Natürlich, es würden sich neue Slums bilden, aber das lag in der Zukunft. Und Menschen vergaßen so leicht und so schnell. Er würde an der Spitze bleiben, dafür würde er sorgen.
Schließlich zufrieden, gab der Monarch einem der Diener ein Handzeichen.
Die in dem gewaltigen Saal wie leises Murmeln erklingenden Gespräche kamen zum Erliegen, als ein Hornstoß das Erscheinen des Königs Philipp V. ankündigte, der zur Feier der Niederschlagung der Rebellion geladen hatte. Wer noch nicht an den langen Tischen, die mit erlesenen Speisen beinahe überladen wirkten, Platz genommen hatte, wich jetzt zwischen die kunstvoll verzierten Marmorsäulen zurück, die die gebogene Decke des Raumes stützten. Die schmale, von vornehm gekleideten Adeligen, protzigen Kaufleuten und schneidigen Militärs gesäumte, Gasse führte von der hufeisenförmig angeordneten, aus poliertem Ebenholz bestehenden, Tafel bis zu dem steinernen Portal, welches übermannshoch in einem zu einer Spitze auslaufenden Bogen in die von Teppichen bedeckte Wand eingelassen war. Das blecherne Signal war kaum verklungen, da schwangen die beiden schmucklosen Flügel des Einganges nach innen auf. Herein kam gemessenen Schrittes der König. Der silbern verbrämte rote Mantel, der sich um die breiten Schultern schwang, schleifte hinter ihm über den Boden. Als die Anwesenden die prunkvolle juwelenbesetzte Goldkrone erblickten, sanken sie auf ein Knie. Obwohl Philipp V. bereits etwas an Leibesfülle zugelegt hatte, hielt er sich gerade, als er in Richtung seines Thrones seine Untertanen passierte. Wie ein Rattenschwanz folgte ihm eine Schar von livrierten Dienern, die sogleich ausschwärmte und begann, die Weingläser der Gäste zu füllen.
Schließlich hatte der König seinen Platz am Scheitelpunkt der Tafel erreicht. Er ergriff seinen Pokal, der mit einem so teuren Wein, dass eine Familie davon einen Monat leben könnte, gefüllt war. Philipp V. jetzt wieder unangefochtener Herrscher über Vila, hob seinen Kelch gen Himmel und verkündete:
„Heute ist der Tag, an dem die schändliche Rebellion gegen Uns mit Hilfe der Weltregierung niedergeschlagen wurde.“
Lautes Jubelgeschrei der Eliten folgte auf diese Verkündung. Einen kurzen Moment ließ sich Philipp feiern, dann beruhigte er die Anwesenden mit seiner linken Hand. Er fuhr fort:
„Aber dies ist nicht der einzige Grund, warum Wir heute unsere Gläser erheben. Denn obwohl die Rebellion beendet ist, ist noch längst nicht aller Abschaum unter unseren Stiefeln zertreten worden. Meine Damen und Herren, in eben dieser Stunde erleben wir das Ende der Schandflecke unserer Städte. Von dem heutigen Tage an sind die Slums Geschichte! Auf die glorreiche Zukunft Vilas!“
Damit führte er den goldenen Kelch an die Lippen und ließ den süßen Wein die Kehle herunterperlen. Die Profiteure des Systems stießen an und prosteten sich zu:
„Auf Vila!“
„Auf unseren König Philipp V.!“
Mit einem Lächeln, welches die Augen nicht erreichte, nahm Philipp V. Platz auf seinem Thron und eröffnete das Festmahl.
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Ilha no Meio
Bevor Ira das Wort ergreifen konnte, streckte Galayn die Hand nach dem abgegriffenen Steckbrief aus. Mit einem leichten Zögern überließ der Mann ihm das Papier. Immerhin zehn Millionen Berry war der Verbrecher schwer. Sein ganzes Äußeres war auf Perfektion getrimmt, von dem zurückgekämmten schwarzen Haar, über den sorgfältig getrimmten Schnurrbart bis hin zu den glänzenden Schuhen, ebenfalls schwarz. Unter dem Jackett sah man das faltenfreie weiße Hemd, aus der Anzugstasche lugte ein rotes Tuch hervor. Dem geübten Auge Galayns entging aber auch nicht die Ausbuchtung in Schulternähe, die eine Schusswaffe entlarvte.
Irgendetwas kam ihm an diesem Mann bekannt vor. Allerdings konnte er sich nicht genau an die Situation erinnern. Auch wenn es ihm merkwürdig erschien, seine Kenntnis musste aus der Zeitung stammen, da war er sich sicher.
Galayn war sich sicher, dass dieser Mann für ein friedliches Dorf eine Gefahr darstellte, aber für ihn mit Sicherheit nicht. Wahrscheinlicher war aber sowieso, dass jemand der so aussah seine Handlanger einsetzte, anstatt sich selbst die Hände schmutzig zu machen. Der Agent bezwang seine Ungeduld und atmete tief durch. Er sollte sich lieber anhören, was dieser zornige Mann zu erzählen hatte. Also gab er den Steckbrief zurück und forderte seinen Gegenüber zum Sprechen auf.
Mit vorsichtigen Bewegungen rollte Ira das Papierstück wieder zusammen und verstaute es an seinem Körper, in dem leinenfarbenen Hemd. Dann setzte er sich im Schneidersitz auf den Boden und fing an zu erzählen.
Ein paar Monate zuvor
Im Dorf herrschte emsige Betriebsamkeit. In den Gassen spielten die Kinder im Dreck, auf den Straßen waren Erwachsene in ländlicher, einfacher Kleidung unterwegs. Sie suchten Handwerker auf, brachen in kleinen Gruppen, mit ihren Feldgeräten in den Händen, zu ihrer Arbeit auf oder gingen lachend und plaudernd in Richtung Meer. Am Brunnen hatte sich eine Reihe von schwatzenden Frauen versammelt, die sich mit dem sogar hier in anscheinend unbegrenzter Menge zur Verfügung stehendem Klatsch die Zeit vertrieben, bis sie an den Brunnen konnten. Ein paar Tage zuvor hatte das Dorf die Nachricht vom Tode Gold Rogers erhalten, aber um ehrlich zu sein, so richtig interessiert hatte es sie nicht. Mochte sein, dass auch der Archipielago de Serpiente von Piraten besucht wurde, aber wenn überhaupt, dann an den äußeren Rändern. Das Interesse an der restlichen Welt war nicht besonders ausgeprägt, zumindest bis jetzt.
In diese fröhliche, laute und friedliche Atmosphäre hinein ertönte ein lauter, weithin hallender Schuss. Dies markierte das Ende der Abgeschiedenheit eines Dorfes, welches so unbedeutend war, dass es noch nicht mal einen Namen besaß.
Aufgeschreckt unterbrachen die Bewohner ihre Tätigkeiten. In den ausklingenden Donner hinein ertönte kein Wort, doch kaum war das Geräusch verstummt, brachen laute Diskussionen aus. Manche wollten den Schuss im Norden gehört haben, andere im Westen, während weitere steif und fest behaupteten, das Dröhnen käme aus dem Dorfinneren. Wissen taten es nur diejenigen, die sich am Nordende des Dorfes aufgehalten hatten, unter ihnen Ira selbst. Ihnen war eine zehnköpfige Gruppe von Fremden entgegen gekommen. Angeführt wurde sie von Domenico, dessen Anzug und Schuhe von Staub bedeckt war. Er war der einzige, der Intelligenz ausstrahlte, seine Begleiter waren allesamt große, muskulöse Männer mit kurzgeschorenen Haaren und dem ausdruckslosen Blick von Schlägern. Nachdem Domenico seine Pistole abgefeuert hatte, glücklicherweise in die Luft, lud er mit raschen, geübten Bewegungen die verschossene Kugel nach. Erst dann steckte er die Waffe zurück in ihr Holster. Ein kurzes Winken forderte seine Gefolgsleute auf, näher zu kommen. Mit einem Lächeln, das die eiskalten Augen nicht freundlicher erscheinen ließ, forderte er die Anwesenden auf, ins Dorfzentrum zu kommen. Dann, sehr zum Entsetzen der Bewohner, sprossen aus seinem Rücken, die Arme entlang, schwarze Federn und bildeten Schwingen mit denen sich der schwarze Engel in die Luft erhob. Mit offenen Mündern starrten die Einheimischen dem wie ein Vogel durch die Lüfte gleitenden Mann hinterher. Doch ihr Staunen wurde jäh unterbrochen, als die Muskelprotze sie unsanft daran erinnerten, wohin sie gehen sollten. Also machten sie sich, von Furcht erfüllt, rasch auf, die staubigen Straßen zum Brunnen hinunter.
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Vila, Slums von Albacete
Hydra hastete durch sich langsam ausbreitendes Chaos. Der aufsteigende Rauch hatte die verschiedenen Bewohner der Slums aufgeschreckt. Für das aus Holz errichtete Elendsviertel mit seinen dicht an dicht stehenden Häusern gab es nichts Tödlicheres. So überraschte es nicht, dass die Menschen fluchend und schreiend durcheinander liefen. Manche strebten ihrem Zuhause entgegen, andere wiederum ergriffen bereits die Flucht, ihre wenigen Habseligkeiten mit sich führend. Einige rannten aber ebenfalls dem Brandherd entgegen, Äxte mit sich führend. Sie wollten durch Abriss die Ausbreitung des Feuers verhindern, war hier doch an ein geordnetes Löschen kaum zu denken.
Die Agentin bahnte sich ihren Weg durch heruntergekommene Gestalten, meist durch Einsatz der Ellbogen. Hitze schlug ihr mit heißen Fängen entgegen, als sie sich dem Ursprung der Feuersbrunst näherte. Aus ihrem Lauf in normalen Gang übergehend, erreichte sie die Feuerlinie. Dort konnte man bereits grässliche Todesschreie hören von den Unglücklichen, die nicht mehr hatten fliehen können. Hydra machte halt und kniff die Augen zusammen. Auch wenn wirbelnder Rauch ihre Sicht trübte und auflohender Flammenlanzen ihr Blickfeld einschränkten, konnte sie doch noch schwach die Umrisse einer Stadtmauer erkennen. Als in ihrem Rücken neue Schreckensschreie losbrachen, wandte sie sich von ihrer Besorgnis erregenden Entdeckung ab. Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen, als sie in allen Richtungen neue Feuerherde erblickte. Wohin sie sich auch wendete, der Slum war eingeschlossen von einem stetig näher kommenden Flammenmeer.
Nur ein paar Dutzend Meter weiter, sicher geschützt durch die Steinmauer, die den Slum vom Stadtinneren trennte, erstatte ein gerüstetes Mitglied der Stadtwache seinem Vorgesetzten Meldung:
„Sir, alle Feuer sind entzündet worden. Das Gesindel und die Rebellenunterstützer sind umschlossen.“
„Sehr gut! Endlich wird dieses Pack mit Stumpf und Stiel ausgerottet. Wurde auch Zeit, dass dieser Schandfleck vom Erdboden getilgt wird. Abtreten!“
Der Hauptmann der Stadtwache rieb sich zufrieden die sauberen Hände. Jetzt, wo die CP-0 die Rebellen ausgelöscht hatte, konnten sie losschlagen, ohne die Rebellion noch weiter anzufachen. Ein Hoch auf ihren König Philipp!
Innerhalb des zum Tode verurteilten Distrikts fiel Hydra wieder die Stimme des Mädchens ein. Augenblicklich machte sie kehrt und eilte zurück. Sie konnte nicht ungeschehen machen, was bereits passiert war, aber wenigstens sollten nicht auch noch diese Kinder sterben. Kraftvoll stieß sie sich vom Boden ab und landete auf einem der bereits verfaulten Dächer. Unter ihren Füßen zerbrach das Holz, doch die Agentin war bereits längst bei der nächsten behelfsmäßigen Bedeckung. Durch ihre Ausbildung war sie kaum noch sichtbar für das normale menschliche Auge und raste als verschwommener Schemen durch das Zentrum des Slums. Wo auch immer sie vorbeikam, hatte sich bereits Verzweiflung breitgemacht. Von den Seiten drangen Menschen in die Mitte vor, in sinnloser Hoffnung auf einen Aufschub des Unvermeidlichen. In ihrer Panik behinderten sie sich gegenseitig und begannen sich totzutrampeln. Aber Hydra war blind für die Tränen der Bewohner, für die mit gebrochenen Gliedmaßen daliegenden Kinder, für die weinende Mutter, die vor ihrem toten Kind saß, für die von den Flammen erreichten menschlichen Fackeln. Inmitten dieser Massen hätte Hydra wahrscheinlich die Kinder nicht einmal gefunden, wenn sie ihr Aussehen gekannt hätte. So blieb ihr nichts anderes übrig, als wider alle Vernunft zu der Hütte zurückzukehren in welcher sie das Gespräch belauscht hatte.
Kurz dachte sie, sie wäre schon zu spät, doch dann sah sie den schicksalhaften Ort wieder, noch ein paar Häuserzeilen vom Feuer entfernt. Begleitet von einem leisen Sirren, landete die Agentin in dem kahlen Hinterhof. Sie ging auf die Knie, da sich vor ihren Augen ein grässlicher Anblick im wahrsten Sinne des Wortes ausbreitete. Inmitten einer sich ausbreitenden, den schmutzigen Erdboden rot verfärbenden Blutlache lagen die leblosen und kopflosen Leichen zweier Kinder.
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Ilha no Meio, ein Anwesen
Steif, wie immer mit durchgestrecktem Rücken, saß Domenico in dem ländlichen Gebäude, welches mit seinem fehlenden Luxus seinen Ansprüchen eigentlich nicht genügte. Sein Blick glitt durch den etwa zehn Meter breiten und doppelt so langen Raum, an dessen der Tür gegenüber liegendem Ende er saß. Der Boden bedeckt mit schmuddeligen, abgewetzten Teppichen, durch die manchmal sogar bereits der nackte Erdboden hindurchschimmerte. Die Wände aus mattrotem Mauerwerk, kahl und ohne Zierde. Die archaisch anmutende Feuerstelle, noch dazu in dieser Halle und nicht in einer separaten Küche. Einfach gezimmerte Möbel ohne jeden Komfort und ohne Schönheit. Wenigstens gab es noch ein getrenntes Schlafzimmer. Einen erfreulichen Anblick bot der Raum jedoch schon: das auf dem Tisch vor ihm sich stapelnde Geld, insbesondere die abgenutzten, aber trotzdem immer noch wertvollen Scheine. Sein zusammengekniffener Mund, einziges Zeugnis seiner Frustration über dieses Haus, entspannte sich. Ja, das Geschäft lief ganz gut. Dennoch würde er sich bald überlegen müssen, weiter zu ziehen. Nicht nur, dass hier in diesem unzivilisierten Land nicht so viel zu holen war, nein, jetzt hatte dieser inkompetente Marinekapitän auch noch einen Steckbrief von ihm angefertigt. Die Abgeschiedenheit sollte doch eigentlich ausreichen, aber diese dummen, verbohrten Einwohner hatten es doch geschafft, ihn auffliegen zu lassen. Wer weiß, wann er gefunden würde, wer weiß, ob überhaupt jemand nach ihm suchte, aber um ehrlich zu sein, so wie er die Boten der Apokalypse kannte, sollte er ihnen besser nicht über den Weg laufen.
Dennoch, Domenico machte sich keine übermäßigen Sorgen und so begann er das eingenommene Geld zu zählen.
Vila, Slum von Albacete
Zum ersten Mal seit fünfzehn Jahren benetzten Tränen ihre Wangen. Durch den Schleier der salzigen Flüssigkeit, der einen feuchten Vorhang vor ihre Augen zog, sah sie verschwommen und unscharf. So verbargen sich barmherzigerweise vor ihrem Blick die immer noch blutenden, glatt durchtrennten Stümpfe und die im Dreck zwischen von Unkraut bereits teilweise bedecktem Schrott daliegenden Köpfe. Aus den verschmutzten Gesichtern starrte sie noch der entsetzte, ungläubige Blick an, mit dem der Tod die Kinder ereilt hatte.
Mit zitternden Händen wischte sich Hydra über die Augen, sie konnte nicht anders, als hinsehen. Unverschleiert jeden einzelnen Blutstropfen erkennen, der sie ihrer Schuld gemahnte. Die jungen Gesichter sahen sie, so kam es ihr vor, mit ihren weit aufgerissenen Augen anklagend an, als wollten sie ihr mitteilen, dass es ihre Schuld war, womit die Toten recht hatten, wie es ihr bewusst wurde.
Die schwarzen ungeschnittenen Haare waren mit Blut und Dreck verschmiert und umrahmten die Gesichter beider Kinder. Langsam strich Hydra ihnen das Haar aus den Angesichtern und schloss den Toten die Lider. Jetzt gaben die leblosen, anklagenden braunen Augen endlich Ruhe, aber die Agentin konnte den Blick nicht aus ihrem Kopf verbannen. Sie saß einfach nur da, ohne Gedanken, aber erfüllt von einem Gefühl der Schuld.
Das knisternde Brüllen des Feuers weckte sie aus ihrer Starre. Als die rote Flut, glänzende Funken versprühend, das Holz hinter ihr verschlang, erhob sich die junge Frau. Sie hatte eine Entscheidung getroffen, keine, über die sie nachgedacht hätte. Es waren ihre Emotionen gewesen. Lange unterdrückt, brachen sie sich Bahn und jetzt wusste Hydra eines mit Sicherheit: so ging es nicht weiter. Dann sah sie ihre Zukunft vor sich, klar und ohne Zweifel. So musste es sein und nicht anders.
Als sie den Slum betreten hatte, war sie als Hydra, Agentin der CP-0 gekommen. Jetzt, wo sie ihn wieder verlassen würde, ging sie als Alatea, niemandes Diener. Dieses Mädchen hatte den Turm in ihrem Innern zum Einsturz gebracht, durch ihre Worte, aber mehr noch durch ihren Tod. Ihr zu Ehren würde sie diesen Namen tragen. Ein neues Leben. Um des Mädchen willens, aber auch für sich. Ein Leben, in welchem sie nicht mehr töten würde. Ein Leben, in dem nicht Gewalt an der Tagesordnung war. Die Entscheidung war gefallen. Gerade noch rechtzeitig sprang sie in die Luft, bevor die gierigen Flammen sie erreichten. Einen letzten Blick warf sie noch zurück zu den bereits vom Feuer überzogenen Leichen. Sie neigte den Kopf und flüsterte mit von Tränen erstickter Stimme:
„Ruhet in Frieden!“
Dann ließ sie die Flammenhölle hinter sich zurück und damit auch ihre Trauer, ihren Zorn und ihr altes Leben. Doch kaum übernahm ihr Verstand wieder die Oberhand, regte sich ein bohrender Verdacht in ihr. Eine solche Wunde war viel zu glatt, als dass sie jemand ungeübtes hätte schlagen können. Und überhaupt, wer würde schon zwei Kinder töten? Sie aber kannte eine Person, die in der Lage dazu gewesen wäre. Wutentbrannt schrie sie den Namen ihres Partners in den von dichtem schwarzem Rauch verhangenen Himmel, jegliche Vorsätze vergessend, als sie von blindem Zorn überwältigt wurde.
Zu keinem klaren Gedanken fähig, machte sie vor sich die Mauer aus. Hoch ragte sie auf und trennte den brennenden Teil der Stadt ab von dem friedlichen Viertel, dessen Bewohner aber anscheinend keinerlei Interesse an dem ungeheuren Unrecht besaßen, welches sich, nur durch diese steinerne Grenze von ihnen getrennt, ein paar Meter entfernt abspielte. Am geschlossenen Tor machte sie eine Dreiergruppe Wachen aus, die in einer irrsinnig obszönen Aktion Fleisch an Stöcken über dem gewaltigen Feuer unter ihnen brieten. Die ehemalige Agentin fühlte das Blut ihn ihr kochen. Ihr gesamter Zorn kanalisierte sich auf diese drei, die sich der drohenden Gefahr nicht bewusst, lachend unterhielten. Ihr rechter Arm wurde von blau schimmernden Schuppen überzogen, dann formte sich ihre Hand zu einem weit aufgerissenen Maul, dessen gespaltene Zunge in freudiger Erwartung des baldigen Blutstroms zischelnd vor und zurückschnellte. Mit einem letzten Abstoßen katapultierte sich Alatea, wieder als Hydra agierend, auf den steinernen Weg auf der Mauer. Mit einem Wutschrei schleuderte sie ihren in unheimlichem Maße in die Länge wachsenden Arm auf die in jähem Entsetzen verstummenden Soldaten. Pfeifend schoss der mit Fangzähnen bewehrte Schlangenleib durch die Luft und fegte mit müheloser Eleganz den ersten Wächter wie eine Puppe von der Mauer. Der klatschende Aufprall hatte dem Mann die Luft aus den Lungen getrieben und so fiel er nur von dem Knirschen brechender Rippen begleitet in das Feuer. Ohne auch nur an Geschwindigkeit zu verlieren, hatte der eckige Schlangenkopf bereits sein zweites Opfer erreicht und bohrte seine fingerlangen Zähne in das ungeschützte weiche Fleisch der unter dem Helm hervorlugenden Kehle. Blut spritzte föntanenartig aus dem Hals, das Genick durch die Wucht des Bisses bereits zerbrochen. Der letzte Wächter wollte schreiend fliehen, doch bevor er auch nur einen Schritt geschafft hatte, holte ihn der der jetzt mit Blut bespritzte Schlangenarm ein. In Sekundenbruchteilen wand sich das Reptil mehrfach um den sich verzweifelt um Befreiung zuckenden Körper. Würgend spie der Mann Blut, ein jämmerliches Wimmern folgte, als der Druck anfing, sein Skelett zu zerbrechen. Mitleidslos sah Hydra dem Sterbenden zu, erhöhte nur langsam den Druck. Aus den Augen, Ohren und der Nase liefen rote Rinnsale als der die Rüstung mühelos zerquetschende schuppige Muskelstrang sich endgültig zusammenzog. Ein letztes Röcheln, dann war es still. Die übel zugerichtete Leiche aus ihrem Würgegriff entlassend, kehrte Hydra aus ihrem Blutrausch zurück in die Welt. Der rote Vorhang vor ihren Augen verblasste und die Farben verloren ihre Intensivität. Ein leises Klatschen ertönte, als die tote Masse, die einstmals ein Bürger Vilas war, auf der Mauer aufkam. Als ihr Arm wieder auf die gewohnte Länge geschrumpft war, seine Schuppen verblassten und durch ihre fahle Haut ersetzt wurden, klangen auch ihre Emotionen ab. Sie ließ ihren Blick über das fürchterliche Blutbad wandern. Als wäre mit ihrem Zorn auch jede Kraft von ihr gegangen, sank sie zu Boden und kniete vor den beiden leblosen Körpern.
„Was habe ich getan?“
Alatea schlug die Hände vor das Gesicht, unfähig das Blut zu ertragen. Gerade noch hatte sie ein neues Leben beginnen wollen, ein Leben ohne Tod und ohne Blutvergießen. Aber keine Minute hatte es gedauert, da fing sie schon wieder an zu morden. Tränen strömten unter ihren Händen hervor, als sie sich reglos dasitzend hinterfragte, ob sie jemals ihrem alten Leben entkommen konnte.
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Ilha no Meio, einige Monate zuvor
Jeder Bewohner, egal, wo er war, machte sich auf zum Brunnen, denn in diese Richtung flog der schwarz befiederte Mann, der sich dunkel drohend vor dem Himmel abhob. Langsam begann sich der Platz zu füllen, als sämtliche Einwohner stehen und liegen ließen, womit sie gerade beschäftigt waren. Noch bevor der Strom jedoch das Rund zu überfluten vermochte, setzte Domenico bereits zur Landung an. Ein letztes Flattern, welches die umstehenden Frauen zurücktrieb, dann setzte er auf der Umrandung des Brunnens auf. Kaum gelandet, flossen die Federn zurück in seinen Körper. Noch während er sich vor den mit ängstlicher Neugier erfüllten Blicken den Staub von seinem Anzug wischte, erreichten im Laufschritt seine Gefolgsleute den Platz. Ihre massigen Körper trieben einen Keil in die Anwesenden, die so langsam begannen, sich dicht an dicht zu drängen. Rasch bildeten die bedrohlich blickenden Männer einen schützenden Ring um den Brunnen.
Völlig entspannt widmete sich Domenico der Säuberung, anscheinend das Stimmgemurmel nicht wahrnehmend. Endlich, als er sicher war, dass das Dorf versammelt um ihn stand, hörte er auf. Er hob die Arme und setzte ein breites, falsches Lächeln auf. Besorgte Stille trat ein.
„Freut euch! Heute werdet ihr in den Schutz des schwarzen Engels kommen.“
Abschätzend musterte er die Bewohner. Er sah die meist einfache Kleidung, ungefärbt, aber gut für die Arbeit. Nur selten deutete ein Farbtupfer in der Menge auf jemanden mit mehr finanziellen Mitteln hin. Keine reichen Leute, aber in der Summe würde es sich schon lohnen. Ehe jemand ihn unterbrechen konnte, fuhr Domenico fort:
„Bezahlt die heilige Spende und ihr werdet vor allem Unheil geschützt sein. Bezahlt nicht, dann wird das Unheil über euch hereinbrechen. 10000 Berry, jeden ersten Montag, oben in Cidade do Meio, für jeden von euch.“
Die Ankündigung sorgte für entsetzte Blicke unter den Bewohnern. Das ging viel zu schnell, den überrumpelten Einwohner fehlte die Sprache. Nur einer wagte sich und ergriff das Wort. Ein junger Mann, über den beigen Kittel ein Netz geworfen, hatte keine Angst und keine Sorge im Gesicht. Stattdessen zeigte es Zorn und so schrie er:
„Wir wollen keinen Schutz. Wir brauchen keinen Schutz! Wir-“
Mehr brachte er nicht heraus, denn bevor auch nur jemand mit der Wimper zucken konnte, hatte Domenico seine Pistole gezückt und einen Schuss abgefeuert. Ungläubig fasste sich Arturo, Iras Bruder, an die Brust. Sein Hemd hatte sich rot gefärbt und als der sich ausbreitende Fleck unter seinen Fingern hervorquoll, brach der mutige und jetzt tote Mann zusammen.
„Arturooooo!“
Verzweifelt schreiend bahnte sich Ira seinen Weg zu seinem Bruder, doch vergeblich. Kein Atem kam über seine Lippen, kein Herzschlag erfüllte seine Brust mit Leben. Hasserfüllt starrte er empor zu diesem Dämonen, doch so wütend er auch war, die Pistole zwang ihn zur Ruhe.
Diesmal erfüllte ein ehrliches Lächeln Domenicos Gesicht.
„So ergeht es denjenigen, die meinen Schutz nicht haben wollen. Vergesst nicht, jeden Montag, jeden einzelnen von euch, egal wie jung oder alt. Ich will euch alle sehen.“
Ohne eine weitere Reaktion abzuwarten, hatte er seinen Standpunkt bereits deutlich genug gemacht, sprossen wieder die Federn aus seinen Armen und der schwarze Engel erhob sich in die Lüfte.
Zurück in der Gegenwart
Erregt war Ira aufgesprungen, Zorn und Trauer wechselten sich auf seinem Gesicht ab. Die aufwühlende Erinnerung ließ ihn umhertigern. Einen Moment holte er tief Luft, schien sich wieder zu beruhigen, dann fuhr er fort:
„Was sollten wir machen? Wir sind Farmer, Bauern, Fischer, Handwerker und keine Kämpfer. Seit diesem Tag waren wir jeden ersten Montag oben in Cidade do Meio. All unser Geld müssen wir aufwenden, um zu zahlen. Wir haben gesehen, was geschieht, wenn jemand sich weigert, oder nicht zahlen kann. Wie meinen Bruder knallt er sie ab.“
Von Trauer übermannt hielt Ira inne. Galayn hatte schweigend zugehört, zunehmend war sein gleichmütiger Gesichtsausdruck jedoch Abscheu gewichen. Er hatte genug gehört. Es gab nur noch eines, was er wissen wollte:
„Wo ist dieser schwarze Engel?“
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Vila, Albacete
Immer noch saß Alatea vor den Leichen, den Kampf mit ihren inneren Dämonen ausfechtend. Konnte sich ein Mensch ändern? War es ihr Schicksal, für immer den Tod zu verbreiten? Für einen Moment war sie sich sicher gewesen, neu anfangen zu können. Doch wie konnte sie dies schaffen in einer Welt voller Gräueltaten, in der ein Volk sich gegenseitig abschlachtete? Ihre Hände krallten sich in die rauen Fugen des Steines, als könnte er ihr Halt geben. Aber nein, natürlich konnte er dies nicht. Wie auch, es war nichts als toter Stein. In ihre Hoffnungslosigkeit hinein vernahm sie entfernt, gedämpft durch ihre Verzweiflung, die sie von der Welt draußen isolierte, Schreie. Mehr aus einem Reflex heraus hob sie den Kopf und strich sich das Haar aus dem Gesicht. Das gellende, von Schmerz und Todesangst zeugende, Gebrüll kam aus dem Slum. Klar, immerhin verbrannten dort die Menschen. Wieder einmal war der Tod nötig, um Alatea aufzurütteln. Wie der Rauch, der von einer auffrischenden Brise auseinandergetrieben wurde, befreiten sie die Schreie von ihrem dumpfen Brüten.
Angewidert warf sich Alatea ihren Egoismus vor. Da unten starben Männer, Frauen und Kinder, vielleicht arm, vielleicht wirklich kriminell, aber immer noch Menschen. Und sie? Versank in Selbstmitleid und Verzweiflung. Einen kurzen Moment flammte Zorn auf, der Wunsch zum Palast zu gehen und dieses ganze verlogene Pack umzubringen. Doch diesmal war sie aufmerksam. Sie schüttelte den Kopf. Diesmal würde niemand sterben. Diesmal würde sie es besser machen. Das war sie den Toten schuldig. Befreit von ihrer Last, erhob sie sich. Tränen der Freude flossen ihre Wangen hinunter, denn sie würde leben, ein wirkliches Leben, nicht dieses Scheinleben, welches sie bisher geführt hatte.
Alatea sprang die Mauer herunter, auf das vornehme Pflaster der Straße. Beschwingten Schrittes ging sie fort, wohin wusste sie nicht. Hauptsache fort, denn sie wollte nichts mehr mit allem hier zu tun haben.
Doch schon bald holte sie die Realität ein. Als sie die verlassene Straße, vorbei an geschlossenen Läden und verriegelten Häusern, Symbolen der Einwohner, die ihre Augen vor den Geschehnissen in den Slums verschlossen, bis zur nächsten Kreuzung durchwandert hatte, sah sie die Gestalt in dem Kapuzenmantel. Mahnend stand sie da, keine zwanzig Meter die rechte Abzweigung entlang. Ein Windstoß wirbelte den braunen Stoff umher, bauschte den Mantel auf und blies dem Mann die Kapuze vom Kopf. Darunter entblößte sich die blutrote Maske Kills.
Überrascht stellte Alatea fest, dass sie nicht mehr den Wunsch verspürte, Rache zu nehmen. Sie hielt inne, dann erhob sie die Stimme, gab ihr einen festen Klang:
„Ich bin raus.“
Vila, Albacete
Kill schien keinesfalls überrascht, wenngleich das wegen seiner Maske nur schwer festzustellen war. Seine linke Hand tauchte in die Dunkelheit seines Mantels ein, blieb aber vorerst dort verborgen.
„Man verlässt die CP-0 erst mit dem Tod. Aber soll doch der Direktor entscheiden, ob du noch eine Chance erhältst.“
Kaum hatten die Worte seinen Mund verlassen, kam auch sein Arm aus dem groben Stoff hervor und offenbarte die schwarz gefärbte Teleschnecke Kills. Alatea war nicht besonders schockiert, hatte sie doch nicht erwartet, bei Kill auf Verständnis zu stoßen. Tatsächlich begann ihr zu dämmern, dass sie wohl um ihre Freiheit würde kämpfen müssen. Sie ballte instinktiv die Fäuste.
„Steh mir nicht im Weg. Ich will nicht mehr kämpfen, aber ich komme entweder tot oder gar nicht zurück.“
Schon als sie die laute Warnung ausgesprochen hatte, war ihr klar, dass es keinen Sinn hatte. Immerhin ließ der Agent die Teleschnecke wieder sinken. Zu ihrer Überraschung griff Kill zu seiner immer vorhandenen Maske und entblößte sein Gesicht.
Alatea war kurzzeitig enttäuscht, hatte sie doch etwas Besonderes erwartet. Aber in Wirklichkeit war das Gesicht ihres Gegenübers nicht von Narben entstellt oder sonderlich hässlich. Die etwas knollige Nase war an der Spitze gerötet, vermutlich durch die Reibung an der Maske. Die so ausdruckslosen starrenden Augen blickten sie an, als sich der verkniffene Mund in die Breite zog und die ob mangelnder Luft etwas unreine Haut zerknittern ließ. Die von dem Lächeln entblößten gelben Zähne zogen ihren Blick mit ihren unregelmäßigen Reihen an.
„Jetzt ist es persönlich. Chance vertan. Ich mag es nicht, wenn man mir droht. Und ich mag auch niemanden, der unsere Sache verrät. Parere!“
Alateas Augen weiteten sich und wurden plötzlich leer. Jahrelang eingetrichterte Zwänge hielten ihren Geist gefangen. Das Wort hatte sie wieder zurück in Hydra gewandelt. Jeglicher Gedanke an Freiheit war wie weggewischt. Und doch, etwas war anders. Tief in ihrem Bewusstsein vergraben, überlagert von Erinnerungen an vergangene Schläge, Lektionen und Belohnungen, den endlos vielen Belehrungen, stemmte sich ein kleiner Rest Alateas gegen das drohende Vergessen.
Ohne jede körperliche Reaktion registrierte Hydra, wie sich Kill ihr langsam näherte, dessen Augen endlich eine Emotion zeigten. Hass funkelte ihr entgegen und der im Zorn gezogene Dolch war bereit ihrem Leben ein Ende zu setzen. Aber Hydra, die an der Oberfläche die Kontrolle behielt, wartete emotionslos ab, gewillt den Tod zu empfangen, denn wer immer dieses Wort sprach hatte die Kontrolle über Körper und Geist. Solange Kill sie nicht wieder aus ihrer Passivität erlöste, würde sie stehen bleiben.
Verzweifelt wollte Alatea ihre Beine in Bewegung setzen, probierte, ihre Arme zu heben und zu kämpfen. Vergeblich. Auch wenn sich die Zeit endlos zu dehnen schien, trennte sie nur noch wenige Schritte von dem sich unaufhaltsam nähernden Agenten. Hoffnungslos angesichts ihrer gescheiterten Bemühungen, gab Alatea jeden Widerstand auf. Noch fünf Schritte, vier, drei, der Dolch hob sich bereits. Im Angesichte des Todes verstummten ihre hektischen Gedanken und Stille kehrte ein. In diesem Moment, als Kill zum letzten Schritt anhob, kam ihr die Erleuchtung. Es war gar kein Widerstand nötig. Tatsächlich hatte sie ihr blinder Versuch die Wahrheit zu verdrängen nur noch tiefer in die Stricke der Konditionierung verheddert, zumindest stellte es sich Alatea so bildlich vor. Ihre Erkenntnis benötigte keine Zeit. Sie war nicht frei und das war die Wahrheit. In ihrer Beobachtung dieses einen Sachverhaltes löste sich jeder Kampf gegen sich selbst auf. Sie war nicht länger Alatea, getrennt von Hydra, sondern es gab nur eine Person, nannte sie sich nun Alatea oder Hydra. Ihre Einsicht verschaffte ihr den inneren Frieden, der ihr gefehlt hatte. Sie war eins und als solches auch in der Lage, frei zu sein. Es war kein aus ihren Gedanken geborenes Wissen, sondern sie hatte gesehen. Ihr war klar, dass sie es niemals würde in Worte fassen können, aber für diesen einen Moment, hatte sie die Wirklichkeit akzeptiert und sich gelöst von dem dumpfen Druck der Vergangenheit.
Mühelos machte sie einen Schritt zurück und wich elegant dem Dolch aus. Sie fing den Ausdruck von Angst in den Augen Kills auf. Von dem Momentum seines Angriffes getragen, konnte der Agent seine Bewegung nicht mehr stoppen. Wie ein Papier im Wind drehte sich Alatea zur Seite, ließ ihren Feind passieren. Schlitternd kam Kill auf dem Pflaster zum Halten, doch zu spät, ihn traf das gestreckte Bein der desertierten Agentin mit voller Kraft im Rücken. Trotz seines Tekkais wurde er weggeschleudert, prallte, eine Wolke aus Staub und Steinsplittern verursachend, in ein Haus. Die Erschütterung drang ihm durch alle Knochen, hatte aber seine Wirbelsäule nicht gebrochen. Alatea sah Kill zu, wie er sich kopfschüttelnd aus den Trümmern befreite.
„Wie kann das sein? Du solltest nicht kämpfen können, Hydra.“
Die fassungslose Stimme drang aus dem aufgewirbelten Staub zu ihr herüber.
„Ich nenne mich nicht mehr Hydra. Ich bin auch nicht mehr nur Hydra. Ich bin auch Alatea, frei von der Vergangenheit. Nie wieder wird man mich herumkommandieren können.“
Leicht hinkend schälte sich der staubbedeckte Agent aus dem Krater, den er in dem doppelstöckigen Haus hinterlassen hatte. Ein Licht ging Alatea auf.
„Weißt du, beinahe könnte ich Mitleid mit dir bekommen. Kein Wunder, dass du solch einen Hass hegst. Ich bin den Schritt gegangen, den du dir so herbeisehnst, aber nie wirst gehen können.“
Kills Schweigen war ihr Antwort genug. Sie stellte sich dem wütenden Blick des Agenten, bemerkte aber die immer wieder aufflackernde Furcht. Wenn sie etwas in dem Gesicht eines Menschen lesen konnte, dann war es Angst. Wo sie auftauchte, da herrschte Angst und so bekam sie kaum mal etwas anderes zu sehen. Reglos blieb Alatea stehen, erwartete die Reaktion des zwar angeschlagenen, aber keinesfalls geschlagenen Agenten. Würde er immer noch kämpfen?
Kill verschwand nicht, zog aber auch keinen Dolch. Stattdessen wählte er eine Nummer. Alatea ließ ihn gewähren, noch von der Hoffnung beseelt, einen friedlichen Ausweg finden zu können.
„Ja?“
Die Stimme des Direktors drang etwas gereizt aus dem Hörer und ließ Kill leicht zusammenzucken. Trotzdem antwortete er:
„Wir haben ein Problem. Hydra hat beschlossen, uns zu verlassen. Und sie reagiert auch nicht mehr auf das Schlüsselwort.“
Zufrieden hörte Alatea den leicht panischen Unterton aus dem letzten Satz heraus. Falls der Direktor von der Nachricht getroffen war, ließ er es nicht verlauten. Nur die kurze Pause deutete auf seine Überraschung hin. Dann sagte er mit einer übermäßig freundlichen Stimme:
„Hydra-“
Den Namen wollte sie nicht mehr hören, also fiel ihm die ehemalige Agentin ins Wort:
„Ich bin jetzt Alatea. Lass mich gehen oder versuche mich töten zu lassen. Aber komm mir nicht mehr mit deinen zuckersüßen Lügen. Deine Netze habe ich endgültig zerrissen.“
Mit leicht geröteten Wangen, die ihr sonst so totenblasses Gesicht belebten, wartete sie auf die Reaktion des Direktors. Doch dann fiel ihr noch eine Frage ein:
„Und übrigens: wie habe ich wirklich geheißen? Niemand heißt Hydra, also komm mir nicht damit.“
Fast rechnete sie nicht mehr mit einer Antwort, als die Zeit verstrich, doch endlich, ihr kam es wie eine Ewigkeit vor, kam die Antwort, hart und keine Freundlichkeit mehr vortäuschend:
„Ich weiß es nicht. Aber eines weiß ich sicher. Du bist tot.“
Kein Hass, tatsächlich keine einzige Emotion klang heraus. Nur wenn man den Direktor hätte sehen können, wäre einem der innere Kampf aufgefallen, den er ausfocht, um ruhig zu bleiben. Mit der gleichen monotonen Stimme fuhr er fort:
„Kill, du wirst sie töten, solange gibt es keinen anderen Auftrag, der dich ablenken wird. Ich werde dir Haze zur Unterstützung senden.“
Bevor es mit seiner Selbstbeherrschung vorbei war, legte der Direktor auf. Dann durchdrang ein Wutschrei sein Büro. Das sollte nicht passieren und schon gar nicht im Moment. Ein schlechtes Bild konnte er sich nicht leisten, aber jetzt war es zu spät. Wenn sie die Konditionierung durchbrochen hatte, blieb nur noch die Exekution. Seine vielleicht gefährlichste Agentin war auf freiem Fuß und er bezweifelte, ob dies dauerhaft geheim zu halten war.
~
Ilha no Meio
Der Wind, den seine Bewegung ihm ins Gesicht blies, wirkte belebend. Auf dem Weg nach Nordwesten breitete sich vor ihm eine wellige Hügellandschaft aus. Rechterhand stieg das Terrain zu einem zerklüfteten kahlen Berg an, an dessen Fuß sich vom Wind verdrehte kleine Bäume schmiegten. Mit ausgreifenden Schritten setzte Galayn über die verstreut daliegenden Felsbrocken hinweg, den Blick auf Iras Rücken gerichtet. Der Mann hatte sich für ihn wenig überraschend als Führer angeboten und er wollte mit Sicherheit niemanden vor den Kopf stoßen. Er hatte es nicht übermäßig eilig und passte sich dem zwar noch zügigen, aber für seine Verhältnisse eher langsamen Tempo an. Seit sie vor etwa einer Stunde durch die grünenden Felder laufend den Bereich des Dorfes verlassen hatten und von da an durch die von kleinen zähen Gräsern bewachsenen Weite der dahinter liegenden Landschaft ihren Weg fortsetzten, hatte Ira seine Geschwindigkeit kein einziges Mal verändert. Den Kopf gesenkt, den Blick fest auf den Boden vor ihm gerichtet, war er wortlos gelaufen. Das kam ihm entgegen, war er doch ein großer Freund von Stille. Sie gab ihm die Möglichkeit, die Natur zu betrachten und sich Gedanken zu machen. Kurzfristig beobachtete er eine der kleinen braun gefleckten Schlangen, die sich von hinten auf ein kleines Nagetier zuschlängelte. Für einen absurden Moment konnte sich Galayn nicht entscheiden, ob er auf die Flucht des Säugers hoffen, oder sich lieber den Erfolg der Schlange wünschen sollte. Noch an dieser ganz faszinierenden Frage arbeitend, hatte der Überlebenskampf des Nagers schon ein abruptes Ende gefunden. Kurz zuckten die kleinen Beine noch, während aus den in seinen Körper vergrabenen Fangzähnen unerbittlich das tödliche Gift in sein Blut rann. So war der Lauf der Natur, dachte sich Galayn, als er an der erfolgreichen Schlange vorbeilief, sorgsam zwischen den vereinzelt herumliegenden Reptilien seinen Weg suchend. Als er einen letzten Blick über die Schulter warf, sah er, wie auch den Jäger sein Schicksal ereilte, als eine im Vergleich gigantisch wirkende gelbliche Schlange hoch aufgetürmt auf das kleine braun gefleckte Reptil hinuntersah.
Auch wenn er den Überlebenskampf der Natur spannend fand, richtete Galayn den Blick wieder nach vorne, zurück auf den langweiligen Boden, um die seiner Geschwindigkeit angemessene nötige Aufmerksamkeit walten zu lassen.
Jetzt, wo er die auf die Dauer doch recht eintönige Landschaft mit ihren seltenen Bäumen, klein und mit ledrigen Blättern, ohne ein Gewässer weit und breit genug betrachtet hatte, fingen seine Gedanken an zu wandern.
Wo er auch hinkam, anscheinend war der Mensch unfähig zu leben, ohne dass es welche gab, die andere unterdrücken mussten. Kein Vergleich zu den Tieren, die obwohl kaum vernunftbegabt, doch in dieser Hinsicht dem Menschen so überlegen schienen. Sei es nun die kleine Schlange, oder die große Gelbe, sie töteten nicht für Macht, sie kämpften ausschließlich für ihr Überleben, um ihren Hunger zu stillen. Sie kannten keinen Hass, wollten nicht herrschen. Warum war die Welt so gemacht? Galayn wusste es nicht, aber er wusste auch, dass er seinen Anteil an der menschengemachten Gewalt gehabt hatte. Aber auch, wenn er diese Zeit hinter sich gelassen hatte, wäre es zu einfach gewesen, seine darauf folgende Hilfsbereitschaft an diesem einem Punkt festzumachen. Nicht nur Buße, denn das war es bestimmt nicht. Ebenfalls lag es nicht nur an seinem großen Herz, denn das hatte er auch nicht. Vielleicht war es auch eine gewisse Trotzreaktion, aber daran wollte er sich gar nicht erinnern. Tatsächlich war es eine Mixtur, die seine Wirkung entfaltet hatte, als er den Feuern entkommen war, die seine Hoffnung auf ein friedliches Leben verzehrt hatten. Dauerhafte Entsagung konnte es nicht geben. Wer Macht besaß, würde sie einsetzen, früher oder später. Zumindest traf es auf ihn und die meisten anderen Menschen zu, sonst wäre er ja kaum wieder hier. Und er wusste, er würde seine Fähigkeiten einsetzen. Er hoffte, dass die Weltregierung ihn nicht enttäuschte, denn ihm war klar, dass er sich niemals wieder würde unterordnen können. Gerade weil er wusste, wie fürchterlich ein Leben ohne Selbstbestimmtheit war, konnte er auch Domenico nicht verzeihen.
Unbewusst suchte Galayn nach wie vor die Umgebung ab, und so richtete sich seine Aufmerksamkeit zurück in die Wirklichkeit. In absehbarer Zeit würden sie die Ausläufer eines weiteren zerklüfteten Berges erreichen, die diese Insel prägten. Sein geübter Blick schätzte ab, ob es dort Eisen geben würde. Er schüttelte den Kopf, um den Gedanken zu vertreiben. Diese Zeit war auch vorbei.
Eine kleine Zeitspanne später hielt Ira am Fuß des Berges an. Hier ging die spärlich bewachsene Ebene über in einen kleinen Wald. Die Atmung seines Führers war nur unwesentlich beschleunigt, als er einen Wasserschlauch von seinem Gürtel nestelte. Er trank gierig ein paar Schlucke im Schatten eines glattrindigen Baumes. Als er den Verschluss wieder eingestöpselt hatte, deute er mit dem Schlauch auf den Wald:
„Dahinter liegt unser Ziel. Es dauert noch etwas eine halbe Stunde.“
Galayn nickte nur ungeduldig. Wieder nahmen sie ihren Lauf auf, diesmal unter dem kühlenden Schatten der Bäume. Der Weg, gesäumt von kleinen Büschen, war nicht mehr als ein Trampelpfad. Viel wuchs hier sonst nicht, keine Schlingpflanzen, keine blühenden Blumen. Immerhin fehlten auch die großen Insektenschwärme, die man hätte erwarten können. Dafür mussten sie aufpassen, nicht auf Schlangen zu treten, oder in von den Ästen herabhängende Reptilien hinein zu laufen. Galayn war erstaunt, wie sicher Ira sich durch diese lebenden Hindernisse bewegte, andererseits musste man auf dieser Inselgruppe wohl oder übel lernen die Schlangen zu meiden.
Wie vorausgesagt, dauerte die Durchquerung nicht sonderlich lange. Kurz bevor sie den Hain verließen, sah Galayn etwas abseits vom Weg Wasser aufblitzen, entschied sich aber dagegen, einen Umweg zu machen.
Die letzten Ausläufer des Waldes hinter sich lassend, kamen die beiden zu einer Reihe von Feldern, die aber sträflich vernachlässigt wirkten. Unkraut überwucherte die zarten Spitzen des angebauten Getreides. Hier war schon länger niemand gewesen. Ira knurrte zwischen zusammengebissenen Zähnen:
„Der hier lebende Gutsherr wollte sein Haus nicht Domenico überlassen. Einen Knecht hat dieser Dämon am Leben gelassen, damit er erzählt, was geschehen ist. Hat ihm gesagt, so dient er ihm besser.“
Galayn wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Das radikale Vorgehen schien jeglichen Gedanken an Widerstand im Keim erstickt zu haben, aber auf die Dauer würde es sich wohl kaum positiv auszahlen. Nicht, dass das jetzt noch eine Rolle spielte.
Eine letzte Kurve, dann sah er kaum eine Steinwurf entfernt das Gutshaus stehen. Ein langgestrecktes steinernes Gebäude dessen Dach gedeckt war mit richtigen, tönernen Ziegeln und nicht mit den sonst üblichen Stauden. Ins Auge fiel ihm aber eher der eine Wachposten, der rechts vor dem Haus herumlungerte und seinen Blick aber nur sporadisch auf die nach Osten führende Straße richtete.
Galayn lächelte. Er vermochte es nicht zu leugnen, dieser Part machte ihm Spaß. Seine Dolche lockernd überholte er Ira und bedeutete ihm, zurück zu bleiben. Dann nahm er Geschwindigkeit auf und strebte dem Haus entgegen.
~
Im Inneren des Gutshauses
Lustlos stocherte Domenico auf seinem Teller herum. Seine Männer mochten zwar beeindruckend aussehen, aber kochen konnten sie definitiv nicht. Er bezweifelte, dass es bei den ländlichen Zutaten überhaupt seinen Ansprüchen genügen konnte, aber auch im Schlechten gab es Unterschiede. Für einen Moment war er versucht, den Koch zur Verantwortung zu ziehen, aber dann verwarf er den Gedanken. Seine Männer waren zu wertvoll in seiner jetzigen Situation. Kurz ließ er den Blick den Tisch entlangschweifen. Seine Männer tafelten auf eine äußerst unappetitliche Weise. Mit bloßen Händen zerrissen sie angekokelte Fleischstücke in handliche Brocken, manche waren immerhin zivilisiert genug, ein Messer dafür zu verwenden, nutzten ihre dreckigen Finger aber nach wie vor als Hauptbesteck. Mit geöffnetem Mund sprachen und kauten sie gleichzeitig und dazu noch alle durcheinander. Domenico hatte es längst aufgegeben zuzuhören und widmete sich lieber anderen Dingen. Jetzt, wo der Preis für den Monat gespendet worden war, gab es nichts Dringliches zu planen. Also erlaubte er es sich, den Blick in die Vergangenheit schweifen zu lassen. Zurück in die Zeit, wo er noch als Adeliger in angemessenen Verhältnissen gelebt hatte. Tief war er gesunken, wahrhaftig. Die Schuld dafür bei sich zu suchen kam ihm nicht in den Sinn. Er nahm es dem König immer noch übel, dass er ihn verbannt hatte. Das war alles, was Domenico in den Kopf kam, wenn er zurück blickte. Immer nur dieser Bannspruch. Er erinnerte sich noch gut an die Gerichtsverhandlung. Die Tatsache, dass er vor ein Tribunal gezwungen wurde, regte ihn auf. Wirklich zu schade, dass Menschen nur einmal sterben konnten. Unglaublich, dass ein Adeliger sich verteidigen musste.
Es waren doch nur ersetzbare Diener und Arbeiter gewesen. Gut, vielleicht war er etwas hart gewesen, aber ein Diener hatte zu gehorchen. Domenico war nach wie vor unfähig, zu begreifen, wieso ihm keine Hinrichtung erlaubt gewesen sein sollte. Es musste doch Schicksal sein. Er war dazu geboren und bestimmt an der Spitze zu stehen, besser zu sein.
Seufzend schob er sich ein Stück säuberlich geschnittenes Fleisch in den Mund. Leider hatte es ihm an der Macht gefehlt etwas gegen seine Verbannung zu tun. Auch das war etwas, was Domenico sehr gut in Erinnerung behalten hatte. Diese Ohnmacht, der Mangel an Möglichkeiten etwas zu tun, verfolgte ihn noch immer. Wieder wütend geworden, kaute er heftig.
Doch da kamen die Boten und überbrachten ihre Botschaft des Todes. Sie gaben ihm die Frucht, mit der die Macht einherging. Er lächelte, als er an den entsetzten Blick dieses hochnäsigen Königs dachte. Ein berauschenderes Gefühl, als diese triumphale Rückkehr in das Land, welches ihn so verräterisch ausgestoßen hatte, war Domenico noch nie begegnet. Ja, die Macht der Boten der Apokalypse war beeindruckend gewesen. Nur durch sie hatte er Rache nehmen können. Leider war seine Freude nur von kurzer Dauer, denn anstatt, dass er wieder zurück in sein altes Leben konnte, forderte die Nummer eins seinen Gehorsam ein. Aber ein Leben in Armut, als Diener? O nein, nicht mit ihm. Also war er geflohen, gezwungen von null anzufangen. Er konnte sich glücklich schätzen, dass er hier her gefunden hatte. Das musste ein Wink des Schicksals sein, dass es ihn immer noch hoch schätzte. Vielleicht noch ein halbes Jahr, dann konnte er wieder leben, wie es ihm geziemte.
Sein episodenhaftes Betrachten sorgsam gefilterter Vergangenheitsfetzen wurde unterbrochen von dem Krachen seiner gewaltsam aufgesprengten Tür, die sich aus den Angeln gelöst hatte. Aufgeschreckt erblickte er den zusammenbrechenden Körper seiner Wache, die in Richtung Tisch schlitterte. Hinterher folgte ein schwarz gekleideter Mann, dessen violette Augen ihn fixierten. Er fand das Lächeln des Fremden äußerst beunruhigend, nichtsdestotrotz sah er keinen Grund klein beizugeben.
„Tötet ihn!“, befahl er seinen Männern, die bereits alarmiert aufgesprungen waren und begonnen hatten, den Eindringling zu umkreisen.
Ilha no Meio
Es war wirklich kaum zu glauben. Obwohl er keinesfalls sonderlich vorsichtig näher gekommen war, hatte ihn der nachlässige Posten immer noch nicht entdeckt. Fasziniert von solcher Leichtsinnigkeit betrachtete Galayn den Mann vorsichtig, hinter einer Hausecke verborgen. Nicht, dass ihn seine Entdeckung wirklich stören würde, aber je unerwarteter er kommen würde, desto unwahrscheinlicher eine Flucht seines Ziels.
Mit einem großen Satz überbrückte er die Distanz und landete genau vor dem Wächter, dessen Augen sich vor Überraschung weiteten. Noch bevor er den Schrei herausbringen konnte, der ihm auf der Zunge lag, versenkte Galayn bereits seine Faust im Oberkörper des Mannes. Von der Wucht des Schlages jeglicher Luft beraubt, konnte er wenig mehr als ein ersticktes Keuchen von sich geben, dann prallte er mit dem Rücken gegen die hölzerne Tür, die sich in der gemauerten Wand hinter ihm befand. Wenngleich die Tür unverschlossen war, vermochten die Angeln dem plötzlichen Druck nicht stand zu halten und brachen aus ihrer Verankerung. Über das fallende Holz hinweg beschrieb der Körper der Wache einen Bogen, bevor er auf dem Boden aufschlug. Noch während er durch die neu entstandene Öffnung eintrat, zog er mit geübtem Griff die leicht gebogenen Dolche aus ihren Scheiden. Ein rascher Blick in die Runde zeigte ihm einen länglichen, rustikalen Tisch, an dem acht Männer aßen, auch wenn sie diese Tätigkeit jetzt unterbrachen. An der Stirnseite hob sich der im schwarzen Anzug fehl am Platz wirkende schwarze Engel von seinen rohen Untergebenen ab.
Ohne Eile fasste er Domenico ins Auge, ignorant gegenüber den sich hastig sammelnden Untergebenen. Immer noch fehlte ihm die Erkenntnis, woher er den Mann kannte. Er war wirklich gespannt, wie sich der schwarze Engel verhalten würde. Seine Augen fixierten zwar den Aristokraten, trotzdem nahm er mehr unterbewusst wahr, wie die Rohlinge Aufstellung bezogen und ihre Waffen zückten. Irgendetwas daran kam ihm seltsam vertraut vor, auch wenn er nicht drauf kam, woher. In seinen Erinnerungsversuch hinein, hörte er die Stimme des schwarzen Engels:
„Tötet ihn!“
Da, als, er diese Worte hörte, die Aufstellung der Männer um ihn herum, die einen unregelmäßigen Halbkreis gebildet hatten, ins Auge fasste, ihre mit einer Mischung aus Unsicherheit., Angst und Schicksalsergebenheit unstet wandernden Blicke bemerkte, ihre durch das verkrampfte Festhalten der Waffen weißen Knöchel sah und sich der Dolche in seinen Händen bewusst wurde, da schlug es wie ein Blitz ein. Es war genau wie damals und unausweichlich wurde er wieder hineingezogen in diese Erinnerung.
Vor vielen Jahren an einem anderen Ort
Die Dolche, glänzend polierte Waffen, in deren Beherrschung er es in mühseligen Jahren zur Meisterschaft gebracht hatte, fest mit den Händen umfasst, schritt er aus dem Dunkel des Ganges unter dem hochgezogenen eisernen Fallgitter hinaus in das Licht. Der steinerne Untergrund wich dem grobkörnigen Sand der Arena, als er aus dem gähnenden Loch in der glatten Umrandung in das Rund des Kolosseums trat. Die plötzliche Helligkeit blendete ihn kurzzeitig und ließ ihn blinzeln. Verschwommen nahm er die Umrisse von acht Gestalten war, die ihn bereits zu erwarten schienen. Als sich seine Augen an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, erkannte er in den im etwa zwanzig Meter entfernten Zentrum der Arena stehenden Menschen seine Lehrer. Unschlüssig blieb er stehen und ließ verharrend seinen Blick schweifen. Kaum gefüllt war das Kolosseum, tatsächlich waren ausschließlich in der Loge zu seiner rechten Seite Plätze belegt. Dem Meister Nahestehende und Familienmitglieder waren anscheinend die einzig zugelassenen Zuschauer.
Von seinem Standort aus vermochte er gegen das Sonnenlicht nicht viel mehr als Umrisse wahrzunehmen, die sich im Schatten unter dem schützenden Dach über der Loge genauerer Betrachtung entzogen. Nur der Meister selbst saß so weit vorne, dass er ihn, zumindest bis zur Brust, erkennen konnte. Unter der hohen Stirn sahen ihn die grauen, tief in den Höhlen liegenden Augen mit ihrem durchbohrenden Blick an. Beginnendes Alter merkte man ihm an den schon etwas hängenden Wangen an, genauso an den sich abzeichnenden Falten, die aber noch einige Jahre brauchen würden, bis sie sich wirklich eingegraben haben würden. Das hielt ihn aber nicht davon ab, sein bereits schüttern werdendes Haar, das schon von Schwarz in Grau überging, eitel zurück zu kämmen. Mit der gleichen Aufmerksamkeit, die er allen Dingen zukommen ließ, hatte er seinen kleinen Schnurrbart gestutzt, der unter der geraden Nase keinen Millimeter über die leicht hängenden Mundwinkel hinausragte. Sollte jemand an seiner Standhaftigkeit zweifeln, so musste er nur einen Blick auf das vorgeschobene Kinn werfen, um eines besseren belehrt zu werden. Mit dem perfekt sitzenden, faltenfreien und blütenweißen Hemd bot er ganz das Bild eines Perfektionisten, der nichts dem Zufall überließ. Schon damals wusste es aber besser. Eine Sache immerhin musste auch der Meister dem Zufall überlassen, wenngleich er alles in seiner Macht stehende, und das war viel, tat, um seinen Plan zu verwirklichen und den Einfluss Fortunas zu minimieren.
Wieder setzte sich der einsame und noch leicht verwirrte Kämpfer in Bewegung, näherte sich dem Zentrum der Arena und so auch der Höhe der Loge. Schließlich hielt er keine Mannslänge von den äußeren Enden der von seinen Lehrern geformten Sichel an. Durch den Sand schimmerten rote Farbtupfer hervor, Spuren vergossenen Blutes, an dem er seinen Anteil gehabt hatte. Der Ausschluss einer breiteren Öffentlichkeit ließ ihn vermuten, er würde mal wieder einer Prüfung unterzogen werden. Also richtete er fragend den Blick zum Meister. Dieser fixierte ihn aus den gesenkten Lidern, dann befahl er in seinem ruhigen Ton:
„Dulug, töte sie!“
Das hatte er nicht erwartet und seine Lehrer offensichtlich auch nicht, wie er an ihren auf einmal von Angst erfüllten Blicken erkannte. Diese Mentoren, die er jahrelang kannte, sollte er töten? Nicht, dass er keine Freude verspürte, wenn er kämpfte, nein, er wollte sich nichts vormachen. Aber sie töten? Noch zögerte er, sah seine Lehrer rasche Blicke austauschen. Sie sagten nichts, sondern zogen ihre Waffen, nahmen ihre Kampfposition ein und sahen ihn mit einer Schicksalsergebenheit an, die wechselweise von Angst und zögerlicher Hoffnung ersetzt wurde. Sie alle kannten ihn und seine Fähigkeiten gut, aber nichtsdestotrotz waren sie acht und er alleine. Dulug fällte seine Entscheidung, noch bevor der Meister seiner Forderung Nachdruck verleihen würde. Kaum hatte er die Dolche in die Angriffsposition erhoben, griffen sie fester zu. Ein letztes Mal ließ er den Blick über seine Mentoren schweifen. Hier waren sie, der Schwertmeister, seine Hakilehrer, Mentoren für den unbewaffneten Kampf, allesamt erlesene Auserwählte, die der Meister dennoch bereit war ohne Zögern zu opfern. Alles für ein fernes Ziel, an dem er selbst wohl keinen so großen Anteil mehr haben würde. So er es auch verabscheute, Dulug konnte nicht anders, als Respekt vor diesem Mann zu empfinden.
Dann griff er an, bereit, den Sand mit neuem Blut zu tränken, mit dem Wissen über den beobachtenden Blickes des Meisters, der ihn genau verfolgen würde.
Zurück in der Gegenwart
Der Blick in die Vergangenheit konnte nur Sekundenbruchteile gedauert haben, denn noch hatte sich niemand gerührt.
Die Zähne fest zusammengebissen, verkrampfte Galayn seinen Griff um die Dolche. Immer noch konnte er die Stimme hören, wie sie ihm befahl „Töte sie!“. Doch er war nicht mehr wie damals. Mit einer gewaltigen geistigen Anstrengung verdrängte er Dulug wieder. Der Meister war tot, warum konnte er nicht endlich Ruhe geben? Er konnte nicht anders, als seiner Hilflosigkeit Luft zu verschaffen. Es brach aus ihm heraus:
„Sei endlich still!“
Die verwirrten Blicke der Anwesenden interessierten ihn nicht, genauso wenig, wie Domenicos Frage:
„Hast du den Verstand verloren?“
Er stand über den alten Morden. Er war nicht mehr ein Diener seines Meisters. Und doch, soviel er dies wiederholte, diese Stimme konnte er nicht zum Verstummen bringen. Sie kam einfach immer wieder. Und sooft er sich auch selbst verwünschte, seine Kampfeslust war genauso wenig zu leugnen, wie seine Bereitschaft zu töten. Doch solange er Galayn war, war er der Herr in seinem Geist, beherrschte er seinen Körper. Sei es Trotz oder Ausdruck seines eigenen Willens, er vermochte es nicht zu sagen, traute sich nicht, die Antwort zu suchen. Dennoch, die Dolche konnte er zurück in ihre lederne Umhüllung stoßen. Dieser Erfolg brachte schließlich die gewünschte Ruhe, als wären mit dem Verschwinden der Mordinstrumente auch der Meister und Dulug verschwunden. Natürlich lauerten sie weiter unter der Oberfläche, aber vorerst war er wieder ganz Galayn.
Auch wenn die Angreifer sich fragen mussten, warum er seine Waffen weg gesteckt hatte, zögerten sie nicht länger. Im Gegenteil, es schien sie erst zu beflügeln. Mit lautem Gebrüll, Messer, Schwerter und Keulen schwingend, rannten sie auf dem abgewetzten Teppich los, doch noch ehe sie überhaupt in Schlagweite kamen, ließ sie ein Ausbruch seines Königshakis abrupt innehalten. Wie Marionetten, denen man die Fäden gekappt hatte, kippten sie schlaff in sich zusammen und hinterließen Stille.
Im Gegensatz zu seinen Untergebenen zeigte sich Domenico unbeeindruckt, zumindest körperlich. Trotzdem vermochte er seine Überraschung nicht ganz zu verbergen. Er fasste sich aber schnell und warf wie beiläufig den schweren Tisch beim Aufstehen zur Seite. Ohne jegliche Verzögerung spross ihm sein finsteres Federkleid aus den Armen. Da war die Erkenntnis. Erst mit eigenen Augen zog er die Verbindung zu einem Steckbrief, den er vor vielen Monaten gesehen hatte. Wie so viele Steckbriefe der Boten der Apokalypse trug er keinen Namen und war der Abgebildete unter einer Maske verborgen. Aber Haltung, Flügel und der Anzug stimmten überein. Nun, es hatte nicht den Anschein, als wäre er noch dort Mitglied, was Galayn insgeheim etwas erleichterte, den keinesfalls wollte er sich direkt mit einer solch mächtigen Organisation anlegen.
Einen Moment sah es danach aus, dass sich der schwarze Engel auf Galayn stürzen wollte, doch dann sprang er stattdessen zur Decke und schlug sich ein Loch in die Freiheit der Lüfte. In den Luftwirbeln, die Domenico mit seinen Flügelschlägen erzeugt hatte, trudelten vereinzelte Federn, die die Wucht des Schlages losgelöst hatte, dem Boden zu. Ihnen hinter her fielen kleine und größere Holzsplitter, sowie scharfkantige Lehmbrocken, die von seinem Anzug abprallten, ihn aber außer seinen geraden Flug etwas zu stören, nicht zu behindern schienen. Noch hatte sich Galayn nicht von der Stelle gerührt, stattdessen sah er mit einem Lächeln auf den Lippen zu, wie der geflügelte Flüchtende von einem Windstoß aus dem sowieso schon fragilen Gleichgewicht gebracht wurde. Verzweifelt schlug der schwarze Engel mit den Flügeln, um die Kontrolle über seine Bewegung zurück zu gewinnen, doch die Enge der frei gesprengten Öffnung hinderte seinen Versuch. Gewaltsam kollidierte er mit dem zersplitterten Rand, was ihn schmerzerfüllt aufstöhnen ließ. Diesmal fielen nicht nur Federn, sondern auch feine Bluttröpfchen nach unten, als sein Arm an einem hervorstehenden Holzdorn entlang schrammte. Erst jetzt griff Galayn ein. Mit einem Satz hatte er den schmalen Rand des umgestürzten Tisches erreicht, von dem er sich zu dem schwarzen Engel hinauf katapultierte. Wie eine Kopie des Fluchtversuches, fand seine rechte Faust die Dachstreben, pulverisierte das Gerüst und brach unaufhaltsam durch die tönernen Ziegel. Mit der linken Hand packte er den abstürzenden Domenico am Anzug und riss ihn mit sich, hinaus in die Freiheit der Lüfte. Noch orientierungslos, vermochte Domenico nichts gegen seinen Angreifer auszurichten und konnte nur hilflos mit den Flügeln schlagen. Fest im Griffe Galayns blieb ihm aber keine Wahl, als dessen Sprung zurück auf den Boden, aus der Freiheit versprechenden Sonne hinunter in den Schatten hinter dem Haus, mitzumachen. Hart prallte er auf dem Boden auf, die Hände schützend vor das Gesicht geschlagen. Panisch robbte er weiter, mühte sich hektisch ab auf die Beine zu kommen und versuchte gleichzeitig sich umzukehren, um seinen Verfolger im Blick halten zu können. Die Unmöglichkeit all dies auf einmal zu tun, führte dazu, dass er auf dem Hosenboden landete, zu der hoch aufragenden Gestalt des Fremden aufschauend. Was für ein Mann war das nur, der so beiläufig einen seiner Schläger durch die Tür prügelte, dann offensichtlich anfing Stimmen zu hören und ohne eine einzige Berührung acht Kämpfer besiegte? Die gescheiterte Flucht hatte ihn in die Enge getrieben und in seiner Verzweiflung tat Domenico das einzige, was ihm noch verblieb: er griff an.
Völlig seine übliche Beherrschtheit ablegend, schlug er wild um sich, brüllte wortlos, nur von dem Gedanken beseelt zu überleben. Lächelnd parierte Galayn Schlag um Schlag. Darauf hatte er gewartet. Der Fluchtversuch hatte ihn etwas enttäuscht, obwohl er ihn sehr gut verstehen konnte. Aber jetzt hatte er es geschafft, durch die adelige Arroganz, die der Mann ausstrahlte, seinen animalischen Kern zu wecken. Jetzt sprossen dem schwarzen Engel die Federn am ganzen Körper, durchbrachen den teuren Stoff des schon verdreckten Anzugs und schließlich verschwammen seine Finger, nur um dann als Krallen in völliger Klarheit wieder aufzutauchen.
Galayn hob lässig den linken Arm, um einen Schwinger von links abzuwehren, dann folgte der rechte Arm, um den erspürten Schlag auf sein Gesicht zu blockieren. Ohne Vorwarnung schwenkte die Kralle auf einmal nach rechts. Mit einem unangenehmen Knacken prallten die beiden Handgelenke aneinander, und obwohl Domenico einen leisen Schmerzensschrei nicht unterdrücken konnte, fuhr er kreisförmig mit seiner Kralle auf Galayns Gesicht zu. Zwar konnte der Agent seinen Kopf noch zur Seite biegen, aber dennoch schlitzte ihm die Klaue oberflächlich die Wange auf. Ohne sich davon jedoch beeindrucken zu lassen, stieß Galayn mit beiden Händen in die offene Lücke in der Verteidigung seines Gegners vor. Der Aufprall der Handflächen schleuderte den schwarzen Engel meterweit durch die Lüfte, lange genug, dass Domenico mit den Flügeln das Gleichgewicht zurück erlangen konnte.
Galayn hatte ihm nicht nachgesetzt, stattdessen führte er die Hand zur Wange und wischte vorsichtig mit dem Finger über die Wunde. Erstaunlich, dass ausgerechnet dieser ungebildete Kämpfer ihn verletzt hatte. Ihn freute es, denn Arroganz musste bestraft werden. Er wollte einen wirklichen Kampf, ohne dass er seine körperliche Überlegenheit direkt ausspielte, denn Domenico sollte die Verzweiflung am eigenen Leibe kennen lernen. Gerechte Bestrafung für seine Taten, eine Strafe, die sich Galayn verpflichtet sah, auszuführen. Geschummelt hatte er trotzdem, aber sein Observationshaki konnte nur versagen gegenüber dem planlosen Angriff seines Gegners. Er war nicht unverletzbar und diese Warnung sollte er sich für die Zukunft besser zu Herzen nehmen. Allerdings war es umso besser, als eine aufkeimende Hoffnung nur noch mehr geeignet war, den schwarzen Engel wahrhaft verzweifeln zu lassen. Jetzt war allerdings endgültig Schluss mit dem Geplänkel. Die Arme locker gesenkt, erwartete Galayn den Angriff seines Gegners. Kaum war der schwarze Engel wieder in Position, kam er auch schon auf ihn zugeschossen. Das vergossene Blut hatte ihn weiter aufgestachelt, so dass ihn der Gedanke an Flucht völlig verlassen hatte. Ohne eine Regung erwartete ihn Galayn, machte keinerlei Anstalten, sich zu verteidigen. Mit voller Kraft schlug Domenico zu und versuchte, seine Krallen im Gesicht seines verhassten Feindes zu versenken. Schon wähnte er sich am Ziel, da durchfuhr ein heftiger Schock seinen Arm. Knackend zerbrach seine Kralle und fassungslos musste er mitansehen, wie die gesamte Wucht seiner Attacke an der so winzig erscheinenden schwarzen Verfärbung im Gesichte seines Gegenübers verpuffte. Als er das Lächeln des Fremden erblickte, fiel sein ganzer Zorn in sich zusammen und hinterließ nichts als blanke, nackte Angst. Sein ganzes Denken nur noch von Flucht erfüllt, wechselte er in seine Tierform über. Seine Extremitäten schrumpften zusammen, sein Mund zog sich in die Länge und Haut wurde durch Federn ersetzt. Panisch flatterte er mit den jetzt klein gewordenen Flügeln, um so schnell wie möglich an Höhe zu gewinnen. Wider besseres Wissen warf er aus seinen schwarzen Knopfaugen einen Blick zurück, doch da war nichts. Sein Kopf schnellte zurück und da in der Luft, direkt vor ihm, stand dieser Mann mit seinen schrecklichen violetten Augen. Ohne eine Möglichkeit zu reagieren, sah er die näherkommende Faust sein Gesichtsfeld ausfüllen. Als er gen Boden fiel und sich die Welt rasend schnell schwarz färbte, hörte er den Fremden noch sagen:
„Schwarzer Engel? Dass ich nicht lache. Nur eine Krähe, feige und niederträchtig.“
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Vila, Albacete
Das eindeutige Klicken der aufgelegten Teleschnecke beendete jede Diskussion und auch jede Hoffnung Alateas, aus der Sache ohne Schwierigkeiten heraus zu kommen. Innerlich stellte sie sich bereits darauf ein, gleich gegen ihren ehemaligen Kollegen kämpfen zu müssen. Vorerst aber bemerkte sie Bewohner, die durch den von ihnen verursachten Lärm angelockt worden waren. Vermutlich würde ihnen ihr Gaffen bald leid tun, denn sollte Kill angreifen, würden sie zwischen die Fronten geraten. Mitleid konnte Alatea jedoch nicht bei sich feststellen. In ihren Augen trugen sie alle eine Mitschuld an den Geschehnissen. Während sie ihre Beobachtung gemacht hatte, war die Teleschnecke wieder in Kills Mantel verschwunden und durch zwei seiner heiß geliebten Dolche ersetzt worden. Seufzend richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf den Agenten. Wie stark genau Kill war, vermochte Alatea nicht abzuschätzen, allerdings gab es drei Gründe zum Optimismus. Erstens hatte sie in Kills Augen Angst gesehen, also war sich dieser keinesfalls sicher, was einen Kampf anging. Dazu kam als Zweites, dass der Direktor es für nötig empfunden hatte, Verstärkung zu senden. Aber als drittes und wichtigstes gab ihr die leicht schiefe Haltung des Agenten Hoffnung. Ihr überraschender Gegenangriff mochte vielleicht nicht ausreichend genug gewesen sein, um wirklichen Schaden anzurichten, aber schon ein leichtes Hinken, die fehlende Sicherheit im Stand und das Wissen um die eigene Verletzlichkeit würden ihr einen Vorteil verschaffen. Obgleich ihr die anwesenden Bewohner zwar letztlich egal waren, war Alatea nicht unglücklich, dass die meisten bei dem Anblick der gezückten Dolche und insbesondere des demolierten Hauses wieder das Weite suchten. Erpicht darauf, die Menschen zu töten oder auch nur ihren Tod in Kauf zu nehmen, war sie nicht.
Dann war es vorbei mit jeglichen Gedanken, denn ohne jede weitere Vorwarnung griff Kill an. Sie riss die Arme hoch und färbte gleichzeitig die sich über ihre Haut ausbreitenden Schuppen schwarz. Den rechten Fuß leicht zurückgesetzt in den Boden gestemmt, blockte sie die wuchtigen, von außen geführten Hiebe der Dolche mit ihren Unterarmen. Die Wucht des Aufpralls trieb ihre Füße in die Straße, deren Steine zersplitternde Risse wellenförmig in alle Richtungen aussandten. Mit vor Anstrengung verzerrtem Gesicht versuchte der Agent seine Klingen in ihr Fleisch zu zwingen, doch jetzt, wo der Schwung seines Angriffes verloren war, trieb der Versuch ihm nur Schweißtropfen auf die Stirn. Die Chance zum Gegenangriff im Blick, brachen aus Alateas Händen eckige Schlangenköpfe hervor, doch ihre weißen Zähne schnappten vergeblich ins Leere, denn Kill hatte sich mit einem Satz nach hinten aus der Gefahrenzone katapultiert. Schwankend und mit schmerzverzerrtem Gesicht war Kill auf ein Knie gesunken, offensichtlich behinderte ihn die erlittene Verletzung stärker, als erwartet. Diese Schwäche verlockte Alatea, mit ganzer Macht anzugreifen. Die schimmernden Schlangenarme schossen nach außen, bereit jedes Ausweichen zu verhindern, während sie mit zu einem Tritt erhobenen Bein auf den Agenten zuflog. Noch während sie in der Luft war, machte ihr das höhnische Lächeln Kills klar, dass sie auf sein Schauspiel hereingefallen war. Mit einer fließenden Bewegung warf der Agent im Aufstehen einen Dolch, doch durch seinen unbedachten Hohn vermochte Alatea gerade noch ihren Körper zur Seite drehen. Trotzdem konnte sie nicht verhindern, dass der Dolch im Streifeneine blutige Furche in ihrer linken Schulter hinterließ. Die plötzliche Ausweichbewegung hatte sie die Kontrolle über ihre Arme verlieren lassen. Hilflos sah sie, wie die Dolche in einer silbrig glänzenden Linie niederfuhren. Gleißender Schmerz durchzuckte sie, als ihre beiden Schlangenköpfe von ihrem Körper abgetrennt wurden. Ein Aufschrei entfloh ihrer Kehle, als das fürchterliche Brennen ihren ganzen Geist vereinnahmte. Doch sofort riss sie sich wieder zusammen, ließ zu, dass die Eiseskälte der Hydra ihren Geist abkühlte. Sie war keine Agentin der CP-0 mehr, doch ihre Ausbildung hatte sie deswegen noch lange nicht vergessen. Schmerz, oder genauer gesagt dessen Erduldung, hatte dazu gehört. Zu lange war es her, dass sie ihn gespürt hatte. Sie erkannte die Notwendigkeit, für diesen Kampf auf die Fähigkeiten Hydras zurück zu greifen. Eigentlich bestand auch kein Grund, sich dagegen zu sperren, gehörte sie doch ebenso zu ihr, wie es Alatea tat. Die Klarheit der leidenschaftslosen Agentin klärte ihren Geist, beruhigte jeden Aufruhr und betäubte den Schmerz.
Übergangslos wich sie zur Seite aus, dieses Mal hatte sich Kill in ihrer scheinbaren Schwäche getäuscht. Dann entfesselte sie die ganze Macht ihrer Teufelskraft, die ihr zur Verfügung stand. Aus den blutenden Stümpfen schob sich nachwachsendes Fleisch, frisch entstandene Knochen wurden mit pulsierenden Muskelsträngen umgeben und die neu gewachsenen Schlangen bildeten die typischen schillernd blauen Schuppen aus, die ihren Leib umfassten. Mit der abgeschlossenen Regenerierung erinnerte nichts mehr an die Verletzung, abgesehen von den leblos am Boden liegenden Köpfen, deren Ersatz jedoch bereits wieder bedrohlich zischend die schwarzen Augen auf den Agenten richtete. Diese Mal würde ihr Kill nicht entkommen.
Zwei Schlangenkörper waren gut, doch wie Alatea wusste, noch lange nicht genug. Mit Schrecken im Blick sah der die Straße entlang schlitternde Agent, wie aus den Schultern weitere geschuppte Leiber hervor brachen und sich weiter teilten, bis er sich einem zischenden, eisblauen mit Fangzähnen bewehrten Alptraum aus neun Schlangen gegenüber sah. Das Gewicht der Hydra hatte Alatea auf den Boden gezwungen, doch sie selbst musste sich nicht mehr bewegen. Blitzschnell wuchsen die neun Köpfe und bildeten ein loses Netz, in dessen Inneren Kill eingeschlossen werden sollte. Die Gefahr nur zu gut erkennend, versuchte der Agent auszubrechen, doch der angerichtete Schaden an seiner Wirbelsäule zeigte endlich seine verheerende Wirkung. Nur für einen kleinen Moment verließ ihn im rechten Bein die Kraft, lange genug, dass sein Rückzug jäh unterbrochen wurde, als er im zu langsamen Sprung an der Seite von einem lebendigen Rammbock getroffen wurde. Ächzend und nach Luft schnappend rappelte sich Kill auf, doch zu spät, der Käfig aus sich umeinander schlingenden Schlangenleibern hatte sich unentrinnbar um ihn geschlossen. Für einen Moment beobachteten ihn zehn Gesichter, neun unmenschliche und eines, dass so emotionslos wirkte, dass es für den Agenten keinen Unterschied mehr machte. Hilflos gefangen, bemühte er sich noch verzweifelt, einen Weg nach draußen frei zu schneiden, doch die zu zahlreichen auf ihn los schießenden Schlangen konnte er nicht alle zugleich abwehren. Hart trafen ihn kalte Schnauzen und schuppige Muskelstränge, überraschenderweise aber keine Zähne. Alatea sah zu, wie Kill ohne eine Verteidigungschance in dem Kokon umhergeschleudert wurde. Noch hatten ihn die ziellosen Angriffe nicht endgültig besiegt, also trieb sie ihm mit einem gezielten Schlag in die Magengrube die Luft aus den Lungen und durchbrach dann mit einer hakiverstärkten peitschenden Attacke auf den Nacken die letzte Abwehr des Agenten. Sie entließ den bewusstlos nach vorne kippenden Kill aus dem eng zusammengezogenen Netz. Suchend überblickte sie die Szenerie, doch außer ihnen beiden, gab es niemanden mehr in der Nähe. Alatea zog die Schlangen zurück in ihren Körper, die Hydra wurde nicht länger gebraucht. Mit der rechten Hand die Verletzung an ihrer Schulter haltend, beugte sie sich über Kill. Es war an der Zeit, eine Entscheidung über die Zukunft zu fällen.
Ilha no Meio
Die Straßen Cidade do Meios wirkten leblos und ausgestorben. Am Nachmittag nach dem Zahltag arbeiteten die Einwohner alle doppelt so hart, um die verlorene Zeit wieder gut zu machen. Wieder hinter seinem Führer, ging Galayn, der den bewusstlosen schwarzen Engel am Kragen hinter sich her schleifte, die Straße von West nach Ost entlang, wie die Spur, die Domenico im Straßenschmutz hinterlassen hatte, deutlich bezeugte. Hier, am nördlichen Hafen, gab es mehr Menschen und folglich auch mehr steinerne Häuser. Vereinzelt standen auch noch Lehmhütten zwischen den stabileren Behausungen, doch erst abseits der größeren Hauptstraße, im Gewirr der staubigen Gassen, übernahmen die einfachen Wohnungen wieder die Oberhand. Anzeichen der drohenden Armut waren Galayn hier keinesfalls so deutlich ins Auge gesprungen, wie bei seiner Ankunft auf Ilha no Meio, dennoch bezweifelte er nicht, dass es auch hier die Leute hart getroffen hatte. Damit war es nun aber vorbei. Mit den Gedanken schon bei seinem nächsten und ursprünglichen Ziel, verpasste er es beinahe, Ira zu folgen, der in Richtung Norden abgebogen war. In ihrer Größe der horizontalen Durchquerungsstraße in nichts nachstehend, zeigte das in der Ferne bereits sichtbare Meer an, dass es hier zum Hafen ging. Erfreut registrierte Galayn nur wenige Häuser weiter die Möwe der Marine auf einer müde im lauen Wind hängenden Fahne. Er näherte sich bereits dem blau gestrichenen Gebäude, dass sich, so schien es, im Schatten zwischen den benachbarten Häusern zu verstecken versuchte, als er vom Hafen aus eine Person ausmachte, die sich gemessenen Schrittes näherte. Mit einem unguten Gefühl schloss Galayn zu Ira auf und zwang ihn mit ausgestrecktem Arm zum Anhalten. Vor der leuchtend weißen, offenbar frisch gestrichenen, Tür der hiesigen Marinebasis, falls man dem mickrigen Haus diese Bezeichnung geben wollte, ließ er Domenico unsanft auf den Boden fallen. Die Fremde verhieß Ärger, da war er sich ganz sicher. Inzwischen war sie nahe genug herangekommen, dass man ihre schwarze Maske, die ihr Gesicht bis unter die Nase bedeckte, deutlich sehen konnte. Die darauf gemalten Symbole, unzählige Blutstropfen, die sich ebenfalls eingestickt in den langen schwarzen Mantel wiederfanden, im Stoff noch ergänzt mit blutroten Strömen, offenbarten Galayn die Identität der Fremden. Genau, wie Domenico, gehörte auch sie zu den Boten der Apokalypse. Mehr als ihr Pseudonym, Verzweiflung, und das ausgesetzte Kopfgeld, 296.000.000 Berry wusste er aber nicht über sie. Was diese Boten für ein Ziel hatten, war Galayn ebenfalls nicht klar. Dass ihre Absichten keine guten sein konnten, war jedoch offensichtlich. Unter dem schwarzen, wie mit Blut überströmt erscheinenden Umhang lugte das rote Leder hervor, welches den Rest ihres Aufzuges darstellte. Sehr geschickt, dass musste man ihr lassen. Das Blut, welches ihre Maske zierte, war mit Sicherheit nicht zufällig gewählt, genauso wenig, wie ihr Name. Umso überraschender mochte es erscheinen, dass furchtlos in ihrer linken Hand eine Albinomaus saß, deren seidig glänzendes Fell Verzweiflung beinahe liebevoll streichelte. Den Eindruck revidierte jedoch das Blut, welches ihr von den Lippen troff. Zusammen mit den Fellresten in den Mundwinkeln und dem ängstlichen Quieken weiterer Mäuse, das aus zwei Taschen an ihrer Hüften drang, offenbarte sich ein völlig anderer Umgang mit den kleinen Nagern.
Er würde sich nicht von ihr aufhalten lassen, aber falls möglich, wollte er einen Konflikt vermeiden. Mit den Boten der Apokalypse war nicht zu spaßen und er hatte wahrlich besseres zu tun, als einen Krieg mit ungewissem Ausgang vom Zaun zu brechen.
Mit einem Sicherheitsabstand von etwa zwei Metern hielt Verzweiflung an und strich sich den blonden Zopf von der Schulter. Mit einem leichten Unbehagen bemerkte Galayn das leichte rote Funkeln in den grünen Augen, die ihn und seinen Gefangenen musterten. Fast immer waren Teufelsfrüchte die Ursache und es waren normalerweise keine angenehmen Kräfte, die damit einhergingen. Ein unangenehmes Schweigen beherrschte das Treffen, denn noch war niemand bereit, den ersten Schritt zu machen. Das Warten entnervte Galayn, dessen Geduld, was menschliche Interaktion anging, eher begrenzt war. Doch ehe er das Wort ergreifen konnte, kam ihm Verzweiflung zuvor. Den Blick offenkundig auf Domenico gerichtet unterbrach sie die Stille:
„Sieht so aus, als ob du mir meine Arbeit abgenommen hättest.“
Ihre Stimme wirkte, in Anbetracht des von ihrem Mund herab tropfenden Blutes, welches sie jetzt genüsslich ableckte, unpassend sanft. Täuschen konnte der weiche, fast freundliche Klang Galayn allerdings nicht. Den besitzergreifenden und warnenden Blick des Agenten richtig deutend, fuhr sie fort:
„Du kannst ihn behalten, vorausgesetzt er erhält seine Strafe.“
Jetzt klang der Stahl in ihrer Stimme durch. Innerlich war sie aber keineswegs so gefasst. Sie war nicht leicht zu beunruhigen und abgesehen vom Ersten war sie noch niemandem begegnet, der ihr ein solches Gefühl gegeben hatte.
Schon wollte sie sich zum Gehen umdrehen, da hielt sie die Stimme des Fremden zurück:
„Was wolltest du von ihm?“
Das war keine Frage, sondern viel mehr ein Befehl. Unwillkürlich ertappte sich Verzweiflung dabei, wie sich wieder zurückdrehte. Kurz kämpfte sie mit sich, aber dann entschied sie sich für die friedliche Lösung.
„Ich wollte ihn töten. Allerdings erst, nachdem er mich verzweifelt um seinen Tod anbetteln würde.“
Der unwillkürliche Gedanke an diese herrliche Verzweiflung, die Angst und die eintretende Hoffnungslosigkeit an der sie sich würde laben können, entlockte ihr ein blutiges Lächeln. Dummerweise führte der Weg dazu nur an diesem gefährlichen Mann vorbei, der ihr zuvor gekommen war. Es kam selten vor, dass jemand es schaffte, sie zu verwirren. Verzweiflung gefiel es nicht, ihre Selbstsicherheit zu verlieren, kamen damit doch auch ungebetene Gedanken.
Vergeblich bemühte sie sich, ihren geistigen Fokus auf das Gespräch zu lenken. Stattdessen waberten Fragmente vergangener Ereignisse vorüber und unterbanden jeden klaren Gedanken. In gedämpfter Lautstärke hörte sie wieder den Ersten, der ihren Vorgänger gegen die Bruderschaft ausgesandt hatte. Schon, noch ehe das Bild des Ersten vollständig vor ihrem inneren Auge entstehen konnte, wurde der Fetzen abgelöst von dem verzweifelten Blick ihrer Mutter. Dann löste sich das Gesicht auf und wurde zu dem angenagten Kadaver einer weißen Maus, deren auströmendes Blut, schließlich ihr gesamtes Blickfeld auszufüllen schien. Endlich zog sich der rote Schlier zurück und in völliger Schärfe erinnerte sie sich an den aufgespießten Kopf ihres Vorgängers, dessen Tod durch die Hände Ruins ihren Aufstieg erst ermöglicht hatte. Auch wenn dieses Bild ihre Ängste wiederspiegelte, schaffte es Verzweiflung die Kontrolle über ihre Gedanken zurück zu gewinnen. Sie klammerte sich an das Wissen um die sie bedrohende Gefahr, wie eine Ertrinkende an eine Rettungsleine. Erleichtert fing sie an, ihre Möglichkeiten durchzuspielen. Einen Kampf konnte sie nur mit der Bevölkerung in der Nähe wagen. Die nächste Frage des Fremden durchbrach ihre Gedanken:
„Warum? Wieso wird ein hochrangiges Mitglied wie du, Verzweiflung, ausgesandt zu einem unwichtigen Ableger wie dem schwarzen Engel?“
Sicher, er bewegte sich auf dünnem Eis mit seinen Fragen, aber Galayn konnte nicht anders. Insbesondere, wo Verzweiflung bisher nicht den Eindruck hinterlassen hatte, an einem Kampf interessiert zu sein.
„Ableger? Abtrünniger trifft es besser. Undankbarer Bastard!“
Die giftigen Worte wurden begleitet von einem wütenden Blick zu dem am Boden liegenden Aussteiger. Zorn spülte ihre Angst und ihre Verwiruung fort:
„Er hatte unsere Botschaft überbracht, sogar ohne jede Einmischung. Ließ ein paar Arbeiter hinrichten, die bei Bauarbeiten an seinem Schloss versehentlich eine Wand zum Einsturz gebracht hatten. Gut, er tat es nicht nur aus der Freude am Töten, sondern weil er sich persönlich angegriffen fühlte.“
Verzweiflung legte eine Pause ein, um ihrer Albinomaus von dem langsam an ihrem Mund festtrocknendem Blut abzugeben. Fasziniert hörte Galayn zu. Diese Frau verriet ihm gerade die Triebkraft hinter den Boten der Apokalypse. Lust an der Zerstörung, Freude am Tod und der Wunsch nach Chaos ohne jegliche Regeln und Einschränkungen. Und das alles nicht, um irgendeinen okkultem Wahn nachzukommen, anscheinend noch nicht einmal aus Berechnung und Machtgier. Einen schlimmeren Gegner vermochte er sich fast nicht vorstellen, doch der Kult schaffte es mühelos, auch weiterhin an der Spitze alles Bösen zu stehen.
So langsam geriet Verzweiflung richtig in Fahrt:
„Zu schade für ihn, dass dem König seine Taten zugetragen wurden. Zu schade für dieses Großmaul, dem der Prozess gemacht wurde, weil er nur ein Schwächling war. Ohne uns war er ein Nichts und würde bereits hinter Gittern verrotten.“
Sie warf einen Blick zu dem Marinegebäude und verzog höhnisch das Gesicht:
„Nun, das kann er ja jetzt nachholen.“
Verzweiflungs dreckiges Lachen entlockte ihrer Maus ein empörtes Quieken, die sich in ihrem grausigen Mahl gestört fühlte. Beschwichtigend strich sie über das seidige Fell.
„Wir haben ihm alles gegeben. Wir haben ihn überzeugt vorerst in die Verbannung zu gehen. Wir haben ihm die Krähenfrucht zum Geschenk gemacht. Wir haben ihm geholfen Rache zu nehmen. Krieg und Zerstörung haben die Verteidigungskräfte überwunden und ihn den König auf dem silbernen Tablett serviert.“
Einen Moment sah es aus, als ob Verzweiflung versucht war, den schwarzen Engel persönlich für seinen Verrat büßen zu lassen, doch als sich Galayn schützend vor den Verbrecher stellte, hielt sie inne.
„Wieviel Aufwand haben wir betrieben, um ihn ausfindig zu machen? Erst um ihn als neuen Rekruten zu gewinnen, dann, um ihn hier aufzustöbern. Es darf keine Abtrünnigen geben, also muss Domenico für immer verschwinden.“
Die unverhohlene Forderung machte Galayn wieder klar, wie gefährlich die Situation nach wie vor war. Unwillkürlich setzte sein rationales Denken ein. Für ihn zählte letztlich nur die Suche. Allerdings machte er sich keine übermäßigen Sorgen um die potentielle Ablenkung, denn er bezweifelte sehr, dass er den Kult würde ausfindig machen können. Galayn waren die Worte nur zu bewusst, die ihm prophezeit hatten, dass seine Suche erfolglos bleiben würde. Noch war das Ereignis nicht eingetreten, ab dem er sein Ziel endlich würde erreichen können. Wichtig war jetzt die Gegenwart, also ergriff er schließlich doch noch das Wort:
„Keine Sorge. Er wird sein Leben im Impel Down beschließen. Du kannst ihn nicht haben und du wirst auch die Leute hier in Frieden lassen.“
Er schob sich die Ärmel zurück und entblößte so die Ketten, die sich für immer in seiner Haut eingegraben hatten. Mit harter Stimme fügte er drohend hinzu:
„Ich will keinen Streit mit euch, aber stellt ihr euch mir in den Weg, dann werdet ihr es mit der Kette zu tun bekommen.“
Kurz sah sie ihm in die Augen, das rote Funkeln bereits im Abklingen begriffen, dann drehte sie sich wortlos um. Mehr aus Prinzip, als aus echter Hoffnung rief er ihr noch eine letzte Frage hinterher:
„Was weißt du über den Kult?“
Verzweiflung verlangsamte ihren Schritt nur unwesentlich und warf ihm über die Schulter einen fragenden Blick zu.
„Ich kenne keinen Kult.“
Nicht wirklich überrascht sah Galayn der Botin der Apokalypse nach. Als er sich sicher war, dass sie wirklich friedlich abziehen würde, drehte er sich um. Für einen Augenblick sah er verwirrt Ira an, den er über das Gespräch völlig vergessen hatte. Der Schreck über den Auftritt von Verzweiflung stand seinem Führer immer noch ins Gesicht geschrieben. Im Versuch den schockierten Dörfler wieder zu beruhigen, lächelte Galayn ihn an.
„Sie ist weg und wird euch nichts tun.“
Ira nickte mechanisch. Da er keine Ahnung hatte, wie er ihm helfen könnte, hoffte Galayn einfach darauf, dass er sich mit der Zeit wieder beruhigen würde. Immerhin hatte ihn der Fall Domenicos aufgeheitert, obgleich seine Enttäuschung über dessen Bewusstlosigkeit sie den ganzen Weg her begleitet hatte. Damit musste er leben können, befand Galayn. Es war an der Zeit weiter zu machen, wo sie unterbrochen worden waren. Er beugte sich hinunter, um den schwarzen Engel an seinem bereits ausgeleierten Anzug zu packen. Hauptsache, der Stoff hielt, bis er ihn eingetauscht hatte. Energisch pochte er an die in der Sonne glänzende Tür. Das hohle Klopfen blieb unbeachtet, also wiederholte Galayn seine Bemühungen. Hinter der Tür war ganz eindeutig eine Person, die es anscheinend jedoch vorzog, nicht zu öffnen. Dieser Marineangehörige sorgte dafür, dass seine Stimmung zwischen Amüsement. Unglauben und Verärgerung wechselte. Schließlich brach er seine sionnlosen Versuche ab
„Hier steht Galayn, ein Agent der Weltregierung. Entweder sie machen die Tür jetzt sofort auf, oder ich breche sie auf!“
Diese Drohung bewirkte endlich eine Reaktion. Mit leicht panischem Unterton drang eine nervöse, beinahe schrille Stimme durch das dünne Holz:
„Warten sie, ich komme ja schon!“
Hastige Schritte erklangen, gefolgt von einem dumpfen Aufprall, welcher dem Leiter der Marinestation einen leisen Aufschrei und einen unterdrückten Fluch entlockte. Dann schwang die Tür nach innen auf. Das einfallende Sonnenlicht bestrahlte eine Szenerie, die Galayn nur ungläubig betrachten konnte. Vor ihm hüpfte auf einem Bein ein dürrer Kerl auf und ab, der sich den angestoßenen Fuß rieb. Um seine Schultern hing ein blendend weißer Umhang, den er mit seiner schmalen Figur nicht im Entferntesten ausfüllen konnte. Verzweifelt bemüht, dass Gleichgewicht zu bewahren, flatterte er mit dem anderen Arm durch die Luft. Hinter ihm befand sich das Büro, das penibel aufgeräumt aussah. An der Stirnseite ein sorgfältig ausgerichteter Tisch mit einer Teleschnecke und ein paar Stiften bedeckt, ansonsten aber blank und an den Seiten nummerierte Regale, von denen die meisten jedoch leer waren. Der Grund für Galayns Ungläubigkeit, neben dem Erscheinungsbild des Marines, war aber ein anderer. Linker Hand hatte sich ein Strom von Akten und Steckbriefen über den Boden ergossen. Quer darüber lag das stählerner Gerippe des Regals, welches vormals an der Wand gelehnt haben musste. Ihm war es unbegreiflich, wie es jemand schaffen konnte, mit dem Fuß an das Regal zu stoßen und es zum Umkippen zu bringen, wenn man zur Tür wollte. Irgendwie musste es dieser Tölpel aber geschafft haben, was kein gutes Licht auf diese Marinebasis warf. Kein Wunder, dass von dieser Seite keine Hilfe für die Dorfbewohner gekommen war. Noch während er rudernd nach einem festen Stand suchte, fuhr der junge ungeschickte Bursche panisch mit einer Hand an seine Nase, um seine dem Boden zustrebende Brille wieder zurück zu schieben. Dadurch vernachlässigte er aber sein Gleichgewicht und sah sich gezwungen, einen Hopser rückwärts zu machen, um sich wieder zu fangen. Mit einem Schreckensschrei landete er rücklings auf dem Boden, als ihm seine Landung auf dem eigenen Mantel zum Verhängnis wurde. Sprachlos sah Galayn zu, wie der Gefallene fahrig seine Brille vom Boden klaubte und sie sich zurück auf die schmale, abschüssige Nase schob. Rot im Gesicht vor Scham rappelte sich der Marineoffizier wieder auf und zupfte nervös an den vereinzelten winzigen Barthärchen, die keinesfalls dazu beitrugen, ihn männlicher aussehen zu lassen. Er räusperte sich auffällig und stellte sich vor:
„Ich bin Murphy, Kapitänleutnant der Marine.“
Murphy salutierte zackig, worauf er in unziemlicher Hast, die die martialische Vorstellung ruinierte, seine Brille vor einem erneuten Sturz bewahren musste. Erst jetzt nahm sich der junge Kapitänleutnant die Zeit, seinen Gast zu begutachten. Sein Mund klappte auf, als er den bewusstlosen Domenico erblickte. Mit seinen gewieteten braunen Augen blickte er zwischen Galayn und dem Bewusstlosen hin und her. Wieder schob er die Brille die Nase hinauf und setzte stotternd an:
„I-Ich-Ihr habt den schw-schw-schwarzen Engel b-be-besiegt?“
Mit hochgezogenen Augenbrauen blickte ihn Galayn an. Es schien, als ob der unglückliche Murphy zu schrumpfen begann.
„Offensichtlich. Und jetzt würde ich bitte das Kopfgeld haben.“
Nervös blinzelnd und an seinem Bart zupfend nickte Murphy eifrig und machte sich dann hastig zu seinem Schreibtisch auf. Kurz davor warf er noch einen raschen Blick zurück und prallte prompt gegen die Tischkante. Mit zusammengebissenen Zähnen rieb sich Murphy die Hüfte, nicht gewillt länger als nur irgend nötig mit diesem Fremden in einem Raum zu sein. Fahrig zog er Schubladen auf, bis er schließlich strahlend einen Schlüssel präsentierte. Damit wandte er sich der weißen, mit blauen Marinesymbolen übersäten Rückwand zu und nahm das einzige Bild im Raum, ein Porträt eines hochdekorierten Marineoffiziers, von der Wand. Zu Galayns großer Überraschung schaffte er es, ohne weitere Ungeschicklichkeit den Safe dahinter zu öffnen. Hektisch schaufelte Murphy gebündelte Geldscheine hervor, die er, ohne auch nur nach zu zählen, auf seinen Schreibtisch warf. Mit einem erleichterten Seufzer knallte der Kapitänleutnant den nun leeren Tresor zu und schloss wieder ab.
„Hier, genau zehn Millionen Berry.“
Daran zweifelte Galayn keinen Moment. Trotzdem machte er keinerlei Anstalten, sich das Geld zu holen.
„Ich würde empfehlen, Domenico Seesteinhandschellen anzulegen.“
Nickend fing Murphy wieder an in seinen Schubladen zu kramen und tauchte hinter dem Schreibtisch ab. Schon wollte sich Galayn an Ira wenden, da kam aus der sicheren Deckung ein Paar Handschellen angeflogen.
„Oh nein, dass machst du schön selbst, Murphy!“
Als er sah, wie der Leutnant hinter dem Tisch hervorgekrochen kam, packte er sich Ira und schob ihn nach vorne.
„Ich brauche das Geld nicht. Nutze es, um die von Domenico angerichteten Schäden zu beheben. Ich bin mir sicher, Murphy wird dir liebend gerne helfen.“
Zwei ungläubige Augenpaare sahen ihn an, doch als Ira den Mund aufmachte, kam ihm Galayn zuvor:
„Du brauchst gar nicht erst versuchen, abzulehnen. Meine Entscheidung ist bereits gefallen.“
Ira klappte den Mund wieder zu, dann öffnete er ihn erneut:
„Danke!“
Mehr war nicht nötig, fand Galayn. Tränen der Freude und Dankbarkeit liefen dem Dörfler über das Gesicht. In sich hinein lächelnd, verließ der Agent das Gebäude, jetzt endlich bereit, wieder aufzubrechen. Draußen strahlte über ihm ein wolkenloser Himmel, in dem nur ein möwenförmiger Schatten das alles umfassende Blau durchbrach. Mit einem lauten Schrei senkte sich die Zeitungsmöwe hinab. Galayn schnippte eine Münze in ihre rote Tasche und griff nach der Zeitung. Es zahlte sich immer aus, informiert zu sein und vor seinem Aufbruch hatte er viel Zeitung gelesen.
Als er sie aufklappte, um die Schlagzeilen zu überfliegen, fiel ein Steckbrief heraus. Seine hervorschnellende Hand fing ihn aus der Luft. Zwei Dinge fielen ihm ins Auge. Zuerst war da der Hinweis „Only Alive“, was nicht gerade alltäglich für einen Steckbrief war. Doch viel spannender war das Tattoo, welches er halb am Hals des Gesuchten erkennen konnte. Galayn war sich ziemlich sicher, dass es sich um das Tattoo des Musashi-Clans handelte. Als Name war nur Sengchou angegeben, also wandte er sich nach drinnen und rief Murphy herbei. Der warf einen Blick auf das Foto und rückte seine Brille zurecht.
„Das ist der letzte noch lebende Musashi. Lebte zurückgezogen auf einer der Inseln hier, habe ich gehört. Soweit ich weiß, hat er sich der allgemeinen Wehrpflicht widersetzt und dabei Beamte der Weltregierung angegriffen. Deswegen wird er auch nur lebendig gesucht.“
Gedankenversunken betrachtete Galayn das Tattoo. Schließlich fällte er eine Entscheidung.
„Wo kann ich ihn finden?“
Jetzt, wo es nur ums Denken ging, war Murphy merklich ruhiger geworden. Er strich sich über das Kinn, offenbar nicht sicher, was er sagen sollte. Schließlich antwortete er:
„Genau weiß ich es nicht, aber wahrscheinlich in der Nähe von Ilha no Navio. Dort in der Gegend wohnte er auch auf der Ilha no Brava. Vielleicht weiß man dort mehr.“
Galayn konnte es kaum glauben. Das war ja im Prinzip fast sein Ziel. Schon als er den Steckbrief gesehen hatte, war er überzeugt gewesen, dass hier das lang ersehnte Ereignis beginnen würde. Fast euphorisch bedankte er sich und machte sich gedankenverloren auf zum Hafen. Kaum hundert Meter später sah er im Staub der Straße eine kleine ausgeblutete Leiche einer Maus. Galayn bückte sich und hob sie auf. Beunruhigt bemerkte er das fast mumifizierte Aussehen des toten Nagers. Das gefiel ihm gar nicht, aber sein Studium der Teufelskräfte war unvollständig, deswegen konnte er nicht zuordnen, was hier geschehen war. Eine positive Seite hatte der Fund aber, denn als Galayn die Maus wieder zurücklegte, fiel ihm auf, dass sein Boot auf der anderen Seite der Insel lag. Kopfschüttelnd drehte er wieder um und schritt einer nicht mehr so ungewissen Zukunft entgegen.
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Hauptquartier der CP-0
In aufgewühltem Zustand erklomm sie die vertrauten Stufen, hinauf zum Büro des Direktors. Hinter sich zurück ließ sie die bewusstlosen Wächter, die am Fuße der prächtigen Marmortreppe Zeugnis von ihrer Unaufmerksamkeit ablegten. Es war ihr nicht schwer gefallen, in das Gebäude einzudringen. Ihre Schnelligkeit bot ihr meist Schutz genug, denn so bevölkert war das Hauptquartier nicht gerade. Auch jetzt noch, zwei Tage nach ihrer überstürzten Abreise aus Vila, grübelte sie über ihre Entscheidung nach, Kill am Leben zu lassen. Schon damals hatte sie gewusst, dass der Agent es ihr mit Sicherheit nicht danken würde, verschont worden zu sein. Doch als sie über ihm stand und auf seinen zerschundenen Körper, der mit den Fetzen seines Mantels nur notdürftig bedeckt einen unschönen Anblick dargestellt hatte, hinabsah, da konnte sie es einfach nicht tun. Inzwischen bereute es sie immer stärker. Sie war in einen Kampf um ihr Leben verwickelt und somit hatte sie jedes Recht auf ihrer Seite, davon war Alatea fest überzeugt. Vielleicht hatte es auch mit dem Dolch zu tun, der detailgetreu jeweils auf seinen beiden Oberarmen eintätowiert für sie erstmals sichtbar gewesen war. Wie auch ihr Schuppentattoo kennzeichnete es ihn. Egal, es war geschehen und die Zeit, in der sie die Sache vergessen sollte, war schon längst überfällig. Alatea ermahnte sich, den Blick nach vorne zu richten. Ein letztes Mal musste sie zurückkehren und dem Direktor in die Augen sehen. Diesmal aber ehrlich von Angesicht zu Angesicht, nicht verborgen hinter einem Sessel oder einer Maske. Vielleicht würde sie sogar Antworten erhalten, worauf sie aber nicht zu hoffen wagte.
Inzwischen hatte sie das Ende der Treppe erreicht und suchte Halt und Kraft bei einem der geriffelten Treppenpfosten, in die das polierte Geländer auslief. Wie immer bevor sie dem Direktor gegenüber trat, pochte ihr Herz unnatürlich schnell. Diesmal jedoch würde es anders laufen. Nicht länger war sie eine Untergebene, eine Marionette, eine Spielfigur über die der Puppenspieler von seinem Zimmer aus gebot. Mit einem tiefen Atemzug machte sich Alatea auf und öffente die Tür am Ende des rechten Korridores.
Der Raum hatte sich nicht verändert. Auch wenn es ihr wie eine Ewigkeit erschien, es war noch keine Woche her, da hatte sie ebenfalls hier gestanden. Eine Kleinigkeit war allerdings anders. Der Sessel war dem Eingang zu gedreht und verbarg den Direktor nicht hinter seiner schützenden Lehne vor ihren Blicken. Alatea hatte sich nie ein Bild von ihrem Vorgesetzten gemacht und jetzt, wo sie ihm erstmals ins Gesicht sehen konnte, erschien sein Aussehen ihr einfach richtig. Der Direktor trug einen maßgeschneiderten Anzug und dazu eine Krawatte in langweiligem Schwarz. Schwarz waren auch seine kurzen Haare, die sorgfältig zu einem Mittelscheitel gekämmt waren. Die feisten Wangen sprachen Bände über seinen Bewegungsmangel, während der verkniffene Mund für sie seinen Kontrollzwang repräsentierte. Seine Augen starrten sie entsetzt an, was ihr ein Lächeln entlockte. Wie kam es, dass eine Führungsperson so weit entfernt von der Realität lebte? Fernab von den Geschehnissen draußen saß der Direktor in seinem lederbezogenen weichen Sessel und entschied über Leben und Tod. Aber was sollte man dagegen tun? Sie alle töten? Nein, das war Mord und würde sie nicht besser machen.
„Guten Tag, Direktor.“
Ihre spöttische Begrüßung blieb unbeantwortet. Stattdessen langte der Angesprochene zu seiner Teleschnecke.
„Das würde ich lieber sein lassen. Ich bin nicht her gekommen, um dich zu töten. Gib mir Antworten und ich verschwinde wieder.“
Der Direktor ließ seine Hand zurück auf den Tisch senken. Er leckte sich die Lippen und kratzte sich an der Nase. Als er seine nervösen Handlungen bemerkte, legte er die Hände parallel auf den Tisch.
„Dann frag. Aber glaub ja nicht, du würdest damit durchkommen!“
Alatea seufzte.
„Ihr könnt es einfach nicht gut sein lassen, oder? Mein Leben gehört mir, aber das ist dir egal. So wie dir mein Leben schon immer egal war. Warum ich?“
Als nicht direkt eine Antwort kam, schrie sie ihn an:
„Warum? Was habe ich getan, damit man mir mein Leben nahm? Rede!“
Der Direktor zuckte vor ihrem Zorn zurück.
„Es gab keinen Grund, außer dass du ein Kind aus der Gosse warst. Unwichtig und schnell wieder vergessen.“
Unter ihrem drohenden Blick fügte er noch rasch hinzu:
„Ich habe dich beobachtet, wie du ein Stück Brot vor einer Bande Junge verteidigt hast, die bestimmt doppelt so alt waren. Du hast sie alleine in die Flucht geschlagen. Das hat den Ausschlag gegeben.“
Alatea ballte die Hände. Sie war sich sicher, dass der Direktor nicht log, aber in ihrem Gedächtnis war alles so verschwommen. Mehr als dass sie in einem Slum gelebt hatte wusste sie längst nicht mehr.
„Was war mit meinen Eltern?“
Diesmal zögerte der Direktor nicht:
„Keine Ahnung. Vielleicht hattest du welche, vielleicht auch nicht. Ich weiß es nicht und ich habe mich nie dafür interessiert.“
Alatea kam alles so nutzlos vor. Was hatte sie nur erwartet? Dass sie eine liebende Familie hätte? Dass der Direktor ihr irgendetwas mitteilen würde, was den Weg lohnen würde? Wahrscheinlich waren ihre Eltern längst tot gewesen, mutmaßte Alatea, denn warum sonst sollte sie sonst so alleine für ein Stück Brot unterwegs gewesen sein. Für einen Fehler, den Fehler stark zu sein, hatte der Direktor ihr Leben zerstört. Nicht, dass sie bis dahin ein besonders schönes gehabt haben musste, aber ihre Zukunft hätte in ihrer eigenen Hand gelegen.
Alatea überlegte, ob es noch eine Frage geben würde, die sie stellen sollte. In ihre Gedanken hinein vernahm sie das entfernte Geräusch von Schritten. Alarmiert schreckte sie auf. Sie zögerte nicht lange und hastete zum Fenster, welches das Sonnenlicht jedoch dank der zugezogenen Vorhänge nicht ins Zimmer ließ. Ohne Rücksichtnahme zerrte Alatea den roten Brokatstoff zur Seite und zerbrach das Glas mit einem Schlag. Vielleicht reagierte sie über, aber Alatea war nicht gewillt ein Risiko einzugehen. Ihr eleganter Skywalk trug sie über die hohe Ziegelmauer, welches den ausladenden Garten vor den Blicken Neugieriger verbarg. Ohne einen Blick zurück floh sie in atemberaubenden Tempo weiter und hielt erst mehrere Straßenzüge weiter inne, als sie sicher war, dass niemand ihr auf den Fersen war.
Erst jetzt, wo sie an eine Wand gelehnt verschnaufte, traf sie ihre Lage wie ein Hammer. Sie hatte keine Ziele mehr, nicht jetzt, wo sie ihr letztes Vorhaben verwirklicht hatte. Alatea wurde sich mit erschreckender Klarheit bewusst, dass sie nie gelernt hatte, in der Welt zurecht zu kommen. Sie konnte töten, aber keinen normalen Beruf, war ohne Richtung und noch dazu hingen ihr zwei Agenten der CP-0 auf den Fersen. Was sollte sie nur machen? Ehe sie diese so erschreckende Aussicht übermannte, erkannte sie auch die positiven Seiten. Noch mochte sie richtungslos sein, ohne Pläne, Wünsche und Ziele, aber sie hatte Zeit und die Freiheit sie zu finden und dann zu verwirklichen. Bevor das jedoch möglich war, musste sie zuerst von der Insel verschwinden und so schwer es ihr auch fallen würde, Alatea erkannte, dass sie untertauchen musste. Mit einer Mischung aus Bangen und Hoffen begann sie, erst zögerlich, dann immer forscher, dem Hafen zu zustreben.
Der Ulcoraug – nur ein Mythos?
Die Wahrheit hinter der Legende
Von Prof. Dr. phil. cult. hist. Jakob J. H. Campbell
Eines der weniger untersuchten und bekannten Kapitel der Sagen ist die bereits Jahrhunderte alte Legende vom Ulcoraug. Dabei ist eine Dualität des daraus entstandenen Mythos zu beachten. Man unterscheidet hierbei die Gestalt des Ulcoraugs als dämonische Kreatur und den Kult des Ulcoraugs, den üblicherweise Verschwörungstheoretiker als menschenopfernde Religion hinter den Schatten agieren sehen.
Doch was ist dran an den Theorien um die Existenz sowohl des Wesens als auch des den Ulcoraug verehrenden Kultes?
Fangen wir mit der Schreckensgestalt selbst an. Der erste datierte Bericht stammt bereits aus dem Jahre 66. Hier wird von einer historisch nicht identifizierten Quelle folgendes beschrieben:
„Die Flotte unseres Kaisers stieß […] auf eine neuartige Tierart. Von den wenigen Überlebenden der ersten Inselexpedition wurden wirre Beschreibungen einer haushohen gehörnten Kreatur geliefert. […] Widersprüchliche Aussagen ergaben ungefähr folgendes Bild: das Tier bewegt sich auf vier Beinen und der Kopf ist wie bei einem Stier mit Hörnern versehen. Aus dem Rücken sprießen entweder zwei Arme oder Flügel, […]“
Viel genauere Beschreibungen finden sich weder im Folgenden, noch in diversen Aufzeichnungen der nächsten Jahrhunderte. Einig sind sich alle Quellen nur in einem: der Ulcoraug besitzt zwei weitere Extremitäten auf dem Rücken.
Doch in der Zeit nach dem verlorenen Jahrhundert gibt es keine weiteren Hinweise auf Sichtungen des Ulcoraugs. Leider sind auch gefundene und dem Ulcoraug zugeordnete Knochen während des verlorenen Jahrhunderts verschwunden. Sollte dieses Wesen also jemals existiert haben, was ich persönlich anhand der Quellenlage als historisch korrekt ansehe, so deutet alles darauf hin, dass es innerhalb des verlorenen Jahrhunderts ausgestorben ist.
Natürlich gibt es nach wie vor immer wieder Leute, die behaupten, den Ulcoraug gesehen zu haben. Doch die Tatsache, dass dies stets Einzelsichtungen waren, die niemals bestätigt werden konnten, deuten darauf hin, dass diese Personen nur die ihnen bekannte Sage nutzten, um Aufmerksamkeit zu bekommen.
Halten wir fest: der Mythos des Ulcoraugs ist nicht nur eine Legende, sondern er hat, wie zum Beispiel auch Mammuts, vor längerer Zeit gelebt und ist inzwischen ausgestorben.
Der zweite Punkt ist der Kult um den Ulcoraug. Die Schilderungen des Ulcoraug als menschenfressendes Monster, haben den Grundstock gelegt für die im Allgemeinen als Legende geltende Religion.
Viele Jahrhunderte haben dafür gesorgt, dass das Wissen um den Ulcoraug inzwischen nur noch wenig verbreitet ist, doch so wie es einige wenige gibt, die immer noch für eine Weiterverbreitung der Mythologie sorgen, könnte es ebenso noch Überbleibsel eines Kultes geben. Jedenfalls gibt es Hobbyhistoriker und Freizeitmythologen, die durch ihre Nachforschungen herausgefunden haben wollen, dass es auch in unserer heutigen Zeit einen solchen Kult gibt. Deren Verehrung soll Menschenopfer beinhalten, die diese Leute vermissten Personen zuordnen.
Betrachtet man diese Behauptung objektiv, so wird man einen eklatanten Mangel an Beweisen antreffen. Die Verbreitung des Kultes müsste demzufolge groß genug sein, um im Prinzip sämtliche Blues, als auch die Grandline zu umfassen. Dennoch wurde niemals auch nur eine einzige Leiche gefunden, kein Opferplatz entdeckt oder eine Kultstätte gefunden.
Die Idee eines Kultes taugt also zu nicht mehr, als eine Schreckgeschichte für Kinder, entspricht aber keinesfalls der Wahrheit.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass es bei dem Mythos um den Ulcoraug, wie bei den meisten Legenden, ein Körnchen Wahrheit gibt. Doch aus wissenschaftlicher Hinsicht ist kein Hinweis darauf zu finden, dass es in den letzten Jahrhunderten einen Ulcoraug gab, noch etwas, was damit in Verbindung steht.
Dank blink's hilfreicher Kritik jetzt etwas aufpoliert. Wirklich unbekanntes oder nicht vorhandenes wird jetzt entsprechend deutlich gekennzeichnet sein, während ein '-' lediglich auf eine bislang fehlende Information hinweist.
Hawk
Alter: Mitte dreißig
Größe: 184 cm
TF: -
Zugehörigkeit: Kapitän der Hawk-Piraten
Kopfgeld: 46.000.000 Berry
Status: gefangen von der Weltregierung
Erster Auftritt: Kapitel 1
Sonstiges: -
Anführer des Kultes
Alter: -
Größe: -
TF: vermutet
Zugehörigkeit: Kult des Ulcoraug
Kopfgeld: -
Status: lebendig
Erster Auftritt: Kapitel 1 / Prolog
Sonstiges:
Galayn, hat sich auch Dulug genannt
Alter: -
Größe: 190 cm
TF: -
Zugehörigkeit: freier Agent der Weltregierung
Status: lebendig
Erster Auftritt: Kapitel 1 / Prolog
Sonstiges:
Domenico, auch genannt "schwarzer Engel"
Alter: -
Größe: -
TF: Krähenfrucht
Zugehörigkeit: keine
Kopfgeld: 10.000.000 Berry
Status: lebendig
Erster Auftritt: Kapitel 5 (Erwähnung), Kapitel 6 (Auftritt)
Sonstiges:
Verzweiflung
Alter: -
Größe: -
TF: vermutet
Zugehörigkeit: Boten der Apokalypse
Kopfgeld: 296.000.000 Berry
Status: lebendig
Erster Auftritt: Kapitel 10
Sonstiges:
Alter: -
Größe: -
TF: -
Zugehörigkeit: Boten der Apokalypse
Kopfgeld: unbekannt
Status: lebendig
Erster Auftritt: Kapitel 10 (Erwähnung)
Zerstörung
Alter: -
Größe: -
TF: -
Zugehörigkeit: Boten der Apokalypse
Kopfgeld: unbekannt
Status: lebendig
Erster Auftritt: Kapitel 10 (Erwähnung)
Erster
Alter: -
Größe: -
TF: -
Zugehörigkeit: Boten der Apokalypse
Kopfgeld: unbekannt
Status: lebendig
Erster Auftritt: Kapitel 10 (Erwähnung)
Sonstiges:
Ruin
Alter: -
Größe: -
TF: -
Zugehörigkeit: Bruderschaft
Kopfgeld: unbekannt
Status: lebendig
Erster Auftritt: Kapitel 10 (Erwähnung)
Sonstiges:
Murphy
Alter: -
Größe: -
TF: -
Zugehörigkeit: Marine, stationiert auf Ilha no Meio
Kopfgeld: -
Status: lebendig
Erster Auftritt: Kapitel 10
Sonstiges:
Ilha no Meio:
Hydra, kurz H, inzwischen Alatea
Alter: 22
Größe: 175 cm
TF: Kryptid-Zoan, Modell: Hydra
Zugehörigkeit: CP-0, inzwischen ohne Zugehörigkeit
Status: lebendig
Erster Auftritt: Kapitel 1
Sonstiges:
Kill, kurz K
Alter: -
Größe: 185 cm
TF: -
Zugehörigkeit: CP-0
Status: lebendig
Erster Auftritt: Kapitel 2
Sonstiges:
Der Direktor
Alter: -
Größe: -
TF: -
Zugehörigkeit: CP-0
Status: lebendig
Erster Auftritt: Kapitel 1
Sonstiges:
Bora
Alter: 52
Größe: 178 cm
TF: -
Zugehörigkeit: Psychologe der Weltregierung
Status: lebendig
Erster Auftritt: Kapitel 3
Sonstiges:
Alter: 22
Größe: 175 cm
TF: Kryptid-Zoan, Modell: Hydra
Zugehörigkeit: CP-0, inzwischen ohne Zugehörigkeit
Status: lebendig
Erster Auftritt: Kapitel 1
Sonstiges:
- Teil des Programms "Gnati"
- konditioniert auf bedingungslosen Gehorsam
- hat Zweifel an ihrem Tun
- hat Alatea entwickelt als neues Ich, mit dem sie ein neues Leben beginnen möchte
Kill, kurz K
Alter: -
Größe: 185 cm
TF: -
Zugehörigkeit: CP-0
Status: lebendig
Erster Auftritt: Kapitel 2
Sonstiges:
- scheint der CP-0 gegenüber loyal zu sein
- hat Freude am Töten
- kennt Hydras Schlüsselwort
Der Direktor
Alter: -
Größe: -
TF: -
Zugehörigkeit: CP-0
Status: lebendig
Erster Auftritt: Kapitel 1
Sonstiges:
- scheint die Mitglieder der CP-0 zu unterstützen (gab Hydra eine zweite Chance)
- zeigt sein Gesicht (zumindest) seinen Agenten nicht
- Bora mag ihn und seine Machenschaften nicht
- Verantwortlicher des Programmes "Gnati"
Bora
Alter: 52
Größe: 178 cm
TF: -
Zugehörigkeit: Psychologe der Weltregierung
Status: lebendig
Erster Auftritt: Kapitel 3
Sonstiges:
- besitzt großen Einfluss, der allerdings im Schwinden begriffen ist
- sehr unordentlich, jedoch in seinem Beruf genial
- gebildet, so kennt er die Legende des Ulcoraug
- eher unfreiwillig mit Galayn verbunden
Hawk
Alter: Mitte dreißig
Größe: 184 cm
TF: -
Zugehörigkeit: Kapitän der Hawk-Piraten
Kopfgeld: 46.000.000 Berry
Status: gefangen von der Weltregierung
Erster Auftritt: Kapitel 1
Sonstiges: -
Anführer des Kultes
Alter: -
Größe: -
TF: vermutet
Zugehörigkeit: Kult des Ulcoraug
Kopfgeld: -
Status: lebendig
Erster Auftritt: Kapitel 1 / Prolog
Sonstiges:
- hat ein Auge auf Galayn, der ihn jagt
- ist untergetaucht
- scheint ein Kannibale zu sein
- rote Augen
Galayn, hat sich auch Dulug genannt
Alter: -
Größe: 190 cm
TF: -
Zugehörigkeit: freier Agent der Weltregierung
Status: lebendig
Erster Auftritt: Kapitel 1 / Prolog
Sonstiges:
- besitzt auffällige Körpermerkmale: violette Augen und Kettentätowierungen an den Armen
- scheint zwei Persönlichkeiten zu besitzen
- ist auf der Jagd nach dem Kult
- sozial schwierig, ohne sich dessen bewusst zu sein
- Zwang die Kontrolle zu haben (einseitiges Gespräch mit Bora)
- war früher laut eigener Aussage kriminell
Domenico, auch genannt "schwarzer Engel"
Alter: -
Größe: -
TF: Krähenfrucht
Zugehörigkeit: keine
Kopfgeld: 10.000.000 Berry
Status: lebendig
Erster Auftritt: Kapitel 5 (Erwähnung), Kapitel 6 (Auftritt)
Sonstiges:
- skrupellos
- hat eine Verbindung zu den Boten der Apokalypse
- erpresst Geld von der Bevölkerung Ilha no Meios
Verzweiflung
Alter: -
Größe: -
TF: vermutet
Zugehörigkeit: Boten der Apokalypse
Kopfgeld: 296.000.000 Berry
Status: lebendig
Erster Auftritt: Kapitel 10
Sonstiges:
- hat eine Albinomaus als Haustier
- trägt weitere Mäuse mit sich, hat eine davon getötet und angebissen
Alter: -
Größe: -
TF: -
Zugehörigkeit: Boten der Apokalypse
Kopfgeld: unbekannt
Status: lebendig
Erster Auftritt: Kapitel 10 (Erwähnung)
Zerstörung
Alter: -
Größe: -
TF: -
Zugehörigkeit: Boten der Apokalypse
Kopfgeld: unbekannt
Status: lebendig
Erster Auftritt: Kapitel 10 (Erwähnung)
Erster
Alter: -
Größe: -
TF: -
Zugehörigkeit: Boten der Apokalypse
Kopfgeld: unbekannt
Status: lebendig
Erster Auftritt: Kapitel 10 (Erwähnung)
Sonstiges:
- Scheint der Anführer der Boten zu sein
Ruin
Alter: -
Größe: -
TF: -
Zugehörigkeit: Bruderschaft
Kopfgeld: unbekannt
Status: lebendig
Erster Auftritt: Kapitel 10 (Erwähnung)
Sonstiges:
- Hat den Vorgänger von Verzweiflung getötet
- Anführer der Bruderschaft
Murphy
Alter: -
Größe: -
TF: -
Zugehörigkeit: Marine, stationiert auf Ilha no Meio
Kopfgeld: -
Status: lebendig
Erster Auftritt: Kapitel 10
Sonstiges:
- tollpatschig
- scheint kein Kämpfer zu sein
Ilha no Meio:
- Ira: Bewohner des namenlosen Dorfes, dessen Bruder von Domenico erschossen wurde
- Arturo: Iras getöteter Bruder
- Ricardo: Dorfältester
- Everaldo: ein Dorfbewohner, gehört zu dessen Vertretern
- Fernanda: Everaldos Frau, setzt sich für Galayn ein
- Alatea: Mädchen aus dem Slum, deren Bruder an der Rebellion beteiligt war und von Kill getötet
- Ramirez: Alateas Freund, von Kill getötet
- Devante: Alateas Bruder, vermutlich von Kill getötet
- König Philipp V.: Vilas Herrscher, der die Hilfe der CP-0 angefordert hat und für die Niederbrennung der Slums verantwortlich ist
Viel Spaß!
So, Arc I ist beendet und mit Arc II geht es hier weiter
Voraussichtliche Veröffentlichung des nächsten Kapitels: bin ein schlechter Prophet und hülle mich diesmal lieber in Schweigen
"Well, let's begin"
Meine FF: Erlebnisse eines Meisterdiebes (abgeschlossen)
Langeweile? Lust auf etwas Neues? Komm nach Düsterwald in unsere Gemeinschaft! Wir freuen uns immer über neue Mitspieler!
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